TE OGH 2020/5/27 5Ob51/20s

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Veröffentlicht am 27.05.2020
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Jensik als Vorsitzenden sowie die Hofrätin Dr. Grohmann, die Hofräte Mag. Wurzer, Mag. Painsi und Dr. Steger als weitere Richter in der wohnrechtlichen Außerstreitsache des Antragstellers DI J*****, gegen die übrigen Mit- und Wohnungseigentümer der Liegenschaft EZ ***** KG ***** als Antragsgegner, darunter 15. I*****, 18. P*****, 78. W*****, 79. R*****, 82. L*****, 101. H*****, 114. L*****, 115. Ing. H*****, 193. B*****, alle *****, und der P***** GmbH, *****, sämtliche vertreten durch Dr. Harald Friedl, Rechtsanwalt in Wien, wegen Bestellung eines vorläufigen Verwalters (§ 52 Abs 1 Z 8 WEG iVm § 23 WEG), über den Revisionsrekurs der Dr. ***** Treuhand GmbH, *****, vertreten durch die Salzborn Rechtsanwaltsgesellschaft mbH, Wien, gegen den Beschluss des Landesgerichts Wiener Neustadt als Rekursgericht vom 26. November 2019, GZ 19 R 64/19a-55, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Baden vom 12. April 2019, GZ 9 Msch 2/19h-9, aufgehoben wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.

Text

Begründung:

Der Antragsteller und die Antragsgegner sind Mit- und Wohnungseigentümer der EZ ***** KG *****. Zur Frage, ob die de facto als Hausverwalterin fungierende P***** GmbH (idF nur GmbH) diese Tätigkeit rechtmäßig ausübt, fanden bereits mehrere Vorverfahren statt. Zuletzt wurde mit Entscheidung des Erstgerichts zu 9 Msch 18/16g der Beschluss der Eigentümergemeinschaft auf Bestellung der GmbH zur Hausverwalterin vom 21. 10. 2016 als rechtsunwirksam festgestellt.

Mit Schriftsatz vom 7. 2. 2019 begehrte der Antragsteller die Bestellung eines vorläufigen Verwalters gemäß § 23 WEG und brachte zusammengefasst vor, dass seit der Entscheidung des Obersten Gerichtshofs zu 5 Ob 149/18z vom 13. 12. 2018 (Anm: Zurückweisung des außerordentlichen Revisionsrekurses im Verfahren 9 Msch 18/16g des Erstgerichts) feststehe, dass die GmbH nicht Verwalter der Liegenschaft sei. Die Bestellung eines vorläufigen Hausverwalters sei zur Besorgung von dringenden Angelegenheiten im Zusammenhang mit der thermischen Sanierung des Hauses, der Montage eines Ölheizkessels, der Korrektur der Abrechnungen der Jahre 1989 bis 2017 und der ungerechtfertigten Rückzahlung an die Wohnungseigentümer dringend geboten.

Mit Sachbeschluss vom 11. 3. 2019 bestellte das Erstgericht die nunmehrige Revisionsrekurswerberin, eine Immobilien Treuhand GmbH, zum vorläufigen Verwalter. Ein Wohnungseigentümer könne gemäß § 23 WEG die Bestellung eines vorläufigen Verwalters beantragen, wenn kein Verwalter bestellt sei. Aufgrund der Ergebnisse der Vorverfahren sei klar, dass die GmbH nicht Verwalterin der Liegenschaft sei, und für die Liegenschaft derzeit keine Hausverwaltung rechtswirksam bestellt und tätig sei. Wegen des bestehenden Bankdarlehens und der Fragen der durchgeführten thermischen Sanierung in einer Wohnungseigentumsanlage mit einer derart großen Anzahl von Wohnungseigentümern bestehe ein berechtigtes Interesse an der Bestellung eines vorläufigen Verwalters.

Die GmbH begehrte mit Schriftsatz vom 28. 3. 2019 die Zustellung des verfahrenseinleitenden Schriftsatzes sowie sämtlicher Beschlüsse und die Anberaumung einer Tagsatzung, weil sie mit einem Umlaufbeschluss aus dem Jahr 2008 zum Verwalter der Liegenschaft bestellt worden sei. Es sei gerichtsnotorisch, dass sie die Liegenschaft verwalte.

Das Erstgericht wies diesen Antrag zurück. Gerichtsnotorisch sei, dass die GmbH zu keinem Zeitpunkt rechtswirksam durch die Eigentümergemeinschaft zur Hausverwalterin bestellt worden sei. Einem Verfahren zur Bestellung eines vorläufigen Verwalters sei zwar ein Verwalter, dessen Verwalterbestellung möglicherweise fraglich sei, beizuziehen, nicht jedoch eine Rechtsperson, die zwar faktisch die Verwaltung ausübe, jedoch tatsächlich niemals rechtswirksam zur Verwalterin bestellt worden sei. Diese werde durch die Entscheidung in einem solchen Verfahren zwar möglicherweise in ihren wirtschaftlichen Interessen berührt, was ihr jedoch keine Parteistellung verschaffe.

Dem dagegen von der GmbH erhobenen Rechtsmittel gab das Rekursgericht Folge, hob die Entscheidung des Erstgerichts auf und trug diesem die neuerliche Entscheidung über die Parteistellung der GmbH auf. § 52 Abs 2 Z 1 WEG normiere – wie allgemein § 2 Abs 1 Z 3 AußStrG – einen materiellen Parteibegriff. Danach komme Parteistellung allen Personen zu, deren Rechte und Pflichten durch die Regelung der Angelegenheit unmittelbar betroffen werden können, ohne Rücksicht darauf, ob der Betreffende am Verfahren teilnehme oder beigezogen werde. Bloße Reflexwirkungen, die etwa dadurch entstehen, dass eine andere Person Rechte erwirke, die etwa den eigenen Gewinn schmälern, bewirken nach den Erwägungen des Gesetzgebers jedoch keine unmittelbare Beeinflussung im Sinn des § 2 Abs 1 Z 3 AußStrG. Ein Verwalter, dessen Verwalterstellung fraglich sei, könne durch ein Verfahren zur Bestellung eines vorläufigen Verwalters in seinen Rechten und Pflichten unmittelbar betroffen sein. Auf eine Person hingegen, die – ohne entsprechende rechtliche Grundlage – eine Liegenschaft bloß faktisch verwalte, habe eine solche Entscheidung nur Reflexwirkung. Das Erstgericht habe seine Ansicht, es sei gerichtsnotorisch, dass die GmbH zu keinem Zeitpunkt rechtswirksam durch Willensbildung innerhalb der Eigentümergemeinschaft zur Hausverwalterin bestellt worden sei, mit der Bindungswirkung der Entscheidung des Rekursgerichts zu 19 R 95/16f begründet, die ein wohnrechtliches Außerstreitverfahren zur Anfechtung des Beschlusses aus dem Jahr 2008 betroffen habe, mit dem nach Darstellung der GmbH sie zur Verwalterin bestellt worden sei. In der Begründung dieser Entscheidung habe das Rekursgericht ausgeführt, dass der Versuch der GmbH, die Hausverwaltung zu übernehmen, gravierende Verstöße gegen die Bestimmungen des WEG über die Willensbildung der Eigentümergemeinschaft aufgewiesen habe und in einer Gesamtschau nicht einmal der Anschein eines Beschlusses vorgelegen sei. Es habe daher deren Parteistellung im Anfechtungsverfahren verneint. Eine Bindungswirkung sei aber nur an die im Vorprozess entschiedene Hauptfrage gegeben, nicht aber an eine dort beurteilte Vorfrage. Die vom Rekursgericht zu 19 R 95/16f ausgesprochene Nichtigerklärung des Außerstreitverfahrens und Überweisung der Rechtssache ins streitige Verfahren mit der Begründung, die fragliche Bestellung bewirke nicht einmal den Anschein eines Beschlusses, begründe keine Bindungswirkung für die hier zu beurteilende Parteistellung der GmbH.

Da die vom Erstgericht angenommene Bindungswirkung nicht bestehe, müsse die Frage der Parteistellung der GmbH in diesem Verfahren geprüft werden. Grundsätzlich sei es zulässig, gerichtsbekannte Tatsachen der Entscheidung zugrundezulegen. Die Gerichtskundigkeit erfordere, dass der Richter die Tatsache kenne, ohne erst in bestimmte Unterlagen Einsicht nehmen zu müssen. Das Erstgericht werde daher im weiteren Verfahren über die Parteistellung der GmbH entweder Beweise zur Frage der Verwalterbestellung im Jahr 2008 aufzunehmen oder der GmbH und den Parteien mitzuteilen haben, welche Tatsachen es als notorisch zugrunde legen möchte, um ihnen die Möglichkeit des Gegenbeweises zu eröffnen.

Der (richtig:) Revisionsrekurs an den Obersten Gerichtshof sei zulässig, weil, soweit überblickbar, Rechtsprechung zur Frage fehle, ob mit der Entscheidung über die Rekurslegitimation bzw Parteistellung eines angeblichen Verwalters in einem wohnrechtlichen Außerstreitverfahren gleichzeitig über dessen Verwalterstellung als Hauptfrage mit Bindungswirkung für weitere wohnrechtliche Verfahren dieselbe Wohnhausanlage betreffend entschieden werde.

Dagegen richtet sich der (richtig:) Revisionsrekurs der mit Sachbeschluss vom 11. 3. 2019 bestellten einstweiligen Verwalterin, der unzulässig ist.

Rechtliche Beurteilung

1.1 Ist kein Verwalter bestellt, so kann nach § 23 WEG sowohl ein Wohnungseigentümer als auch ein Dritter, der ein berechtigtes Interesse an einer wirksamen Vertretung der Eigentümergemeinschaft hat, die gerichtliche Bestellung eines vorläufigen Verwalters beantragen. Bis zu dieser Entscheidung gilt der im Grundbuch erstgenannte Wohnungseigentümer als Zustellbevollmächtigter. Die Vertretungsbefugnis des vorläufigen Verwalters endet mit der Bestellung eines Verwalters durch die Gemeinschaft.

1.2 Aktiv antragslegitimiert sind daher die Wohnungseigentümer sowie interessierte Dritte. Passiv antragslegitimiert sind sämtliche Wohnungseigentümer (E. M. Hausmann in Hausmann/Vonkilch, Österreichisches Wohnrecht4 § 23 Rz 13). Von der Aktiv- und Passivlegitimation ist die Parteistellung (hier) in einem Verfahren nach dem § 52 Abs 1 Z 8 WEG zu unterscheiden. Die Parteistellung kann (allgemein) aus verschiedenen Rechtsgrundlagen resultieren, nämlich aus § 2 Abs 1 Z 1 und 2 AußStrG (formelle Parteien) oder aus § 2 Abs 1 Z 3 AußStrG (materielle Partei) sowie (im vorliegenden Fall auch) aus § 52 Abs 2 Z 1 WEG. Nach dieser Bestimmung kommt den Wohnungseigentümern und dem Verwalter insoweit Parteistellung zu, als ihre Interessen durch die Entscheidung über den Antrag unmittelbar berührt werden können; dem Verwalter kommt überdies auch dann Parteistellung zu, wenn Gegenstand des Verfahrens sein Verhalten ist.

2.1 Wenngleich die Rekurslegitimation einer Person deren Parteistellung in der Regel voraussetzt, handelt es sich bei der Rechtsmittellegitimation und der Parteistellung doch um zwei rechtlich getrennte Fragen, die vom Gesetzgeber auch durchaus unterschiedlich geregelt werden können (RIS-Justiz RS0122917). Bei der Rechtsmittellegitimation ist die Frage zu klären, welcher Personenkreis abstrakt zur Erhebung eines Rechtsmittels befugt sein soll (5 Ob 224/12w). Weder das AußStrG noch § 52 Abs 2 WEG oder die über letztgenannte Bestimmung anwendbaren Regelungen des § 37 Abs 3 MRG enthalten eine gesetzliche Definition der Rechtsmittellegitimation. Es gilt daher der allgemeine Grundsatz, dass die Rechtsmittellegitimation dann zu bejahen ist, wenn die angefochtene Entscheidung in die geschützte Rechtssphäre der betreffenden Person eingreift (RS0006497).

2.2 Nach ständiger Rechtsprechung ist daher nur derjenige rechtsmittellegitimiert, der durch die bekämpfte Entscheidung (formell oder materiell) beschwert ist. Formelle Beschwer liegt vor, wenn die Entscheidung von dem ihr zugrunde liegenden Antrag des Rechtsmittelwerbers zu seinem Nachteil abweicht. Die formelle Beschwer reicht aber nicht immer aus. Der Rechtsmittelwerber muss auch materiell beschwert sein. Materielle Beschwer liegt vor, wenn die (materielle oder prozessuale) Rechtsstellung des Rechtsmittelwerbers durch die Entscheidung beeinträchtigt wird (RS0041868; RS0006641; Kodek in Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG § 45 Rz 50). Die Beschwer muss zur Zeit der Erhebung des Rechtsmittels gegeben sein und zur Zeit der Entscheidung über das Rechtsmittel noch fortbestehen; andernfalls ist das Rechtsmittel von Amts wegen als unzulässig zurückzuweisen (RS0041770).

3.1 Die Bestellung des vorläufigen Verwalters wird mit der Rechtskraft des gerichtlichen Sachbeschlusses wirksam (E. M. Hausmann aaO § 23 Rz 21). Erst ab diesem Zeitpunkt kommen ihm die Befugnisse des § 20 WEG zu. Da kein subjektives Recht auf Bestellung zum Verwalter nach § 23 WEG besteht, ist ausgeschlossen, dass das gerichtliche Verfahren zur Bestellung eine rechtlich geschützte Stellung der als einstweiliger Verwalter in Aussicht genommenen Person berührt. Diesem kommt damit jedenfalls im Verfahren erster Instanz weder eine formelle, noch im Sinn des § 52 Abs 2 Z 1 WEG eine materielle Parteistellung zu.

3.2 Inwieweit der mit Sachbeschluss des Erstgerichts zur einstweiligen Verwalterin bestellten Revisionsrekurswerberin ungeachtet des Fehlens ihrer Parteistellung im Verfahren eine Rekurslegitimation gegen den Sachbeschluss über ihre Bestellung zukommt, etwa weil diese gegen ihren Willen erfolgte, und ihr damit eine Beschwer und insoweit zumindest eine partielle Parteistellung zugebilligt werden könnte, muss hier nicht untersucht werden. Ihr Rechtsmittel richtet sich gegen den Beschluss des Rekursgerichts, mit dem dieses dem Erstgericht die neuerliche Entscheidung über die Parteistellung der (offensichtlich faktisch verwaltenden) GmbH auftrug, und betrifft damit einen Zwischenstreit (dazu RS0107893), der ihre Rechtsposition jedenfalls unberührt lässt.

4. Im Ergebnis folgt: Im Zwischenverfahren über die Parteistellung desjenigen, der behauptet Verwalter zu sein, werden rechtlich geschützte Interessen der mit Sachbeschluss des Erstgerichts vom 11. 3. 2019 (nicht rechtskräftig) zur einstweiligen Verwalterin gemäß § 23 WEG bestellten Revisionsrekurswerberin nicht berührt, sodass dieser keine Rechtsmittellegitimation gegen den Beschluss des Rekursgerichts zukommt, mit der dieses dem Erstgericht die neuerliche Entscheidung dieser Frage aufgetragen hat. Der Revisionsrekurs ist daher zurückzuweisen.

Textnummer

E129793

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2020:0050OB00051.20S.0527.000

Im RIS seit

09.12.2020

Zuletzt aktualisiert am

09.12.2020
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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