TE Bvwg Erkenntnis 2020/11/11 W139 2191824-1

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Veröffentlicht am 11.11.2020
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Entscheidungsdatum

11.11.2020

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §8 Abs1 Z1
AsylG 2005 §8 Abs4
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch

W139 2191824-1/34E

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Kristina HOFER als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 02.03.2018, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:

A)

I. Die Beschwerde wird hinsichtlich Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG iVm. § 3 Abs. 1 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.

II. Der Beschwerde hinsichtlich Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides wird gemäß § 28 Abs 1 und 2 VwGVG iVm § 8 Abs 1 Z 1 AsylG 2005 stattgegeben und dem Beschwerdeführer der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan zuerkannt.

III. Gem. § 8 Abs. 4 AsylG 2005 wird dem Beschwerdeführer eine befristete Aufenthaltsberechtigung für die Dauer von einem Jahr erteilt.

IV. In Erledigung der Beschwerde werden die Spruchpunkte III. bis VI. des angefochtenen Bescheides ersatzlos behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1.       Der Beschwerdeführer, ein afghanischer Staatsangehöriger und Angehöriger der Volksgruppe der Tadschiken, reiste in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am 13.02.2016 einen Antrag auf internationalen Schutz.

2.       In seiner Erstbefragung am 14.02.2016 durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes, gab der Beschwerdeführer zu seinem Fluchtgrund an, er habe sein Herkunftsland verlassen, weil in Afghanistan Krieg herrsche und es dort keine Sicherheit gebe. Er gab an in einem sicheren Land leben zu wollen, und bei einer Rückkehr ihn sein Heimatland zu befürchten, im Krieg getötet zu werden.

3.       Mit Verfahrensanordnung stellte die belangte Behörde am 16.07.2016 fest, dass es sich bei dem Beschwerdeführer um eine volljährige Person handelt und setzte, nachdem der Beschwerdeführer einer Altersfeststellung unterzogen wurde, den XXXX als Geburtsdatum für das Mindestalter fest.

4.       Am 17.10.2016 wurde der Beschwerdeführer im Zuge des Zulassungsverfahrens niederschriftlich einvernommen. Er gab an, er sei mit seiner Schwester und deren Sohn gemeinsam nach Österreich eingereist. Er beschrieb seine Erlebnisse, die er auf der Reise nach Österreich, in Kroatien machte. Er legte medizinische Befunde vor.

5.       Am 21.10.2016 langte bei der belangten Behörde ein Unterstützungsschreiben ein.

6.       Mit Bescheid vom 24.10.2016, wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers auf Zuerkennung des Status des Asylberechtigten, ohne in die Sache einzutreten gemäß § 5 Absatz 1 AsylG 2005, als unzulässig zurück und stellte die Zuständigkeit Kroatiens für die Prüfung des Antrages auf internationalen Schutz gemäß Artikel DB III: AN Art 13 (1) iVm Art 22 (7) der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates fest (Spruchpunkt I.). Die Anordnung der Außerlandesbringung wurde gegen den Beschwerdeführer gemäß § 61 Absatz 1 Ziffer 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 angeordnet, und festgestellt, dass seine Abschiebung gemäß § 61 Absatz 2 FPG zulässig ist.

7.       Mit Verfahrensanordnung vom 24.10.2016 wurde dem Beschwerdeführer ein Rechtsberater für das Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht zur Seite gestellt.

8.       Am 04.11.2016 brachte der Beschwerdeführer – fristgerecht – Beschwerde gegen beide Spruchpunkte des genannten Bescheides ein. Er beantragte die Zulassung des Asylverfahrens in Österreich, und die aufschiebende Wirkung gem. § 17 Abs. 1 BFA-VG. Zudem legte er ein Unterstützungsschreiben sowie diverse Fotos zu seinen Integrationsbemühungen vor.

9.       Mit Beschluss des erkennenden Gerichtes vom 06.12.2016 (W233 2139958-1/3E) wurde der Beschwerde gemäß § 21 Abs. 3 zweiter Satz BFA-VG stattgegeben und der bekämpfte Bescheid behoben.

10.      Bei seiner zweiten niederschriftlichen Einvernahme vor der belangten Behörde am 08.02.2018 gab der Beschwerdeführer im Wesentlichen an, er habe Afghanistan XXXX aufgrund des Krieges und der Taliban und des IS verlassen. Die Zustände in seinem Dorf seien aufgrund des Einflusses der Taliban sehr schlecht gewesen, und so hätten die Schwester und der Vater des Beschwerdeführers beschlossen, dass der Beschwerdeführer mit XXXX nach Europa flüchten soll. Nachgefragt gab der Beschwerdeführer an, die anderen Dorfbewohner hätten auch Angst gehabt, hätten aber ganz normal weitergelebt, niemand habe sich versteckt. Würde er nach Afghanistan zurückkehren, hätte er Angst wegen des Krieges, der Taliban und des IS. Der Beschwerdeführer gab an, zu befürchten, bei einer Rückkehr nach Afghanistan, mit den Taliban kooperieren zu müssen und sein Leben zu verlieren. Er hätte keinen persönlichen Kontakt mit den Taliban gehabt. Er sei aus Afghanistan geflüchtet, weil XXXX .

11.      Mit dem angefochtenen Bescheid vom 02.03.2018, der dem Beschwerdeführer am 12.03.2018 zugestellt wurde, wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers gemäß § 3 Abs. 1 sowie § 8 Abs. 1 AsylG 2005 ab (Spruchpunkte I. und II.), erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG 2005 (Spruchpunkt III.), erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG 2005 (Spruchpunkt IV.), stellte fest, dass seine Abschiebung nach Afghanistan gemäß § 52 Abs. 9 FPG 2005 zulässig sei (Spruchpunkt V.), und die Frist für seine freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt VI.).

Zur Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten führte die belangte Behörde aus, dass nicht festgestellt werden könne, dass der Beschwerdeführer in Afghanistan verfolgt werden würde, oder einem Rekrutierungsversuch durch die Taliban ausgesetzt gewesen wäre. Er habe seine Herkunftsprovinz aufgrund der Sicherheitslage bzw. aus wirtschaftlichen Gründen verlassen. Eine Verfolgung aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung habe nicht festgestellt werden können.

Zur Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten wurde angeführt, dass im Falle einer Rückkehr eine Gefährdung im Sinne der Art. 2 und Art. 3 EMRK nicht gegeben seien, und der Beschwerdeführer seinen Lebensunterhalt durch Arbeitsaufnahme bestreiten könne. Der Beschwerdeführer verfüge über eine Familie in Afghanistan und könne bei einer Rückkehr jederzeit Unterstützung bekommen, außerdem sei die Sicherheitslage in Kabul ausreichend sicher.

12.      Mit Verfahrensanordnung vom 07.03.2018 wurde dem Beschwerdeführer ein Rechtsberater für das Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht zur Seite gestellt.

13.      Am 03.04.2018 brachte der Beschwerdeführer – fristgerecht – Beschwerde gegen den genannten Bescheid ein. Er beantragte die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten, in eventu die Behebung des angefochtenen Bescheides und die Zurückverweisung, in eventu die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten, in eventu die Zuerkennung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen, sowie die Aufhebung der ausgesprochenen Ausweisung und Rückkehrentscheidung, und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung. In der Beschwerde wurde vorgebracht, der Beschwerdeführer würde wegen einer drohenden Zwangsrekrutierung, in von Taliban kontrollierten Gebieten, verfolgt werden. Im Falle der Abschiebung nach Afghanistan würde ihm eine reale Verletzung von Art.2 und 3 EMRK drohen. Außerdem brachte der Beschwerdeführer vor, er hätte seit seiner Ausreise aus Afghanistan keinen Kontakt mehr zu seiner dortigen Familie.

14.      Mit am 17.04.2019 eingelangtem Schreiben legte die belangte Behörde einen klinisch Psychologischen Befund XXXX , über den Beschwerdeführer vor.

15.      Mit am 30.04.2019 eingelangtem Schreiben legte der Beschwerdeführer eine Vollmachtsbekanntgabe vor, und stellte einen Antrag auf Gewährung von Akteneinsicht in den Asylakt seiner Schwester.

16.      Mit Schreiben vom 18.06.2019 wurde dem Beschwerdeführer und der belangten Behörde durch das erkennende Gericht eine Kurzinformation der Staatendokumentation vom 04.06.2019 übermittelt.

17.      Mit am 06.09.2019 eingelangtem Schreiben brachte der Beschwerdeführer eine psychotherapeutische Stellungnahme vom XXXX , einen Arztbrief XXXX ein, und stellte einen Antrag auf zwei Zeugenvernehmungen.

18.      Am 04.11.2019 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung unter Beisein einer Dolmetscherin für die Sprache Dari statt, bei welcher der Beschwerdeführer, im Beisein seines Rechtsvertreters, einvernommen wurde. Neben einem Vertreter der belangten Behörde, waren als geladene Zeugin die Schwester des Beschwerdeführers und eine Vertrauensperson des Beschwerdeführers als weitere Zeugin anwesend. In Ergänzung der bereits aktenkundigen Unterlagen wurde vom Beschwerdeführer ein Schriftverkehr bezüglich des Wohnsitzes des Beschwerdeführers vorgelegt.

Im Rahmen der Verhandlung wurde der Beschwerdeführer u.a. ausführlich zu seiner Identität und Herkunft, seiner Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit, seinen persönlichen Verhältnissen und seinem Leben in Afghanistan und im Iran, seinen Familienangehörigen und seinen Fluchtgründen befragt.

19.      Das erkennende Gericht brachte Erkenntnisquellen zum Herkunftsstaat des Beschwerdeführers in das Verfahren ein: eine Anfragebeantwortung der Staatendokumentation Afghanistan zu IgA-Vaskulitis, posttraumatische Belastungsstörung vom 25. April 2019, eine Anfragebeantwortung der Staatendokumentation Afghanistan zu posttraumatische Belastungsstörung in Kabul und Kunduz vom 4. September 2018, sowie eine Anfragebeantwortung der Staatendokumentation Afghanistan zu Selbstmord/Suizid und dessen Behandlung in Afghanistan vom 1. Dezember 2017. Auf die UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 30.08.2018 sowie auf die Anmerkungen von UNHCR zur Situation in Afghanistan auf Anfrage des deutschen Bundesministeriums des Innern vom Dezember 2016 wurde verwiesen.

20.      Mit Schreiben vom 05.11.2019 brachte das erkennende Gericht eine weitere Erkenntnisquelle zum Herkunftsstaat des Beschwerdeführers in das Verfahren ein, und gab den Verfahrensparteien die Möglichkeit zur Stellungnahme: einen Auszug aus einer gutachterlichen Stellungnahme von Dr. Rasuly im Verfahren W151 2118522-1 in der Verhandlung am 10.03.2016.

21.      Mit am 15.11.2019 eingelangtem Schreiben brachte der Beschwerdeführer innerhalb offener Frist eine Stellungnahme zu den durch das erkennende Gericht in das Verfahren eingebrachten Erkenntnisquellen ein, und legte selbst Unterlagen zur Lage im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers vor: EASO Country Guidance Afghanistan, Übersetzung Innerstaatliche Schutzalternative, einen Presseartikel vom 02.06.2019, ein Gutachten zu Afghanistan von Friederike Stahlmann vom 28.03.2018, und den EASO Country of Origin Information Report zu Afghanistan vom Dezember 2017.Mit Schreiben vom 20.11.2019 brachte das erkennende Gericht eine weitere Erkenntnisquelle zum Herkunftsstaat des Beschwerdeführers in das Verfahren ein, und gab den Verfahrensparteien die Möglichkeit zur Stellungnahme: eine Kurzinformation der Staatendokumentation vom 13.11.2019.

22.      Mit Schreiben vom 13.10.2020 brachte das erkennende Gericht eine weitere Erkenntnisquelle in das Verfahren ein: Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Afghanistan, Stand 13.11.2019 mit aktueller Kurzinformation vom 21.07.2020, übermittelte diese an die Parteien und gab die Möglichkeit zu einer schriftlichen Stellungnahme.

23.      Mit Schriftsatz vom 26.10.2020 brachte der Beschwerdeführer innerhalb offener Frist eine Stellungnahme zu den durch das erkennende Gericht in das Verfahren eingebrachten Erkenntnisquellen ein und verwies dabei insbesondere auch auf die gravierenden Folgen der Corona-Pandemie. Der Beschwerdeführer legte überdies selbst Unterlagen zur Lage im Herkunftsstaat vor: Beitrag von Friederike Stahlmann vom 27.03.2020; Auszug aus World Bank Group, „Surviving the Storm“, Afghanistan Development Update July 2020.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen (Sachverhalt):

1.1. Zum Beschwerdeführer:

1.1.1 Zur Person des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer führt den Namen XXXX . Er ist Staatsangehöriger von Afghanistan, gehört der Volksgruppe der Tadschiken an und ist sunnitischer Moslem. Seine Muttersprache ist Dari beziehungsweise Farsi. Er ist nicht verheiratet, und hat keine Kinder.

Der Beschwerdeführer wurde am XXXX geboren und stammt aus dem Dorf XXXX im Bezirk XXXX , in der Provinz XXXX in Afghanistan, wo er gemeinsam mit seiner Familie bis zu seinem XXXX Lebensjahr gelebt hat. Seine Familie verließ Afghanistan sodann wegen des Krieges und zog in den Iran, in die Stadt XXXX , von wo aus der Beschwerdeführer Richtung Europa ausgereist ist.

Die Familie des Beschwerdeführers bestand neben ihm, aus seinen zwei Brüdern, zwei Schwestern, seinem Vater und seiner Mutter. Der Vater arbeitete als Hilfsarbeiter auf Baustellen und die zwei Brüder arbeiteten in einem Produktionsunternehmen für Kraftfahrzeuge, so versorgten sie die Familie.

XXXX .

Im Jahr XXXX lebte der Beschwerdeführer für XXXX in Afghanistan bei seinen Cousins mütterlicherseits. Die Mutter des Beschwerdeführers verstarb im Jahr XXXX .

Der Beschwerdeführer besuchte nie die Schule und ist Analphabet. Er kann nach wie vor nicht Lesen oder Schreiben. Der Beschwerdeführer hat keinerlei Berufserfahrung. XXXX

XXXX verließ der Beschwerdeführer gemeinsam mit seiner ca. sieben Jahre älteren Schwester, XXXX und deren Sohn den Iran, und stellte am 13.10.2015 in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz.

Der Beschwerdeführer hat in Österreich kaum Kontakt zu seiner Schwester, aber regelmäßigen Kontakt zu seinem Neffen.

Der Vater und die zwei Brüder sowie die zweite Schwester des Beschwerdeführers leben nach wie vor im Iran, in XXXX . Sie leben von dem Einkommen der beiden Brüder. Der Beschwerdeführer hat seit längerer Zeit keinen Kontakt zu seinem Vater. Zu seinen Brüdern und seiner Schwägerin hat er monatlich Kontakt. Zu seinen Cousins mütterlicherseits, und seiner Tante in Afghanistan hat der Beschwerdeführer seit längerer Zeit keinen Kontakt mehr.

Zum Gesundheitszustand des Beschwerdeführers wurde am XXXX in einem klinisch Psychologischen Befund die Diagnose „ XXXX “ erstellt. XXXX . Er wurde anschließend XXXX operiert. XXXX befand sich der Beschwerdeführer in Behandlung in der psychiatrischen und psychotherapeutischen Abteilung im Krankenhaus XXXX

Seit XXXX befindet sich der Beschwerdeführer in psychotherapeutischer Betreuung, die in 14-tägigem Rhythmus stattfindet. Der Beschwerdeführer leidet an Flashbacks, sich wiederholenden Träumen, innerer Bedrängnis in Situationen, die der Belastung ähneln oder mit ihr in Zusammenhang stehen. Er kann sich teilweise nicht mehr an einige wichtige Aspekte der Belastungen erinnern. Ort und Zeit sind für ihn nicht mehr in der richtigen Reihenfolge abrufbar. Er leidet an einer XXXX

Im Fall einer Rückkehr nach Afghanistan ist mit einer massiven suizidalen Krise zu rechnen.

XXXX .

Ansonsten ist der Beschwerdeführer gesund. Er hat keine Vorerkrankungen und gehört keiner Risikogruppe für einen schweren Verlauf einer COVID-19 Erkrankung an.

Aufgrund seiner psychischen Erkrankung ist der Beschwerdeführer nur eingeschränkt arbeitsfähig.

Der Beschwerdeführer ist in Österreich strafrechtlich unbescholten.

1.1.2   Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer wurde weder von den Taliban entführt noch festgehalten oder von diesen bedroht. Der Beschwerdeführer hatte keinen Kontakt zu den Taliban, er wird von diesen auch nicht gesucht.

Der Beschwerdeführer wurde weder direkt von den Taliban noch über seine Familienangehörigen im Iran oder in Afghanistan aufgefordert, mit den Taliban zusammen zu arbeiten oder diese zu unterstützen. Der Beschwerdeführer wurde von den Taliban weder angesprochen noch angeworben. Er hatte in Afghanistan keinen Kontakt zu den Taliban und es fand kein Versuch einer Zwangsrekrutierung statt.

Der Beschwerdeführer war in Afghanistan wegen seiner Volksgruppenzugehörigkeit zu den Tadschiken und wegen seiner Religionszugehörigkeit zu den Sunniten konkret und individuell weder physischer noch psychischer Gewalt ausgesetzt.

Der Beschwerdeführer ist derzeit wenig religiös interessiert. Er betet und fastet aktuell nicht. Schon in Afghanistan hat er seine Religion nicht streng ausgeübt und selten gebetet und gefastet XXXX . Er ist bisher nicht vom Islam abgefallen, und er ist immer noch sunnitischer Moslem. Er tritt auch nicht spezifisch gegen den Islam oder gar religionsfeindlich auf.

XXXX .

Dem Beschwerdeführer droht bei einer Neuansiedlung in Afghanistan keine konkret gegen ihn gerichtete, individuelle physische oder psychische Gewalt.

Bei einer Rückkehr nach Afghanistan drohen dem Beschwerdeführer individuell und konkret weder Lebensgefahr noch ein Eingriff in seine körperliche Integrität durch Mitglieder der Taliban oder durch andere Personen. Bei einer Rückkehr nach Afghanistan droht dem Beschwerdeführer auch keine Zwangsrekrutierung durch die Taliban oder durch andere Personen. Dem Beschwerdeführer droht bei einer Rückkehr nach Afghanistan wegen seiner Zugehörigkeit zur Religionsgemeinschaft der Sunniten oder zur Volksgruppe der Tadschiken konkret und individuell weder physische noch psychische Gewalt. Der Beschwerdeführer ist bei einer Rückkehr nach Afghanistan aufgrund seines in Österreich ausgeübten Lebensstils oder seinem Aufenthalt in einem europäischen Land weder psychischer noch physischer Gewalt ausgesetzt.

Im Ergebnis kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer im Fall einer Rückkehr nach Afghanistan mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine gegen ihn gerichtete Verfolgung oder Bedrohung durch staatliche Organe oder durch Private, sei es vor dem Hintergrund seiner ethnischen Zugehörigkeit, seiner Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Gesinnung (oder aus anderen Gründen) zu erwarten hätte.

1.1.3. Zum Leben des Beschwerdeführers in Österreich

Der Beschwerdeführer verfügt in Österreich über soziale Anknüpfungspunkte. Er ist zwar in einem Flüchtlingsheim wohnhaft, verbringt aber die meiste Zeit bei einer österreichischen Familie, die der Beschwerdeführer als “Mutter” und “Vater” bezeichnet. Der Beschwerdeführer und dieses Ehepaar pflegen ein sehr familiäres Verhältnis. De facto verbringt der Beschwerdeführer seit ca. drei Jahren die meiste Zeit bei dieser Familie. Sie sehen ihn als ihren „Sohn“ an und haben auch versucht, ihn zu adoptieren. Er hat durch die Familie, bei der er lebt, einen großen Freundes- und Bekanntenkreis. Der Beschwerdeführer besucht einen Alphabetisierungskurs sowie einen Deutschkurs.

1.1.4. Zu seinen Rückkehrmöglichkeiten nach Afghanistan:

Dem Beschwerdeführer könnte bei einer Rückkehr in seine Herkunftsprovinz aufgrund der dort herrschenden allgemeinen schlechten Sicherheitslage mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit ein Eingriff in seine körperliche Unversehrtheit drohen.

Dem Beschwerdeführer ist auch eine Neuansiedlung in einer anderen Region Afghanistans, etwa in den Städten Herat oder Mazar-e Sharif, aufgrund seiner individuellen Umstände und Merkmale in Verbindung mit der aktuell wegen der COVID-19-Pandemie angespannten Beschäftigungs-, Wohn- und Versorgungsituation derzeit nicht zumutbar.

Der Beschwerdeführer ist Analphabet, weist keinerlei Schulbildung vor, und hat de facto keine Berufserfahrung. Der Beschwerdeführer ist im Iran aufgewachsen, und verbrachte insgesamt nur seine ersten XXXX Lebensjahre, und dann später mit XXXX Jahren weitere sechs Monate in Afghanistan. Die meiste Zeit seines Lebens verbrachte er im Iran. Er hat keine familiären oder sonstigen sozialen Kontakte in Afghanistan und kann mit keiner Unterstützung seiner Familie im Iran rechnen.

Der Beschwerdeführer ist psychisch labil und befindet sich in psychotherapeutischer Betreuung, weshalb nicht gewährt werden kann, dass er selbst für sein Auskommen und Fortkommen sorgen wird können.

Ohne familiäre Unterstützung hat der Beschwerdeführer keinen Zugang zu psychologischer Betreuung oder einem stationären Krankenhausaufenthalt in Afghanistan.

Bei einer Rückkehr nach Afghanistan kann aufgrund der oben dargelegten individuellen und nachfolgend dargelegten allgemeinen Situation im Herkunftsstaat nicht davon ausgegangen werden, dass es dem Beschwerdeführer möglich ist, nach allfälligen anfänglichen Schwierigkeiten in Afghanistan bei einer Neuansiedlung – und sei es auch in Mazar-e Sharif oder Herat (Stadt) – Fuß zu fassen und ein Leben ohne unbillige Härten zu führen, wie es auch andere Landsleute führen können. Bei einer dortigen Ansiedlung liefe der Beschwerdeführer vielmehr Gefahr, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft nicht befriedigen zu können und in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten.

1.2. Zur maßgeblichen Situation in Afghanistan:

Im Verfahren wurden folgende Quellen zum Herkunftsstaat des Beschwerdeführers herangezogen:

?        Auszüge aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Afghanistan, Stand 13.11.2019 mit aktueller Kurzinformation vom 21.07.2020

?        UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender, 30. August 2018

?        EASO Country Guidance: Afghanistan, Guidance note and common analysis, Juni 2019

1.2.1. Länderspezifische Anmerkungen COVID-19 (aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation):

„Stand 21.07.2020

Das genaue Ausmaß der COVID-19-Krise in Afghanistan ist unbekannt. Die hier gesammelten Informationen sollen die Lage zu COVID-19 in Afghanistan zum Zeitpunkt der Berichtserstellung wiedergeben. Diese Informationen werden in regelmäßigen Abständen aktualisiert.

Aktueller Stand der COVID-19 Krise in Afghanistan

Berichten zufolge, haben sich in Afghanistan mehr als 35.000 Menschen mit COVID-19 angesteckt (WHO 20.7.2020; vgl. JHU 20.7.2020, OCHA 16.7.2020), mehr als 1.280 sind daran gestorben. Aufgrund der begrenzten Ressourcen des öffentlichen Gesundheitswesens und der begrenzten Testkapazitäten sowie des Fehlens eines nationalen Sterberegisters werden bestätigte Fälle von und Todesfälle durch COVID-19 in Afghanistan wahrscheinlich insgesamt zu wenig gemeldet (OCHA 16.7.2020; vgl. DS 19.7.2020). 10 Prozent der insgesamt bestätigten COVID-19-Fälle entfallen auf das Gesundheitspersonal. Kabul ist hinsichtlich der bestätigten Fälle nach wie vor der am stärksten betroffene Teil des Landes, gefolgt von den Provinzen Herat, Balkh, Nangarhar und Kandahar (OCHA 15.7.2020). Beamte in der Provinz Herat sagten, dass der Strom afghanischer Flüchtlinge, die aus dem Iran zurückkehren, und die Nachlässigkeit der Menschen, die Gesundheitsrichtlinien zu befolgen, die Möglichkeit einer neuen Welle des Virus erhöht haben, und dass diese in einigen Gebieten bereits begonnen hätte (TN 14.7.2020). Am 18.7.2020 wurde mit 60 neuen COVID-19 Fällen der niedrigste tägliche Anstieg seit drei Monaten verzeichnet – wobei an diesem Tag landesweit nur 194 Tests durchgeführt wurden (AnA 18.7.2020).

Krankenhäuser und Kliniken berichten weiterhin über Probleme bei der Aufrechterhaltung oder Erweiterung der Kapazität ihrer Einrichtungen zur Behandlung von Patienten mit COVID-19. Diese Herausforderungen stehen im Zusammenhang mit der Bereitstellung von persönlicher Schutzausrüstung (PSA), Testkits und medizinischem Material sowie mit der begrenzten Anzahl geschulter Mitarbeiter - noch verschärft durch die Zahl des erkrankten Gesundheitspersonals. Es besteht nach wie vor ein dringender Bedarf an mehr Laborequipment sowie an der Stärkung der personellen Kapazitäten und der operativen Unterstützung (OCHA 16.7.2020, vgl. BBC-News 30.6.2020).

Maßnahmen der afghanischen Regierung und internationale Hilfe

Die landesweiten Sperrmaßnahmen der Regierung Afghanistans bleiben in Kraft. Universitäten und Schulen bleiben weiterhin geschlossen (OCHA 8.7.2020; vgl. RA KBL 16.7.2020). Die Regierung Afghanistans gab am 6.6.2020 bekannt, dass sie die landesweite Abriegelung um drei weitere Monate verlängern und neue Gesundheitsrichtlinien für die Bürger herausgeben werde. Darüber hinaus hat die Regierung die Schließung von Schulen um weitere drei Monate bis Ende August verlängert (OCHA 8.7.2020).

Berichten zufolge werden die Vorgaben der Regierung nicht befolgt, und die Durchsetzung war nachsichtig (OCHA 16.7.2020, vgl. TN 12.7.2020). Die Maßnahmen zur Eindämmung der Ausbreitung des Virus unterscheiden sich weiterhin von Provinz zu Provinz, in denen die lokalen Behörden über die Umsetzung der Maßnahmen entscheiden. Zwar behindern die Sperrmaßnahmen der Provinzen weiterhin periodisch die Bewegung der humanitären Helfer, doch hat sich die Situation in den letzten Wochen deutlich verbessert, und es wurden weniger Behinderungen gemeldet (OCHA 15.7.2020).

Einwohner Kabuls und eine Reihe von Ärzten stellten am 18.7.2020 die Art und Weise in Frage, wie das afghanische Gesundheitsministerium (MoPH) mit der Ausbreitung der COVID-19-Pandemie im Land umgegangen ist, und sagten, das Gesundheitsministerium habe es trotz massiver internationaler Gelder versäumt, richtig auf die Pandemie zu reagieren (TN 18.7.2020). Es gibt Berichte wonach die Bürger angeben, dass sie ihr Vertrauen in öffentliche Krankenhäuser verloren haben und niemand mehr in öffentliche Krankenhäuser geht, um Tests oder Behandlungen durchzuführen (TN 12.7.2020).

Beamte des afghanischen Gesundheitsministeriums erklärten, dass die Zahl der aktiven Fälle von COVID-19 in den Städten zurückgegangen ist, die Pandemie in den Dörfern und in den abgelegenen Regionen des Landes jedoch zunimmt. Der Gesundheitsminister gab an, dass 500 Beatmungsgeräte aus Deutschland angekauft wurden und 106 davon in den Provinzen verteilt werden würden (TN 18.7.2020).

Am Samstag den 18.7.2020 kündete die afghanische Regierung den Start des Dastarkhan-e-Milli-Programms als Teil ihrer Bemühungen an, Haushalten inmitten der COVID-19-Pandemie zu helfen, die sich in wirtschaftlicher Not befinden. Auf der Grundlage des Programms will die Regierung in der ersten Phase 86 Millionen Dollar und dann in der zweiten Phase 158 Millionen Dollar bereitstellen, um Menschen im ganzen Land mit Nahrungsmitteln zu versorgen. Die erste Phase soll über 1,7 Millionen Familien in 13.000 Dörfern in 34 Provinzen des Landes abdecken (TN 18.7.2020; vgl. Mangalorean 19.7.2020).

Die Weltbank genehmigte am 15.7.2020 einen Zuschuss in Höhe von 200 Millionen US-Dollar, um Afghanistan dabei zu unterstützen, die Auswirkungen von COVID-19 zu mildern und gefährdeten Menschen und Unternehmen Hilfe zu leisten (WB 10.7.2020; vgl. AN 10.7.2020).

Auszugsweise Lage in den Provinzen Afghanistans

Dieselben Maßnahmen – nämlich Einschränkungen und Begrenzungen der täglichen Aktivitäten, des Geschäftslebens und des gesellschaftlichen Lebens – werden in allen folgend angeführten Provinzen durchgeführt. Die Regierung hat eine Reihe verbindlicher gesundheitlicher und sozialer Distanzierungsmaßnahmen eingeführt, wie z.B. das obligatorische Tragen von Gesichtsmasken an öffentlichen Orten, das Einhalten eines Sicherheitsabstandes von zwei Metern in der Öffentlichkeit und ein Verbot von Versammlungen mit mehr als zehn Personen. Öffentliche und touristische Plätze, Parks, Sportanlagen, Schulen, Universitäten und Bildungseinrichtungen sind geschlossen; die Dienstzeiten im privaten und öffentlichen Sektor sind auf 6 Stunden pro Tag beschränkt und die Beschäftigten werden in zwei ungerade und gerade Tagesschichten eingeteilt (RA KBL 16.7.2020; vgl. OCHA 8.7.2020).

Die meisten Hotels, Teehäuser und ähnliche Orte sind aufgrund der COVID-19 Maßnahmen geschlossen, es sei denn, sie wurden geheim und unbemerkt von staatlichen Stellen geöffnet (RA KBL 16.7.2020; vgl. OCHA 8.7.2020).

In der Provinz Kabul gibt es zwei öffentliche Krankenhäuser die COVID-19 Patienten behandeln mit 200 bzw. 100 Betten. Aufgrund der hohen Anzahl von COVID-19-Fällen im Land und der unzureichenden Kapazität der öffentlichen Krankenhäuser hat die Regierung kürzlich auch privaten Krankenhäusern die Behandlung von COVID-19-Patienten gestattet. Kabul sieht sich aufgrund von Regen- und Schneemangel, einer boomenden Bevölkerung und verschwenderischem Wasserverbrauch mit Wasserknappheit konfrontiert. Außerdem leben immer noch rund 12 Prozent der Menschen in Kabul unter der Armutsgrenze, was bedeutet, dass oftmals ein erschwerter Zugang zu Wasser besteht (RA KBL 16.7.2020; WHO o.D).

In der Provinz Balkh gibt es ein Krankenhaus, welches COVID-19 Patienten behandelt und über 200 Betten verfügt. Es gibt Berichte, dass die Bewohner einiger Distrikte der Provinz mit Wasserknappheit zu kämpfen hatten. Darüber hinaus hatten die Menschen in einigen Distrikten Schwierigkeiten mit dem Zugang zu ausreichender Nahrung, insbesondere im Zuge der COVID-19-Pandemie (RA KBL 16.7.2020).

In der Provinz Herat gibt es zwei Krankenhäuser die COVID-19 Patienten behandeln. Ein staatliches öffentliches Krankenhaus mit 100 Betten, das vor kurzem speziell für COVID-19-Patienten gebaut wurde (RA KBL 16.7.2020; vgl. TN 19.3.2020) und ein Krankenhaus mit 300 Betten, das von einem örtlichen Geschäftsmann in einem umgebauten Hotel zur Behandlung von COVID-19-Patienten eingerichtet wurde (RA KBL 16.7.2020; vgl. TN 4.5.2020). Es gibt Berichte, dass 47,6 Prozent der Menschen in Herat unter der Armutsgrenze leben, was bedeutet, dass oft ein erschwerter Zugang zu sauberem Trinkwasser und Nahrung haben, insbesondere im Zuge der Quarantäne aufgrund von COVID-19, durch die die meisten Tagelöhner arbeitslos blieben (RA KBL 16.7.2020; vgl. UNICEF 19.4.2020).

In der Provinz Daikundi gibt es ein Krankenhaus für COVID-19-Patienten mit 50 Betten. Es gibt jedoch keine Auswertungsmöglichkeiten für COVID-19-Tests – es werden Proben entnommen und zur Laboruntersuchung nach Kabul gebracht. Es dauert Tage, bis ihre Ergebnisse von Kabul nach Daikundi gebracht werden. Es gibt Berichte, dass 90 Prozent der Menschen in Daikundi unter der Armutsgrenze leben und dass etwa 60 Prozent der Menschen in der Provinz stark von Ernährungsunsicherheit betroffen sind (RA KBL 16.7.2020).

In der Provinz Samangan gibt es ebenso ein Krankenhaus für COVID-19-Patienten mit 50 Betten. Wie auch in der Provinz Daikundi müssen Proben nach Kabul zur Testung geschickt werden. Eine unzureichende Wasserversorgung ist eine der größten Herausforderungen für die Bevölkerung. Nur 20 Prozent der Haushalte haben Zugang zu sauberem Trinkwasser (RA KBL 16.7.2020).

Wirtschaftliche Lage in Afghanistan

Verschiedene COVID-19-Modelle zeigen, dass der Höhepunkt des COVID-19-Ausbruchs in Afghanistan zwischen Ende Juli und Anfang August erwartet wird, was schwerwiegende Auswirkungen auf die Wirtschaft Afghanistans und das Wohlergehen der Bevölkerung haben wird (OCHA 16.7.2020). Es herrscht weiterhin Besorgnis seitens humanitärer Helfer, über die Auswirkungen ausgedehnter Sperrmaßnahmen auf die am stärksten gefährdeten Menschen – insbesondere auf Menschen mit Behinderungen und Familien – die auf Gelegenheitsarbeit angewiesen sind und denen alternative Einkommensquellen fehlen (OCHA 15.7.2020). Der Marktbeobachtung des World Food Programme (WFP) zufolge ist der durchschnittliche Weizenmehlpreis zwischen dem 14. März und dem 15. Juli um 12 Prozent gestiegen, während die Kosten für Hülsenfrüchte, Zucker, Speiseöl und Reis (minderwertige Qualität) im gleichen Zeitraum um 20 – 31 Prozent gestiegen sind (WFP 15.7.2020, OCHA 15.7.2020). Einem Bericht der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der UNO (FAO) und des Ministeriums für Landwirtschaft, Bewässerung und Viehzucht (MAIL) zufolge sind über 20 Prozent der befragten Bauern nicht in der Lage, ihre nächste Ernte anzubauen, wobei der fehlende Zugang zu landwirtschaftlichen Betriebsmitteln und die COVID-19-Beschränkungen als Schlüsselfaktoren genannt werden. Darüber hinaus sind die meisten Weizen-, Obst-, Gemüse- und Milchverarbeitungsbetriebe derzeit nur teilweise oder gar nicht ausgelastet, wobei die COVID-19-Beschränkungen als ein Hauptgrund für die Reduzierung der Betriebe genannt werden. Die große Mehrheit der Händler berichtete von gestiegenen Preisen für Weizen, frische Lebensmittel, Schafe/Ziegen, Rinder und Transport im Vergleich zur gleichen Zeit des Vorjahres. Frischwarenhändler auf Provinz- und nationaler Ebene sahen sich im Vergleich zu Händlern auf Distriktebene mit mehr Einschränkungen konfrontiert, während die große Mehrheit der Händler laut dem Bericht von teilweisen Marktschließungen aufgrund von COVID-19 berichtete (FAO 16.4.2020; vgl. OCHA 16.7.2020; vgl. WB 10.7.2020).

Am 19.7.2020 erfolgte die erste Lieferung afghanischer Waren in zwei Lastwagen nach Indien, nachdem Pakistan die Wiederaufnahme afghanischer Exporte nach Indien angekündigt hatte um den Transithandel zu erleichtern. Am 12.7.2020 öffnete Pakistan auch die Grenzübergänge Angor Ada und Dand-e-Patan in den Provinzen Paktia und Paktika für afghanische Waren, fast zwei Wochen nachdem es die Grenzübergänge Spin Boldak, Torkham und Ghulam Khan geöffnet hatte (TN 20.7.2020).

Einreise und Bewegungsfreiheit

Die Türkei hat, nachdem internationale Flüge ab 11.6.2020 wieder nach und nach aufgenommen wurden, am 19.7.2020 wegen der COVID-19-Pandemie Flüge in den Iran und nach Afghanistan bis auf weiteres ausgesetzt, wie das Ministerium für Verkehr und Infrastruktur mitteilte (TN 20.7.2020; vgl. AnA 19.7.2020, DS 19.7.2020).

Bestimmte öffentliche Verkehrsmittel wie Busse, die mehr als vier Passagiere befördern, dürfen nicht verkehren. Obwohl sich die Regierung nicht dazu geäußert hat, die Reisebeschränkungen für die Bürger aufzuheben, um die Ausbreitung von COVID-19 zu verhindern, hat sich der Verkehr in den Städten wieder normalisiert, und Restaurants und Parks sind wieder geöffnet (TN 12.7.2020).

Quellen:

[…]

Stand 29.6.2020

Das genaue Ausmaß der COVID-19-Krise in Afghanistan ist unbekannt. Die hier gesammelten Informationen sollen die Lage zu COVID-19 in Afghanistan zum Zeitpunkt der Berichtserstellung wiedergeben. Diese Informationen werden in regelmäßigen Abständen aktualisiert.

Berichten zufolge, haben sich mehr als 30.000 Menschen in Afghanistan mit COVID-19 angesteckt (WP 25.5.2020; vgl. JHU 26.6.2020), mehr als 670 sind daran gestorben. Dem Gesundheitsministerium zufolge, liegen die tatsächlichen Zahlen viel höher; auch bestünde dem Ministerium zufolge die Möglichkeit, dass in den kommenden Monaten landesweit bis zu 26 Millionen Menschen mit dem Virus infiziert werden könnten, womit die Zahl der Todesopfer 100.000 übersteigen könnte. Die COVID-19 Testraten sind extrem niedrig in Afghanistan: weniger als 0,2% der Bevölkerung – rund 64.900 Menschen von geschätzten 37,6 Millionen Einwohnern – wurden bis jetzt auf COVID-19 getestet (WP 25.6.2020).

In vier der 34 Provinzen Afghanistans – Nangahar, Ghazni, Logar und Kunduz – hat sich unter den Sicherheitskräften COVID-19 ausgebreitet. In manchen Einheiten wird eine Infektionsrate von 60-90% vermutet. Dadurch steht weniger Personal bei Operationen und/oder zur Aufnahme des Dienstes auf Außenposten zur Verfügung (WP 25.6.2020).

In Afghanistan sind landesweit derzeit Mobilität, soziale und geschäftliche Aktivitäten sowie Regierungsdienste eingeschränkt. In den größeren Städten wie z.B. Kabul, Kandahar, Mazar-e Sharif, Jalalabad, Parwan usw. wird auf diese Maßnahmen stärker geachtet und dementsprechend kontrolliert. Verboten sind zudem auch Großveranstaltungen – Regierungsveranstaltungen, Hochzeitsfeiern, Sportveranstaltungen – bei denen mehr als zehn Personen zusammenkommen würden (RA KBL 19.6.2020). In der Öffentlichkeit ist die Bevölkerung verpflichtet einen Nasen-Mund-Schutz zu tragen (AJ 8.6.2020).

Wirksame Maßnahmen der Regierung zur Bekämpfung von COVID-19 scheinen derzeit auf keiner Ebene möglich zu sein: der afghanischen Regierung zufolge, lebt 52% der Bevölkerung in Armut, während 45% in Ernährungsunsicherheit lebt (AF 24.6.2020). Dem Lockdown folge zu leisten, "social distancing" zu betreiben und zuhause zu bleiben ist daher für viele keine Option, da viele Afghan/innen arbeiten müssen, um ihre Familien versorgen zu können (AJ 8.6.2020).

Gesellschaftliche Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19 Auswirkungen

In Kabul, hat sich aus der COVID-19-Krise heraus ein "Solidaritätsprogramm" entwickelt, welches später in anderen Provinzen repliziert wurde. Eine afghanische Tageszeitung rief Hausbesitzer dazu auf, jenen ihrer Mieter/innen, die Miete zu reduzieren oder zu erlassen, die aufgrund der Ausgangsbeschränkungen nicht arbeiten konnten. Viele Hausbesitzer folgten dem Aufruf (AF 24.6.2020).

Bei der Spendenaktion „Kocha Ba Kocha“ kamen junge Freiwillige zusammen, um auf die wirtschaftlichen Auswirkungen der Pandemie zu reagieren, indem sie Spenden für bedürftige Familien sammelten und ihnen kostenlos Nahrungsmittel zur Verfügung stellten. In einem weiteren Fall startete eine Privatbank eine Spendenkampagne, durch die 10.000 Haushalte in Kabul und andere Provinzen monatlich mit Lebensmitteln versorgt wurden. Außerdem initiierte die afghanische Regierung das sogenannte „kostenlose Brot“-Programm; bei dem bedürftige Familien – ausgewählt durch Gemeindeälteste – rund einen Monat lang mit kostenlosem Brot versorgt werden (AF 24.6.2020). In dem mehrphasigen Projekt, erhält täglich jede Person innerhalb einer Familie zwei Stück des traditionellen Brots, von einer Bäckerei in der Nähe ihres Wohnortes (TN 15.6.2020). Die Regierung kündigte kürzlich an, das Programm um einen weiteren Monat zu verlängern (AF 24.6.2020; vgl. TN 15.6.2020). Beispielsweise beklagten sich bedürftige Familien in der Provinz Jawzjan über Korruption im Rahmen dieses Projektes (TN 20.5.2020).

Weitere Maßnahmen der afghanischen Regierung

Schulen und Universitäten sind nach aktuellem Stand bis September 2020 geschlossen (AJ 8.6.2020; vgl. RA KBL 19.6.2020). Über Fernlernprogramme, via Internet, Radio und Fernsehen soll der traditionelle Unterricht im Klassenzimmer vorerst weiterhin ersetzen werden (AJ 8.6.2020). Fernlehre funktioniert jedoch nur bei wenigen Studierenden. Zum Einen können sich viele Familien weder Internet noch die dafür benötigten Geräte leisten und zum Anderem schränkt eine hohe Analphabetenzahl unter den Eltern in Afghanistan diese dabei ein, ihren Kindern beim Lernen behilflich sein zu können (HRW 18.6.2020).

Die großen Reisebeschränkungen wurden mittlerweile aufgehoben; die Bevölkerung kann nun in alle Provinzen reisen(RA KBL 19.6.2020). Afghanistan hat mit 24.6.2020 den internationalen Flugverkehr mit einem Turkish Airlines-Flug von Kabul nach Istanbul wieder aufgenommen; wobei der Flugplan aufgrund von Restriktionen auf vier Flüge pro Woche beschränkt wird (AnA 24.6.2020). Emirates, eine staatliche Fluglinie der Vereinigten Arabischen Emirate, hat mit 25.6.2020 Flüge zwischen Afghanistan und Dubai wieder aufgenommen (AnA 24.6.2020; vgl. GN 9.6.2020). Zwei afghanische Fluggesellschaften Ariana Airlines und der lokale private Betreiber Kam Air haben ebenso Flüge ins Ausland wieder aufgenommen (AnA 24.6.2020). Bei Reisen mit dem Flugzeug sind grundlegende COVID-19-Schutzmaßnahmen erforderlich (RA KBL 19.6.2020). Wird hingegen die Reise mit dem Auto angetreten, so sind keine weiteren Maßnahmen erforderlich. Zwischen den Städten Afghanistans verkehren Busse. Grundlegende Schutzmaßnahmen nach COVID-19 werden von der Regierung zwar empfohlen – manchmal werden diese nicht vollständig umgesetzt (RA KBL 19.6.2020).

Seit 1.1.2020 beträgt die Anzahl zurückgekehrter Personen aus dem Iran und Pakistan: 339.742; 337.871 Personen aus dem Iran (247.082 spontane Rückkehrer/innen und 90.789 wurden abgeschoben) und 1.871 Personen aus Pakistan (1.805 spontane Rückkehrer/innen und 66 Personen wurden abgeschoben) (UNHCR 20.6.2020).

Situation in der Grenzregion und Rückkehr aus Pakistan

Die Grenze zu Pakistan war fast drei Monate lang aufgrund der COVID-19-Pandemie gesperrt. Mit 22.6.2020 erhielt Pakistan an drei Grenzübergängen erste Exporte aus Afghanistan: frisches Obst und Gemüse wurde über die Grenzübergänge Torkham, Chaman und Ghulam Khan nach Pakistan exportiert. Im Hinblick auf COVID-19 wurden Standardarbeitsanweisungen (SOPs – standard operating procedures) für den grenzüberschreitenden Handel angewandt (XI 23.6.2020). Der bilaterale Handel soll an sechs Tagen der Woche betrieben werden, während an Samstagen diese Grenzübergänge für Fußgänger reserviert sind (XI 23.6.2020; vgl. UNHCR 20.6.2020); in der Praxis wurde der Fußgängerverkehr jedoch häufiger zugelassen (UNHCR 20.6.2020).

Pakistanischen Behörden zufolge waren die zwei Grenzübergänge Torkham und Chaman auf Ansuchen Afghanistans und aus humanitären Gründen bereits früher für den Transithandel sowie Exporte nach Afghanistan geöffnet worden (XI 23.6.2020).

Situation in der Grenzregion und Rückkehr aus dem Iran

Die Anzahl aus dem Iran abgeschobener Afghanen ist im Vergleich zum Monat Mai stark gestiegen. Berichten zufolge haben die Lockerungen der Mobilitätsmaßnahmen dazu geführt, dass viele Afghanen mithilfe von Schmugglern in den Iran ausreisen. UNHCR zufolge, gaben Interviewpartner/innen an, kürzlich in den Iran eingereist zu sein, aber von der Polizei verhaftet und sofort nach Afghanistan abgeschoben worden zu sein (UNHCR 20.6.2020).

Quellen:

[…]

Stand: 18.05.2020

Das genaue Ausmaß der COVID-19-Krise in Afghanistan ist unbekannt. Die hier gesammelten Informationen sollen die Lage zu COVID-19 in Afghanistan zum Zeitpunkt der Berichtserstellung wiedergeben. Diese Informationen werden in regelmäßigen Abständen aktualisiert.

In 30 der 34 Provinzen Afghanistans wurden mittlerweile COVID-19-Fälle registriert (NYT 22.4.2020). Nachbarländer von Afghanistan, wie China, Iran und Pakistan, zählen zu jenen Ländern, die von COVID-19 besonders betroffen waren bzw. nach wie vor sind. Dennoch ist die Anzahl, der mit COVID-19 infizierten Personen relativ niedrig (AnA 21.4.2020). COVID-19 Verdachtsfälle können in Afghanistan aufgrund von Kapazitätsproblem bei Tests nicht überprüft werden – was von afghanischer Seite bestätigt wird (DW 22.4.2020; vgl. QA 16.4.2020; NYT 22.4.2020; ARZ KBL 7.5.2020). Auch wird die Dunkelziffer von afghanischen Beamten höher geschätzt (WP 20.4.2020). In Afghanistan können derzeit täglich 500 bis 700 Personen getestet werden. Diese Kapazitäten sollen in den kommenden Wochen auf 2.000 Personen täglich erhöht werden (WP 20.4.2020). Die Regierung bemüht sich noch weitere Testkits zu besorgen – was Angesicht der derzeitigen Nachfrage weltweit, eine Herausforderung ist (DW 22.4.2020).

Landesweit können – mit Hilfe der Vereinten Nationen – in acht Einrichtungen COVID-19-Testungen durchgeführt werden (WP 20.4.2020). Auch haben begrenzte Laborkapazitäten und -ausrüstung einige Einrichtungen dazu gezwungen Testungen vorübergehend einzustellen (WP 20.4.2020). Unter anderem können COVID-19-Verdachtsfälle in Einrichtungen folgender Provinzen überprüft werden: Kabul, Herat, Nangarhar (TN 30.3.2020) und Kandahar. COVID-19 Proben aus angrenzenden Provinzen wie Helmand, Uruzgan und Zabul werden ebenso an die Einrichtung in Kandahar übermittelt (TN 7.4.2020a).

Jahrzehntelange Konflikte in Afghanistan machen das Land anfällig für den Ausbruch von Krankheiten: nach wie vor ist Polio dort endemisch (als eines von drei Ländern weltweit) (WP 20.4.2020) außerdem ist das Gesundheitssystem fragil (AnA 21.4.2020; vgl. QA 16.4.2020; ARZ KBL 7.5.2020). Beispielsweise mangelt es an adäquaten Medikamenten für Patient/innen, die an CO-VID-19 erkrankt sind. Jedoch sind die wenigen Medikamente, die hierfür zur Verfügung stehen, kostenfrei (ARZ KBL 7.5.2020). Der landesweite Mangel an COVID-19-Testkits sowie an Isolations- und Behandlungseinrichtungen verdeutlichen diese Herausforderung (AnA 21.4.2020; vgl. ARZ KBL 7.5.2020). Landesweit stehen 10.400 Krankenhausbetten (BBC 9.4.2020) und 300 Beatmungsgeräte zur Verfügung (TN 8.4.2020; vgl. DW 22.4.2020; QA 16.4.2020). 300 weitere Beatmungsgeräte plant die afghanische Regierung zu besorgen. Weiters mangelt es an geschultem Personal, um diese medizinischen Geräte in Afghanistan zu bedienen und zu warten (DW 22.4.2020; vgl. ARZ KBL 7.5.2020). Engpässe bestehen bei den PPE (personal protective equipment), persönlichen Schutzausrüstungen für medizinisches Personal; außerdem wird mehr fachliches Personal benötigt, um Patient/innen auf den Intensivstationen zu betreuen (ARZ KBL 7.5.2020).

Aufgrund der Nähe zum Iran gilt die Stadt Herat als der COVID-19-Hotspot Afghanistans (DW 22.4.2020; vgl. NYT 22.4.2020); dort wurde nämlich die höchste Anzahl bestätigter COVID-19-Fälle registriert (TN 7.4.2020b; vgl. DW 22.4.2020). Auch hat sich dort die Anzahl positiver Fälle unter dem Gesundheitspersonal verstärkt. Mitarbeiter/innen des Gesundheitswesens berichten von fehlender Schutzausrüstung – die Provinzdirektion bestätigte dies und erklärtes mit langwierigen Beschaffungsprozessen (TN 7.4.2020b). Betten, Schutzausrüstungen, Beatmungsgeräte und Medikamente wurden bereits bestellt – jedoch ist unklar, wann die Krankenhäuser diese Dinge tatsächlich erhalten werden (NYT 22.4.2020). Die Provinz Herat verfügt über drei Gesundheitseinrichtungen für COVID-19-Patient/innen. Zwei davon wurden erst vor kurzem errichtet; diese sind für Patient/innen mit leichten Symptomen bzw. Verdachtsfällen des COVID-19 bestimmt. Patient/innen mit schweren Symptomen hingegen, werden in das Regionalkrankenhaus von Herat, welches einige Kilometer vom Zentrum der Provinz entfernt liegt, eingeliefert (TN 7.4.2020b). In Hokerat wird die Anzahl der Beatmungsgeräte auf nur 10 bis 12 Stück geschätzt (BBC 9.4.2020; vgl. TN 8.4.2020).

Beispiele für Maßnahmen der afghanischen Regierung

Eine Reihe afghanischer Städte wurde abgesperrt (WP 20.4.2020), wie z.B. Kabul, Herat und Kandahar (TG 1.4.2020a). Zusätzlich wurde der öffentliche und kommerzielle Verkehr zwischen den Provinzen gestoppt (WP 20.4.2020). Beispielsweise dürfen sich in der Stadt Kabul nur noch medizinisches Personal, Bäcker, Journalist/innen, (Nahrungsmittel)Verkäufer/innen und Beschäftigte im Telekommunikationsbereich bewegen. Der Kabuler Bürgermeister warnte vor "harten Maßnahmen" der Regierung, die ergriffen werden, sollten sich die Einwohner/innen in Kabul nicht an die Anordnungen halten, unnötige Bewegungen innerhalb der Stadt zu stoppen. Die Sicherheitskräfte sind beauftragt zu handeln, um die Beschränkung umzusetzen (TN 9.4.2020a).

Mehr als die Hälfte der afghanischen Bevölkerung lebt unterhalb der Armutsgrenze (WP 22.4.2020): Aufgrund der Maßnahmen sorgen sich zehntausende Tagelöhner in Kabul und Herat um ihre Existenz. UNICEF zufolge, arbeiten allein in Kabul mindestens 60.000 Kinder, um das Familieneinkommen zu ersetzen (TG 1.4.2020). Offiziellen Schätzungen zufolge können z.B. in Herat-Stadt 150.000 Tagelöhner aufgrund des Lockdowns nicht arbeiten und haben somit kein Einkommen. Weil es in Herat an Ressourcen mangelt, um Hunderttausende zu ernähren, nimmt die Bevölkerung die Bedrohung durch das Virus nicht ernst. Zwar hat die Bevölkerung anfangs großzügig gespendet, aber auch diese Spenden werden weniger, nachdem die langfristigen wirtschaftlichen Auswirkungen auf Unternehmen sichtbar werden (NYT 22.4.2020).

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) und die International Organization for Migration (IOM) unterstützen das afghanische Ministerium für öffentliche Gesundheit (MOPH) (WHO MIT 10.5.2020; vgl. IOM 11.5.2020); die WHO übt eine beratende Funktion aus und unterstützt die afghanische Regierung in vier unterschiedlichen Bereichen während der COVID-19-Krise (WHO MIT 10.5.2020): 1. Koordination; 2. Kommunikation innerhalb der Gemeinschaften 3. Monitoring (durch eigens dafür eingerichtete Einheiten – speziell was die Situation von Rückkehrer/innen an den Grenzübergängen und deren weitere Bewegungen betrifft) und 4. Kontrollen an Einreisepunkten – an den 4 internationalen Flughäfen sowie 13 Grenzübergängen werden medizinische Kontroll- und Überwachungsaktivitäten durchgeführt (WHO MIT 10.5.2020; vgl. IOM 11.5.2020).

Taliban und COVID-19

Ein Talibansprecher verlautbarte, dass die Taliban den Konflikt pausieren könnten, um Gesundheitsbehörden zu erlauben, in einem von ihnen kontrollierten Gebiet zu arbeiten, wenn COVID-19 dort ausbrechen sollte (TN 2.4.2020; vgl. TD 2.4.2020). In der nördlichen Provinz Kunduz, hätten die Taliban eine Gesundheitskommision gegründet, die direkt in den Gemeinden das öffentliche Bewusstsein hinsichtlich des Virus stärkt. Auch sollen Quarantänezentren eingerichtet worden sein, in denen COVID-19-Verdachtsfälle untergebracht wurden. Die Taliban hätten sowohl Schutzhandschuhe, als auch Masken und Broschüren verteilt; auch würden sie jene, die aus anderen Gebieten kommen, auf COVID-19 testen (TD 2.4.2020). Auch in anderen Gebieten des Landes, wie in Baghlan, wird die Bevölkerung im Rahmen einer Informationsveranstaltung in der Moschee über COVID-19 informiert. Wie in der Provinz Kunduz, versorgen die Taliban die Menschen mit (Schutz)material, helfen Entwicklungshelfern dabei zu jenen zu gelangen, die in Taliban kontrollierten Gebieten leben und bieten sichere Wege zu Hilfsorganisationen, an (UD 13.3.2020).

Der Umgang der Taliban mit der jetzigen Ausnahmesituation wirft ein Schlaglicht auf den Modus Operandi der Truppe. Um sich die Afghanen in den von ihnen kontrollierten Gebieten gewogen zu halten, setzen die Taliban auf Volksnähe. Durch die Präsenz vor Ort machten die Islamisten das Manko wett, dass sie kein Geld hätten, um COVID-19 medizinisch viel entgegenzusetzen: Die Taliban können Prävention betreiben, behandeln können sie Erkrankte nicht (NZZ 7.4.2020).

Aktuelle Informationen zu Rückkehrprojekten

IOM Österreich unterstützt auch derzeit Rückkehrer/innen im Rahmen der freiwilligen Rückkehr. Aufgrund des stark reduzierten Flugbetriebs ist die Rückkehr seit April 2020 nur in sehr wenige Länder tatsächlich möglich. Neben der Reiseorganisation bietet IOM Österreich dabei, wie bekannt, Unterstützung bei der Ausreise am Flughafen Wien Schwechat an (IOM AUT 18.5.2020).

IOM Österreich bietet derzeit, aufgrund der COVID-19-Lage, folgende Aktivitäten an:

?        Qualitätssicherung in der Rückkehrberatung (Erarbeitung von Leitfäden und Trainings)

?        Unterstützung bei der freiwilligen Rückkehr und Reintegration im Rahmen der vorhandenen Möglichkeiten (Virtuelle Beratung, Austausch mit Rückkehrberatungseinrichtungen und Behörden, Monitoring der Reisemöglichkeiten) (IOM AUT 18.5.2020).

Das Projekt RESTART III – Unterstützung des österreichischen Rückkehrsystems und der Reintegration freiwilliger Rückkehrer/innen in Afghanistan“ wird bereits umgesetzt. Derzeit arbeiten die österreichischen IOM-Mitarbeiter/innen vorwiegend an der ersten Komponente (Unterstützung des österreichischen Rückkehrsystems) und erarbeiten Leitfäden und Trainingsinhalte. Die Unterstützung der freiwilligen Rückkehr nach Afghanistan ist derzeit aufgrund fehlender Flugverbindungen nicht möglich. IOM beobachtet die Situation und steht diesbezüglich in engem Austausch mit den zuständigen Rückkehrberatungseinrichtungen und den österreichischen Behörden (IOM AUT 18.5.2020)

Mit Stand 18.5.2020, sind im laufenden Jahr bereits 19 Projektteilnehmer/innen nach Afghanistan zurückgekehrt. Mit ihnen, als auch mit potenziellen Projektteilnehmer/innen, welche sich noch in Österreich befinden, steht IOM Österreich in Kontakt und bietet Beratung/Information über virtuelle Kommunikationswege an (IOM AUT 18.5.2020).

Informationen von IOM Kabul zufolge, sind IOM-Rückkehrprojekte mit Stand 13.5.2020 auch weiterhin in Afghanistan operativ (IOM KBL 13.5.2020).

Quellen:

[…]“

1.2.2 Sicherheitslage (aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation):

„Letzte Änderung: 22.4.2020

Die Sicherheitslage in Afghanistan ist nach wie vor volatil (UNGASC 17.3.2019). Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, die wichtigsten Bevölkerungszentren und Transitrouten sowie Provinzhauptstädte und die meisten Distriktzentren. Nichtsdestotrotz, hat die afghanische Regierung wichtige Transitrouten verloren (USDOD 12.2019).

Der Konflikt in Afghanistan befindet sich nach wie vor in einer "strategischen Pattsituation", die nur durch Verhandlungen zwischen der afghanischen Regierung und den Taliban gelöst werden kann (SIGAR 30.1.2020). Die afghanische Regierung führte zum ersten Mal persönliche Gespräche mit den Taliban, inhaltlich wurde über den Austausch tausender Gefangener verhandelt; bis dahin hatten die beiden Seiten sich nur per Videokonferenz unterhalten (BBC 1.4.2020). Ein erster Schritt Richtung inner-afghanischer Verhandlungen, welcher Teil eines zwischen Taliban und US-Amerikanern unterzeichneten Abkommens ist (TD 2.4.2020). Die Gespräche fanden vor dem Hintergrund anhaltender Gewalt im Land statt (BBC 1.4.2020).

Für den Berichtszeitraum 8.11.2019-6.2.2020 verzeichnete die UNAMA 4.907 sicherheitsrelevante Vorfälle – ähnlich dem Vorjahreswert. Die Sicherheitslage blieb nach wie vor volatil. Die höchste Anzahl sicherheitsrelevanter Vorfälle wurden in der südlichen Region, gefolgt von den nördlichen und östlichen Regionen, registriert, die alle samt 68% der Zwischenfälle ausmachten. Die aktivsten Konfliktregionen waren in den Provinzen Kandahar, Helmand, Nangarhar und Balkh zu finden. Entsprechend saisonaler Trends, gingen die Kämpfe in den Wintermonaten – Ende 2019 und Anfang 2020 – zurück (UNGASC 17.3.2020).

Die Sicherheitslage im Jahr 2019

Die geographische Verteilung aufständischer Aktivitäten innerhalb Afghanistans blieb, im Vergleich der beiden Jahre 2018 und 2019, weitgehend konstant. Im Jahr 2019 fanden auch weiterhin im Süden und Westen Afghanistans weiterhin schwere Kampfhandlungen statt; feindliche Aktivitäten nahmen zu und breiteten sich in größeren Gebieten des Nordens und Ostens aus. Der Resolute Support (RS) Mision (seit 2015 die Unterstützungsmission der NATO in Afghanistan) zufolge, waren für das Jahr 2019 29.083 feindlich-initiierte Angriffe landesweit zu verzeichnen. Im Gegensatz waren es im Jahr 2018 27.417 (SIGAR 30.1.2020). Mit einer hohen Anzahl an sicherheitsrelevanten Vorfällen – speziell in den südlichen, nördlichen und östlichen Regionen – blieb die Sicherheitslage vorerst volatil, bevor ein Zeitraum der Reduzierung der Gewalt registriert werden konnte. Die UNAMA (Hilfsmission der Vereinten Nationen in Afghanistan) registrierte für das gesamte Jahr 2019 10.392 zivile Opfer, was einem Rückgang von 5% gegenüber 2018 entspricht (UNGASC 17.3.2020).

Seit Ende des Jahres 2019 haben Angriffe durch regierungsfeindliche Elemente erheblich zugenommen. Im September 2019 fanden die afghanischen Präsidentschaftswahlen statt, in diesem Monat wurde auch die höchste Anzahl feindlicher Angriffe eines einzelnen Monats seit Juni 2012 und die höchste Anzahl effektiver feindlicher Angriffe seit Beginn der Aufzeichnung der RS-Mission im Januar 2010 registriert. Dieses Ausmaß an Gewalt setzte sich auch nach den Präsidentschaftswahlen fort, denn im Oktober 2019 wurde die zweithöchste Anzahl feindlicher Angriffe in einem Monat seit Juli 2013 dokumentiert. Betrachtet man jedoch das Jahr 2019 in dessen Gesamtheit, so waren scheinbar feindliche Angriffe, seit Anfang des Jahres, im Zuge der laufenden Friedensgespräche zurückgegangen. Nichtsdestotrotz führte ein turbulentes letztes Halbjahr zu verstärkten Angriffen feindlicher Elemente von insgesamt 6% und effektiver Angriffe von 4% im Jahr 2019 im Vergleich zu den bereits hohen Werten des Jahres 2018 (SIGAR 30.1.2020).

Zivile Opfer

Für das Jahr 2019 registrierte die Hilfsmission der Vereinten Nationen in Afghanistan (UNAMA) als Folge des bewaffneten Konflikts 10.392 zivile Opfer (3.403 Tote und 6.989 Verletzte), was einen Rückgang um 5% gegenüber dem Vorjahr, aber auch die niedrigste Anzahl an zivilen Opfern seit dem Jahr 2013 bedeutet. Nachdem die Anzahl der durch ISKP verursachten zivilen Opfer zurückgegangen war, konnte ein Rückgang aller zivilen Opfer registriert werden, wenngleich die Anzahl ziviler Opfer speziell durch Taliban und internationale Streitkräfte zugenommen hatte. Im Laufe des Jahres 2019 war das Gewaltniveau erheblichen Schwankungen unterworfen, was auf Erfolge und Misserfolge im Rahmen der Friedensverhandlungen zwischen Taliban und den US-Amerikanern zurückzuführen war. In der ersten Jahreshälfte 2019 kam es zu intensiven Luftangriffen durch die internationalen Streitkräfte und Suchaktionen der afghanischen Streitkräfte – insbesondere der Spezialkräfte des afghanischen Geheimdienstes NDS (National Directorate of Security Special Forces) (UNAMA 2.2020).

Aufgrund der Suchaktionen der afghanischen Streitkräfte, gab es zur Jahresmitte mehr zivile Opfer durch regierungsfreundliche Truppen als durch regierungsfeindliche Truppen. Das dritte Quartal des Jahres 2019 registrierte die höchste Anzahl an zivilen Opfern seit 2009, was hauptsächlich auf verstärkte Anzahl von Angriffen durch Selbstmordattentäter und IEDs (improvisierte Sprengsätze) der regierungsfeindlichen Seite – insbesondere der Taliban – sowie auf Gewalt in Zusammenhang mit den Präsidentschaftswahlen zurückzuführen ist. Das vierte Quartal 2019 verzeichnete, im Vergleich zum Jahr 2018, eine geringere Anzahl an zivilen Opfern; wenngleich sich deren Anzahl durch Luftangriffe, Suchoperationen und IEDs seit dem Jahr 2015 auf einem Rekordniveau befand (UNAMA 2.2020).(UNAMA 2.2020)

Die RS-Mission sammelt ebenfalls Informationen zu zivilen Opfern in Afghanistan, die sich gegenüber der Datensammlung der UNAMA unterscheiden, da die RS-Mission Zugang zu einem breiteren Spektrum an forensischen Daten und Quellen hat. Der RS-Mission zufolge, ist im Jahr 2019 die Anzahl ziviler Opfer in den meisten Provinzen (19 von 34) im Vergleich zum Jahr 2018 gestiegen; auch haben sich die Schwerpunkte verschoben. So verzeichneten die Provinzen Kabul und Nangarhar weiterhin die höchste Anzahl ziviler Opfer. Im letzten Quartal

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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