TE OGH 2020/12/18 2Ob84/20x

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Veröffentlicht am 18.12.2020
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Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Veith als Vorsitzenden sowie den Hofrat Dr. Musger, die Hofrätin Dr. Solé und die Hofräte Dr. Nowotny und Mag. Pertmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei K***** H*****, vertreten durch Dr. Edwin A. Payr, Rechtsanwalt in Graz, gegen die beklagte Partei T***** P*****, vertreten durch Mag. Gottfried Stoff, Rechtsanwalt in Graz, wegen 37.500 EUR sA, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 13. März 2020, GZ 2 R 10/20p-16, mit dem das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz vom 27. November 2019, GZ 15 Cg 15/19g-11 bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der außerordentlichen Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 2.200,86 EUR (darin enthalten 366,81 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

[1]       Der am 5. 1. 2018 verstorbene Erblasser errichtete im Jahr 2012 ein Testament, das lautete:

„Ich, gefertigter (…) errichte hiermit für den Fall meines Todes, frei von Zwang oder Irrtum und vollkommen unbeeinflusst meinen Willen wie folgt:

1. Ich setze hiermit meinen Bruder (…) und meine Nichte (... [Anm: die Beklagte]) zu je 1/3, meine Neffen (…) und (…) zu je 1/6 je nach Stämmen zu Erben meines gesamten, bei meinem Tode vorhandenen Vermögens ein, jedoch mit der Verpflichtung, nachstehendes Legat zu leisten:

Die Erben verpflichten sich einmalig den Betrag von € 150.000,00 an Frau (… [Anm: die Mutter des Klägers]) zu leisten.

(...).“

[2]       Am 15. 12. 2017 verfasste er ein fremdhändiges Testament, bei dem als Testamentszeugen die Tochter der Beklagten, der Lebensgefährte der Beklagten und eine weitere Person fungierten. Dieses lautete:

„Ich (…) treffe hiermit im Zustand voller Besonnenheit, frei von Zwang, Betrug und Irrtum und unbeeinflusst durch Dritte, für den Fall meines Ablebens nachstehende letztwillige Anordnungen:

1. Widerruf:

Ich widerrufe ausdrücklich alle von mir bisher, wann und wo immer errichteten letztwilligen Anordnungen und erkläre diese für rechtsunwirksam.

2. Erbseinsetzung:

Zur Universalerbin meines gesamten wie immer Namen habenden und wo immer befindlichen beweglichen und unbeweglichen Nachlassvermögens setze ich meine Nichte (… [Anm: Beklagte]) ein. Meine gesetzlich erbberechtigten Nachkommen nach mir haben nur den gesetzlichen Pflichtteil zu erhalten, in den ihnen allenfalls vorhandene Vorempfänge voll einzurechnen sind.

3. Mein Neffe (…) soll als Legat einen Geldbetrag von € 10.000,00 erhalten.“

[3]            Im Verlassenschaftsverfahren erklärten die dort Beteiligten davon auszugehen, dass die Erbseinsetzung der Beklagten mit dem Testament vom 15. 12. 2017 aufgrund der Teilnahme untauglicher Zeugen unwirksam, der dort erfolgte Widerruf jedoch wirksam sei, sodass die gesetzliche Erbfolge einzutreten habe. Das Geldvermächtnis zugunsten des Neffen wurde anerkannt, nicht jedoch jenes zugunsten der Mutter des Klägers aus dem älteren Testament.

[4]            Der sich im Verlassenschaftsverfahren ergebende reine Nachlass von 2.707.797,95 EUR wurde aufgrund des Gesetzes einem Bruder und den Kindern weiterer vorverstorbener Geschwister des Erblassers, darunter der Beklagten zu einem Viertel, eingeantwortet.

[5]            Die Forderung aus dem im Testament des Jahres 2012 verfügten Legat wurde dem Kläger zum Inkasso abgetreten.

[6]            Der Kläger begehrt die Zahlung von 37.500 EUR sA aufgrund des in der letztwilligen Verfügung des Erblassers aus dem Jahr 2012 seiner Mutter zugedachten Legats. Die Beklagte hafte nach § 821 ABGB jedenfalls persönlich für den ihrer Erbquote entsprechenden Teil. Da die Tochter und der Lebensgefährte der begünstigten Beklagten als relativ unfähige Zeugen das Testament vom 15. 12. 2017 unterfertigt hätten, sei dieses ungültig. Auch der darin ausgesprochene Widerruf aller bis dahin errichteten letztwilligen Verfügungen und damit auch der Widerruf des Vermächtnisses in der letztwilligen Verfügung aus dem Jahr 2012 sei ungültig, weil er sich wirtschaftlich zugunsten aller Erben, also auch zugunsten der Beklagten, ausgewirkt habe. Die Begünstigung liege darin, dass sich die Erbfallschulden um insgesamt 150.000 EUR verringert hätten. Die Frage des Willens des Verstorbenen bei der Interpretation von letztwilligen Verfügungen erübrige sich, wenn diese formungültig seien.

[7]            Die Beklagte erwiderte, das Legat sei ungültig, weil das Testament aus dem Jahr 2012 im späteren Testament des Erblassers vom 15. 12. 2017 wirksam widerrufen worden sei. Die Erbeinsetzung der Beklagten im Testament des Jahres 2017 sei zwar ungültig, dies führe aber nur zu einer Teilunwirksamkeit, weil die Zeugen hinsichtlich des Widerrufs fähig gewesen seien. Es entspreche auch dem Willen des Erblassers, bei Ungültigkeit der Erbeinsetzung den Widerruf aufrecht zu erhalten; im Sinne des favor testamenti sei daher nur von einer Teilunwirksamkeit auszugehen. Der Erblasser habe mehrmals ausdrücklich festgehalten, dass es sein Wille sei, das Testament aus dem Jahr 2012 zu widerrufen. Der Widerruf sei daher gültig, sodass die Beklagte als gesetzliche Erbin nicht letztwillig bedacht worden sei und keine Zuwendung iSd § 588 Abs 1 ABGB vorliege. Die Beklagte habe durch den Widerruf keinen Vorteil erlangt. Der reine Nachlass habe 2.707.797,95 EUR betragen; ein Viertel davon (der gesetzliche Erbteil) seien 676.949,84 EUR. Ziehe man dagegen vom reinen Nachlass das Legat aus dem Testament des Jahres 2012 ab, errechne sich das Drittel der Beklagten laut diesem Testament mit 852.599,31 EUR.

[8]            Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Die Ungültigkeit einer letztwilligen Verfügung aufgrund einer relativen Unfähigkeit von Testamentszeugen iSd § 588 Abs 1 ZPO erfasse jeweils nur diejenige Zuwendung, auf die sich die Unfähigkeit der Zeugen beziehe, soweit also die Befangenheit der Zeugen reiche. Durch den Widerruf komme es hier dazu, dass die Beklagte – gleichgültig, ob sie eine Zuwendung aufgrund ihres gesetzlichen Erbrechts erhalte oder eine solche aufgrund eines Testaments – von einer Zahlungspflicht befreit werde, die sie andernfalls getroffen hätte. Der Widerruf des Vermächtnisses habe sich daher zu ihren Gunsten entlastend ausgewirkt. Gerade wenn man bedenke, dass die Regelung des § 588 Abs 1 ZPO darauf abstelle, dass Interessenkonflikte aufgrund eines Eigeninteresses vermieden werden sollen, sei auch die indirekte Begünstigung (analog) als „zugedachte Zuwendung“ iSd § 588 Abs 1 ABGB anzusehen. Aus diesen Erwägungen folge, dass die beiden im Naheverhältnis zur Beklagten stehenden Testamentszeugen im Jahr 2017 auch für den Widerruf des Legats im Testament aus dem Jahr 2012 zeugnisunfähig gewesen seien. Es erübrigten sich Überlegungen zu den rechnerischen Ausführungen der Beklagten, wonach sich bei einem Vergleich der auf Gesetz beruhenden Zuwendung von einem Viertel ohne zu berücksichtigendes Legat und der letztwilligen Zuwendung von einem Drittel bei gleichzeitiger Berücksichtigung des Legats kein rechnerischer Vorteil für die Beklagte ergebe.

[9]            Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und sprach aus, dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei. Unabhängig von der letztlichen Erbquote der Beklagten wirke sich eine Unwirksamkeit des Legats immer auf alle Erben und daher auch auf die Beklagte günstig aus, weil es die unter den Erben zu verteilende Verlassenschaft schmälere. Der Widerruf aller vorherigen letztwilligen Anordnungen des Erblassers sei daher wegen der relativen Befangenheit der beiden Testamentszeugen unwirksam. Danach wäre wegen der Unwirksamkeit der gesamten letztwilligen Verfügung des Jahres 2017 das Testament des Jahres 2012 die Grundlage für die Abhandlung der Verlassenschaft gewesen. Bei einem gänzlich unwirksamen Testament könne es auf den Willen des Erblassers nicht ankommen, weshalb ein sekundärer Feststellungsmangel zu diesem Thema zu verneinen sei. Käme es hingegen auf den Willen des Erblassers im Jahr 2017 an, wäre die von der Beklagten gerügte Mangelhaftigkeit der unterlassenen Vernehmung als Partei berechtigt und diesfalls das angefochtene Urteil aufzuheben gewesen.

[10]           Dagegen wendet sich die außerordentliche Revision der Beklagten mit dem Abänderungsantrag, das Klagebegehren abzuweisen. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

[11]           Der Kläger beantragt in der ihm vom Obersten Gerichtshof freigestellten Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.

[12]           Die Revision ist zur Klarstellung der Rechtslage zulässig; sie ist aber nicht berechtigt.

[13]           Die Revisionswerberin macht geltend, dass aus der Entscheidung 1 Ob 600/89 eine wirtschaftliche Betrachtungsweise abzuleiten sei, die hier zu dem Ergebnis führe, dass die Beklagte durch den Wegfall des Vermächtnisses aus dem Testament des Jahres 2012 im rechnerischen Ergebnis nicht begünstigt sei. Der 2017 angeordnete Widerruf sei daher gültig.

Rechtliche Beurteilung

[14]           Dazu wurde erwogen:

1. Nach § 588 ABGB idgF sind ua der Lebensgefährte und die Nachkommen eines Erben oder Vermächtnisnehmers für die diesem zugedachten Zuwendungen keine fähigen Zeugen. Die Bestimmung entspricht weitgehend dem § 594 ABGB aF, sie wurde insoweit nur sprachlich und inhaltlich den heutigen Gegebenheiten angepasst (Apathy/Neumayr in KBB6 § 588 Rz 1).

[15]           2. Nach der daher weiter anwendbaren Rechtsprechung erfasst die Ungültigkeit der letztwilligen Verfügung jeweils nur die Zuwendung, auf die sich die Unfähigkeit der Zeugen bezieht (RS0012507 [T1]). Enthält die letztwillige Anordnung weitere Verfügungen, auf die sich die von Gesetzes wegen angenommene und daher unwiderlegbare Befangenheit der Testamentszeugen nicht erstreckt, sind diese Verfügungen formgültig (1 Ob 600/89 mwN).

[16]     3. In Anbetracht des Grundes der relativen Unfähigkeit zur Zeugenschaft macht es weiters keinen Unterschied, ob jemand durch letztwillige Zuwendung bedacht oder durch den Widerruf einer letztwilligen Verfügung in gleicher Weise begünstigt wird (3 Ob 579/78 = RS0012505). Die relative Zeugnisunfähigkeit ist auch im Fall des Widerrufs einer letztwilligen Verfügung für den dadurch begünstigten gesetzlichen Erben gegeben (3 Ob 579/78).

4. Im vorliegenden Fall ist nicht strittig, dass die Erbeinsetzung der Beklagten im fremdhändigen Testament aus dem Jahr 2017 mangels Zeugnisfähigkeit zweier Testamentszeugen (des Lebensgefährten und der Tochter der Beklagten) ungültig ist. Strittig ist vielmehr die Gültigkeit des in diesem Testament enthaltenen Widerrufs früherer letztwilliger Anordnungen, insbesondere jener aus dem Jahr 2012, in der die Beklagte zu einem Drittel als Erbin eingesetzt und der Mutter des Klägers ein Vermächtnis ausgesetzt worden war. Die Beklagte steht weiterhin auf dem Standpunkt, dass der Widerruf sowohl in Bezug auf ihre damalige Erbeinsetzung als auch in Bezug auf das Vermächtnis gültig ist, und somit sowohl die Erbeinsetzung als auch das Vermächtnis durch den Widerruf weggefallen sind. Bei der gebotenen „wirtschaftlichen Betrachtung“ werde sie durch den Widerruf nicht begünstigt, weil sie aufgrund ihres gesetzlichen Erbteils von einem Viertel weniger erhalte, als dies aufgrund des testamentarischen Drittelanteils unter Berücksichtigung des Vermächtnisses der Fall gewesen wäre.

[17]           5. Dass eine Begünstigung aus einem Widerruf einer früheren letztwilligen Verfügung nur anzunehmen wäre, wenn sich bei der Gegenüberstellung des gesamten Inhalts dieses Testaments und der Situation nach dessen Wegfall rechnerisch ein Vorteil ergäbe, entspricht nicht dem Zweck des § 588 ABGB, der auf die dem Erben zugedachten Zuwendungen abstellt und nicht auf eine Gesamtbetrachtung sämtlicher aus einer letztwilligen Verfügung erwachsender Vor- und Nachteile. Ein fähiger Zeuge muss daher unabhängig von jenen Erben sein, die durch die von ihm bezeugte letztwillige Verfügung durch Zuwendungen profitieren, wobei es – wie dargelegt – irrelevant ist, ob diese Zuwendung dadurch erfolgt, dass dem Erben etwas positiv zugedacht wird oder er durch Wegfall einer Zuwendung an einen Anderen gewinnt.

[18]           6. Die von der Revisionswerberin angestrebte Vorgangsweise ergibt sich auch nicht aus der Entscheidung 1 Ob 600/89, die zu der hier zu beurteilenden Frage keine Aussage enthält.

[19]           7. Im vorliegenden Fall wurde die Beklagte durch den Widerruf des Vermächtnisses unabhängig davon, ob sich das rechnerische Gesamtergebnis der jeweils auf sie entfallenden Erbteile positiv oder negativ darstellt, dadurch begünstigt, dass der verbleibende Nachlass nicht um den Wert des Vermächtnisses geschmälert wurde. Auch für diese Form der Zuwendung besteht somit relative Zeugnisunfähigkeit der beigezogenen Angehörigen in Bezug auf die Revisionswerberin iSd § 588 ABGB und ist deshalb der Widerruf des Vermächtnisses aus dem Jahr 2012 durch das Testament aus dem Jahr 2017 insoweit nicht formgültig erfolgt. Der Revision ist daher der Erfolg zu versagen.

[20]     8. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41 Abs 1, 50 Abs 1 ZPO.

Textnummer

E130614

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2020:0020OB00084.20X.1218.000

Im RIS seit

11.02.2021

Zuletzt aktualisiert am

25.01.2022
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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