TE Bvwg Erkenntnis 2021/2/5 I403 2239204-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 05.02.2021
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Entscheidungsdatum

05.02.2021

Norm

BFA-VG §18 Abs3
BFA-VG §21 Abs7
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
EMRK Art8
FPG §67 Abs1
FPG §67 Abs2
FPG §67 Abs4
FPG §70 Abs3
StGB §146
StGB §147 Abs1 Z1
StGB §147 Abs2
StGB §148
StGB §223
VwGVG §24 Abs2 Z1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch


I403 2239204-1/5E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin MMag. Birgit ERTL als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , StA. Slowakei, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 26.11.2020, Zl. XXXX zu Recht:

A)

Der Beschwerde wird stattgegeben und der angefochtene Bescheid aufgehoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

Die Beschwerdeführerin, eine Staatsangehörige der Slowakei, meldete erstmalig am 23.09.2008 ihren Hauptwohnsitz im Bundesgebiet an.

Am 19.08.2020 wurde sie festgenommen und seitens der Staatsanwaltschaft XXXX über sie die Untersuchungshaft verhängt.

Mit Schriftsatz des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA / belangte Behörde) vom 24.08.2020 ("Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme") wurde der Beschwerdeführerin während ihrer Anhaltung in Untersuchungshaft zur Kenntnis gebracht, dass die Erlassung eines gegen sie gerichteten Aufenthaltsverbotes, in eventu eines ordentlichen Schubhaftbescheides geprüft werde und ihr die Möglichkeit eingeräumt, innerhalb von zehn Tagen eine schriftliche Stellungnahme hinsichtlich ihrer persönlichen Verhältnisse abzugeben. Von dieser Möglichkeit machte die Beschwerdeführerin keinen Gebrauch.

Mit Urteil des Landesgerichts XXXX vom 22.10.2020, Zl. XXXX wurde die Beschwerdeführerin aufgrund des Verbrechens des gewerbsmäßig schweren Betruges nach §§ 146, 147 Abs. 1 Z 1 und Abs. 2, 148 zweiter Fall StGB, sowie wegen des Vergehens der Urkundenfälschung nach § 223 Abs. 1 StGB rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von vierundzwanzig Monaten, davon achtzehn Monate bedingt nachgesehen unter Setzung einer Probezeit in der Dauer von drei Jahren, verurteilt.

Mit dem gegenständlich angefochtenen Bescheid der belangten Behörde vom 26.11.2020 wurde gemäß „§ 67 Abs. 1 und 2 Fremdenpolizeigesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (FPG) idgF“ gegen die Beschwerdeführerin ein für die Dauer von sechs Jahren befristetes Aufenthaltsverbot erlassen (Spruchpunkt I.). Gemäß „§ 70 Abs. 3 FPG“ wurde ihr kein Durchsetzungsaufschub erteilt (Spruchpunkt II.). Zudem wurde einer Beschwerde gegen dieses Aufenthaltsverbot gemäß „§ 18 Abs. 3 BFA-Verfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 87/2012 (BFA-VG) idgF“ die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt III.).

Am 17.12.2020 wurde die Beschwerdeführerin im Rahmen der "Weihnachtsbegnadigung" frühzeitig aus der Strafhaft entlassen und sogleich im Anschluss auf Grund eines Festnahmeauftrags der belangten Behörde vom selben Tag festgenommen.

Am 18.12.2020 wurde die Beschwerdeführerin in die Slowakei abgeschoben.

Mit Schriftsatz vom 28.12.2020 wurde gegen den gegenständlich angefochtenen Bescheid fristgerecht Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht erhoben. Inhaltlich wurde im Wesentlichen ausgeführt, die belangte Behörde habe insbesondere angesichts des Unterlassens der Durchführung einer mündlichen Einvernahme der Beschwerdeführerin ein mangelhaftes Ermittlungsverfahren geführt und ihre familiären und sozialen Bindungen an Österreich nur unzureichend festgestellt. So würde ihre Mutter, welche mit einem österreichischen Staatsangehörigen verheiratet sei, im Bundesgebiet leben, ebenso wie ihre Großeltern, eine Tante und Cousins. Zur Slowakei habe die Beschwerdeführerin hingegen keinerlei maßgebliche Bindungen mehr. Überdies komme der Beschwerdeführerin angesichts ihres über zehnjährigen Aufenthalts im Bundesgebiet ein Daueraufenthaltsrecht zu und sei ein Aufenthaltsverbot vor diesem Hintergrund nur zulässig, wenn die öffentliche Sicherheit der Republik durch ihren Verbleib nachhaltig und maßgeblich gefährdet sei. Eine insoweit nachvollziehbare Gefährdungsprognose ließe der angefochtene Bescheid in seiner Begründung jedoch vermissen.

Beschwerde und Verwaltungsakt wurden dem Bundesverwaltungsgericht am 02.02.2021 vorgelegt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Die unter Punkt I. getroffenen Ausführungen werden als entscheidungswesentlicher Sachverhalt festgestellt.

Die volljährige Beschwerdeführerin ist Staatsangehörige der Slowakei und somit EWR-Bürgerin. Sie ist gesund. Ihre Identität steht fest.

Die Beschwerdeführerin war von 23.09.2008 bis 28.07.2016 sowie von 10.03.2017 bis 10.10.2019 (mit einer Unterbrechung von wenigen Tagen) im Bundesgebiet hauptgemeldet, zusätzlich hatte sie von 28.07.2016 bis 03.07.2020 noch durchgehend eine Nebenwohnsitzmeldung. Zuletzt war sie nur noch von 20.08.2020 bis 17.12.2020 in einer Justizanstalt gemeldet.

Im Jahr 2009 wurde ihr auf Antrag seitens des Amtes der XXXX Landesregierung eine "Anmeldebescheinigung (Familienangehöriger)" zur Dokumentation ihres unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts ausgestellt. Angesichts ihres über einen Zeitraum von zumindest fünf Jahren rechtmäßigen und ununterbrochenen Aufenthalts im Bundesgebiet auf Grundlage eines unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts hat sie überdies gemäß § 53a Abs. 1 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) das Recht zum Daueraufenthalt erworben.

Die Mutter der Beschwerdeführerin, M.T., eine mit einem österreichischen Staatsangehörigen verheiratete slowakische Staatsangehörige, lebt seit dem Jahr 2007 durchgehend in Österreich. Zudem leben noch weitere Angehörige der Beschwerdeführerin wie ihre Großeltern, eine Tante und Cousins im Bundesgebiet. In der Slowakei verfügt sie über keine maßgeblichen privaten oder familiären Anknüpfungspunkte mehr.

Die Beschwerdeführerin ging in Österreich von 01.12.2010 bis 31.01.2011 sowie von 06.06.2017 bis 07.06.2017 angemeldeten Erwerbstätigkeiten als Arbeiterin, von 24.03.2017 bis 23.10.2017 (sowie für einen Tag am 15.07.2010) angemeldeten Erwerbstätigkeiten als geringfügig beschäftigte Arbeiterin und von 09.08.2017 bis 21.08.2017 sowie von 12.10.2017 bis 23.10.2017 angemeldeten Erwerbstätigkeiten als Angestellte nach.

Mit Urteil des Landesgerichts XXXX vom 22.10.2020, Zl. XXXX wurde die Beschwerdeführerin aufgrund des Verbrechens des gewerbsmäßig schweren Betruges nach §§ 146, 147 Abs. 1 Z 1 und Abs. 2, 148 zweiter Fall StGB, sowie wegen des Vergehens der Urkundenfälschung nach § 223 Abs. 1 StGB rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von vierundzwanzig Monaten, davon achtzehn Monate bedingt nachgesehen unter Setzung einer Probezeit in der Dauer von drei Jahren, verurteilt. Dieser Verurteilung lag zugrunde, dass die Beschwerdeführerin ein Opfer durch Täuschung über ihre Rückzahlungswilligkeit und -fähigkeit zur Gewährung eines Darlehens in der Höhe von 55.000 Euro verleitete, indem sie einen gefälschten Überweisungsauftrag zum Nachweis ihres Vermögens vorlegte. Zudem verleitete sie eine Sicherheitsfirma durch Täuschung über ihre eigene Zahlungsfähigkeit und -willigkeit – diesmal unter Benützung einer falschen, handgeschriebenen Einzahlungsbestätigung, wonach sie bereits eine Anzahlung geleistet habe - zur Erbringung von Personenschutzleistungen im Wert von über 11.000 Euro. Darüber hinaus verleitete sie noch einen Hotelmitarbeiter, unter der Vorgabe, eine zahlungswillige Mieterin zu sein, ihr ein Zimmer zu überlassen, welches sie anschließend für vier Tage bewohnte, jedoch die Rechnung in der Höhe von knapp 1.000 Euro in weiterer Folge nicht beglich. Überdies hatte sie noch versucht, einen Anwalt durch Täuschung über ihre Zahlungsfähigkeit und -willigkeit zur Erbringung anwaltlicher Vertretungsleistungen in einem zivilgerichtlichen Verfahren zu verleiten, wobei sie diesem einen selbst angefertigten Überweisungsbeleg zum Nachweis eines angeblich bereits überwiesenen Kostenvorschusses übermittelte. Zuletzt legte sie noch den Polizeibeamten während des anhängigen Ermittlungsverfahrens eine total gefälschte Überweisungsbestätigung einer Bank vor, als Beweismittel, dass sie eine behauptete Überweisung tatsächlich durchgeführt habe. Als mildernd wurden im Rahmen der Strafbemessungsgründe der bisher ordentliche Lebenswandel und das teilweise Geständnis der Beschwerdeführerin sowie der Umstand, dass es teilweise beim Versuch geblieben war, berücksichtigt. Als erschwerend wurden hingegen das Zusammentreffen von Verbrechen und Vergehen sowie die weiteren Angriffe in Kenntnis der laufenden Anzeige gewertet.

Am 17.12.2020 wurde die Beschwerdeführerin im Rahmen der Weihnachtsbegnadigung vorzeitig aus der Strafhaft entlassen. Ihr ursprünglicher Entlassungstermin war mit 19.02.2021 errechnet worden.

2. Beweiswürdigung:

Der oben unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes des BFA und des vorliegenden Gerichtsaktes des Bundesverwaltungsgerichtes.

Ergänzend wurden Auszüge aus dem Informationsverbund zentrales Fremdenregister (aus welchem sich die der Beschwerdeführerin im Jahr 2009 seitens des Amtes der XXXX Landesregierung erteilte "Anmeldebescheinigung (Familienangehöriger)" zur Dokumentation ihres unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts ergibt), dem zentralen Melderegister (woraus sich die Haupt- und Nebenwohnsitzmeldungen der Beschwerdeführerin seit September 2008 ergeben, ebenso wie die durchgehende Meldung ihrer Mutter M.T. seit dem Jahr 2007), dem Hauptverband österreichischer Sozialversicherungsträger (woraus sich die angemeldeten Erwerbstätigkeiten der Beschwerdeführerin ergeben) und dem Strafregister (aus welchem sich ihre rechtskräftige strafgerichtliche Verurteilung ergibt) eingeholt.

Die Identität der Beschwerdeführerin steht aufgrund ihres vor den österreichischen Behörden im Original in Vorlage gebrachten (sowie im zentralen Melderegister sowie im IZR vermerkten) slowakischen Reisepasses Nr. XXXX fest.

Die Feststellungen zu ihren Lebensumständen und Familienverhältnissen ergeben sich aus ihren diesbezüglich glaubhaften Angaben im Beschwerdeschriftsatz.

Dass die Beschwerdeführerin gesund ist, ergibt sich aus dem Umstand, dass der insoweit im angefochtenen Bescheid getroffenen Feststellung in der Beschwerde nicht entgegengetreten wurde.

Die Feststellungen hinsichtlich den ihrer strafgerichtlichen Verurteilung zugrundeliegenden strafbaren Handlungen sowie den Erwägungen des Strafgerichts zur Strafbemessung ergeben sich aus der im Akt enthaltenen, gekürzten Urteilsausfertigung des Landesgerichts XXXX .

Dass die Beschwerdeführerin am 17.12.2020 im Rahmen der "Weihnachtsbegnadigung" vorzeitig aus der Strafhaft entlassen wurde, wobei ihr ursprünglicher Entlassungstermin mit 19.02.2021 errechnet worden war, ergibt sich aus einem im Akt enthaltenen Verständigungsschreiben der Justizanstalt XXXX an die belangte Behörde vom 11.11.2020, in Zusammenschau mit einer Abfrage im zentralen Melderegister, woraus sich ergibt, dass die Beschwerdeführerin bis zum 17.12.2020 in dieser Justizanstalt gemeldet war.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A)

3.1. Zum Aufenthaltsverbot (Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides):

Gegen die Beschwerdeführerin wurde gemäß § 67 Fremdenpolizeigesetz (FPG) ein Aufenthaltsverbot erlassen.

Der mit "Aufenthaltsverbot" betitelte § 67 FPG idgF BGBl. I Nr. 146/2020 lautet:

„§ 67. (1) Die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen unionsrechtlich aufenthaltsberechtigte EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige ist zulässig, wenn auf Grund ihres persönlichen Verhaltens die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet ist. Das persönliche Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Strafrechtliche Verurteilungen allein können nicht ohne weiteres diese Maßnahmen begründen. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig. Die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige, die ihren Aufenthalt seit zehn Jahren im Bundesgebiet hatten, ist dann zulässig, wenn aufgrund des persönlichen Verhaltens des Fremden davon ausgegangen werden kann, dass die öffentliche Sicherheit der Republik Österreich durch seinen Verbleib im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet würde. Dasselbe gilt für Minderjährige, es sei denn, das Aufenthaltsverbot wäre zum Wohl des Kindes notwendig, wie es im Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 20. November 1989 über die Rechte des Kindes vorgesehen ist.

(2) Ein Aufenthaltsverbot kann, vorbehaltlich des Abs. 3, für die Dauer von höchstens zehn Jahren erlassen werden.

(3) Ein Aufenthaltsverbot kann unbefristet erlassen werden, wenn insbesondere

1.       der EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige von einem Gericht zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als fünf Jahren rechtskräftig verurteilt worden ist;

2.       auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass der EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige einer kriminellen Organisation (§ 278a StGB) oder einer terroristischen Vereinigung (§ 278b StGB) angehört oder angehört hat, terroristische Straftaten begeht oder begangen hat (§ 278c StGB), Terrorismus finanziert oder finanziert hat (§ 278d StGB) oder eine Person für terroristische Zwecke ausbildet oder sich ausbilden lässt (§ 278e StGB);

3.       auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass der EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige durch sein Verhalten, insbesondere durch die öffentliche Beteiligung an Gewalttätigkeiten, durch den öffentlichen Aufruf zur Gewalt oder durch hetzerische Aufforderungen oder Aufreizungen, die nationale Sicherheit gefährdet oder

4.       der EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen, ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder terroristische Taten von vergleichbarem Gewicht billigt oder dafür wirbt.

(4) Bei der Festsetzung der Gültigkeitsdauer des Aufenthaltsverbotes ist auf die für seine Erlassung maßgeblichen Umstände Bedacht zu nehmen. Die Frist des Aufenthaltsverbotes beginnt mit Ablauf des Tages der Ausreise.

(Anm.: Abs. 5 aufgehoben durch BGBl. I. Nr. 87/2012).“

Gemäß § 2 Abs. 4 Z 1 FPG gilt als Fremder, wer die österreichische Staatsbürgerschaft nicht besitzt und gemäß Abs. 4 Z 8 leg cit als EWR-Bürger jener Fremde, der Staatsangehöriger einer Vertragspartei des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR-Abkommen) ist. Die Beschwerdeführerin als Staatsangehörige der Slowakei ist sohin EWR-Bürgerin iSd § 2 Abs. 4 Z 8 FPG.

Bei der Festsetzung der Dauer des Aufenthaltsverbotes ist gemäß § 67 Abs. 4 FPG auf alle für seine Erlassung maßgeblichen Umstände Bedacht zu nehmen, insbesondere auch auf die privaten und familiären Verhältnisse (vgl. VwGH 24.05.2016, Ra 2016/21/0075).

Bei Erlassung eines Aufenthaltsverbotes ist eine einzelfallbezogene Gefährdungsprognose zu erstellen, bei der das Gesamtverhalten des Betroffenen in Betracht zu ziehen und auf Grund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahingehend vorzunehmen ist, ob und im Hinblick auf welche Umstände die maßgebliche Gefährdungsannahme gerechtfertigt ist. Dabei ist nicht auf die bloße Tatsache einer Verurteilung oder Bestrafung, sondern auf die Art und Schwere der zu Grunde liegenden Straftaten und auf das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild abzustellen. Bei der nach § 67 Abs. 1 FPG zu erstellenden Gefährdungsprognose geht schon aus dem Gesetzeswortlaut klar hervor, dass auf das "persönliche Verhalten" abzustellen ist und strafgerichtliche Verurteilungen allein nicht ohne weiteres ein Aufenthaltsverbot begründen können (vgl. VwGH 19.02.2014, 2013/22/0309).

Da die Beschwerdeführerin aufgrund ihrer slowakischen Staatsangehörigkeit in den persönlichen Anwendungsbereich des § 67 FPG fällt und überdies seit ihrer erstmaligen Hauptmeldung ab 23.09.2008 bereits mehr als zehn Jahre ihren Aufenthalt im Bundesgebiet hatte, gelangt gegenständlich der Prüfungsmaßstab des § 67 Abs. 1 fünfter Satz FPG zur Anwendung, wonach die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen sie nur dann zulässig wäre, wenn aufgrund ihres persönlichen Verhaltens davon ausgegangen werden kann, dass die öffentliche Sicherheit der Republik Österreich durch ihren Verbleib im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet würde.

Mit der Bestimmung des § 67 Abs. 1 fünfter Satz FPG soll Art. 28 Abs. 3 lit. a der Freizügigkeitsrichtlinie (§ 2 Abs. 4 Z 18 FPG) umgesetzt werden. Demnach darf gegen Unionsbürger, die ihren Aufenthalt in den letzten zehn Jahren im Aufnahmemitgliedstaat hatten, eine Ausweisung nicht verfügt werden, es sei denn, die Entscheidung beruht auf zwingenden Gründen der öffentlichen Sicherheit, die von den Mitgliedstaaten festgelegt wurden. Nach dem Erwägungsgrund 24 dieser Richtlinie sollte gegen Unionsbürger, die sich viele Jahre im Hoheitsgebiet des Aufnahmemitgliedstaates aufgehalten haben, nur unter außergewöhnlichen Umständen aus zwingenden Gründen der öffentlichen Sicherheit eine Ausweisung verfügt werden. Der EuGH hat bereits judiziert, dass hierauf gestützte Maßnahmen auf "außergewöhnliche Umstände" begrenzt sein sollen; es sei vorausgesetzt, dass die vom Betroffenen ausgehende Beeinträchtigung der öffentlichen Sicherheit einen "besonders hohen Schweregrad" aufweise, was etwa bei bandenmäßigem Handeln mit Betäubungsmitteln der Fall sein könne (vgl. VwGH 24.1.2019, Ra 2018/21/0248, Rn 6, mit dem Hinweis auf EuGH (Große Kammer) 23.11.2010, Tsakouridis, C-145/09, insbesondere Rn. 40, 41 und 49 ff, und daran anknüpfend EuGH (Große Kammer) 22.5.2012, P.I., C-348/09, Rn. 19 und 20 sowie Rn. 28, wo überdies - im Zusammenhang mit sexuellem Missbrauch eines Kindes, der zu einer siebeneinhalbjährigen Freiheitsstrafe geführt hatte - darauf hingewiesen wurde, dass es "besonders schwerwiegender Merkmale" bedarf).

Zwar ist der belangten Behörde dahingehend beizutreten, dass das strafrechtswidrige Fehlverhalten der Beschwerdeführerin grundsätzlich eine Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit darstellt und auch ein großes öffentliches Interesse an der Verhinderung strafbarer Handlungen, u.a. insbesondere im Bereich der Eigentumskriminalität besteht (vgl. VwGH 22.11.2017, Ra 2017/19/0474).

Dass die seitens der Beschwerdeführerin begangenen Straftaten - wenngleich diese nicht verharmlost werden sollen - von derart "außergewöhnlichen Umständen" mit "besonders hohem Schweregrad" bzw. von "besonders schwerwiegenden Merkmalen" gekennzeichnet gewesen wären, ist gegenständlich jedoch nicht ersichtlich und wird dies auch von der belangten Behörde nicht aufgezeigt. Gegen eine derart massiv negative Gefährdungsprognose, wie sie nach dem fünften Satz des § 67 Abs. 1 FPG gefordert wird, sprechen im Übrigen auch die Milderungsgründe des Strafgerichts (insbesondere der bisher ordentliche Lebenswandel der Beschwerdeführerin), die eine zum weit überwiegenden Teil bedingte Nachsicht der verhängten Freiheitsstrafe zur Folge hatten, sowie nicht zuletzt der Umstand, dass die Beschwerdeführerin letzten Endes sogar noch vor vollständiger Verbüßung des nicht bedingt nachgesehenen Teils ihrer Freiheitsstrafe - im Rahmen der "Weihnachtsbegnadigung" – am 17.12.2020 aus der Strafhaft entlassen wurde, während ihr ursprüngliches Strafende erst mit 19.02.2021 errechnet worden war. Die Beschwerdeführerin befand sich sohin nunmehr erstmalig für knapp vier Monate in Strafhaft und zeigte sich überdies in der Beschwerde auch einsichtig, indem sie selbst einräumte, einen folgenschweren Fehler begangen zu haben, welchen sie zutiefst bereue.

Die nach der Judikatur des EuGH gebotene "besondere Schwere" der begangenen Straftaten liegt gegenständlich bei der sich seit über zehn Jahren im Bundesgebiet befindlichen Beschwerdeführerin, welche zwischenzeitlich zudem gewichtigere private und familiäre Anknüpfungen zu Österreich aufweist, als zu ihrem Heimatsaat Slowakei, nicht vor. Die Erlassung eines gegen sie gerichteten Aufenthaltsverbotes auf Grundlage des § 67 Abs. 1 fünfter Satz FPG kommt sohin entgegen der Ansicht der belangten Behörde nicht in Betracht.

Das mit Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides verhängte Aufenthaltsverbot erfolgte somit nicht zu Recht, was zugleich auch die Gegenstandslosigkeit der Aussprüche hinsichtlich der Nicht-Gewährung eines Durchsetzungsaufschubes (Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides) und der Aberkennung der aufschiebenden Wirkung (Spruchpunkt III. des angefochtenen Bescheides) bedingt.

In Stattgabe der Beschwerde war der angefochtene Bescheid daher ersatzlos aufzuheben.

Sollte die Beschwerdeführerin in Zukunft noch einmal straffällig werden, wird die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen sie neuerlich zu prüfen sein.

3.2. Zum Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung:

Im gegenständlichen Fall konnte eine mündliche Verhandlung gemäß § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG unterbleiben, da bereits auf Grund der Aktenlage feststand, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben war.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Im gegenständlichen Fall wurde keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung aufgeworfen. Die vorliegende Entscheidung basiert auf den oben genannten Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes.

Schlagworte

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European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:I403.2239204.1.01

Im RIS seit

20.05.2021

Zuletzt aktualisiert am

20.05.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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