TE Bvwg Beschluss 2020/6/30 W283 2221832-1

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Veröffentlicht am 30.06.2020
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Entscheidungsdatum

30.06.2020

Norm

AsylG 2005 §3
AußStrG §44
BFA-VG §10 Abs3
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §31 Abs1
ZustG §7

Spruch

W283 2221832-1/6E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht beschließt durch die Richterin Mag.a Stefanie OMENITSCH als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Serbien, vertreten durch den Verein Menschenrechte Österreich, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 28.06.2019, Zl. 1221827609 - 190237207:

A)

Die Beschwerde wird als unzulässig zurückgewiesen.

B)

Die Revision ist nicht zulässig.



Text


BEGRÜNDUNG:

I. Verfahrensgang:

1. Die zu diesem Zeitpunkt minderjährige Beschwerdeführerin stellte am 07.03.2019 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich. In der am selben Tag durchgeführten Erstbefragung gab sie an, am XXXX geboren zu sein.

2. Die Beschwerdeführerin wurde am 07.03.2019 vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (Bundesamt) im Beisein eines Mitarbeiters der Kinder- und Jugendhilfebehörde niederschriftlich einvernommen.

3. In der weiteren Einvernahme beim Bundesamt am 13.06.2019 war neben einer Rechtsberaterin auch eine Vertrauensperson der Beschwerdeführerin anwesend.

4. Mit dem angefochtenen Bescheid wies das Bundesamt den Antrag der Beschwerdeführerin auf internationalen Schutz zur Gänze ab (Spruchpunkt I. und II.). Es wurde der Beschwerdeführerin kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen erteilt, eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass ihre Abschiebung nach Serbien zulässig sei (Spruchpunkt III.-V.). Die Frist für die freiwillige Ausreise wurde mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Entscheidung festgesetzt (Spruchpunkt VI.).

Das Bundesamt traf im Bescheid die Feststellung, dass der Verein Menschenrechte Österreich als gesetzliche Vertretung die Obsorgepflichten für die minderjährige Beschwerdeführerin übernehme. Es verfügte auch die Zustellung des Bescheides an den Verein Menschenrechte Österreich.

5. Am 02.07.2019 wurde der Bescheid dem Verein Menschenrechte Österreich zugestellt. In der fristgerechten Beschwerde wurde ausgeführt, die Obsorge über die minderjährige Beschwerdeführerin sei bereits mit Beschluss eines Bezirksgerichts vom 24.06.2019 an die Gasteltern der Beschwerdeführerin übertagen worden. Der Bescheid sei der Beschwerdeführerin gegenüber somit nicht rechtswirksam erlassen worden. Der pflegschaftsgerichtliche Beschluss sowie die von einem Obsorgeberechtigten unterzeichnete Vollmacht für den Verein Menschenrechte Österreich wurden mit dem Beschwerdeschriftsatz vorgelegt.

II.         Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1.       Feststellungen:

1. Die Beschwerdeführerin ist serbische Staatsangehörige und wurde am XXXX geboren. Sie stellte am 07.03.2019 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich (AS 9 ff). Zum Zeitpunkt der Antragstellung war die Beschwerdeführerin minderjährig.

2. Die Obsorge über die Beschwerdeführerin wurde mit Beschluss eines Bezirksgerichts am 24.06.2019 an die Gasteltern der Beschwerdeführerin übertragen und den Kindeseltern entzogen (AS 291).

3. Mit Bescheid vom 28.06.2019 wies das Bundesamt den Antrag der zu diesem Zeitpunkt minderjährigen Beschwerdeführerin auf internationalen Schutz zur Gänze ab. Es wurde der Beschwerdeführerin kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen erteilt, eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass ihre Abschiebung nach Serbien zulässig sei. Die Frist für die freiwillige Ausreise wurde mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Entscheidung festgesetzt (AS 201 ff).

4. Das Bundesamt verfügte die Zustellung des Bescheides an den Verein Menschenrechte Österreich; dieser übernahm den Bescheid am 02.07.2019 (AS 201).

2.       Beweiswürdigung:

Die Feststellungen gründen sich auf den unbedenklichen Akteninhalt, insbesondere auf den Obsorgebeschluss eines Bezirksgerichts vom 24.06.2019 (AS 277 ff).

3.       Rechtliche Beurteilung:

Zu A)   Zurückweisung der Beschwerde:

3.1. Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist. Gemäß § 31 Abs. 1 VwGVG erfolgen die Entscheidungen und Anordnungen durch Beschluss, soweit nicht ein Erkenntnis zu fällen ist.

3.2. Für das Zustandekommen eines Bescheides ist es erforderlich, dass dieser erlassen wird. Erst mit seiner Erlassung erlangt ein Bescheid rechtliche Existenz (vgl. VwGH 26.04.2000, 99/05/0239; 26.06.2013, 2011/22/0122). Solange ein Bescheid noch nicht erlassen wurde, kann er keine Rechtswirkung nach außen entfalten (vgl. Kolonovits/Muzak/Stöger, Verwaltungsverfahrensrecht10 (2014) Rz 426 f). Die Erlassung schriftlicher Bescheide hat durch Zustellung oder Ausfolgung zu erfolgen. Erlassen ist ein Bescheid ab dem Zeitpunkt, ab dem eine rechtswirksame Zustellung oder Ausfolgung vorliegt (vgl. VwGH 26.06.2001, 2000/04/0190; 18.03.2013, 2010/05/0046, jeweils mwN).

Ein der Entscheidung in der Sache selbst entgegenstehendes Hindernis liegt somit dann vor, wenn sich ein Rechtsmittel gegen einen nicht rechtswirksam erlassenen Bescheid richtet. In diesem Fall fehlt es an einer Zuständigkeit der Rechtsmittelbehörde zu einem meritorischen Abspruch über das Rechtsmittel, da in derartigen Fällen die Zuständigkeit nur so weit reicht, das Rechtsmittel wegen Unzulässigkeit zurückzuweisen (vgl. VwGH 18.06.2008, 2005/11/0171).

3.3. Die Frage der Handlungsfähigkeit und somit auch jene der Prozessfähigkeit ist nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes von der Behörde als Vorfrage (iSd § 38 AVG) zu beurteilen (vgl. VwGH 13.10.2005, 2004/18/0221, mwN). Einen Mangel der Prozessfähigkeit hat die Behörde in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen wahrzunehmen. Mangelt es einem Adressaten einer Verfahrenshandlung (insbesondere auch eines Bescheides) in Bezug auf den Verfahrensgegenstand an der Prozessfähigkeit, so geht die Verfahrenshandlung insofern ins Leere, als sie diesem Adressaten gegenüber keinerlei Rechtswirkungen entfaltet. Die Behörde kann diesfalls Verfahrenshandlungen rechtswirksam nur gegenüber dem gesetzlichen Vertreter setzen (vgl. VwGH 12.09.2017, Ra 2017/16/0078; 25.02.2019, Ra 2017/19/0361, jeweils mwN).

3.4. Es ist daher zu prüfen, ob gegenständlich eine wirksame Zustellung des Bescheides stattgefunden hat und ob der Verein Menschenrechte Österreich zum Zeitpunkt der Zustellung des Bescheides gesetzlich berechtigt war, die damals minderjährige Beschwerdeführerin zu vertreten.

3.4.1. Nach § 9 AVG iVm § 17 VwGVG sind Fragen der persönlichen Rechts- und Handlungsfähigkeit von am Verwaltungsverfahren Beteiligten nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechtes zu beurteilen, wenn in den Verwaltungsvorschriften nicht anderes bestimmt ist. § 10 BFA-VG sieht in seinem Abs. 1 vor, dass für den Eintritt der Handlungsfähigkeit in Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, vor den Vertretungsbehörden gemäß dem 11. Hauptstück des FPG und in einem Verfahren gemäß § 3 Abs. 2 Z 1 bis 6 BFA-VG vor dem Bundesverwaltungsgericht ungeachtet der Staatsangehörigkeit des Fremden österreichisches Recht maßgeblich ist.

Die Geschäftsfähigkeit eines Menschen bestimmt sich demnach primär nach seinem Alter. Mit der Volljährigkeit (= Vollendung des 18. Lebensjahres) erreicht der geistig gesunde österreichische Staatsbürger die volle Geschäftsfähigkeit und ist daher jedenfalls auch prozessfähig. Hingegen stehen Minderjährige, also Personen, die das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet haben (§ 21 Abs. 2 ABGB), unter dem besonderen Schutz der Gesetze (§ 21 Abs. 1 ABGB) und können daher an sich ohne ausdrückliche oder stillschweigende Einwilligung des gesetzlichen Vertreters rechtsgeschäftlich weder verfügen noch sich verpflichten. Sie sind also grundsätzlich geschäftsunfähig und damit auch prozessunfähig (vgl. VwGH 18.10.2017, Ra 2016/19/0351 bis 0353; 25.02.2019, Ra 2017/19/0361, jeweils mwN).

3.4.2. Nach den getroffenen Feststellungen handelte es sich bei der Beschwerdeführerin zum Zeitpunkt der Zustellung des Bescheides vom 28.06.2019 um eine Minderjährige, der gemäß § 10 Abs. 1 BFA-VG keine Prozessfähigkeit zukam. Die belangte Behörde ging davon aus, der Verein Menschenrechte Österreich wäre die gesetzliche Vertretung der damals minderjährigen Beschwerdeführerin.

Es ist zwar zutreffend, dass nach § 10 Abs. 3 BFA-VG gesetzlicher Vertreter für Verfahren vor dem Bundesamt und dem Bundesverwaltungsgericht ab Ankunft in der Erstaufnahmestelle der Rechtsberater ist. Erst nach Zulassung des Verfahrens und nach Zuweisung an eine Betreuungsstelle eines Bundeslandes ist gesetzlicher Vertreter gemäß § 10 Abs. 3 leg. cit der örtlich zuständige Kinder- und Jugendhilfeträger jenes Bundeslandes, in dem der Minderjährige einer Betreuungsstelle zugewiesen wurde. Die Voraussetzungen nach § 10 Abs. 3 BFA-VG fallen allerdings weg, wenn mittels pflegschaftsgerichtlichem Beschluss eine geeignete Person mit der Obsorge betraut ist (vgl. VwGH 18.10.2017, Ra 2016/19/0351, insb. Rz 29).

Angewendet auf den hier maßgeblichen Sachverhalt bedeutet das, dass zum Zeitpunkt der Zustellung des Bescheides – aufgrund des zwischenzeitig ergangenen pflegschaftsgerichtlichen Beschlusses vom 24.06.2019, der nach § 44 AußStrG schon vor Rechtskraft rechtswirksam war – der Verein Menschenrechte Österreich nicht (mehr) die gesetzliche Vertretung der Beschwerdeführerin war. Der Bescheid wäre daher den im Obsorgebeschluss genannten Personen zuzustellen gewesen.

3.4.3. Indem die belangte Behörde den Bescheid an den Verein Menschenrechte Österreich adressierte und zustellte, unterlief ihr ein Zustellmangel. Zu untersuchen ist daher, ob dieser Mangel nachträglich geheilt ist:

Unterlaufen im Verfahren der Zustellung Mängel, so gilt die Zustellung in dem Zeitpunkt dennoch als bewirkt, in dem das Dokument dem Empfänger tatsächlich zugekommen ist (vgl. § 7 ZustG). Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes gilt als „Empfänger“ im Sinn dieser Bestimmung jedoch nicht die Person, für die das Dokument inhaltlich bestimmt ist, sondern die Person, die in der Zustellverfügung als Empfänger angegeben worden ist („formeller Empfängerbegriff“). Die fehlerhafte Bezeichnung einer Person als Empfänger in der Zustellverfügung kann demnach nicht heilen (vgl. VwGH 25.02.2019, Ra 2017/19/0361, mwN; auch Kolonovits/Muzak/Stöger, Verwaltungsverfahrensrecht10 (2014) Rz 203/1).

Eine Heilung des Zustellmangels kann daher zusammenfassend nur eintreten, wenn der tatsächliche gesetzliche Vertreter der Beschwerdeführerin in der Zustellverfügung des Bundesamtes angegeben wurde und der Bescheid in weiterer Folge dem gesetzlichen Vertreter zukam. Das faktische Zukommen des Bescheides an die Beschwerdeführerin selbst bewirkt keine Heilung der Zustellung, weil diese in formeller Hinsicht nicht „Empfänger“ iSd § 7 ZustG war (vgl. VwGH 25.02.2019, Ra 2017/19/0361).

Die mangelhafte Zustellung konnte vorliegend nicht geheilt werden, zumal die Zustellung des Bescheides an den Verein Menschenrechte Österreich verfügt wurde, der zu diesem Zeitpunkt allerdings nicht der tatsächliche gesetzliche Vertreter der minderjährigen Beschwerdeführerin war. Die Zustellung des Bescheides hat somit keine Wirkung entfaltet.

Die später eingetretene Volljährigkeit der Beschwerdeführerin vermag die Rechtswirkung der Zustellung ebenfalls nicht zu entfalten (vgl. VwGH 14.12.2011, 2009/01/0049).

3.5. Als Ergebnis ist daher festzuhalten, dass der angefochtene Bescheid bislang nicht rechtswirksam zugestellt und somit auch noch nicht rechtswirksam erlassen wurde.

Im Hinblick auf die obigen Ausführungen richtet sich die gegenständliche Beschwerde gegen einen nicht wirksam erlassenen Bescheid, sodass diese als unzulässig zurückzuweisen ist (vgl. zur Zurückweisung wegen Unzulässigkeit VwGH 30.08.2017, Ra 2016/18/0324, mwN).

Der Bescheid ist vom Bundesamt an die nunmehr volljährige Beschwerdeführerin selbst zuzustellen.

3.6. Eine Verhandlung konnte unterbleiben, da gemäß § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG eine Verhandlung entfallen kann, wenn die Beschwerde zurückzuweisen ist.

Zu B)     Unzulässigkeit der Revision:

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig, wenn die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, wenn die Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, wenn es an einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes fehlt oder wenn die Frage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird bzw. sonstige Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vorliegen.

In der Beschwerde findet sich kein schlüssiger Hinweis auf das Bestehen von Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung im Zusammenhang mit dem gegenständlichen Verfahren und sind solche auch aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichts nicht gegeben. Die Entscheidung folgt der zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes.

Schlagworte

Bescheiderlassung Bescheidwirkung gesetzlicher Vertreter Handlungsfähigkeit Heilung Minderjährige Obsorge Prozessfähigkeit Rechtsberater Volljährigkeit Zurückweisung Zustellmangel Zustellung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W283.2221832.1.01

Im RIS seit

16.11.2020

Zuletzt aktualisiert am

16.11.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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