TE OGH 2021/4/21 1Ob66/21v

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Veröffentlicht am 21.04.2021
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Univ.-Prof. Dr. Bydlinski als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätin Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger, Dr. Hofer-Zeni-Rennhofer und Dr. Parzmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei A*****, vertreten durch Dr. Christian Függer, Rechtsanwalt in St. Pölten, gegen die beklagte Partei L*****, vertreten durch die Urbanek Lind Schmied Reisch Rechtsanwälte OG, St. Pölten, wegen 20.569,58 EUR sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 29. Jänner 2021, GZ 16 R 127/20v-39, mit dem das Urteil des Landesgerichts St. Pölten vom 23. September 2020, GZ 42 Cg 20/19z-35, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 1.411,20 EUR (darin 235,20 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung:

[1]          Der Spitalsärztin unterlief am 25. 9. 2018 ein Behandlungsfehler, weil für sie – trotz des bei Anmeldung des Klägers in der vom beklagten Land betriebenen Krankenanstalt erfolgten Scanvorgangs – im EDV-System deren Inhalt nicht ersichtlich gewesen war, der Kläger den ihm bekannten Verdacht des Vorliegens einer Gallenblasenentzündung und eine „familiäre Gallenproblematik“ nicht erwähnte und sie dessen bei der Blutuntersuchung im Krankenhaus hervorgekommenen Entzündungswert nur als leicht (anstelle von „deutlich“) erhöht missinterpretierte. Sie empfahl dem Kläger körperliche Schonung, ausreichende Trinkmenge und die Einnahme von krampflösenden und schmerzstillenden Mitteln. Es hätten aber neben der Blutabnahme und klinischen Untersuchung nicht nur das Lungenröntgen in zwei Ebenen erfolgen müssen, sondern anstelle der (im Arztbrief durch die Verwendung von Großbuchstaben [„MORGEN 26. 9. 2018“] und des Wortes „ehestbaldige“ als dringlich hervorgehobenen) Anweisung, am nächsten Tag eine klinische Kontrolle und eine Laborkontrolle sowie eine Sonografie des Abdomens über den Hausarzt beim niedergelassenen Radiologen vornehmen zu lassen, eine Ultraschalluntersuchung sogleich im Krankenhaus durchgeführt und noch am Nachmittag des 25. 9. 2018 Antibiotika verschrieben werden müssen.

[2]       Der Kläger folgte dieser Anweisung nicht, sondern suchte erst am übernächsten Tag, dem 27. 9. 2018, seinen Hausarzt auf. Dieser verschrieb ein Kombinationsantibiotikum und händigte ihm eine undatierte Überweisung an den Radiologen zur Durchführung einer Ultraschalluntersuchung aus. Eine Ultraschalluntersuchung erfolgte aber nicht mehr; der weitgehend schmerzfreie Kläger flog vielmehr in Kenntnis eines Gallensteinverdachts und einer familiären Gallenproblematik noch am selben Tag in die Türkei auf Urlaub. Dies hätte er „auch explizit bei Kenntnis von Gallensteinen getan“. Nachdem er in der Türkei das erste Abendessen eingenommen hatte, verspürte er kurz nach Mitternacht (am 28. 9. 2018) starke Schmerzen, wurde mit der Rettung in ein Krankenhaus gebracht und noch an diesem Tag operiert (laproskopische Entfernung der Gallenblase).

[3]            Der Kläger begehrte vom beklagten Land den Ersatz der in der Türkei aufgelaufenen Behandlungskosten samt den mit der Operation im Ausland verbundenen sonstigen Mehrkosten sowie Schmerzengeld für die ab der „Erstaufnahme“ im Krankenhaus (wegen angeblich schon seit 12. 7. 2018 erfolgter falscher Behandlung) erlittenen „Mehrschmerzen“ im Zeitraum von 12. 7. bis „Oktober 2018“.

[4]            Das Berufungsgericht bestätigte das die Klage abweisende Urteil des Erstgerichts und erachtete die ordentliche Revision im Hinblick auf die erst jüngst ergangene Entscheidung des sechsten Senats zu 6 Ob 137/20w für zulässig.

Rechtliche Beurteilung

[5]            Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision des Klägers, die – entgegen dem nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts – nicht zulässig ist, weil darin keine im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO erhebliche Rechtsfrage aufgezeigt wird.

[6]          1. Der Kläger befasst sich in seiner Revision zuerst zwar allgemein mit Fragen des Nachweises der Kausalität des Behandlungsfehlers für den Schaden des Patienten und der diesen bzw den Arzt (jeweils) treffenden Beweislast oder Beweiserleichterung, schlussfolgert aber für den konkreten Fall, dass bei der gebotenen Ultraschalluntersuchung im Spital hervorgekommen wäre, dass es bereits eine größere Anzahl von Gallensteinen gebe bzw die Größe der Gallensteine bereits ein Ausmaß angenommen habe, das entweder eine unverzügliche Operation im Krankenhaus des beklagten Landes notwendig gemacht hätte oder zumindest – rein konservativ behandelt – Veranlassung dazu gegeben hätte, ihn stationär aufzunehmen und beobachtend abzuwarten, wie er auf eine allfällige Medikation (mit Antibiotika) reagiert. In diesem Falle „wäre die Möglichkeit gewesen“, unverzüglich bei Auftreten von Problemen die Operation an Ort und Stelle durchzuführen, sodass in beiden Fällen (unverzügliche Operation bzw stationäre Aufnahme im Krankenhaus) der „in Klage gezogene Schaden“ nicht bzw nicht in diesem Ausmaß entstanden wäre. Er habe als Patient – zumindest im Rahmen des erleichterten Kausalbeweises – den Nachweis erbracht, dass die Wahrscheinlichkeit „eines“ Schadeneintritts durch den „ärztlichen Fehler (sprich: Organisationsverschulden)“ nicht bloß unwesentlich erhöht worden sei, sodass es Sache des Beklagten gewesen wäre, zu beweisen, dass das ihm zuzurechnende Organisationsverschulden „mit größter Wahrscheinlichkeit“ nicht kausal für „den Schaden“ gewesen sei. Über weite Strecken bleibt unklar, von welchen konkreten (Teil-)Schäden im jeweiligen Zusammenhang die Rede sein soll.

[7]       2. Die Regelungen über die Beweislast (hier die vom Kläger angesprochene Frage einer Beweiserleichterung für ihn als Patienten) kommen aber nur dann zum Tragen, wenn die Beweisergebnisse nach der Überzeugung des Gerichts nicht ausreichen, um einen entscheidungswesentlichen Tatumstand als erwiesen anzunehmen (RIS-Justiz RS0039903; zum Bereich des Arzthaftungsrechts etwa 5 Ob 248/15d; 1 Ob 244/16p). Trifft das Gericht hingegen eine eindeutige (sei es positive oder negative) Feststellung, so ist für die Anwendung von Beweislastregeln kein Platz (RS0039904).

[8]       Es steht im vorliegenden Fall (nach dem Regelbeweismaß, wie sich ausdrücklich aus der Beweiswürdigung des Erstgerichts ergibt) fest, dass selbst wenn die Ultraschalluntersuchung sogleich durchgeführt worden wäre, eine Operation weder an diesem Tag noch im Zeitraum bis zum Beginn des 28. 9. 2018 lege artis gewesen wäre; es wären (insoweit „nur“) am selben Tag (also am Nachmittag des 25. 9. 2018 anstatt am 27. 9. 2ß18 vom Hausarzt) Antibiotika zu verschreiben gewesen und es wäre ihm (wie ohnehin erfolgt) die Observanz im niedergelassenen Bereich während der nächsten Tagen zu empfehlen gewesen.

[9]       Steht dies aber fest, hätte auch eine fehlerfreie Behandlung nicht dazu geführt, dass der Kläger – wie er in der Revision behauptet – sofort operiert oder stationär aufgenommen worden wäre (womit er in der Folge die Reise nicht hätte antreten können und sich daher auch nicht einer für ihn mit Kosten verbundenen Operation im Ausland hätte unterziehen müssen).

[10]     3. Abgesehen davon ging das Berufungsgericht in seiner Entscheidung auch auf seine Kenntnis vom Verdacht einer Belastung durch Gallensteine bzw des Vorliegens einer Gallenblasenentzündung und darauf ein, dass – obwohl ihm im Krankenhaus nicht nur die Durchführung einer Ultraschalluntersuchung samt klinischer Kontrolle (und Laborkontrolle) am nächsten Tag, sondern auch körperliche Schonung empfohlen worden war – er sich ungeachtet dieser Umstände nicht an die Empfehlung der behandelnden Ärztin, gehalten hatte, sondern vielmehr seinen geplanten (im Krankenhaus allerdings unerwähnt gelassenen) Urlaub mit einer achttägigen Rundreise in der Türkei angetreten sei. Die (selbständig tragfähige) Beurteilung des Berufungsgerichts, dass sein Verhalten nicht der Beklagten angelastet werden könne, sondern er es selbst zu verantworten habe, weswegen das Erstgericht eine Haftung der Beklagten schon dem Grunde nach zutreffend verneint habe, greift der Kläger in seiner Revision nicht an und geht auch auf das von ihm begehrte Schmerzengeld nicht ein; ebensowenig auf die Feststellung, dass die Behandlung des Klägers vor dem 25. 9. 2018 lege artis erfolgte.

[11]     4. Einer weiteren Begründung bedarf es nicht (§ 510 Abs 3 ZPO).

[12]     5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 50 Abs 1 iVm § 41 Abs 1 ZPO. Die Beklagte hat auf die fehlende Zulässigkeit der Revision hingewiesen.

Textnummer

E131697

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2021:0010OB00066.21V.0421.000

Im RIS seit

02.06.2021

Zuletzt aktualisiert am

14.01.2022
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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