TE Vwgh Erkenntnis 1997/6/24 95/08/0041

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 24.06.1997
beobachten
merken

Index

001 Verwaltungsrecht allgemein;
60/04 Arbeitsrecht allgemein;
66/01 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz;
66/03 Sonstiges Sozialversicherungsrecht;

Norm

ASVG §113 Abs1;
ASVG §49 Abs1;
ASVG §58 Abs1;
ASVG §59 Abs1;
ASVG §59 Abs2;
EFZG §3;
UrlaubsG 1976;
VwRallg;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Knell und die Hofräte Dr. Müller, Dr. Novak, Dr. Sulyok und Dr. Nowakowski als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Hackl, über die Beschwerde der L-GmbH in N, vertreten durch Dr. F, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Vorarlberg vom 29. Dezember 1994, Zl. IVb-69-1/1994, betreffend Verzugszinsen nach § 59 Abs. 1 ASVG (mitbeteiligte Partei: Vorarlberger Gebietskrankenkasse in Dornbirn), zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Die Beschwerdeführerin hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 4.565,-- und der mitbeteiligten Partei Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Beschwerdeführerin ist eine von mehreren Tochtergesellschaften einer österreichischen Holding-Gesellschaft. Nach der Darstellung in der Beschwerde und nach den ihr angeschlossenen Urkunden wurde gegen eine andere Tochtergesellschaft dieser Holding-Gesellschaft 1990 eine Feststellungsklage des Arbeiterbetriebsrates eingebracht, die die Frage der richtigen Ermittlung des Überstunden- und Zulagenanteils im Rahmen des bei Arbeitsausfall fortzuzahlenden Entgelts betraf. Dieses Verfahren endete mit Urteil des Obersten Gerichtshofes vom 11. November 1992, 9 Ob A 166/92, worin der Oberste Gerichtshof die Auffassung vertrat, das Ausfallprinzip sei nur dann gewahrt, wenn die Überstundenentgelte des Beobachtungszeitraumes durch die Zahl der Normalarbeitsstunden derjenigen Zeit geteilt würden, während der tatsächlich Arbeit verrichtet worden sei. Außer Betracht zu lassen seien somit nicht, wie die Schwestergesellschaft der Beschwerdeführerin gemeint hatte, nur entgeltfreie, sondern alle Zeiten der Nichtarbeit.

Die Beschwerdeführerin führt weiter aus, es sei zwischen den Arbeitnehmervertretungen der einzelnen Tochtergesellschaften und den jeweiligen Geschäftsleitungen vereinbart gewesen, den Ausgang dieses sozusagen als "Musterprozeß" anzusehenden Verfahrens abzuwarten, und nach der Entscheidung des Obersten Gerichtshofes seien sämtliche betroffenen Arbeitnehmer der Tochtergesellschaften - somit auch der Beschwerdeführerin - hinsichtlich der offenen Auszahlungsdifferenzen abgerechnet und Nachzahlungen veranlaßt worden. Diese Nachzahlungen hätten auch Sozialversicherungsabgaben zur Folge gehabt. Im Fall der Beschwerdeführerin sei aufgrund der entsprechenden Information der Beschwerdeführerin an die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse, daß an verschiedene Dienstnehmer Beiträge (gemeint wohl: Beträge) für die Jahre 1989 bis 1992 nachgezahlt worden seien "und aus diesem Grund Beiträge nachzuverrechnen sein könnten", am 4. Oktober 1993 über Antrag der Beschwerdeführerin eine Betriebsprüfung durchgeführt und mit dem erstinstanzlichen Bescheid der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse vom 5. November 1993 in bezug auf die nachverrechneten Beiträge gemäß § 59 Abs. 1 ASVG ein Verzugszinsenbetrag von S 135.334,99 vorgeschrieben worden.

Dagegen habe die Beschwerdeführerin Einspruch erhoben, die Aufhebung des Bescheides durch die Einspruchsbehörde begehrt und in eventu den Antrag gestellt, gemäß § 59 Abs. 2 ASVG auf die Vorschreibung von Verzugszinsen zu verzichten. Im Einspruchsverfahren habe die Beschwerdeführerin u.a. klargestellt, daß die Nachzahlungen an die Dienstnehmer aufgrund der vom Obersten Gerichtshof zur Berechnung der Ansprüche auf Entgeltfortzahlung vertretenen Rechtsauffassung geleistet worden seien, die frühere Abrechnungspraxis der Beschwerdeführerin (und der anderen Tochtergesellschaften) nach einem von der Holding-Gesellschaft zum Urteil des Obersten Gerichtshofes eingeholten Rechtsgutachten aber richtig gewesen sei. Die Zahlungen an die Dienstnehmer seien daher eine freiwillige Leistung der Beschwerdeführerin gewesen.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde den Einspruch ab. Sie stellte im wesentlichen fest, im Nachverrechnungszeitraum (1989 bis 1992) sei für verschiedene Dienstnehmer der Beschwerdeführerin bei Arbeitsausfall Entgelt nach dem in den Bestimmungen des § 3 Entgeltfortzahlungsgesetz, § 6 Urlaubsgesetz und § 9 Arbeitsruhegesetz Ausdruck findenden Ausfallprinzip fortzuzahlen gewesen. Ob und wieviele Überstunden die Arbeitnehmer in den Ausfallszeiten zu leisten gehabt hätten, sei nicht festgestanden. In dem jeweils davorliegenden, maßgeblichen Durchschnittszeitraum von 13 Wochen seien von den Dienstnehmern regelmäßig Überstunden geleistet worden. Die Beschwerdeführerin habe bei der Berechnung der Entgeltfortzahlungsansprüche "im Überstundenteiler Fehlzeiten im Beobachtungszeitraum - mit Ausnahme solcher ohne Entgeltanspruch - nicht ausgeschieden". Die Auszahlung, die Grundlage der Beitragsnachverrechnung gewesen sei, habe sich auf den Differenzbetrag zwischen der von der Beschwerdeführerin vorgenommenen und der nach der Rechtsauffassung des Obersten Gerichtshofes - in dem Verfahren gegen die Schwestergesellschaft der Beschwerdeführerin - richtigen Berechnung bezogen.

In rechtlicher Hinsicht verwarf die belangte Behörde das Argument der Beschwerdeführerin, der Nachzahlung sei kein Entgeltsanspruch der betroffenen Dienstnehmer zugrunde gelegen, unter Hinweis auf die Entscheidung des Obersten Gerichtshofes. Der Oberste Gerichtshof sei von seiner Rechtsansicht - entgegen der Ansicht der Einspruchswerberin - nicht abgegangen und auch der anzuwendende Branchenkollektivvertrag für die Metallarbeiter der Industrie führe zu keinem anderen Ergebnis. Eine Nachsicht der Verzugszinsen nach § 59 Abs. 2 ASVG komme nicht in Betracht, weil eine Gefährdung der wirtschaftlichen Verhältnisse der Einspruchswerberin nicht behauptet werde und der Zahlungsverzug im Hinblick darauf, daß es um Beitragsschulden gehe, die im Zeitraum von 1988 bis 1992 fällig geworden seien, nicht "kurzfristig" sei.

Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde. Die belangte Behörde hat die Akten vorgelegt und ebenso wie die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse eine Gegenschrift erstattet.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Zur Frage des Entgeltanspruches:

Die Pflicht der Beschwerdeführerin zur Zahlung von Verzugszinsen hängt nach der zutreffenden, auch von der Beschwerdeführerin geteilten Rechtsauffassung der belangten Behörde von der schon vor Beginn des jeweiligen Verzugszinsenzeitraumes gegebenen Fälligkeit der im nachhinein vorgeschriebenen Beiträge und somit nach §§ 44 Abs. 1 und 49 Abs. 1 ASVG davon ab, daß die betroffenen Dienstnehmer auf die nachgezahlten, der nachträglichen Beitragsvorschreibung zugrunde gelegten Beträge von Anfang an Anspruch hatten.

Die Beschwerdeführerin macht dazu geltend, sowohl aufgrund der "nunmehrigen Judikatur" des Obersten Gerichtshofes, "insbesondere" aufgrund der Entscheidung vom 6. April 1994, 9 Ob A 603/93 (DRdA 1995, 148), wonach die Bestimmungen über den fiktiven Arbeitsverlauf während des Urlaubs bzw. der Dienstverhinderung "restriktiv auszulegen" seien, als auch "aufgrund des überzeugenden Rechtsgutachtens von Univ.Prof.Dr. Theodor Tomandl" hätte die belangte Behörde entgegen der von ihr herangezogenen Entscheidung des Obersten Gerichtshofes vom 11. November 1992, 9 Ob A 166/92 (ZAS 1993, 184), davon ausgehen müssen, daß die ursprünglichen Entgeltsberechnungen der Beschwerdeführerin richtig gewesen seien und ein Entgeltsanspruch im Umfang der Nachzahlungen daher nicht bestanden habe. Die in der Entscheidung 9 Ob A 166/92 niedergelegte Rechtsmeinung des Obersten Gerichtshofes sei "nach überzeugender jetziger Ansicht des Obersten Gerichtshofes genauso wie nach Rechtsansicht von Herrn Univ.Prof.Dr. Theodor Tomandl ... als überholt anzusehen".

Dem steht entgegen, daß die Entscheidung des Obersten Gerichtshofes vom 6. April 1994, 9 Ob A 603/93, auf die Entscheidung vom 11. November 1992, 9 Ob A 166/92, und dazu erstattete Gutachten weder direkt noch indirekt Bezug nimmt und ein völlig anderes Thema betrifft. Gegenstand der Entscheidung vom 6. April 1994 ist die Frage, welche Arten von Provisionseinkommen bei der Berechnung des Entgeltausfalles zu berücksichtigen seien. Diese Frage betrifft ein im vorliegenden Fall nicht strittiges Tatbestandsmerkmal, nämlich den Entgeltbegriff der Fortzahlungsbestimmungen, und nicht die Frage, wie die in den Generalkollektivverträgen zu § 6 Urlaubsgesetz und § 3 Entgeltfortzahlungsgesetz vorgesehene Mitberücksichtigung vor dem Arbeitsausfall regelmäßig geleisteter Überstunden rechnerisch zu vollziehen sei.

Die Beschwerdeführerin führt dazu aus, auch Provisionen seien Entgelt und "nach dem Ausfallprinzip zu berechnen". Das mag - bezogen auf die Fortzahlung von Provisionen - zutreffen, doch handelt es sich deshalb nicht, wie die Beschwerdeführerin weiter ausführt, "in Wahrheit um genau den gleichen Sachverhalt". Konkret vermag die Beschwerdeführerin für ihre Behauptung, die Entscheidung vom 11. November 1992 sei "nach überzeugender jetziger Ansicht" des Obersten Gerichtshofes "als überholt anzusehen", aus der Entscheidung vom 6. April 1994 auch nur den einen Satz in Anspruch zu nehmen, die "Bestimmungen über den fiktiven Arbeitsverlauf" während des Urlaubes bzw. der Dienstverhinderung seien "restriktiv auszulegen". Dieser Satz ist weder neu, noch kommt ihm die inhaltliche Bedeutung zu, die ihm die Beschwerdeführerin unterlegt. Es handelt sich um die Übernahme einer schon in der Entscheidung des Obersten Gerichtshofes vom 17. Februar 1981, 4 Ob 6/81 (Arb 9940 = DRdA 1983, 174 mit Anmerkung Klein) und damit lange vor der Entscheidung vom 11. November 1992 geprägten Formulierung, die in der Entscheidung vom 6. April 1994 (in inhaltlicher Übereinstimmung mit der Entscheidung vom 17. Februar 1981) im unmittelbaren Anschluß an die von der Beschwerdeführerin zitierte Stelle dahingehend erläutert wird, daß die erwähnten Bestimmungen "ausschließlich auf die Urlaubszeit bzw. die Zeit der Dienstverhinderung" bezogen seien und anderweitige Einkommenausfälle aufgrund der in der Urlaubszeit bzw. Zeit der Dienstverhinderung unterbliebenen Geschäftsabschlüsse nicht zu berücksichtigen seien. An späterer Stelle in der Entscheidung wird dies als "die aufgezeigte restriktive Beschränkung der Fortzahlungsansprüche auf den unmittelbaren zeitlichen Konnex mit der Dienstverhinderung" bezeichnet. Daraus ist nicht abzuleiten, daß die Entgeltfortzahlungsbestimmungen insgesamt restriktiv auszulegen wären (vgl. dazu Geist in seiner Anmerkung zu der Entscheidung vom 6. April 1994, DRdA 1995, 156 (157 rSp)). Schon gar nicht kann der Wiederholung der 1981 geprägten Formulierung unterstellt werden, sie bedeute ein Abrücken von der in der Entscheidung vom 11. November 1992 in bezug auf das dort behandelte Problem gefundenen Lösung.

In ihrer Replik auf die Gegenschriften - in denen dies zum Teil schon aufgezeigt wurde - führt die Beschwerdeführerin aus, bei der Entscheidung vom 6. April 1994 habe es sich um die "nächstliegende Entscheidung" im Rahmen einer grundlegenden Änderung der "Judikatur des Obersten Gerichtshofes zur Frage des Ausfallsprinzip und des Leistungsaustausches" seit der von der belangten Behörde herangezogenen Entscheidung gehandelt. Nach "nunmehr ständiger Judikatur" des Obersten Gerichtshofes sei "bei der Lohn- und Gehaltsverrechnung genau nach dem "Leistungsaustausch" zwischen Arbeit und Entgelt abzustellen (siehe u.a. Schrank in ecolex 1995, Seite 193, "Sonderzahlungen bei entgeltfreien Krankenständen")".

Es ist offenkundig, daß sich der Judikaturwandel in der Frage der Abhängigkeit der Sonderzahlungen vom Schicksal des laufenden Entgelts, den die Beschwerdeführerin mit diesen Ausführungen meint, auf die Lösung des im vorliegenden Fall strittigen Problems nicht in entscheidungserheblicher Weise auswirkt. Dieses weitere Argument der Beschwerdeführerin zur Begründung ihrer Ansicht, die Entscheidung des Obersten Gerichtshofes vom 16. November 1992 sei Teil einer vom Obersten Gerichtshof selbst bereits aufgegebenen Rechtsprechung, bedarf daher im Hinblick auf die wiedergegebene, sehr allgemein gehaltene Behauptung über den Inhalt der "nunmehr ständigen" Rechtsprechung keiner ins Detail gehenden Widerlegung.

Das der Beschwerde beigelegte Auftragsgutachten vom 2. Juni 1993 wurde von dessen Verfasser im September 1993 als Besprechungsaufsatz veröffentlicht (ZAS 1993, 169) und als solcher - zum Beleg dafür, "daß die in Rede stehende OGH-Entscheidung von der Lehre mittlerweile heftigst angefochten wird, so z.B. von Tomandl" - in das Einspruchsverfahren eingeführt. Die Beschwerde verweist zwar im Sachverhalt auf die vom Gutachter erzielten Ergebnisse, unternimmt - über die bereits wiedergegebene Bezugnahme hinaus - aber keinen Versuch einer argumentativen Widerlegung des angefochtenen Bescheides auf der Grundlage des Gutachtens.

Das Gutachten enthält eine ausführliche Analyse des vom Obersten Gerichtshof in der Entscheidung vom 16. November 1992 behandelten Problems, vermag in den Schlußfolgerungen zur allein strittigen Frage nach dem "bisherigen Ausmaß" der Überstunden (§ 2 Abs. 2 Satz 2 der Generalkollektivverträge zu § 6 Urlaubsgesetz und § 3 Entgeltfortzahlungsgesetz) aber nicht zu überzeugen. Soll die Zahl der zu berücksichtigenden Überstunden ermittelt werden, so kann dies nämlich entgegen der Ansicht des Gutachters nicht in der von ihm vorgeschlagenen Weise nach Abschnitt XVI (Entgelt bei Arbeitsverhinderung) Punkt 4 Satz 2 des für die Beschäftigten der Beschwerdeführerin geltenden Branchenkollektivvertrages geschehen. Nach dieser Kollektivvertragsbestimmung - die in den Bestimmungen über die Berechnung des Urlaubsentgeltes (Abschnitt XVII Punkt 11) kein Gegenstück hat - sind "zur Berechnung des Durchschnittes des Entgeltes ... jene drei abgeschlossenen Beitragszeiträume vor der Erkrankung heranzuziehen, die zeitlich mit dem für die Ermittlung der Ansprüche auf Berücksichtigung der Überstunden maßgebenden Zeitraum zusammenfallen. Zeiten ohne Entgeltanspruch sind auszuscheiden". Der Gutachter äußert die "Vermutung", damit solle das Ausmaß der zu berücksichtigenden Überstunden geregelt werden, und versteht die Regelung so, daß danach die Zahl der im Beobachtungszeitraum geleisteten Überstunden durch die Zahl der Arbeitstage einschließlich der Ausfallstage mit Entgeltfortzahlung und nur abzüglich der Tage ohne Entgeltanspruch zu teilen sei. In der dadurch bewirkten "Verdünnung" der Überstunden durch die Einbeziehung von Ausfallstagen im Beobachtungszeitraum, an denen die Leistung von Überstunden nicht möglich war, sieht der Gutachter eine "mittlere Lösung" im Hinblick auf die Ungewißheit, ob während der Ausfallstage, für die das Entgelt zu berechnen ist, und auch während derjenigen im Beobachtungszeitraum (in den Ausführungen des Gutachters nicht klar getrennt) überhaupt Überstunden geleistet worden wären.

Dem steht entgegen, daß die erwähnte Kollektivvertragsbestimmung den Durchschnitt des Entgelts regelt, worunter nicht nur - an tatsächlichen Arbeitstagen - das Entgelt für die geleisteten Überstunden fällt, sondern auch

-

an Ausfallstagen mit Entgeltfortzahlung, wenn man diese in den Beobachtungszeitraum einbeziehen wollte - der Überstundenanteil im fortgezahlten Entgelt fiele. Der Gedankengang des Gutachters klammert letzteren völlig aus und ist daher nicht schlüssig. Es vermag auch die ins Treffen geführte Ungewißheit, OB Überstunden geleistet worden wären, nicht deren "Verdünnung" bei der Bestimmung ihres "bisherigen Ausmaßes" zu begründen. Der erwähnten Ungewißheit wird mit dem vorgeschalteten und im Branchenkollektivvertrag näher ausgestalteten Erfordernis der bisherigen "Regelmäßigkeit" der Leistung von Überstunden Rechnung getragen. Ist dieses Erfordernis erfüllt und die ausdrücklich angeordnete Rechtsfolge die Berücksichtigung der Überstunden "im bisherigen Ausmaß", so kann bei dessen Bestimmung nicht abermals mit der Ungewißheit, ob überhaupt Überstunden geleistet worden wären, argumentiert werden. Dies gilt, wenn "Regelmäßigkeit" einmal feststeht, auch für die nicht entgeltfreien Ausfallstage im Beobachtungszeitraum. In bezug auf diese unterstellt der Gutachter unter Berufung darauf, es sei "gerade ungewiß", ob an ihnen Überstunden geleistet worden wären, mit der von ihm vorgeschlagenen Berechnungsart, es wäre nicht eine einzige Überstunde geleistet worden (Division der an den tatsächlichen Arbeitstagen geleisteten Überstunden durch die ungekürzte Zahl auch aller Nichtarbeitstage mit Entgeltfortzahlung). Eine "mittlere Lösung" ist darin nicht zu erkennen. Für die nicht entgeltfreien Ausfallstage im Beobachtungszeitraum findet vielmehr die "apodiktische Verneinung" statt, die der Gutachter

-

insoweit zu Unrecht - zu vermeiden behauptet.

Demgegenüber bedeutet der vom Obersten Gerichtshof gebilligte Ansatz - entgegen der Annahme des Gutachters - auch nicht, daß der Arbeitnehmer in bezug auf die Tage der Entgeltfortzahlung im Beobachtungszeitraum in umgekehrter Entsprechung zum Ansatz des Gutachters uneingeschränkt so behandelt würde, "als hätte (er) an ihnen Überstunden geleistet". Werden diese Fehlzeiten - wie die entgeltfreien - neutralisiert, so bedeutet dies vielmehr, daß in bezug auf sie von dem gleichen Verhältnis der Überstunden zur Normalarbeitszeit ausgegangen wird, das sich in bezug auf die tatsächlichen Arbeitstage aus der Zusammenschau sowohl der Tage mit als auch derjenigen ohne Überstunden errechnen läßt. Steht z. B. fest, welche Zahl von Überstunden im Falle einer Heranziehung für Überstunden zu erbringen gewesen wäre, und ist nur ungewiß, ob diese Heranziehung an einem bestimmten Ausfallstag erfolgt wäre, so kann dies (nach dem Ansatz des OGH) zu durchaus anderen Ergebnissen führen als die fiktive Annahme, letzteres wäre der Fall gewesen. Mit dem vom Gutachter konstruierten Fallbeispiel eines Arbeitnehmers, der im Beobachtungszeitraum immer an jenen Tagen gearbeitet hat, an denen eine Überstunde anfiel, und "an allen anderen Tagen ... jedoch Fehlzeiten gehabt" hat, läßt sich die Richtigkeit dieser Berechnungsweise - bei typisierender Betrachtung - jedenfalls dann nicht ad absurdum führen, wenn man ihr die vom Gutachter selbst verteidigte Berechnungsweise gegenüberstellt.

Daß die Regelmäßigkeit der Überstundenleistungen im Sinne der erwähnten Generalkollektivverträge (für den Bereich des Arbeitsruhegesetzes vgl. das Erkenntnis vom 5. März 1991, Zl. 88/08/0239 = Slg. Nr. 13.397/A) jeweils gegeben war und jeweils auch nicht feststand, ob und wieviele Überstunden in den Fortzahlungszeiträumen zu leisten gewesen wären, ist im vorliegenden Fall nicht strittig. Damit erübrigt sich eine nähere Auseinandersetzung mit der Ansicht des Gutachters, der Oberste Gerichtshof hätte sich mit seinen Argumenten nicht nur auf solche Fälle bezogen, und mit Beispielen des Gutachters, die andersartige Fälle betreffen. Auch das vom Gutachter noch angeschnittene Problem der gesonderten Ermittlung qualifizierter Überstunden wurde im vorliegenden Fall nicht aufgeworfen.

Die belangte Behörde folgte in ihrer Entscheidung daher mit Recht - wegen seiner Richtigkeit und nicht etwa, wie die Beschwerdeführerin andeutungsweise geltend macht, in der Annahme einer verfahrensrechtlichen Bindung - dem Urteil des Obersten Gerichtshofes vom 16. November 1992. Sie hatte demnach davon auszugehen, daß die betroffenen Dienstnehmer auf die nachgezahlten Beträge von Anfang an Anspruch hatten.

2. Zur Fälligkeit der Beitragsdifferenzen:

Im Zusammenhang mit der Behandlung ihres Eventualantrages auf Nachsicht der Verzugszinsen macht die Beschwerdeführerin geltend, vor der Beitragsprüfung im Oktober 1993 könne "überhaupt keine Fälligkeit von Beiträgen entstanden sein". Damit soll dargetan werden, daß ("wenn überhaupt") nur ein kurzfristiger Zahlungsverzug im Sinne des § 59 Abs. 2 Satz 2 ASVG vorgelegen sei und die Voraussetzungen für eine Nachsicht der Verzugszinsen daher gegeben gewesen wären. Diese Argumentation ist systematisch verfehlt: Träfe die Ansicht der Beschwerdeführerin zu, so wäre eine Vorschreibung von Verzugszinsen (abgesehen von einem unbedeutenden Restbetrag für die Zeit zwischen der Beitragsprüfung und dem Ende der angenommenen Verzugszinsenzeiträume) schon mangels Verzuges nicht in Betracht gekommen.

In ihrer Replik auf die Gegenschriften räumt die Beschwerdeführerin ausdrücklich ein, daß ihr die Beiträge nicht im Sinne des § 58 Abs. 3 ASVG vorgeschrieben worden seien. Gemäß § 58 Abs. 1, erster Halbsatz, ASVG trat ihre Fälligkeit daher stets schon zum Ende des Beitragszeitraumes ein. Daß die Entscheidung des Obersten Gerichtshofes (in dem die Schwestergesellschaft der Beschwerdeführerin betreffenden Feststellungsprozeß) "unter Umständen eine neue Rechtslage geschaffen haben könnte", wie die Beschwerdeführerin meint, kann jedenfalls nicht in dem Sinne gelten, daß der Beschwerdeführerin durch diese Entscheidung neue Beitragsverbindlichkeiten entstanden oder bisher nicht fällige fällig gestellt worden wären.

In der Verfahrensrüge macht die Beschwerdeführerin geltend, schon aufgrund der unsicheren Rechtslage in bezug auf die (im Verfahren gegen die Schwestergesellschaft der Beschwerdeführerin) vom Obersten Gerichtshof beurteilte Frage könne "von einem Zahlungsverzug im Sinne des § 59 ASVG nicht gesprochen werden". Dem § 59 ASVG liege "eine normalen Lohn- bzw. Gehaltsverrechnung zugrunde, nicht jedoch eine diffizile Auslegung über die genaue Berechnung des Ausfallprinzipes, die sogar vom Obersten Gerichtshof in kurzer Zeit unterschiedlich beantwortet wird". Damit wird die Auffassung angedeutet, nur ein verschuldeter Verzug löse die Pflicht zur Zahlung von Verzugszinsen aus. In ihrer Replik auf die Gegenschriften führt die Beschwerdeführerin aber weiter aus, bei der "Festsetzung von Säumniszuschlägen nach § 59 ASVG" komme es nicht auf ein Verschulden des Arbeitgebers an. Da es sich jedoch "um den gleichen Fall wie den im § 60 ASVG erwähnten Fall der Beitragsnachzahlung" handle, und der Oberste Gerichtshof "nunmehr eindeutig festgehalten" habe, daß sich der Arbeitgeber im Fall der nicht verschuldeten Entgeltnachzahlung die Versichertenanteile abziehen könne, erfordere es "eine gleiche Auslegung mit der Bestimmung des § 60 Abs. 2" (gemeint: § 60 Abs. 1 Satz 2) ASVG in Ermangelung einer Möglichkeit, auf das Verschulden abzustellen, bei Nachtragszahlungen für die Frage der Verzugszinsen von vornherein nicht auf den seinerzeitigen Beitragsmonat, sondern "auf den Monat der Nachzahlung" abzustellen. Bei "rechtzeitiger Einzahlung der Nachzahlung" fielen daher keine Verzugszinsen an.

Dem folgen im Vorbringen der Beschwerdeführerin noch Hinweise darauf, daß "ein Schadenersatz wegen Prozeßführung" (gemeint: das vom Obersten Gerichtshof entschiedene Verfahren) "generell ausgeschlossen" sei, daß sich aus der Stellungnahme der Bundesregierung in einem Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof ergebe, daß "die Fälligkeit per Ende des Beitragszeitraumes ja nur für die zu diesem Zeitpunkt arbeitsrechtlich unbestrittenen Entgelte vorliegen" könne, und daß ein früheres Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes den Fall einer nicht ordnungsgemäßen Meldung des Beitragsschuldners betroffen habe, weshalb im vorliegenden Fall aufgrund der "ordnungsgemäßen Meldung der erfolgten Nachzahlungen ... entgegen" dem damals entschiedenen Fall "zu verfahren sein" werde. Verwiesen wird auch darauf, daß der Verfassungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 25. Juni 1994, G 249/93 (Slg. Nr. 13.823), ausdrücklich von "periodisch geschuldeten Leistungen" spreche, die "bei einer Nachzahlung schon gedanklich nicht vorliegen können".

Die Vorstellung, im Falle einer "rechtzeitigen Einzahlung der Nachzahlung" gebe es für die Zeit bis dahin keine Verzugszinsen, widerspricht der Anordnung des Gesetzgebers in § 59 i.V.m. § 58 ASVG und erfordert daher keine ins Detail gehende Analyse der ihr zugrundeliegenden Gedankengänge. Es handelt sich um fehlerhafte Schlußfolgerungen aus der angenommenen Prämisse der Notwendigkeit einer Gleichschaltung mit einer anderen, verschuldensbezogenen Regelung und somit nur um eine übersteigerte - weil zum verschuldensunabhängigen Ausschluß von Zinsen für die Vergangenheit führende - Ausprägung des Gedankens, ein "Zahlungsverzug im Sinne des § 59 ASVG" setze ein Verschulden voraus. Daß dem nicht so ist, ergibt sich nicht nur aus dem Wortlaut des Gesetzes, das ein Verschulden in § 59 Abs. 1 ASVG eben gerade nicht voraussetzt, sondern auch aus der Funktion dieser gesetzlichen Verzugszinsen, vor allem den durch die vorübergehende Nichterfüllung von Beitragspflichten im Normalfall erzielten Vorteil einer während des Verzuges entsprechend verringerten Kreditbelastung abzuschöpfen.

Daß die in § 59 Abs. 1 ASVG vorgesehenen Zinsen ihrer Höhe wegen über die "Abschöpfung eines allfälligen Nutzens" hinausgingen, wie der Verfassungsgerichtshof in dem von der Beschwerdeführerin zitierten Erkenntnis meinte, vermag der Verwaltungsgerichtshof nicht zu erkennen. In dem Verordnungsprüfungsverfahren, auf das der Verfassungsgerichtshof im Anschluß an diese Aussage zur Begründung der (zu teilenden) Ansicht, die Verzugszinsenregelung erfülle auch eine Steuerungsfunktion, verweist (VfSlg. 12.945/1991), wurde nämlich ausdrücklich davon ausgegangen, daß die damals und auch im vorliegenden Fall anzuwendende Fassung des § 59 Abs. 1 ASVG nach dem erklärten Willen des Gesetzgebers darauf abzielte, das "Mißverhältnis" gegenüber "dem am Geldmarkt ... üblichen Kreditzinsfuß" zu beseitigen. Aus der (gleichfalls zu teilenden) Ansicht, die Steuerungsfunktion der Verzugszinsenregelung setze die Kenntnis oder "mögliche Kenntnis" der Zahlungspflicht voraus, hat der Verfassungsgerichtshof in dem von der Beschwerdeführerin zitierten Erkenntnis aber auch nicht die Schlußfolgerung gezogen, die Pflicht zur Zahlung der Verzugszinsen bestehe (bei verfassungskonformer Interpretation) nur unter der Voraussetzung eines im Einzelfall zu prüfenden Verschuldens am Verzug.

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes besteht die Pflicht zur Zahlung von Verzugszinsen - wie im Anlaßfall des erwähnten Verordnungsprüfungsverfahrens ausgesprochen wurde - sogar in bezug auf Zeiträume, in denen auf Grund eines (später beseitigten) Bescheides festzustehen schien, daß Beiträge nicht zu entrichten seien (Erkenntnis vom 17. Jänner 1995, Zl. 93/08/0114). Mit dem Argument, daß es sich nicht um eine Verwaltungsstrafe handle und es daher einer ausdrücklichen Bezugnahme auf das Verschulden des Meldepflichtigen bedurft hätte, wird aber (in bezug auf das "ob" der Vorschreibung) auch die Abhängigkeit eines Beitragszuschlages nach § 113 Abs. 1 ASVG vom Vorliegen eines Verschuldens verneint (vgl. dazu im Detail das Erkenntnis vom 25. Oktober 1994, Zl. 93/08/0108 (Slg. Nr. 14.152/A)). Gilt dies, obwohl es sich hier in erster Linie um "Sanktionen für die Nichteinhaltung der Meldepflicht und damit um Sicherungsmittel eines ordnungsgemäßen Funktionierens der Sozialversicherung" handelt (vgl. dazu das eben zitierte Erkenntnis), so kommt ein gegenteiliges, den Wortlaut des Gesetzes um ein zusätzliches Erfordernis ergänzendes Verständnis im Zusammenhang mit den Verzugszinsen, die in erster Linie dem Ausgleich erzielter Vorteile dienen, umso weniger in Betracht (vgl. zum Verständnis der Verzugszinsenregelung zuletzt Bernhard W. Gruber, ZAS 1997, 41 (49), mit weiteren Nachweisen). Die Auffassung der Beschwerdeführerin, von einem "Zahlungsverzug im Sinne des § 59 ASVG" könne in ihrem Fall nicht gesprochen werden, ist daher verfehlt.

3. Zur Frage der Nachsicht nach § 59 Abs. 2 ASVG:

Für den Fall, daß bei der Anwendung des § 59 Abs. 1 ASVG auf den "Fälligkeitsbegriff der belangten Behörde" (gemeint:

die in § 58 Abs. 1 ASVG vorgesehene Fälligkeit am letzten Tag des jeweiligen Beitragsmonats) abzustellen sei, vertritt die Beschwerdeführerin den Standpunkt, damit wäre "nichts für die Rechtsansicht der belangten Behörde gewonnen". Der "vorliegende Sachverhalt" (gemeint: die Pflicht zur Zahlung von Verzugszinsen) wäre in diesem Fall gemäß § 59 Abs. 2 Satz 2 ASVG "nachzusehen", weil der "Sinn" des dort vorausgesetzten bloß "kurzfristigen" Zahlungsverzuges "ja dann nur so interpretiert werden" könne, "daß die Beschwerdeführerin alles unternommen hat, um der "neuen" Rechtsmeinung des Obersten Gerichtshofes nachzukommen".

Geht man davon aus, daß § 59 Abs. 1 ASVG mit dem Ausdruck "Fälligkeit" auf § 58 ASVG Bezug nimmt und die Pflicht zur Zahlung von Verzugszinsen kein Verschulden am Verzug erfordert, so ist dieser Gedankengang nicht nachvollziehbar. Er würde voraussetzen, daß die "Kurzfristigkeit" des "Zahlungsverzuges" im Sinne des § 59 Abs. 2 Satz 2 ASVG auf einen anderen als den Zeitraum abstellt, für den nach § 59 Abs. 1 ASVG Verzugszinsen zu entrichten sind. Die inhaltliche Verknüpfung der Begriffe "Zahlungsverzug" und "Verzugszinsen" läßt ein solches Verständnis nicht zu. Es widerspräche auch der Entstehungsgeschichte dieser Nachsichtsmöglichkeit, die "aus Gründen der Verwaltungsvereinfachung" eingeführt wurde und zunächst auf Verzugszinsen beschränkt war, "die den Betrag von 10 S nicht übersteigen" (vgl. die Erläuternden Bemerkungen zur 21. ASVG-Novelle, 669 BlgNR 11. GP, S. 21). Auch bei der Neufassung der Regelung durch die 29. ASVG-Novelle, BGBl. Nr. 31/1973, wurde am Erfordernis einer objektiven Geringfügigkeit des Verzuges - nun gemessen an dessen Dauer - festgehalten (vgl. die Erläuternden Bemerkungen 404 BlgNR 13. GP, S. 76: "wenige Tage in Verzug"). Von einer Nachsicht der Zinsen hat die belangte Behörde daher zu Recht Abstand genommen.

Die demnach zur Gänze unbegründete Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Schlagworte

Entgelt Begriff Dienstverhinderung Entgelt Begriff Überstunden

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1997:1995080041.X00

Im RIS seit

22.11.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten