TE Bvwg Erkenntnis 2020/7/21 W222 2224639-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 21.07.2020
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Entscheidungsdatum

21.07.2020

Norm

AsylG 2005 §10
AsylG 2005 §57
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52
FPG §55
FPG §66
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §31 Abs1
VwGVG §53

Spruch


W222 2224639-1/10E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. OBREGON als Einzelrichterin über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA. Indien, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Gustav ECKHARTER, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 27.09.2019, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 23.01.2020 zu Recht:

A)

I.

Der Beschwerde wird stattgegeben und der angefochtene Bescheid wird ersatzlos behoben.

und beschließt:

II.

Der Antrag auf Kostenersatz gemäß § 53 VwGVG wird als unzulässig zurückgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer, ein indischer Staatsangehöriger, stellte am 29.12.2016 bei der Österreichischen Botschaft Neu Delhi (in Folge kurz „ÖB Neu Delhi“) einen Antrag auf einen Aufenthaltstitel „Rot-Weiß-Rot-Karte plus“, welcher später in einen Antrag auf Erteilung eines Visums der Kategorie D umgeändert wurde. Der Beschwerdeführer gab an, mit einer im Bundesgebiet aufhältigen bulgarischen Staatsangehörigen verheiratet zu sein und mit dieser in Österreich zusammenleben zu wollen.

Mit Bescheid vom 13.03.2017 lehnte die ÖB Neu Delhi den Antrag des Beschwerdeführers ab. Die dagegen erhobene Beschwerde wurde mit hg. Erkenntnis vom 30.01.2018, GZ: XXXX , als unbegründet abgewiesen und dazu im Wesentlichen begründend ausgeführt, es bestünden hinreichende Gründe für die Annahme, dass die Ehe des Beschwerdeführers nicht zivilrechtlich gültig zustande gekommen sei. So sei vom Beschwerdeführer zwar wiederholt behauptet worden, dass die Voraussetzungen der Eheschließung nach den materiell rechtlichen Bestimmungen des „Special Marriage Act 1954“ erfüllt worden wären, Beweise dafür habe er allerdings keine vorgelegt. Diese Entscheidung erwuchs in Rechtskraft.

Am 19.07.2016 brachte der Beschwerdeführer beim Amt der Wiener Landesregierung, Magistratsabteilung 35, einen Antrag auf Ausstellung einer Aufenthaltskarte (Angehörige eines EWR-Bürgers oder Schweizer Bürgers) ein. Dem Beschwerdeführer wurde daraufhin von der zuständigen Behörde eine Aufenthaltskarte als Ehegatte einer EWR-Bürgerin mit Gültigkeit vom 14.07.2017 bis zum 14.07.2022 ausgestellt.

Am 13.06.2019 teilte das Amt der Wiener Landesregierung, Magistratsabteilung 35, dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl gemäß § 55 Abs. 3 NAG unter Verweis auf das hg. Erkenntnis vom 30.01.2018 mit, nachträglich sei bekannt geworden, dass es sich bei der im Verfahren zur Ausstellung einer Aufenthaltskarte vorgelegten Heiratsurkunde um kein rechtsgültiges Dokument über Eheschließung, sondern nur um einen Eintrag ins Eheregister handle. Demnach sei der Beschwerdeführer auch nie dem Unionsrecht unterlegen und wäre eine Dokumentation nicht zu erteilen gewesen. Da im gegenständlichen Fall die Dokumentation bereits zuvor ausgestellt worden sei, sei nunmehr nach § 55 Abs. 3 NAG vorzugehen. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wurde um Prüfung einer möglichen Aufenthaltsbeendigung ersucht.

Mit Schreiben vom 21.06.2019 wurde der Beschwerdeführer vom Bundesamt von der Erlassung einer möglichen Aufenthaltsbeendigung gemäß § 66 Abs. 1 FPG iVm § 55 Abs. 3 NAG verständigt und ihm die Möglichkeit zur Abgabe einer Stellungnahme innerhalb von 14 Tagen eingeräumt. Zudem wurde er um Beantwortung näher genannter Fragen zu seinen persönlichen Verhältnissen und um Vorlage der entsprechenden Belege ersucht.

In der am 10.07.2019 eingelangten Stellungnahme führte der Beschwerdeführer im Wege seiner Rechtsvertretung unter Verweis auf das Punjab Registrierungsgesetz von 2012 zusammengefasst aus, die Eheschließung besitze uneingeschränkte Rechtsgültigkeit, weshalb das anhängige Verfahren einzustellen sei. Die Heiratsurkunde sei als solche bezeichnet und stelle somit keineswegs bloß eine Bestätigung über die Eintragung der Eheschließung im Standesregister dar. Sollte die Behörde dennoch die Meinung vertreten, dass in der Heiratsurkunde – so wie das Verwaltungsgericht behauptet habe – angeführt sein müsse, nach welchem Gesetz, Ritus oder Gebräuchen die Ehe geschlossen worden sei, dann werde sie nicht umhinkommen, ein Sachverständigengutachten für das Eherecht im Bundesstaat Punjab einzuholen. Die Frage nach dem Aufenthaltszweck beantwortete der Beschwerdeführer mit der Fortsetzung seines Familienlebens mit seiner Gattin, seinem Onkel sowie seinem Cousin und führte dazu weiter aus, er sei zu 25 % Gesellschafter einer näher genannten GmbH und beziehe sowohl von dieser GmbH als auch von einer anderen ein durchaus akzeptables Einkommen.

Mit dem angefochtenen Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 27.09.2019 wurde dem Beschwerdeführer ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt I.), gemäß § 10 Abs. 2 AsylG iVm § 9 BFA-VG gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 1 Z 1 FPG erlassen (Spruchpunkt II.), gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Indien zulässig sei (Spruchpunkt III.), und gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für seine freiwillige Ausreise mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt (Spruchpunkt IV.).

Beweiswürdigend wurde im Wesentlichen ausgeführt, es habe nicht festgestellt werden können, dass der Beschwerdeführer verheiratet sei. Folglich habe der Beschwerdeführer in Österreich nie dem Unionsrecht unterlegen und sei somit als Drittstaatsangehöriger zu qualifizieren. Er halte sich seit August 2017 nicht rechtmäßig im Bundesgebiet auf. Weiters sei auszuschließen, dass bislang eine Integrationsverfestigung seiner Person in Österreich erfolgen habe können.

Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer am 16.10.2019 fristgerecht Beschwerde in vollem Umfang und rügte die Nichtigkeit des Bescheides, sachliche Unzuständigkeit der belangten Behörde, Gesetzwidrigkeit aufgrund gänzlicher Verkennung der Rechtslage, Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften sowie Begründungsmangel bis hin zur absoluten Unbegründetheit. Dabei wurde zusammengefasst ausgeführt, gemäß § 3 Abs. 5 NAG stehe das Recht zur Nichtigerklärung einer Dokumentation ausschließlich dem Bundesminister für Inneres zu, welcher in Ausübung seines Aufsichtsrechts nach § 68 Abs. 4 Z 4 AVG diese mit Bescheid als nichtig zu erklären hätte, wenn unwiderlegbar nachgewiesen worden sei, dass die Dokumentation durch Fälschung einer Urkunde, falsches Zeugnis oder eine gerichtliche strafbare Handlung herbeigeführt oder sonst wie erschlichen worden sei. Nichts davon könne den Behördenakten entnommen werden, sodass es der belangten Behörde erst recht nicht zugestanden sei, den Aufenthalt des Beschwerdeführers als illegal zu qualifizieren. Die Ehe des Beschwerdeführers sei gültig zustande gekommen, die Heiratsurkunde trage die Überschrift „Heiratsurkunde“ und die Ehe sei nach dem Punjabgesetz 2012 korrekt registriert worden, sodass sich sämtliche gegenteilige Behauptungen von selbst richten würden. Weiters sehe § 16 Abs. 2 IPRG vor, dass für die Form einer Eheschließung die Einhaltung der Formvorschriften des Ortes der Eheschließung genüge. Ferner rügte der Beschwerdeführer, dass weder ihm noch seinem Rechtsvertreter die Länderinformationen zur Kenntnis gebracht worden seien. Der belangten Behörde sei zusätzlich anzulasten, dass der Antrag des Beschwerdeführers auf Einholung eines Sachverständigengutachtens zum indischen Eherecht „so ganz nonchalant vom Tisch gewischt“ worden sei. Abschließend machte der Beschwerdeführer Kostenersatz für das Beschwerdeverfahren gemäß § 53 VwGVG geltend.

Am 04.11.2019 gab der Beschwerdeführer bekannt, dass er die von den Behörden unterlassene Ermittlungstätigkeit vorgenommen habe und die Bestätigung der indischen Botschaft vom 23.10.2019 vorlege, wonach seine Heiratsurkunde nach indischem Recht gesetzeskonform, echt und gültig sei.

Am 23.01.2020 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung statt, im Rahmen welcher der Beschwerdeführer zum gegenständlichen Sachverhalt befragt wurde. Weiters beantragte sein Rechtsvertreter die Einholung eines Sachverständigengutachtens zum indischen Eherecht zum Beweis dafür, dass die Ehe vollkommen rechtsgültig geschlossen worden sei und sämtliche Vorgaben des „Punjabi Compulsori Marriage Act“ eingehalten worden seien.

Mit Eingabe vom 09.06.2020 führte der Beschwerdeführer unter Verweis auf die höchstgerichtliche Judikatur aus, dass der Grundsatz „IURA NOVIT CURIA“ in Bezug auf ausländisches Recht nicht gelte. Das Erkenntnis des Vorverfahrens sei mit absoluter Rechtswidrigkeit behaftet und habe daher in weiterer Folge außer Acht zu bleiben. Abschließend wiederholte er den bereits in der Verhandlung gestellten Antrag auf Einholung eines Gutachtens.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Indien und stellte am 29.12.2016 bei der ÖB Neu Delhi einen Antrag auf einen Aufenthaltstitel „Rot-Weiß-Rot-Karte plus“, welcher später in einen Antrag auf Erteilung eines Visums der Kategorie D umgeändert wurde. Die gegen den ablehnenden Bescheid der ÖB Neu Delhi erhobene Beschwerde wurde mit hg. Erkenntnis vom 30.01.2018, GZ: XXXX , rechtskräftig als unbegründet abgewiesen; dies mit der Begründung, dass die Ehe des Beschwerdeführers mit einer bulgarischen Staatsangehörigen nicht rechtsgültig zustande gekommen sei.

Dem Beschwerdeführer wurde in der Zwischenzeit durch das Amt der Wiener Landesregierung, Magistratsabteilung 35, eine Aufenthaltskarte als Ehegatte einer EWR-Bürgerin mit Gültigkeit vom 14.07.2017 bis zum 14.07.2022 ausgestellt.

Im Juni 2019 erfolgte durch das Amt der Wiener Landesregierung, Magistratsabteilung 35, an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl unter Verweis auf das rechtskräftige hg. Erkenntnis eine Mitteilung nach § 55 Abs. 3 NAG.

Nach Einräumung eines Parteiengehörs erteilte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl dem Beschwerdeführer keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG (Spruchpunkt I.), erließ gegen ihn gemäß § 10 Abs. 2 AsylG iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 1 Z 1 FPG (Spruchpunkt II.), stellte gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass seine Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Indien zulässig sei (Spruchpunkt III.), und setzte gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für seine freiwillige Ausreise mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest (Spruchpunkt IV.). Dagegen erhob der Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde.

2. Beweiswürdigung:

Der oben unter Pkt. I. angeführte Verfahrensgang sowie die Feststellungen zum Verfahrensablauf (siehe Pkt. II.1.) ergeben sich aus dem unbedenklichen Akteninhalt des Verwaltungs- und Gerichtsaktes sowie den Angaben des Beschwerdeführers in der mündlichen Verhandlung. Die Feststellungen zum Verfahren unter der Zahl XXXX beruhen auf der Einsicht in den hg. Akt, insbesondere durch Einsicht in das hg. Erkenntnis vom 30.01.2018.

Die Feststellung zur Staatsangehörigkeit des Beschwerdeführers stützen sich auf den Akteninhalt des Verwaltungsaktes sowie der Einvernahme des Beschwerdeführers in der mündlichen Beschwerdeverhandlung.

3. Rechtliche Beurteilung:

Gemäß § 7 Abs. 1 BFA-VG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht unter anderem über Beschwerden gegen Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (Z 1).

Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Gegenständlich liegt somit Einzelrichterzuständigkeit vor.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichts ist durch das VwGVG, BGBl. I 2013/33 idF BGBl. I 2018/57, geregelt (§ 1 leg. cit.).

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist. Seine Entscheidung hat es an der zum Zeitpunkt seiner Entscheidung gegebenen Sach- und Rechtslage auszurichten (vgl. VwGH 21.10.2014, Ro 2014/03/0076).

Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG das Verwaltungsgericht dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

Hebt das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid auf, sind die Behörden gemäß § 28 Abs. 5 VwGVG verpflichtet, in der betreffenden Rechtssache mit den ihnen zu Gebote stehenden rechtlichen Mitteln unverzüglich den der Rechtsanschauung des Verwaltungsgerichtes entsprechenden Rechtszustand herzustellen.

Zu A) I.:

Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl sprach in seiner Entscheidung unter anderem aus, dass dem Beschwerdeführer kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG erteilt und gegen ihn gemäß § 10 Abs. 2 AsylG iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 1 Z 1 FPG erlassen werde. Dazu führte es insbesondere aus, der Beschwerdeführer sei seit August 2017 nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhältig und es liege keine begünstigte Drittstaatsangehörigkeit vor.

Dies erweist sich aus den folgenden Gründen jedoch nicht als zutreffend:

Gemäß § 52 Abs. 1 Z 1 FPG hat das Bundesamt gegen einen Drittstaatsangehörigen mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn er sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält. Die Voraussetzungen für den rechtmäßigen Aufenthalt im Bundesgebiet sind im § 31 FPG normiert. Nach dessen Abs. 1 halten sich Fremde rechtmäßig im Bundesgebiet auf, wenn sie rechtmäßig eingereist sind und während des Aufenthaltes im Bundesgebiet die Befristung oder Bedingungen des Einreisetitels oder des visumfreien Aufenthaltes oder die durch zwischenstaatliche Vereinbarungen, Bundesgesetz oder Verordnung bestimmte Aufenthaltsdauer nicht überschritten haben (Z 1), oder sie auf Grund einer Aufenthaltsberechtigung oder eine Dokumentation des Aufenthaltsrechtes nach dem Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz zur Niederlassung oder zum Aufenthalt oder aufgrund einer Verordnung für Vertriebene zum Aufenthalt berechtigt sind (Z 2).

Der Gesetzgeber hat in § 31 Abs. 1 Z 2 FPG somit ausdrücklich festgelegt, dass sich ein Fremder rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält, wenn er unter anderem auf Grund einer Dokumentation des Aufenthaltsrechts nach dem NAG zur Niederlassung oder zum Aufenthalt berechtigt ist. Anhand der Bestimmungen des NAG ergibt sich ferner, dass bei Wegfall des unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts, welches eine (Dauer-)Aufenthaltskarte dokumentieren soll, nicht automatisch auch der rechtmäßige Aufenthalt im Bundesgebiet beendet ist. Daraus ist nun abzuleiten, dass ein Fremder, für den eine Dokumentation eines unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts ausgestellt wurde, selbst bei Wegfall des unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts bis zum Abschluss des nach § 55 NAG vorgesehenen Verfahrens gemäß § 31 Abs. 1 Z 2 FPG rechtmäßig aufhältig bleibt (vgl. VwGH 18.06.2013, 2012/18/0005; siehe auch VwGH 14.11.2017, Ra 2017/20/0274).

§ 55 Abs. 1 NAG normiert, dass EWR-Bürgern und ihren Angehörigen das Aufenthaltsrecht gemäß §§ 51, 52, 53 und 54 leg. cit. solange zukommt, als die dort genannten Voraussetzungen erfüllt sind. Besteht das Aufenthaltsrecht gemäß §§ 51, 52 und 54 leg. cit. nicht, weil eine Gefährdung aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit vorliegt, die Nachweise nach § 53 Abs. 2 oder § 54 Abs. 2 leg. cit. nicht erbracht werden oder die Voraussetzungen für dieses Aufenthaltsrecht nicht oder nicht mehr vorliegen, hat die Niederlassungsbehörde gemäß § 55 Abs. 3 NAG das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl hinsichtlich einer möglichen Aufenthaltsbeendigung zu befassen.

§ 55 NAG gilt sowohl für den Fall, dass das unionsrechtliche Aufenthaltsrecht nie bestanden hat, wie auch für den Fall des nachträglichen Wegfalls der Voraussetzungen des gemeinschaftsrechtlichen Aufenthaltsrechts (vgl. VwGH 17.11.2011, 2009/21/0378; 18.06.2013, 2012/18/0005; siehe auch Abermann in Abermann/Czech/Kind/Peyrl, NAG2 § 55 Rz 1).

Gemäß § 3 Abs. 5 NAG kann der Bundesminister für Inneres die Ausstellung einer Dokumentation des unionsrechtlichen Aufenthalts- und Niederlassungsrechts (§ 9) in Ausübung seines Aufsichtsrechtes nach § 68 Abs. 4 Z 4 AVG mit Bescheid als nichtig erklären, wenn die Erteilung oder Ausstellung trotz Vorliegens eines Erteilungshindernisses gemäß § 11 Abs. 1 Z 1, 2 oder 4 (Z 1) oder trotz Fehlens einer besonderen Voraussetzung des 2. Teiles erfolgte (Z 2) oder durch Fälschung einer Urkunde, falsches Zeugnis oder eine gerichtlich strafbare Handlung herbeigeführt oder sonst wie erschlichen worden ist (Z 3).

Gemäß § 2 Abs. 4 Z 1 FPG gilt als Fremder, wer die österreichische Staatsbürgerschaft nicht besitzt und gemäß Z 10 leg. cit. als Drittstaatsangehöriger jeder Fremder der nicht EWR-Bürger oder Schweizer Bürger ist.

Nach der Legaldefinition des § 2 Abs. 4 Z 11 FPG ist begünstigter Drittstaatsangehöriger: der Ehegatte, eingetragene Partner, eigene Verwandte und Verwandte des Ehegatten oder eingetragenen Partners eines EWR-Bürgers oder Schweizer Bürgers oder Österreichers, die ihr unionsrechtliches oder das ihnen auf Grund des Freizügigkeitsabkommens EG-Schweiz zukommende Aufenthaltsrecht in Anspruch genommen haben, in gerader absteigender Linie bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres, darüber hinaus, sofern ihnen Unterhalt tatsächlich gewährt wird, sowie eigene Verwandte und Verwandte des Ehegatten oder eingetragenen Partners in gerader aufsteigender Linie, sofern ihnen Unterhalt tatsächlich gewährt wird, insofern dieser Drittstaatsangehörige den unionsrechtlich aufenthaltsberechtigten EWR-Bürger oder Schweizer Bürger, von dem sich seine unionsrechtliche Begünstigung herleitet, begleitet oder ihm nachzieht.

Gemäß § 66 Abs. 1 FPG können EWR-Bürger, Schweizer Bürger und begünstigte Drittstaatsangehörige ausgewiesen werden, wenn ihnen aus den Gründen des § 55 Abs. 3 NAG das unionsrechtliche Aufenthaltsrecht nicht oder nicht mehr zukommt, es sei denn, sie sind zur Arbeitssuche eingereist und können nachweisen, dass sie weiterhin Arbeit suchen und begründete Aussicht haben, eingestellt zu werden; oder sie bereits das Daueraufenthaltsrecht (§§ 53a, 54a NAG) erworben haben; im letzteren Fall ist eine Ausweisung nur zulässig, wenn ihr Aufenthalt eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellt.

Wie bereits oben ausgeführt wurde, bleibt ein Fremder, für den eine Dokumentation eines unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts ausgestellt wurde, selbst bei Wegfall des unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts bis zum Abschluss des nach § 55 NAG vorgesehenen Verfahrens gemäß § 31 Abs. 1 Z 2 FPG rechtmäßig aufhältig. War der Fremde auf Grund einer für ihn nach dem NAG ausgestellten Dokumentation rechtmäßig im Bundesgebiet aufhältig, so stellt sich die Erlassung einer auf § 52 Abs. 1 FPG gestützten Rückkehrentscheidung als nicht zulässig dar. Auf diese Bestimmung des § 55 Abs. 3 NAG nimmt auch der – die Ausweisung regelnde – § 66 FPG Bezug, der somit insoweit auch jenen Fall erfassen soll, in dem geprüft werden soll, ob für den Drittstaatsangehörigen, der über eine (Dauer-)Aufenthaltskarte verfügt, die Voraussetzungen für das unionsrechtliche Aufenthaltsrecht, also auch begünstigter Drittstaatsangehöriger zu sein, nicht mehr vorliegen (vgl. VwGH 18.06.2013, 2012/18/0005, mwN).

Für den hier maßgeblichen Sachverhalt bedeutet dies: Dem Beschwerdeführer, einem indischen Staatsangehörigen, wurde durch das Amt der Wiener Landesregierung, Magistratsabteilung 35, eine Aufenthaltskarte als Ehegatte einer EWR-Bürgerin mit Gültigkeit vom 14.07.2017 bis zum 14.07.2022 ausgestellt.

Da im Verfahren nicht hervorgekommen ist, dass die Ausstellung dieser Dokumentation iSd § 3 Abs. 5 NAG für nichtig erklärt wurde, hält sich der Beschwerdeführer im Lichte der oben wiedergegebenen Judikatur, derzufolge ein Fremder, für den eine Dokumentation eines unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts ausgestellt wurde, selbst bei Wegfall des unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts bis zum Abschluss des nach § 55 NAG vorgesehenen Verfahrens rechtmäßig aufhältig bleibt, zum Entscheidungszeitpunkt gemäß § 31 Abs. 1 Z 2 FPG rechtmäßig im Bundesgebiet auf.

Im Ergebnis folgt daraus, dass die Erlassung einer auf § 52 Abs. 1 Z 1 FPG gestützten Rückkehrentscheidung (siehe Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides) im vorliegenden Fall nicht zulässig war. Stattdessen hätte die belangte Behörde für die Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme das Vorliegen der Voraussetzungen nach Maßgabe des § 66 FPG in Verbindung mit den darin genannten Bestimmungen des NAG prüfen müssen.

Ferner kann begünstigten Drittstaatsangehörigen gemäß § 54 Abs. 5 AsylG 2005 kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen – insbesondere also auch nicht ein solcher nach § 57 AsylG 2005 – erteilt werden (VwGH 15.03.2018, Ra 2018/21/0014), zumal die genannte Bestimmung des 7. Hauptstücks gemäß § 54 Abs. 5 AsylG 2005 nicht für diese Personengruppe gilt (vgl. dazu auch VwGH 31.08.2017, Ra 2017/21/0133, mwN).

Daher hatte auch die vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl vorgenommene amtswegige Prüfung der Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 57 AsylG 2005 (siehe Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides) zu unterbleiben.

„Sache“ des Beschwerdeverfahrens vor dem Verwaltungsgericht ist nur jene Angelegenheit, die den Inhalt des (bescheidmäßigen) Spruchs der vor dem Verwaltungsgericht belangten Verwaltungsbehörde gebildet hat. Der äußerste Rahmen für die Prüfbefugnis des Verwaltungsgerichtes ist die „Sache“ des bekämpften Bescheides. Entscheidet das Verwaltungsgericht in einer Angelegenheit, die überhaupt noch nicht oder in der von der Rechtsmittelentscheidung in Aussicht genommenen rechtlichen Art nicht Gegenstand des erstinstanzlichen Verfahrens gewesen ist, im Ergebnis erstmals in Form eines Erkenntnisses, so fällt eine solche Entscheidung nicht in die funktionelle Zuständigkeit des Verwaltungsgerichtes und die Entscheidung ist im diesbezüglichen Umfang mit Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit belastet (VwGH 31.01.2019, Ra 2018/22/0086, mwN).

Gegenständlich ist nicht ersichtlich, dass die aufenthaltsbeendende Maßnahme im Rahmen eines Verfahrens nach § 55 NAG getroffen wurde. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl hat dem Beschwerdeführer mit Schreiben vom 21.06.2019 zwar Parteiengehör zur „Erlassung einer möglichen Aufenthaltsbeendigung gem. § 66 Abs. 1 FPG iVm § 55 Abs. 3 NAG“ gewährt, sich bei der Erlassung der Rückkehrentscheidung aber (sowohl im Spruch als auch in der Begründung) ausdrücklich auf die Bestimmungen des § 10 Abs. 2 AsylG und des § 52 Abs. 1 Z 1 FPG berufen. Dass das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl mit dem angefochtenen Bescheid das behördliche Verfahren, das aufgrund der Mitteilung der Niederlassungsbehörde nach § 55 Abs. 3 NAG eingeleitet worden wäre, zum Abschluss gebracht hätte, ist diesem Bescheid in einer Gesamtschau nicht zu entnehmen.

Vor dem Hintergrund, dass „Sache“ des Beschwerdeverfahrens vor dem Verwaltungsgericht nur jene Angelegenheit ist, die den Inhalt des (bescheidmäßigen) Spruchs der vor dem Verwaltungsgericht belangten Verwaltungsbehörde gebildet hat, würde das erkennende Gericht mit einer erstmaligen Entscheidung über die Frage der Zulässigkeit einer Ausweisung nach § 66 FPG die durch den angefochtenen Bescheid festgelegte Verwaltungssache überschreiten. In diesem Zusammenhang ist zudem besonders darauf hinzuweisen, dass es sich bei einer Rückkehrentscheidung einerseits und bei einer Ausweisung andererseits um unterschiedliche Maßnahmen mit unterschiedlichen Voraussetzungen und unterschiedlichem normativen Gehalt handelt, die nicht einfach „austauschbar“ sind (vgl. VwGH 14.11.2017, Ra 2017/21/0151).

Die Spruchpunkte I. und II. des angefochtenen Bescheides sind somit im Ergebnis als rechtswidrig aufzuheben, was auch die Aufhebung der übrigen, darauf aufbauenden Spruchpunkte III. und IV. (Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung und Festsetzung der Frist für die freiwillige Ausreise) bedingt.

Der Vollständigkeit halber ist abschließend darauf hinzuweisen, dass die Aufhebung des gegenständlich angefochtenen Bescheides einer Prüfung der Zulässigkeit einer Ausweisung nach § 66 FPG durch die belangte Behörde in der vorliegenden Rechtssache nicht entgegensteht.

In der mündlichen Beschwerdeverhandlung wurde der Antrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens zum indischen Eherecht zum Beweis dafür, dass die Ehe vollkommen rechtsgültig geschlossen worden sei und sämtliche Vorgaben des „Punjabi Compulsori Marriage Act“ eingehalten worden seien, gestellt.

Im Hinblick auf die ersatzlose Behebung des angefochtenen Bescheides aus den oben dargelegten Gründen war dem gestellten Antrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens nicht nachzukommen.

Zu A) II.:

Der mit „Verfahren über Beschwerden wegen Rechtswidrigkeit eines Verhaltens einer Behörde in Vollziehung der Gesetze“ betitelte § 53 VwGVG lautet:

„Soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nicht anderes bestimmt ist, sind auf Verfahren über Beschwerden wegen Rechtswidrigkeit eines Verhaltens einer Behörde in Vollziehung der Gesetze gemäß Art. 130 Abs. 2 Z 1 B-VG die Bestimmungen über Beschwerden gegen die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt sinngemäß anzuwenden.“

Der Beschwerdeführer beantragte in der Beschwerde, der belangten Behörde gemäß § 53 VwGVG den Ersatz der Kosten des Beschwerdeverfahrens binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu Handen seines Rechtsvertreters aufzuerlegen. Im verwaltungsgerichtlichen Verfahren gilt jedoch der Grundsatz der sogenannten Kostenselbsttragung (vgl. § 74 AVG iVm § 17 VwGVG), außer es handelt sich um Maßnahmenbeschwerden oder typenfreies hoheitliches Verwaltungshandeln (vgl. Fister/Fuchs/Sachs, Das neue Verwaltungsgerichtsverfahren [2013], § 35 VwGVG, Anm. 1, und § 53 Anm. 4). Da es sich im vorliegenden Fall weder um ein Verfahren über Beschwerden wegen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 2 B-VG noch um ein Verfahren über Beschwerden wegen Rechtswidrigkeit eines Verhaltens einer Behörde in Vollziehung der Gesetze gemäß Art. 130 Abs. 2 Z 1 B-VG handelt, war der Antrag auf Kostenzuspruch in Ermangelung einer gesetzlichen Grundlage für einen Kostenersatz im vorliegenden Verfahren über eine Bescheidbeschwerde als unzulässig zurückzuweisen.

Zu B)

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen zu den einzelnen Spruchpunkten des angefochtenen Bescheides wiedergegeben. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Schlagworte

Aufenthaltsrecht Ehe Kostenersatz rechtmäßiger Aufenthalt Rechtsgrundlage Rechtswidrigkeit Sache des Verfahrens Unionsrecht Zurückweisung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W222.2224639.1.00

Im RIS seit

08.02.2021

Zuletzt aktualisiert am

08.02.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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