TE Bvwg Erkenntnis 2020/11/4 I422 2236458-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 04.11.2020
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Entscheidungsdatum

04.11.2020

Norm

BFA-VG §18 Abs3
BFA-VG §21 Abs7
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
EMRK Art8
FPG §67 Abs1
FPG §67 Abs2
FPG §70 Abs3
StGB §107 Abs1
StGB §107 Abs2
StGB §83 Abs1
StGB §87 Abs1
VwGVG §24 Abs2 Z1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2
VwGVG §28 Abs5

Spruch

I422 2236458-1/2E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Thomas BURGSCHWAIGER als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA. Rumänien, vertreten durch Rechtsanwalt Mag. Leopold ZECHNER, Fridrichalle 3, 8600 Bruck an der Mur, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 19.10.2020, Zl. 1261554101/200519483, zu Recht:

A)

Der Beschwerde wird stattgegeben und der angefochtene Bescheid ersatzlos behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgegenstand:

Aufgrund mehrfacher strafgerichtlicher Verurteilungen wegen Gewaltdelikte erließ die belangte Behörde mit verfahrensgegenständlichem Bescheid über den Beschwerdeführer ein Aufenthaltsverbot in der Dauer von vier Jahren (Spruchpunkt I.), erteilte ihm keinen Durchsetzungsaufschub (Spruchpunkt II.) und erkannte sie einer Beschwerde gegen dieses Aufenthaltsverbot zugleich die aufschiebende Wirkung ab (Spruchpunkt III.).

Dagegen richtet sich die fristgerecht erhobene Beschwerde in der begründend zusammengefasst ausgeführt wurde, dass es sich beim Beschwerdeführer um einen EWR-Bürger handle, der seit 2003 durchgehend in Österreich aufhältig sei. Eine nachhaltige und maßgebliche Gefährdung der Sicherheit der Republik Österreich sei im Falle des Beschwerdeführers jedenfalls nicht gegeben und erweise sich das Aufenthaltsverbot daher als unzulässig.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der volljährige Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger Rumäniens. Seine Identität steht fest.

Der Beschwerdeführer wurde 1993 als Sohn einer rumänischen Staatsangehörigen in XXXX geboren. Dort verbrachte er die ersten fünf Lebensjahre, ehe er 1998 mit seiner alleinerziehenden Mutter nach Rumänien zog und dort die Volksschule begann.

2001 reiste der Beschwerdeführer erneut nach Österreich ein und ist er seit 24.08.2001 durchgehend mit Hauptwohnsitz im Bundesgebiet gemeldet. In Österreich besuchte der Beschwerdeführer zwei Jahre lang die Volksschule, vier Jahre lang die Hauptschule und absolvierte er anschließen eine dreijährige Ausbildung als Installateur, wobei er die Lehrabschlussprüfung jedoch nicht abschloss. Im Zeitraum vom 09.02.2013 bis 17.08.2015 war der Beschwerdeführer mit kurzen, monateweisen Unterbrechungen bei verschiedenen Dienstgebern als Arbeiter beschäftigt. Zuletzt befand sich der Beschwerdeführer durchgehend von 17.08.2015 bis zum 09.07.2020 in einem Beschäftigungsverhältnis zur K[...] Gesellschafter m.b.H.

Der Beschwerdeführer ist gesund und arbeitsfähig. Er ist ledig und führt eine Beziehung zu einer in Österreich wohnhaften rumänischen Staatsangehörigen und lebt mit ihr seit 23.05.2019 in einem gemeinsamen Haushalt. Aus einer vorangegangenen Beziehung zu einer österreichischen Staatsangehörigen entstammt eine minderjährige Tochter und ist der Beschwerdeführer für sie sorgepflichtig. Darüber hinaus verfügt der Beschwerdeführer in Österreich über familiäre Anknüpfungspunkte in Form seiner Mutter und seiner Tante. Weitere berücksichtigungswürdige private oder soziale Anknüpfungspunkte des Beschwerdeführers im Bundesgebiet liegen nicht vor.

In seinem Herkunftsstaat verfügt der Beschwerdeführer über familiäre Anknüpfungspunkte in Form seiner Großmutter.

Der Beschwerdeführer weist in Österreich drei strafgerichtliche Verurteilungen auf:

Erstmalig wurde er mit Urteil des Landesgerichtes XXXX vom 23.05.2013, zu XXXX - als junger Erwachsener - wegen der Vergehen der teilweise versuchten Körperverletzung nach §§ 15, 83 Abs. 1 StGB rechtskräftig zu einer Geldstrafe von 90 Tagsätzen zu je 8,- Euro (720,- Euro) und im Nichteinbringungsfall eine Ersatzfreiheitsstrafe in der Höhe von 45 Tagen verurteilt. Dieser Verurteilung lag zu Grunde, dass der Beschwerdeführer im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit Irfan H[...] den Gerald SCH[...] durch Versetzen eines Schlages auf den Hinterkopf und zweier Faustschläge, wodurch dieser leichte Schwellungen im Bereich des linken Ohres und Kopfschmerzen erlitt, und den Andreas R[...] durch Versetzen zwei Ohrfeigen, wobei es mangels Eintritts einer Verletzung diesbezüglich beim Versuch blieb, vorsätzlich am Körper verletzte bzw. zu verletzen versuchte. Hinsichtlich der Strafzumessungsgründe wertete das Strafgericht das reumütige Geständnis; die Tatsache, dass es teilweise beim Versuch geblieben ist; die Tatsache, dass die Tat zwar nach Vollendung des 18. Lebensjahres aber noch vor Vollendung des 21. Lebensjahres begangen wurde; die Tatsache, dass er bisher einen ordentlichen Lebenswandel geführt hat und dass die Taten mit seinem sonstigen Verhalten in auffallendem Widerspruch stehen als mildernd. Das Zusammentreffen zweier Vergehen und die Tatbegehung in Gesellschaft wurden hingegen erschwerend berücksichtigt.

Am 04.07.2014 wurde der Beschwerdeführer mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichtes XXXX zu XXXX wegen des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs. 1 StGB zu einer bedingten Freiheitsstrafe in der Dauer von zwei Monaten und einer Probezeit von drei Jahren verurteilt. Die Verurteilung fußte darauf, dass der Beschwerdeführer am 10.05.2014 in D[...] dem Thomas K[...] durch das Versetzen von Faustschlägen in das Gesicht vorsätzlich am Körper verletzte, wodurch dieser Abschürfungen unter dem rechten Auge erlitt. Mildernd wertete das Strafgericht das Geständnis des Beschwerdeführers und dessen Alter unter 21 Jahren, erschwerend hingegen dessen einschlägige Vorstrafe.

Zuletzt wurde der Beschwerdeführer mit Urteil des Landesgerichtes XXXX vom 21.08.2020, zu XXXX rechtskräftig wegen des Vergehens der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs. 1 und 2 StGB und des Verbrechens der versuchten absichtlich schweren Körperverletzung nach §§ 15 Abs. 1, 87 Abs. 1 und 2 erster Fall StGB zu einer Freiheitsstrafe von 24 Monaten, davon 16 Monate bedingt unter Setzung einer dreijährigen Probezeit verurteilt. Der Verurteilung lag zu Grunde, dass der Beschwerdeführer Vasile G[...] und Georgian G[...] gefährlich mit dem Tod bedrohte und sie in Furcht und Unruhe versetzte, indem er ihnen gegenüber wiederholt ankündigte, er werde sie umbringen und er werde sie aufschlitzen, wobei er ein Klappmesser mit einer gebogenen Klinge von etwa 5 cm Länge sichtbar mit sich führte und teilweise seine Äußerungen unterstreichend damit herumfuchtelte. Zudem versuchte der Beschwerdeführer dem Vasile G[...] eine schwere Körperverletzung zuzufügen, indem er diesem mit dem vorgenannten Klappmesser einen etwa 9 cm langen, tiefen Schnitt im Bereich des Übergangs von der linken Schulter zum Oberarm zufügte. Das Geständnis des Beschwerdeführers und der Umstand, dass es hinsichtlich der absichtlich schweren Körperverletzung bei einem Versuch geblieben ist, wertete das Strafgericht als mildernd. Erschwerend berücksichtigte das Strafgericht hingegen das Zusammentreffen eines Verbrechens mit zwei Vergehen sowie die zwei einschlägigen Vorverurteilungen.

Mit rechtskräftigem Bescheid der Bezirkshauptmannschaft XXXX vom 22.06.2020, zu GZ: XXXX wurde über den Beschwerdeführer ein Waffen- und Munitionsverbot gemäß § 12 Abs. 1 WaffG ausgesprochen.

Seit 22.06.2020 verbüßt der Beschwerdeführer den unbedingten Teil seiner Haftstrafe in der Justizanstalt Leoben.

2. Beweiswürdigung:

2.1. Zum Sachverhalt:

Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgebenden Sachverhaltes wurden im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweise erhoben durch die Einsichtnahme in den Akt der belangten Behörde unter zentraler Berücksichtigung der schriftlichen Stellungnahme des Beschwerdeführers vom 04.09.2020, des bekämpften Bescheides und der Angaben im Beschwerdeschriftsatz. Ergänzend wurden Auszüge des Zentralen Melderegisters (ZMR), des Informationsverbundsystems Zentrales Fremdenregister (IZR), des Hauptverbandes der Sozialversicherungsträger und des Strafregisters eingeholt.

2.2. Zur Person der Beschwerdeführerin:

Die Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers, insbesondere seiner Identität, ergeben sich aus dem Verwaltungsakt. Seine Identität steht aufgrund der Verifizierung durch die österreichische Justiz fest.

Auf der Beschuldigtenvernehmung durch die Landespolizeidirektion XXXX vom 21.06.2020 sowie den gleichlautenden und glaubhaften Angaben des Beschwerdeführers in der Stellungnahme vom 04.09.2020 gründen die Feststellungen zu seiner Geburt in XXXX und dem ersten Aufenthalt im Bundesgebiet sowie die Feststellung, dass er anschließend mit seiner alleinstehenden Mutter nach Rumänien verzog, wo er zunächst die Volksschule besuchte. Aus der Einsichtnahme in das ZMR ergibt sich, dass sich der Beschwerdeführer erneut seit 24.08.2001 und seit diesem Zeitpunkt durchgehend mit Hauptwohnsitz im Bundesgebiet melderechtlich erfasst ist. Aus den glaubhaften Angaben in seiner Stellungnahme in Verbindung mit der Einsichtnahme in einen aktuellen Auszug des Hauptverbandes der Sozialversicherungsträger leiten sich die Feststellungen zu seiner Schul- und Berufsausbildung sowie seiner bisherigen beruflichen Tätigkeit im Bundesgebiet ab.

Gesundheitliche Beeinträchtigungen wurden weder im Administrativverfahren, noch im Beschwerdeschriftsatz geltend gemacht. In Zusammenschau mit seinem Alter und seiner bisherigen beruflichen Tätigkeiten leitet sich daraus die Feststellung seiner Arbeitsfähigkeit ab. Die Feststellung zum Familienstand beruht auf dem unbedenklichen Akteninhalt, insbesondere der Beschuldigtenvernehmung durch die Landespolizeidirektion XXXX vom 21.06.2020. Dahingehend decken sich die gleichlautenden Angaben des Beschwerdeführers zu seinen familiären Anknüpfungspunkten in Österreich und in Rumänien sowie zu seiner Lebensgemeinschaft mit einer rumänischen Staatsbürgerin und werden diese vom erkennenden Gericht als glaubhaft erachtet. Dass er mit seiner Lebensgefährtin seit 23.05.2019 in einem gemeinsamen Haushalt lebt, fußt auf der Einsichtnahme in das ZMR. Weder aus dem Verwaltungsakt noch aus dem Beschwerdeschriftsatz ergaben sich Anhaltspunkte für eine darüberhinausgehende berücksichtigungswürdige private oder soziale Verfestigung des Beschwerdeführers im Bundesgebiet.

Die strafgerichtlichen Verurteilungen des Beschwerdeführers und das über ihn verhängte Waffen- und Munitionsverbot sind durch eine Einsichtnahme in das Strafregister und den sich im Verwaltungsakt einliegenden Gerichturteilen bzw. Bescheid der Bezirkshauptmannschaft XXXX belegt. Dass er seit 22.06.2020 den unbedingten Teil seiner Haftstrafe in der Justizanstalt XXXX verbüßt, ergibt sich aus der Einsichtnahme in das ZMR.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A) Stattgabe der Beschwerde:

3.1. Rechtslage:

Gemäß § 67 Abs. 1 FPG ist die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen unionsrechtlich aufenthaltsberechtigte EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige zulässig, wenn auf Grund ihres persönlichen Verhaltens die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet ist. Das persönliche Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Strafrechtliche Verurteilungen allein können nicht ohne weiteres diese Maßnahmen begründen. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig. Die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige, die ihren Aufenthalt seit zehn Jahren im Bundesgebiet hatten, ist dann zulässig, wenn aufgrund des persönlichen Verhaltens des Fremden davon ausgegangen werden kann, dass die öffentliche Sicherheit der Republik Österreich durch seinen Verbleib im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet würde.

Gemäß § 67 Abs. 2 FPG kann ein Aufenthaltsverbot, vorbehaltlich des Abs. 3, für die Dauer von höchstens zehn Jahren erlassen werden.

3.2. Anwendung der Rechtslage auf den Beschwerdefall:

Der Beschwerdeführer ist als Staatsangehöriger Rumäniens EWR-Bürger iSd § 2 Abs. 4 Z 8 FPG.

Als EWR-Bürger fällt der Beschwerdeführer in den persönlichen Anwendungsbereich des § 67 FPG. Nachdem der Beschwerdeführer aufgrund seines seit August 2001 bestehenden und durchgehenden Aufenthaltes die Voraussetzung eines Aufenthalts im Bundesgebiet seit zehn Jahren erfüllt, kommt der qualifizierte Prüfungsmaßstab des § 67 Abs. 1 fünfter Satz FPG zur Anwendung. Demzufolge ist zu beurteilten, ob vom Verbleib des Beschwerdeführers im Bundesgebiet eine nachhaltige und maßgebliche Gefährdung der öffentlichen Sicherheit der Republik Österreich ausgeht.

Bei der Erstellung der für jedes Aufenthaltsverbot zu treffenden Gefährdungsprognose ist das Gesamtverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen und auf Grund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahin vorzunehmen, ob und im Hinblick auf welche Umstände die jeweils maßgebliche Gefährdungsannahme gerechtfertigt ist. Dabei ist nicht auf die bloße Tatsache der Verurteilung bzw. Bestrafung des Fremden, sondern auf die Art und Schwere der zu Grunde liegenden Straftaten und auf das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild abzustellen. Bei der nach § 67 Abs. 1 FrPolG 2005 zu erstellenden Gefährdungsprognose geht schon aus dem Gesetzeswortlaut klar hervor, dass auf das „persönliche Verhalten“ des Fremden abzustellen ist und strafgerichtliche Verurteilungen allein nicht ohne weiteres ein Aufenthaltsverbot begründen können (vgl. VwGH 27.04.2020, Ra 2019/21/0367).

Das erkennende Gericht verkennt nicht, dass der Beschwerdeführer offenkundig ein Gewaltproblem hat. Es ist der belangten Behörde daher auch vollinhaltlich zuzustimmen, dass der Beschwerdeführer während seines Aufenthaltes im Bundesgebiet mehrfach gravierende Delinquenzen gezeigt hat und dass es sich bei der von ihm begangenen Gewaltkriminalität um ein besonders gefährdendes Fehlverhalten, in dessen Verhinderung ein großes öffentliches Interesse gelegen ist (vgl. VwGH 22.11.2017, Ra 2017/19/0474). Ebensowenig lässt das erkennende Gericht den Unrechtsgehalt der vom Beschwerdeführer begangenen Straftaten außer Acht und dass das strafrechtswidrige Verhalten im gegenständlichen Fall eine erhebliche Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit indiziert. Allerdings ist unter Heranziehung der nachstehenden höchstgerichtlichen Judikatur der qualifizierte Gefährdungsmaßstab des § 67 Abs. 1 fünfter Satz FPG („nachhaltige und maßgebliche Gefährdung der öffentlichen Sicherheit der Republik Österreich“) trotz der Schwere der von ihm zu verantwortenden Kriminalität nicht erfüllt, selbst wenn der besondere Unwert seiner mehrfach begangenen Gewaltdelikte berücksichtigt wird.

Mit der Bestimmung des § 67 Abs. 1 fünfter Satz FrPolG 2005 soll Art. 28 Abs. 3 lit. a der Unionsbürger-RL (§ 2 Abs. 4 Z 18 FrPolG 2005) umgesetzt werden, wozu der EuGH bereits judizierte, dass hierauf gestützte Maßnahmen auf „außergewöhnliche Umstände“ begrenzt sein sollen; es ist vorausgesetzt, dass die vom Betroffenen ausgehende Beeinträchtigung der öffentlichen Sicherheit einen „besonders hohen Schweregrad“ aufweist, was etwa bei bandenmäßigem Handeln mit Betäubungsmitteln der Fall sein kann (vgl. EuGH 23.11.2010, C-145/09; EuGH 22.5.2012, C-348/09, wo überdies darauf hingewiesen wurde, dass es „besonders schwerwiegende(r) Merkmale“ bedarf). Hat der Fremde „mehrfach Probezeiten bestanden“, ist er nunmehr erstmals wegen Suchtgifthandels und dem Überlassen und Anbieten von Suchtgift an Dritte verurteilt worden, wobei „kein professionell strukturierter Suchtgifthandel“ vorliegt, und ist er erstmals für längere Zeit in Haft gewesen, konnte bedingt entlassen werden und hat er vor, seine Drogensucht behandeln zu lassen, kann nicht von „außergewöhnlichen Umständen“ mit „besonders hohem Schweregrad“ bzw. von „besonders schwerwiegenden Merkmalen“ der vom Fremden begangenen Straftaten gesprochen werden (vgl. VwGH 22.08.2019, Ra 2019/21/0091).

Im gegenständlichen Fall handelt es sich um die insgesamt dritte strafgerichtliche Verurteilung des Beschwerdeführers. Die ersten beiden Verurteilungen stammen vom 23.05.2013 bzw. vom 04.07.2014. In diesen beiden Entscheidungen fanden die jeweiligen Strafgerichte mit der Verhängung einer Geldstrafe bzw. mit der Verhängung einer bedingten Freiheitsstrafe in der Dauer von zwei Monaten das Auslangen, wobei sich hierbei besonders das jugendliche Alter des Beschwerdeführers und dessen jeweiliges Geständnis zu seinen Gunsten auswirkten. Nach einer Wohlverhaltensphase von rund sechs Jahren erfolgte die nunmehr letztmalige Verurteilung. Besonders schwerwiegende Merkmale, wie beispielsweise ein professionell strukturiertes oder organisiertes Vorgehen lässt sich im gegenständlichen Fall nicht ableiten. Es ist des Weiteren auch zu berücksichtigen, dass das Strafgericht bei der nunmehrigen Verurteilung zwei Drittel der verhängten Freiheitsstrafen unter Setzung einer Probezeit bedingt nachgesehen hat. Somit kann trotz der erheblichen Delinquenz des Beschwerdeführers im gegenständlichen Fall noch nicht von „außergewöhnlichen Umständen“ mit „besonders hohem Schweregrad“ bzw. von „besonders schwerwiegenden Merkmalen“ der von ihm begangenen Straftaten gesprochen werden (vgl. VwGH 24.01.2019, Ra 2018/21/0248).

Nachdem zum Entscheidungszeitpunkt in Bezug auf das Verhalten des Beschwerdeführers keine nachhaltige und maßgebliche Gefährdung der öffentlichen Sicherheit der Republik Österreich durch seinen Verbleib im Bundesgebiet abgeleitet werden kann, ist die Erlassung eines Aufenthaltsverbots gegen ihn unzulässig. In weiterer Folge erübrigt sich eine Prüfung, ob ein etwaiger mit dem Aufenthaltsverbot verbundener Eingriff in sein Privat- und Familienleben verhältnismäßig wäre. Da die Voraussetzungen für die Erlassung eines Aufenthaltsverbots nicht vorliegen, ist der Bescheid ersatzlos zu beheben.

Dies bedingt auch den Entfall der darauf aufbauenden Spruchpunkte II. (Nichterteilung eines Durchsetzungsaufschubes) und III. (Aberkennung der aufschiebenden Wirkung) des angefochtenen Bescheides.

Sollte der Beschwerdeführer hinkünftig erneut straffällig werden, wird die belangte Behörde die Erlassung eines Aufenthaltsverbots gegen ihn neuerlich zu prüfen haben.

4. Zum Entfall einer mündlichen Verhandlung:

Da bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben ist, konnte gemäß § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG die Durchführung einer mündlichen Verhandlung entfallen.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. In der gegenständlichen Angelegenheit setzt sich das erkennende Gericht ausführlich mit der Thematik der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes in Folge eines über zehn Jahre andauernden rechtmäßigen Aufenthaltes (VwGH 22.08.2019, Ra 2019/21/0091; 24.01.2019, Ra 2018/21/0248) auseinander. Dabei weicht die der gegenständlichen Entscheidung zugrunde gelegte Rechtsprechung weder von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen.

Schlagworte

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European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:I422.2236458.1.00

Im RIS seit

28.01.2021

Zuletzt aktualisiert am

28.01.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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