TE Bvwg Erkenntnis 2020/9/2 W159 2211363-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 02.09.2020
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Entscheidungsdatum

02.09.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs3
AsylG 2005 §55
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs1a
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3

Spruch

W159 2211363-1/4E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Clemens KUZMINSKI als Einzelrichter über die Beschwerde der XXXX , geboren XXXX , Staatsangehörige von Serbien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 22.11.2018, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 20.08.2020 zu Recht erkannt:

A)

I. Die Beschwerde wird gemäß §§ 55, 10 Abs. 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG sowie § 52 Abs. 9 FPG abgewiesen.

II. Gemäß § 55 Abs. 1-3 FPG beträgt die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

1. Verfahrensgang

Die Beschwerdeführerin wurde am XXXX als Tochter der serbischen Staatsangehörigen XXXX in Wien geboren.

Mit Datum 07.06.2018 stellte ihre Mutter als gesetzliche Vertreterin einen „Erstantrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Artikel 8 EMRK Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens“. Angeschlossen wurde (eine Kopie) des serbischen Reisepasses der Beschwerdeführerin, eine Geburtsurkunde und ein Bescheid der Pensionsversicherungsanstalt auf Anspruch einer Waisenpension.

Die belangte Behörde führte ein schriftliches Parteiengehör durch.

Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Wien, vom 22.11.2018, Zahl XXXX , wurde unter Spruchteil I. der Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus den Gründen des Artikel 8 EMRK abgewiesen, unter Spruchteil II. eine Rückkehrentscheidung erlassen, unter Spruchpunkt III. die Abschiebung nach Serbien für zulässig erklärt, unter Spruchpunkt IV. eine Frist für die freiwillige Ausreise nicht gewährt und unter Spruchpunkt V. die aufschiebende Wirkung einer Beschwerde aberkannt.

In der Begründung des Bescheides wurde zunächst ausgeführt, dass die Mutter der Beschwerdeführerin 2010 einen in Österreich zum Aufenthalt berechtigten serbischen Staatsangehörigen geheiratet habe, aber sie sich nie bemüht habe, ihren Aufenthalt hier zu legalisieren. Ihr Vater sei am 18.03.2018 in Wien verstorben. Am 07.06.2018 habe ihre Mutter für sie einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Artikel 8 EMRK gestellt. Der Reisepass sei sichergestellt worden und es sei festgestellt worden, dass sie am 09.03.2018 letztmals nach Österreich eingereist wären, sie würden sich illegal in Österreich befinden. Festgestellt wurde, dass die Antragstellerin serbische Staatsangehörige sei, minderjährig und dass die Obsorge ihrer Mutter zustehe. Sie sei gesund und aufrecht im Bundesgebiet gemeldet. Sie würde laut den Angaben ihrer Mutter in Österreich bei den Großeltern leben. Da sie jedoch erst kürzlich eingereist sei, könne kein schützenswertes Familienleben vorliegen und sei es auch schon in der Vergangenheit möglich gewesen, die Kontakte durch Besuche während der sichtvermerksfreien Zeit aufrecht zu erhalten. In der Folge wurden (kurze) Feststellungen zu Serbien getroffen. In der Beweiswürdigung wurde auf den Akteninhalt verwiesen.

Zu Spruchteil I. wurde nochmals darauf hingewiesen, dass die Beschwerdeführerin zuletzt am 09.03.2018 ins Bundesgebiet eingereist sei und aufgrund des kurzen Aufenthaltes jedenfalls kein schützenswertes Familienleben (mit ihren Großeltern) bestehe. Die Mutter beziehe lediglich € 270,-- Euro Witwenpension, gehe keiner Beschäftigung nach, spreche nicht Deutsch und habe keine Aussicht auf Erwerbstätigkeiten. Es müssten daher den öffentlichen Interessen gegenüber den Privaten absolute Priorität eingeräumt werden, da kein gesicherter Lebensunterhalt vorliege. Weiters wurde nochmals festgehalten, die Mutter als gesetzliche Vertreterin nie einen Antrag nach den NAG gestellt habe oder sich sonst irgendwie bemüht habe ihren Aufenthalt zu legalisieren. Weder die Beschwerdeführerin noch ihre Mutter würden über eine Aufenthaltsberechtigung in Österreich verfügen. Eine besondere Integration liege nicht vor und bestehe auch kein ununterbrochener Aufenthalt in Österreich über viele Jahre, vielmehr sei dieser durch zahlreiche Aufenthalte in Serbien unterbrochen worden. Nach einer Ausreise sei es weiterhin möglich, auf diversen Wegen z.B. elektronischen, brieflichen oder telefonischen Weiterkontakt zu den Verwandten in Österreich zu pflegen und sei es auch möglich, nach Konsumierung der Rückkehrentscheidung und Einhaltung der Rechtsvorschriften wieder sichtvermerksfrei nach Österreich einzureisen und für 90 Tage in Österreich verbleiben zu können. Im Hinblick auf ein geordnetes Fremdenwesen müssten daher die öffentlichen Interessen an der Erlassung einer Rückkehrentscheidung höher gewertet werden, als die privaten Interessen an einem Weiterverbleib in Österreich.

Zu Spruchpunkt II. wurde insbesondere ausgeführt, dass im vorliegenden Fall die Erteilungsvoraussetzungen für einen Aufenthaltstitel gemäß § 55 AsylG nicht vorläge, auch eine Rückkehrentscheidung zulässig sei.

Da eine Rückkehrentscheidung erlassen worden sei, keine Fluchtgründe und keine Gründe für eine Bedrohung im Sinne des § 50 FPG vorgebracht worden seien, sei die Abschiebung zulässig, zumal einer Abschiebung nach Serbien keine Empfehlung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte entgegenstehe.

Von einer Festlegung einer Frist für die freiwillige Ausreise sei abzusehen gewesen, da der Beschwerde die aufschiebende Wirkung aberkannt worden sei (Spruchpunkt IV.). Da ein öffentliches Interesse an der sofortigen Ausreise bestehe, sei der Beschwerde die aufschiebende Wirkung abzuerkennen gewesen (Spruchpunkt V.).

Gegen diesen Bescheid erhob die Mutter der Beschwerdeführerin im eigenen Namen und im Namen der Beschwerdeführerin, vertreten durch Rechtsanwalt XXXX , Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht, verbunden mit Anträgen auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung. Das Vorbringen bezieht sich auf die Mutter der Beschwerdeführerin und ihre Situation.

Mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichtes vom 19.12.2018, Zahl XXXX wurde der Beschwerde gemäß § 18 Abs. 5 BFA-VG die aufschiebende Wirkung zuerkannt.


Aufgrund der Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses vom 15r.04.2020 wurde der gegenständliche Verfahrensakt am 29.04.2020 dem nunmehr zuständigen Einzelrichter zugeteilt.

Dieser beraumte eine öffentliche mündliche Beschwerdeverhandlung für den 20.08.2020 an. Die belangte Behörde ließ sich für die Nichtteilnahme entschuldigen, die Mutter und gesetzliche Vertreterin der Beschwerdeführerin erschien in Begleitung ihres ausgewiesenen Rechtsvertreters. Sie legte (nochmals) ein Deutschdiplom A1, die Sterbeurkunde sowie die Geburtsurkunde ihres Ehemannes, weiters eine Bezugsbestätigung für die Notstandshilfe bzw. Arbeitslosenentgeltbestätigung ihrer Schwiegereltern, einen Antrag auf Gewährung einer Ausgleichszulage der Pensionsversicherungsanstalt sowie eine Schulbesuchsbestätigung der Tochter XXXX vor.

Die Mutter gab – soweit für die Beschwerdeführerin wesentlich – an, dass sie nach der Geburt ihrer Tochter gemeinsam mit ihrem Ehemann immer drei Monate in Wien bei den Schwiegereltern und drei Monate in Serbien, in dem kleinen Dorf XXXX im Haus ihrer Schwiegereltern gelebt habe. Die Tochter sei gesund und leide unter keinen organischen oder psychischen Problemen. Sie habe im letzten Jahr die erste Klasse der Volksschule als außerordentliche Schülerin besucht und beginne im Herbst nochmals mit der ersten Klasse. Sie selbst spreche mit ihrer Tochter serbisch und ein bisschen Deutsch, die Schwiegereltern würden mit ihr serbisch sprechen, trotzdem könne ihre Tochter schon besser Deutsch wie sie. Außerschulische Aktivitäten betreibe ihre Tochter nicht. Sie verbringe viel Zeit mit ihrem Schwager und dessen Sohn und würden sie gemeinsam mit den Kindern in den Park gehen, wie der als Zeuge einvernommene Schwager der Mutter der Beschwerdeführerin XXXX angab.

Der Beschwerdeführervertreter gab keine weitere Stellungnahme ab.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat wie folgt festgestellt und erwogen:

1. Feststellungen:

Feststellungen zur Person der Beschwerdeführerin:

Die Beschwerdeführerin ist serbische Staatsangehörige und serbisch-orthodoxen Glaubens. Die Volksgruppenzugehörigkeit kann nicht mit Sicherheit festgestellt werden. Die Beschwerdeführerin wurde am XXXX in XXXX geboren. Beide Eltern sind serbische Staatsangehörige, ihr Vater XXXX hatte eine Aufenthaltsberechtigung für Österreich, ihre Mutter XXXX jedoch nicht. Ihr Vater ist am 18.03.2018 in Wien an den Folgen eines Verkehrsunfalles verstorben. Der Beschwerdeführerin wurde eine Waisenpension in der Höhe von € 113,54 Euro von der Pensionsversicherungsanstalt zuerkannt. Sie hat, solange noch ihr Vater gelebt hat, mit ihren Eltern gemeinsam abwechselnd drei Monate in XXXX in Serbien und drei Monate bei ihren Großeltern in Wien gelebt, nach dem Tod ihres Vaters jedoch ausschließlich bei den Großeltern in Wien. Es besteht ein enger Kontakt zwischen der Beschwerdeführerin und ihren Großeltern bzw. auch zu ihrem Onkel und ihrem Cousin. Die Verwandten sprechen mit der Beschwerdeführerin teilweise Serbisch und teilweise Deutsch. Die Beschwerdeführerin ist gesund. Sie hat im Schuljahr 2019/2020 die erste Schulstufe lediglich als außerordentliche Schülerin besucht. Sie wurde auch in Deutsch, Lesen und Schreiben nicht beurteilt.

Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts wurde die Beschwerde der Mutter der Beschwerdeführerin in allen Punkten abgewiesen.

Da kein auf die Ländersituation in Serbien bezogenes Vorbringen erstattet wurde, war es nicht erforderlich, länderspezifische Feststellungen zu treffen.

Beweis wurde erhoben durch schriftliches Parteiengehör der belangten Behörde (hinsichtlich der Mutter und gesetzlichen Vertreterin der Beschwerdeführerin), sowie durch Befragung ihrer Mutter, des Großvaters XXXX und ihres Onkels XXXX im Zuge der Beschwerdeverhandlung des Bundesverwaltungsgerichtes, weiters durch Vorlage der Kopie des serbischen Reisepasses, einer Geburtsurkunde, einer Sterbeurkunde des Vaters XXXX , eines Bescheides der Pensionsversicherungsanstalt über Gewährung einer Waisenpension durch die Vertretung der Beschwerdeführerin, weiters durch Einsichtnahme in den Verfahrensakt der belangten Behörde, sowie in den Verfahrensakt ihrer Mutter zu Zahl XXXX .

2. Beweiswürdigung:

Die serbische Staatsangehörigkeit der Beschwerdeführerin ergibt sich aus dem (von der belangten Behörde eingezogenen) serbischen Reisepass der Beschwerdeführerin. Der Umstand, dass die Beschwerdeführerin in Österreich am XXXX als eheliches leibliches Kind der XXXX und des XXXX geboren wurde, aus der vorgelegten österreichischen Geburtsurkunde.

Die Mutter und gesetzliche Vertreterin hat selbst angegeben, dass sie nie selbst über ein Aufenthaltsrecht in Österreich verfügt hat, ebenso wenig ihre Tochter und weiters hat sie (in Übereinstimmung mit dem Zeugen XXXX ) angegeben, dass ihre Tochter erst nach dem Tod des Vaters am 18.03.2018 durchgehend bei ihren Großeltern in Österreich gelebt hat, zuvor jedoch abwechselnd drei Monate bei den Großeltern und drei Monate (mit ihren Eltern) in Serbien.

Aus den übereinstimmenden Aussagen ihrer Mutter und der vernommenen Zeugen ergibt sich der enge Kontakt bzw. das Familienleben der Beschwerdeführerin mit ihren Großeltern, ihrem Onkel und ihrem Cousin.

Der Umstand, dass die Beschwerdeführerin gesund ist, ergibt sich aus den diesbezüglichen eindeutigen Aussagen ihrer Mutter und gesetzlichen Vertreterin bzw. der Nichtvorlage gegenteiliger ärztlicher Befunde, die Höhe der Waisenpension dem diesbezüglichen Bescheid der Pensionsversicherungsanstalt.

Die Feststellung, dass die Beschwerdeführerin in Österreich lediglich als außerordentliche Schülerin die erste Schulstufe besucht hat und in Deutsch, Lesen und Schreiben nicht beurteilt wurde, ist aus der vorgelegten Schulbesuchsbestätigung der öffentlichen Volkschule XXXX zu entnehmen.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A, I.

Gemäß § 55 Abs. 1 Z 1 AsylG ist im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine „Aufenthaltsberechtigung plus“ zu erteilen, wenn dies gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK geboten ist und er gemäß Ziffer 2 Modul 1 der Integrationsvereinbarung gem. § 9 IntG erfüllt hat oder zum Entscheidungszeitpunkt eine erlaubte Erwerbstätigkeit ausübt, mit deren Einkommen die monatliche Geringfügigkeitsgrenze (§ 5 Abs. 2 ASVG) erreicht wird. Liegt nur die Voraussetzung der Ziffer 1 vor, ist eine „Aufenthaltsberechtigung“ zu erteilen.

Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens iS des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:

1.       die Art und Dauer des bisherigen Aufenthalts und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,

2.       das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,

3.       die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,

4.       der Grad der Integration,

5.       die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,

6.       die strafgerichtliche Unbescholtenheit,

7.       Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl- Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,

8.       die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,

9.       die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

Gemäß § 9 Abs. 3 BFA-VG ist über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung jedenfalls begründet, insbesondere darauf, ob diese auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind.

§ 9 Abs. 1 bis 3 BFA-VG lautet:

„Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:

1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,

2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,

3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,

4. der Grad der Integration,

5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,

6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit,

7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,

8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,

9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

(3) Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§§ 45 und 48 oder §§ 51 ff Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005) verfügen, unzulässig wäre.“

Gemäß § 52 Abs. 2 FPG hat das Bundesamt gegen einen Drittstaatsangehörigen unter einem (§ 10 AsylG 2005) mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn

1. dessen Antrag auf internationalen Schutz wegen Drittstaatsicherheit zurückgewiesen wird,

2. dessen Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird,

3. ihm der Status des Asylberechtigten aberkannt wird, ohne dass es zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten kommt oder

4. ihm der Status des subsidiär Schutzberechtigten aberkannt wird

und kein Fall der §§ 8 Abs. 3a oder 9 Abs. 2 AsylG 2005 vorliegt und ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zukommt. Dies gilt nicht für begünstigte Drittstaatsangehörige.

Gemäß § 52 Abs. 9 FPG hat das Bundesamt mit einer Rückkehrentscheidung gleichzeitig festzustellen, dass eine Abschiebung eines Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 FPG in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist, es sei denn, dass dies aus vom Drittstaatsangehörigen zu vertretenden Gründen nicht möglich sei.

Gemäß § 46 Abs. 1 FPG sind Fremde, gegen die eine Rückkehrentscheidung, eine Anordnung zur Außerlandesbringung, eine Ausweisung oder ein Aufenthaltsverbot durchsetzbar ist, von den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes im Auftrag des Bundesamtes zur Ausreise zu verhalten (Abschiebung), wenn

1. die Überwachung ihrer Ausreise aus Gründen der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit notwendig scheint,

2. sie ihrer Verpflichtung zur Ausreise nicht zeitgerecht nachgekommen sind,

3. auf Grund bestimmter Tatsachen zu befürchten ist, sie würden ihrer Ausreiseverpflichtung nicht nachkommen, oder

4. sie einem Einreiseverbot oder Aufenthaltsverbot zuwider in das Bundesgebiet zurückgekehrt sind.

Nach Art. 8 Abs. 2 EMRK ist der Eingriff in die Ausübung dieses Rechts nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutze der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

Ob eine Verletzung des Rechts auf Schutz des Privat- und Familienlebens iSd Art. 8 EMRK vorliegt, hängt nach der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte sowie des Verfassungs- und Verwaltungsgerichtshofes jeweils von den konkreten Umständen des Einzelfalles ab. Die Regelung erfordert eine Prüfung der Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit des staatlichen Eingriffes; letztere verlangt eine Abwägung der betroffenen Rechtsgüter und öffentlichen Interessen. In diesem Sinn wird eine Ausweisung nicht erlassen werden dürfen, wenn ihre Auswirkungen auf die Lebenssituation des Fremden (und seiner Familie) schwerer wiegen würden als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von ihrer Erlassung.

Der Begriff des „Familienlebens“ in Art. 8 EMRK umfasst nicht nur die Kleinfamilie von Eltern und (minderjährigen) Kindern und Ehegatten, sondern auch entferntere verwandtschaftliche Beziehungen, sofern diese Beziehungen eine gewisse Intensität erreichen. Als Kriterien hierfür kommen etwa das Vorliegen eines gemeinsamen Haushaltes oder die Gewährung von Unterhaltsleistungen in Betracht. In der bisherigen Spruchpraxis der Straßburger Instanzen wurden als unter dem Blickwinkel des Art. 8 EMRK zu schützende Beziehungen bereits solche zwischen Enkel und Großeltern (EGMR 13.06.1979, Marckx, EuGRZ 1979, 458; s. auch EKMR 07.12.1981, B 9071/80, X-Schweiz, EuGRZ 1983, 19), zwischen Geschwistern (EKMR 14.03.1980, B 8986/80, EuGRZ 1982, 311) und zwischen Onkel bzw. Tante und Neffen bzw. Nichten (EKMR 19.07.1968, 3110/67, Yb 11, 494 (518); EKMR 28.02.1979, 7912/77, EuGRZ 1981/118; EKMR 05.07.1979, B 8353/78, EuGRZ 1981, 120) anerkannt, sofern eine gewisse Beziehungsintensität vorliegt (vgl. Baumgartner, ÖJZ 1998, 761; Rosenmayer, ZfV 1988, 1). Das Kriterium einer gewissen Beziehungsintensität wurde von der Kommission auch für die Beziehung zwischen Eltern und erwachsenen Kindern gefordert (EKMR 06.10.1981, B 9202/80, EuGRZ 1983, 215).

Es ist im vorliegenden Fall wohl davon auszugehen, dass ein Familienleben nicht nur mit ihrer Mutter, sondern auch mit ihren Großeltern, ihrem Onkel und ihrem Cousin besteht.

Im Hinblick auf ihr jugendliches Alter ist jedoch von einer noch hohen Anpassungsfähigkeit auszugehen (VwGH 25.3.2010, 2009/21/0216; 10.4.2014, 2013/22/0211). Der Verfassungsgerichtshof hat unter Hinweis auf Urteile des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte ausgesprochen, dass für Kinder im Alter von sieben und elf Jahren eine grundsätzliche Anpassungsfähigkeit anzunehmen ist (VfSlg. 19.357/2011; vgl. auch VwGH 10.4.2014, 2013/22/0211).

Unter dem „Privatleben“ sind nach der Rechtsprechung des EGMR persönliche, soziale und wirtschaftliche Beziehungen, die für das Privatleben eines jeden Menschen konstitutiv sind, zu verstehen (vgl. EGMR 16.06.2005, Sisojeva ua gg Lettland, Nr. 60654/00, EuGRZ 2006, 554). In diesem Zusammenhang komme dem Grad der sozialen Integration des Betroffenen eine wichtige Bedeutung zu.

Für den Aspekt des Privatlebens spielt zunächst die zeitliche Komponente im Aufenthaltsstaat eine zentrale Rolle, wobei die bisherige Rechtsprechung keine Jahresgrenze festlegt, sondern eine Interessenabwägung im speziellen Einzelfall vornimmt (vgl. dazu Chvosta, Die Ausweisung von Asylwerbern und Art. 8 EMRK, in ÖJZ 2007, 852 ff).

Der VwGH hat zum Ausdruck gebracht, dass einem inländischen Aufenthalt von weniger als fünf Jahren für sich betrachtet noch keine maßgebliche Bedeutung hinsichtlich der durchzuführenden Interessenabwägung zukommt (vgl. dazu VwGH 30.07.2015, Zl. 2014/22/0055; VwGH 23.06.2015, Zl. 2015/22/0026; VwGH 10.11.2010, Zl. 2008/22/0777, VwGH 26.06.2007, Zl. 2007/01/0479).

Im vorliegenden Fall ist davon auszugehen, dass die Beschwerdeführerin erst nach dem Tod ihres Vaters am 18.03.2018 durchgängig in Österreich aufhältig war, somit etwa zweieinhalb Jahre und sie zuvor (mit ihren Eltern) jeweils drei Monate in Serbien und drei Monate in Österreich gelebt hat, wobei weiters hervorzuheben ist, dass die Beschwerdeführerin nie über ein legales Aufenthaltsrecht in Österreich verfügt hat.

Die Beschwerdeführerin ist wohl in Österreich geboren, hat jedoch bis zum Jahre 2018 immer wieder in Serbien gelebt, ist ihr daher jenes Land, dessen Staatsbürgerschaft sie besitzt, keineswegs fremd, sie spricht auch Serbisch, weil ihre Mutter und ihre anderen Verwandten zumindest teilweise mit ihr Serbisch sprechen. Weiters waren offenbar die Deutschkenntnisse nicht gut genug, um als ordentliche Schülerin die erste Klasse der Volksschule in Österreich zu besuchen, was den Schluss zulässt, dass die Beschwerdeführerin offenbar besser Serbisch als Deutsch spricht. Insgesamt kann gesagt werden, dass die Beschwerdeführerin gemeinsam mit ihrer Mutter in der Lage ist, sich in Serbien „zurechtzufinden“. Überdies kann notorischer Weise davon ausgegangen werden, dass sie gemeinsam mit ihrer Mutter mit der Witwen- und Waisenpension von € 380,-- Euro in Serbien leichter leben kann als in Österreich.

Was das Familienleben mit ihren Großeltern, ihrem Onkel und ihrem Cousin betrifft, ist es – auch in Anbetracht des Alters der Beschwerdeführerin – durchaus zumutbar, den Kontakt einerseits durch elektronische Medien (Telefon, Internet) und andererseits durch wechselseitige Besuche aufrechtzuerhalten, zumal die Beschwerdeführerin mit ihrer Mutter nach Konsumation der Rückkehrentscheidung sich visafrei 90 Tage in Österreich aufhalten darf.

Nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichtes überwiegen daher derzeit die öffentlichen Interessen an der Aufenthaltsbeendigung, insbesondere das Interesse an der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit privaten Interessen des Beschwerdeführers am Verbleib im Bundesgebiet (vgl. dazu VfSlg. 17.516/2005 sowie ferner VwGH 26.06.2007, 2007/01/0479).

Mit der Erlassung der Rückkehrentscheidung ist gemäß § 52 Abs. 9 FPG gleichzeitig festzustellen, dass die Abschiebung gemäß § 46 leg. cit. in einen bestimmten Staat zulässig ist.

Die Abschiebung in einen Staat ist gemäß § 50 Abs. 1 FPG unzulässig, wenn dadurch Art. 2 oder 3 EMRK oder das 6. bzw. 13. ZPEMRK verletzt würden oder für den Betroffenen als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes verbunden wäre. Das entspricht dem Tatbestand des § 8 Abs. 1 AsylG 2005. Die Abschiebung in einen Staat ist gemäß § 50 Abs. 2 FPG unzulässig, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass dort das Leben des Betroffenen oder seine Freiheit aus Gründen seiner Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder persönlichen Ansichten bedroht wäre, es sei denn, es bestehe eine innerstaatliche Fluchtalternative. Die Abschiebung ist schließlich nach § 50 Abs. 3 FPG zulässig, solange ihr keine Empfehlung einer vorläufigen Maßnahme durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte entgegensteht.

Für die Beschwerdeführerin wurden keinerlei Bedrohungen oder sonstige Probleme in Serbien, weder von staatlichen Organen, noch vonseiten von Privatpersonen vorgebracht. Einer Abschiebung nach Serbien steht auch keine Empfehlung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte entgegen. Vielmehr handelt es sich bei Serbien um einen sicheren Drittstaat.

Festzuhalten ist jedoch, dass eine Abschiebung der noch nicht achtjährigen Beschwerdeführerin nach Serbien nur gemeinsam mit ihrer Mutter in Frage kommt.

Die Abschiebung der Beschwerdeführerin (gemeinsam mit ihrer Mutter) nach Serbien ist daher zulässig.

II. Da im vorliegenden Fall der Beschwerde aufschiebende Wirkung zuerkannt wurde, war nunmehr eine 14-tägige Frist zur freiwilligen Ausreise festzulegen (Filzwieser/Frank/Kloibmüller/Raschhofer, Asyl- und Fremdenrecht, E9 zu § 55).

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Zu B – Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Im vorliegenden Fall erweist sich die ordentliche Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG insofern als nicht zulässig, als der gegenständliche Fall einerseits tatsachenlastig ist und die Beweiswürdigung und die persönlichen Umstände die entscheidenden Punkte darstellen. Wie unzweifelhaft der rechtlichen Beurteilung zu entnehmen ist, weicht die gegenständliche Entscheidung weder von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es zu irgendeinem Sachverhaltsaspekt des gegenständlichen Falles an einer Rechtsprechung und kann auch nicht davon gesprochen werden, dass die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes in Bezug auf den gegenständlichen Fall uneinheitlich zu beurteilen wäre. Vielmehr gründet sich die vorliegende Entscheidung auf die bisher ergangene Judikatur der Gerichtshöfe öffentlichen Rechtes, insbesondere auch eine aktuelle Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes.

Im Übrigen liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der im vorliegenden Fall zu lösenden Rechtsfragen vor.

Schlagworte

Familienleben Interessenabwägung öffentliches Interesse Rückkehrentscheidung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W159.2211363.1.00

Im RIS seit

24.11.2020

Zuletzt aktualisiert am

24.11.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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