TE Bvwg Beschluss 2020/9/10 I421 2234330-1

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Veröffentlicht am 10.09.2020
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Entscheidungsdatum

10.09.2020

Norm

AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §8
AVG §38
AVG §68 Abs1
BFA-VG §16 Abs2
BFA-VG §17 Abs1
B-VG Art133 Abs4
EMRK Art2
EMRK Art3
EMRK Art8
VwGVG §17
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §31 Abs1

Spruch

I421 2234330-1/2E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Martin STEINLECHNER als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX , alias XXXX , alias XXXX , alias XXXX , alias XXXX , alias XXXX , geb. XXXX , alias XXXX , alias XXXX , alias XXXX , alias XXXX , StA Marokko, vertreten durch die Diakonie Flüchtlingsdienst gem. GmbH ARGE Rechtsberatung, Wattgasse 48/ 3. Stock, 1170 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl, Erstaufnahmestelle West vom 10.08.2020, Zl. 398896900/200207864, beschlossen:

A)

I. Der Beschwerde wird gemäß § 17 Abs 1 BFA-VG die aufschiebende Wirkung zuerkannt.

II. Das Verfahren wird gemäß § 17 VwGVG iVm § 38 AVG bis zur Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes im Verfahren Ro 2019/14/0006 ausgesetzt.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Begründung:

I. Verfahrensgang:

Zu den vorherigen Asylverfahren:

1.       Der Beschwerdeführer (im Folgenden: BF) reiste illegal ins Bundesgebiet ein und stellte mit Datum 19.01.2007 seinen ersten Antrag auf internationalen Schutz, wobei er angab, den Namen XXXX zu tragen, am XXXX geboren zu sein und aus Marokko zu stammen. Befragt nach seinem Fluchtgrund gab der BF an, er sei aus wirtschaftlichen Gründen weggegangen. Sein Vater und die Stiefmutter hätten von ihm nichts mehr wissen wollen.

2.       Mit Bescheid des [damals] Bundesasylamtes zu Zl. 07 00.697-7-EAST-West vom 14.05.2007 wurde der Antrag des BF negativ entschieden, eine Rückkehrentscheidung gegen den BF erlassen und festgestellt, dass eine Abschiebung nach Marokko zulässig sei. Diese Entscheidung wurde seitens des [damals] Asylgerichtshofs vom 25.04.2008 bestätigt.

3.       Am 15.10.2014 stellte der BF einen Folgeantrag auf internationalen Schutz. Befragt nach seinen Fluchtgründen führte er aus, es würden dieselben Gründe wie im Jahr 2007 vorliegen. Der Mann, mit welchem sich der BF geschlagen habe, würde ihn umbringen. Überdies habe der BF keine Familie mehr in der Heimat. Im Zuge seiner niederschriftlichen Einvernahme vor der belangten Behörde am 01.03.2016 führte er aus, er habe an der Armutsgrenze gelebt und sei nach Europa verreist, nachdem sein Vater verstorben sei. Er habe keine Familie und kein Geld und habe deswegen seine Heimat verlassen. In Marokko sei er von jemanden bedroht worden, dies hätte im Jahr 2006 stattgefunden.

4.       Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: belangte Behörde, BFA) am 28.06.2017, Zl. 398896900-140070306/BMI-BFA_Tirol_RD, wurde der Folgeantrag des BF wegen entschiedener Sache zurückgewiesen, dem BF ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt, gegen den BF eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass die Abschiebung des BF nach Marokko zulässig sei. Dem BF wurde keine Frist für die freiwillige Ausreise gewährt, überdies wurde festgestellt, dass der BF sein Recht zum Aufenthalt im Bundesgebiet am 30.11.2015 verloren habe. Gegen den BF wurde ein auf die Dauer von neun Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen und einer Beschwerde gegen diese Entscheidung die aufschiebende Wirkung aberkannt. Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 05.12.2018 wurde die Dauer des gegen den BF erlassenen Einreiseverbots auf unbefristet geändert, ansonsten der Bescheid der belangten Behörde bestätigt.

Zum gegenständlichen Asylverfahren:

5.       Am 20.02.2020 stellte der BF einen weiteren Antrag auf internationalen Schutz. Im Rahmen der Erstbefragung vor den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes führte er aus, von einigen Männern in Marokko verfolgt zu werden, weswegen er Marokko habe verlassen müssen. Es seien immer noch dieselben Fluchtgründe. Er habe niemanden mehr in Marokko, da die Eltern verstorben seien und die Schwester des BF in Belgien lebe.

6.       Am 12.03.2020 wurde der BF niederschriftlich von der belangten Behörde einvernommen. Im Zuge der Einvernahme gab er an, er sei in Marokko in einer Moschee im Jahr 2007 von vier Marokkanern angegriffen worden, während er gebetet habe. Diese Männer hätten wollen, dass der BF keinen Alkohol und keine Drogen mehr zu sich nehme und öfters in die Moschee gehe. Der BF habe sich geweigert und sei verletzt worden. Diese Männer hätten nach ihm in Marokko gesucht. In seinem Erstverfahren habe der BF dies nicht vorgebracht, da er nicht über den Islam habe reden wollen.

7.       In seiner niederschriftlichen Einvernahme vom 18.03.2020 führte der BF vor der belangten Behörde erstmalig aus, homosexuell zu sein. Die islamischen Brüder hätten erfahren, dass der BF homosexuell sei und diesen gesehen. Dies habe im Jahr 2000 stattgefunden. In den Vorverfahren habe der BF diesen Umstand nicht mitgeteilt, weil er sich dafür geschämt habe. Dazu befragt, weshalb er auch im gegenständlichen Verfahren im Zuge der Erstbefragung oder der Einvernahme am 12.03.2020 diesbezüglich nichts gesagt habe, führte er aus, er habe es vergessen und sich auch dafür geschämt.

8.       Im Zuge dieser niederschriftlichen Einvernahme erging seitens der belangten Behörde im Anschluss die mündliche Bescheidverkündung hinsichtlich der Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes, da der nunmehrige Antrag auf internationalen Schutz voraussichtlich zurückzuweisen sei, da sich der BF auf Umstände stütze, die er bereits in seinen Vorverfahren vorgebracht habe und er die neu vorgebrachten Gründe in Zusammenhang mit dem Überfall im Jahr 2007 und seiner unglaubwürdigen Homosexualität im Jahr 2000 in den Vorverfahren wissentlich verschwiegen habe. Der BF sei seiner Mitwirkungspflicht nicht nachgekommen.

9.       Mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichtes vom 24.03.2020 wurde festgestellt, dass die Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes rechtmäßig ergangen ist.

10.      Mit Datum 17.05.2020 versuchte der BF neuerlich, einen Asylantrag gegenüber den Beamten des PAZ XXXX zu stellen, was nach Rücksprache mit der belangten Behörde jedoch aufgrund des noch laufenden Verfahrens nicht möglich war.

11.      Mit Bescheid der belangten Behörde vom 10.08.2020 zu Zl. 398896900/200207864 wurde der Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten (Spruchpunkt II.) wegen entschiedener Sache zurückgewiesen.

12.      Gegen diesen Bescheid erhob der BF durch seine Rechtsvertretung am 20.08.2020 fristgerecht Beschwerde. Dabei wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass die Fluchtgründe aus dem ersten Asylverfahren nach wie vor aufrecht seien und nunmehr neue Gründe vorliegen würden, aufgrund welcher der BF einen neuerlichen Asylantrag habe stellen müssen. In der Heimat des BF gebe es Personen, welche nach ihm suchen und ihn im Falle einer Rückkehr entführen oder gleich umbringen würden. Überdies sei der BF nun homosexuell. Der marokkanische Staat sei weder gewillt noch in der Lage, den BF zu schützen. Überdies habe sich der BF bemüht, sich zu integrieren und sei das Privat- und Familienleben nur unzureichend geprüft worden. Beantragt werde daher, das Bundesverwaltungsgericht möge das Verfahren zulassen und ein neuerliches Asylverfahren durchführen, eine mündliche Verhandlung zur Ermittlung des maßgeblichen Sachverhalts durchführen und Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheids beheben und die Sache an die belangte Behörde zur Durchführung eines inhaltlichen Verfahrens zurückverweisen.

13.      Mit Schriftsatz vom 20.08.2020, beim Bundesverwaltungsgericht eingelangt am 24.08.2020, legte die belangte Behörde die Beschwerde samt Verwaltungsakt vor.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Der in Punkt I. dargestellte Verfahrensgang wird festgestellt. Darüber hinaus werden nachstehende Feststellungen getroffen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers

Der BF ist volljährig, ledig, kinderlos, Staatsbürger von Marokko und hält sich seit (mindestens) 19.01.2007 in Österreich auf. Er bekennt sich zum muslimischen, sunnitischen Glauben und gehört der Volksgruppe der Araber an. Die Identität des BF steht fest.

Der BF ist gesund und arbeitsfähig.

In Österreich verfügt der BF über keine familiären Anknüpfungspunkte und befindet sich nicht in einer Beziehung oder Lebensgemeinschaft. Die Schwester des BF ist in Belgien aufhältig. Die Eltern des BF sind verstorben.

Es konnten keine maßgeblichen Anhaltspunkte für die Annahme einer hinreichenden Integration des BF in Österreich in sprachlicher, beruflicher und gesellschaftlicher Hinsicht festgestellt werden. Der BF bezieht keine Leistungen aus der Grundversorgung und spricht nur ein klein wenig Deutsch.

Der BF wurde im Bundesgebiet viermal strafrechtlich verurteilt:

01) LG XXXX vom 25.01.2008 RK 29.01.2008

PAR 15 127 130 (1. FALL) PAR 229/1 125 241 E/3 83/1 StGB

Datum der (letzten) Tat 09.10.2007

Freiheitsstrafe 9 Monate, bedingt, Probezeit 3 Jahre

Junge(r) Erwachsene(r)

Vollzugsdatum 15.05.2020

zu LG XXXX RK 29.01.2008

Bedingte Nachsicht der Strafe wird widerrufen

LG XXXX vom 27.05.2008

02) LG XXXX vom 27.05.2008 RK 17.07.2008

PAR 28 A/1 (5. FALL) 28/1 (1.2. FALL) 27 ABS 1/1 (1.2.8. FALL) SMG

PAR 125 126 ABS 1/5 126 ABS 1/7 83/1 84 ABS 2/1 127 229/1 241 E/3 StGB

PAR 27/2 SMG

PAR 105/1 15 106 ABS 1/1 PAR 288/1 15 12 StGB

Datum der (letzten) Tat 31.03.2008

Freiheitsstrafe 2 Jahre

Junge(r) Erwachsene(r)

Vollzugsdatum 15.05.2020

zu LG XXXX RK 17.07.2008

zu LG XXXX RK 29.01.2008

Aus der Freiheitsstrafe entlassen am 01.10.2009, bedingt, Probezeit 3 Jahre

Anordnung der Bewährungshilfe

LG XXXX vom 06.08.2009

zu LG XXXX RK 17.07.2008

zu LG XXXX RK 29.01.2008

Bedingte Entlassung aus der Freiheitsstrafe wird widerrufen

LG XXXX vom 02.09.2010

03) LG XXXX vom 02.09.2010 RK 10.03.2011

PAR 28 A/1 (5. FALL) 28 A ABS 2/1 28/1 (2. FALL) SMG

PAR 87/1 StGB

PAR 27 ABS 1/1 (1. FALL) 27 ABS 1/1 (2. FALL) SMG

Datum der (letzten) Tat 29.04.2010

Freiheitsstrafe 4 Jahre

Junge(r) Erwachsene(r)

Vollzugsdatum 15.05.2020

zu LG XXXX RK 10.03.2011

zu LG XXXX RK 17.07.2008

zu LG XXXX RK 29.01.2008

Aus der Freiheitsstrafe entlassen am 27.09.2014, bedingt, Probezeit 3 Jahre

LG XXXX vom 02.09.2014

zu LG XXXX RK 10.03.2011

zu LG XXXX RK 17.07.2008

zu LG XXXX RK 29.01.2008

Bedingte Entlassung aus der Freiheitsstrafe wird widerrufen

LG XXXX vom 30.11.2015

04) LG XXXX vom 30.11.2015 RK 25.02.2016

§ 229 (1) StGB

§§ 127, 131 1. Fall StGB § 15 StGB

§ 27 (1) Z 1 2. Fall SMG

§ 135 (1) StGB

§§ 27 (1) Z 1 8. Fall, 27 (3) SMG

§§ 297 (1) 1. Fall, 297 (1) 2. Fall StGB

§ 15 StGB § 105 (1) StGB

§§ 28 (1) 1. Satz 1. Fall, 28 (1) 1. Satz 2. Fall SMG

§ 83 (1) StGB

§ 241e (3) StGB

Datum der (letzten) Tat 11.06.2015
Freiheitsstrafe 3 Jahre 6 Monate

Insgesamt verbrachte der BF bis dato etwa 10 Jahre und 10 Monate in Strafhaft.

Der erste Antrag des BF auf internationalen Schutz vom 19.01.2007 wurde mit Bescheid des [damals] Bundesasylamtes vom 14.05.2007, Zl. 07 00.697-7-EAST-West, rechtskräftig seit 25.04.2008 mit Erkenntniserlassung des Asylgerichtshofs, abgewiesen.

Der zweite Antrag des BF auf internationalen Schutz vom 15.10.2014 wurde schließlich mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 05.12.2018 rechtskräftig zurückgewiesen und über den BF ein unbefristetes Einreiseverbot verhängt.

Festgestellt wird, dass der BF in seinem gegenständlichen, nunmehr dritten Antrag auf internationalen Schutz bzw. zweiten Folgeantrag vom 20.02.2020 erstmals im Zuge der niederschriftlichen Einvernahmen am 12.03.2020 und 18.03.2020 vorbrachte, im Jahr 2007 angegriffen worden und homosexuell zu sein.

Der aktuelle Aufenthalt des BF ist unbekannt, melderechtlich ist er seit 16.05.2020 nicht mehr im Bundesgebiet erfasst.

1.2. Zum Fluchtvorbringen

Im ersten, abgeschlossenen Asylverfahren brachte der BF zusammengefasst vor, er habe aus wirtschaftlichen Gründen Marokko verlassen und sei auf sich alleine gestellt.

Im Zuge seines abgeschlossenen Folgeantragsverfahren brachte er vor, den Antrag stelle er aus denselben Gründen wie im Jahr 2007 und der Mann, der den BF geschlagen habe, werde ihn umbringen.

Im gegenständlichen Asylverfahren brachte der BF vor, von vier Marokkanern in einer Moschee im Jahr 2007 angegriffen und verletzt worden zu sein. Zudem hätten diese islamischen Brüder erfahren, dass der BF homosexuell sei und ihn gesehen.

2. Beweiswürdigung:

Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgebenden Sachverhaltes wurden im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweise erhoben durch die Einsichtnahme in den Akt der belangten Behörde unter zentraler Berücksichtigung der niederschriftlichen Angaben des BF vor dieser und den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes, in den bekämpften Bescheid und in den Beschwerdeschriftsatz. Zudem wurde Einsicht genommen in die Vorakte des BF hinsichtlich dessen Asylverfahren.

2.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

Die Feststellungen zu der Volljährigkeit des BF, seiner Glaubens- und Volksgruppenzugehörigkeit sowie seiner Staatsangehörigkeit ergeben sich aus den unstrittigen und unbedenklichen Vorakteninhalten. Hinsichtlich Familienleben führte der BF selbst aus, keines zu haben und hinsichtlich seiner angeblichen Freundin (und der in diesem Zusammenhang von ihm behaupteten Schwangerschaft) im Jahr 2018 gelogen zu haben (Protokoll vom 12.03.2020, AS 65 f), weswegen die Feststellung getroffen werden konnte, dass der BF ledig und kinderlos ist. Aufgrund einer positiven Identifizierung seitens Marokko vom 23.05.2017 konnte die Identität und Staatsangehörigkeit des BF festgestellt werden.

Die Feststellungen zum Gesundheitszustand ergeben sich aus den Angaben des BF vor der belangten Behörde, wo er zur Frage, ob er an irgendwelchen schwerwiegenden Krankheiten leide oder Medikamente benötige, ausführte, er sei gesund (Protokoll vom 12.03.2020, AS 61). Aufgrund seines Gesundheitszustandes und der Tatsache, dass sich der BF im erwerbsfähigen Alter befindet, konnte auf dessen Arbeitsfähigkeit geschlossen werden und ergeben sich auch aus dem unstrittigen Verwaltungsakt keine gegenteiligen Hinweise.

Die Feststellung, wonach der BF in Österreich keine familiären Anknüpfungspunkte habe und sich in keiner Beziehung oder Lebensgemeinschaft befinde, ergibt sich aufgrund seiner Angaben vor der belangten Behörde in der Einvernahme vom 12.03.2020, wo er anführte, er habe keine Bindungen in Österreich (Protokoll vom 12.03.2020, AS 65). Hinsichtlich dem Aufenthalt der Schwester des BF in Belgien gilt es, auf die übereinstimmenden Angaben des BF im Rahmen der niederschriftlichen Einvernahmen zu verweisen (Protokoll vom 12.03.2020, AS 63; Protokoll vom 18.03.2020, AS 101). Dass die Eltern des BF verstorben sind, ergibt sich aus dem Vorakteninhalt.

Die Feststellungen zur fehlenden Integration des BF in Österreich beruhen auf dem Umstand, dass weder Bescheinigungsmittel vorgelegt, noch Angaben gemacht wurden, die eine hinreichende Integration in Österreich in sprachlicher, gesellschaftlicher und beruflicher Hinsicht annehmen lassen würden, zumal der BF auch etwa 10 Jahre und 10 Monate seit seiner Asylantragstellung am 19.07.2007 in Strafanstalten verbracht hat. Er spricht – wie er selbst in der Einvernahme vom 12.03.2020 ausführte – auch nur ein klein wenig Deutsch und legte keine (Deutsch-) Kursbesuchsbestätigung vor.

Die strafrechtlichen Verurteilungen des BF ergeben sich aus einer Abfrage des Strafregisters der Republik Österreich vom 25.08.2020. Aufgrund eines Auszuges aus dem Zentralen Melderegister zur Person des BF konnte die Feststellung zur aufsummierten Haftdauer getroffen werden.

Dass der BF keine Leistungen aus der staatlichen Grundversorgung bezieht, ergibt sich aus dem Speicherauszug aus dem Betreuungsinformationssystem vom 25.08.2020.

Die Feststellungen zu den vorangegangenen Asylverfahren und zur gegenständlichen Folgeantragstellung ergeben sich aus den unzweifelhaften und unstrittigen Vorakteninhalten.

Der Auszug aus dem Zentralen Melderegister zur Person des BF weist lediglich Eintragungen bis zum 15.05.2020 auf, weswegen die Feststellung zum unbekannten Aufenthalt des BF seit 16.05.2020 getroffen wurde.

2.2 Zu den Fluchtgründen

Die Feststellungen zu den vorgebrachten Fluchtgründen im ersten Asylverfahren ergeben sich unzweifelhaft aus dem Vorakteninhalt, ebenso hinsichtlich der Folgeantragstellung vom 15.10.2014.

Die Feststellung, dass der BF im gegenständlichen Asylverfahren vorbrachte, von vier Marokkanern in einer Moschee im Jahr 2007 angegriffen und verletzt worden zu sein und diese islamischen Brüder erfahren und gesehen hätten, dass der BF homosexuell sei, beruht auf den Ausführungen des BF vor der belangten Behörde (Protokoll vom 12.03.2020, AS 63; Protokoll vom 18.03.2020, AS 99).

3.       Rechtliche Beurteilung:

Zu A)

3.1.    Rechtslage

§ 16 Abs 2 BFA-VG lautet:

Einer Beschwerde gegen eine Entscheidung, mit der

1. ein Antrag auf internationalen Schutz zurückgewiesen wird und diese mit einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme verbunden ist,

2. ein Antrag auf internationalen Schutz zurückgewiesen wird und eine durchsetzbare Rückkehrentscheidung bereits besteht oder

3. eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 Abs 1 Z 2 FPG erlassen wird, sowie einem diesbezüglichen Vorlageantrag kommt die aufschiebende Wirkung nicht zu, es sei denn, sie wird vom Bundesverwaltungsgericht zuerkannt.

§ 17 BFA-VG lautet:

(1) Das Bundesverwaltungsgericht hat der Beschwerde gegen eine Entscheidung, mit der ein Antrag auf internationalen Schutz zurückgewiesen wird und

1. diese Zurückweisung mit einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme verbunden ist oder

2. eine durchsetzbare Rückkehrentscheidung bereits besteht

sowie der Beschwerde gegen eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 Abs 1 Z 2 FPG jeweils binnen einer Woche ab Vorlage der Beschwerde von Amts wegen durch Beschluss die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, wenn anzunehmen ist, dass eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in den Staat, in den die aufenthaltsbeendende Maßnahme lautet, eine reale Gefahr einer Verletzung von Art 2 EMRK, Art 3 EMRK, Art 8 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde. In der Beschwerde gegen den in der Hauptsache ergangenen Bescheid sind die Gründe, auf die sich die Behauptung des Vorliegens einer realen Gefahr oder einer ernsthaften Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit gemäß Satz 1 stützt, genau zu bezeichnen. § 38 VwGG gilt.

(2) Über eine Beschwerde gegen eine zurückweisende Entscheidung nach Abs 1 oder gegen eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 Abs 1 Z 2 FPG hat das Bundesverwaltungsgericht binnen acht Wochen zu entscheiden.

(3) Bei der Entscheidung, ob einer Beschwerde gegen eine Anordnung zur Außerlandesbringung die aufschiebende Wirkung zuerkannt wird, ist auch auf die unionsrechtlichen Grundsätze der Art 26 Abs 2 und 27 Abs 1 der Dublin-Verordnung und die Notwendigkeit der effektiven Umsetzung des Unionsrechtes Bedacht zu nehmen.

(4) Ein Ablauf der Frist nach Abs 1 steht der Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung nicht entgegen.“

§ 32 AVG lautet:

Sofern die Gesetze nicht anderes bestimmen, ist die Behörde berechtigt, im Ermittlungsverfahren auftauchende Vorfragen, die als Hauptfragen von anderen Verwaltungsbehörden oder von den Gerichten zu entscheiden wären, nach der über die maßgebenden Verhältnisse gewonnenen eigenen Anschauung zu beurteilen und diese Beurteilung ihrem Bescheid zugrunde zu legen. Sie kann aber auch das Verfahren bis zur rechtskräftigen Entscheidung der Vorfrage aussetzen, wenn die Vorfrage schon den Gegenstand eines anhängigen Verfahrens bei der zuständigen Verwaltungsbehörde bzw. beim zuständigen Gericht bildet oder ein solches Verfahren gleichzeitig anhängig gemacht wird.

3.2.    Anwendung auf den gegenständlichen Fall:

Die belangte Behörde begründete ihre Zurückweisung des Antrages damit, dass eine entschiedene Sache iSd § 68 AVG vorliege.

Generell wäre der Antrag nach der aktuellen Rechtslage bzw Rechtsprechung - unabhängig von der Frage der Glaubhaftmachung - wegen entschiedener Sache zurückzuweisen, da der BF bereits zum Zeitpunkt des ersten Asylverfahrens angegriffen und verletzt worden bzw. homosexuell gewesen wäre und er diesen Umstand nicht vorbrachte.

Nach österreichischem Recht kann eine rechtskräftig entschiedene Sache nicht neuerlich entschieden werden. Stellt ein Antragsteller in derselben Sache einen neuerlichen Antrag, ist eine inhaltliche Entscheidung darüber auch dann ausgeschlossen, wenn die Tatsachen und Beweismitteln, auf die sich der Antragsteller beruft, schon vor Abschluss des Erstverfahrens bestanden haben. Diese sind von der Rechtskraft der über den Erstantrag absprechenden Entscheidung erfasst (vgl. VwGH 28.2.2019, Ra 2019/01/0008 bis 0010, mwN). In so einem Fall kann ein Antragsteller nur die Wiederaufnahme des früheren Verfahrens begehren (VwGH 28.08.2019, Ra 2019/14/0091).

Diese Rechtslage gilt auch für wiederholte Anträge auf internationalen Schutz (sog. Folgeanträge). Das österreichische Asylrecht enthält insoweit keine Sonderregelungen.

Da der BF (schuldhaft) erst im zweiten Folgeantragsverfahren und nicht bereits im ersten Asylverfahren bzw. im Folgeantragsverfahren vorgebracht hat, homosexuell sowie angegriffen und verletzt worden zu sein, stellt sich die Frage, ob die inhaltliche Prüfung des gegenständlichen Folgeantrages abgelehnt werden kann, obwohl Österreich die Vorschriften des Art 40 Abs 2 und Abs 3 Verfahrensrichtlinie nicht ordnungsgemäß umgesetzt und infolge dessen auch nicht ausdrücklich von der in Art 40 Abs 4 Verfahrensrichtlinie eingeräumten Möglichkeit, eine Ausnahme von der inhaltlichen Prüfung des Folgeantrages vorsehen zu dürfen, Gebrauch gemacht hat.

In Zusammenhang mit dieser Rechtsfrage hat der Verwaltungsgerichtshof im Verfahren Ro 2019/14/0006 mit Beschluss vom 18.12.2019, ein Vorabentscheidungsersuchen an den Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) gestellt (EU 2019/0008), mit folgenden Vorlagefragen:

„1. Erfassen die in Art. 40 Abs. 2 und Abs. 3 der Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes (Neufassung), im Weiteren: Verfahrensrichtlinie, enthaltenen Wendungen "neue Elemente oder Erkenntnisse", die "zutage getreten oder vom Antragsteller vorgebracht worden sind", auch solche Umstände, die bereits vor rechtskräftigem Abschluss des früheren Asylverfahrens vorhanden waren?

Falls Frage 1. bejaht wird:

2. Ist es in jenem Fall, in dem neue Tatsachen oder Beweismittel hervorkommen, die im früheren Verfahren ohne Verschulden des Fremden nicht geltend gemacht werden konnten, ausreichend, dass es einem Asylwerber ermöglicht wird, die Wiederaufnahme eines rechtskräftig abgeschlossenen früheren Verfahrens verlangen zu können?

3. Darf die Behörde, wenn den Asylwerber ein Verschulden daran trifft, dass er das Vorbringen zu den neu geltend gemachten Gründen nicht bereits im früheren Asylverfahren erstattet hat, die inhaltliche Prüfung eines Folgeantrages infolge einer nationalen Norm, die einen im Verwaltungsverfahren allgemein geltenden Grundsatz festlegt, ablehnen, obwohl der Mitgliedstaat mangels Erlassung von Sondernormen die Vorschriften des Art. 40 Abs. 2 und Abs. 3 Verfahrensrichtlinie nicht ordnungsgemäß umgesetzt und infolge dessen auch nicht ausdrücklich von der in Art. 40 Abs. 4 Verfahrensrichtlinie eingeräumten Möglichkeit, eine Ausnahme von der inhaltlichen Prüfung des Folgeantrages vorsehen zu dürfen, Gebrauch gemacht hat?“

Dass § 38 AVG Anwendung bei Vorabentscheidungsersuchen an den Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) findet, wurde vom VwGH wiederholt judiziert (vgl VwGH 13.12.2011, 2011/22/0316). Der Ausgang des gegenständlichen Vorabentscheidungsverfahrens ist unmittelbar für die im gegenständlichen Verfahren zu treffende Rechtsfrage präjudiziell, weshalb das gegenständliche Verfahren bis zur Entscheidung durch den Verwaltungsgerichtshof im Verfahren Ro 2019/14/0006 – nach entsprechender Beantwortung der vorgelegten Fragen durch den Europäischen Gerichtshof – auszusetzen war.

Die aufschiebende Wirkung war der Beschwerde gemäß § 17 VwGVG aus folgenden Gründen zuzuerkennen: Es liegt eine Zurückweisung des (dritten) Antrages auf internationalen Schutz vor. Ohne eine meritorische Beurteilung der Frage der Asylrelevanz des Vorbringens des BF in seinem jetzigen Verfahren kann nicht von Vornherein ausgeschlossen werden, dass eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des BF in den Herkunftsstaat, eine reale Gefahr einer Verletzung von Art 2 EMRK, Art 3 EMRK, Art 8 EMRK oder der Protokolle Nr 6 oder Nr 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

In der Beschwerde wird nur vorgebracht, dass neue, relevante Fluchtgründe vorgebracht wurden und nur eine unzureichende Überprüfung der neuen Fluchtgründe erfolgt sei. Die Asylrelevanz des Vorbringens des BF sei gegeben oder zumindest plausibel und hätte somit das Verfahren zumindest zugelassen werden müssen, um die rechtliche Relevanz des neuen Vorbringens erneut ordentlich prüfen zu können.

Bis zur erfolgten Vorabentscheidung im Verfahren Ro 2019/14/0006 und dem Ausgang dieses Verfahrens ist – bis zur Fortsetzung dieses Verfahrens – die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, ohne eine meritorische Entscheidung zu treffen. Mit der Aussage, eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des BF in den Herkunftsstaat würde eine oder auch keine reale Gefahr einer Verletzung von Art 2 EMRK, Art 3 EMRK, Art 8 EMRK oder der Protokolle Nr 6 oder Nr 13 zur Konvention bedeuten oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen, erfolgt eine meritorische Prüfung des dem gegenständlichen Folgeantrag zugrundeliegenden Vorbringens, was jedoch die „Sache“ des gegenständlichen Verfahrens nach herrschender Rechtsprechung übersteigen würde. Hieran würde auch die Verneinung eines glaubhaften Kerns des nunmehrigen Vorbringens nichts ändern, weil gerade diese Fragestellung den Aussetzungsgrund betrifft.

Es waren daher die aufschiebende Wirkung nach § 17 Abs 1 BFA-VG und die Aussetzung des Verfahrens bis zur Entscheidung über das Vorabentscheidungsersuchen im Verfahren Ro 2019/14/0006, gemäß § 17 VwGVG iVm § 38 AVG auszusprechen.

Zu B)

Gemäß § 25a Abs 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art 133 Abs 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Schlagworte

Asylverfahren aufschiebende Wirkung Aussetzung Folgeantrag Privat- und Familienleben real risk reale Gefahr strafgerichtliche Verurteilung Strafhaft Vorabentscheidungsersuchen Vorfrage

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:I421.2234330.1.00

Im RIS seit

25.01.2021

Zuletzt aktualisiert am

25.01.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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