TE Bvwg Erkenntnis 2020/10/2 W251 2233438-3

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 02.10.2020
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Entscheidungsdatum

02.10.2020

Norm

BFA-VG §22a Abs4
B-VG Art133 Abs4
FPG §76
FPG §80

Spruch

W251 2233438-3/5E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Dr. Angelika SENFT als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX , StA Algerien, im amtswegig eingeleiteten Verfahren zur Prüfung der Verhältnismäßigkeit der weiteren Anhaltung in Schubhaft zu Recht:

A)

Gemäß § 22a Abs. 4 BFA-VG iVm § 76 FPG iVm § 80 FPG wird festgestellt, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen nicht vorliegen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig.



Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer stellte am 25.02.2016 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.

2. Es besteht gegen den Beschwerdeführer eine rechtskräftige aufenthaltsbeendende Maßnahme.

3. Mit Bescheid des Bundesamtes vom 08.04.2020 wurde über den Beschwerdeführer gemäß § 76 Abs. 2 Z 2 FPG die Schubhaft zum Zwecke der Sicherung der Abschiebung angeordnet.

4. Der Beschwerdeführer wird seit 08.04.2020 in Schubhaft angehalten.

5. Mit Erkenntnissen des Bundesverwaltungsgerichtes vom 07.08.2020 und vom 04.09.2020 wurde jeweils festgestellt, dass zum Zeitpunkt der jeweiligen Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen und die Aufrechterhaltung der Schubhaft zum Zeitpunkt der jeweiligen Entscheidung verhältnismäßig ist.

6. Das Bundesamt legte dem Bundesverwaltungsgericht am 22.09.2020 die Akten gemäß §22a BFA-VG zur neuerlichen Überprüfung der Verhältnismäßigkeit der Schubhaft vor.

7. Mit Parteigehör vom 28.09.2020 gab das Bundesverwaltungsgericht den Parteien des Verfahrens bekannt, dass eine Anhaltung in Schubhaft nur in den Fällen des § 80 Abs 4 FPG länger als 6 Monate andauern darf und diese nationale Bestimmung im Sinne der Rückführungsrichtlinie auszulegen ist. Aus den bisherigen Ausführungen des BFA ergibt sich jedoch, dass der Beschwerdeführer bereits von Algerien identifiziert worden sei und eine Abschiebung nur aus dem Grund unterbleiben ist, dass derzeit aufgrund der COVID-19-Pandemie keine Flüge nach Algerien durchgeführt werden. Das Bundesamt wurde aufgefordert darzulegen, aus welchen Gründen die Schubhaftdauer gemäß § 80 Abs 4 FPG im vorliegenden Fall 18 Monate betragen dürfe.

8. Das Bundesamt führte in der Stellungnahme vom 30.09.2020 und vom 02.10.2020 aus, dass die höchstmögliche Schubhaftdauer im gegenständlichen Fall bis zu 18 Monate betragen könne, da die Voraussetzungen des § 80 Abs 4 Z 2 sowie des § 80 Abs 4 Z 4 FPG erfüllt seien.

Die Voraussetzungen des § 80 abs 4 Z 2 FPG seien erfüllt, da sich aus der schriftlichen Zusage der algerischen Botschaft zur Ausstellung eines Heimreisezertifikats noch nicht ergebe, dass bereits alle erforderlichen Bewilligungen für die Einreise vorliegen würden. So seien derzeit Abschiebungen nach Algerien über Istanbul denkmöglich, die jedoch von der Erteilung von Durchbeförderungsbewilligungen abhängig seien. Da der Beschwerdeführer bisher unkooperativ gewesen sei, sei nur eine begleitete Abschiebung mit Begleitbeamten möglich, sodass auch für diese die Bestimmungen für die Ein- und Durchreise erfüllt werden müssen. Insbesondere für den Transitbereich in der Türkei seien für Begleitbeamte zwingend Genehmigungen für die Durchbeförderung erforderlich. Auch durch die COVID-19-Pandemie seien sowohl für den Beschwerdeführer als auch für die Begleitbeamten die Erfüllung von COVID-19-Bestimmungen bei der Ein- und der Durchreise erforderlich. Da die für die Ein- oder Durchreise erforderliche Bewilligung eines anderen Staates noch nicht vorliege, seien die Voraussetzungen des § 80 Abs 4 Z 2 FPG erfüllt, sodass die höchstmögliche Schubhaftdauer 18 Monate betrage.

Die Voraussetzungen des § 80 Abs 4 Z 2 FPG seien erfüllt, da sich der Beschwerdeführer vom 12.04.2020 bis 22.04.2020 in Hungerstreik befand um seine Entlassung aus der Schubhaft zu erwirken. Nachdem sein Aufenthalt in Deutschland unrechtmäßig geworden sei, sei er 2016 in Deutschland untergetaucht und nach Österreich weitergereist, dadurch habe er sich einer möglichen Abschiebung in Deutschland entzogen. Dadurch, dass der Beschwerdeführer nach der ersten Strafhaft in Österreich nicht gemeldet war und somit für die Behörden nicht greifbar war, habe die Überstellung nach Deutschland im Jahr 2018 nicht durchgeführt werden können. Da der Beschwerdeführer zum Zeitpunkt des Ablaufs der Überstellungsfristen wieder in Haft war, sei die Überstellungsfristen abgelaufen. Der Beschwerdeführer habe sich daher durch den Ablauf der Überstellungsfristen einer Abschiebung bzw. Dublin-Überstellung entzogen und daher ein Abschiebehindernis zu vertreten. Dadurch, dass der Beschwerdeführer sich bereits einmal einem Verfahren entzogen hat bzw. die Abschiebung durch seinen Hungerstreik, sein Untertauchen in Deutschland und sein unkooperatives Verhalten gefährdet schein, liegen die Voraussetzungen des § 80 Abs 4 Z 4 FPG vor.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1. Zum Verfahrensgang:

1.1. Am 15.08.2015 reiste der Beschwerdeführer in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 25.02.2016 einen Antrag auf internationalen Schutz, der am 21.04.2016 abgewiesen wurde. Die Abschiebung wurde vorübergehend ausgesetzt und der Beschwerdeführer bis 20.12.2016 in Deutschland geduldet. Die Gültigkeit der Duldung wurde über diesen Zeitpunkt hinaus nicht verlängert. Ab 22.02.2017 galt er als unbekannt verzogen. Zur Person des Beschwerdeführers liegen in Deutschland drei nationale Fahndungsnotierungen vor.

1.2. Der Beschwerdeführer reiste in weiterer Folge nach Österreich ein. Er wurde in Österreich straffällig, am 27.09.2017 festgenommen und über ihn die Untersuchungshaft verhängt. Er wurde von einem Strafgericht zu einer Freiheitsstrafe verurteilt.

1.3. Auf Grund des in Deutschland vorliegenden, aber negativ entschiedenen, Asylverfahrens wurde ein Konsultationsverfahren mit den deutschen Behörden eingeleitet und am 27.11.2017 die Zustimmung zur Rückübernahme des Beschwerdeführers erteilt.

Mit Bescheid vom 26.03.2018 erteilte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl dem Beschwerdeführer keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, ordnete die Außerlandesbringung an und erklärte die Abschiebung nach Deutschland für zulässig. Dieser Bescheid blieb unangefochten.

1.4. Der Beschwerdeführer befand sich bis 27.03.2018 in Strafhaft.

Der Beschwerdeführer wurde abermals straffällig, am 08.06.2018 festgenommen und über ihn die Untersuchungshaft verhängt. Er wurde von einem Landesgericht zu einer zweijährigen Freiheitsstrafe verurteilt und in Strafhaft genommen.

1.5. Aufgrund fehlender Dokumente beantragte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl ein Heimreisezertifikat für den Beschwerdeführer bei den algerischen Behörden. Der Beschwerdeführer wurde am 18.10.2018 schriftlich seitens der algerischen Botschaft als algerischer Staatsangehöriger identifiziert und eine schriftliche Zustimmung zur Ausstellung eines Heimreisezertifikates (HRZ) erteilt.

1.6. Die Überstellungsfrist nach Deutschland lief unter Berücksichtigung einer Verlängerung durch die erste Strafhaft am 28.11.2018 ab, der Beschwerdeführer befand sich auch zu diesem Zeitpunkt noch in Strafhaft, sodass innerhalb der Überstellungsfrist keine Überstellung nach Deutschland erfolgen konnte.

1.7. Mit Bescheid vom 08.04.2020 erteilte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl dem Beschwerdeführer keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ eine Rückkehrentscheidung und ein Einreiseverbot für die Dauer von 10 Jahren. Es stellte fest, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers nach Algerien zulässig ist, gewährte keine Frist für eine freiwillige Ausreise und erkannte einer Beschwerde die aufschiebende Wirkung ab. Dieser Bescheid blieb unangefochten.

1.8. Mit Bescheid vom 08.04.2020 ordnete das Bundesamt gemäß § 76 Abs. 2 Z 2 FPG über den Beschwerdeführer die Schubhaft zum Zwecke der Sicherung der Abschiebung an.

1.9. Nach Entlassung des Beschwerdeführers aus der Strafhaft am 08.04.2020 wurde er am 08.04.2020, 11:00 Uhr in Schubhaft genommen.

1.10. Mit Erkenntnissen des Bundesverwaltungsgerichtes vom 07.08.2020 und vom 04.09.2020 wurde jeweils festgestellt, dass zum Zeitpunkt der jeweiligen Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen und die Aufrechterhaltung der Schubhaft zum Zeitpunkt der jeweiligen Entscheidung verhältnismäßig ist.

1.11. Die algerische Botschaft in Wien ist derzeit geöffnet. Die Ausstellung eines Heimreisezertifkat durch die algerische Botschaft dauert ca. 3 Wochen. Für die Ausstellung eines Heimreisezertifkats ist jedoch die Buchung eines Fluges erforderlich. Sobald ein Abschiebeflug für den Beschwerdeführer gebucht wird, werden die Flugdaten der algerischen Botschaft bekannt gegeben, die dann innerhalb von drei Wochen das Heimreisezertifikat ausstellt.

Es konnte bisher noch kein Flug für den Beschwerdeführer gebucht werden, da derzeit von Wien aus alle kommerziellen Flüge nach Algerien aufgrund der COVID-Pandemie eingestellt wurde. Es gibt keine Informationen darüber, ab wann reguläre Flüge von Wien nach Algerien aus wieder aufgenommen werden und ob zusätzliche Einreisebestimmungen, wie PCR-Testungen, eingeführt werden könnten.

Die Wiederaufnahme der Flüge nach Algerien wurde in den letzten Wochen mehrfach verschoben. Es besteht derzeit keine direkte kommerzielle Flugverbindung von Österreich nach Algerien. Mit Stand 24.09.2020 bestand auch keine indirekte Flugverbindung nach Algerien über Istanbul, diese ist jedenfalls bis zum 01.10.2020 eingestellt worden. Derzeit ist keine Rückführung des Beschwerdeführers nach Algerien über den Flugweg möglich.

Für eine Abschiebung mit Begleitbeamten mit Flügen über Istanbul sind von der Türkei Genehmigungen zur Durchbeförderung erforderlich. Für eine Durchförderungsbewilligung in der Türkei sind die Flugdaten und die Daten des Reisedokuments bzw. des Heimreisezertifikats erforderlich. Es ist mit diesen Daten eine Anfrage durch das BMI an das türkische Innenministerium zu richten. Im Jahr 2019 wurden solche Zustimmungen durch die türkischen Behörden häufig erteilt. Sobald wieder eine Flugverbindung für den Beschwerdeführer – eventuell über Istanbul – nach Algerien möglich ist, beabsichtigt das Bundesamt einen solchen Flug für den Beschwerdeführer zu buchen und alle erforderlichen Genehmigungen und Durchförderungsbewilligungen einzuholen.

Bei Einreisen und Durchreisen sind derzeit weltweit die COVID-Bestimmungen der jeweiligen Länder einzuhalten.

Es konnte für den Beschwerdeführer jedoch bisher weder ein Flug nach Algerien – allenfalls über die Türkei – gebucht werden, noch hat das Bundesamt bereits für den Beschwerdeführer die erforderlichen Genehmigungen für die Ein- und Durchreise bei den türkischen Behörden beantragt. Es ist derzeit auch kein möglicher Abschiebetermin für den Beschwerdeführer bekannt.

2. Zur Person des Beschwerdeführers und zu den Voraussetzungen der Schubhaft

2.1. Der Beschwerdeführer besitzt die österreichische Staatsbürgerschaft nicht, er besitzt auch keine Staatsbürgerschaft eines EU-Mitgliedstaates, er ist algerischer Staatsangehöriger. Der Beschwerdeführer ist volljährig und weder Asylberechtigter noch subsidiär Schutzberechtigter.

2.2. Es besteht gegen den Beschwerdeführer eine rechtskräftige aufenthaltsbeendende Maßnahme.

2.3. Der Beschwerdeführer ist haftfähig. Es liegen keine die Haftfähigkeit ausschließenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen oder Erkrankungen beim Beschwerdeführer vor. Der Beschwerdeführer hat in der Schubhaft Zugang zu allenfalls benötigter medizinischer Versorgung.

3. Zum Sicherungsbedarf, zur Fluchtgefahr und zur Verhältnismäßigkeit:

3.1. Der Beschwerdeführer weist in Österreich folgende strafgerichtlichen Verurteilungen auf:

Am 30.10.2017 wurde von einem Landesgericht gemäß §§ 127, 129 (1) Z 1 2. Fall, 130 (2) 2. Fall StGB § 15 StGB; § 15 StGB § 269 (1) 1. Fall StGB; § 229 (1) StGB zu einer Freiheitsstrafe von 18 Monaten verurteilt, wobei eine Freiheitsstrafe von 12 Monate unter Setzung einer Probezeit bedingt nachgesehen wurde.

Am 03.07.2018 wurde der Beschwerdeführer von einem Landesgericht gemäß §§ 127, 129 (1) Z 1, 130 (2) StGB § 15 StGB § 241e (1) 1. Fall StGB § 229 (1) StGB zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt.

3.2. Der Beschwerdeführer verfügt in Österreich über keinen eigenen gesicherten Wohnsitz, er war bislang nur in Justizanstalten und im Polizeianhaltezentrum behördlich gemeldet.

3.3. Der Beschwerdeführer ging in Österreich keiner legalen Erwerbstätigkeit nach. Er verfügt über keine eigenen finanziellen Mittel zur Existenzsicherung. In Österreich leben keine Familienangehörige. Seine Mutter lebt in Frankreich. Sonstige enge soziale Bindungen an Österreich liegen nicht vor, er ist ledig und hat keine Kinder.

3.4. Der Beschwerdeführer achtet die österreichische Rechtsordnung nicht. Auch eine strafgerichtliche Verurteilung konnte ihn nicht zu rechtskonformen Verhalten bewegen. Er hat sich in Österreich überwiegend in Strafhaft bzw. in Untersuchungshaft aufgehalten.

Die Anordnung zur Außerlandesbringung des Beschwerdeführers nach Deutschland wurde am 26.03.2018 erlassen. Aufgrund der Strafhaft verlängerte sich die Überstellungsfrist bis zum 28.11.2018. Am 27.03.2018 wurde der Beschwerdeführer aus der Strafhaft entlassen, er war jedoch danach nicht im ZMR gemeldet, tauchte unter und war daher für die Behörden nicht auffindbar. Er wurde am 09.06.2018 erneut aufgrund von Straftaten inhaftiert, konnte jedoch dann wegen der erneuten Freiheitsstrafe nicht innerhalb der Überstellungsfrist nach Deutschland überstellt werden, sodass die Überstellungsfrist abgelaufen ist.

Der Beschwerdeführer befand sich vom 12.04.2020 bis 22.04.2020 im Hungerstreik um seine Entlassung aus der Schubhaft zu erwirken.

3.5. Bei einer Entlassung aus der Schubhaft wird der Beschwerdeführer erneut untertauchen und sich vor den Behörden verborgen halten um sich einer Abschiebung zu entziehen.

2. Beweiswürdigung:

Beweis wurde erhoben durch Einsichtnahme in die Akten des Bundesamtes und in die Akten des Bundesverwaltungsgerichtes zu den Zahlen W155 2233438-1, W155 2233438-2 und W251 2233438-3 und durch Einsichtnahme in das Zentrale Fremdenregister, in das Strafregister, in das Zentrale Melderegister, in das Grundversorgungsinformationssystem sowie in die Anhaltedatei des Bundesministeriums für Inneres.

1. Zum Verfahrensgang, zur Person des Beschwerdeführers und den Voraussetzungen der Schubhaft

Aus dem Verfahrensakt des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl ergibt sich, dass der Beschwerdeführer keine österreichische Staatsbürgerschaft besitzt und weder Asylberechtigter noch subsidiär Schutzberechtigter ist. Die Staatsangehörigkeit Algeriens ergibt sich aus den Feststellungen der algerischen Botschaft.

Die Feststellungen zum Asylverfahren in der Bundesrepublik Deutschland ergeben sich aus diesbezüglichen Korrespondenz mit den deutschen Behörden.

Es haben sich weder aus dem Verwaltungsakt noch aus der Anhaltedatei Anhaltspunkte dafür ergeben, dass beim Beschwerdeführer eine gesundheitliche Beeinträchtigung oder gar Haftunfähigkeit vorliegen würde, weshalb die diesbezügliche Feststellung zu treffen war. Dass er Zugang zu allenfalls benötigter medizinischer Behandlung hat, ist unzweifelhaft.

Dass der Beschwerdeführer seit 08.04.2020 in Schubhaft angehalten wird, ergibt sich aus dem Akt des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl sowie aus der Anhaltedatei des Bundesministeriums für Inneres.

2. Zum Sicherungsbedarf, zur Fluchtgefahr und zur Verhältnismäßigkeit:

Aus der Einsichtnahme in das Strafregister sowie aus den in den Gerichts- und Verwaltungsakten einliegenden Urteilen ergeben sich die Feststellungen zu den strafrechtlichen Verurteilungen des Beschwerdeführers.

Die Feststellung zum fehlenden gesicherten Wohnsitz ergibt sich aus dem Auszug aus dem Zentralen Melderegister und den Angaben des Beschwerdeführers in seiner Stellungnahme vom 06.04.2020, wo er angibt, illegal bei Freunden gewohnt zu haben.

Der fremdenrechtliche Status des Beschwerdeführers, die Feststellungen zu den fehlenden finanziellen Mittel sowie der illegalen beruflichen Tätigkeit und die Feststellung zu Familienangehörigen in Österreich bzw. Frankreich ergeben sich aus dem Verwaltungsakt, insbesondere aus seiner Stellungnahme vom 06.04.2020.

Dass der Beschwerdeführer nicht gewillt ist, sich an die Rechtsordnung in Österreich zu halten, ergibt sich aus dem festgestellten bisherigen (straffälligen, illegalen) Verhalten des Beschwerdeführers.

Die Feststellungen zu den Verfahren zur Erlangung eines Heimreisezertifikates und zu den durch die COVID-19-Pandemie hervorgerufenen Einschränkungen ergeben sich aus dem Behördenakt und den Begleitinformationen der behördlichen Aktenvorlagen und Stellungnahmen.

Das Gericht geht daher davon aus, dass der Beschwerdeführer bei einer Entlassung aus der Schubhaft untertauchen und sich vor den Behörden verborgen halten wird. Es haben sich im Verfahren keine Anhaltspunkte dafür ergeben, dass der Beschwerdeführer sein bisher gezeigtes Verhalten ändern wird.

Weitere Beweise waren wegen Entscheidungsreife nicht aufzunehmen.

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1. Zu Spruchteil A. – Fortsetzungsausspruch

3.1.1. §§ 76 und 77 Fremdenpolizeigesetz (FPG), § 22a Abs 4 Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Verfahrensgesetz (BFA-VG) und Art 15 Rückführungsrichtlinie lauten auszugsweise:

Schubhaft (FPG)


„§ 76 (1) Fremde können festgenommen und angehalten werden (Schubhaft), sofern der Zweck der Schubhaft nicht durch ein gelinderes Mittel (§ 77) erreicht werden kann. Unmündige Minderjährige dürfen nicht in Schubhaft angehalten werden.

(2) Die Schubhaft darf nur angeordnet werden, wenn
1.         dies zur Sicherung des Verfahrens über einen Antrag auf internationalen Schutz im Hinblick auf die Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme notwendig ist, sofern der Aufenthalt des Fremden die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gemäß § 67 gefährdet, Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist, oder
2.         dies zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme nach dem 8. Hauptstück oder der Abschiebung notwendig ist, sofern jeweils Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist, oder
3.         die Voraussetzungen des Art. 28 Abs. 1 und 2 Dublin-Verordnung vorliegen. 

Bedarf es der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme deshalb nicht, weil bereits eine aufrechte rechtskräftige Rückkehrentscheidung vorliegt (§ 59 Abs. 5), so steht dies der Anwendung der Z 1 nicht entgegen. In den Fällen des § 40 Abs. 5 BFA-VG gilt Z 1 mit der Maßgabe, dass die Anordnung der Schubhaft eine vom Aufenthalt des Fremden ausgehende Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit nicht voraussetzt

(2a) Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung (Abs. 2 und Art. 28 Abs. 1 und 2 Dublin-Verordnung) ist auch ein allfälliges strafrechtlich relevantes Fehlverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen, insbesondere ob unter Berücksichtigung der Schwere der Straftaten das öffentliche Interesse an einer baldigen Durchsetzung einer Abschiebung den Schutz der persönlichen Freiheit des Fremden überwiegt.

(3) Eine Fluchtgefahr im Sinne des Abs. 2 Z 1 oder 2 oder im Sinne des Art. 2 lit n Dublin-Verordnung liegt vor, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich der Fremde dem Verfahren oder der Abschiebung entziehen wird oder dass der Fremde die Abschiebung wesentlich erschweren wird. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen,
1.         ob der Fremde an dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme mitwirkt oder die Rückkehr oder Abschiebung umgeht oder behindert;
1a.         ob der Fremde eine Verpflichtung gemäß § 46 Abs. 2 oder 2a verletzt hat, insbesondere, wenn ihm diese Verpflichtung mit Bescheid gemäß § 46 Abs. 2b auferlegt worden ist, er diesem Bescheid nicht Folge geleistet hat und deshalb gegen ihn Zwangsstrafen (§ 3 Abs. 3 BFA-VG) angeordnet worden sind;
2.         ob der Fremde entgegen einem aufrechten Einreiseverbot, einem aufrechten Aufenthaltsverbot oder während einer aufrechten Anordnung zur Außerlandesbringung neuerlich in das Bundesgebiet eingereist ist;
3.         ob eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme besteht oder der Fremde sich dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme oder über einen Antrag auf internationalen Schutz bereits entzogen hat;
4.         ob der faktische Abschiebeschutz bei einem Folgeantrag (§ 2 Abs. 1 Z 23 AsylG 2005) aufgehoben wurde oder dieser dem Fremden nicht zukommt;
5.         ob gegen den Fremden zum Zeitpunkt der Stellung eines Antrages auf internationalen Schutz eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme bestand, insbesondere, wenn er sich zu diesem Zeitpunkt bereits in Schubhaft befand oder aufgrund § 34 Abs. 3 Z 1 bis 3 BFA-VG angehalten wurde;
6.         ob aufgrund des Ergebnisses der Befragung, der Durchsuchung oder der erkennungsdienstlichen Behandlung anzunehmen ist, dass ein anderer Mitgliedstaat nach der Dublin-Verordnung zuständig ist, insbesondere sofern
a.         der Fremde bereits mehrere Anträge auf internationalen Schutz in den Mitgliedstaaten gestellt hat oder der Fremde falsche Angaben hierüber gemacht hat,
b.         der Fremde versucht hat, in einen dritten Mitgliedstaat weiterzureisen, oder
c.         es aufgrund der Ergebnisse der Befragung, der Durchsuchung, der erkennungsdienstlichen Behandlung oder des bisherigen Verhaltens des Fremden wahrscheinlich ist, dass der Fremde die Weiterreise in einen dritten Mitgliedstaat beabsichtigt;
7.         ob der Fremde seiner Verpflichtung aus dem gelinderen Mittel nicht nachkommt;
8.         ob Auflagen, Mitwirkungspflichten, Gebiets-beschränkungen, Meldeverpflichtungen oder Anordnungen der Unterkunftnahme gemäß §§ 52a, 56, 57 oder 71 FPG, § 38b SPG, § 13 Abs. 2 BFA-VG oder §§ 15a oder 15b AsylG 2005 verletzt wurden, insbesondere bei Vorliegen einer aktuell oder zum Zeitpunkt der Stellung eines Antrags auf internationalen Schutzes durchsetzbaren aufenthaltsbeendenden Maßnahme;
9.         der Grad der sozialen Verankerung in Österreich, insbesondere das Bestehen familiärer Beziehungen, das Ausüben einer legalen Erwerbstätigkeit beziehungsweise das Vorhandensein ausreichender Existenzmittel sowie die Existenz eines gesicherten Wohnsitzes.

(4) Die Schubhaft ist schriftlich mit Bescheid anzuordnen; dieser ist gemäß § 57 AVG zu erlassen, es sei denn, der Fremde befände sich bei Einleitung des Verfahrens zu seiner Erlassung aus anderem Grund nicht bloß kurzfristig in Haft. Nicht vollstreckte Schubhaftbescheide gemäß § 57 AVG gelten 14 Tage nach ihrer Erlassung als widerrufen.

(5) Wird eine aufenthaltsbeendende Maßnahme durchsetzbar und erscheint die Überwachung der Ausreise des Fremden notwendig, so gilt die zur Sicherung des Verfahrens angeordnete Schubhaft ab diesem Zeitpunkt als zur Sicherung der Abschiebung verhängt.

(6) Stellt ein Fremder während einer Anhaltung in Schubhaft einen Antrag auf internationalen Schutz, so kann diese aufrechterhalten werden, wenn Gründe zur Annahme bestehen, dass der Antrag zur Verzögerung der Vollstreckung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme gestellt wurde. Das Vorliegen der Voraussetzungen ist mit Aktenvermerk festzuhalten; dieser ist dem Fremden zur Kenntnis zu bringen. § 11 Abs. 8 und § 12 Abs. 1 BFA-VG gelten sinngemäß.“

Dauer der Schubhaft (FPG)

§ 80. (1) Das Bundesamt ist verpflichtet, darauf hinzuwirken, dass die Schubhaft so kurz wie möglich dauert. Die Schubhaft darf so lange aufrechterhalten werden, bis der Grund für ihre Anordnung weggefallen ist oder ihr Ziel nicht mehr erreicht werden kann.
(2) Die Schubhaftdauer darf, vorbehaltlich des Abs. 5 und der Dublin-Verordnung, grundsätzlich,
1.         drei Monate nicht überschreiten, wenn die Schubhaft gegen einen mündigen Minderjährigen angeordnet wird;
2.         sechs Monate nicht überschreiten, wenn die Schubhaft gegen einen Fremden, der das 18. Lebensjahr vollendet hat, angeordnet wird und kein Fall der Abs. 3 und 4 vorliegt

(3) Darf ein Fremder deshalb nicht abgeschoben werden, weil über einen Antrag gemäß § 51 noch nicht rechtskräftig entschieden ist, kann die Schubhaft bis zum Ablauf der vierten Woche nach rechtskräftiger Entscheidung, insgesamt jedoch nicht länger als sechs Monate aufrecht erhalten werden.

(4) Kann ein Fremder deshalb nicht abgeschoben werden, weil,
1.         die Feststellung seiner Identität und der Staatsangehörigkeit, insbesondere zum Zweck der Erlangung eines Ersatzreisedokumentes, nicht möglich ist,
2.         eine für die Ein- oder Durchreise erforderliche Bewilligung eines anderen Staates nicht vorliegt,
3.         der Fremde die Abschiebung dadurch vereitelt, dass er sich der Zwangsgewalt (§ 13) widersetzt, oder
4.         die Abschiebung dadurch, dass der Fremde sich bereits einmal dem Verfahren entzogen oder ein Abschiebungshindernis auf sonstige Weise zu vertreten hat, gefährdet erscheint

kann die Schubhaft wegen desselben Sachverhalts abweichend von Abs. 2 Z 2 und Abs. 3 höchstens 18 Monate aufrechterhalten werden.

Rechtsschutz bei Festnahme, Anhaltung und Schubhaft (BFA-VG)

§ 22a (4) Soll ein Fremder länger als vier Monate durchgehend in Schubhaft angehalten werden, so ist die Verhältnismäßigkeit der Anhaltung nach dem Tag, an dem das vierte Monat überschritten wurde, und danach alle vier Wochen vom Bundesverwaltungsgericht zu überprüfen. Das Bundesamt hat die Verwaltungsakten so rechtzeitig vorzulegen, dass dem Bundesverwaltungsgericht eine Woche zur Entscheidung vor den gegenständlichen Terminen bleibt. Mit Vorlage der Verwaltungsakten gilt die Beschwerde als für den in Schubhaft befindlichen Fremden eingebracht. Das Bundesamt hat darzulegen, warum die Aufrechterhaltung der Schubhaft notwendig und verhältnismäßig ist. Das Bundesverwaltungsgericht hat jedenfalls festzustellen, ob zum Zeitpunkt seiner Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen und ob die Aufrechterhaltung der Schubhaft verhältnismäßig ist. Diese Überprüfung hat zu entfallen, soweit eine Beschwerde gemäß Abs. 1 bereits eingebracht wurde

Anwendungsbereich (Rückführungsrichtlinie)

Art 2. (1) Diese Richtlinie findet Anwendung auf illegal im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats aufhältige Drittstaatsangehörige.

Inhaftnahme (Rückführungsrichtlinie)

Art 15. (1) Sofern in dem konkreten Fall keine anderen ausreichenden, jedoch weniger intensiven Zwangsmaßnahmen wirksam angewandt werden können, dürfen die Mitgliedstaaten Drittstaatsangehörige, gegen die ein Rückkehrverfahren anhängig ist, nur in Haft nehmen, um deren Rückkehr vorzubereiten und/oder die Abschiebung durchzuführen, (…)

(5) Die Haft wird so lange aufrechterhalten, wie die in Absatz 1 dargelegten Umstände gegeben sind und wie dies erforderlich ist, um den erfolgreichen Vollzug der Abschiebung zu gewährleisten. Jeder Mitgliedstaat legt eine Höchsthaftdauer fest, die sechs Monate nicht überschreiten darf. 

(6) Die Mitgliedstaaten dürfen den in Absatz 5 genannten Zeitraum nicht verlängern; lediglich in den Fällen, in denen die Abschiebungsmaßnahme trotz ihrer angemessenen Bemühungen aufgrund der nachstehend genannten Faktoren wahrscheinlich länger dauern wird, dürfen sie diesen Zeitraum im Einklang mit dem einzelstaatlichen Recht um höchstens zwölf Monate verlängern:
a.         mangelnde Kooperationsbereitschaft seitens der betroffenen Drittstaatsangehörigen oder,
b.         Verzögerung bei der Übermittlung der erforderlichen Unterlagen durch Drittstaaten.

3.1.2. Zur Judikatur:

Die Anhaltung in Schubhaft ist nach Maßgabe der grundrechtlichen Garantien des Art. 2 Abs. 1 Z 7 PersFrBVG und des Art. 5 Abs. 1 lit. f EMRK nur dann zulässig, wenn der Anordnung der Schubhaft ein konkreter Sicherungsbedarf zugrunde liegt und die Schubhaft unter Berücksichtigung der Umstände des jeweiligen Einzelfalls verhältnismäßig ist. Dabei sind das öffentliche Interesse an der Sicherung der Aufenthaltsbeendigung und das Interesse des Betroffenen an der Schonung seiner persönlichen Freiheit abzuwägen. Kann der Sicherungszweck auf eine andere, die Rechte des Betroffenen schonendere Weise, wie etwa durch die Anordnung eines gelinderen Mittels nach § 77 FPG, erreicht werden (§ 76 Abs. 1 FPG), ist die Anordnung der Schubhaft nicht zulässig (VfGH 03.10.2012, VfSlg. 19.675/2012; VwGH 22.01.2009, Zl. 2008/21/0647; 30.08.2007, Zl. 2007/21/0043).

Ein Sicherungsbedarf ist in der Regel dann gegeben, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich der Fremde dem Verfahren oder der Abschiebung entziehen oder diese zumindest wesentlich erschweren werde (§ 76 Abs. 3 FPG). Das Bestehen einer durchsetzbaren aufenthaltsbeendenden Maßnahme per se vermag zwar keinen Tatbestand zu verwirklichen, der in tauglicher Weise "Fluchtgefahr" zum Ausdruck bringt. Der Existenz einer solchen Maßnahme kommt jedoch im Rahmen der gebotenen einzelfallbezogenen Bewertung der Größe der auf Grund der Verwirklichung eines anderen tauglichen Tatbestandes des § 76 Abs. 3 FPG grundsätzlich anzunehmenden Fluchtgefahr Bedeutung zu (vgl. VwGH vom 11.05.2017, Ro 2016/21/0021). In einem schon fortgeschrittenen Verfahrensstadium reichen grundsätzlich weniger ausgeprägte Hinweise auf eine Vereitelung oder Erschwerung der Aufenthaltsbeendigung aus, weil hier die Gefahr des Untertauchens eines Fremden erhöht ist (VwGH vom 20.02.2014, 2013/21/0178).

Eine Schubhaft zur Sicherung der Abschiebung kann stets nur dann rechtens sein, wenn eine Abschiebung auch tatsächlich in Frage kommt. Steht hingegen von vornherein fest, dass diese Maßnahme nicht durchführbar ist, so darf die Schubhaft nicht verhängt werden. Umgekehrt schadet es - wie sich aus den Verlängerungstatbeständen des § 80 FrPolG 2005 idF FrÄG 2011 ergibt - nicht, wenn der ins Auge gefassten Abschiebung zeitlich befristete Hindernisse entgegenstehen. Diesen Verlängerungstatbeständen liegt freilich zu Grunde, dass die in Frage kommenden Hindernisse längstens innerhalb der zulässigen Schubhaftdauer beseitigt werden. Ist hingegen bereits bei Beginn der Schubhaft absehbar, dass das Abschiebehindernis nicht binnen dieser Frist zu beseitigen ist, so soll die Schubhaft nach den Vorstellungen des Gesetzgebers von Anfang an nicht verhängt werden. Dasselbe gilt, wenn während der Anhaltung in Schubhaft eintreten, aus denen erkennbar ist, dass die Abschiebung nicht in der restlichen noch zur Verfügung stehenden Schubhaftdauer bewerkstelligt werden kann (VwGH vom 11.06.2013, 2013/21/0024).

3.1.3. Aus den erläuternden Bemerkungen zu § 80 FPG (1523 der Beilage XXV, S. 2, Fremdenrechtsänderungsgesetz 2017 – FrÄG 2017) ergibt sich:

„Schließlich wird durch die Änderung des § 80 FPG einerseits die Regelung der höchstzulässigen Dauer der Schubhaft den Vorgaben des Unionsrechts auf Grund der Richtlinie 2008/115/EG über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger, ABl. Nr. L 348 vom 24.12.2008 S. 98 (im Folgenden: „Rückführungs-RL“) angepasst.“

Da mit der Bestimmung des § 80 FPG die Bestimmung des Art 15 Rückführungs-RL umgesetzt wird, ist bei Fällen, die in den Anwendungsbereich der Rückführungs-RL fallen, die innerstaatliche Bestimmung des § 80 FPG richtlinienkonform auszulegen.

Da es sich beim Beschwerdeführer um einen Drittstaatsangehörigen handelt, der sich illegal im Hoheitsgebiet eines Mitgliedsstaates aufhält, ist die Rückführungs-RL im gegenständlichen Fall anwendbar (siehe Art 2 Abs 1 Rückführungs-RL). Die Bestimmung des § 80 FPG ist daher im Sinne der Rückführungs-RL auszulegen.

3.1.4. Zu prüfen ist, wie lange die noch zur Verfügung stehende Schubhaftdauer im vorliegenden Fall ist und ob eine Abschiebung des Beschwerdeführers noch innerhalb der noch zur Verfügung stehenden Schubhaftdauer bewerkstelligt werden kann.

3.1.5. Die Schubhaftdauer darf gemäß § 80 Abs 2 FPG grundsätzlich die Dauer von sechs Monaten nicht übersteigen. Dies steht auch im Einklang mit Art 15 Abs 5 der Rückführungs-RL.

Im gegenständlichen Fall wird der Beschwerdeführer seit 08.04.2020 in Schubhaft angehalten, sodass eine Abschiebung des Beschwerdeführers innerhalb von 6 Monaten, sohin bis zum 08.10.2020 zu erfolgen hätte.

Eine Abschiebung des Beschwerdeführers bis zum 08.10.2020 ist nicht möglich, da es derzeit keine Flugverbindungen nach Algerien gibt. Es ist auch vom Bundesamt nicht vorgesehen den Beschwerdeführer bis zum 08.10.2020 mit einem Flug – allenfalls mit einem Zwischenstopp über Istanbul – nach Algerien abzuschieben.

3.1.6. Zu prüfen ist daher, ob in diesem Fall aufgrund der Bestimmungen des § 80 Abs 4 FPG iVm Art 15 Rückführungs-RL von einer Schubhaftdauer von bis zu 18 Monaten auszugehen ist.

3.1.7. Gemäß § 80 Abs 4 Z 2 FPG kann ein Drittstaatsangehöriger bis zu 18 Monate in Schubhaft angehalten werden, wenn er bisher deshalb nicht abgeschoben werden konnte, weil eine für die Ein- oder Durchreise erforderliche Bewilligung eines anderen Staates nicht vorliegt. Mit dieser Bestimmung wird Art 15 Abs 6 lit b der Rückführungs-RL umgesetzt, wonach in den Fällen, in denen Abschiebungsmaßnahmen trotz ihrer angemessenen Bemühungen aufgrund der Verzögerung bei der Übermittlung der erforderlichen Unterlagen durch einen Drittstaat, wahrscheinlich länger dauern werden, sich die höchstmögliche Schubhaftdauer um weitere 12 Monate verlängert.

Während § 80 Abs 4 Z 2 FPG darauf abstellt, dass für die Ein- oder Durchreise erforderliche Bewilligungen eines anderen Staates nicht vorliegen, stellt Art 15 Abs 6 lit b Rückführungs-Rl darauf an, dass es trotz angemessener Bemühungen zu einer Verzögerung der Übermittlung dieser Unterlagen durch den Drittstaat kommt. Der Anwendungsbereich der Rückführungs-RL ist daher enger gefasst, als in der Umsetzung des § 80 Abs 4 Z 2 FPG. Es ist daher die nationale Bestimmung im Sinne der Rückführungs-RL enger auszulegen.

Im gegenständlichen Fall wurde vom Bundesamt noch kein Flug – auch nicht über Istanbul – gebucht oder anvisiert. Es wurde bei den türkischen Behörden auch noch kein Antrag auf Erteilung einer Durchförderungsbewilligung gestellt, da aufgrund der Einschränkungen im internationalen Flugverkehr noch keine möglichen Flugdaten für einen Flug nach Algerien bekannt sind. Es wurden diesbezüglich auch noch keine Unterlagen bei der Türkei oder von einem anderen Drittstaat angefordert.

Es liegt hier daher kein Fall vor, in dem Abschiebemaßnahme aufgrund einer Verzögerung bei der Übermittlung von Unterlagen eines Drittstaates nicht durchgeführt werden können.

Das Bundesamt kann sich daher im gegenständlichen Fall nicht auf eine 18-monatige Schubhaftdauer gemäß § 80 Abs 4 Z 2 FPG stützen.

3.1.8. Gemäß § 80 Abs 4 Z 4 FPG kann ein Drittstaatsangehöriger bis zu 18 Monate in Schubhaft angehalten werden, wenn er bisher deshalb nicht abgeschoben werden konnte, weil die Abschiebung dadurch, dass der Fremde sich bereits einmal dem Verfahren entzogen oder ein Abschiebungshindernis auf sonstige Weise zu vertreten hat, gefährdet erscheint. Mit dieser Bestimmung wird Art 15 Abs 6 lit a der Rückführungs-RL umgesetzt, wonach sich in den Fällen, in denen Abschiebungsmaßnahmen trotz ihrer angemessenen Bemühungen aufgrund der mangelnde Kooperationsbereitschaft seitens der betroffenen Drittstaatsangehörigen wahrscheinlich länger dauern werden, die höchstmögliche Schubhaftdauer um weitere 12 Monate verlängert.

§ 80 Abs 4 Z 4 FPG stellt auf eine Gefährdung der Abschiebung ab, die sich daraus ergeben kann, dass sich der Fremde bereits einmal dem Verfahren entzogen hat oder er ein Abschiebehindernis auf sonstige Weise zu vertreten hat. Art 15 Abs 6 lit a der Rückführungs-RL stellt darauf ab, dass sich eine Abschiebung aufgrund der mangelnden Kooperationsbereitschaft des Beschwerdeführers verzögert. Nach der Rückführungs-RL muss die mangelnde Kooperationsbereitschaft des Drittstaatsangehörigen daher kausal für die Verzögerung von Abschiebungsmaßnahmen sein, sodass auch Art 80 Abs 4 Z 4 FPG diesbezüglich im Sinn von Art 15 Rückführungs-RL auszulegen ist.

Dem Bundesamt ist hier entgegen zu halten, dass der Hungerstreik des Beschwerdeführers im April 2020 nicht kausal für das Abschiebehindernis ist. Derzeit kann keine Abschiebung stattfinden, da aufgrund der COVID-Maßnahmen der kommerzielle Flugverkehr nach Algerien eingestellt wurde. Die COVID-Pandemie und die damit einhergehenden Einschränkungen im internationalen Flugverkehr sind daher kausal für die Verzögerung der Abschiebung. Der Hungerstreik im April 2020 ist nicht kausal für die Verzögerung der Abschiebung.

Dem Bundesamt ist zwar beizupflichten, dass eine Abschiebung des Beschwerdeführers nach Deutschland bereits 2018 hätte stattfinden können, wenn der Beschwerdeführer nach seiner ersten Haftentlassung seiner Meldeverpflichtung nachgekommen wäre und er für die Behörden greifbar gewesen wäre. Diesfalls wäre der Beschwerdeführer am 08.04.2020 nicht mehr in Österreich in Schubhaft genommen worden, sodass (im Sinne einer Conditio-sine-qua-non und Äquivalenz) von einer Kausalität im weitesten Sinn auszugehen ist. Es reicht jedoch nicht aus alleine auf die Äquivalenz abzustellen, da in diesem Fall jegliche – auch atypische – Kausalverläufe umfasst werden. Es ist daher auch immer auch auf die Adäquanz des Kausalverlaufs abzustellen. Dem Bundesamt ist in diesem Sinn entgegen zu halten, dass das Untertauchen des Beschwerdeführers im Jahr 2018 vor seiner zweiten Strafhaft in keinem adäquaten Kausalzusammenhang mehr mit der jetzigen Schubhaft steht. Für das derzeitige Abschiebehindernis sind die Einschränkungen im internationalen Flugverkehr ursächlich. Nach Ansicht des Gerichts steht ein Untertauchen im Jahr 2018, dass in weiterer Folge aufgrund einer zweiten Strafhaft zu einem Überschreiten der Dublin-Überstellungsfristen führte, in keinem ausreichend engen Kausalzusammenhang mehr zu den durch die COVID-19-Pandemie bedingten Einschränkungen im internationalen Flugverkehr im Jahr 2020.

Das Gericht geht davon aus, dass der Beschwerdeführer bereits nach Algerien abgeschoben worden wäre, wenn ein regelmäßiger Flugverkehr nach Algerien bestehen würde, da der Beschwerdeführer bereits als algerischer Staatsangehöriger identifiziert wurde und Algerien bereits schriftlich die Ausstellung eines Heimreisezertifikats zugesagt hat. Im vorliegenden Fall steht daher ausschließlich die Einschränkung des internationalen Flugverkehrs in einem kausalen und diesbezüglich adäquaten Kausalzusammenhang mit der Verzögerung der Abschiebung.

Eine Einschränkung des Flugverkehrs aufgrund der COVID-19-Pandemie ist jedoch nicht unter einer mangelnden Kooperationsbereitschaft von Drittstaatsangehörigen im Sinne des Art 15 Abs 5 lit a der Rückführungs-RL zu subsumieren.

3.1.9. Es liegen daher die Voraussetzungen für eine Verlängerung der 6-monatigen Schubhaftdauer auf 18 Monate nicht vor. Im gegenständlichen Fall darf die Schubhaftdauer von 6 Monaten nicht überschritten werden.

3.1.10. Da erkennbar ist, dass die Abschiebung nicht in der restlichen noch zur Verfügung stehenden Schubhaftdauer bewerkstelligt werden kann (VwGH vom 11.06.2013, 2013/21/0024), liegen die Voraussetzungen für die Fortsetzung der Schubhaft gemäß § 22a Abs 4 BFA-VG nicht mehr vor.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

3.1.12. Es konnte von der Abhaltung einer mündlichen Verhandlung Abstand genommen werden, da der Sachverhalt im Rahmen des behördlichen Verfahrens hinreichend geklärt wurde und das gerichtliche Verfahren keine wesentlichen Änderungen ergeben hat.

3.2. Zu Spruchteil B. - Revision

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig, wenn die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Dies ist der Fall wenn die Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, wenn es an einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes fehlt oder wenn die Frage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird bzw. sonstige Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vorliegen.

Es fehlt an einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs zur richtlinienkonformen Auslegung der Bestimmung des § 80 Abs 4 FPG.

Insbesondere fehlt es an der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs ob § 80 Abs 4 Z 4 FPG iVm Art 15 Rückführungs-RL dahingehend auszulegen ist, dass jegliches in der Vergangenheit gezeigte unkooperative Verhalten eines Drittstaatsangehörigen, dass auf ein zukünftiges Abschiebehindernis oder eine Erschwerung einer Abschiebung hindeutet bzw. bereits jedes in der Vergangenheit liegende Entziehen von einem (Asyl/Abschiebungs)Verfahren, auch wenn dies in keinem engen Kausalzusammenhang mehr mit der nunmehrigen Schubhaft und dem nunmehrigen Abschiebehindernis steht, die Verlängerung der Schubhaftdauer auf insgesamt 18 Monate ermöglicht.

Insbesondere fehlt es an der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs ob § 80 Abs 4 Z 2 FPG iVm Art 15 Rückführungs-RL dahingehend auszulegen ist, dass für die Annahme des Vorliegens einer Verzögerung bei der Übermittlung von erforderlichen Unterlagen zur Durch- und Einreise, diese Unterlagen zumindest vom Mitgliedstaat bereits hätten angefordert werden müssen oder, ob bereits die Kenntnis des Mitgliedstaates , dass es zwangsläufig zu Verzögerungen kommen wird, die Verlängerung der Schubhaftdauer auf insgesamt 18 Monate ermöglicht.

Die Revision war daher zuzulassen.

Schlagworte

Dauer Dauer der Maßnahme Fluchtgefahr Fortsetzung der Schubhaft Meldeverpflichtung Pandemie Revision zulässig Rückkehrentscheidung Schubhaft Sicherungsbedarf Straffälligkeit strafgerichtliche Verurteilung Strafhaft Untersuchungshaft Untertauchen Verhältnismäßigkeit

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W251.2233438.3.00

Im RIS seit

04.12.2020

Zuletzt aktualisiert am

04.12.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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