TE Vwgh Erkenntnis 2020/10/8 Ra 2020/13/0044

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Veröffentlicht am 08.10.2020
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
32/01 Finanzverfahren allgemeines Abgabenrecht

Norm

BAO §115 Abs1
BAO §115 Abs2
BAO §119 Abs1
BAO §166
BAO §167 Abs2
BAO §183 Abs4
BAO §232 Abs1
BAO §232 Abs2
BAO §270
BAO §280 Abs1 lite
BAO §93 Abs3 lita
B-VG Art50
VwRallg

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Nowakowski sowie den Hofrat MMag. Maislinger, die Hofrätinnen Dr. Reinbacher und Dr.in Lachmayer sowie den Hofrat Dr. Bodis als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Engenhart, über die Revision des W in W, vertreten durch die Dorda Rechtsanwälte GmbH in 1010 Wien, Universitätsring 10, gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts vom 10. März 2020, Zl. RV/7102520/2017, betreffend Sicherstellung (§ 232 BAO), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1        Mit Bescheid vom 17. November 2016 ordnete das Finanzamt die Sicherstellung der Einkommensteuer 2006 in voraussichtlicher Höhe von (ca.) 1,5 Mio. € an. Begründend führte das Finanzamt im Wesentlichen aus, gegen den Revisionswerber werde seit 2009 wegen Verdachts der Untreue und der Bestechung ermittelt. Sein ehemaliger Arbeitgeber (X AG) habe sich dem Verfahren als Privatbeteiligter angeschlossen und bringe im Privatbeteiligtenanschluss zum Ausdruck, dass zumindest Teilbeträge von Zahlungen an Y rechtsgrundlos und rechtswidrig an ehemalige Mitarbeiter geflossen seien. Der Revisionswerber habe als wirtschaftlich Berechtigter über ein Konto bei der B Bank in der Schweiz verfügt; diese Gelder seien beschlagnahmt worden. Im Zuge des Beginns der Außenprüfung habe der Revisionswerber eine Stellungnahme überreicht. Darin werde offengelegt, dass der Revisionswerber über Vermögenswerte bei der B Bank in Höhe von ca. 3 Mio. € verfüge. Der Revisionswerber versuche, die Herkunft der Vermögenswerte mit Ersparnissen, einem Wohnungsverkauf, einer Erbschaft und Zinseinkünften zu erklären. Die Abgabenbehörde schenke diesen Behauptungen (mit Ausnahme der nachgewiesenen Zinseinkünfte) keinen Glauben. Die Vermögenswerte stellten Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit dar, die bisher nicht besteuert worden seien. Die Besteuerung dieser Einkünfte führe zu einer Nachforderung in Höhe von ca. 1,5 Mio. €. Der die Besteuerung auslösende Sachverhalt sei im Jahr 2006 verwirklicht worden; der Abgabenanspruch sei daher mit Ablauf des Jahres 2006 entstanden. Die Einbringung der Abgaben sei gefährdet, weil die Höhe der voraussichtlichen Abgabenschuld in einem krassen Missverhältnis zum inländischen Einkommen und Vermögen des Abgabepflichtigen stehe. Es liege auch der Verdacht einer Abgabenhinterziehung durch Verschweigung erzielter Einnahmen vor. Die Erschwerung bzw. Gefährdung folge insbesondere aus dem Umstand, dass der ehemalige Arbeitgeber des Revisionswerbers als Privatbeteiligter den Zuspruch des Ersatzes des u.a. vom Revisionswerber verursachten Schadens in Höhe von 2,9 Mio. € begehre. Es sei daher ein Zugriff des ehemaligen Arbeitgebers auf das Vermögen des Revisionswerbers zu befürchten.

2        Der Revisionswerber erhob gegen diesen Bescheid Beschwerde.

3        Mit Beschwerdevorentscheidung vom 31. März 2017 wies das Finanzamt die Beschwerde als unbegründet ab. In der Begründung wurde u.a. darauf verwiesen, dass der Sicherstellungsauftrag mittlerweile durch den Einkommensteuerbescheid 2006 vom 7. Dezember 2016, aus dem sich eine Einkommensteuernachforderung in Höhe von ca. 1,5 Mio. € ergebe, seine Bestätigung gefunden habe; es verwies dazu auch auf die Würdigung der vom Revisionswerber vorgelegten Urkunden im Rahmen der Außenprüfung.

4        Der Revisionswerber beantragte die Entscheidung über die Bescheidbeschwerde durch das Bundesfinanzgericht.

5        Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesfinanzgericht die Beschwerde als unbegründet ab. Es sprach aus, dass eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

6        Nach Wiedergabe des Verfahrensgangs führte das Bundesfinanzgericht im Wesentlichen aus, der Revisionswerber sei seit 1978 bei der X AG tätig gewesen, zuletzt als Finanzvorstand; im Oktober 2007 sei er einvernehmlich ausgeschieden. Seit 2008 werde ein Ermittlungsverfahren, vorerst gegen unbekannte Täter, nach Vorliegen der ersten Erkenntnisse gegen den Revisionswerber und andere Personen geführt. Es bestehe der Verdacht, dass der Revisionswerber durch Vorlegen, Akzeptieren und Genehmigen von Scheinberaterverträgen und Scheinrechnungen für beabsichtigte Schmiergeldzahlungen im Ausland dem X-Konzern Gelder widerrechtlich entzogen habe. Von der Finanzstrafbehörde werde auch ein Finanzstrafverfahren gegen die X AG geführt. Im März 2013 habe die X AG als ehemaliger Arbeitgeber des Revisionswerbers einen Privatbeteiligtenanschluss bei der Staatsanwaltschaft erklärt.

7        Mit Privatbeteiligtenanschluss fordere die X AG vom Revisionswerber Gelder einer panamaischen Gesellschaft, die sich bei einer Schweizer Bank befinden, zurück. Die Abgabenbehörde sehe es aufgrund des Privatbeteiligtenanschlusses und der vorgelegten Stellungnahme des Revisionswerbers zu Prüfungsbeginn als erwiesen an, dass der Revisionswerber Gelder der X AG erhalten habe, die bislang nicht versteuert worden seien. Diese Gelder stellten Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit dar.

8        Diesem festgestellten Sachverhalt sei der Revisionswerber im Wesentlichen damit entgegen getreten, dass die Begründung des Sicherstellungsauftrages mit den aus dem Privatbeteiligtenanschluss der X AG im Strafverfahren gegen den Revisionswerber gewonnenen Informationen unzulässig sei und eine Umgehung des „Fiskalverbots“ aus dem Rechtshilfeverfahren bewirke. Dieser Fiskalvorbehalt ergebe sich ausdrücklich aus den Rechtshilfeersuchen sowie aus den Antworten der Schweizerischen Eidgenossenschaft und des Fürstentums Liechtenstein.

9        Zu dem damit geltend gemachten Beweisverwertungsverbot sei zu bemerken, dass die Feststellungen der Abgabenbehörde aufgrund des Privatbeteiligtenanschlusses der X AG erfolgt seien und der Revisionswerber eine Selbstanzeige im Sinne des § 29 FinStrG erstattet habe, in welcher die Vermögenszuflüsse beschrieben worden seien.

10       Die finanzbehördliche Sachaufklärung sei dann nicht rechtswidrig, wenn von Privatpersonen überlassene Erkenntnismittel verwertet würden, die diese sich rechtswidrig verschafft hätten. Das materiell rechtswidrige Verhalten einer Person schlage nicht auf das finanzbehördliche Handeln durch; insoweit bestünden im Allgemeinen keine Ermittlungs- und Verwertungsverbote. Durch Privatpersonen erlangtes und der Finanzbehörde zur Verfügung gestelltes Beweismaterial sei verwertbar. Im Falle der freiwilligen Preisgabe eines unter Beweisverbot fallenden Sachverhaltes im Wege der Selbstanzeige gemäß § 29 FinStrG durch den Betroffenen greife die Einrede des Verwertungsverbotes nicht. Schon aus diesen Gründen bestünden Zweifel am Vorliegen einer unzulässigen Beweisverwertung. Im Übrigen sei die Verwertbarkeit eines Beweismittels auch dadurch nicht ausgeschlossen, dass es durch eine Rechtsverletzung in den Besitz der Abgabenbehörde gelangt sei (Hinweis auf VwGH 20.2.2008, 2005/15/0161, VwSlg. 8309/F).

11       Ein allfälliges Beweisverwertungsverbot aus zwischenstaatlichen Vereinbarungen für fiskalische Strafsachen allein könnte im Verfahren zur Abgabenfestsetzung keine Wirksamkeit entfalten. Aus der Unterschiedlichkeit des Verfahrenszieles des finanzbehördlichen Sicherungsverfahrens, welches ein abschließendes Ermittlungsverfahren und die Erhebung der Beweise nicht vorsehe, sondern lediglich den Bestand gewichtiger Anhaltspunkte, zu jenen des Finanzstrafverfahrens bzw. des Abgabenfestsetzungsverfahrens ergebe sich, dass ein allenfalls bestehendes Beweisverwertungsverbot für das Finanzstrafverfahren oder selbst für das Abgabenfestsetzungsverfahren für das finanzbehördliche Sicherungsverfahren eine Wirksamkeit nicht entfalten könnte.

12       Der Revisionswerber verweise darauf, dass sich das Verwertungsverbot auf alle Abgaben- und Finanzverfahren gegen den Revisionswerber erstrecke, eine Geltung für das finanzbehördliche Sicherungsverfahren sei nicht ausdrücklich behauptet worden. Das vorliegende Verfahren betreffe die Erlassung eines Sicherstellungsauftrages und damit ein finanzbehördliches Sicherungsverfahren, nicht ein Verfahren zur Abgabenfestsetzung.

13       Die allenfalls im Festsetzungsverfahren unter ein bestehendes Beweisverwertungsverbot fallenden Ergebnisse von Rechtshilfeerhebungen dienten im vorliegenden Verfahren lediglich als Anhaltspunkt für das Vorliegen der Voraussetzungen eines Sicherstellungsauftrages. Eine Verwendung als Beweismittel, also eine Verwendung als Beweis zur Herbeiführung eines Urteiles über die Gewissheit des Vorliegens einer entscheidungsrelevanten Tatsache liege nicht vor, sondern „allenfalls“ eine Verwendung als Anhaltspunkt; von einer Beweisverwertung könne „wohl“ keine Rede sein.

14       Für die Frage, ob ein Sicherstellungsauftrag ergehen dürfe, komme der Rechtsgrundlage abgabenbehördlicher Erhebungen und einer möglichen Verletzung von Verfahrensvorschriften bei der abgabenbehördlichen Prüfung auch keine Relevanz zu, zumal damit nicht aufgezeigt werde, dass die allenfalls unter Verletzung von Verfahrensvorschriften gewonnenen Prüfungsfeststellungen unzutreffend seien. Der Abgabenbehörde seien aufgrund der Ergebnisse der abgabenbehördlichen Prüfung jedenfalls gewichtige Anhaltspunkte für die Entstehung der Abgabenschuld vorgelegen.

15       Mangels Vorliegens einer Beweisverwertung erübrige sich auch eine weitere Erörterung des diesbezüglich umfangreichen Vorbringens.

16       Der Versuch des Revisionswerbers, die Herkunft der Vermögenswerte mit Ersparnissen, einem Wohnungsverkauf, einer Erbschaft und Zinseinkünften zu erklären, sei nicht zielführend, da in einem Sicherstellungsverfahren nicht zu entscheiden sei, ob der Abgabenanspruch tatsächlich entstanden sei.

17       Der Revisionswerber habe Vermögenswerte in Höhe von ca. 3 Mio. € in Form einer panamaischen Stiftung veranlagt, um sich und seine Erben vor künftigen Einkommen- und Kapitalertragsteuern zu schützen. Eine Vermögensverschiebung in das Ausland sei geeignet, die Annahme einer Gefährdung oder wesentlichen Erschwerung der Einbringung von Abgaben zu rechtfertigen.

18       Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die Revision.

19       Zur Zulässigkeit wird in der Revision geltend gemacht, das Bundesfinanzgericht beantworte (zumindest) folgende Rechtsfragen falsch: Ob die Abgabenbehörden verpflichtet sind, im Sicherungsverfahren, insbesondere auch bei der Ermittlung des verwirklichten abgabepflichtigen Tatbestandes, eine Beweiswürdigung vorzunehmen; welche Wirkungen ein Verwertungsverbot aus einem internationalen strafrechtlichen Rechtshilfeverfahren im Abgabeverfahren, insbesondere im Sicherungsverfahren entfalte; ob dieses Verwertungsverbot umgangen werden dürfe, um im finanzbehördlichen Sicherungsverfahren festzustellen, dass ein abgabepflichtiger Tatbestand vorliege; ob es notwendig sei, für die Feststellungen, dass die Tatbestände einer verwirklichten Abgabepflicht und der wesentlichen Gefährdung oder Erschwerung verwirklicht worden seien, Beweise aufzunehmen und zu verwerten; ob diese Aufnahme und Verwertung von Beweisen durch „Anhaltspunkte“ der Abgabenbehörde ersetzt werden könne; ob es zulässig sei, Beweismittel, welche einem Verwertungsverbot aus einem internationalen strafrechtlichen Rechtshilfeverfahren unterlägen, zur Begründung solcher „Anhaltspunkte“ zu verwenden.

20       Nach Einleitung des Vorverfahrens hat das Finanzamt eine Revisionsbeantwortung eingebracht.

21       Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

22       Die Revision ist aus in ihr aufgezeigten Gründen zulässig und begründet.

23       Gemäß § 232 Abs. 1 BAO kann die Abgabenbehörde, sobald der Tatbestand verwirklicht ist, an den die Abgabenvorschriften die Abgabepflicht knüpfen, selbst bevor die Abgabenschuld dem Ausmaß nach feststeht, bis zum Eintritt der Vollstreckbarkeit an den Abgabepflichtigen einen Sicherstellungsauftrag erlassen, um einer Gefährdung oder wesentlichen Erschwerung der Einbringung der Abgabe zu begegnen. Der Sicherstellungsauftrag hat nach § 232 Abs. 2 BAO u.a. die voraussichtliche Höhe der Abgabenschuld und die Gründe, aus denen sich die Gefährdung oder Erschwerung der Einbringung der Abgabe ergibt, zu enthalten.

24       Die Erlassung eines Sicherstellungsauftrages setzt somit zunächst die Verwirklichung jenes Tatbestandes voraus, an den die Abgabepflicht geknüpft ist. Die Verwirklichung dieses Tatbestandes muss im Hinblick auf die auch für Sicherstellungsaufträge geltende Begründungspflicht im Sinne des § 93 Abs. 3 lit. a BAO in der Begründung des Sicherstellungsauftrages oder in der diesen bestätigenden Entscheidung dargetan werden. Die Begründung muss in diesem Zusammenhang jedenfalls erkennen lassen, welcher konkrete Sachverhalt der Entscheidung zu Grunde gelegt wurde und welche Erwägungen im Rahmen der Beweiswürdigung dafür maßgebend waren. Ein Sicherstellungsauftrag ist aber kein abschließender Sachbescheid im Sinne des § 183 Abs. 4 BAO, sondern eine dem Bereich der Abgabeneinbringung zuzuordnende Sofortmaßnahme, die dazu dient, selbst vor Feststellung des Ausmaßes der Abgabenschuld Einbringungsmaßnahmen setzen zu können, wenn Grund zur Annahme besteht, dass die spätere Einbringung der Abgabe gefährdet oder wesentlich erschwert wäre. Es liegt in der Natur einer solchen Maßnahme, dass sie nicht erst nach Erhebung sämtlicher Beweise, sohin nach Abschluss des Ermittlungsverfahrens, gesetzt werden kann, sondern es genügt, dass die Abgabenschuld dem Grunde nach mit der Verwirklichung des abgabenrechtlich relevanten Tatbestandes entstanden ist und gewichtige Anhaltspunkte für ihre Höhe sowie für die Gefährdung oder wesentliche Erschwerung ihrer Einbringung gegeben sind. Ob der Abgabenanspruch tatsächlich entstanden ist, ist in einem Sicherstellungsverfahren nicht zu entscheiden (vgl. VwGH 26.7.2007, 2007/15/0131, VwSlg. 8260/F; 4.6.2008, 2005/13/0041, je mwN).

25       Das Finanzamt und das Bundesfinanzgericht stützten ihre Sachverhaltsannahmen - soweit im Revisionsverfahren strittig - u.a. auf die Erklärung des Privatbeteiligtenanschlusses durch die X AG sowie auf die Stellungnahme des Revisionswerbers eingangs der Außenprüfung. Das Finanzamt verwies im Rahmen der Beschwerdevorentscheidung auch auf die Ergebnisse der abgabenbehördlichen Prüfung; dort erfolgte (samt ausführlichem Vorhalt in der Vorladung zur Schlussbesprechung) eine eingehende Würdigung der vom Revisionswerber vorgelegten Beweismittel zu der von ihm behaupteten Herkunft der auf den Konten der Schweizerischen Bank befindlichen Mittel, wobei u.a. auch auf die erhöhte Mitwirkungspflicht zu Auslandssachverhalten verwiesen wurde.

26       Das Finanzamt setzte sich mit diesem Vorbringen auseinander und hielt es für nicht glaubwürdig. Das Bundesfinanzgericht führte hingegen dazu aus, dieser Versuch des Revisionswerbers, die Herkunft der Vermögenswerte zu erklären, sei nicht zielführend, da in einem Sicherstellungsverfahren nicht zu entscheiden sei, ob der Abgabenanspruch tatsächlich entstanden sei. Überdies dienten die allenfalls im Festsetzungsverfahren unter ein bestehendes Beweisverwertungsverbot fallenden Ergebnisse von Rechtshilfeerhebungen im vorliegenden Verfahren lediglich als Anhaltspunkt für das Vorliegen der Voraussetzungen eines Sicherstellungsauftrages. Eine Verwendung als Beweismittel liege daher im vorliegenden Fall nicht vor, sodass von einer Beweisverwertung „wohl“ keine Rede sein könne.

27       Der Verwaltungsgerichtshof teilt diese Rechtsansicht des Bundesfinanzgerichtes nicht.

28       Auch wenn ein Sicherstellungsauftrag kein abschließender Sachbescheid iSd § 183 Abs. 4 BAO ist, so muss er dennoch in Ansehung der Verwirklichung des Tatbestandes, an den die Abgabepflicht geknüpft wird, eine schlüssige Begründung enthalten, warum die Abgabenbehörde (bzw. nunmehr auch das Verwaltungsgericht) den Tatbestand als verwirklicht ansieht (vgl. z.B. VwGH 22.3.1991, 90/13/0074; 4.6.2009, 2006/13/0143, 0144, VwSlg. 8451/F). Insbesondere muss die Begründung erkennen lassen, welcher konkrete Sachverhalt der Entscheidung zugrunde gelegt wurde und welche Erwägungen im Rahmen der Beweiswürdigung dafür maßgebend waren (vgl. z.B. VwGH 30.10.2001, 96/14/0170; 4.6.2008, 2005/13/0041; 28.2.2014, 2013/16/0053). Auf im Zeitpunkt der Entscheidung - auch des Verwaltungsgerichtes - vorliegende Tatsachen und Beweise ist Bedacht zu nehmen (vgl. VwGH 19.12.2013, 2012/15/0036, VwSlg. 8878/F).

29       Gemäß § 166 BAO kommt als Beweismittel im Abgabenverfahren alles in Betracht, was zur Feststellung des maßgebenden Sachverhaltes geeignet und nach Lage des einzelnen Falles zweckdienlich ist.

30       Dem Verfahren zur Abgabenerhebung nach den Bestimmungen der BAO ist ein Beweisverwertungsverbot grundsätzlich fremd (vgl. VwGH 1.9.2015, Ro 2014/15/0023). Ein Beweisverwertungsverbot kann sich aber insbesondere aus zwischenstaatlichen Vereinbarungen gesetzesergänzenden Inhaltes ergeben (vgl. VwGH 22.1.1992, 90/13/0237; 13.9.2006, 2002/13/0190 bis 0192 und 0233, VwSlg. 8156/F). Eine „Fernwirkung“ von Beweisverboten ist hingegen der österreichischen Rechtsordnung (sogar dem gerichtlichen Strafverfahrensrecht) fremd (vgl. OGH 13.5.2015, 11 Os 48/15s; vgl. auch - zur deutschen Rechtslage - deutsches Bundesverfassungsgericht 9.11.2010, 2 BvR 2101/09, und hiezu EGMR 6.10.2016, K.S. und M.S./Deutschland, 33696/11).

31       Aus dem Privatbeteiligtenanschluss der X AG ergibt sich, dass der Verdacht bestehe, Zahlungen (der X AG) seien an ehemalige Mitarbeiter der X AG, insbesondere den Revisionswerber geflossen. Wirtschaftlich Berechtigter von Geldern auf einem Konto, lautend auf eine panamaische Gesellschaft, bei einer Bank in der Schweiz sei der Revisionswerber. Der Revisionswerber erstattete hiezu zu Beginn der Außenprüfung eine umfangreiche Stellungnahme.

32       Die Privatbeteiligtenanschlusserklärung des ehemaligen Dienstgebers unterliegt keinem Beweisverwertungsverbot. Zunächst ist darauf zu verweisen, dass zwar auch die Verwendung der durch Rechtshilfe in Strafsachen von der Schweiz erlangten Auskünfte und Schriftstücke in einem Zivilprozess grundsätzlich der Zustimmung des zuständigen schweizerischen Bundesamtes bedarf. Dies gilt jedoch nicht, soweit ein Zivilverfahren die Rückführung der deliktisch erlangten Vermögenswerte an den Berechtigten zum Gegenstand hat und insofern das Strafverfahren ergänzt, wobei es unerheblich ist, ob dies im Rahmen des Strafverfahrens oder in einem getrennten Verfahren geschieht und ob dieses Verfahren vor einem Straf-, einem Zivil- oder einem Verwaltungsgericht erfolgt (vgl. Urteil Schweizerisches Bundesgericht 20.5.1999, BGE 125 II 258). Die X AG war somit - auch entgegen den allgemeinen Ausführungen des Bundesfinanzgerichts betreffend ein „materiell rechtswidriges Verhalten einer Privatperson“ - berechtigt, ihre Ansprüche zur Rückerlangung auch auf die aus dem Rechtshilfeverfahren mit der Schweiz gewonnenen Beweismittel zu stützen.

33       Diese Mitteilung war an die Staatsanwaltschaft gerichtet und wurde auch dem Finanzamt übermittelt. Aus dieser Mitteilung ergab sich (lediglich aber immerhin) der Verdacht eines Zuflusses von Mitteln des Dienstgebers an den Revisionswerber.

34       Was Grundlage dieser Mitteilung des ehemaligen Dienstgebers war, ist insoweit zunächst nicht von Bedeutung. Das Finanzamt war berechtigt und verpflichtet (§ 115 Abs. 1 BAO), die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse zu ermitteln, die dem Inhalt dieser Mitteilung des ehemaligen Dienstgebers zu Grunde lagen. Im Rahmen des Abgabenverfahrens durften allerdings im Hinblick auf den formulierten Vorbehalt die aus dem Rechtshilfeverfahren (im Rahmen des Strafverfahrens) mit der Schweiz gewonnenen Beweismittel - jedenfalls ohne Einholung einer allfällig ergänzenden Zustimmung der Schweizerischen Behörden - nicht verwendet werden. Da auch im Rahmen eines Sicherstellungsverfahrens ein konkreter Sachverhalt festzustellen ist und hiezu Beweise zu würdigen und damit zu verwerten sind, gilt das Beweisverwertungsverbot auch im Rahmen dieses Verfahrens. Das Finanzamt war aber berechtigt und verpflichtet, den Revisionswerber zu diesem möglichen Zufluss zu hören.

35       Wenn der Revisionswerber hiezu eingangs seiner Stellungnahme anführte, bei der sodann im Schriftsatz folgenden Offenlegung handle es sich um eine Fortwirkung eines Verwertungsverbotes, die offen gelegten Sachverhalte dürften daher nicht für Abgabenzwecke verwendet werden, falls die Informationsquellen des Finanzamts ebenfalls einem Verwertungsverbot unterlägen, so unterlag aber - wie soeben ausgeführt - die Informationsquelle des Finanzamts (die Privatbeteiligtenanschlusserklärung) keinem Verwertungsverbot. Vor allem aber ist darauf zu verweisen, dass denjenigen, der aufklärungsbedürftige Geschäfte tätigt, die ihre Wurzeln in einem Land haben, in dem die österreichischen Abgabenbehörden keine Sachverhaltsermittlungen durchführen können, eine erhöhte Mitwirkungspflicht trifft. Es liegt an diesem Abgabepflichtigen, die Geschäftsbeziehungen vollkommen offen zu legen (vgl. VwGH 28.10.2010, 2006/15/0326; 4.9.2019, Ro 2019/13/0024). Auch dann, wenn - wie hier - Auskünfte etwa aus einem Rechtshilfeverfahren in Strafsachen aus einem derartigen Land einem Beweisverwertungsverbot unterliegen, obliegt es mangels Möglichkeit der Abgabenbehörden zur eigenständigen Sachverhaltsermittlung dem Abgabepflichtigen, den Sachverhalt offen zu legen.

36       Es war daher Aufgabe des Revisionswerbers, den in der Privatbeteiligtenanschlusserklärung behaupteten Zufluss an ihn aufzuklären oder allenfalls die Behauptungen der X AG zu erschüttern. Der Revisionswerber erstattete hiezu auch Vorbringen und legte Urkunden vor.

37       Gerade deswegen, weil dieses Vorbringen und die vorgelegten Beweismittel - entgegen dem Vorbringen des Revisionswerbers - keinem Verwertungsverbot unterliegen (vgl. hiezu auch Kotschnigg/Pohnert, Beweisrecht der BAO, § 166 Tz 52), hätte sich das Bundesfinanzgericht - auch im Rahmen des Verfahrens über einen Sicherstellungsauftrag - (ebenso wie das Finanzamt, das im Rahmen der abgabenbehördlichen Prüfung diese Beweismittel würdigte) damit auseinandersetzen müssen. Die Verweigerung der Behandlung dieses Vorbringens durch das Bundesfinanzgericht bewirkt die Rechtswidrigkeit des angefochtenen Erkenntnisses. Wenn das Bundesfinanzgericht überdies die Ergebnisse der Rechtshilfeersuchen im Strafverfahren als „Anhaltspunkt“ herangezogen hat, so verstieß es auch gegen das diesbezügliche Beweisverwertungsverbot. Ob das Ergebnis der Rechtshilfeersuchen außer Betracht gelassen werden könnte, ohne dass das Bundesfinanzgericht zu einer anderen Sachverhaltsfeststellung gelangt wäre, ist dem angefochtenen Erkenntnis nicht zu entnehmen.

38       Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

39       Von der vom Revisionswerber beantragten mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 6 VwGG abgesehen werden.

40       Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 8. Oktober 2020

Schlagworte

Verwaltungsrecht Internationales Rechtsbeziehungen zum Ausland VwRallg12

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020130044.L00

Im RIS seit

04.01.2021

Zuletzt aktualisiert am

04.01.2021
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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