TE Bvwg Erkenntnis 2020/6/9 W182 1414994-6

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 09.06.2020
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Entscheidungsdatum

09.06.2020

Norm

AsylG 2005 §15b Abs1
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §54 Abs1 Z2
AsylG 2005 §55 Abs2
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §58 Abs2
AsylG 2005 §8 Abs1
AVG §68 Abs1
BFA-VG §9 Abs2
BFA-VG §9 Abs3
B-VG Art133 Abs4

Spruch

W182 1414994-6/13E

W182 1417718-6/13E

W182 1417722-6/13E

W182 1417720-6/10E

W182 1417719-6/12E

W182 1424049-5/12E

W182 2128405-3/11E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. PFEILER als Einzelrichter über die Beschwerden von 1.) XXXX (alias XXXX ), geb. XXXX , 2.) XXXX (alias XXXX ), geb. XXXX , 3.) XXXX (alias XXXX ), geb. XXXX , 4.) XXXX (alias XXXX ), geb. XXXX , 5.) XXXX (alias XXXX ), geb. XXXX , 6.) XXXX geb. XXXX , und 7.) XXXX , geb. XXXX , alle StA. Georgien, vertreten durch Verein Menschenrechte Österreich gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl jeweils vom 09.01.2020, Zlen. ad 1.) 510253500 – 191225282/BMI-EAST_WEST, ad 2.) 535813703 - 191225339/BMI-EAST_WEST, ad 3.) 821093510 – 191225347/BMI-EAST_WEST, ad 4.) 821093608 - 191225380/BMI-EAST_WEST, ad 5.) 810625804 – 191225401/BMI-EAST_WEST, ad 6.) 821093804 – 191225410/BMI-EAST_WEST und ad 7.) 1107751602 – 191225428/BMI-EAST_WEST, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung gemäß § 28 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG), BGBI. I. Nr 33/2013 idgF, zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerden gegen die Spruchpunkte I. – III. und VIII. der angefochtenen Bescheide werden gemäß § 68 Abs. 1 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 (AVG), BGBl. Nr. 51/1991 idgF, und §§ 15 Abs. 1, 57 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), BGBl. I. Nr. 100/2005 idgF, als unbegründet abgewiesen.

Im Übrigen werden die Spruchpunkte IV. bis VII. behoben, eine Rückkehrentscheidung in Bezug auf den Herkunftsstaat Georgien gemäß § 9 Abs. 2 und Abs. 3 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG), BGBl I Nr. 87/2012 idgF, auf Dauer für unzulässig erklärt und XXXX sowie XXXX gemäß § 54 Abs. 1 Z 2, § 58 Abs. 2 iVm § 55 Abs. 2 AsylG 2005, der Aufenthaltstitel "Aufenthaltsberechtigung“ für die Dauer von 12 Monaten, XXXX , XXXX , XXXX , XXXX und XXXX , gemäß § 54 Abs. 1 Z 1, § 58 Abs. 2 iVm § 55 Abs. 1 AsylG 2005, der Aufenthaltstitel "Aufenthaltsberechtigung plus für die Dauer von 12 Monaten erteilt.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG), BGBl. I Nr. 1/1930 idgF, nicht zulässig.


Text


ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1.1. Die beschwerdeführenden Parteien (im Folgenden: BF) – ein Paar (BF1 und BF2) und ihre fünf minderjährigen Kinder im Alter von XXXX (BF3), XXXX (BF4), XXXX (BF5), XXXX (BF6) und XXXX (BF7) Jahren – sind Staatsangehörige von Georgien, gehören der tschetschenischen Volksgruppe an und sind Muslime.

Der BF1 reiste am 27.12.2009 illegal in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am selben Tag einen ersten Antrag auf internationalen Schutz. Die übrigen BF2 – BF5 reisten am 08.11.2010 illegal nach Österreich ein und stellten am selben Tag Anträge auf internationalen Schutz. Dazu gaben der BF1 und die BF2 für sich und die übrigen BF3 – BF5 die an zweiter Stelle im Spruch genannten Alias-Identitäten sowie an, russische Staatsangehörige zu sein. Der BF1 begründete seinen Antrag im Wesentlichen damit, dass er aus der Republik Tschetschenien stamme, am Anfang des zweiten Tschetschenienkrieges die Rebellen unterstütz habe, dann eineinhalb Monate nach Kriegsbeginn nach Inguschetien geflüchtet sei, wo er 2008 von Gefolgsleuten von Kadyrov misshandelt worden sei, vermutlich weil er im Krieg die Rebellen unterstützt habe. Die BF2 gab an, aus Inguschetien zu stammen, mit dem BF1 traditionell verheiratet zu sein und ihre Heimat wegen der Probleme ihres Mannes verlassen zu haben. Die gemeinsamen Kinder hätten keine eigenen Fluchtgründe. Die BF konnten keine Personaldokumente vorlegen.

Die Anträge wurden mit Bescheiden des Bundesasylamtes vom 06.08.2010 (BF1) sowie Bescheiden des Bundesasylamtes vom 04.01.2011 sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status von Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) als auch bezüglich des Status von subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Russische Föderation gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 leg. cit. abgewiesen (Spruchpunkt II.) und die BF1 – BF5 gemäß § 10 Abs. 1 Z 2 leg. cit. aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Russische Föderation ausgewiesen (Spruchpunkt III.). Das Bundesasylamt beurteilte – aus näher dargestellten Gründen – das Vorbringen des BF1 und der BF2 als nicht glaubhaft.

Die gegen die Bescheide des Bundesasylamtes erhobenen Beschwerden wurden mit Erkenntnissen des Asylgerichtshofes vom 02.05.2011, Zlen. D14 414994-1/2010/3E (BF1), D14 417718-1/2011/2E (BF2), D14 417722-1/2011/2E (BF3), D14 417720-1/2011/2E (BF4), und D14 417719-1/2011/2E (BF5) in allen Spruchpunkten abgewiesen. Begründend wurde im Wesentlichen von der Unglaubwürdigkeit des Vorbringens des BF1 und der BF2 ausgegangen. Diese Erkenntnisse wurden am 06.05.2011 rechtswirksam zugestellt. Die Behandlung der dagegen erhobenen Beschwerden wurde mit Beschluss des Verfassungsgerichtshofes vom 29.06.2011, Zl. U 1328, 1329/11, abgelehnt.

1.2. Am 24.06.2011 stellten die BF1 – BF5 Folgeanträge auf internationalen Schutz. Diese wurden im Wesentlichen mit dem bisherigen Vorbringen begründet und dazu ausgeführt, dass der BF1 nach wie vor im Herkunftsland von den Behörden Kadyrows gesucht bzw. verfolgt werde. Dazu wurde eine angebliche behördliche Ladung, wonach der BF1 im Herkunftsland am 26.06.2011 bei einer näher bezeichneten Kriminalabteilung zur Befragung erscheinen hätte sollen, vorgelegt. Weiters wurden hinsichtlich des BF1 und der BF2 gesundheitliche Probleme geltend gemacht.

Die Anträge wurden mit Bescheiden des Bundesasylamtes vom 28.07.2011 gemäß § 68 Abs. 1 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 (AVG), BGBl. Nr. 51/1991, wegen entschiedener Sache zurückgewiesen und die BF gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Russische Föderation ausgewiesen. Die dagegen erhobenen Beschwerden wurden mit Erkenntnissen des Asylgerichtshofes vom 01.02.2012 (zugestellt am 06.02.2012) in allen Spruchpunkten als unbegründet abgewiesen.

In der Zwischenzeit wurde im XXXX 2011 der BF6 im Bundesgebiet geboren und für ihn am XXXX 2011 ein Antrag auf internationalen Schutz gestellt. Für den BF6 wurden keine eigenen Fluchtgründe, sondern lediglich die Aufrechterhaltung des Familienverbandes zur Kernfamilie geltend gemacht. In weiterer Folge wurde sein Antrag mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 03.01.2012 gemäß §§ 3 Abs. 1 und 8 Abs. 1 AsylG 2005 abgewiesen und der BF6 gemäß § 10 Abs. 1 Z 2 leg. cit. aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Russische Föderation ausgewiesen. Eine dagegen erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Asylgerichthofes vom 01.02.2012, Zl. D15 424049-1/2012/2E, abgewiesen. Dieses Erkenntnis wurde am 06.02.2012 rechtswirksam zugestellt.

1.3. Am 20.08.2012 stellten die BF1 – BF6 neuerlich Folgeanträge auf internationalen Schutz. Diese wurden im Wesentlichen damit begründet, dass dem BF1 über einen Nachbarn in Tschetschenien vor ca. drei Wochen eine behördliche Ladung zu einem Verhör am 04.06.2012 übermittelt worden sei. Weiters gab der BF1 unter Vorlage von entsprechenden Befunden an, an einer Persönlichkeitsstörung und einer posttraumatischen Belastungsstörung zu leiden.

Mit Bescheiden des Bundesasylamtes vom 08.04.2013 wurden die Anträge erneut gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen und die BF1 - BF6 gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Russische Föderation ausgewiesen. Dagegen erhobene Beschwerden wurden mit Erkenntnissen des Asylgerichtshofes vom 07.05.2013 (zugestellt am 15.05.2013) in allen Spruchpunkten als unbegründet abgewiesen.

Zu einem nicht erwiesenen Zeitpunkt verließen die BF1 - BF6, die bis Oktober 2013 im Bundesgebiet gemeldet waren, Österreich, wobei sie am 10.09.2013 in Deutschland sowie am 25.11.2013 in Frankreich Asylanträge stellten und am 04.09.2014 von Deutschland nach Österreich rücküberstellt wurden.

1.4. Am 04.09.2014 stellten die BF1 – BF6 neuerlich Anträge auf internationalen Schutz. Diese wurden im Wesentlichen mit dem bisherigen Vorbringen begründet, wonach der BF1 nach wie vor in der Russischen Föderation wegen der Unterstützung des tschetschenischen Widerstandes im zweiten Tschetschenienkrieg verfolgt werde. Die BF2 legte Befunde einer Nervenklinik vor, wonach sie vom XXXX 2014 bis XXXX 2014 wegen PTBS, rez. depressiver Störung, ggw. schwerer depressiver Episode mit Suizidankündigung in stationärer Behandlung gewesen sei. Weiters habe sie Nieren- und Herzprobleme.

Die Anträge wurden mit Bescheiden des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (Im Folgenden: Bundesamt) vom 02.12.2014 gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen. Rückkehrentscheidungen wurden gegen die BF nicht erlassen, sondern darauf hingewiesen, dass nach wie vor aufrechte Rückkehrentscheidung bestehen würden, weshalb sie zur unverzüglichen freiwilligen Ausreise verpflichtet seien.

Die dagegen erhobenen Beschwerden wurden mit Erkenntnissen des Bundesverwaltungsgerichtes vom 15.01.2015 (zugestellt am 19.01.2015) gemäß § 68 Abs. 1 AVG als unbegründet abgewiesen.

1.5. In weiterer Folge wurde die BF7 im Bundesgebiet geboren und für sie am XXXX 2016 ein Antrag auf internationalen Schutz gestellt.

Mit Bescheid des Bundesamtes vom 17.05.2016 wurde der Antrag bezüglich der Zuerkennung des Status von Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 sowie bezüglich der Zuerkennung des Status von subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Russische Föderation gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 abgewiesen, kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §§ 57 und 55 AsylG 2005 erteilt und gegen die BF7 eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 Fremdenpolizeigesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (FPG) erlassen, wobei gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt wurde, dass die Abschiebung gemäß § 46 FPG in die Russische Föderation zulässig sei.

Begründend wurde im Wesentlichen angeführt, dass für die minderjährige BF7 keine individuellen Fluchtgründe vorgebracht worden seien und den Familienmitgliedern (Eltern und Geschwistern) weder Asyl noch subsidiärer Schutz eingeräumt worden sei.

Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 27.06.2016 (zugestellt am 29.06.2016), Zl. W226 2128405-1/2E, wurde eine dagegen erhobene Beschwerde in allen Spruchpunkten als unbegründet abgewiesen.

Die Behandlung einer dagegen erhobenen Beschwerde wurde mit Beschluss des Verfassungsgerichtshofes vom 23.02.2017, Zl. E 2940/2016-5, abgelehnt.

1.6. In der Zwischenzeit stellten die BF am 06.02.2017 Anträge auf Erteilung eines Aufenthaltstitels „in besonderen berücksichtigungswürdigen Fällen“ gemäß § 56 AsylG 2005.

Diese wurden mit Bescheiden des Bundesamtes vom 23.11.2017 gemäß § 58 Abs. 11 Z 2 AsylG 2005 und § 8 AsylG-DV idgF, zurückgewiesen (Spruchpunkt I.). Gemäß § 10 Abs. 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG), BGBl. I Nr. 87/2012, wurden Rückkehrentscheidungen gemäß § 52 Abs. 2 Z 3 FPG erlassen (Spruchpunkt II.), wobei gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt wurde, dass die Abschiebung der BF gemäß § 46 FPG in die Russische Föderation zulässig sei (Spruchpunkt III.). Weiters wurde unter Spruchpunkt IV. ausgeführt, dass die Frist für die freiwillige Ausreise gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage. Begründet wurden diese Entscheidungen damit, dass die BF trotz Aufforderung die für das Verfahren erforderlichen Dokumente (Reisepässe und Geburtsurkunden) nicht vorgelegt und trotz Belehrung keine Anträge nach § 4 Abs. 1 Z 3 AsylG-DV gestellt haben.

Dagegen wurden seitens der BF mit 20.12.2017 Beschwerden erhoben.

Die Beschwerden wurden mit am 24.02.2020 mündlich verkündeten Erkenntnissen des Bundeverwaltungsgerichtes hinsichtlich der Spruchpunkte I. der bekämpften Bescheide gemäß § 58 Abs. 11 Z 2 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen, im Übrigen wurden die restlichen Spruchpunkte ersatzlos behoben. Die ersatzlose Behebung wurde mit neuerlichen Anträgen auf internationalen Schutz der BF begründet.

2.1. Die BF, die bis zum September 2018 in Österreich gemeldet waren, hatten bereits während des offenen Beschwerdeverfahrens zu einem nicht erwiesenen Zeitpunkt das Bundesgebiet verlassen und am 31.10.2018 in Deutschland Asylanträge gestellt.

Nach einer „Dublin“-Rücküberstellung von Deutschland nach Österreich am 28.11.2019 stellten die BF am selben Tag im Bundesgebiet Folgeanträge auf internationalen Schutz.

Den BF wurde am 05.11.2019 mit Verfahrensanordnung gemäß § 29 Abs 3 AsylG 2005 mitgeteilt, dass beabsichtigt werde, ihre Anträge auf internationalen Schutz gemäß § 68 Abs.1 AVG zurückzuweisen.

Den Antrag begründeten die BF1 und der BF2, die nach wie vor für sich und die übrigen BF die unter zweiter Stelle im Spruch genannten Identitäten sowie eine russische Staatsangehörigkeit behaupteten, in einer Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 29.11.2019 sowie bei Einvernahmen beim Bundesamt im Beisein eines Rechtsberaters am 10.12.2019 und 17.12.2019, mit dem bisherigen Vorbringen, wonach der BF1 nach wie vor wegen der Unterstützung tschetschenischer Widerstandskämpfer im zweiten Tschetschenienkrieg in der Russischen Föderation verfolgt werde. Zwei Wochen vor seiner Überstellung aus Deutschland habe dem BF1 ein Freund mitgeteilt, dass er immer noch im Herkunftsland gesucht werde. Der Freund sei in der Russischen Föderation zu Unrecht einen Monat lang in Haft gewesen und sei ihm dort ein Akt vorgelegt worden, in dem auch ein Foto des BF1 gewesen sei. Außerdem würden die Leute von Kadyrov und Russen nach Europa kommen. Im Sommer 2019 sei ein Tschetschene namens XXXX in XXXX vom russischen Geheimdienst ermordet worden. Dies sei auch einem Tschetschenen namens XXXX in XXXX passiert. Die BF2 brachte ergänzend vor, dass sie im Herkunftsland von ihrem ersten Mann, der für tot gehalten worden sei, weshalb sie vom BF1 schwanger geworden sei, verfolgt worden sei. Weiters machte sie psychische Erkrankungen geltend.

Die BF2 legte dazu Befunde einer deutschen Klinik für Psychiatrie vor, wonach sie dort infolge eines Suizidversuches nach Erhalt eines Abschiebungsbescheides vom XXXX 2018 bis zum XXXX 2018 sowie vom XXXX 2019 bis zum XXXX 2019 aufgrund der Diagnose rezidivierende depressive Störungen, gegenwärtige schwere Episoden, posttraumatische Belastungsstörung, arterieller Hypertonus und chronisches Schmerzsyndrom in stationärer Behandlung war. Laut Arztbrief einer österreichischen Klinik wurde die BF2 aufgrund der Vordiagnose u.a. komplexe posttraumatische Belastungsstörung, rezidivierende depressive Störungen, zuletzt schwere depressive Episode ohne psychotische Symptome mit rezidiv. Suizidalität und Selbstverletzungstendenzen vom XXXX 2019 bis XXXX 2019 stationär behandelt, wobei zum Entlassungszeitpunkt bei der BF2 eine teilweise Stabilisierung, leicht verbesserter Zustand und eine Distanzierung von akuter Suizidalität vorgelegen sei.

2.2. Mit den im Spruch genannten Bescheiden des Bundesamtes vom 09.01.2020 wurden die Anträge der BF vom 29.11.2019 hinsichtlich des Status von Asylberechtigten sowie subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen (Spruchpunkte I. und II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde den BF gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG wurden gegen die BF Rückkehrentscheidungen gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.) und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass ihre Abschiebung gemäß § 46 FPG in die Russische Föderation zulässig sei (Spruchpunkt V.). Weiters wurde festgestellt, dass gemäß § 55 Abs. 1a FPG keine Frist für die freiwillige Ausreise bestehe (Spruchpunkt VI.). Gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z 6 FPG wurde gegen die BF ein auf die Dauer von 3 Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt VII.). Gemäß § 15b Absatz 1 AsylG 2005 wurde den BF aufgetragen von 30.11.2019 bis 19.12. 2019 in einem näher bezeichneten Quartier Unterkunft zu nehmen (Spruchpunkt VIII.).

Zur Situation im Herkunftsstaat Russische Föderation/Tschetschenien wurde u.a. folgendes festgestellt:

„[…]

Nach Ansicht der Österreichischen Botschaft kann aus folgenden Gründen davon ausgegangen werden, dass sich die russischen und tschetschenischen Behörden bei der Strafverfolgung mittlerweile auf IS-Kämpfer/Unterstützer bzw. auf Personen konzentrieren, die im Nordkaukasus gegen die Sicherheitskräfte kämpfen:

1. Es konnten keine Hinweise auf Verfolgung von Veteranen der Tschetschenien-Kriege nach 2011 gefunden werden. Es gibt im Internet jedoch zahlreiche Berichte neueren Datums über anti-terroristische Spezialoperationen im Nordkaukasus.

2. Zahlreichen Personen, nach denen seitens russischer Behörden gefahndet wird (z.B. Fahndungen via Interpol), werden Delikte gemäß § 208 Z 2 1. (Teilnahme an einer illegalen bewaffneten Formation) oder gemäß § 208 Z 2 2. (Teilnahme an einer bewaffneten Formation auf dem Gebiet eines anderen Staates, der diese Formation nicht anerkennt, zu Zwecken, die den Interessen der RF widersprechen) des russischen Strafgesetzbuch zur Last gelegt. In der Praxis zielen diese Gesetzesbestimmungen auf Personen ab, die im Nordkaukasus gegen die Sicherheitskräfte kämpfen bzw. auf Personen, die ins Ausland gehen, um aktiv für den sog. Islamischen Staat zu kämpfen (ÖB Moskau (12.7.2017): Information an die Staatendokumentation, Moskau-KA/ENTW/0014/2017, per Email)

[…]

Psychiatrische Behandlungen für diverse psychische Störungen und Krankheiten sind in der gesamten Russischen Föderation verfügbar. Es gibt auch psychiatrische Krisenintervention bei Selbstmordgefährdeten (BMA 12248). Posttraumatische Belastungsstörungen (PTBS) sind in der gesamten Russischen Föderation behandelbar (BMA 12248). Dies gilt natürlich auch für Tschetschenien (BMA 11412). Während es in Moskau unterschiedliche Arten von Therapien gibt (kognitive Verhaltenstherapie, Desensibilisierung und Aufarbeitung durch Augenbewegungen [EMDR] und Narrative Expositionstherapie), um PTBS zu behandeln (BMA 11184), gibt es in Tschetschenien eine begrenzte Anzahl von Psychiatern, die Psychotherapien wie kognitive Verhaltenstherapie und Narrative Expositionstherapie anbieten (BMA 11412). Diverse Antidepressiva sind in der gesamten Russischen Föderation verfügbar (BMA 12132, BMA 11412). Wie in anderen Teilen Russlands werden auch in Tschetschenien psychische Krankheiten hauptsächlich mit Medikamenten behandelt, und es gibt nur selten eine Therapie. Die Möglichkeiten für psychosoziale Therapie oder Psychotherapie sind aufgrund des Mangels an notwendiger Ausrüstung, Ressourcen und qualifiziertem Personal in Tschetschenien stark eingeschränkt. Es gibt keine spezialisierten Institutionen für PTBS, jedoch sind Nachsorgeuntersuchungen und Psychotherapie möglich. Ambulante Konsultationen und Krankenhausaufenthalte sind im Republican Psychiatric Hospital of Grozny für alle in Tschetschenien lebende Personen kostenlos. Auf die informelle Zuzahlung wird hingewiesen. Üblicherweise zahlen Personen für einen Termin wegen psychischer Probleme zwischen 700-2000 Rubel. Bei diesem Krankenhaus ist die Medikation bei stationärer und ambulanter Behandlung kostenfrei (BDA 31.3.2015). Häufig angefragte und verfügbare Inhaltsstoffe von Antidepressiva sind verfügbar (auch in Tschetschenien). Eine Auswahl von verfügbaren Antidepressiva in Tschetschenien und in der Russischen Föderation sind: Sertralin (BMA 12132, BMA 11412), Escitalopran (BMA 12248, BMA 11412), Mirtazapin (BMA 12248, BMA 10392), Amitriptylin (BMA 12248, BMA 10392), Trazodon (BMA 12248, BMA 11543), Citalopram (BMA 11933, BMA 11412), Fluoxetin (BMA 11933, BMA 11412)

Quellen: International SOS via MedCOI (3.4.2019): BMA 12248, International SOS via MedCOI (8.8.2018): BMA 11412, International SOS via MedCOI (25.2.2019): BMA 12132, International SOS via MedCOI (30.11.2017): BMA 10392, International SOS via MedCOI (3.9.2018): BMA 11543, International SOS via MedCOI (21.12.2018): BMA 11933, International SOS via MedCOI (31.5.2018): BMA 11184, BDA – Belgium Desk on Accessibility (31.3.2015): Accessibility of healthcare: Chechnya, Country Fact Sheet via MedCOI

[…]

Inhaltsstoffe:

Mirtel: Mirtazapin

Venlafaxin: Venlafaxin (hydrochlorid)

Quetialan: Quetiapin

In Moskau z.B. sind alle Inhaltsstoffe verfügbar (BMA 7073). In Grosny sind die Inhaltsstoffe von Mirtel (BMA 7306) und Quetialan (BMA 7654) verfügbar. Zu Venlafaxin sind keine Informationen vorhanden, jedoch gibt es alternative Wirkstoffe aus derselben Medikationsgruppe (Psychiatry: antidepressants). Diese sind beispielsweise: Amitriptylin: BMA 7979, BMA 7874, Fluoxetin: BMA 7874, Duloxetin: BMA 7979, Trazodon: BMA 7874, Escitalopram: BMA 7874

Einzelquellen: Die Originale folgender Anfragebeantwortungen von MedCOI werden als Anlage übermittelt: International SOS via MedCOI (23.7.2015): BMA 7073, Zugriff 12.5.2017, International SOS via MedCOI (1.10.2015): BMA 7306, Zugriff 12.5.2017, International SOS via MedCOI (15.1.2016): BMA 7654, Zugriff 12.5.2017, International SOS via MedCOI (1.4.2016): BMA 7979, Zugriff 12.5.2017, International SOS via MedCOI (26.2.2016): BMA 7874, Zugriff 12.5.2017

[…]

Sowohl stationäre, als auch ambulante Behandlung durch einen Psychiater oder Psychologen ist z.B. in Moskau in der Psychiatric Clinical Hospital Nr. 1 verfügbar. Auch Psychotherapie (Psychiatric Clinical Hospital Nr. 1) und EMDR Traumatherapie (im Moscow Centre for EMDR) sind verfügbar. Im Psychiatric Clinical Hospital Nr. 1 gibt es auch Krisenintervention bei Suizidversuchen (vgl. BMA-7754). Erzwungene Einlieferung bei psychologischer Notwendigkeit, unterstütztes Leben zu Hause durch eine psychologische Schwester und psychiatrische Langzeitbehandlung durch einen Psychiater für chronisch psychotische Patienten sind in der Psychiatric Clinical Hospital Nr. 1 verfügbar (vgl. BMA-7751). Der Inhaltsstoff Sertralin ist in Moskau verfügbar (vgl. BMA-7754). Der Inhaltsstoff Quetiapin (Seroquel) ist in Moskau verfügbar (vgl. BMA-7751).

Einzelquellen: Die Originale folgender Anfragebeantwortungen von MedCOI werden als Anlage übermittelt: International SOS via MedCOI (26.2.2016): BMA-7754, Zugriff 4.5.2017, International SOS via MedCOI (26.2.2016): BMA-7751, Zugriff 4.5.2017

[…]“

Zu den Spruchpunkten I. und II. wurde im Wesentlichen begründend ausgeführt, dass die BF im neuerlichen Asylverfahren keine asylrelevanten Gründe vorgebracht haben bzw. sich kein neuer objektiver Sachverhalt ergeben habe. Das Vorbringen des BF1 im Zusammenhang mit der behaupteten vorübergehenden Festnahme eines Freundes im Herkunftsland fehle ein glaubhafter Kern. Dies zum einem, weil der BF1 dies nicht schon in der Erstbefragung vorgebracht habe, die BF2 dies überhaupt nicht erwähnt habe und es zudem nicht nachvollzogen werden könne, dass man nach zehn Jahre immer noch in Tschetschenien nach dem BF1 suchen würde. Das Vorbringen des BF1 im gegenständlichen Asylverfahren stütze sich zudem auf ein bereits (wiederholt) rechtskräftig als unglaubwürdig qualifiziertes Vorbringen bzw. baue auf ein solches auf und könne daher kein neuer Sachverhalt vorliegen, weil jeder Sachverhalt, welcher auf dieses unglaubwürdige bzw. mit diesem im Zusammenhang stehende Vorbringen aufbaue, nach den Denkgesetzen der Logik ebenfalls als unglaubwürdig zu werten sei. Was das Vorbringen des BF1 betreffe, dass Leute von Kadyrov und Russen hierherkommen und Tschetschenen umbringen würden, wobei er offensichtlich auf jüngste Vorfälle in XXXX und XXXX hingewiesen habe, sei dies bereits insofern nicht von Relevanz, da nicht über eine Zurückweisung in die Mitgliedstaaten, sondern über eine Überstellung ins Heimatland abgesprochen werde. Auch die gesundheitliche Situation der BF2 könne keine anderslautende Entscheidung in Bezug auf subsidiären Schutz herbeiführen, da aus den Länderfeststellungen hervorgehe, dass ausreichende medizinische Basisversorgung bestehe. Sowohl in der Russischen Föderation als auch in Tschetschenien seien psychiatrische Behandlungen für diverse psychische Störungen und Krankheiten verfügbar und auch Posttraumatische Belastungsstörungen (PTBS) seien behandelbar. Es gebe zudem psychiatrische Krisenintervention bei Selbstmordgefährdeten. Aus den Länderfeststellungen sowie aus einzelnen Anfragen an die Staatendokumentation betreffend Erhältlichkeit von ´Antidepressiva´ gehe auch klar hervor, dass es zahlreiche Medikamente bzw. auch anderslautende Medikamente mit gleichem oder ähnlichem Wirkstoff gebe. Zudem sei die Erkrankung der BF2 schon während des vierten Asylverfahrens bekannt gewesen und habe das BVwG im Erkenntnis vom 15.01.2015 schon festgestellt, dass trotz der PTBS und einer Selbstmordgefahr der Abschiebung der BF2 nichts im Wege stehe. Soweit die BF2 bei der Erstbefragung behauptet habe, dass Sie im Heimatland einer Bedrohung durch ihren ersten Mann ausgesetzt gewesen wäre, hätte sie dies - unabhängig von der Glaubwürdigkeit dieses Vorbringens - bereits im ersten Asylverfahren vorbringen können. Auch die von Amts wegen berücksichtigte Ländersituation habe keinen entscheidungsrelevanten neuen Sachverhalt hervorgebracht. Den Länderfeststellungen zur Russischen Föderation seien die BF nicht substanziell entgegengetreten. Diese würden aus verschiedenen verlässlichen, aktuellen und unbedenklichen Quellen stammen, deren Inhalt schlüssig und widerspruchsfrei sei.

Die Bescheide wurden den BF am XXXX 2020 zugestellt.

Mit Verfahrensanordnung vom XXXX 2020 wurden den BF gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG eine Organisation als Rechtsberatung für das Beschwerdeverfahren amtswegig zur Seite gestellt.

2.3. Gegen die Bescheide des Bundesamtes wurden binnen offener Frist Beschwerden erhoben und angeregt, den Beschwerden die aufschiebende Wirkung gemäß § 18 Abs. 5 BFA-VG zuzuerkennen. In den Beschwerden wurde das Vorbringen des BF1 wiederholt, dass er in der Heimat (Russische Föderation) nach wie vor von der Regierung gesucht werde, wobei als neue Tatsache die Information seitens seines im Herkunftsland festgenommen Freundes hinzugekommen sei. Der BF2 leide an psychischen Beschwerden und sei zuletzt wegen einer posttraumatischen Belastungsstörung vom XXXX 2019 bis XXXX 2020 in einer Klinik stationär behandelt worden. Dazu wurde aus einem Bericht der Schweizer Flüchtlingshilfe vom 08.09.2015 zum Thema Tschetschenien - Gesundheitswesen und Behandlung psychischer Erkrankungen und Störungen zitiert, wonach in Tschetscheniens Gesundheitswesen ein akuter Mangel an Fachpersonen für Psychotherapie und Psychologie sowie ungenügende sanitäre Bedingungen in gesundheitlichen Einrichtungen bestehen würden und Patienten Psychopharmaka trotz staatlicher Kostenübernahme oft selbst bezahlen müssten. Ohne Weiterführung der Behandlung sei eine Verschlechterung des Gesundheitszustandes der BF2 zu erwarten, welche sie im Herkunftsstaat in eine lebensbedrohliche Lage bringen würde, da eine adäquate Behandlung in Tschetschenien nicht möglich sei. Weiters wurde darauf hingewiesen, dass die BF bereits seit 2009 bzw. 2010 in Österreich aufhältig seien und zwei davon sogar in Österreich geboren worden seien. Vor allem die minderjährigen Kinder hätten einen Großteil ihres Lebens – in einer darüber hinaus prägenden Phase ihrer Entwicklung - in Österreich verbracht. Sie haben in Österreich die Schule besucht und sprechen Deutsch auf Mutterspracheniveau. Der Herkunftsstaat hingegen sei Ihnen so gut wie völlig fremd. Es werde darum ersucht, dies bei der Entscheidung über die Zulässigkeit einer Rückkehrentscheidung zu berücksichtigen. Den Beschwerden war ein Entlassungsbrief einer österreichischen Klinik für Psychiatrie und psychotherapeutische Medizin beigelegt, wonach die BF2 aufgrund der Diagnose rezidivierende depressive Störungen, gegenwärtig mittelgradige Episode, posttraumatische Belastungsstörung, V.a. dissoziative Störung, V.a. Agoraphobie, arterielle Hypertonie und chronisches Schmerzsyndrom vom XXXX 2019 bis XXXX 2020 in stationärer Behandlung gewesen sei, wobei zum Entlassungszeitpunkt keine akuten Eigen- oder Fremdgefährdungsmomente dokumentiert gewesen seien.

2.4. Mit Beschlüssen des Bundesverwaltungsgerichtes vom 28.01.2020 wurde den Beschwerden der BF gemäß § 17 Abs. 1 BFA-VG die aufschiebende Wirkung zuerkannt. Dies wurde ausdrücklich damit begründet, dass sowohl der BF3 als auch der BF4 inzwischen ein anpassungsfähiges Alter überschritten haben und sich offenbar seit über neun Jahre nicht mehr im Herkunftsstaat aufgehalten haben, weshalb hinsichtlich der sie betreffenden Rückkehrentscheidungen ohne Verschaffung eines persönlichen Eindruckes keine Entscheidung getroffen werden könne, zumal in der vorliegenden Konstellation sohin eine Gefährdung im Hinblick auf Art. 8 EMRK a priori nicht ausgeschlossen werden könne.

2.5. Mit Schreiben des Bundesamtes vom 30.01.2020 an das Bundesverwaltungsgericht wurde mitgeteilt, dass die BF als georgische Staatsangehörige unter den an erster Stelle im Spruch angegebenen Namen identifiziert worden seien.

2.6. Anlässlich der öffentlichen mündlichen Verhandlung am 24.02.2020 wurde Beweis aufgenommen durch Einvernahme der BF1 bis BF4 im Beisein ihrer rechtsfreundlichen Vertretung, eines Vertreters des Bundesamtes sowie einer Dolmetscherin der tschetschenischen Sprache, weiters durch Einsichtnahme in die Verwaltungsakten des Bundesamtes sowie in die Akten des Bundesverwaltungsgerichtes.

In der Verhandlung bestätigten sowohl der BF1 als auch die BF2, georgische Staatsangehörige zu sein, wobei die identifizierten Namen zutreffen würden. Beide gehören laut ihren Angaben der XXXX an. Der BF1 und die BF2 seien (zu Zeiten der Sowjetunion) in Georgien geboren. Der BF1 sei nach der Unabhängigkeitserklärung Georgiens mit seiner Familie nach Tschetschenien übersiedelt, im Jahr 2000 sei er nach dem zweiten Tschetschenienkrieg nach Inguschetien geflüchtet und 2002 nach Georgien zurückgekehrt, das er dann 2009 wegen XXXX verlassen habe. Er habe seine georgische Staatsangehörigkeit bisher verschwiegen, um bessere Chancen im Asylverfahren zu haben. Die BF2 gab an, schon in früher Kindheit mit ihrer Familie von Georgien nach Tschetschenien gezogen und dort bis zum zwölften Lebensjahr aufgewachsen zu sein. Danach sei sie nach Georgien zurückgekehrt. Sie habe Georgien wegen der Bedrohung durch ihren ersten Mann verlassen. Der BF3 brachte im Wesentlichen vor, dass er sich an Georgien überhaupt nicht erinnern könne. Er spreche Deutsch und Tschetschenisch. Er habe in Österreich, Frankreich und Deutschland die Schule besucht. Aufgrund der Reisen habe er nicht immer die Schule besuchen können. Er habe bei einem XXXX im Jahr XXXX österreichweit den XXXX und XXXX den XXXX Platz belegen können. Er wolle in Österreich die Schule abschließen. Der BF4 konnte sich an Georgien nicht mehr erinnern. Er spreche Deutsch und Tschetschenisch. Er habe bisher in Österreich, Deutschland und Frankreich die Schule besucht. Zurzeit besuche er eine Sporthauptschule.

In der Verhandlung wurden den BF aktuelle Länderinformationen zu Georgien zu Kenntnis gebracht.

Für die BF wurden u.a. vorgelegt: für den BF3 diverse Volkschul- und Neue Mittelschule Zeugnisse sowie u.a. Urkunden über eine erfolgreiche Teilnahme beim XXXX als landesweit ( XXXX ) XXXX und bundeweit XXXX sowie XXXX in der bundesweiten Finalrunde; für den BF4 diverse Volkschulzeugnisse sowie eine Schulnachricht einer Neuen Mittelschule, für die BF5 und BF6 Schulnachrichten einer Volksschule.

2.7. In einer aufgetragenen Stellungnahme des Bundesamtes vom 25.02.2020 wurde ausgeführt, dass nach bisher ergebnislosen Anfragen der für die Beschaffung von Heimreiszertifikaten zuständigen Dienststelle an Aserbaidschan und die Russische Föderation nach Aktensichtung in der zweiten Kalenderwoche 2020 ein Aktenvermerk über einen anonymen Hinweis aus dem Jahr 2011 gefunden worden sei, wonach es sich bei den BF möglicherweise um georgische Staatsangehörige handeln könnte. Mit Benachrichtigung vom 30.01.2020 habe bestätigt werden können, dass die BF als georgische Staatsangehörige mit anderen Namen identifiziert worden seien. Diese Benachrichtigung sei umgehend dem Bundesverwaltungsgericht weitergeleitet worden.

2.8. In einer Stellungnahme der Rechtsvertretung der BF vom 06.03.2020 wurde insbesondere zum BF3 und BF4 ausgeführt war, dass beide in Georgien geboren seien, dieses Land aber im Alter von etwa XXXX bzw. XXXX Jahren verlassen haben. Beide haben in der Beschwerdeverhandlung glaubhaft angeben können, dass sie keinerlei Erinnerung an ihren Herkunftsstaat haben. Der BF3 habe sogar angegeben, dass er bis vor kurzem davon ausgegangen sei, in Tschetschenien geboren zu sein. So wie auch ihre Geschwister haben sie in Österreich die Schule besucht und sprechen Deutsch als ihre Muttersprache. Abgesehen davon sprechen sie mit ihren Eltern Tschetschenisch, die georgische Sprache sei ihnen vollkommen fremd. Auch ihre Eltern würden kaum Georgisch sprechen. Insbesondere der BF3 und der BF4 würden sich in keinem anpassungsfähigen Alter mehr befinden. Bei der Entscheidung über die gegenständlichen Anträge sei daher das Kindeswohl angemessen zu berücksichtigen. Eine Rückkehr nach Georgien würde jedenfalls einen unzulässigen Eingriff in das Kindeswohl darstellen, da es für die minderjährigen BF mit unzumutbaren Härten verbunden wäre.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen (Sachverhalt):

1.1. Die BF – ein Paar und ihre fünf minderjährigen Kinder im Alter von XXXX , XXXX , XXXX , XXXX und XXXX Jahren – sind Staatsangehörige von Georgien, gehören der tschetschenischen Volksgruppe an und sind Muslime. Ihre Identität steht fest.

Zumindest der BF1 und die BF2 haben bis zu ihrer Identifizierung Ende Jänner 2020 ihre georgische Staatsangehörigkeit bewusst verschwiegen und für sich und ihre Kinder falsche Namen angegeben. Die Nennung der jeweiligen Alias-Identität im Klammer an zweiter Stelle im Spruch dient ausschließlich der besseren Nachvollziehbarkeit.

Nach einer illegalen Einreise ins Bundesgebiet am 27.12.2009 (BF1) bzw. 08.11.2010 (BF2 – BF5) wurden die Anträge auf internationalen Schutz der BF1 – BF5 mit Erkenntnissen des Asylgerichtshofes vom 02.05.2011 im Ergebnis sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status von Asylberechtigten als auch von subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf die Russische Föderation abgewiesen und die BF1 – BF5 aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Russische Föderation ausgewiesen. Die Entscheidungen wurden mit 06.05.2011 rechtskräftig. Das Vorbringen der BF, wonach der BF1 2008 in Inguschetien wegen der Unterstützung von Kämpfern im zweiten Tschetschenienkrieg von Gefolgsleuten von Kadyrov misshandelt worden sei und in der Russischen Föderation gesucht werde, wurde als unglaubwürdig gewertet. Für die übrigen BF wurden keine eigenen Fluchtgründe geltend gemacht.

im XXXX 2011 wurde der BF6 im Bundesgebiet geboren. Das Verfahren über den für ihn eingebrachten Antrag auf internationalen Schutz wurde mit dem gleichen Verfahrensergebnis wie die zuvor angeführten Verfahren der BF1 – BF5 mit Erkenntnis des Asylgerichthofes vom 01.02.2012 (zugestellt am 06.02.2012 ) rechtskräftig abgeschlossen. Für den BF6 wurden keine eigenen Fluchtgründe vorgebracht.

Der Antrag auf internationalen Schutz der 2016 im Bundesgebiet geborenen BF7 wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 27.06.2016 im Ergebnis sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status von Asylberechtigten als auch von subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf die Russische Föderation abgewiesen und gegen die BF7 eine Rückkehrentscheidung erlassen. Die Entscheidung wurde mit 29.06.2016 rechtskräftig. Für die BF7 wurden keine eigenen Fluchtgründe vorgebracht.

Seit 2009 stellten die BF1 – BF5 inklusive des gegenständlichen Antrages vier, der BF6 drei und die BF7 einen unbegründeten Folgeantrag auf internationalen Schutz sowie jeweils einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 56 AsylG 2005 im Bundesgebiet.

Zwischen einem nicht erwiesenen Zeitpunkt verließen die BF1 - BF6, die bis Oktober 2013 im Bundesgebiet gemeldet waren, Österreich, wobei sie im September 2013 in Deutschland sowie im November 2013 in Frankreich Asylanträge stellten und im September 2014 von Deutschland nach Österreich rücküberstellt wurden.

Die BF, die nach ihrer Rückkehr bis zum September 2018 in Österreich gemeldet waren, reisten erneut zu einem nicht erwiesenen Zeitpunkt aus dem Bundesgebiet aus, stellten am 31.10.2018 in Deutschland einen Asylantrag und wurden am 28.11.2019 von Deutschland nach Österreich rücküberstellt.

Die BF begründete die gegenständlichen Anträge auf internationalen Schutz mit dem bisherigen Vorbringen, wonach der BF1 nach wie vor wegen der Unterstützung des tschetschenischen Widerstandes im zweiten Tschetschenienkrieg in der Russischen Föderation verfolgt werde. Neu wurde vorgebracht, dass zwei Wochen vor seiner Überstellung aus Deutschland dem BF1 ein Freund mitgeteilt habe, dass er immer noch in der Russischen Föderation gesucht werde. Dem Vorbringen kommt kein glaubhafter Kern zu.

Der BF1 leidet an keiner schwerwiegenden Erkrankung und ist arbeitsfähig. Hinsichtlich der BF2 wurden rezidivierende depressive Störungen, gegenwärtig mittelgradige Episode, eine posttraumatische Belastungsstörung, V.a. dissoziative Störung, V.a. Agoraphobie, arterielle Hypertonie und ein chronisches Schmerzsyndrom diagnostiziert. Sie wurde zuletzt vom XXXX 2019 bis XXXX 2020 in einer Klinik stationär behandelt, wobei weder zum Entscheidungszeitpunkt der Behörde noch zum gegenständlichen Zeitpunkt eine akute Suizidalität festgestellt werden konnte. Die übrigen BF sind im Wesentlichen gesund.

Die BF sind seit 2009 bzw. 2010 weder nach Georgien noch in die Russische Föderation zurückgekehrt und haben sich neben Österreich nahezu ausschließlich in Deutschland und - einige Monate - in Frankreich aufgehalten.

In Österreich halten sich bis auf einen Cousin des BF1, zu dem kein näherer Kontakt besteht, keine Familienangehörigen auf.

Weder der BF1 noch die BF2 sind in Österreich erwerbstätig, Sie haben keine Ausbildungen gemacht. Sie sind weder Mitglied in einem Verein noch ehrenamtlich tätig.

In Georgien halten sich keine Familienangehörigen des BF1 auf. Ein Bruder sowie zwei Schwestern des BF1 halten sich im Gebiet der Russischen Föderation auf.

Der BF1 und die BF2 konnten keine Nachweise für abgeschlossene Deutschprüfungen vorlegen. Beide waren nicht in der Lage, der Verhandlung gänzlich ohne Dolmetscher zu folgen bzw. Fragen zu beantworten.

Die BF3 bis BF6 besuchen die Neue Mittelschule bzw. Volkschule, wobei der BF3 und BF4 über Deutschkenntnisse auf muttersprachlichen Niveau verfügen.

1.2. Zur Situation in der Russischen Föderation wird von den zutreffenden Feststellungen des Bundesamtes im angefochtenen Bescheid ausgegangen, wobei entscheidungswesentliche Teile bereits unter Punkt I.2.2. wiedergegeben wurden.

Im Hinblick auf die Länderfeststellungen kann nicht festgestellt werden, dass seit Rechtskraft der Erkenntnisse des Asylgerichtshofes vom 02.05.2011 (zugestellt am 06.05.2011), Zlen. D14 414994-1/2010/3E (BF1), D14 417718-1/2011/2E (BF2), D14 417722-1/2011/2E (BF3), D14 417720-1/2011/2E (BF4), und D14 417719-1/2011/2E (BF5), des Erkenntnisses des Asylgerichthofes vom 01.02.2012 (zugestellt am 06.02.2012), Zl. D15 424049-1/2012/2E und des Erkenntnisses des Bundesverwaltungsgerichtes vom 27.06.2016 (zugestellt am 29.06.2016), Zl. W226 2128405-1/2E, zwischenzeitlich eine entscheidungswesentliche Verschlechterung der Situation in der Russischen Föderation eingetreten wäre.

Zur Situation in Georgien wird auf das in der Beschwerdeverhandlung am 24.02.2020 zu Kenntnis gebrachte Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 12.09.2019 (Update am 05.02.20020) verwiesen und dazu festgestellt, dass es sich bei Georgien um einen Staat handelt, der im Vergleich zu Krisenregionen wie Afghanistan, Irak, Somalia, Syrien u.v.a. -nicht als Staat mit sich rasch ändernder und bedenklicher Sicherheitslage auffällig wurde, sondern sich im Wesentlichen über die letzte Dekade als stabil erwiesen hat. Auch die Grundversorgung ist gesichert. Dazu ist weiters anzumerken, dass Georgien aufgrund der Ermächtigung nach § 19 Abs. 5 Z 2 BFA-VG laut § 1 Z 12 der Verordnung der Bundesregierung, mit der Staaten als sichere Herkunftsstaaten festgelegt werden (Herkunftsstaaten-Verordnung - HStV), BGBl. II Nr. 177/2009 idgF, als sicherer Herkunftsstaat gilt.

Unter Zugrundelegung der oben zitierten Länderinformationen wird zu Georgien insbesondere festgestellt:

Grundversorgung

Die Grundversorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln ist gewährleistet, die staatliche Sozialhilfe liegt bei GEL 180 (ca. EUR 60) im Monat, bei Rentnern bei GEL 200 [ca. EUR 70]. Die soziale Absicherung erfolgt in aller Regel durch den Familienverband. Eine große Rolle spielen die Geldtransfers der georgischen Diaspora im Ausland (AA 19.10.2019).

Trotz der beachtlichen wirtschaftlichen Entwicklung seit 2003 sind große Teile der georgischen Bevölkerung unterbeschäftigt oder arbeitslos. Knapp 22 % der Georgier leben in Armut. Vor allem die Bewohner der ländlichen Bergregionen sind betroffen, aber auch städtische Arbeitslose sowie zumeist in Isolation lebende Binnenvertriebene und Alleinerzieherinnen. Ländliche Armut führt meist zu Landflucht oder Emigration. Die Rücküberweisungen von saisonalen und permanenten Auslandsmigranten machen mit rund 11,8% einen nennenswerten Anteil des Bruttoinlandsprodukts aus (ADA 11.2018).

Die Arbeitslosenquote betrug 2018 12,7% (2017: 13,9%) (GeoStat 17.5.2019). Laut der Daten des nationalen Statistikamtes von 2018 sind 63,9% der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter erwerbstätig (Geostat 17.5.2019; vgl. GT 21.10.2019). Die Arbeitslosenrate ist im ländlichen Raum (2018: 5,8%) geringer als im städtischen Raum (2018: 19,3%) (Geostat 17.5.2019). Die hohe Zahl Erwerbstätiger in ländlichen Gegenden ist mit den gering vergüteten Jobs im Agrarsektor zu erklären. Viele Pensionisten sind noch erwerbstätig, da die Pension alleine zum Überleben nicht ausreicht. Dagegen ist die Arbeitslosigkeit unter 15-25-Jährigen recht hoch. Die meisten Erwerbstätigen befinden sich im Alter von 40 bis 60 Jahren (IOM 2018).

Zu Jahresbeginn 2020 nahm eine Agentur zur Beschäftigungsförderung (Employment Support Agency), die im Ministerium für Binnenflüchtlinge aus den besetzten Gebieten, Arbeit, Gesundheit und Soziales angesiedelt ist (MOH 24.12.2019; vgl. KP 1.2020, GT 21.10.2019). Die neue Agentur soll u.a. durch Fortbildungen, Umschulungen, Beratung und Karriereplanung die Beschäftigung im Land fördern (KP 1.2020). Die Agentur soll auch legale Arbeitsmigration fördern (GT 21.10.2019; vgl. KP 1.2020). Eine Priorität der Agentur ist es, Arbeitsmöglichkeiten für sozial benachteiligte Personen zu erschließen (GT 21.10.2019).

Die meisten Arbeitsplätze gibt es im Groß- und Einzelhandel sowie in Autowerkstätten und im Kleinwarengeschäft, in der Industrie und im Bauwesen (IOM 2018). Das Durchschnittseinkommen (nominal) der unselbständig Beschäftigten lag im ersten Quartal 2019 bei den Männern bei GEL 1.294 [rund EUR 400] und bei den Frauen bei GEL 876 [rund EUR 270] (GeoStat 2019).

Quellen:

-        AA – Auswärtiges Amt der Bundesrepublik Deutschland (19.10.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Georgien (Stand: Juli 2019), https://www.ecoi.net/en/file/local/2019042/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Georgien_%28Stand_Juli_2019%29%2C_19.10..pdf, Zugriff 30.1.2020

-        ADA – Austrian Development Agency (11.2018): Georgien – Länderinformation, https://www.entwicklung.at/fileadmin/user_upload/Dokumente/Laenderinformationen/LI_Georgien_Nov2018.pdf, Zugriff 30.8.2019

-        GeoStat – National Statistics Office of Georgia (2019b): Wages, https://www.geostat.ge/en/modules/categories/39/wages, Zugriff 30.8.2019

-        GeoStat – National Statistics Office of Georgia (17.5.2019): Employment and Unemployment in Georgia 2018 – Annual, https://www.geostat.ge/media/23683/Employment-and-Unemployment--2018-annual-%28eng%29.pdf, Zugriff 3.2.2020

-        GT – Georgia Today (21.10.2019): Georgian Gov’t to Establish Employment Agency, http://georgiatoday.ge/news/17823/Georgian-Gov%E2%80%99t-to-Establish-Employment-Agency, Zugriff 3.2.2020

-        IOM – International Organization for Migration (2018): Länderinformationsblatt GEORGIEN, https://files.returningfromgermany.de/files/CFS_2018_Georgia_DE.pdf, Zugriff 30.8.2019

-        KP – Kaukasische Post (1.2020): Agentur für Beschäftigung, in: Kaukasische Post – Ausgabe Januar 2020, Seite 8.

-        MOH – Ministry of Internally Displaced Persons from the Occupied Territories, Labour, Health and Social Affairs of Georgia (24.12.2019): Presentation of Employment Agency, https://www.moh.gov.ge/en/news/4835/Presentation-of-Employment-Agency, Zugriff 3.2.2020

Sozialbeihilfen

Das Sozialsystem in Georgien umfasst die folgenden finanziellen Zuschüsse: Existenzhilfe, Re-Integrationshilfe, Pflegehilfe, Familienhilfe, soziale Sachleistungen und Sozialpakete. Menschen unterhalb der Armutsgrenze können zum Beispiel mit einer Unterstützung von GEL 10-60 pro Familienmitglied rechnen. Eine Arbeitslosenunterstützung gibt es nicht. Der Sozialdienst ist für Personen unterhalb der Armutsgrenze verantwortlich. Der staatliche Fond zum Schutz und Unterstützung für Opfer von Menschenhandel hilft schutzbedürftigen Personen, wie z.B. Opfern häuslicher Gewalt, Personen mit Einschränkungen, Alten und Waisen. Dabei bietet er: Kinderheime, Pflegeheime für Personen mit Einschränkungen, Unterkünfte für Opfer von Menschenhandel, Krisenzentren und Unterkünfte für Opfer häuslicher Gewalt (IOM 2018).

Familien, die unter der Armutsgrenze leben, können um Sozialhilfe ansuchen. Dafür muss der Vertreter der Familie zunächst ein Ansuchen für sich und alle übrigen Familienmitglieder stellen, um in das staatliche Register für besonders schutzbedürftige Familien aufgenommen zu werden. Danach besucht ein Vertreter des Sozialamtes die Familie vor Ort, wobei in der „Familiendeklaration“ der sozio-ökonomische Stand der Familie festgestellt wird. Mittels eines Punktevergabesystems wird die Bedürftigkeit festgestellt. Bis zu einem Wert von 57.000 Punkten besteht der Anspruch auf finanzielle Unterstützung wie folgt: GEL 60 für Alleinstehende; ab zwei Personen erhält das älteste Familienmitglied GEL 60 und alle anderen GEL 48 pro Monat. Ausschlussgründe sind insbesondere die Arbeitsaufnahme eines Familienmitgliedes, Gefängnishaft, Militärdienst oder ein Auslandsaufenthalt von mehr als drei Monaten. Die Sozialhilfe kann nicht gleichzeitig mit der staatlichen „Haushaltsunterstützung“ oder der monatlichen Zahlung an Flüchtlinge bezogen werden (SSA o.D.a.).

Pensionssystem:

Es gibt nur ein staatliches Pensionssystem. Voraussetzungen (nicht alle müssen erfüllt sein): Rentenalter: 65 Jahre für Männer; 60 Jahre für Frauen; Behindertenstatus; Tod des Hauptverdieners.

Für die Registrierung der Pension ist ein Antrag beim zuständigen Sozialamt (Social Service Centre) nötig. Die Entscheidung fällt innerhalb von zehn Tagen. Personen, die bereits aus dem Ausland eine Pension beziehen, sind vom georgischen Pensionssystem ausgeschlossen (IOM 2018).

Die staatliche Alterspension (universal) beträgt GEL180 pro Monat. Die Leistungen werden ad hoc angepasst. Eine Invaliditätsleistung als Sozialhilfe beträgt GEL 180 pro Monat für eine Invalidität erster Stufe und GEL 100 für eine zweiter Stufe, wobei die Leistungen ad hoc angepasst werden (US-SSA 3.2019).

Seit dem 1.1.2019 ist das kumulierte Pensionssystem für Beschäftigte unter 40 Jahren verpflichtend, d.h., sie werden automatisch registriert. Für Selbständige und Personen über 40 Jahren ist die Aufnahme in das Programm freiwillig. Dieses System gilt sowohl für Mitarbeiter des öffentlichen als auch des privaten Sektors. Das System wird nach einem 2+2+2-Schema arbeiten. Jeder Arbeitnehmer, der Arbeitgeber und der Staat leisten einen Beitrag von je 2% des Bruttoeinkommens des Arbeitnehmers auf ein individuelles Pensionskonto. Selbständige müssen eine Einlage von 4% ihres Einkommens leisten und der Staat schießt weitere zwei Prozent zu. Das neue Pensionsgesetz sieht keine Aufhebung des bestehenden Pensionssystems vor. Am 1.1.2018 stiegen die staatlichen Pensionen um GEL 20 und beliefen sich auf GEL 200 pro Monat (Agenda.ge 3.1.2019).

Angesichts der Tatsache, dass Georgien bislang nur eine Pensionsersatzrate von 18% aufweist und über 44% der Erwerbstätigen Selbständige sind, insbesondere in der einkommensschwachen Landwirtschaft, bestehen Zweifel am Funktionieren des neuen Systems (OCM 14.12.2018).

Das Recht auf Mutterschaftskarenz- und Pflegeurlaub gewährleistet 730 Tage Freistellung, von denen 183 Tage bezahlt sind. Bei Geburtskomplikationen oder der Geburt von Zwillingen werden 200 Tage bezahlt. Das Mutterschaftsgeld, auch im Falle einer Adoption, beträgt maximal GEL 1.000 (SSA o.D.b, vgl. US-SSA 3.2019).

Quellen:

-        Agenda.ge (3.1.2019): Georgia’s new pension system comes into play, https://www.agenda.ge/en/news/2019/13, Zugriff 30.8.2019

-        IOM – International Organization for Migration (2018): Länderinformationsblatt GEORGIEN, https://files.returningfromgermany.de/files/CFS_2018_Georgia_DE.pdf, Zugriff 30.8.2019

-        OCM - Open Caucasus Media (14.12.2018): Opinion | Georgia’s pension reforms do nothing for most Georgians, https://oc-media.org/opinion-georgia-s-pension-reforms-do-nothing-for-most-georgians/, Zugriff 30.8.2019

-        SSA – Social Service Agency (o.D.a.): Pecuniary Social Assistance (Subsistence Allowance), http://ssa.gov.ge/index.php?lang_id=ENG&sec_id=35, Zugriff 30.8.2019

-        SSA – Social Service Agency (o.D.b.): Reimbursement of leave for maternity and childcare, as well as for adoption of a new-born child, http://ssa.gov.ge/index.php?lang_id=ENG&sec_id=375, Zugriff 30.8.2019

-        US-SSA – US Social Security Administration (3.2019): Social Security Programs Throughout the World: Asia and the Pacific, 2018, Georgia, https://www.ecoi.net/en/file/local/2005493/georgia.pdf, Zugriff 12.9.2019

Gesundheitswesen

2013 wurde in Georgien das Universal Health Care (UHC) Program eingeführt. Es ist ein staatlich geleitetes, hauptsächlich staatlich finanziertes, allgemeines Gesundheitssystem mit überwiegend privaten medizinischen Institutionen. Diese staatliche Krankenkasse soll den finanziellen Zugang zur medizinischen Grundversorgung für alle Georgier sicherstellen, die noch nicht durch private Versicherungen oder über den Arbeitgeber versichert sind. Da Versicherte bei bestimmten Leistungen einen Teil der Kosten selbst bezahlen müssen, spricht man von einem copayment System. Über die UHC sind grundsätzlich alle georgischen Staatsbürger automatisch krankenversichert. Eingeschlossen sind alle Bewohner der de facto unabhängigen Republiken Abchasien und Südossetien, denen der georgische Staat neutrale Identitäts- und Reisepapiere ausstellt. Offiziell anerkannte Staatenlose haben ebenfalls Anrecht auf UHC. Nur einen Teil der Leistungen erhält, wer vor dem 1.1.2017 eine private Krankenversicherung besaß oder über den Arbeitgeber krankenversichert war. Seit 1.5.2017 wird bei der Kostenübernahme zudem nach Einkommen differenziert. Personen mit hohem Einkommen sind von der UHC ausgeschlossen. Personen mit mittlerem Einkommen erhalten nur einen Teil der Leistungen. Für sozial schwache Gruppen, Kinder und Rentner bleiben die Leistungen wie gehabt bestehen (SEM 21.3.2018). Im Notfall wendet sich ein georgischer Bürger an eine beliebige medizinische Einrichtung. Alle medizinischen Einrichtungen sind an der UHC beteiligt. Für geplante stationäre Behandlungen wendet man sich mit einem gültigen Ausweis und einer Überweisung eines Allgemeinmediziners an die Abteilung Social Service Agency. Die Social Service Agency betreibt eine Hotline unter der Nummer 1505. Die Social Service Agency stellt einen Gutschein (Voucher) oder einen „Letter of Garantee“ (dt. Garantiebrief) über die von ihr berechneten Kosten für die beantragte medizinische Dienstleistung aus (SEM 21.3.2018). Das staatliche Gesundheitssystem (UHC) umfasst ambulante und stationäre Behandlung für Begünstigte verschiedener Alters- und Sozialgruppen, wie folgt:

-        Offen für alle Staatsbürger, sowie Asylsuchende (während des Verfahrens) und Personen mit Flüchtlingsstatus

-        Stationäre und ambulante Behandlung sind vollständig gedeckt

-        Behandlung von HIV und TB ist kostenfrei, sowie Insulin für Diabetespatienten

-        Dialyse ist ebenfalls gewährleistet

-        Für Drogenabhängige ist ein staatlich gefördertes Methadon-Ersatzprogramm kostenfrei verfügbar. Lediglich eine einmalige Registrierungsgebühr von GEL 70 muss entrichtet werden. Kosten für die Behandlung von Kindern bis zu 5 Jahren ist teilweise gedeckt, abhängig von der Krankheit.

-        Kontaktinformationen erhält man beim Ministerium für Gesundheit (Ministry of Health). Informationen über Anbieter finden sich hier: http://cloud.moh.gov.ge/Default.aspx? languagePair=en-US (IOM 2018)

Hat man Anrecht auf die gesamten Leistungen der UHC, werden Kosten in den drei Bereichen Notfallbehandlung, stationäre Behandlung und ambulante Behandlungen ganz oder zum Teil übernommen. Eine Kostenübernahme von 100% bedeutet in den meisten Fällen, dass der Staat der medizinischen Institution einen fixen Betrag zurückerstattet. Für die Berechnung dieses Betrags analysiert der Staat, wie viel die Dienstleistung in der Vergangenheit kostete und nimmt davon einen tiefen Durchschnittswert. Kommt die Behandlung teurer, muss der Patient die Differenz selber bezahlen (SEM 21.3.2018). Ambulante und stationäre Notfallbehandlungen werden zu 100% übernommen (SEM 21.3.2018; vgl. IOM 2018). Behandlungen spezialisierter Ärzte nach Überweisung durch den Hausarzt werden zu 70-100% übernommen, einige Notfallbehandlungen zu 100

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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