TE Bvwg Erkenntnis 2020/9/18 I403 2234723-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 18.09.2020
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Entscheidungsdatum

18.09.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1 Z1
AsylG 2005 §8 Abs2
AsylG 2005 §8 Abs3
BFA-VG §21 Abs7
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
EMRK Art2
EMRK Art3
EMRK Art8
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs1 Z1
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §53 Abs1
FPG §53 Abs2 Z6
FPG §55 Abs1a
FPG §55 Abs2
StGB §127
VwGVG §24
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch

I403 2234723-1/13E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin MMag. Birgit ERTL als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , StA. ALGERIEN, vertreten durch: Verein Menschenrechte Österreich, gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 04.08.2020, XXXX , zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird mit der Maßgabe als unbegründet abgewiesen, dass Spruchpunkt VI. des bekämpften Bescheides zu lauten hat:

„Gemäß § 55 Abs 2 FPG beträgt die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung“.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer stellte erstmals am 23.05.2015 in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz, den er mit finanziellen Problemen begründete. Aufgrund seines Untertauchens wurde das Verfahren eingestellt.

2. Der Beschwerdeführer reiste spätestens am 18.06.2020 erneut nach Österreich ein und stellte neuerlich einen Antrag auf internationalen Schutz, den er damit begründete, dass seine kranke Schwester Geld für Medikamente benötigen würde.

3. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 04.08.2020 wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) sowie hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Algerien (Spruchpunkt II.) als unbegründet ab. Zugleich wurde dem Beschwerdeführer ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt III.) und wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt IV.). Weiters wurde festgestellt, dass seine Abschiebung nach Algerien zulässig ist (Spruchpunkt V.). Gemäß § 55 Absatz 1a FPG besteht keine Frist für die freiwillige Ausreise (Spruchpunkt VI.). Einer Beschwerde gegen diese Entscheidung über den Antrag auf internationalen Schutz wurde die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt VII.). Gemäß § 53 Absatz 1 iVm Absatz 2 Fremdenpolizeigesetz wurde gegen den Beschwerdeführer ein auf die Dauer von 4 Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt VIII.).

4. Am 01.09.2020 wurde gegen den Bescheid Beschwerde erhoben und darauf hingewiesen, dass der Beschwerdeführer homosexuell sei, es aber bei der Einvernahme durch einen männlichen Referenten der belangten Behörde nicht gewagt habe, dies offenzulegen.

5. Beschwerde und Verwaltungsakt wurden dem Bundesverwaltungsgericht am 04.09.2020 vorgelegt. Mit Schreiben des Bundesverwaltungsgerichtes vom 07.09.2020 wurde eine Klarstellung verlangt, ob das Beschwerdevorbringen als Forderung der Durchführung der beantragten Verhandlung durch eine weibliche Richterin zu verstehen sei. Am 08.09.2020 wurde dies von Seiten der Rechtsvertretung bejaht.

6. Mit Teilerkenntnis vom 09.09.2020, GZ: I403 2234723-1/5Z, des BVwG wurde der gegenständlichen Beschwerde gemäß § 18 Abs 5 BFA-VG die aufschiebende Wirkung zuerkannt.

7. Am 11.09.2020 beraumte das Bundesverwaltungsgericht für den 12.11.2020 eine mündliche Verhandlung an und ersuchte das PAZ XXXX , dem in Schubhaft befindlichen Beschwerdeführer die Ladung zuzustellen und ihn am genannten Termin vorzuführen.

8. Mit Schriftsatz vom 13.09.2020 berichtete das Polizeianhaltezentrum XXXX , dass der Beschwerdeführer aus der Schubhaft geflüchtet und eine Sofortfahndung negativ verlaufen sei.

9. Am 15.09.2020 beraumte das Bundesverwaltungsgericht die mündliche Verhandlung ab.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

Der volljährige Beschwerdeführer ist ledig, kinderlos, Staatsangehöriger von Algerien und bekennt sich zum islamischen Glauben. Er gehört der Volksgruppe der Araber an. Seine Identität steht nicht fest.

Der Beschwerdeführer ist gesund und arbeitsfähig. Er gehört keiner Covid 19 Risikogruppe an. Die Covid 19 Pandemie steht einer Rückkehr nach Algerien nicht entgegen.

Nachdem der Beschwerdeführer im Mai 2015 erstmals im Bundesgebiet einen Antrag auf internationalen Schutz stellte, reiste er weiter nach Deutschland, wo er bis zu seiner Abschiebung am 12.09.2018 aufhältig war. Anfang 2019 brach der Beschwerdeführer wieder Richtung Europa auf und stellte am 18.06.2020 in Österreich den gegenständlichen zweiten Antrag auf internationalen Schutz.

Am 17.07.2020 wurde der Beschwerdeführer festgenommen, da er den Kassenbereich eines Supermarktes passierte, ohne zwei Hosen zu bezahlen. Er befand sich bis 13.09.2020 in Haft und flüchtete am 13.09.2020 aus dem Polizeianhaltezentrum XXXX - XXXX .

Die Familie des Beschwerdeführers, bestehend aus seinen Eltern, seinem Bruder und seinen drei Schwestern, lebt in Algerien. In Österreich verfügt der Beschwerdeführer über keine Verwandten und über keine maßgeblichen privaten und familiären Beziehungen.

Der Beschwerdeführer besuchte 12 Jahre lang die Grundschule in Algerien und machte in Deutschland eine Ausbildung zum Lagerarbeiter.

Der Beschwerdeführer ist in Österreich vorbestraft. Mit Urteil vom 17.08.2020, rechtskräftig seit 17.08.2020, des Landesgerichts XXXX zu XXXX wurde er wegen des Vergehens des versuchten gewerbsmäßigen Diebstahls nach §§ 15, 127, 130 Abs 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe von 5 Monaten, bedingt mit einer Probezeit von 3 Jahren, verurteilt.

Der Beschwerdeführer ging in Österreich keiner Beschäftigung nach und bezog von 19.06.2020 bis 20.07.2020 Leistungen der staatlichen Grundversorgung. Er ist nicht selbsterhaltungsfähig.

Der Beschwerdeführer weist in Österreich keine maßgeblichen Integrationsmerkmale in sprachlicher, beruflicher und kultureller Hinsicht auf.

1.2. Zu den Fluchtmotiven und zur behaupteten Homosexualität des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer ist nicht homosexuell und wird in Algerien nicht verfolgt.

1.3. Zu den Feststellungen zur Lage in Algerien:

1.3.1. Politische Lage

Nach der Verfassung von 1996 ist Algerien eine demokratische Volksrepublik (AA 20.6.2019). Algerien, das größte Land Afrikas, gilt als wichtiger Stabilitätsanker in der Region (KAS 27.2.2019). Der Präsident wird für fünf Jahre direkt gewählt, seine Amtszeit ist seit der letzten Verfassungsreform im Jahr 2016 auf zwei Mandate begrenzt. Neben der nach Verhältniswahlrecht (mit Fünfprozent-Klausel) gewählten Nationalen Volksversammlung (Assemblée Populaire Nationale) besteht eine zweite Kammer (Conseil de la Nation oder Sénat), deren Mitglieder zu einem Drittel vom Präsidenten bestimmt und zu zwei Dritteln von den Gemeindevertretern gewählt werden (AA 20.6.2019). Die Gewaltenteilung ist durch die algerische Verfassung von 1996 gewährleistet, jedoch initiiert oder hinterfragt das Parlament seither selten Gesetzesvorschläge der Regierung und die Macht hat sich innerhalb der Exekutive zunehmend gefestigt. Präsident Bouteflika regierte weitgehend durch Präsidialdekret (BS 29.4.2020). Der Senatspräsident vertritt den Staatspräsidenten (AA 20.6.2019).

Im Februar 2019 entstand in Algerien eine Massenbewegung, welche sich mit dem arabischen Wort für Bewegung „Hirak“ beschreibt. Die algerischen Proteste begannen, nachdem der damals amtierende Präsident Abdelaziz Bouteflika seine fünfte Kandidatur für die Präsidentschaftswahl ankündigte. Zunächst forderten die Demonstrierenden den Rücktritt des Präsidenten, welcher dieser Forderung schließlich nachkam. Die Proteste endeten jedoch nicht mit dem Rücktritt Bouteflikas, bis Ende März 2020 wurde jeden Freitag auf den Straßen in der Hauptstadt Algier und anderswo demonstriert und die Veränderung des gesamten politischen Systems gefordert (IPB 12.6.2020; vgl. RLS 7.4.2020, HRW 14.1.2020, AA 17.4.2019, BAMF 18.2.2019). Die Proteste ungemindert weiter (RLS 7.4.2020 vgl. Standard 18.2.2020, Standard 12.12.2019, Guardian 13.12.2019) und verliefen meist friedlich (IPB 12.6.2020; vgl. BAMF 25.2.2019 Standard 13.12.2019, DF 9.12.2019), dennoch setzte die Polizei Tränengas, Wasserwerfer und Schlagstöcke ein, um die Menge zu zerstreuen (BAMF 25.2.2019; vgl. TB 22.2.2019, AI 18.2.2020). Im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie wurden die Hirak-Märsche ab Ende März 2020 ausgesetzt, der Aktivismus wurde ins Internet verlagert (IPB 12.6.2020; vgl. ARI 7.4.2020, RLS 7.4.2020).

Während die Staatsführung mit behutsamen Konzessionen und vom Hirak misstrauisch beäugten Reformversprechen versuchte, die Bewegung auszubremsen, geht der Sicherheitsapparat weiter mit Repressalien gegen Demonstranten und Oppositionelle vor (Standard 18.2.2020; vgl. AI 18.2.2020, IPB 12.6.2020). Fast 1.400 Hirak-Aktivisten müssen sich mittlerweile vor Gericht verantworten, mehrere hundert sitzen schon hinter Gittern (Standard 18.2.2020; vgl. AI 18.2.2020). Der konsequent friedlich agierende Hirak war führungslos und nur partiell strukturiert. Das Regime verfolgte die Strategie des Aussitzens (Standard 18.2.2020). Versuche der Regierung, Teile der Bewegung zu kooptieren oder untereinander aufzuspalten (IPB 12.6.2020), oder die friedlichen Proteste in offene Gewalt umschlagen zu lassen, waren nicht erfolgreich (Standard 13.12.2019).

Eine neue Präsidentschaftswahl wurde für den 4.7.2019 angesetzt und wegen der Proteste verschoben (HRW 14.1.2020; vgl. FAZ 12.12.2019). Schließlich wurde am 12.12.2019 Abdelmadjid Tebboune mit 58,15% der Stimmen zum neuen Präsidenten der Republik gewählt (TSA 13.12.2019; vgl. DF 14.12.2019, Spiegel 13.12.2019, BBC 13.12.2019). Von den fünf zugelassenen Kandidaten waren drei in früheren Regierungen unter dem ehemaligen Präsidenten Abdelaziz Bouteflika vertreten (Spiegel 13.12.2019; vgl. DF 14.12.2019, ARTE 14.12.2019). Auch der Wahlsieger Tebboune war unter Bouteflika mehrfach Minister und im Jahr 2017 drei Monate lang Ministerpräsident (DF 14.12.2019; vgl. ARTE 14.12.2019).

Etwa 24 Millionen Menschen waren wahlberechtigt (DF 14.12.2019; vgl. FAZ 12.12.2019). Viele Menschen boykottierten den Urnengang, weil die zugelassenen Kandidaten in ihren Augen Marionetten des alten Bouteflika-Regimes waren (ARTE 14.12.2019; vgl. Guardian 13.12.2019). Mehrere Oppositionsparteien wollten einen gemeinsamen Gegenkandidaten aufstellen - konnten sich allerdings nicht einigen (TB 22.2.2019; vgl. TS 26.3.2019). Die Wahlbeteiligung lag bei ca. 40 Prozent (TSA 13.12.2019; vgl. BBC 13.12.2019, ARTE 14.12.2019, Guardian 13.12.2019). Das ist die niedrigste Wahlbeteiligung, die je bei einer Präsidentschaftswahl in Algerien verzeichnet wurde (Guardian 13.12.2019). Die Wahlbehörde zeigte sich mit dem Verlauf des Wahltages zunächst zufrieden; in 95 Prozent der Wahllokale sei der Betrieb reibungslos angelaufen (FAZ 12.12.2019). Es waren keine ausländischen Wahlbeobachtermissionen zugelassen (Reuters 12.12.2019; vgl. FAZ 12.12.2019).

Der Wahltag selbst wurde durch Proteste und Aufrufe zum Boykott der Wahlen beeinträchtigt (BBC 13.12.2019; vgl. ARTE 14.12.2019, Guardian 13.12.2019). Lokale Medien berichteten von zahlreichen Zwischenfällen. In der Hauptstadt Algier waren Tausende Menschen auf den Straßen, um gegen die Wahl zu protestieren (FAZ 12.12.2019; vgl. Spiegel 13.12.2019). Zentrum des Widerstandes gegen die Abstimmung war die Berberregion Kabylei im Osten des Landes (Standard 13.12.2019), wo es zu Auseinandersetzungen mit der Polizei kam. Wahllokale wurden mit Backsteinen und Zement verschlossen, Wahlunterlagen in Brand gesetzt. Laut Medienberichten griffen die Sicherheitskräfte hart durch. Die Polizei setzte Tränengas ein. Vertreter der sogenannten Hirak-Protestbewegung beklagten Hunderte verhaftete und verletzte Menschen (DF 14.12.2019; vgl. FAZ 12.12.2019; BBC 13.12.2019).

In Tizi Ouzou und Bejaia sind die Wahlbüros aus Sicherheitsgründen geschlossen worden (FAZ 12.12.2019; vgl. Spiegel 13.12.2019, TSA 13.12.2019). Der Wahlvorgang wurde auch in Boumerdès, Bouira, Bordj Bou Arreridj, Sétif und Jijel unterbrochen (TSA 13.12.2019). In Bouira hatten Demonstranten das Büro der Wahlkommission in Brand gesetzt (Spiegel 13.12.2019). In Béjaïa wurde ein Wahllokal überfallen und die Urnen zerstört (Reuters 12.12.2019; vgl. Standard 13.12.2019). Die Staatsführung um Armeechef Gaïd Salah sah die Wahlen als Mittel, die politische Krise zu beenden und die Legitimität der politischen Führung zu erneuern (Standard 12.12.2019; vgl. Reuters 12.12.2019, Guardian 13.12.2019).

Viele Demonstranten kündigten an, die offiziellen Ergebnisse nicht anzuerkennen (Reuters 12.12.2019). Der Wahlsieg von Tebboune löste erneut Massenproteste aus (ARTE 14.12.2019; vgl. BBC 13.12.2019). Der neue Präsident ist bei den vielen Demonstranten genauso verhasst wie seine vier Kontrahenten bei der Präsidentschaftswahl. Die Protestbewegung will weitermachen, bis das Regime aus Vertrauten des ehemaligen Machthabers Bouteflika tatsächlich fällt (DF 14.12.2019; vgl. FAZ 12.12.2019).

1.3.2. Sicherheitslage

Demonstrationen fanden von Mitte Februar 2019 bis Ende März 2020 fast täglich in allen größeren Städten statt. Auch wenn diese weitgehend friedlich verliefen, konnten vereinzelte gewaltsame Auseinandersetzungen nicht ausgeschlossen werden (AA 5.5.2020; vgl. Standard 12.12.2019, Guardian 13.12.2019, IPB 12.6.2020). Die Sicherheitslage in gewissen Teilen Algeriens ist weiterhin gespannt. Es gibt immer noch terroristische Strukturen, wenn auch reduziert (ÖB 11.2019; vgl. BS 29.4.2020). Es gibt nach wie vor bewaffnete Splittergruppen, und es herrscht nach wie vor eine Sicherheitswarnung, insbesondere für die Süd- und Ostgrenze, für den Süden und die Berberregionen des Landes. Seit 2014 hat es keine Entführungen mehr gegeben (BS 29.4.2020; vgl. BMEIA 8.5.2020, AA 5.5.2020), In den vergangenen zwei Jahren gab es keine größeren terroristischen Vorfälle (BS 29.4.2020).

Der djihadistische Terrorismus in Algerien ist stark zurückgedrängt worden; Terroristen wurden Großteils entweder ausgeschaltet, festgenommen oder haben oft das Land verlassen, was zur Verlagerung von Problemen in die Nachbarstaaten, z.B. Mali, führte. Gewisse Restbestände oder Rückzugsgebiete sind jedoch v.a. in der südlichen Sahara (so z.B. angeblich Iyad ag Ghali) vorhanden. Gruppen, wie die groupe salafiste pour la prédication et le combat (GSPC), die den 1997 geschlossenen Waffenstillstand zwischen dem algerischen Militär und der AIS nicht anerkannte, sich in die Saharagebiete zurückzog und 2005 mit Al Qaida zur AQIM verband, sind auf kleine Reste reduziert und in Algerien praktisch handlungsunfähig. Inzwischen hat sich diese Gruppe wieder mehrmals geteilt, 2013 u.a. in die Mouvement d’unité pour je jihad en Afrique occidentale (MUJAO). Ableger dieser Gruppen haben den Terroranschlag in Amenas/Tigentourine im Jänner 2013 zu verantworten. 2014 haben sich mit dem Aufkommen des „Islamischen Staates“ (IS) Veränderungen in der algerischen Terrorismusszene ergeben. AQIM hat sich aufgespalten und mindestens eine Teilgruppe, Jund al-Khilafa, hat sich zum IS bekannt. Diese Gruppe hat die Verantwortung für die Entführung und Enthauptung des französischen Bergführers Hervé Gourdel am 24.9.2014 übernommen. Dies war 2014 der einzige Anschlag, der auf einen Nicht-Algerier zielte. Ansonsten richteten sich die terroristischen Aktivitäten ausschließlich auf militärische Ziele (ÖB 11.2019).

Der interkommunale Konflikt in der Region Ghardaia mit gewalttätigen Zusammenstößen zwischen 2013 und 2015 wurde durch eine starke Militärpräsenz unter Kontrolle gebracht. Islamistische Extremisten, die eine echte Bedrohung für die staatliche Identität darstellen, sind nach wie vor eine sehr kleine Minderheit. Sie werden von der Bevölkerung kaum oder gar nicht unterstützt (BS 29.4.2020).

Die Sicherheitssituation betreffend terroristische Vorfälle hat sich inzwischen weiter verbessert, die Sicherheitskräfte haben auch bislang unsichere Regionen wie die Kabylei oder den Süden besser unter Kontrolle, am relativ exponiertesten ist in dieser Hinsicht noch das unmittelbare Grenzgebiet zu Tunesien, Libyen und zu Mali. Es kommt mehrmals wöchentlich zu Razzien und Aktionen gegen Terroristen oder deren Unterstützer (ÖB 11.2019).

Nach Angaben der offiziellen Armeepublikation „El Djeich“ (andere Quellen sind nicht öffentlich zugänglich) wurden 2018 32 Terroristen getötet, 25 festgenommen, 132 ergaben sich, weiters wurden 170 „Terrorismusunterstützer“ festgenommen (MDN 1.2019; vgl. ÖB 12.2019). Dieselbe Quelle gibt für das Jahr 2019 an, dass 15 Terroristen getötet und 25 festgenommen wurden, 44 ergaben sich; weiters wurden 245 „Terrorismusunterstützer“ festgenommen (MDN 1.2020). Wie in den Vorjahren kam es auch 2019 zu bewaffneten Vorfällen zwischen Sicherheitskräften und Terroristen, bei denen inoffiziellen Angaben zufolge auch aufseiten der Armee Tote verzeichnet wurden, was jedoch nicht öffentlich gemacht wird (ÖB 11.2019).

1.3.3. Grundversorgung

Nahezu die gesamten Staatseinkünfte des Landes stammen aus dem Export von Erdöl und Erdgas. Rund 90 Prozent der Grundnahrungsmittel und fast die Gesamtheit der Pharmazeutika und Gebrauchsgüter werden importiert. Eine an den Bedürfnissen der Bevölkerung orientierte oder auf Autarkie zielende Industrialisierung hat nicht stattgefunden. Die Staatseinnahmen – und damit die Fähigkeit zur Subventionierung von Grundbedürfnissen (Grundnahrungsmittel, Wohnungsbau, Infrastruktur) – sind seit 2014 aufgrund des sinkenden Öl- und Gaspreises drastisch zurückgegangen (RLS 17.12.2019; vgl. BS 29.4.2020).

Algerien leistet sich aus Gründen der sozialen und politischen Stabilität ein für die Möglichkeiten des Landes aufwendiges Sozialsystem, das aus den Öl- und Gasexporten finanziert wird. Algerien ist eines der wenigen Länder, die in den letzten 20 Jahren eine Reduktion der Armutsquote von 25% auf 5% erreicht hat. Schulbesuch und Gesundheitsfürsorge sind kostenlos. Energie, Wasser und Grundnahrungsmittel werden stark subventioniert. Ein Menschenrecht auf Wohnraum wird anerkannt. Für Bedürftige wird Wohnraum kostenlos zur Verfügung gestellt. Missbräuchliche Verwendung ist häufig (ÖB 11.2019).

Die Grundversorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln ist bislang durch umfassende Importe gewährleistet. Insbesondere im Vorfeld religiöser Feste, wie auch im gesamten Monat Ramadan, kommt es allerdings immer wieder zu substanziellen Preissteigerungen bei Grundnahrungsmitteln. Für Grundnahrungsmittel wie Weizenmehl, Zucker und Speiseöl gelten Preisdeckelungen und Steuersenkungen. Im Bereich der Sozialfürsorge kommt, neben geringfügigen staatlichen Transferleistungen, vornehmlich der Familien-, im Süden des Landes auch der Stammesverband, für die Versorgung alter Menschen, Behinderter oder chronisch Kranker auf. In den Großstädten des Nordens existieren „Selbsthilfegruppen“ in Form von Vereinen, die sich um spezielle Einzelfälle (etwa die Einschulung behinderter Kinder) kümmern. Teilweise fördert das Solidaritätsministerium solche Initiativen mit Grundbeträgen (AA 25.6.2019).

Die Arbeitslosigkeit liegt bei 12 bis 17%, die Jugendarbeitslosigkeit (15-24-jährige) bei 30 bis 50% (WKO 10.2019 [jeweils niedrigerer Wert], RLS 17.12.2019 [jeweils höherer Wert]). Das staatliche Arbeitsamt Agence national d’emploi / ANEM (http://www.anem.dz/) bietet Dienste an, es existieren auch private Jobvermittlungsagenturen (z.B. http://www.tancib.com/index.php?page=apropos). Seit Februar 2011 stehen jungen Menschen Starthilfekredite offen, wobei keine Daten darüber vorliegen, ob diese Mittel ausgeschöpft wurden. Die Regierung anerkennt die Problematik der hohen Akademikerarbeitslosigkeit. Grundsätzlich ist anzumerken, dass allen staatlichen Genehmigungen/Unterstützungen eine (nicht immer deklarierte) sicherheitspolitische Überprüfung vorausgeht, und dass Arbeitsplätze oft aufgrund von Interventionen besetzt werden. Der offiziell erfasste Wirtschaftssektor ist von staatlichen Betrieben dominiert (ÖB 11.2019).

Im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie werden an vulnerable Familien in isolierten und vom Lockdown besonders betroffenen Gebieten Lebensmittel und Hygieneprodukte verteilt (Gentilini et al 12.6.2020: 29f).

1.3.4. Medizinische Versorgung

Grundsätzlich ist medizinische Versorgung in Algerien allgemein zugänglich und kostenfrei. Der Standard in öffentlichen Krankenhäusern entspricht nicht europäischem Niveau (ÖB 11.2019; vgl. AA 25.6.2019, BS 29.4.2020) Krankenhäuser, in denen schwierigere Operationen durchgeführt werden können, existieren in jeder größeren Stadt; besser ausgestattete Krankenhäuser gibt es an den medizinischen Fakultäten von Algier, Oran, Annaba und Constantine. Häufig auftretende chronische Krankheiten wie Diabetes, Krebs, Tuberkulose, Herz- und Kreislaufbeschwerden, Geschlechtskrankheiten und psychische Erkrankungen können auch in anderen staatlichen medizinischen Einrichtungen behandelt werden. AIDS-Patienten werden in sechs Zentren behandelt (AA 25.6.2019).

Grundsätzlich meiden Algerier nach Möglichkeit die Krankenhäuser und bemühen sich, Kranke so schnell wie möglich in häusliche Pflege übernehmen zu können. Oft greift man zu Bestechung, um ein Intensivbett zu bekommen oder zu behalten. Ohne ständige familiäre Betreuung im Krankenhaus ist eine adäquate Pflege nicht gesichert. Die Müttersterblichkeit und Komplikationen bei Geburten sind aufgrund von Nachlässigkeiten in der Geburtshilfe hoch. Mit Frankreich besteht ein Sozialabkommen aus den 1960er-Jahren, das vorsieht, dass komplizierte medizinische Fälle in Frankreich behandelt werden können. Dieses Abkommen ist seit einiger Zeit überlastet. Nicht alle Betroffenen können es in Anspruch nehmen. Auch mit Belgien besteht ein entsprechendes Abkommen (ÖB 11.2019).

Es sind Privatspitäler, v.a. in Algier, entstanden, die nach europäischem Standard bezahlt werden müssen. Der Sicherheitssektor kann auf ein eigenes Netz von Militärspitälern zurückgreifen. Immer wieder wird darauf aufmerksam gemacht, dass sich in Algerien ausgebildete Ärzte in Frankreich und Deutschland niederlassen, was zu einem Ärztemangel in Algerien führt. Die Versorgung im Landesinneren mit fachärztlicher Expertise ist nicht sichergestellt. Augenkrankheiten sind im Süden häufig. Algerien greift für die Versorgung im Landesinneren auf kubanische Ärzte zurück, z.B. die im April 2013 neu eröffnete Augenklinik in Bechar. Tumorpatienten können medizinisch nicht nach westlichem Standard betreut werden. Schwierig ist die Situation von Alzheimer- und Demenzpatienten und von Behinderten (ÖB 11.2019).

Krankenversichert ist nur, wer einer angemeldeten Arbeit nachgeht. Die staatliche medizinische Betreuung in Krankenhäusern steht auch Nichtversicherten beinahe kostenfrei zur Verfügung, allerdings sind Pflege und die Verpflegung nicht sichergestellt, Medikamente werden nicht bereitgestellt, schwierige medizinische Eingriffe sind nicht möglich (ÖB 11.2019).

In der gesetzlichen Sozialversicherung sind Angestellte, Beamte, Arbeiter oder Rentner sowie deren Ehegatten und Kinder bis zum Abschluss der Schul- oder Hochschulausbildung obligatorisch versichert. Die Sozial- und Krankenversicherung ermöglicht grundsätzlich in staatlichen Krankenhäusern eine kostenlose, in privaten Einrichtungen eine kostenrückerstattungsfähige ärztliche Behandlung. Immer häufiger ist jedoch ein Eigenanteil zu übernehmen. Die höheren Kosten bei Behandlung in privaten Kliniken werden nicht oder nur zu geringerem Teil übernommen. Algerier, die nach jahrelanger Abwesenheit aus dem Ausland zurückgeführt werden, sind nicht mehr gesetzlich sozialversichert und müssen daher sämtliche Kosten selbst übernehmen, sofern sie nicht als Kinder oder Ehegatten von Versicherten erneut bei der Versicherung eingeschrieben werden oder selbst einer versicherungspflichtigen Arbeit nachgehen (AA 25.6.2019).

Die COVID-19-Pandemie traf Algerien hart, das öffentliche Gesundheitswesen im Land war nicht annähernd auf eine Krise solchen Ausmaßes vorbereitet (RLS 7.4.2020; vgl. GTAI 15.5.2020). Es gab Berichte von überfüllten Krankenhäusern in Algier und in Blida (GTAI 15.5.2020) und es gab einen Mangel an Ausrüstung und Medikamenten. Im März 2020 wurde Lokalbehörden untersagt, statistische Angaben zu COVID-19-Entwicklungen zu machen und die Öffentlichkeitsarbeit wurde bei den Ministerien in Algier gebündelt (RLS 7.4.2020). Die Regierung hat eilig Maßnahmen gesetzt, um mehr Intensivbetten anzubieten. Präsident Tebboune kündigte Anfang April 2020 an, nach der Pandemie den Gesundheitssektor umzustrukturieren. Mitte Mai war die Zahl der Erkrankten für die Krankenhäuser bewältigbar (GTAI 15.5.2020).

1.3.5. Rückkehr

Die illegale Ausreise, d.h. die Ausreise ohne gültige Papiere bzw. ohne eine Registrierung der Ausreise per Stempel und Ausreisekarte am Grenzposten, ist gesetzlich verboten (Art. 175 bis 1. algerisches Strafgesetzbuch, Gesetz 09-01 vom 25.2.2009, kundgemacht am 8.3.2009) (ÖB 11.2019; vgl. AA 25.6.2019). Das Gesetz sieht ein Strafmaß von zwei bis sechs Monaten und / oder eine Strafe zwischen 20.000 DA bis 60.000 DA vor (ÖB 11.2019)

Rückkehrer, die ohne gültige Papiere das Land verlassen haben, werden mitunter zu einer Bewährungsstrafe von sechs Monaten verurteilt. Für illegale Bootsflüchtlinge („harraga“) sieht das Gesetz Haftstrafen von drei bis zu fünf Jahren und zusätzliche Geldstrafen vor. In der Praxis werden zumeist Bewährungsstrafen verhängt (AA 25.6.2019).

Eine behördliche Rückkehrhilfe ist ho. nicht bekannt. Ebenso sind der Botschaft keine NGOs bekannt, die Unterstützung leisten. Bekannt ist, dass Familien zurückkehrende Familienmitglieder wieder aufnehmen und unterstützen. Viel bekannter hingegen sind Fälle, in denen Familien Mitglieder mit beträchtlichen Geldmitteln bei der illegalen Ausreise unterstützen. Sollten Rückkehrer auf familiäre Netze zurückgreifen können, würde man annehmen, dass sie diese insbesondere für eine Unterkunft nützen. Die Botschaft kennt auch Fälle von finanzieller Rückkehrhilfe (EUR 1.000-2.000) durch Frankreich, für Personen, die freiwillig aus Frankreich ausgereist sind. Algerien erklärt sich bei Treffen mit div. EU-Staatenvertretern immer wieder dazu bereit, Rückkehrer aufzunehmen, sofern zweifelsfrei feststehe, dass es sich um algerische Staatsangehörige handle. Nachfragen bei EU-Botschaften und Pressemeldungen bestätigen, dass Algerien bei Rückübernahmen kooperiert. Zwischen Algerien und einzelnen EU-Mitgliedsstaaten bestehen bilaterale Rückübernahmeabkommen (ÖB 11.2019).

Im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie wurden am 17.3.2020 alle Luft-, See- und Landgrenzübergänge geschlossen. Über eine mögliche Aufhebung der Sperren soll im Juli 2020 entschieden werden (National 14.6.2020; vgl. USEMB 16.6.2020, IATA 17.4.2020/17.6.2020, Garda 13.6.2020).

1.3.6. Zur aktuell vorliegenden Pandemie aufgrund des Corona-Virus:

COVID-19 ist eine durch das Corona-Virus SARS-CoV-2 verursachte Viruserkrankung, die erstmals im Jahr 2019 in Wuhan/China festgestellt wurde und sich seither weltweit verbreitet (https://www.who.int/emergencies/diseases/novel-coronavirus-2019/question-and-answers-hub/q-a-detail/q-a-coronaviruses).

Nach dem aktuellen Stand verläuft die Viruserkrankung bei etwa 80% der Betroffenen leicht bzw. symptomlos und bei ca. 20% der Betroffenen schwerer, wenn auch nicht lebensbedrohlich. Sehr schwere oder tödliche Krankheitsverläufe treten am häufigsten bei Risikogruppen auf, zum Beispiel bei älteren Personen und Personen mit medizinischen Problemen oder Vorerkrankungen wie Diabetes, Herzkrankheiten und Bluthochdruck (https://www.who.int/emergencies/diseases/novel-coronavirus-2019/question-and-answers-hub/q-a-detail/q-a-coronaviruses).

Die COVID-19-Risikogruppe-Verordnung listet die medizinischen Gründe (Indikationen) für die Zugehörigkeit einer Person zur COVID-19-Risikogruppe. Auf Grundlage dieser Indikationen darf eine Ärztin/ein Arzt ein COVID-19-Risiko-Attest ausstellen.

Die medizinischen Hauptindikationen sind:

-fortgeschrittene chronische Lungenkrankheiten, welche eine dauerhafte, tägliche, duale Medikation benötigen

-chronische Herzerkrankungen mit Endorganschaden, die dauerhaft therapiebedürftig sind, wie ischämische Herzerkrankungen sowie Herzinsuffizienzen

-aktive Krebserkrankungen mit einer jeweils innerhalb der letzten sechs Monate erfolgten onkologischen Pharmakotherapie (Chemotherapie, Biologika) und/oder einer erfolgten Strahlentherapie sowie metastasierende Krebserkrankungen auch ohne laufende Therapie

-Erkrankungen, die mit einer Immunsuppression behandelt werden müssen

-fortgeschrittene chronische Nierenerkrankungen

-chronische Lebererkrankungen mit Organumbau und dekompensierter Leberzirrhose ab Childs-Stadium B

-ausgeprägte Adipositas ab dem Adipositas Grad III mit einem BMI >= 40

-Diabetes mellitus

-arterielle Hypertonie mit bestehenden Endorganschäden, insbesondere chronische Herz- oder Niereninsuffizienz, oder nicht kontrollierbarer Blutdruckeinstellung.

Diese medizinischen Hauptindikationen werden in der Verordnung weiter unterteilt und genau beschrieben (https://www.sozialministerium.at/Informationen-zum-Coronavirus/Coronavirus---Haeufig-gestellte-Fragen/FAQ--Risikogruppen.html).

In Österreich gibt es mit Stand 15.09.2020 14:00 Uhr insgesamt 34.976 positiv getestete Fälle, aktuell 6.194 aktive Fälle und 757 gemeldete Todesfälle (https://info.gesundheitsministerium.at/dashboard_Epidem.html?l=de).

In Algerien gibt es mit Stand 16.08.2020 insgesamt 38.133 bestätigte Fälle, 469 neue Fälle und insgesamt 1.360 bestätigte Todesfälle (https://www.who.int/docs/default-source/coronaviruse/situation-reports/20200816-covid-19-sitrep-209.pdf?sfvrsn=5dde1ca2_2).

Auszug aus der Kurzinformation der Staatendokumentation vom 10. Juni 2020 zur aktuellen Covid 19 Lage in Afrika:

In Algerien weisen die Kurven signifikante Abweichungen auf (Wachstum eher linear als exponentiell). Insgesamt sind in Algerien bis dato sehr wenige Tests durchgeführt worden, jeder zweite Test war positiv. Dies deutet darauf hin, dass nur Personen mit Symptomen getestet worden sind (AU-ACDC 2020; vgl. ÖB Algier 5.2020). Laut österreichischer Botschaft dürfte die Dunkelziffer sehr hoch sein (ÖB Algier 5.2020).

Der große, bis zu 50% der Wirtschaft ausmachende, informelle Sektor ist schwer getroffen. Es wurden Ausgleichsmaßnahmen zur Unterstützung notleidender Bevölkerungsteile geschaffen. Zum Aid-Fest wurden ca. 1,2 Millionen Bürger mit ca. 70 Euro unterstützt. Hilfsmaßnahmen kommen vor allem aus der Zivilgesellschaft. Außerdem kommt es zur Stundung von Steuerzahlungen und Krediten (ÖB Algier 5.2020). Seriöse Angaben zu den Auswirkungen der Krise auf den Arbeitsmarkt können nicht gemacht werden. Der Staatshaushalt wird jedenfalls vom niedrigen Ölpreis belastet. Das Budget soll demnach um 50% reduziert werden (ÖB Algier 5.2020). Die Masse der Bevölkerung scheint die Covid-19-Maßnahmen zumindest zu akzeptieren, die Einhaltung ist nicht immer gegeben (ÖB Algier 5.2020).

Der gesamte internationale Personenverkehr wurde eingestellt, alle Grenzen sind geschlossen. Es gibt keine Einreisemöglichkeit. Selbst der innerstaatliche öffentliche Personentransport ist nur eingeschränkt erlaubt (Taxis innerhalb von Provinzgrenzen, privat auch über Provinzgrenzen hinaus) (ÖB Algier 5.2020). Eine Überbelastung des Gesundheitssystems ist derzeit nicht erkennbar bzw. überprüfbar. 2.500 Spitalsbetten sind derzeit für Covid-19-Patienten reserviert, es gibt mehr als 5.800 Beatmungsgeräte. Es gibt kein Anzeichen für eine Wasser- oder Lebensmittelknappheit (ÖB Algier 5.2020).

2. Beweiswürdigung:

2.1. Zum Sachverhalt:

Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgebenden Sachverhaltes wurden im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweise erhoben durch die Einsichtnahme in den Akt der belangten Behörde unter zentraler Berücksichtigung der niederschriftlichen Angaben des Beschwerdeführers vor dieser und den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes, in den bekämpften Bescheid und in den Beschwerdeschriftsatz sowie in das aktuelle „Länderinformationsblatt der Staatendokumentation“ zu Algerien mit Stand 14.06.2019.

2.2. Zur Person des Beschwerdeführers:

Die Feststellungen zu seinen Lebensumständen, seinem Gesundheitszustand, seiner Arbeitsfähigkeit, seiner Herkunft, seiner Glaubens- und Volkszugehörigkeit sowie seiner Staatsangehörigkeit gründen sich auf die diesbezüglichen glaubhaften Angaben des Beschwerdeführers vor der Polizei bzw. der belangten Behörde (Protokolle vom 25.05.2015, 19.06.2020, 03.08.2020).

Da der Beschwerdeführer den österreichischen Behörden keine identitätsbezeugenden Dokumente vorlegen konnte, steht seine Identität nicht zweifelsfrei fest.

Die Corona Krise steht einer Rückkehr des Beschwerdeführers nach Algerien aufgrund folgender Gründe nicht entgegen. Zunächst ist (aktuell) angesichts der geringen Zahl an Infizierten im Vergleich zur gesamten Bevölkerung in Algerien das Risiko einer Infektion gering. Der typische Krankheitsverlauf des Corona Virus zeigt zudem, dass Infizierte in der Regel keine Symptome haben und nur in wenigen Ausnahmefällen eine Intensivbehandlung notwendig ist. Außerdem handelt es sich beim Beschwerdeführer um eine gesunde sowie junge Person, er gehört daher keiner Risikogruppe an. Des Weiteren ist Algerien bemüht, auf die Pandemie zu reagieren und das algerische Gesundheitssystem ist aktuell nicht überlastet. Ferner kann durch das eigenverantwortliche Tragen von Masken und durch das Halten eines Abstands das Risiko einer Infektion minimiert werden. Der Beschwerdeführer ist sohin im Falle einer Rückkehr aufgrund der Pandemie nicht einer lebensbedrohlichen Gefahr ausgesetzt.

Die Feststellungen über die in Österreich gestellten Asylanträge und die Reiseroute des Beschwerdeführers basieren auf den gestellten Anträgen auf internationalen Schutz und seinen Angaben in den Einvernahmen (Protokolle vom 25.05.2015, 16.06.2020, 03.08.2020). Dass er am 12.09.2018 aus Deutschland abgeschoben wurde, geht aus der Mitteilung vom 30.06.2020 des deutschen Bundesamts für Migration und Flüchtlinge hervor (AS 57).

Die Feststellung, dass er am 17.07.2020 festgenommen wurde, ergibt sich aus dem Bericht der Polizeiinspektion Traiskirchen vom 18.07.2020 (AS 129, 131). Dass er sich bis 13.09.2020 in Haft befand und am 13.09.2020 aus dem Polizeianhaltezentrum XXXX XXXX flüchtete, leitet sich aus der Berichterstattung vom 13.09.2020 des PAZ XXXX ab.

Die Feststellungen zu seiner Familie gründen sich auf seine glaubhaften Angaben in der Erstbefragung am 19.06.2020 (AS 33).

Dass der Beschwerdeführer in Österreich über keine maßgeblichen persönlichen und familiären Beziehungen verfügt, ergibt sich aus den Angaben des Beschwerdeführers anlässlich seiner Einvernahme durch die belangte Behörde (Protokoll vom 03.08.2020, AS 150) sowie aus dem Umstand seines erst kurzen Aufenthalts in Österreich.

Die Feststellungen über seine Ausbildung beruhen auf seinen Angaben in der Erstbefragung am 19.06.2020 (AS 32).

Die Feststellung über die strafgerichtliche Verurteilung des Beschwerdeführers ergibt sich aus einer Abfrage des Strafregisters der Republik Österreich vom 07.09.2020.

Die Feststellungen zu seinem Bezug der Grundversorgung ergeben sich aus dem dem Bundesverwaltungsgericht vorliegenden, am 07.09.2020 abgefragten Speicherauszug aus dem Betreuungsinformationssystem. Da der Beschwerdeführer Grundversorgung bezog und in der Erstbefragung am 19.06.2020 angab, über keine Barmittel und sonstige Unterstützung zu verfügen (AS 33), ist er nicht selbsterhaltungsfähig.

Die Feststellung zur mangelnden Integration des Beschwerdeführers ergibt sich einerseits aus seinem kurzen Aufenthalt von nicht einmal einem Jahr in Österreich und andererseits aus dem Umstand, dass er keine Integrationsschritte setzte.

2.3. Zu den Gründen für die Ausreise und zur behaupteten Homosexualität des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer gab im gegenständlichen Verfahren in den Einvernahmen an, Algerien verlassen zu haben, weil seine Schwester schwer krank sei und für die Medikamente viel Geld benötige (Protokolle vom 19.06.2020 und 03.08.2020, AS 36, 151).

In der Beschwerde (AS 267 bzw. S. 3 der Beschwerde) bringt der Beschwerdeführer dagegen vor, er habe bei der Einvernahme am 03.08.2020 darauf hingewiesen, dass es mehrere Gründe für das Verlassen Algeriens geben würde, das BFA habe es aber unterlassen, ihn über diese Gründe weiter zu befragen und sich mit dem gesamten individuellen Vorbringen sachgerecht auseinanderzusetzen und diesbezüglich ein adäquates Ermittlungsverfahren durchzuführen. Tatsächlich sei der Beschwerdeführer seit langem homosexuell und habe er aufgrund seiner sexuellen Orientierung Probleme in seinem Heimatland. Bei der Befragung am 03.08.2020 sei er nicht weiter befragt worden und vor einem männlichen Referenten habe er sich nicht äußern können.

Das Vorbringen des Beschwerdeführers, dass er homosexuell sei und deswegen verfolgt werde, ist allerdings aus den folgenden Gründen nicht glaubhaft:

Grundsätzlich ist es in Anbetracht der Mitwirkungspflichten im Asylverfahren Sache des Asylwerbers vor der belangten Behörde ein entsprechendes Fluchtvorbringen spätestens bei der niederschriftlichen Einvernahme zu erstatten und glaubhaft zu machen, dass er in seinem Herkunftsstaat verfolgt wird.

Dem Beschwerdeführer wurden auch von der Polizei bzw. von der belangten Behörde in seiner Einvernahme die entsprechenden Fragen gestellt: "Warum haben Sie ihr Land verlassen?“ (AS 36), „Sie haben zu ihren Fluchtgründen befragt angegeben, dass ihre Schwester krank wäre und viel Geld benötigen würde. Sind diese Angaben korrekt?" (AS 151), „Haben Sie auch andere Gründe, weshalb Sie erneut nach Europa gekommen sind?", "Haben Sie sonst Probleme in ihrem Heimatland?“ (AS 151).

Ausweislich der inhaltlich nicht beanstandeten Niederschriften der Erstbefragung am 19.06.2020 (AS 37) und der Einvernahme am 03.08.2020 (AS 153) wurde dem Beschwerdeführer somit hinreichend Gelegenheit zur Darlegung seiner Ausreisegründe eingeräumt und er verneinte auf Nachfrage dezidiert, Ergänzungen oder Korrekturen durchführen zu wollen (AS 37, 153). Ausgehend davon kann der erhobene Vorwurf, die belangte Behörde habe es unterlassen, sich mit dem Vorbringen sachgerecht auseinanderzusetzen, und habe kein adäquates Ermittlungsverfahren durchgeführt, nicht nachvollzogen werden.

So hat die belangte Behörde in allen Stadien des Verfahrens von Amts wegen darauf hinzuwirken, dass die für die Entscheidung erheblichen Angaben gemacht werden, sie ist aber nicht dazu verpflichtet, Asylgründe, die der Asylwerber gar nicht behauptet hat, zu ermitteln. Das maßgebliche Vorbringen des Beschwerdeführers vor der belangten Behörde bezog sich unzweifelhaft auf wirtschaftliche bzw. finanzielle Gründe und seine familiäre Situation. Der Beschwerdeführer sagte ausdrücklich in der Einvernahme am 03.08.2020 auf die von der belangten Behörde gestellte Frage, ob er nach Österreich gekommen sei, um hier Geld zu verdienen und seine Schwester zu unterstützen, „Ja“ (AS 151). Auf die Fragen, ob er sonst Probleme in seinem Herkunftsstaat oder Probleme mit Behörden, der Polizei oder dem Militär gehabt habe, antwortete er jeweils mit „Nein“ (AS 151).

Ein auch nur ansatzweises Vorbringen hinsichtlich einer homosexuellen Orientierung des Beschwerdeführers und eine damit zusammenhängende Verfolgung im Herkunftsstaat wurde vor der belangten Behörde nicht vorgebracht, sodass mangels greifbarer Anhaltspunkte auch keine Verpflichtung der belangten Behörde bestand, diesbezüglich weiter nachzufragen. Die amtswegige Ermittlungspflicht der Behörde kann jedenfalls nicht so weit gehen, dass Vorkommnisse erfragt werden müssen, die vom Asylwerber nicht einmal in den Raum gestellt werden.

Im gegenständlichen Fall wurde der Beschwerdeführer in den Einvernahmen ausführlich über die Bedeutung vollständiger Angaben, welche vertraulich behandelt werden, belehrt und andererseits befragt, ob er alles vortragen konnte, was für das Verfahren erheblich erscheint. Zudem hat sich der Beschwerdeführer einer Rechtsberatung unterzogen (AS 150) und seine Rechtsberaterin war bei der niederschriftlichen Einvernahme am 03.08.2020 anwesend (AS 149). Es wäre ihm daher möglich gewesen, nach der erfolgten Rechtsbelehrung mit seiner Beraterin über das Thema Homosexualität zu sprechen und ein entsprechendes Vorbringen zu erstatten. Der Beschwerdeführer hätte auch nachfragen können, ob eine Frau die Vernehmung durchführen könnte. Zwar verkennt das BVwG nicht, dass Homosexualität oft tabuisiert wird und es für Schutzsuchende daher eine Überwindung bedeuten kann, darüber zu reden, jedoch wurde der Beschwerdeführer auch ausdrücklich in der Einvernahme gefragt, ob er gegen eine der anwesenden Personen wegen einer möglichen Befangenheit oder aus anderen Gründen Einwände habe (AS 149). Der Beschwerdeführer verneinte dies (AS 149) und beantragte bei der belangten Behörde auch keine Einvernahme durch eine Frau.

Im besonderen Fall des Beschwerdeführers ist auch zu berücksichtigen, dass er bereits einige Jahre in Deutschland verbracht hatte, wo er, wenn er tatsächlich homosexuell wäre, die Erfahrung gemacht hätte, dass in Mitteleuropa der Umgang mit einer homosexuellen Orientierung offener ist als in seinem Herkunftsstaat.

Da der Beschwerdeführer zahlreiche Gelegenheiten hatte, die seinen Angaben zufolge bereits seit langem bestehende homosexuelle Orientierung vorzubringen, aber diese Möglichkeiten ungenützt verstreichen ließ, erscheint die behauptete Homosexualität nicht glaubhaft. Insbesondere geht die erkennende Richterin aber davon aus, dass kein tatsächliches Schutzbedürfnis besteht, da sich der Beschwerdeführer nunmehr bereits zum zweiten Mal in Österreich einem Asylverfahren entzogen hat, wobei er diesmal auch nicht vor einer Flucht aus dem Polizeianhaltezentrum zurückschreckte. Wenn der Beschwerdeführer in Algerien aufgrund seiner sexuellen Orientierung tatsächlich Verfolgung befürchten würde, wäre davon auszugehen, dass er durch Mitwirken an seinem Asylverfahren versuchen würde, internationalen Schutz zu erlangen.

Das gegenständliche Verhalten des Beschwerdeführers signalisiert ein Desinteresse an der Fortführung des Asylverfahrens und spricht sowohl gegen eine Verfolgung als auch gegen die Glaubhaftigkeit seines Beschwerdevorbringens.

Darüber hinaus tätigte der Beschwerdeführer auch bei anderen Angelegenheiten falsche und widersprüchliche Angaben:

Beispielsweise führte der Beschwerdeführer in der Erstbefragung am 25.05.2015 zu seinem Antrag auf internationalen Schutz vom 23.05.2015 als Geburtsdatum den XXXX 1998 an (AS 11 im Akt zum ersten Asylverfahren) und bestätigte er in der niederschriftlichen Einvernahme am 03.08.2020 tatsächlich im Jahr 1996 geboren zu sein (AS 152).

Ein weiterer Widerspruch besteht im Zusammenhang mit seinem Reisepass. So gab er in der Erstbefragung am 19.06.2020 an, sein Reisedokument in der Türkei verloren zu haben (AS 34), teilte er jedoch in der niederschriftlichen Einvernahme mit, seine Reisedokumente würden sich in der Türkei beim Schlepper befinden (AS 150).

Zudem sagte er in der niederschriftlichen Einvernahme am 03.08.2020 in Bezug auf die gestellte Frage der belangten Behörde, warum er festgenommen worden sei, aus, er sei mit einem anderen Jungen unterwegs gewesen, der gestohlen habe, er habe nichts gestohlen, sondern sei nur unterwegs gewesen (AS 152). Im Widerspruch dazu wurde er mit Urteil vom 17.08.2020 des Landesgerichts XXXX nach §§ 15, 127, 130 Abs 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe von 5 Monaten, bedingt mit einer Probezeit von 3 Jahren, verurteilt wurde.

Zusammengefasst kommt das Bundesverwaltungsgericht zum Schluss, dass der Beschwerdeführer nicht homosexuell ist und deswegen auch nicht verfolgt wird.

2.4. Zum Herkunftsstaat:

Die Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat beruhen auf dem aktuellen Länderinformationsbericht der Staatendokumentation für Algerien vom 14.06.2019 samt den dort publizierten Quellen und Nachweisen. Dieser Länderinformationsbericht stützt sich auf Berichte verschiedener ausländischer Behörden, etwa die allgemein anerkannten Berichte des Deutschen Auswärtigen Amtes, als auch jene von internationalen Organisationen, wie bspw. dem UNHCR, sowie Berichte von allgemein anerkannten unabhängigen Nachrichtenorganisationen.

Die Feststellungen hinsichtlich der Covid 19 Pandemie ergeben sich zum einen aus den zitierten und verlässlichen Internetquellen und zum anderen aus der Kurzinformation der Staatendokumentation vom 10. Juni 2020 zur aktuellen Covid 19 Lage in Afrika.

Angesichts der Seriosität und Plausibilität der angeführten Erkenntnisquellen sowie dem Umstand, dass diese Berichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängigen Quellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wissentliche Widersprüche darbieten, besteht kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln.

Der Beschwerdeführer trat diesen Quellen und deren Kernaussagen zur Situation im Herkunftsland nicht substantiiert entgegen.

Aufgrund der Kürze der verstrichenen Zeit zwischen der Erlassung des bekämpften Bescheides und der vorliegenden Entscheidung ergeben sich keine Änderungen zu den im bekämpften Bescheid getroffenen Länderfeststellungen. Das Bundesverwaltungsgericht schließt sich daher diesen Feststellungen vollinhaltlich an.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zur Zuständigkeit der erkennenden Richterin:

Gemäß § 20 Abs 1 AsylG ist ein Asylwerber, wenn er seine Furcht vor Verfolgung (Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention) auf Eingriffe in seine sexuelle Selbstbestimmung gründet, von einem Organwalter desselben Geschlechts einzuvernehmen, es sei denn, er verlangt anderes. Von dem Bestehen dieser Möglichkeit ist der Asylwerber nachweislich in Kenntnis zu setzen.

Gemäß § 20 Abs 2 AsylG gilt Abs 1 für Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht nur, wenn der Asylwerber den Eingriff in seine sexuelle Selbstbestimmung bereits vor dem Bundesamt oder in der Beschwerde behauptet hat. Diesfalls ist eine Verhandlung von einem Einzelrichter desselben Geschlechts oder einem aus Richtern desselben Geschlechts bestehenden Senat durchzuführen. Ein Verlangen nach Abs. 1 ist spätestens gleichzeitig mit der Beschwerde zu stellen.

Der Beschwerdeführer stellte in seiner Beschwerdeergänzung vom 08.09.2020 klar, dass er mit dem Hinweis in der Beschwerde darauf, dass er sich vor einem männlichen Referenten nicht habe äußern können, die Durchführung einer Verhandlung mit einer weiblichen Richterin beantragt habe. Daher war von der erkennenden Richterin keine Unzuständigkeit wahrzunehmen.

Zur meritorischen Entscheidung:

Asylverfahren sind gemäß § 24 Abs 2 AsylG einzustellen, wenn sich der Asylwerber dem Verfahren entzogen hat (§ 24 Abs. 1 AsylG) und eine Entscheidung ohne eine allenfalls weitere Einvernahme oder Verhandlung nicht erfolgen kann.

Steht der entscheidungsrelevante Sachverhalt fest und hat sich der Asylwerber dem Verfahren entzogen (Abs. 1), steht die Tatsache, dass der Asylwerber vom Bundesamt oder vom Bundesverwaltungsgericht bisher nicht einvernommen wurde, einer Entscheidung nicht entgegen (§24 Abs 3 AsylG).

Im gegenständlichen Fall flüchtete der Beschwerdeführer aus der Schubhaft und entzog sich sohin dem Asylverfahren im Sinne des § 24 AsylG. Entgegen dem Beschwerdevorbringen, wonach die Befragung zum Fluchtgrund vor dem BFA für die Ermittlung des Sachverhalts völlig unzureichend sei, ist keine weitere Befragung des Beschwerdeführers vonnöten. Insbesondere die Flucht aus der Schubhaft und mangelnde Mitwirkung am Asylverfahren indiziert, dass er nicht verfolgt wird und sein Beschwerdevorbringen unglaubwürdig ist.

Aufgrund der letztlich geklärten Sachlage konnte im gegenständlichen Fall daher meritorisch entschieden werden und eine Entscheidung ohne Durchführung einer Verhandlung erfolgen. Das Verfahren musste deshalb nicht eingestellt werden.

Zu A) Abweisung der Beschwerde

3.1.    Zur Nichtgewährung von Asyl (Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides):

3.1.1.  Rechtslage

Gemäß § 3 Abs 1 AsylG ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 leg. cit. zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art 1 Absch A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) droht.

3.1.2.  Anwendung der Rechtslage auf den gegenständlichen Fall

Wie bereits festgestellt wurde, konnte der Beschwerdeführer nicht glaubhaft machen, homosexuell zu sein und deswegen verfolgt zu werden. Dem Vorbringen, wonach er ausgereist sei, weil seine Schwester krank sei und Medikamente benötige, kommt mangels eines vorliegenden Fluchtgrundes im Sinne des Art 1 Absch A Z 2 GFK keine Asylrelevanz zu.

Die Voraussetzungen für die Erteilung von Asyl sind daher nicht gegeben. Aus diesem Grund war die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides gemäß § 28 Abs 2 VwGVG iVm § 3 Abs 1 AsylG als unbegründet abzuweisen.

3.2.    Zur Nichtgewährung von subsidiärem Schutz (Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides):

3.2.1.  Rechtslage

Gemäß § 8 Abs 1 Z 1 AsylG ist einem Fremden der Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, wenn dieser in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird, wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art 2 EMRK, Art 3 EMRK oder der Protokolle Nr 6 oder Nr 13 zur EMRK (ZPERMRK) bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

3.2.2.  Anwendung der Rechtslage auf den gegenständlichen Fall

Dem Beschwerdeführer droht in Algerien - wie oben bereits dargelegt wurde - keine asylrelevante Verfolgung.

In der Beschwerde wird zwar vorgebracht, dass dem Beschwerdeführer im Falle der Abschiebung eine reale Gefahr der Verletzung von Art 2, 3 EMRK drohen würde und er einem Klima ständiger Bedrohung, struktureller Gewalt, unmittelbaren Einschränkungen sowie einer Reihe von Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt wäre, jedoch wird dies weder näher begründet noch belegt.

Bei Algerien handelt es sich nach § 1 Z 10 Herkunftsstaaten-Verordnung um einen sicheren Herkunftsstaat; im Verfahren sind keine Umstände bekannt geworden (und ergeben sich solche auch nicht aus dem im Bescheid und ebenso in diesem Erkenntnis zitierten Länderinformationsblatt für Algerien), die nahelegen würden, dass bezogen auf den Beschwerdeführer ein reales Risiko einer solchen Gefahr besteht.

Auch dafür, dass dem Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr nach Algerien die notdürftigste Lebensgrundlage entzogen und die Schwelle des Art 3 EMRK überschritten wäre, gibt es im vorliegenden Beschwerdefall keinen Anhaltspunkt. Der Beschwerdeführer ist volljährig, gesund und somit arbeitsfähig, weshalb nicht davon ausgegangen werden kann, dass er nicht in der Lage wäre, seine Existenz zu sichern. Zudem ist die Grundversorgung in Algerien weitgehend vorhanden und hat er noch familiäre Anknüpfungspunkte, da seine Eltern und Geschwister nach wie vor in Algerien leben.

Damit ist der Beschwerdeführer durch die Abschiebung nach Algerien nicht in seinem Recht gemäß Art 3 EMRK verletzt, weil die Grundbedürfnisse im konkreten Fall gedeckt werden können. Dass der Beschwerdeführer allenfalls in Österreich wirtschaftlich gegenüber seiner Situation in Algerien besser gestellt ist, genügt nicht für die Annahme, er würde in Algerien keine Lebensgrundlage vorfinden und somit seine Existenz nicht decken können. Hierfür fehlen im vorliegenden Fall alle Hinweise auf derart exzeptionelle Umstände. Der Beschwerdeführer gehört auch keiner Risikogruppe in Hinblick auf die Covid-19-Pandemie an, so dass sich auch daraus kein Rückkehrhindernis ergibt.

Die Beschwerde erweist sich daher insoweit als unbegründet, sodass sie auch hinsichtlich des Spruchpunktes II. des angefochtenen Bescheides gemäß § 28 Abs 2 VwGVG iVm § 8 Abs 1 Z 1 AsylG abzuweisen war.

3.3.    Zur Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen (Spruchpunkt III. des angefochtenen Bescheides)

3.3.1.  Rechtslage

Gemäß § 58 Abs 1 AsylG hat das Bundesamt die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG (Aufenthaltstitel besonderer Schutz) von Amts wegen zu prüfen, wenn der Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird (Z 2) oder wenn ein Fremder sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält und nicht in den Anwendungsbereich des 6. Hauptstückes des FPG fällt (Z 5). Gemäß § 58 Abs 2 AsylG hat das Bundesamt einen Aufenthaltstitel gemäß § 55 AsylG (Aufenthaltstitel aus Gründen des Art 8 EMRK) von Amts wegen zu erteilen, wenn eine Rückkehrentscheidung auf Grund des § 9 Abs 1 bis 3 BFA-VG auf Dauer für unzulässig erklärt wird. Das Bundesamt hat über das Ergebnis der von Amts wegen erfolgten Prüfung der Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55 und 57 im verfahrensabschließenden Bescheid abzusprechen (§ 58 Abs 3 AsylG).

3.3.2.  Anwendung der Rechtslage auf den gegenständlichen Fall

Indizien dafür, dass der Beschwerdeführer einen Sachverhalt verwirklicht, bei dem ihm ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG (Aufenthaltstitel besonderer Schutz) zu erteilen wäre, sind weder vorgebracht worden, noch hervorgekommen: Weder war der Aufenthalt des Beschwerdeführers seit mindestens einem Jahr im Sinne des § 46 Abs 1 Z 1 oder Z 3 FPG geduldet, noch ist dieser zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen notwendig, noch ist der Beschwerdeführer Opfer von Gewalt im Sinne des § 57 Abs 1 Z 3 AsylG. Ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG war daher nicht zu erteilen.

Die Beschwerde erweist sich daher insoweit als unbegründet, dass sie hinsichtlich des Spruchpunktes III. des angefochtenen Bescheides gemäß § 28 Abs 2 VwGVG iVm § 57 AsylG, abzuweisen war.

3.4.    Zur Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV. des angefochtenen Bescheides):

3.4.1.  Rechtslage

Gemäß § 10 Abs 1 Z 3 AsylG ist eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz (dem AsylG) mit einer Rückkehrentscheidung oder einer Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden, wenn der Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird.

Gemäß § 52 Abs 1 Z 1 FPG hat das Bundesamt gegen einen Drittstaatsangehörigen mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn er sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält. Gemäß § 52 Abs 2 Z 2 FPG hat das Bundesamt gegen einen Drittstaatsangehörigen unter einem (§ 10 AsylG) mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn dessen Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird und ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zukommt.

Gemäß § 9 Abs 1 BFA-VG ist die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, wenn dadurch in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen wird, zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art 8 Abs 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist. Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art 8 EMRK sind insbesondere die in § 9 Abs 2 Z 1 bis 9 BFA-VG aufgezählten Gesichtspunkte zu berücksichtigen (die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war, das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens, die Schutzwürdigkeit des Privatlebens, der Grad der Integration, die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden, die strafgerichtliche Unbescholtenheit, Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts, die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren, die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist).

3.4.2.  Anwendung der Rechtslage auf den Beschwerdefall

Zu prüfen ist daher, ob die von der belangten Behörde verfügte Rückkehrentscheidung mit Art 8 EMRK vereinbar ist:

Der Beschwerdeführer hielt sich nur wenige Monate durchgehend im Bundesgebiet auf, verfügt über keine Verwandten oder familienähnlichen Beziehungen im Bundesgebiet und setzte keine Integrationsschritte. Ein schützenswertes Privat und Familienleben liegt daher nicht vor.

Dem allenfalls bestehenden Interesse des Beschwerdeführers an einem Verbleib in Österreich (bzw Europa) stehen jedoch gewichtige öffentliche Interessen gegenüber.

Seinem privaten Interesse steht das öffentliche Interesse daran gegenüber, dass das geltende Migrationsrecht auch vollzogen wird, indem Personen, die ohne Aufenthaltstitel aufhältig sind – gegebenenfalls nach Abschluss eines allfälligen Verfahrens über einen Antrag auf internationalen Schutz – auch zur tatsächlichen Ausreise verhalten werden. Bei einer Gesamtbetrachtung wiegt unter diesen Umständen das öffentliche Interesse an der Aufrechterhaltung der Durchsetzung der geltenden Bedingungen des Einwanderungsrechts und an der Befolgung der den Aufenthalt von Fremden regelnden Vorschriften, denen aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechthaltung der öffentlichen Ordnung – und damit eines von Art 8 Abs 2 EMRK erfassten Interesses – ein hoher Stellenwert zukommt (vgl zB VwGH 30.04.2009, 2009/21/0086), schwerer als die schwach ausgebildeten privaten Interessen des Beschwerdeführers am Verbleib in Österreich.

Im Fall des Beschwerdeführers kommt hinzu, dass er trotz seines erst kurzen Aufenthalts in Österreich bereits straffällig wurde und sohin seine Ausreise auch dringend geboten ist, um weitere Straftaten zu verhindern. Zudem flüchtete er aus der Schubhaft und entzog er sich so dem gegenständlichen Verfahren.

Die Erlassung einer Rückkehrentscheidung kann daher nicht im Sinne von § 9 Abs 2 BFA-VG als unzulässig angesehen werden, weshalb auch die E

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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