TE OGH 2020/10/13 10ObS71/20v

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Veröffentlicht am 13.10.2020
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Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Vizepräsidenten Univ.-Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Fichtenau und Dr. Grohmann sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Martin Lotz (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Nicole Wohlmuth (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei P*****, vertreten durch Mag. Gerhard Eigner, Rechtsanwalt in Wels, gegen die beklagte Partei Österreichische Gesundheitskasse, 1030 Wien, Haidingergasse 1, vertreten durch Dr. Modelhart und Partner, Rechtsanwälte in Linz, wegen Rehabilitationsgeld, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 25. März 2020, GZ 12 Rs 12/20a-12, mit dem das Urteil des Landesgerichts Wels als Arbeits- und Sozialgericht vom 5. Dezember 2019, GZ 4 Cgs 222/19g-7, abgeändert wurde, zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei hat die Kosten des Revisionsverfahrens selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

[1]       Die Klägerin bezog ab 1. 12. 2018 ein tägliches Rehabilitationsgeld von 42,52 EUR netto. Ihr Dienstverhältnis endete am 21. 3. 2019. Für 76 unverbrauchte Urlaubstage erhielt sie für die Zeit von 22. 3. bis 5. 7. 2019 eine Urlaubsersatzleistung.

[2]       Strittig war, ob die Urlaubsersatzleistung einem „Anspruch auf Entgeltfortzahlung aus einer für die Bemessung des Rehabilitationsgeldes maßgeblichen Erwerbstätigkeit“ iSd § 143a Abs 3 ASVG gleichzuhalten ist und deshalb das Rehabilitationsgeld iSd § 143 Abs 1 Z 3 ASVG ruht (Standpunkt der beklagten Partei) oder ob die Urlaubsersatzleistung „ein Anspruch auf Erwerbseinkommen“ iSd § 143a Abs 4 ASVG ist und Teilrehabilitationsgeld gebührt (Standpunkt der Klägerin).

[3]       Mit Bescheid vom 27. 8. 2019 wurde festgestellt, dass das Rehabilitationsgeld für die Dauer des der Urlaubsersatzleistung entsprechenden Zeitraums von 22. 3. bis 5. 7. 2019 zur Gänze ruht.

[4]       Die Klägerin begehrt in ihrer Klage die Gewährung eines Teilrehabilitationsgeldes in diesem Zeitraum. Die Urlaubsersatzleistung sei als Anspruch auf Erwerbseinkommen anzusehen.

[5]       Nach Ansicht der beklagten Partei fällt die Urlaubsersatzleistung unter den Begriff der Entgeltfortzahlung iSd § 143a Abs 3 ASVG, weshalb das Rehabilitationsgeld iSd § 143a Abs 1 Z 3 ASVG ruhe.

[6]       Das Erstgericht folgte dem Standpunkt der Klägerin und gab ihrem Klagebegehren statt.

[7]       Das Berufungsgericht gab der Berufung der beklagten Partei Folge und wies das Klagebegehren ab. Allein maßgeblich sei hier § 143a Abs 3 ASVG, der das Zusammentreffen von Rehabilitationsgeld mit „Ansprüchen aus einer für die Bemessung des Rehabilitationsgeldes maßgeblichen Erwerbstätigkeit“ regle. Seit Inkrafttreten des § 15b AVRAG am 1. 1. 2016 (mit dieser Bestimmung werde das Arbeitsverhältnis für die Dauer des Bezugs von Rehabilitations- oder Umschulungsgeld karenziert) bleibe für § 143a Abs 3 ASVG wenig Anwendungsbereich. Als möglicher Anwendungsfall verbleibe aber die Auszahlung einer Urlaubsersatzleistung im Fall der Auflösung des Arbeitsverhältnisses während des Bezugs von Rehabilitationsgeld. Der Begriff der Entgeltfortzahlung in § 143a Abs 3 Satz 1 ASVG werde weit verstanden. Ausgehend von diesem weiten Verständnis sei die der Klägerin gewährte Urlaubsersatzleistung als Fortzahlung des für den Urlaub gebührenden Entgelts aus der für die Bemessung des Rehabilitationsgeldes maßgeblichen Erwerbstätigkeit anzusehen.

[8]       Das Berufungsgericht ließ die Revision mit der Begründung zu, dass Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zum Zusammentreffen eines Anspruchs auf Rehabilitationsgeld mit einem Anspruch auf Urlaubsersatzleistung aus der für die Bemessung des Rehabilitationsgeldes maßgeblichen Erwerbstätigkeit fehle.

[9]       Die – beantwortete – Revision der Klägerin ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig. Sie ist aber nicht berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

[10]     1. Das mit dem Sozialrechtsänderungsgesetz 2012, BGBl 2013/3, geschaffene Rehabilitationsgeld, das die befristete Invaliditätspension ersetzt (ErläutRV 2000 BlgNR 24. GP 20), ist dem Krankengeldbezug nachgebildet und funktional als dessen Fortsetzung anzusehen (ErläutRV 2000 BlgNR 24. GP 18). Es ist eine Leistung aus der Krankenversicherung, die nach ihrer Zielsetzung nur vorübergehend gebühren soll, bis die Minderung der Arbeitsfähigkeit durch Maßnahmen der medizinischen Rehabilitation wieder beseitigt ist (10 ObS 142/15b, SSV-NF 30/26).

[11]     2.1 § 143a Abs 3 ASVG regelt das Zusammentreffen eines Anspruchs auf Rehabilitationsgeld mit einem Anspruch auf Entgeltfortzahlung aus einer für die Bemessung des Rehabilitationsgeldes maßgeblichen Erwerbstätigkeit und ordnet an, dass die Ruhensbestimmung des § 143 Abs 1 Z 3 ASVG sinngemäß anzuwenden ist.

[12]     2.2 Damit kommt es bei einem Anspruch auf Weiterleistung von mehr als 50 vH der vollen Geld- und Sachbezüge (§ 49 Abs 1) vor dem Eintritt der Arbeitsunfähigkeit zu einem gänzlichen Ruhen des Anspruchs auf Rehabilitationsgeld. Bei einem Anspruch auf Weiterleistung von 50 vH dieser Bezüge ruht das Rehabilitationsgeld zur Hälfte. Folgeprovisionen gelten nicht als weiter geleistete Bezüge.

[13]     2.3 § 143a Abs 4 ASVG regelt hingegen das Zusammentreffen des Anspruchs auf Rehabilitationsgeld mit einem Anspruch auf ein die Geringfügigkeitsgrenze des § 5 Abs 2 Z 2 ASVG übersteigendes Erwerbseinkommen. In diesem Fall gebührt ein Teilrehabilitationsgeld, dessen Höhe sinngemäß nach § 254 Abs 7 ASVG zu bestimmen ist. Beim Zusammentreffen von Teilrehabilitationsgeld mit Ansprüchen auf Entgeltfortzahlung, die aus einer daneben ausgeübten Tätigkeit stammen, ruhen nach § 143a Abs 4 Satz 2 ASVG weder diese Ansprüche noch das Teilrehabilitationsgeld (Sonntag in Sonntag ASVG11 § 143a ASVG Rz 24).

[14]     2.4 § 143a Abs 4 ASVG setzt jedoch voraus, dass die versicherte Person das Erwerbseinkommen aus einer Tätigkeit bezieht, die nicht für die Bemessung des Rehabilitationsgeldes maßgeblich ist. Die Einkünfte müssen also aus einer „daneben“ ausgeübten Erwerbstätigkeit resultieren, die nicht deckungsgleich mit jener Tätigkeit ist, die Grundlage für die Bemessung des Rehabilitationsgeldes ist (ErläutRV 321 BlgNR 25. GP 5f; Wolligger in ZellKomm3 § 15b AVRAG Rz 7).

[15]     2.5 Da die Klägerin (unstrittig) neben ihrer (einzigen) Erwerbstätigkeit, die für die Bemessung des Rehabilitationsgeldes maßgeblich ist, keine weitere Erwerbstätigkeit ausgeübt hat, kann sie ihren Klagsanspruch nicht auf § 143a Abs 4 ASVG stützen.

[16]     3.1 Mit dem ARÄG 2015, BGBl I 2015/152, wurde § 15b ins AVRAG eingeführt. Diese mit 1. 1. 2016 in Kraft getretene Regelung ordnet an, dass im Fall des Bezugs von Rehabilitations- und Umschulungsgeld während des aufrechten Dienstverhältnisses das Arbeitsverhältnis ex lege karenziert ist und die Arbeitspflicht sowie die Entgeltpflicht als Hauptpflichten aus dem Arbeitsverhältnis sowie die Verpflichtung des Arbeitgebers zur Fortzahlung des Entgelts ruhen.

[17]     3.2 § 143a Abs 3 ASVG blieb nach Inkrafttreten des § 15b AVRAG unverändert aufrecht.

[18]     4. Für die Frage, ob das Rehabilitationsgeld bei gleichzeitigem Bezug einer Urlaubsersatzleistung ruht, ist maßgeblich, ob unter den Begriff „Entgeltfortzahlung“ in § 143a Abs 3 Satz 1 ASVG auch der Begriff der Urlaubsersatzleistung fällt:

[19]           5.1 Bei der Urlaubsersatzleistung handelt es sich um einen gesetzlichen Anspruch des Arbeitnehmers auf Abgeltung eines bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses noch nicht verbrauchten Urlaubs in Geld. Im sozialversicherungsrechtlichen Sinn wird die Urlaubsersatzleistung als beitragspflichtiges Entgelt behandelt, das aufgrund einer unselbständigen Tätigkeit gebührt. Es ist daher als Erwerbseinkommen im leistungsrechtlichen Sinn anzusehen (RIS-Justiz RS0107809, RS0110088).

[20]           5.2 Bei Auszahlung einer Urlaubsersatzleistung ruht der Krankengeldanspruch nach § 143 Abs 1 Z 3 ASVG wegen Anspruchs auf Weiterleistung von mehr als der Hälfte der Geldbezüge vor dem Eintritt der Arbeitsunfähigkeit. Das Ruhen soll eine Doppelversorgung des Arbeitnehmers für denselben Zeitraum sowohl durch Urlaubsersatzleistung als auch Krankengeld vermeiden (10 ObS 146/97m SSV-NF 11/72; 10 ObS 154/08g SSV-NF 22/83; Sonntag in Sonntag ASVG11 § 143a Rz 23).

[21]           6.1 Dem Wortsinn nach erfasst der Begriff „Entgeltfortzahlung“ in § 143a Abs 3 Satz 1 ASVG jedenfalls den arbeitsrechtlichen Anspruch auf Entgeltfortzahlung bei Dienstverhinderung durch Krankheit oder Unglücksfall (§ 2 Abs 1 EFZG; § 1154a ABGB; § 8 AngG). Dass daneben auch (vertragliche) Ansprüche auf Fortbezug des Entgelts (im sozialversicherungsrechtlichen Sinn) erfasst sind, ergibt sich schon aus dem Verweis auf § 143 Abs 1 Z 3 ASVG („solange der Versicherte aufgrund gesetzlicher oder vertraglicher Bestimmungen Anspruch auf Weiterleitung von mehr als 50 vH der vollen Geld- und Sachbezüge hat...“).

[22]           6.2 Die Lehre versteht den Begriff „Entgeltfortzahlung“ in § 143a Abs 3 Satz 1 ASVG weit. Als möglicher Anwendungsfall soll die Auszahlung einer Urlaubsersatzleistung im Fall der Auflösung eines Arbeitsverhältnisses während des Bezugs von Rehabilitationsgeld verbleiben (Födermayr in SV-Komm § 143a ASVG [249. Lfg] Rz 19/1). Nach Windisch-Gratz (Arbeitsrechtliche Konsequenzen des Bezugs von Rehabilitationsgeld und Umschulungsgeld, ZAS 2016/11, 65 [66 f]) ist seit Inkrafttreten des § 15b AVRAG die Bestimmung des § 143 Abs 3 ASVG – soweit darin sinngemäß für das Zusammentreffen von Entgeltfortzahlung und Rehabilitationsgeld ein Ruhen vorgesehen sei – weitgehend obsolet geworden.

[23]           6.2 Dieses weite Verständnis entspricht auch der systematischen Auslegung, weil andernfalls nach Inkrafttreten des § 15b AVRAG für § 143 Abs 3 ASVG kein Anwendungsbereich verbliebe (Wolliger in Zellkomm³ § 15 AVRAG Rz 5). Sind zwei Auslegungsvarianten vom Wortlaut gedeckt, ist der Auslegungsvariante, die der Norm einen eigenen Anwendungsbereich belässt, der Vorzug zu geben (RS0010053 [T1]). Die weite Auslegung entspricht auch dem Zweck von Ruhensbestimmungen, eine sozialversicherungsrechtlich unerwünschte Doppelversorgung der versicherten Person zu verhindern (10 ObS 135/17a SSV NF 31/61).

[24]           7. Ergebnis: § 143a Abs 3 Satz 1 ASVG ist dahin zu verstehen, dass bei Gewährung einer Urlaubsersatzleistung im Fall der Auflösung des Arbeitsverhältnisses während des Bezugs von Rehabilitationsgeldes der Anspruch auf Rehabilitationsgeld während des der Urlaubsersatzleistung entsprechenden darauf entfallenden Zeitraums zur Gänze ruht.

[25]           Der Revision ist daher nicht Folge zu geben.

[26]     8. Zu berücksichtigende Einkommens- und Vermögensverhältnisse, die trotz vollständigen Unterliegens des Versicherten einen Kostenersatzanspruch nach Billigkeit gemäß § 77 Abs 1 Z 2 ASGG rechtfertigen könnten, wurden nicht dargelegt und ergeben sich auch nicht aus der Aktenlage.

Textnummer

E129834

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2020:010OBS00071.20V.1013.000

Im RIS seit

24.11.2020

Zuletzt aktualisiert am

24.11.2020
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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