TE OGH 2020/10/21 9ObA71/20m

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Veröffentlicht am 21.10.2020
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Dr. Hopf als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Fichtenau und Hon.-Prof. Dr. Dehn sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Bianca Hammer (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Gerald Fida (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Dr. K*****, vertreten durch Klein Wuntschek & Partner Rechtsanwälte GmbH in Graz, gegen die beklagte Partei Land Steiermark, 8010 Graz, Hofgasse 15, vertreten durch Mag. Bernd Wurnig, Rechtsanwalt in Graz, wegen 50.884,85 EUR sA, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 25. Mai 2020, GZ 7 Ra 6/20m-15, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz als Arbeits- und Sozialgericht vom 23. Oktober 2019, GZ 33 Cga 28/19x-11, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 2.237,04 EUR (darin enthalten 372,84 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger schloss 1991 seine Ausbildung zum Facharzt für Kinderheilkunde ab. Bis 2013 war er durchgehend als selbständiger niedergelassener Facharzt für Kinderheilkunde tätig, parallel dazu übernahm er auf Basis von Werkverträgen die Kinderbetreuung und den Kindernotdienst für zwei Krankenhäuser. Ab 1. 12. 2016 war er bei der Beklagten im Rahmen eines Dienstverhältnisses als Facharzt für Kinderheilkunde in einem Landeskrankenhaus vollzeitbeschäftigt. Auf das Dienstverhältnis des Klägers sind die Bestimmungen des Dienst- und Besoldungsrechts der Bediensteten des Landes Steiermark (Stmk L-DBR), LGBl 2003/29, idF der Dienstrechts-Novelle 2014, LGBl 2014/151, anzuwenden. Ab Beginn des Dienstverhältnisses wurde der Kläger im Computersystem der Beklagten zwar als Oberarzt geführt, seine Einstufung erfolgte jedoch nicht als Oberarzt in sI/4 Entlohnungsstufe 5, sondern nur in sI/4 Entlohnungsstufe 1. Als Vorrückungsstichtag des Klägers wurde der 1. 12. 2016 festgehalten.

Der Kläger begehrt unter Zugrundelegung einer Einstufung als Oberarzt in die Entlohnungsgruppe sI/4 Entlohnungsstufe 5 (zuletzt) die von 1. 12. 2016 bis 1. 1. 2019 aufgelaufene Lohndifferenz von 50.884,85 EUR. Er sei von der Beklagten zu Unrecht nicht als Oberarzt eingestuft und entlohnt worden. Nach § 191a Abs 2 Z 1 2. Satz Stmk L-DBR idF der Dienstrechts-Novelle 2014 werde jeder Facharzt spätestens acht Jahre nach seiner Anerkennung als Facharzt zum Oberarzt ernannt. Er habe seine Ausbildung zum Facharzt vor weitaus mehr als acht Jahren abgeschlossen und sei viele Jahre als Facharzt tätig gewesen.

Die Beklagte wendet ein, der Kläger erfülle die Voraussetzungen für die Bestellung zum Oberarzt nicht. § 191a Abs 2 Z 1 2. Satz Stmk L-DBR idF der Dienstrechts-Novelle 2014 sei so zu verstehen, dass die für die Ernennung zum Oberarzt erforderliche fachärztliche Tätigkeit in einem Dienstverhältnis erbracht werden müsse. Der Kläger habe aber keine anrechenbaren Zeiten als Facharzt in einem Dienstverhältnis aufzuweisen. Dass er dennoch ab 1. 1. 2019 wie ein Oberarzt entlohnt worden sei, sei nur aus Kulanzgründen erfolgt.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Rechtlich folgte es dem Standpunkt des Klägers.

Das Berufungsgericht bestätigte das Ersturteil. Es ließ die ordentliche Revision mit der Begründung zu, dass der Auslegung des § 191a Abs 2 Z 1 Stmk L-DBR ungeachtet der zwischenzeitig erfolgten Änderung dieser Regelung über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukomme.

Gegen die Berufungsentscheidung richtet sich die Revision der Beklagten wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung der Sache mit dem Antrag, die Entscheidungen der Vorinstanzen dahin abzuändern, dass das Klagebegehren abgewiesen wird. Hilfsweise wird die Aufhebung begehrt.

Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen; hilfsweise ihr nicht Folge zu gegeben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision der Beklagten ist zulässig, weil noch keine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Auslegung des § 191a Abs 2 Z 1 Stmk L-DBR idF der Dienstrechts-Novelle 2014, LGBl 2014/151, besteht. Sie ist aber nicht berechtigt.

1.1 Mit 1. 1. 2015 trat für die bei der Beklagten beschäftigten Ärzte ein neues Entlohnungsschema in Kraft („SI-Vereinbarung NEU“). Der Abschluss der SI-Vereinbarung NEU im Jahr 2014 wurde in die steiermärkische Dienstrechts-Novelle 2014, LGBl 2014/151, eingearbeitet bzw umgesetzt.

1.2 § 191a Abs 1 Z 1 bis 4 Stmk L-DBR idF LGBl 2014/151 reiht – inhaltlich an § 3 der „SI-Vereinbarung NEU“ angelehnt – die Ärzte im Entlohnungsschema SI je nach (absolvierter) Ausbildung und Verwendung in vier Entlohnungsgruppen ein: Turnusärzte/Turnusärztinnen in sI/1 (Z 1), Assistenzärzte/Assistenzärztinnen in sI/2 (Z 2), Stationsärzte/Stationsärztinnen in sI/3 (Z 3) und Fachärzte/Fachärztinnen in sI/4).

1.3 § 191a Abs 1 Z 4 Stmk L-DBR idF LGBl 2014/151 lautet wie folgt:

„Entlohnungsgruppe sI/4, Fachärzte/Fach-ärztinnen:

Fachärzte/Fachärztinnen sind Ärzte/Ärztinnen, die eine fachärztliche Ausbildung absolviert haben, als Facharzt/Fachärztin durch Facharztdekret anerkannt und fachärztlich verwendet werden.“

1.4 Im Zuge der Gestaltung des neuen Gehaltsschemas wurde eine neue Funktionsgruppe „Oberarzt“ geschaffen, um jungen, engagierten, sozial kompetenten Ärzten die Möglichkeit zu geben, vorzeitig in diese mit einem höheren Gehalt vorgesehene Funktion aufzusteigen. Dementsprechend sieht Abs 2 des § 191a Stmk L-DBR idF LGBl 2014/151 in der Entlohnungsgruppe sI/4 folgende Funktionsgruppen vor:

„1. Oberärzte/Oberärztinnen:

das sind Fachärzte/Fachärztinnen, die zumindest drei Jahre als Facharzt/Fachärztin tätig sind und bei Erfüllung des Kompetenzlevelkatalogs auf Antrag des Abteilungsleiters/der Abteilungsleiterin unter Einbindung der an der Abteilung bereits tätigen Oberärzte/Oberärztinnen zum Oberarzt/zur Oberärztin ernannt werden. Jeder Facharzt/jede Fachärztin wird spätestens acht Jahre nach seiner/ihrer Anerkennung zum Facharzt/Fachärztin zum Oberarzt/Oberärztin ernannt.

2. Funktionsoberärzte/Funktionsoberärztinnen:

3. Geschäftsführende Oberärzte/Oberärztinnen:

...“

1.5 § 193 Abs 4 Stmk L-DBR idF LGBl 2014/151 enthält eine an § 6 Abs 6 „SI-Vereinbarung NEU“ angelehnte Regelung, nach der dem Oberarzt ab dem der Bestellung folgenden Monatsersten das Monatsentgelt der Entlohnungsgruppe sI/4 Entlohnungsstufe 5 gebührt.

2.1 § 6 ABGB bestimmt, dass einem Gesetz in der Anwendung kein anderer Verstand beigelegt werden darf, als welcher aus der eigentümlichen Bedeutung der Worte in ihrem Zusammenhang und aus der klaren Absicht des Gesetzgebers hervorleuchtet. Am Anfang jeder Gesetzesauslegung steht daher die wörtliche (sprachliche) Auslegung, der nach ständiger Rechtsprechung große Bedeutung zukommt (9 ObA 53/11a ua).

2.2 Wie sich aus § 191a Abs 2 Z 1 Stmk L-DBR idF LGBl 2014/151 ergibt, sind Oberärzte besonders qualifizierte bzw besonders erfahrene Fachärzte. Sie müssen entweder drei Jahre als Facharzt tätig sein und die zusätzlichen Voraussetzungen des Satzes 1 des § 191a Abs 2 erfüllen (Vorblatt und Erläuterungen Stmk LT 16. GP EZ/OZ 3083/7 S 15) oder sie werden jedenfalls (arg „Jeder Facharzt/Jede Fachärztin“) spätestens acht Jahre nach seiner/ihrer Anerkennung zum Facharzt als Oberarzt ernannt (Satz 2). Diese besondere Qualifikation bzw achtjährige Erfahrung ist mit der Einstufung in die Funktionsgruppe „Oberarzt/Oberärztin“ (der Entlohnungsgruppe sI/4) verbunden, die Funktion „Oberarzt/Oberärztin“ führt zu einer höheren Entlohnung.

2.3 Seinem Wortlaut nach enthält § 191a Abs 2 Z 1 2. Satz Stmk L-DBR idF LGBl 2014/151 keinen Hinweis darauf, dass die für die Ernennung zum Oberarzt erforderliche achtjährige Erfahrung als Facharzt in einem Dienstverhältnis erworben werden muss bzw Voraussetzung für die Ernennung zum Oberarzt das Sammeln von besoldungsrechtlich relevanten Vordienstzeiten im Ausmaß von acht Jahren ist. Hätte der Landesgesetzgeber dies intendiert, wäre ein diesbezüglicher Zusatz zu erwarten gewesen (siehe die spätere, auf das Dienstverhältnis des Klägers aber unstrittig nicht anzuwendende Fassung des § 191a Abs 2 Z 1 Stmk L-DBR, die durch den Hinweis auf die „achtjährige Tätigkeit gemäß § 256a Abs 1 Z 2 als Facharzt/Fachärztin“ ergänzt wurde [LGBl 2019/49]).

3.1 Die Gesetzesauslegung darf nicht bei der Wortinterpretation stehen bleiben (RS0008788). Bleibt nach Wortinterpretation und logischer Auslegung die Ausdrucksweise des Gesetzes dennoch zweifelhaft, ist die Absicht des Gesetzgebers zu erforschen (RS0008836) und der Sinn einer Bestimmung unter Bedachtnahme auf den Zweck der Regelung zu erfassen.

3.2 Die Revisionswerberin meint, die Ausdrucksweise des Gesetzgebers hinsichtlich der auf den Kläger anzuwendenden Fassung auf Basis des LGBl 2014/151 sei deshalb zweifelhaft geblieben, weil der zweite Absatz des § 191a Stmk L-DBR als Fortsetzung des ersten Absatz zu verstehen gewesen sei, der Fachärzte als Ärzte definiere, die nach Absolvierung einer fachärztlichen Ausbildung als Fachärzte „verwendet“ werden, wobei der Begriff „Verwendung“ auf ein Dienstverhältnis abziele.

3.3 Dem wird nicht gefolgt. § 191a Abs 1 Z 4 Stmk L-DBR idF LGBl 2014/151 stelle nur klar, dass Fachärzte, die keine Tätigkeit als Facharzt ausüben, nicht unter die Entlohnungsgruppe sI/4 fallen. Abs 2 dieser Bestimmung regelte hingegen, unter welchen Voraussetzungen die Qualifikation bzw Funktion als Oberarzt/als Oberärztin erworben werden kann, die innerhalb der Entlohnungsgruppe sI/4 die Einstufung in die Funktionsgruppe „Oberarzt/Oberärztin“ nach sich zieht.

3.4 Dass die Einstufung als Oberarzt zwingend den Erwerb besoldungsrechtlich relevanter Vordienstzeiten als Facharzt im entsprechenden Ausmaß voraussetzt, folgt auch aus dem Wort „verwendet“ in § 191a Abs 1 Z 4 Stmk L-DBR idF LGBl 2014/151 nicht:

Wie sich aus den Gesetzesmaterialien ergibt, lag der Zweck der Dienstrechts-Novelle 2014, LGBl 2014/151, unter anderem darin, im Hinblick auf den Ärztemangel alle Maßnahmen zu setzen, um ärztliche Arbeitsplätze, deren Besetzung für die Erbringung des Leistungsauftrags in den öffentlichen Spitälern unbedingt erforderlich ist, möglichst attraktiv zu gestalten. Einerseits sollten die bestehenden Fach- und Führungsexperten an das Land Steiermark gebunden werden, andererseits wurde bezweckt, auch attraktiv für neue Bewerber und Bewerberinnen zu sein (AB Stmk LT 16. GP EZ/OZ 3083/7, S 4). Ein weiteres Anliegen des Gesetzgebers ging dahin, dass die Bestellung zum Oberarzt nicht mehr „automatisch“ mit der Bestellung zum Facharzt erfolgen, sondern das Erreichen einer zusätzlichen Qualifikationsstufe abbilden sollte (AB Stmk LT 16. GP EZ/OZ 3083/7, 15). Maßgeblich für die Bestellung zum Oberarzt sollte daher nicht mehr nur der bloße Abschluss der Facharztausbildung sein, sondern auch die tatsächliche Qualifikation bzw die langjährige Erfahrung. Geht man von diesen beiden Zweckrichtungen der Regelung aus und berücksichtigt bei der für den Kläger unstrittig maßgeblichen Rechtslage nach LGBl 2014/151 das Fehlen einer Anknüpfung an § 256a Abs 1 Z 2 Stmk L-DBR, entsprach es der erkennbaren Absicht des damaligen Gesetzgebers, nicht nur den grundsätzlich möglichen Verlauf einer Karriere in einem Dienstverhältnis zur Beklagten zu regeln, sondern eine Einstufung in die Funktionsgruppe Oberarzt auch neuen Bewerbern und Bewerberinnen zu ermöglichen, sofern sie die erforderliche Qualifikation und achtjährige Erfahrung aufweisen. Dass der Erwerb der erforderlichen achtjährigen Erfahrung ausschließlich im Rahmen eines Dienstverhältnisses, nicht aber im Rahmen einer Tätigkeit als selbständiger (niedergelassener) Facharzt oder aufgrund von Werkverträgen mit Spitälern erworben werden kann, wird von der Revisionswerberin in ihrem Rechtsmittel nicht in Abrede gestellt.

3.5 Der Überlegung der Beklagten, allein aus dem Umstand, dass die maßgebliche Regelung im Gesetz über das Dienst- und Besoldungsrecht der Bediensteten des Landes Steiermark enthalten ist, sei abzuleiten, dass der Gesetzgeber auch schon in der Dienstrechts-Novelle 2014, LGBl 2014/151, ausschließlich auf ein Tätigwerden in einem Dienstverhältnis habe abstellen wollen, wird aus den vorstehenden Erwägungen nicht gefolgt.

4. Der Revision der Beklagten ist daher nicht Folge zu geben.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.

Textnummer

E129959

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2020:009OBA00071.20M.1021.000

Im RIS seit

03.12.2020

Zuletzt aktualisiert am

03.12.2020
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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