TE Bvwg Erkenntnis 2020/12/2 W137 2235689-3

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Veröffentlicht am 02.12.2020
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Entscheidungsdatum

02.12.2020

Norm

BFA-VG §22a Abs4
B-VG Art133 Abs4
FPG §76
FPG §80

Spruch


W137 2235689-3/5E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Peter HAMMER als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX , StA. Algerien alias Tunesien (ungeklärt), im amtswegig eingeleiteten Verfahren zur Prüfung der Verhältnismäßigkeit der weiteren Anhaltung in Schubhaft zu Recht:

A)

Gemäß § 22a Abs. 4 BFA-VG wird festgestellt, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen und dass die Aufrechterhaltung der Schubhaft im Zeitpunkt der Entscheidung verhältnismäßig ist.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer (in weiterer Folge auch als BF bezeichnet) gelangte unter Umgehung der Grenzkontrolle in das österreichische Bundesgebiet und stellte am 08.04.2016 unter Angabe einer nachweislich falschen Identität und einer falschen Staatsangehörigkeit (Syrien) einen Antrag auf internationalen Schutz. Während des Asylverfahrens wurde festgestellt, dass der BF im Jahr 2014 bei der Schweizer Botschaft in Tunis mit einem tunesischen Reisepass einen Antrag auf Touristenvisum stellte, jedoch dieser abgelehnt wurde. Auch wurde der BF bereits am 30.04.2015 von Frankreich nach Tunesien abgeschoben.

Am 11.06.2017 wurde der BF wegen dem Verdacht einer gerichtlich Strafbaren Handlung nach § 201 StGB in Untersuchungshaft eingeliefert.

2. Der BF wurde am 21.03.2018 vom einem Landesgericht wegen § 201 Abs. 1 StGB (Vergewaltigung) zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von 3 Jahren rechtskräftig verurteilt. Der Antrag des BF auf internationalen Schutz wurde am 17.08.2018 gem. §§ 3 und 8 AsylG abgewiesen. Gleichzeitig wurde eine Rückkehrentscheidung, verbunden mit einem 10-jährigen Einreiseverbot, erlassen.

3. Am 11.09.2019 wurden – noch während der Anhaltung in Strafhaft - für die Länder Tunesien, Algerien und Marokko Verfahren zur Ausstellung eines Heimreisezertifikates (HRZ) eingeleitet. Während der Strafhaft wurde am 03.01.2020, 31.01.2020 und 16.04.2020 eine Urgenz für die Ausstellung eines Heimreisezertifikates an die Tunesische Botschaft übermittelt. Am 10.01.2020, 15.04.2020 und 19.05.2020 wurde während der Strafhaft auch bei der marokkanischen Botschaft um ein Heimreisezertifikat urgiert. Weiters wurde am 12.11.2019, 09.12.2019, 30.01.2020, 26.03.2020 und 08.05.2020 bei der algerischen Botschaft um ein Heimreisezertifikat urgiert.

4. Am 10.06.2020, um 08:00 Uhr wurde der BF aus der JA-Wien Josefstadt entlassen und gleichzeitig der Festnahmeauftrag vollzogen. Anschließend wurde der BF ins PAZ Hernalser Gürtel eingeliefert. Am 10.06.2020, um 15:15 Uhr wurde der BF niederschriftlich einvernommen. Am 10.06.2020, um 20:15 Uhr wurde dem BF der Schubhaftbescheid persönlich zugestellt. Das Bundesamt stützte die Schubhaft damals insbesondere auf die falschen Identitätsangaben des Beschwerdeführers sowie die fast gänzlich fehlende soziale Verankerung im Bundesgebiet. Im Rahmen der Verhältnismäßigkeit wurde die Begehung eines Sexualverbrechens berücksichtigt.

5. Am 17.07.2020 hat der BF einen Asylfolgeantrag gestellt. Mit einem Aktenvermerk gem. § 76 Abs. 6 FPG wurde vom Bundesamt festgestellt, dass die weitere Anhaltung in Schubhaft aufrecht bleibt, da die Voraussetzungen hierfür weiterhin vorliegen. Dieser wurde dem BF am 17.07.2020, um 12:30 Uhr persönlich zugestellt. Eine Beschwerde gegen die auf diesen Aktenvermerk gestützte Anhaltung erfolgte nicht.

Am 05.08.2020 wurde mittels Aktenvermerk gem. § 80 Abs. 6 FPG die Verhältnismäßigkeit der Anhaltung in Schubhaft geprüft und bestätigt.

Am 02.09.2020 wurde mittels Aktenvermerk gem. § 80 Abs. 6 FPG die Verhältnismäßigkeit der Anhaltung in Schubhaft geprüft und bestätigt.

6. Während der Anhaltung in Schubhaft wurde am 12.06.2020, 28.08.2020 sowie am 30.09.2020 an die Tunesische Botschaft eine Urgenz für die Ausstellung eines Heimreisezertifikates (HRZ) übermittelt.

Es wurde auch bei der marokkanischen Botschaft am 15.06.2020, 29.06.2020, 17.07.2020, 20.08.2020 und 15.09.2020 um ein HRZ urgiert.

Weiters wurde am 16.06.2020, 03.08.2020 und zuletzt am 24.08.2020 bei der algerischen Botschaft wegen eines HRZ urgiert. Am 18.09.2020 wurde der BF der algerischen Delegation vorgeführt. Diese erklärte, dass der BF vermutlich ein tunesischer Staatsangehöriger ist, jedoch werde trotzdem die Identität bei den Behörden in Algerien geprüft.

7. Am 13.08.2020 wurde der Folgeantrag gem. § 68 AVG zurückgewiesen. Diese Entscheidung erwuchs in Rechtskraft. Der Beschwerdeführer ist damit nicht mehr Asylwerber und unterliegt auch nicht mehr dem Regime des § 76 Abs. 6 FPG.

8. Am 05.10.2020 langte der Verfahrensakt zur ersten amtswegigen Verhältnismäßigkeitsprüfung gemäß § 22 Abs. 4 BFA-VG beim Bundesverwaltungsgericht ein. In einem beiliegenden Schreiben führte das Bundesamt im Wesentlichen aus, dass der Sicherungsbedarf noch immer gegeben sei, da der BF nach seiner Einreise nach Österreich im Jahr 2015 unbekannten Aufenthaltes war. Er habe erst einige Monate nach seiner Einreise einen Asylantrag gestellt. Weiters habe er während seines laufenden Asylverfahrens eine Frau vergewaltigt und wurde deswegen zu einer unbedingten dreijährigen Freiheitsstrafe rechtskräftig verurteilt. Er habe auch bereits während seines Asylverfahrens falsche Angaben über seine Identität getätigt und wurde erst nach Überprüfungen im Asylverfahren festgestellt wie seine tatsächliche Identität lautet. Es wurde jedoch bis dato die Identität von keiner Vertretungsbehörde bestätigt.

Das Bundesverwaltungsgericht hat mit Erkenntnis vom 08.10.2020, W278 2235689-1/16E, festgestellt, dass die Voraussetzungen für die Fortsetzung der Schubhaft vorliegen und diese auch verhältnismäßig ist. Begründend wurde im Kern ausgeführt: „Der Beschwerdeführer ist nicht vertrauenswürdig, bediente sich einer falschen Identität und Staatsangehörigkeit im ersten Asylverfahren und verfügt über keine sozialen Anknüpfungspunkte, die ihn von dem Untertauchen abhalten würden. Der BF stellte einen unbegründeten Asylfolgeantrag zu einem Zeitpunkt in dem eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme bestand und er sich im Stande der Schubhaft befand. Es besteht eine rechtskräftige Rückkehrentscheidung. Fluchtgefahr liegt somit gemäß § 76 Abs 3 Z 1, 3, 5 und Z 9 FPG vor. (…) Aus diesen Gründen ist festzustellen, dass im Zeitpunkt der Entscheidung die Verhältnismäßigkeit - unter Berücksichtigung der Straffälligkeit des BF gemäß 76 Abs. 2a FPG in Zusammenschau mit der bisherigen Anhaltedauer von 4 Monaten und der höchstzulässigen Anhaltedauer im gegenständlichen Fall gemäß § 80 Abs. 4 Z 1 FPG von 18 Monaten - der weiteren Anhaltung in Schubhaft gegeben ist.“

9. Am 29.10.2020 langte der Verfahrensakt zur erneuten amtswegigen Verhältnismäßigkeitsprüfung gemäß § 22 Abs. 4 BFA-VG beim Bundesverwaltungsgericht ein. Am 04.11.2020 wurde eine amtsärztliche Bestätigung der Haftfähigkeit des Beschwerdeführers nachgereicht.

Das Bundesverwaltungsgericht hat mit Erkenntnis vom 04.11.2020, W150 2235689-2/5E, erneut ausgesprochen, dass die Voraussetzungen für die weitere Anhaltung in Schubhaft vorliegen und diese auch verhältnismäßig ist.

10. Am 25.11.2020 legte das Bundesamt den Verfahrensakt zur gegenständlichen Verhältnismäßigkeitsprüfung gemäß § 22a Abs. 4 BFA-VG vor. Ergänzend zum bisherigen Verfahrensgang wurde ausgeführt, dass am 29.10.2020 bei der tunesischen und am 14.10.2020 sowie am 12.11.2020 bei der marokkanischen Botschaft um ein HRZ urgiert worden sei. An den Gründen für die Feststellung der Fluchtgefahr habe sich nichts geändert; der Beschwerdeführer habe auch keine Bemühungen in Hinblick auf eine freiwillige Rückkehr gezeigt. Eine Abschiebung könne nach Ausstellung eines Heimreisezertifikats erfolgen.

11. Am 30.11.2020 gab der Diakonie Flüchtlingsdienst / ARGE Rechtsberatung bekannt, vom Beschwerdeführer als Vertreter bevollmächtigt zu sein. Beantragt wurde eine „Übermittlung der Aktenabschrift“ sowie die Einräumung einer eintägigen Stellungnahmefrist. Beigelegt war eine am 24.11.2020 ausgestellte Vollmacht.

Das Bundesverwaltungsgericht hat dem bevollmächtigten Vertreter umgehend das Vorlageschreiben des BFA übermittelt und – unter Hinweis auf den gesetzlich zwingenden Entscheidungszeitpunkt 02.12.2020 – eine Stellungnahmefrist bis 01.12.2020/12:00 Uhr gesetzt.

12. Noch am 30.11.2020 übermittelte der Vertreter eine Stellungnahme zur Verhältnismäßigkeitsprüfung. Darin wird ausgeführt, dass der Beschwerdeführer „offensichtlich tunesischer Staatsbürger“ sei. Dementsprechend sei die Ausnahmeregelung des § 80 Abs. 4 Z 1 FPG zur Begründung einer 18-monatigen Schubhaftdauer nicht anwendbar, da diese nur auf den „objektiven Umstand, ob eine Feststellung der Identität und der Staatsangehörigkeit möglich ist,“ abstelle.

Da sich das Bundesamt bereits seit gut 14 Monaten um ein HRZ bemühe und bisher keine Vorführung vor die Botschaft Tunesiens erfolgen habe können, sei nicht davon auszugehen, dass eine HRZ-Ausstellung während der höchstzulässigen Anhaltedauer in Schubhaft – selbst bei Annahme von insgesamt 18 Monaten – zulässig ist. HRZ-Verfahren abseits von Tunesien seien für den gegebenen Fall irrelevant. Der Beschwerdeführer verfüge zudem nunmehr über eine Wohnmöglichkeit bei eine Wohnmöglichkeit bei einem namentlich angeführten Bekannten. Diesen habe er „vor einigen Jahren in Österreich kennengelernt“; er sei von ihm auch in der Haft besucht worden.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1. Zum Verfahrensgang (I.1. – I.12.)

Der unter Punkt I.1. – I.12. geschilderte Verfahrensgang wird zur Feststellung erhoben.

2. Zur Person des BF und zu den Voraussetzungen der Schubhaft:

2.1. Der BF ist volljährig; seine Staatsangehörigkeit steht nicht fest. Es gibt Hinweise auf eine tunesische Staatsangehörigkeit, der Beschwerdeführer verfügt aber über keine Personal- und Reisedokumente. In seinem (ersten) Asylverfahren hat er sich bewusst tatsachenwidrig als Staatsangehöriger von Syrien bezeichnet. Die österreichische Staatsbürgerschaft besitzt der BF nicht. Er ist weder Asylberechtigter noch subsidiär Schutzberechtigter. Der Beschwerdeführer hat bisher keine Anstalten bezüglich einer freiwilligen Rückkehr gemacht, ein Heimreisezertifikat liegt nicht vor.

2.2. Der BF wurde in Österreich am 21.03.2018 rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von 3 Jahren wegen Vergewaltigung (§ 201 StGB) verurteilt. Zuvor befand er sich mehrere Monate in Untersuchungshaft. Der Beschwerdeführer hat die gesamte Freiheitsstrafe verbüßt, er wurde nicht bedingt (vorzeitig) entlassen.

2.3. Der BF wird seit 10.06.2020 in Schubhaft angehalten. Zuvor befand er sich seit 11.06.2017 in Untersuchungs- und Strafhaft.

2.4. Der BF ist haftfähig. Es liegen keine die Haftfähigkeit ausschließenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen oder Erkrankungen beim BF vor. Der BF hat in der Schubhaft Zugang zu allenfalls benötigter medizinischer Versorgung.

3. Zum Sicherungsbedarf, zur Fluchtgefahr und zur Verhältnismäßigkeit:

3.1. Es liegt eine rechtskräftige, durchsetzbare und durchführbare aufenthaltsbeendende Maßnahme vor.

3.2. Der Beschwerdeführer hat nach seiner Einreise in das Bundesgebiet bewusst tatsachenwidrige Angaben zu seiner Identität gemacht und seither keinen substanziellen aktiven Beitrag zu deren Feststellung und zur Erlangung eines (Ersatz-)Reisedokuments geleistet.

3.3. Am 17.07.2020 stellte der BF einen Asylfolgeantrag. Das Bundesamt hat mit Aktenvermerk vom selben Tag die Schubhaft gemäß § 76 Abs. 6 FPG aufrechterhalten. Der Asylfolgeantrag wurde am 13.08.2020 (rechtskräftig) gemäß § 68 AVG zurückgewiesen.

3.4. Der BF verfügt über keine familiären oder substanziellen sozialen Anknüpfungspunkte in Österreich. Er ging in Österreich keiner legalen Beschäftigung nach und ist mittellos. Er wurde zuletzt am 12.09.2020 von Bekannten in der Schubhaft besucht.

Dem Beschwerdeführer wurde von einem tunesischen Staatsangehörigen eine Nächtigungsmöglichkeit eingeräumt; diese stellt keinen gesicherten Wohnsitz dar. An der angeführten Adresse sind aktuell drei erwachsene Männer – zwei tunesische und ein österreichischer Staatsangehöriger – gemeldet.

3.5. Eine (relevante) Änderung der Umstände für die Anordnung der Schubhaft und des entscheidungsrelevanten Sachverhaltes bzw. der Umstände für die Aufrechterhaltung der Schubhaft hat sich seit der letzten gerichtlichen Überprüfung nicht ergeben. Der Beschwerdeführer ist (weiterhin) nicht vertrauenswürdig.

3.6. Für die Abschiebung des Beschwerdeführers ist zunächst seine Identifizierung durch den Herkunftsstaat erforderlich. Diese ist bisher noch nicht erfolgt, wobei eine Staatsangehörigkeit des Beschwerdeführers bisher noch von keiner Botschaft der diesbezüglich relevanten Staaten bestätigt worden ist. Dokumente zum Beleg seiner Staatsangehörigkeit hat der Beschwerdeführer bisher nicht beigebracht.

Hinsichtlich Algerien sind zum Entscheidungszeitpunkt bereits wieder Flüge ab Jänner 2021 (etwa am 06.01.2021 - nonstop) buchbar. Flüge nach Tunesien sind aktuell bereits buchbar. In Österreich werden die aktuellen Ausgangsbeschränkungen („Lockdown“) voraussichtlich bis Jahresende weitgehend zurückgenommen. Damit erweist sich eine Vorführung des Beschwerdeführers vor die tunesische Botschaft im Verlauf des Jänner 2021 als realistisch. Es ist vor diesem Hintergrund derzeit realistisch, dass eine Abschiebung des Beschwerdeführers nach erfolgter Identifizierung, Flugbuchung und HRZ-Ausstellung bis März 2021 erfolgen kann.

3.7. Dem Beschwerdeführer steht unabhängig davon die Möglichkeit einer (allenfalls auch unterstützten) freiwilligen Ausreise in den (vermeintlichen) Herkunftsstaat – nach Ansicht seines Vertreters: Tunesien - zur Verfügung. So besteht derzeit eine Flugmöglichkeit (nonstop) etwa am 14.12. von Wien nach Tunis. Ab Jänner 2021 wäre dies auch hinsichtlich Algerien möglich. Dem Beschwerdeführer ist es damit möglich, die Dauer der Anhaltung in Schubhaft durch eigenes Handeln substanziell zu verkürzen. Voraussetzung ist, dass er im Zusammenwirken mit seinem Vertreter nicht nur einen „offensichtlich“ feststehenden Herkunftsstaat behauptet, sondern auch belegt.

4. Zum staatlich garantierten Rechtsschutz und dem bevollmächtigten Vertreter

4.1. Dem Beschwerdeführer wurde mit Verfahrensanordnung des Bundesamtes nach Anordnung der Schubhaft ein Rechtsberater amtswegig beigegeben. Diese Beigabe bezieht sich auf den gesamten Anhaltezeitraum in Schubhaft und inkludiert auch jenen Zeitraum, in dem das Gesetz eine regelmäßige engmaschige Verhältnismäßigkeitsprüfung der weiteren Anhaltung vorsieht. Zu den Aufgaben des Rechtsberaters gehört auch die Information über das gesetzlich vorgesehene Rechtsschutzsystem im Zusammenhang mit der Anhaltung in Schubhaft – insbesondere auch über das System der amtswegigen „Haftprüfung“ durch das Bundesamt und das Bundesverwaltungsgericht.

Der Beschwerdeführer erhielt von der „ARGE Rechtsberatung“ am 12.06.2020, 03.08.2020, 14.08.2020, 21.08.2020, 14.10.2020, 19.10.2020 und 24.11.2020 jeweils eine „Rechtsberatung FPG“. Er war jedenfalls ab September 2020 vom Regime der gesetzlich vorgesehenen gerichtlichen Verhältnismäßigkeitsprüfungen (§22a Abs. 4 BFA-VG) und der möglichen Anhaltedauer in Schubhaft (§ 80 FPG) in Kenntnis.

4.2. Der Beschwerdeführer bevollmächtigte am 24.11.2020 den „Diakonie Flüchtlingsdienst / ARGE Rechtsberatung“ mit seiner Vertretung „in allen Verfahren beim Bundesverwaltungsgericht betreffend Schubhaftüberprüfung gem. § 22a Abs. 4 BFA-VG“. Diese Vollmacht wurde dem Bundesverwaltungsgericht erst am 30.11.2020 – gemeinsam mit einem Antrag auf „Aktenabschrift“ zur Kenntnis gebracht.

4.3. Dem bevollmächtigten Vertreter war jedenfalls am 24.11.2020 der Inhalt folgender Entscheidungen bekannt:

Schubhaftbescheid des Bundesamtes vom 10.06.2020

Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 08.10.2020 (siehe I.8.)

Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 04.11.2020 (siehe I.9.)

Dem Vertreter war zudem bereits am 24.11.2020 bewusst, dass die nächste amtswegige Verhältnismäßigkeitsprüfung des Bundesverwaltungsgerichts bereits mit (spätestens) 02.12.2020 abgeschlossen werden muss - und die Aktenvorlage daher spätestens am 25.12.2020 erfolgen muss. Der bevollmächtigte Vertreter hat sich von 24.11.2020 bis 27.11.2020 weder um eine Akteneinsicht bemüht, noch in sonstiger Form eine Anfrage in diesem Zusammenhang beim Bundesverwaltungsgericht eingebracht.

4.4. Bei Einbringung des Antrags auf Übermittlung einer nicht näher definierten „Aktenabschrift“ (am 30.11.) war es dem bevollmächtigten Vertreter bewusst, dass dem Gericht bis zur rechtswirksamen Zustellung der Entscheidung nur noch rund 48 Stunden verbleiben – was die Übermittlung einer vollständigen Aktenabschrift (inklusive Vorverfahren) samt Gewährung einer hinreichenden Stellungnahmefrist faktisch verunmöglicht.

2. Beweiswürdigung:

Beweis wurde erhoben durch Einsichtnahme in den Verwaltungs- und Gerichtsakt, in die Akte des Bundesverwaltungsgerichtes das bisherige Schubhaftverfahren des BF betreffend, in das Grundversorgungs-Informationssystem, in das Strafregister, in das Zentrale Fremdenregister, in das Zentrale Melderegister sowie in die Anhaltedatei des Bundesministeriums für Inneres. Dazu erfolgte am 01.12.2020 eine Anfrage auf der Website www.checkfelix.com hinsichtlich Flügen von Wien nach Tunis sowie von Wien nach Algier.

1. Zum Verfahrensgang:

1.1. Der Verfahrensgang ergibt sich aus dem Akt des Bundesamtes, dem vorliegenden Gerichtsakt sowie den Akten des Bundesamtes und des Bundesverwaltungsgerichtes die Asylverfahren sowie das Schubhaftverfahren des BF betreffend.

2. Zur Person des BF und zu den Voraussetzungen der Schubhaft:

2.1. Die Feststellungen zur Identität des BF beruhen auf dem Inhalt des Verwaltungsaktes. Unstrittig ist, dass der Beschwerdeführer über keine Personal- und Reisedokumente verfügt. Ebenso gibt es keinen Zweifel an den bewusst tatsachenwidrigen Angaben im (ersten) Asylverfahren – zumal selbst sein Vertreter im gegenständlichen Verfahren eine andere (die tunesische) Staatsangehörigkeit für „offensichtlich“ hält. Hinweise für eine tunesische Staatsangehörigkeit finden sich in den Akten – einen hinreichenden Beleg für eine Feststellung derselben gibt es hingegen nicht.

Anhaltspunkte dafür, dass er die österreichische Staatsbürgerschaft besitzt, sind im Verfahren nicht hervorgekommen, ebenso wenig besteht ein Zweifel an der Volljährigkeit des BF. Unstrittig ist, dass er weder asylberechtigt noch subsidiär schutzberechtigt ist. Es finden sich auch keine Hinweise, dass der Beschwerdeführer zu einer freiwilligen Rückkehr bereit wäre.

2.2. Aus dem Strafregister ergibt sich die Verurteilung des BF wegen der Begehung eines Sexualverbrechens. Die weiteren Anhaltezeiten sind dem Melderegister entnommen.

2.3. Dass der BF seit 10.06.2020 in Schubhaft angehalten wird (und zuvor drei Jahre in Untersuchungs- und Strafhaft war), ergibt sich aus dem Verwaltungsakt und den damit übereinstimmenden Angaben in der Anhaltedatei und dem Zentralen Melderegister.

2.4. Es haben sich weder aus dem Verwaltungsakt noch aus der Anhaltedatei Anhaltspunkte dafür ergeben, dass beim BF eine gesundheitliche Beeinträchtigung oder gar Haftunfähigkeit vorliegen würde, weshalb die diesbezügliche Feststellung zu treffen ist. Zudem wurde zuletzt am 04.11.2020 eine Haftfähigkeitsbestätigung durch den Amtsarzt ausgestellt. Auch in seiner Stellungnahme – durch den bevollmächtigten Vertreter - vom 30.11.2020 hat er keine gesundheitlichen Probleme vorgebracht. Dass der BF Zugang zu allenfalls benötigter medizinischer Behandlung hat, ist unzweifelhaft.

3. Zum Sicherungsbedarf, zur Fluchtgefahr und zur Verhältnismäßigkeit:

3.1. Die Feststellungen zur rechtskräftigen Rückkehrentscheidung ergeben sich aus der Aktenlage; auch dies wird im verfahren vom Beschwerdeführer und seinem Vertreter nicht bestritten.

3.2. Wie schon ausgeführt besteht insbesondere unter Einbeziehung der Stellungnahme vom 30.11.2020 nicht der geringste Zweifel, dass der Beschwerdeführer unter bewusst falschen Identitätsangaben und einer behaupteten syrischen Staatsangehörigkeit 2016 einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat.

3.3. Dass der BF am 17.07.2020 einen Asylfolgeantrag stellte, ergibt sich aus der Aktenlage und wurde ebenso wenig in Zweifel gezogen wie das weitere Vorgehen des Bundesamtes und der rechtskräftige Abschluss dieses Asylfolgeverfahrens.

3.4. Die Feststellungen, wonach der BF über keine familiären, beruflichen oder sonstigen sozialen Kontakte in Österreich verfügt und in keiner Weise selbsterhaltungsfähig ist, ergeben sich aus der Aktenlage. Auch hier wird Gegenteiliges nicht behauptet, wobei der Beschwerdeführer vor Anordung der Schubhaft volle drei Jahre in Untersuchungs- und Strafhaft angehalten wurde. Die Besuche in der Schubhaft sind in der Anhaltedatei ersichtlich.

Glaubhaft ist die in der Stellungnahme vom 30.11.2020 vorgebrachte Nächtigungsmöglichkeit („… nächtigen könnte …“) – was schon vom Wortlaut her keinesfalls mit einem gesicherten Wohnsitz und einer amtlichen Meldeadresse gleichzusetzen ist. Die Feststellung der bestehenden Meldungen an der angeführten Adresse erfolgt auf Basis einer ZMR-Abfrage vom 01.12.2020.

3.5. Dass der BF nicht vertrauenswürdig ist, ergibt sich aus dem festgestellten und aktenkundigen bisherigen Verhalten des BF, insbesondere der bewussten Täuschung über seine Identität 2016, der Begehung eines Sexualverbrechens während eines laufenden Asylverfahrens sowie der Stellung eines Asylfolgeantrages während der Anhaltung in Schubhaft. Eine Änderung der Umstände für die Aufrechterhaltung der Schubhaft seit 04.11.2020 (Zeitpunkt der letzten amtswegigen gerichtlichen Verhältnismäßigkeitsprüfung) ist dem Verwaltungsakt nicht zu entnehmen. Gegenteiliges ist auch im durchgeführten Ermittlungsverfahren nicht hervorgekommen.

3.6. Auch wenn der Vertreter des Beschwerdeführers eine tunesische Staatsangehörigkeit als „offensichtlich“ ansieht, so wäre sie selbst dadurch noch nicht erwiesen – insbesondere nicht vom Herkunftsstaat bestätigt. Der Beschwerdeführer hat in diesem Zusammenhang überdies keinerlei aktive Bemühungen gesetzt diesen Prozess durch Vorlage von Beweismitteln (etwa Dokumenten) aus seinem Herkunftsstaat zu erleichtern oder zu beschleunigen.

Die Feststellungen zu den Flugverbindungen bezüglich Tunesien und Algerien ergeben sich aus einer Internet-Recherche; die Pläne der Bundesregierung zur Rücknahme des Lockdown sind notorisch. Vor diesem Hintergrund ist eine Vorführung vor die tunesische Botschaft jedenfalls im Jänner 2021 realistisch. Ausgehend von einer Identifizierungsmöglichkeit in diesem Zeitraum wäre eine Abschiebung bis März 2021 realistisch zu bewerkstelligen.

3.7. Die Feststellungen zur Möglichkeit einer freiwilligen Ausreise ergeben sich aus der oben angeführten Internet-Recherche. Unstrittig ist darüber hinaus, dass gerade in der aktuellen Pandemie-Situation eine freiwillige Ausreise (zu der im Übrigen ohnehin eine gesetzliche Verpflichtung bestehen würde) die Anhaltedauer substanziell verkürzen kann. Dass dies (vor einer Identifizierung durch eine Botschaft) einen tatsächlichen Beleg der Staatsangehörigkeit durch den Beschwerdeführer voraussetzt, ergibt sich aus den Einreise- und Flugverkehrsbestimmungen.

4. Zum staatlich garantierten Rechtsschutz und dem bevollmächtigten Vertreter

4.1. Die Beigabe eines Rechtsberaters ist im Verwaltungsakt belegt. Aus der einschlägigen gesetzlichen Bestimmung (§ 52 Abs. 2 BFA-VG) „Rechtsberater unterstützen und beraten Fremde oder Asylwerber jedenfalls beim Einbringen einer Beschwerde und im Beschwerdeverfahren gemäß Abs. 1 vor dem Bundesverwaltungsgericht, sowie bei der Beischaffung eines Dolmetschers. Rechtsberater haben den Beratenen die Erfolgsaussicht ihrer Beschwerde darzulegen. Auf deren Ersuchen haben sie die betreffenden Fremden oder Asylwerber auch im Verfahren, einschließlich einer mündlichen Verhandlung, zu vertreten.“ ergibt sich zweifelsfrei, dass die Beigabe nicht während einer Anhaltung hinfällig wird oder erlischt. Dies umso mehr, als der Beschwerdeführer eine Schubhaftbeschwerde auch Monate nach der Inschubhaftnahme oder sogar noch nach Entlassung aus der Schubhaft einbringen kann – und für eben diese Beschwerde der Rechtsberater bei Anordnung der Schubhaft beigegeben worden ist. Dass der Rechtsberater auch das staatliche Rechtsschutzsystem zu erläutern hat, ergibt sich vor diesem Hintergrund zwingend.

Die Termine, an denen der BF während der Anhaltung in Schubhaft Rechtsberatung erhalten hat ergeben sich aus der Anhaltedatei. Es ist auszuschließen, dass dem Beschwerdeführer bei den Terminen 14.10.2020 und 19.10.2020 nicht die angeführten Normen erläutert worden sind, zumal das Bundesverwaltungsgericht am 08.10.2020 auf deren Basis seine Entscheidung getroffen hat.

4.2. Der Zeitpunkt der Erteilung der Vollmacht ergibt sich aus der am 30.11.2020 vorgelegten Vollmacht. Das Schreiben „Vollmachtsbekanntgabe“ ist auch mit 30.11.2020 datiert.

4.3. Da die angeführten Entscheidungen dem Beschwerdeführer nachweislich zugestellt worden sind, steht außer Zweifel, dass der Vertreter spätestens zum Zeitpunkt der Vollmachtserteilung Kenntnis von ihrem Inhalt hatte.

Ebenso konnte er sich zu diesem Zeitpunkt die im Zusammenhang mit dem Prüfungsverfahren gemäß § 22a Abs. 4 BFA-VG relevanten Fristen problemlos berechnen. Die diesbezügliche Judikatur ist ihm als Rechtsberater zweifelsfrei bekannt. Die Kontaktaufnahme mit dem Gericht erst am 30.11.2020 ergibt sich aus dem Schreiben des Vertreters.

4.4. Wie oben (4.3.) dargelegt, waren dem Vertreter am 30.11.2020 die für das Gericht gesetzlich determinierten Fristen zweifelsfrei bewusst. Eine konkrete Definition des Umfangs der beantragten „Aktenabschrift“ wurde zudem unterlassen. Eine Akteneinsicht durch den Vertreter wurde – nach dem Wortlaut des Schreibens – nicht einmal in Erwägung gezogen.

3. Rechtliche Beurteilung:

Spruchteil A)

3.1. Rechtliche Grundlagen

Entsprechend dem Fremdenrechtsänderungsgesetz 2015 – FrÄG 2015 vom 18.06.2015, BGBl. I Nr. 70/2015, lautet §22a Abs. 4 des BFA-Verfahrensgesetzes (BFA-VG) wie folgt:

„§ 22a. (4) Soll ein Fremder länger als vier Monate durchgehend in Schubhaft angehalten werden, so ist die Verhältnismäßigkeit der Anhaltung nach dem Tag, an dem das vierte Monat überschritten wurde, und danach alle vier Wochen vom Bundesverwaltungsgericht zu überprüfen. Das Bundesamt hat die Verwaltungsakten so rechtzeitig vorzulegen, dass dem Bundesverwaltungsgericht eine Woche zur Entscheidung vor den gegenständlichen Terminen bleibt. Mit Vorlage der Verwaltungsakten gilt die Beschwerde als für den in Schubhaft befindlichen Fremden eingebracht. Das Bundesamt hat darzulegen, warum die Aufrechterhaltung der Schubhaft notwendig und verhältnismäßig ist. Das Bundesverwaltungsgericht hat jedenfalls festzustellen, ob zum Zeitpunkt seiner Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen und ob die Aufrechterhaltung der Schubhaft verhältnismäßig ist. Diese Überprüfung hat zu entfallen, soweit eine Beschwerde gemäß Abs. 1 bereits eingebracht wurde.“

§22a Abs. 4 bildet im gegenständlichen Fall die formelle Grundlage, da der Beschwerdeführer seit 10.06.2020 in Schubhaft angehalten wird.

Die in diesem Zusammenhang maßgeblichen (innerstaatlichen) verfassungsrechtlichen Bestimmungen des Art 5 Abs. lit. f EMRK und des Art 2 Abs. 1 Z. 7 PersFrBVG sowie einfachgesetzlichen Normen des mit 20. Juli 2015 im Rahmen des Fremdenrechtsänderungsgesetzes 2015 – FrÄG 2015 in Kraft getretenen Fremdenpolizeigesetzes 2005 lauten:

Art 5 Abs. 1 lit. F EMRK

(1) Jedermann hat ein Recht auf Freiheit und Sicherheit. Die Freiheit darf einem Menschen nur in den folgenden Fällen und nur auf die gesetzlich vorgeschriebene Weise entzogen werden:
f)         wenn er rechtmäßig festgenommen worden ist oder in Haft gehalten wird, um ihn daran zu hindern, unberechtigt in das Staatsgebiet einzudringen oder weil er von einem gegen ihn schwebenden Ausweisungs- oder Auslieferungsverfahren betroffen ist.

Art 2 Abs. 1 Z. 7 PersFrBVG

(1) Die persönliche Freiheit darf einem Menschen in folgenden Fällen auf die gesetzlich vorgeschriebene Weise entzogen werden:

7. wenn dies notwendig ist, um eine beabsichtigte Ausweisung oder Auslieferung zu sichern.

§ 76 FPG (in der geltenden Fassung)

„§ 76. (1) Fremde können festgenommen und angehalten werden (Schubhaft), sofern der Zweck der Schubhaft nicht durch ein gelinderes Mittel (§ 77) erreicht werden kann. Unmündige Minderjährige dürfen nicht in Schubhaft angehalten werden.

(2) Die Schubhaft darf nur angeordnet werden, wenn
1.         dies zur Sicherung des Verfahrens über einen Antrag auf internationalen Schutz im Hinblick auf die Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme notwendig ist, sofern der Aufenthalt des Fremden die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gemäß § 67 gefährdet, Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist,
2.         dies zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme nach dem 8. Hauptstück oder der Abschiebung notwendig ist, sofern jeweils Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist, oder
3.         die Voraussetzungen des Art. 28 Abs. 1 und 2 Dublin-Verordnung vorliegen.

Bedarf es der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme deshalb nicht, weil bereits eine aufrechte rechtskräftige Rückkehrentscheidung vorliegt (§ 59 Abs. 5), so steht dies der Anwendung der Z 1 nicht entgegen. In den Fällen des § 40 Abs. 5 BFA-VG gilt Z 1 mit der Maßgabe, dass die Anordnung der Schubhaft eine vom Aufenthalt des Fremden ausgehende Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit nicht voraussetzt.

(2a) Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung (Abs. 2 und Art. 28 Abs. 1 und 2 Dublin-Verordnung) ist auch ein allfälliges strafrechtlich relevantes Fehlverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen, insbesondere ob unter Berücksichtigung der Schwere der Straftaten das öffentliche Interesse an einer baldigen Durchsetzung einer Abschiebung den Schutz der persönlichen Freiheit des Fremden überwiegt.

(3) Eine Fluchtgefahr im Sinne des Abs. 2 Z 1 oder 2 oder im Sinne des Art. 2 lit n Dublin-Verordnung liegt vor, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich der Fremde dem Verfahren oder der Abschiebung entziehen wird oder dass der Fremde die Abschiebung wesentlich erschweren wird. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen,
1.         ob der Fremde an dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme mitwirkt oder die Rückkehr oder Abschiebung umgeht oder behindert;
1a.         ob der Fremde eine Verpflichtung gemäß § 46 Abs. 2 oder 2a verletzt hat, insbesondere, wenn ihm diese Verpflichtung mit Bescheid gemäß § 46 Abs. 2b auferlegt worden ist, er diesem Bescheid nicht Folge geleistet hat und deshalb gegen ihn Zwangsstrafen (§ 3 Abs. 3 BFA-VG) angeordnet worden sind;
2.         ob der Fremde entgegen einem aufrechten Einreiseverbot, einem aufrechten Aufenthaltsverbot oder während einer aufrechten Anordnung zur Außerlandesbringung neuerlich in das Bundesgebiet eingereist ist;
3.         ob eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme besteht oder der Fremde sich dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme oder über einen Antrag auf internationalen Schutz bereits entzogen hat;
4.         ob der faktische Abschiebeschutz bei einem Folgeantrag (§ 2 Abs. 1 Z 23 AsylG 2005) aufgehoben wurde oder dieser dem Fremden nicht zukommt;
5.         ob gegen den Fremden zum Zeitpunkt der Stellung eines Antrages auf internationalen Schutz eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme bestand, insbesondere, wenn er sich zu diesem Zeitpunkt bereits in Schubhaft befand oder aufgrund § 34 Abs. 3 Z 1 bis 3 BFA-VG angehalten wurde;
6.         ob aufgrund des Ergebnisses der Befragung, der Durchsuchung oder der erkennungsdienstlichen Behandlung anzunehmen ist, dass ein anderer Mitgliedstaat nach der Dublin-Verordnung zuständig ist, insbesondere sofern
a.         der Fremde bereits mehrere Anträge auf internationalen Schutz in den Mitgliedstaaten gestellt hat oder der Fremde falsche Angaben hierüber gemacht hat,
b.         der Fremde versucht hat, in einen dritten Mitgliedstaat weiterzureisen, oder
c.         es aufgrund der Ergebnisse der Befragung, der Durchsuchung, der erkennungsdienstlichen Behandlung oder des bisherigen Verhaltens des Fremden wahrscheinlich ist, dass der Fremde die Weiterreise in einen dritten Mitgliedstaat beabsichtigt;
7.         ob der Fremde seiner Verpflichtung aus dem gelinderen Mittel nicht nachkommt;
8.         ob Auflagen, Mitwirkungspflichten, Gebietsbeschränkungen, Meldeverpflichtungen oder Anordnungen der Unterkunftnahme gemäß §§ 52a, 56, 57 oder 71 FPG, § 38b SPG, § 13 Abs. 2 BFA-VG oder §§ 15a oder 15b AsylG 2005 verletzt wurden, insbesondere bei Vorliegen einer aktuell oder zum Zeitpunkt der Stellung eines Antrags auf internationalen Schutzes durchsetzbaren aufenthaltsbeendenden Maßnahme;
9.         der Grad der sozialen Verankerung in Österreich, insbesondere das Bestehen familiärer Beziehungen, das Ausüben einer legalen Erwerbstätigkeit beziehungsweise das Vorhandensein ausreichender Existenzmittel sowie die Existenz eines gesicherten Wohnsitzes.

(4) Die Schubhaft ist schriftlich mit Bescheid anzuordnen; dieser ist gemäß § 57 AVG zu erlassen, es sei denn, der Fremde befände sich bei Einleitung des Verfahrens zu seiner Erlassung aus anderem Grund nicht bloß kurzfristig in Haft. Nicht vollstreckte Schubhaftbescheide gemäß § 57 AVG gelten 14 Tage nach ihrer Erlassung als widerrufen.

(5) Wird eine aufenthaltsbeendende Maßnahme (Z 1 oder 2) durchsetzbar und erscheint die Überwachung der Ausreise des Fremden notwendig, so gilt die zur Sicherung des Verfahrens angeordnete Schubhaft ab diesem Zeitpunkt als zur Sicherung der Abschiebung verhängt.

(6) Stellt ein Fremder während einer Anhaltung in Schubhaft einen Antrag auf internationalen Schutz, so kann diese aufrechterhalten werden, wenn Gründe zur Annahme bestehen, dass der Antrag zur Verzögerung der Vollstreckung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme gestellt wurde. Das Vorliegen der Voraussetzungen ist mit Aktenvermerk festzuhalten; dieser ist dem Fremden zur Kenntnis zu bringen. § 11 Abs. 8 und § 12 Abs. 1 BFA-VG gelten sinngemäß.“

§ 80 FPG:

§ 80. (1) Das Bundesamt ist verpflichtet, darauf hinzuwirken, dass die Schubhaft so kurz wie möglich dauert. Die Schubhaft darf so lange aufrechterhalten werden, bis der Grund für ihre Anordnung weggefallen ist oder ihr Ziel nicht mehr erreicht werden kann.

(2) Die Schubhaftdauer darf, vorbehaltlich des Abs. 5 und der Dublin-Verordnung, grundsätzlich

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

1.

drei Monate nicht überschreiten, wenn die Schubhaft gegen einen mündigen Minderjährigen angeordnet wird;

2.

sechs Monate nicht überschreiten, wenn die Schubhaft gegen einen Fremden, der das 18. Lebensjahr vollendet hat, angeordnet wird und kein Fall der Abs. 3 und 4 vorliegt.

(3) Darf ein Fremder deshalb nicht abgeschoben werden, weil über einen Antrag gemäß § 51 noch nicht rechtskräftig entschieden ist, kann die Schubhaft bis zum Ablauf der vierten Woche nach rechtskräftiger Entscheidung, insgesamt jedoch nicht länger als sechs Monate aufrecht erhalten werden.

(4) Kann ein Fremder deshalb nicht abgeschoben werden, weil

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

1.

die Feststellung seiner Identität und der Staatsangehörigkeit, insbesondere zum Zweck der Erlangung eines Ersatzreisedokumentes, nicht möglich ist,

2.

eine für die Ein- oder Durchreise erforderliche Bewilligung eines anderen Staates nicht vorliegt,

3.

der Fremde die Abschiebung dadurch vereitelt, dass er sich der Zwangsgewalt (§ 13) widersetzt, oder

4.

die Abschiebung dadurch, dass der Fremde sich bereits einmal dem Verfahren entzogen oder ein Abschiebungshindernis auf sonstige Weise zu vertreten hat, gefährdet erscheint,

kann die Schubhaft wegen desselben Sachverhalts abweichend von Abs. 2 Z 2 und Abs. 3 höchstens 18 Monate aufrechterhalten werden.

(5) Abweichend von Abs. 2 und vorbehaltlich der Dublin-Verordnung darf die Schubhaft, sofern sie gegen einen Asylwerber oder einen Fremden, der einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, angeordnet wurde, bis zum Zeitpunkt des Eintritts der Durchsetzbarkeit der aufenthaltsbeendenden Maßnahme die Dauer von 10 Monaten nicht überschreiten. Wird die Schubhaft über diesen Zeitpunkt hinaus aufrechterhalten oder nach diesem Zeitpunkt neuerlich angeordnet, ist die Dauer der bis dahin vollzogenen Schubhaft auf die Dauer gemäß Abs. 2 oder 4 anzurechnen.

(5a) In den Fällen des § 76 Abs. 2 letzter Satz ist auf die Schubhaftdauer gemäß Abs. 5 auch die Dauer der auf den Festnahmeauftrag gestützten Anhaltung anzurechnen, soweit sie nach Stellung des Antrags auf internationalen Schutz gemäß § 40 Abs. 5 BFA-VG aufrechterhalten wurde. Die Anrechnung gemäß Abs. 5 letzter Satz bleibt davon unberührt.

(6) Das Bundesamt hat von Amts wegen die Verhältnismäßigkeit der Anhaltung in Schubhaft längstens alle vier Wochen zu überprüfen. Ist eine Beschwerde gemäß § 22a Abs. 1 Z 3 BFA-VG anhängig, hat diesfalls die amtswegige Überprüfung zu entfallen.

(7) Das Bundesamt hat einen Fremden, der ausschließlich aus den Gründen des Abs. 3 oder 4 in Schubhaft anzuhalten ist, hievon unverzüglich schriftlich in Kenntnis zu setzen.

3.3. Zulässige Anhaltedauer

Im gegenständlichen Fall besteht nicht der geringste Zweifel, dass die Feststellung der Identität und Staatsangehörigkeit (tatsächlich auch „insbesondere zum Zweck der Erlangung eines Ersatzreisedokuments“) bisher nicht möglich war. Das Gesetz spricht hier auch unzweideutig von der „Feststellung“ und nicht der „Glaubhaftigkeit“ einer Identität/Staatsangehörigkeit. Was eine „offensichtliche Staatsangehörigkeit“ sein soll, wurde in der Stellungnahme auch nicht näher erläutert. Insbesondere wurde der angesprochene tunesische Reisepass bisher nicht vorgelegt – die Verantwortung dafür liegt ausschließlich beim Beschwerdeführer.

Unabhängig davon bedarf es zur Ausstellung eines Ersatzreisedokuments regelmäßig der Feststellung der Identität. Dass diese „offensichtlich“ geklärt wäre, wird nicht einmal in der Stellungnahme vom 30.11.2020 behauptet.

Zudem bezieht sich das Eintreten eines Abschiebehindernisses aber weder nach dem Wortlaut der unmittelbar anwendbaren Gesetzesbestimmung noch nach der Systematik auf einen Zeitpunkt während der Anhaltung eines Fremden in Schubhaft. Zunächst ist eine solche Einschränkung dem § 80 Abs. 4 FPG – in Hinblick auf sämtliche Varianten - nicht zu entnehmen. Zudem würde die hier relevante Ziffer 1 schlicht ad absurdum geführt, sollte der hier entscheidende Umstand erst während einer Anhaltung in Schubhaft eintreten dürfen, um die verlängerte Anhaltedauer auslösen zu können. Auch Ziffer 3 wäre diesfalls geradezu eine Einladung zur bewussten Obstruktion behördlichen Handelns – demnach würde die verlängerte Anhaltedauer erst dann greifen, wenn sich der Beschwerdeführer einer Abschiebung während einer Schubhaft (gewaltsam) widersetzt, nicht jedoch, wenn vor einem einschlägig – allenfalls auch gewaltsam - vereitelten Abschiebeversuch keine Schubhaft angeordnet worden ist.

Gemäß § 80 Abs. 2 Z 2 FPG darf die Schubhaft „sechs Monate nicht überschreiten“, sofern „kein Fall der Abs. 3 und 4 vorliegt“. Damit handelt es sich bei Abs. 4 systematisch um eine nähere Ausgestaltung des § 80 Abs. 2 Z 2 FPG auf gleichem Niveau – effektiv einen Sonderfall - und nicht um eine nachrangige Bestimmung. Dementsprechend können die Voraussetzungen des Abs. 4 FPG auch schon bei Anordnung der Schubhaft vorliegen und beträgt die maximale Anhaltedauer in derartigen Fällen schon von Anfang an 18 Monate. Wobei dies im Übrigen nichts an den Verpflichtungen des § 80 Abs. 1 FPG ändert.

Auch dies wird durch den Gesetzeswortlaut verdeutlicht: dieser sieht eben nicht die Möglichkeit einer Verlängerung um (weitere) 12 Monate – nach Erschöpfen der sechsmonatigen Anhaltung – vor, sondern klar eine „abweichende“ Anhaltedauer von (insgesamt) 18 Monate. Damit steht zweifelsfrei fest, dass der Gesetzgeber bereits die ersten sechs Monate der Anhaltung ebenfalls von § 80 Abs. 4 FPG umfasst sieht – woraus sich zwingend ergibt, dass dessen Voraussetzungen auch schon vor Anordnung der Schubhaft vorgelegen sein können.

Nach Art. 15 Abs. 6 der Rückführungs-RL ermöglicht „mangelnde Kooperationsbereitschaft seitens der betroffenen Drittstaatsangehörigen“ die Verlängerung des Anhaltezeitraum. Dass eine bewusste Täuschung über die Identität/Staatsangehörigkeit eine solche „mangelnde Kooperationsbereitschaft“ darstellt, steht außer Zweifel. Zudem spricht die Richtlinie ausdrücklich davon, dass eine Abschiebemaßnahme „wahrscheinlich länger dauern wird“ - womit offenkundig eine schlüssige Wahrscheinlichkeitsprognose zur Verlängerung des Anhaltezeitraumes bereits hinreichend ist.

Das Bundesverwaltungsgericht geht daher in der gegenständlichen Entscheidung von einem unzweifelhaften Bestehen der Voraussetzungen des § 80 Abs. 4 Z 1 FPG und (weiterhin) von einer zulässigen maximalen Anhaltedauer von 18 Monaten aus.

3.4. Fortsetzungsausspruch

Gemessen also an § 76 Abs. 3, konkret an dessen ersten Satz „liegt eine Fluchtgefahr im Sinne des Abs. 2 Z 2 - immer noch - vor, da „bestimmte Tatsachen“, nämlich jene bereits im Rahmen der angeführten Beweiswürdigung relevierten, indizieren, dass sich der Beschwerdeführer einer drohenden Abschiebung in den Herkunftsstaat entziehen wird.

Die Gründe, aus denen das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl die Schubhaft anordnete (Ziffern 1, 3 und 9 des § 76 Abs. 3 FPG) sowie das Bundesverwaltungsgericht diese fortsetzte (zusätzlich Ziffer 5 des § 76 Abs. 3 FPG), haben sich seither nicht geändert und sind – hinsichtlich der Ziffern 1 (Behinderung der Rückkehr/Abschiebung und des Verfahrens durch falsche Angaben zur Identität), 3 sowie 5 auch zweifelsfrei belegt. Auch in der gegenständlichen Stellungnahme werden diese Voraussetzungen nicht in Zweifel gezogen.

Für entscheidungsrelevante Änderungen im Zusammenhang mit der Ziffer 9 gibt es keine Anhaltspunkte. Im gegenständlichen Prüfungsverfahren wird lediglich das nunmehrige Bestehen einer Nächtigungsmöglichkeit behauptet – nicht aber ein gesicherter Wohnsitz oder die Möglichkeit einer amtlichen Meldung. Auch wenn die Einräumung dieser Nächtigungsmöglichkeit grundsätzlich glaubhaft ist, erhöht sie den Grad der sozialen Verankerung im Bundesgebiet nur um geringfügige Nuancen. Denn der Beschwerdeführer wird seit 11.06.2017, mithin seit fast dreieinhalb Jahren durchgehend in Untersuchungshaft, Strafhaft und Schubhaft angehalten. In dieser Zeit fanden lediglich sporadische Besuche des Unterkunftgebers statt – in 6 Monaten Schubhaft laut Anhaltedatei nicht mehr als zweimal, zuletzt im September. Es ist daher auch nicht ersichtlich, in welcher Form dieser Bekannte den Beschwerdeführer nachhaltig von einem Aufenthalt im Verborgenen und einer Entziehung vor dem behördlichen Zugriff abhalten sollte; zumal auch in der Stellungnahme keine diesbezüglichen Ausführungen erstattet werden.

Damit weist schon das Kriterium der Ziffer 9 (für sich allein) bei einer Gesamtbetrachtung nur eine äußerst geringfügige Änderung in Richtung einer Reduktion der Fluchtgefahr auf. In Verbindung mit den oben angeführten weiteren Kriterien zur Beurteilung der Fluchtgefahr ist diese Änderung faktisch bedeutungslos. Eine Änderung des entscheidungsrelevanten Sachverhalts auf dieser Ebene ist daher nicht feststellbar.

Mit der Anordnung gelinderer Mittel kann dementsprechend weiterhin nicht das Auslangen gefunden werden. Angesichts vollständig fehlender persönlicher Vertrauenswürdigkeit – siehe dazu das bewusste Täuschen von Behörden über Identität und Staatsangehörigkeit (wobei der Beschwerdeführer seine Identität und Staatsangehörigkeit auch weiterhin nicht belegt), die Begehung eines Sexualverbrechens während eines laufenden Asylverfahrens (unter falscher Identität) sowie das anschließende missbräuchliche Stellen eines Asylfolgeantrags in der Schubhaft – kommen diese schon aus grundsätzlichen Erwägungen nicht in Betracht.

Der Beschwerdeführer war bei Anordnung der Schubhaft haftfähig und ist dies auch weiterhin. Gegenteiliges wurde insbesondere auch in der Stellungnahme nicht behauptet. Verzögerungen im Zusammenhang mit der Abschiebung, die in der Sphäre des Bundesamtes liegen würden, sind nicht zu erkennen. Vielmehr hat sich das Bundesamt rasch um die Ausstellung eines Heimreisezertifikates gekümmert.

Die in diesem Zusammenhang eingetretenen Verzögerungen durch das zwischenzeitliche missbräuchliche Asylfolgeverfahren sind jedenfalls allein dem Beschwerdeführer zuzurechnen. Im Zusammenhang mit den Verzögerungen aufgrund der seit März 2020 bestehenden Pandemiesituation muss sich der Beschwerdeführer diese insoweit zurechnen lassen, als er nach wie vor nicht bereit ist, seine Identität und Staatsangehörigkeit durch entsprechende Dokumente zu belegen – zumindest sein Vertreter behauptet die Existenz eines tunesischen Reisepasses, legt diesen jedoch nicht vor – oder zumindest durch weitere aktiv beigebrachte Beweismittel glaubhaft zu machen.

Die (zum Entscheidungszeitpunkt) voraussichtliche Dauer der Anhaltung ergibt sich aus den oben angeführten Umständen. Festzuhalten ist dabei auch, dass der Beschwerdeführer gegenwärtig erst knapp sechs Monate in Schubhaft angehalten wird, womit noch nicht einmal ein Drittel der gesetzlich zulässigen Anhaltedauer ausgeschöpft worden ist. Eine (derzeit als realistisch anzusehende) Abschiebung bis inklusive März würde eine Anhaltedauer von insgesamt rund neun Monaten bedingen. In diesem Fall wäre lediglich die Hälfte des zulässigen Anhaltezeitraumes ausgenutzt.

Dazu kommt, dass die Sicherung der Außerlandesbringung des Beschwerdeführers aufgrund des von ihm begangenen Sexualverbrechens (Vergewaltigung) im besonderen Interesse der Republik liegt.

Aus diesen Gründen ist festzustellen, dass im Zeitpunkt der Entscheidung die Verhältnismäßigkeit der weiteren Anhaltung in Schubhaft gegeben ist.

3.5. Mündliche Verhandlung

Es konnte von der Abhaltung einer mündlichen Verhandlung Abstand genommen werden, da der entscheidungsrelevante Sachverhalt sich als hinreichend geklärt erweist. Soweit in der Stellungnahme vom 30.11.2020 das Bestehen einer Nächtigungsmöglichkeit bei einem Bekannten vorgebracht wird, wurde diese nach Prüfung der Meldeadresse und der Anhaltedatei der Entscheidung zugrunde gelegt. Die Durchführung einer Verhandlung wurde in der Stellungnahme auch nicht angeregt. Dass die gegenwärtige Pandemiesituation Planungen beeinträchtigt und kurzfristige Verschiebungen und Planungsänderungen bedingt, ist ohnehin unstrittig.

Sonstige Änderungen des entscheidungsrelevanten Sachverhalts, die allfällig eine Verifizierung im Rahmen einer mündlichen Verhandlung erfordern würden, wurden in der Stellungnahme zum gegenständlichen Prüfungsverfahren nicht vorgebracht.

Spruchteil B) Revision

Gemäß § 25a Abs. 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 (VwGG), BGBl. Nr. 10/1985 idgF, hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig, wenn die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, wenn die Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, wenn es an einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes fehlt oder wenn die Frage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird bzw. sonstige Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vorliegen.
Im vorliegenden Akt findet sich kein schlüssiger Hinweis auf das Bestehen von Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung im Zusammenhang mit dem gegenständlichen Verfahren und sind solche auch aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichts nicht gegeben. Insbesondere gilt das für die Auslegung des § 80 Abs. 4 Z 1 FPG aufgrund des klaren Wortlauts und der Systematik der gesetzlichen Bestimmung.

Die Revision war daher nicht zuzulassen.

Schlagworte

Anhaltung Dauer falsche Angaben Fluchtgefahr Fortsetzung der Schubhaft gelinderes Mittel Identität Kooperation Mittellosigkeit öffentliche Interessen Pandemie Rückkehrentscheidung Schubhaft Sicherungsbedarf Staatsangehörigkeit Straffälligkeit strafgerichtliche Verurteilung Strafhaft Verhältnismäßigkeit Verzögerung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W137.2235689.3.00

Im RIS seit

11.02.2021

Zuletzt aktualisiert am

11.02.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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