TE OGH 2021/2/9 20Ds8/20m

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Veröffentlicht am 09.02.2021
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Der Oberste Gerichtshof als Disziplinargericht für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter hat am 9. Februar 2021 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab als Vorsitzenden, den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Kuras als weiteren Richter und die Rechtsanwälte Dr. Rothner und Dr. Hofer als Anwaltsrichter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Strobl als Schriftführerin in der Disziplinarsache gegen *****, Rechtsanwalt in *****, wegen der Disziplinarvergehen der Berufspflichtenverletzung und der Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes über die Berufung des Disziplinarbeschuldigten gegen das Erkenntnis des Disziplinarrats der Rechtsanwaltskammer Oberösterreich vom 15. Juni 2020, AZ D 63/19 (9 DV 9/20), TZ 27, nach mündlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Mag. Leitner und des Kammeranwalts Mag. Kammler zu Recht erkannt:

Spruch

Der Berufung wird nicht Folge gegeben.

Dem Beschuldigten fallen die Kosten des Berufungsverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

[1]       Mit Erkenntnis des Disziplinarrats der OÖ Rechtsanwaltskammer vom 15. Juni 2020 wurde Rechtsanwalt ***** der Berufspflichtenverletzung und der Verletzung von Ehre und Ansehen des Standes schuldig erkannt.

[2]          Danach hat er im Jänner 2015 unter Verletzung des § 19 RAO iVm § 16 RL-BA 1977 im Verfahren AZ ***** des Bezirksgerichts S***** den der A***** vom Gericht rücküberwiesenen unverbrauchten Kostenvorschuss von 1.500 Euro, den die R*****-AG als Rechtsschutzversicherer der Au***** GmbH (der Klientin des Beschuldigten) der A***** ursprünglich überwiesen und ausdrücklich als Kostenvorschuss für die Sachverständigengebühren in diesem Verfahren gewidmet hatte, der Widmung zuwider für den Honoraranspruch gegen seine Klientin verwendet und erst am 7. Mai 2020 (nach erfolgreicher Klageführung der R*****-AG beim Bezirksgericht U*****) zurückbezahlt.

[3]          Über den Beschuldigten wurde hierfür unter Bedachtnahme auf das Erkenntnis des Disziplinarrats der
OÖ Rechtsanwaltskammer vom 1. April 2019, AZ D 3/18 (12 DV 12/18), TZ 76, eine Zusatzstrafe in Form einer Geldbuße in Höhe von 1.500 Euro verhängt. Mit dem genannten Vorerkenntnis war der Beschuldigte wegen § 1 Abs 1 2. Fall DSt zu einer Geldbuße von 2.500 Euro verurteilt worden, weil er am 16. Dezember 2017 die Insassen eines vorbeifahrenden Polizeifahrzeugs durch eine obszöne Geste (Entgegenhalten des ausgestreckten Mittelfingers) beleidigt und versucht hatte, die daraufhin einschreitenden Polizeibeamten von der weiteren Amtshandlung mit den Worten „Überleg dir gut, was du machst, ich bin nämlich Rechtsanwalt. Auf euch habe ich gewartet“ abzuhalten.

Rechtliche Beurteilung

[4]       Gegen das (jetzige) Erkenntnis richtete sich die Berufung des Disziplinarbeschuldigten wegen Nichtigkeit (§ 281 Abs 1 Z 9 lit a und lit b StPO) und Strafe. Der Kammeranwalt der OÖ Rechtsanwaltskammer beantragte der Berufung nicht Folge zu geben.

[5]       Auf eine Teilnahme an der Berufungsverhandlung hat der Beschuldigte verzichtet.

[6]          Nach der (dispositiven) Bestimmung des § 19 Abs 1 RAO ist der Rechtsanwalt berechtigt, von dem für seine Partei an ihn eingegangenen Barschaften die Summe seiner Auslagen und seines Verdienstes, insoweit sie durch erhaltene Vorschüsse nicht gedeckt ist, in Abzug zu bringen. Er ist jedoch schuldig, sich hierüber sogleich mit seiner Partei zu verrechnen (Vitek in Engelhart et al, RAO10 § 19 RAO Rz 1, 3 und 7; Feil/Wennig, Anwaltsrecht8 § 19 RAO Rz 13; RIS-Justiz RS0110833). § 19 Abs 1 RAO wird ergänzt durch den seit 1. Jänner 2016 in Kraft befindlichen § 13 RL-BA 2015, der inhaltlich ident ist mit dem bis dahin gültigen § 16 RL-BA 1977 (Engelhart in Engelhart et al, RAO10 §§ 13, 14 RL-BA 2015 Rz 2 und 4). Nach dieser Bestimmung darf der Rechtsanwalt Gelder und andere Vermögenswerte, die ihm zu einem bestimmten Zweck übergeben worden sind, weder widmungswidrig verwenden noch zurückbehalten, also vom Recht nach § 19 RAO nicht Gebrauch machen. Zweck ist es, ebenso wie bei § 1440 ABGB, die unerlaubte Selbsthilfe in Fällen hintanzuhalten, die einem Vertrauensbruch nahekommen (Vittek in Engelhart et al, RAO10 § 19 RAO Rz 3, 22; Engelhart in Engelhart et al, RAO10, §§ 13, 14 RL-BA 2015 Rz 3; P. Bydlinski in KBB ABGB6 Rz 4 zu § 1440, RIS-Justiz RS0055808).

[7]       Nach den Sachverhaltsfeststellungen des Disziplinarrats war die von der R*****-AG an den Beschuldigten erfolgte Überweisung von 4.000 Euro eindeutig als Kostenvorschuss für Sachverständigengebühren im Verfahren AZ ***** des Bezirksgerichts S***** gewidmet, sodass aufgrund dieser Widmung auch der nicht verbrauchte Teil der Aufrechnung nach § 19 Abs 1 RAO entzogen blieb.

[8]       Die auf § 281 Abs 1 Z 9 lit a StPO gestützte Berufung geht weitwendig in zwei Richtungen: Zum einen habe die Anwaltsgesellschaft des Beschuldigten zur R*****-AG (in deren Eigenschaft als Rechtsschutzversicherer der Klientin) keinerlei Rechtsbeziehung gehabt, weshalb ihr auch keine (bereicherungsrechtlichen) Rückabwicklungsansprüche zustanden und der nicht verbrauchte Rest des Kostenvorschusses damit eine im Sinne des § 19 Abs 1 RAO „verrechenbare“ Barschaft eines Dritten darstellte. Eine Verrechnung sei demnach nur dann unzulässig gewesen, wenn seitens seiner Klientin eine gegenteilige Weisung existiert hätte. Dass sei nicht der Fall gewesen, seine Klientin habe der Aufrechnung nicht widersprochen, sondern sich (stillschweigend) damit abgefunden. Selbst wenn ursprünglich eine Widmung bestanden habe – so die Meinung des Rechtsmittelwerbers – habe sie hinsichtlich des nicht verbrauchten Geldes ihre Wirkung verloren.

[9]       Diese Argumentation geht fehl: Sind an einer (fehlgeschlagenen) Vermögensverschiebung mehrere Personen beteiligt, ist die Rückabwicklung danach vorzunehmen, wer nach dem angenommenen Schuldverhältnis oder nach der sonstigen Zweckvereinbarung Leistender und wer Leistungsempfänger sein soll (RIS-Justiz RS0033737). Nun bestand zwar zwischen der Anwaltsgesellschaft und der Rechtsschutzversicherung ihrer Klientin keinerlei Schuldverhältnis, sodass eine Rückabwicklung auf dieser Grundlage ausschied (7 Ob 32/15d), allerdings gab es eine klare Zweckvereinbarung für die Zurverfügungstellung der Gelder, aus der abzuleiten war, dass nicht verbrauchte Kostenvorschüsse an die leistende Rechtsschutzversicherung zurückzugeben sind. Das Bezirksgericht U***** und das Landesgericht L***** als Berufungsgericht haben deshalb einen dahingehenden zivilrechtlichen Rückforderungsanspruch der Rechtsschutzversicherung zutreffend bejaht. Da der (nicht verbrauchte) Kostenvorschuss nie dazu bestimmt war, in das Vermögen der Klientin zu kommen, war der Beschuldigte der Rechtsschutzversicherung gegenüber passiv legitimiert (vgl Holzner, Leistungskondiktion oder Verwendungsanspruch? Zwei Streitfragen als Folge eines missverstandenen Leistungsbegriffs, JBl 2020, 213). Dass der Kostenvorschuss nicht zur Gänze verbraucht worden war, hat die ursprüngliche Widmung nicht beseitigt (Engelhart in Engelhart et al, RAO10, §§ 13, 14 RL-BA 2015 Rz 4; 24 Os 2/16y; RIS-Justiz RS0072011). Deshalb erfasst konsequenter Weise § 19 Abs 1 RAO auch nur jene Gelder von dritter Seite, deren Bestimmung darin besteht, letztlich an den Klienten ausgefolgt zu werden. Ist das nicht der Fall, stehen § 13 RL-BA 2015 (§ 16 RL-BA 1977) ebenso wie § 1440 ABGB einer Aufrechnung oder Zurückbehaltung entgegen (zu letzteren Bestimmung: 8 Ob 194/01i; 6 Ob 16/02z).

[10]     Das in diesem Zusammenhang vom Berufungswerber gebrachte (weitere) Argument, eine widmungswidrige Verwendung läge schon deshalb nicht vor, weil es an einer dahingehenden Weisung seiner Klientin gemangelt habe, ist deshalb verfehlt, weil § 13 RL-BA 2015 (§ 16 RL-BA 1977) nicht auf das Vorliegen einer Weisung des eigenen Klienten abstellt. Überdies vermag die Berufung nicht zu erklären, weshalb dem Widerspruch der eigenen Klientin angesichts der Unterlassung einer entsprechenden Aufrechnungserklärung seitens des Beschuldigten (ES 5) überhaupt eine entscheidungsrelevante Bedeutung zukommen sollte.

[11]       Letztlich stünde der von der Berufung behaupteten Zulässigkeit einer Aufrechnung jedenfalls auch die Tatsache entgegen, dass – dem Gesetz widersprechend – keine sofortige Offenlegung bzw Verständigung der Klientin erfolge.

[12]     Der Einwand eines Rechtsirrtums ist angesichts der ausdrücklichen Sachverhaltsannahme des Disziplinarrats, wonach dem Disziplinarbeschuldigten ganz bewusst gewesen ist, dass der nicht verbrauchte Kostenvorschuss an die Rechtsschutzversicherung zurückzuüberweisen wäre (ES 6, 8), schon nicht prozessordnungsgemäß ausgeführt, weil sie letztlich den geltend gemachten Nichtigkeitsgrund nicht auf Basis der Feststellungen aus dem Gesetz ableiten kann (RIS-Justiz RS0099810).

[13]     Die vom Disziplinarrat verhängte Zusatzstrafe entspricht dem Unrechtsgehalt der Tat als auch der Schuld des Rechtsmittelwerbers. Die Verletzungen der disziplinarrechtlichen Vorschriften in beiden Verfahren erfolgten mit einem hohen Aufmerksamkeitswert für die Öffentlichkeit und waren damit schon für sich geeignet, Ehre und Ansehen des Standes besonders nachhaltig zu beeinträchtigen. Der gegenständliche Verstoß gegen die klaren gesetzlichen Vorschriften der § 19 RAO iVm § 13 RL-BA 2015 (§ 16 RL-BA 1977) bzw § 1440 ABGB erfolgte keineswegs unter Umständen, die einen Schuldausschließungsgrund nahekommen. Der Milderungsgrund der Schadenswiedergutmachung verschlägt, hat doch der Beschuldigte die Rückzahlung erst nach Verlust eines über zwei Instanzen getriebenen Prozesses geleistet.

[14]     Der Berufung war somit – in Übereinstimmung mit der Generalprokuratur – zur Gänze der Erfolg zu versagen.

[15]     Die Kostenentscheidung beruht auf § 54 Abs 5 DSt.

Textnummer

E130743

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2021:0200DS00008.20M.0209.000

Im RIS seit

23.02.2021

Zuletzt aktualisiert am

26.05.2021
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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