TE Bvwg Beschluss 2020/7/28 W241 2227680-1

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Veröffentlicht am 28.07.2020
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Entscheidungsdatum

28.07.2020

Norm

AsylG 2005 §35 Abs1
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §28 Abs3

Spruch

W241 2227680-1/8E

Beschluss

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. HAFNER über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch das Österreichische Rote Kreuz, gegen den Bescheid der österreichischen Botschaft Islamabad vom 24.09.2019, GZ. Islamabad-ÖB/KONS/0124/2019, beschlossen:

A)

Der Beschwerde wird gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG stattgegeben, der bekämpfte Bescheid behoben und die Angelegenheit zur Erlassung einer neuen Entscheidung an die Behörde zurückverwiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Begründung:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer (in der Folge: BF), ein Staatsangehöriger Afghanistans, stellte bei der Österreichischen Botschaft in Islamabad (im Folgenden ÖB Islamabad) am 15.01.2019 einen Antrag auf Erteilung eines Einreisetitels gemäß § 35 Abs. 1 AsylG 2005.

Als Bezugsperson wurde die Ehefrau des BF, XXXX , geb XXXX ebenfalls Staatsangehörige Afghanistans, genannt, der mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden BFA) vom 16.06.2014 gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status der Asylberechtigten zuerkannt wurde.

In einer Stellungnahme vom 15.01.2019 brachte der BF vor, dass er im Jahr 2011 entführt worden sei. Bis vor ungefähr vier Monaten habe die Familie nicht gewusst, wo sich der BF befinde, nunmehr habe über einen Bekannten der Kontakt wiederhergestellt werden können. Die Bezugsperson sei arbeitsunfähig, weshalb die Voraussetzungen des § 60 Abs. 2 Z 1 bis 3 AsylG 2005 nicht erfüllt werden könnten. Es sei jedoch der Ausnahmetatbestand des § 35 Abs. 4 Z 3 AsylG 2005 anzuwenden, da die Trennung der Familie aus den Asylgründen bedingt sei und das Familienleben in keinem anderen Staat fortgesetzt werden könne. Die in Österreich lebenden vier gemeinsamen Kinder seien bei der Entführung des Vaters noch minderjährig gewesen.

2. In weiterer Folge wurden die Anträge seitens der ÖB Islamabad an das BFA zur Überprüfung weitergeleitet und wurde bei dieser Gelegenheit mitgeteilt, dass die Richtigkeit afghanischer Urkunden generell angezweifelt werden müsse, weshalb eine DNA-Analyse zur Feststellung der tatsächlichen Angehörigeneigenschaft angeregt werde.

3. Mit Aufforderung zur Stellungnahme der ÖB Islamabad vom 02.05.2019 wurde dem BF Parteiengehör eingeräumt und gleichzeitig mitgeteilt, dass beabsichtigt sei, seinen Antrag abzuweisen, zumal das BFA nach Prüfung mitgeteilt habe, dass die Gewährung des Status des Asylberechtigten beziehungsweise des subsidiär Schutzberechtigten nicht wahrscheinlich sei. Zum Nachweis der Familienangehörigeneigenschaft wäre eine DNA-Analyse erforderlich. Es wurde auf die beiliegende Mitteilung und Stellungnahme des BFA vom 02.05.2019 verwiesen, aus der hervorgeht, dass die vorgelegten Dokumente nicht ausreichen würden, um die Familienangehörigeneigenschaft nachzuweisen. Es würden Zweifel an der inhaltlichen Richtigkeit der vorgelegten Dokumente bestehen.

4. In einer Stellungnahme des BF vom 09.05.2019 wurde im Wesentlichen das Vorbringen der Stellungnahme vom 15.01.2019 wiederholt und der Durchführung einer DNA-Analyse zugestimmt.

5. Daraufhin wurden vom BF, der Bezugsperson und den gemeinsamen Kindern DNA-Tests durchgeführt und konnte dadurch zweifelsfrei festgestellt werden, dass es sich bei den volljährigen Kindern um die Kinder des BF und der Bezugsperson handelt.

6. In einem Schreiben des BFA vom 20.09.2019 wurde mitgeteilt, dass die Gewährung des Status des Asylberechtigten beziehungsweise des subsidiär Schutzberechtigten nicht wahrscheinlich sei. Die Angaben des BF zur Angehörigeneigenschaft würden in mehrfacher Hinsicht den von der Bezugsperson im Asylverfahren gemachten Angaben widersprechen. Das Bestehen eines aufrechten Familienlebens werde angezweifelt.

In beiliegender Stellungnahme des BFA vom 20.09.2019 wurde näher ausgeführt, dass weder die Bezugsperson noch ihr Sohn Angaben dazu hätten machen können, wo sich der BF in den vergangenen sieben Jahren aufgehalten habe und warum nicht früher ein Kontakt hergestellt worden sei. Seit Kontaktaufnahme hätten sie nur zwei bis drei Mal telefonisch miteinander gesprochen. Dem BF, der Bezugsperson und den Kindern wäre es seit dem behaupteten Verschwinden des Vaters möglich gewesen, über den Suchdienst des Roten Kreuzes Recherchen zum Verbleib von Familienmitgliedern in Auftrag zu geben. Es sei nicht nachvollziehbar, dass sieben Jahre lang kein entsprechender Versuch unternommen worden sei. Daher sei anzunehmen, dass ein Familienleben seit 2011 nicht bestanden habe und auch aktuell nicht bestehe.

Eine ausreichende Unterstützung durch die Familienmitglieder des BF sei nicht zu erwarten, da die Bezugsperson arbeitsunfähig, die Tochter Mindestsicherungsbezieherin, zwei Söhne Lehrlinge und einer als Arbeiter beschäftig sei. Der Aufenthalt des BF werde daher zu einer finanziellen Belastung der Gebietskörperschaft führen.

7. Mit dem angefochtenen Bescheid vom 24.09.2019 verweigerte die ÖB Islamabad die Erteilung des Einreisetitels gemäß § 26 FPG iVm § 35 AsylG 2005. Begründend führte sie aus, dass die Angaben des BF zur Angehörigeneigenschaft in mehrfacher Hinsicht den von der Bezugsperson im Asylverfahren gemachten Angaben widersprechen würden. Das Bestehen eines aufrechten Familienlebens werde angezweifelt.

8. Gegen diesen Bescheid richtet sich die am 21.10.2019 bei der belangten Behörde fristgerecht eingebrachte Beschwerde.

9. Mit Beschwerdevorentscheidung vom 27.11.2019 wies die ÖB Islamabad die Beschwerde gemäß § 14 Abs. 1 VwGVG als unbegründet ab.

10. Am 10.12.2019 wurde bei der ÖB Islamabad ein Vorlageantrag gemäß § 15 VwGVG eingebracht.

11.Mit Schreiben des Bundesministeriums für Inneres, eingelangt am 21.01.2020, wurde dem Bundesverwaltungsgericht der gegenständliche Verwaltungsakt übermittelt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Rechtliche Beurteilung:

Zu A) Behebung des Bescheides und Zurückverweisung:

1. § 28 Abs. 1 bis 3 VwGVG lautet wie folgt:

„§ 28 (1) Sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.

(2) Über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG hat das Verwaltungsgericht dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn

1. der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder

2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

(3) Liegen die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vor, hat das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hiebei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.“

Die maßgeblichen Bestimmungen des Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) idgF lauten:

„Verfahren vor den österreichischen Vertretungsbehörden in Visaangelegenheiten

§ 11 (1) In Verfahren vor österreichischen Vertretungsbehörden haben Antragsteller unter Anleitung der Behörde die für die Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes erforderlichen Urkunden und Beweismittel selbst vorzulegen; in Verfahren zur Erteilung eines Visums D ist Art. 19 Visakodex sinngemäß anzuwenden. In Verfahren zur Erteilung eines Visums gemäß § 20 Abs. 1 Z 9 sind Art. 9 Abs. 1 erster Satz und Art. 14 Abs. 6 Visakodex sinngemäß anzuwenden. Der Antragssteller hat über Verlangen der Vertretungsbehörde vor dieser persönlich zu erscheinen, erforderlichenfalls in Begleitung eines Dolmetschers (§ 39a AVG). § 10 Abs. 1 letzter Satz AVG gilt nur für in Österreich zur berufsmäßigen Parteienvertretung befugte Personen. Die Vertretungsbehörde hat nach freier Überzeugung zu beurteilen, ob eine Tatsache als erwiesen anzunehmen ist oder nicht. Eine Entscheidung, die dem Standpunkt des Antragstellers nicht vollinhaltlich Rechnung trägt, darf erst ergehen, wenn die Partei Gelegenheit zur Behebung von Formgebrechen und zu einer abschließenden Stellungnahme hatte.

(2) Partei in Verfahren vor der Vertretungsbehörde ist ausschließlich der Antragssteller.

(3) Die Ausfertigung bedarf der Bezeichnung der Behörde, des Datums der Entscheidung und der Unterschrift des Genehmigenden; an die Stelle der Unterschrift kann das Siegel der Republik Österreich gesetzt werden, sofern die Identität des Genehmigenden im Akt nachvollziehbar ist. Die Zustellung hat durch Übergabe in der Vertretungsbehörde oder, soweit die internationale Übung dies zulässt, auf postalischem oder elektronischem Wege zu erfolgen; ist dies nicht möglich, so ist die Zustellung durch Kundmachung an der Amtstafel der Vertretungsbehörde vorzunehmen.

(4)-(9) […]

Beschwerden gegen Bescheide österreichischer Vertretungsbehörden in Visaangelegenheiten

§ 11a (1) Der Beschwerdeführer hat der Beschwerde gegen einen Bescheid einer österreichischen Vertretungsbehörde sämtliche von ihm im Verfahren vor der belangten Vertretungsbehörde vorgelegten Unterlagen samt Übersetzung in die deutsche Sprache anzuschließen.

(2) Beschwerdeverfahren sind ohne mündliche Verhandlung durchzuführen. Es dürfen dabei keine neuen Tatsachen oder Beweise vorgebracht werden.

(3) Sämtliche Auslagen der belangten Vertretungsbehörde und des Bundesverwaltungsgerichtes für Dolmetscher und Übersetzer sowie für die Überprüfung von Verdolmetschungen und Übersetzungen sind Barauslagen im Sinn des § 76 AVG.

(4) Die Zustellung der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes hat über die Vertretungsbehörde zu erfolgen. § 11 Abs. 3 gilt.

Visa zur Einbeziehung in das Familienverfahren nach dem AsylG 2005

§ 26 Teilt das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl gemäß § 35 Abs. 4 AsylG 2005 mit, dass die Stattgebung eines Antrages auf internationalen Schutz durch Zuerkennung des Status des Asylberechtigten oder des subsidiär Schutzberechtigten wahrscheinlich ist, ist dem Familienangehörigen gemäß § 35 Abs. 5 AsylG 2005 ohne Weiteres zur einmaligen Einreise ein Visum mit viermonatiger Gültigkeitsdauer zu erteilen.“

Die maßgeblichen Bestimmungen des AsylG 2005 idF BGBl. I Nr. 56/2018 lauten:

„Anträge auf Einreise bei Vertretungsbehörden

§ 35 (1) Der Familienangehörige gemäß Abs. 5 eines Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt wurde und der sich im Ausland befindet, kann zwecks Stellung eines Antrages auf internationalen Schutz gemäß § 34 Abs. 1 Z 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 einen Antrag auf Erteilung eines Einreisetitels bei einer mit konsularischen Aufgaben betrauten österreichischen Vertretungsbehörde im Ausland (Vertretungsbehörde) stellen. Erfolgt die Antragstellung auf Erteilung eines Einreisetitels mehr als drei Monate nach rechtskräftiger Zuerkennung des Status des Asylberechtigten, sind die Voraussetzungen gemäß § 60 Abs. 2 Z 1 bis 3 zu erfüllen.

(2) Der Familienangehörige gemäß Abs. 5 eines Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wurde und der sich im Ausland befindet, kann zwecks Stellung eines Antrages auf internationalen Schutz gemäß § 34 Abs. 1 Z 2 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 frühestens drei Jahre nach rechtskräftiger Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten einen Antrag auf Erteilung eines Einreisetitels bei der Vertretungsbehörde stellen, sofern die Voraussetzungen gemäß § 60 Abs. 2 Z 1 bis 3 erfüllt sind. Diesfalls ist die Einreise zu gewähren, es sei denn, es wäre auf Grund bestimmter Tatsachen anzunehmen, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht mehr vorliegen oder in drei Monaten nicht mehr vorliegen werden. Darüber hinaus gilt Abs. 4.

(2a) Handelt es sich beim Antragsteller um den Elternteil eines unbegleiteten Minderjährigen, dem der Status des Asylberechtigten oder des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wurde, gelten die Voraussetzungen gemäß § 60 Abs. 2 Z 1 bis 3 als erfüllt.

(3) Wird ein Antrag nach Abs. 1 oder Abs. 2 gestellt, hat die Vertretungsbehörde dafür Sorge zu tragen, dass der Fremde ein in einer ihm verständlichen Sprache gehaltenes Befragungsformular ausfüllt; Gestaltung und Text dieses Formulars hat der Bundesminister für Inneres im Einvernehmen mit dem Bundesminister für Europa, Integration und Äußeres und nach Anhörung des Hochkommissärs der Vereinten Nationen für Flüchtlinge (§ 63) so festzulegen, dass das Ausfüllen des Formulars der Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts dient. Außerdem hat die Vertretungsbehörde auf die Vollständigkeit des Antrages im Hinblick auf den Nachweis der Voraussetzungen gemäß § 60 Abs. 2 Z 1 bis 3 hinzuwirken und den Inhalt der ihr vorgelegten Dokumente aktenkundig zu machen. Der Antrag auf Einreise ist unverzüglich dem Bundesamt zuzuleiten.

(4) Die Vertretungsbehörde hat dem Fremden aufgrund eines Antrags auf Erteilung eines Einreisetitels nach Abs. 1 oder 2 ohne weiteres ein Visum zur Einreise zu erteilen (§ 26 FPG), wenn das Bundesamt mitgeteilt hat, dass die Stattgebung eines Antrages auf internationalen Schutz durch Zuerkennung des Status des Asylberechtigten oder des subsidiär Schutzberechtigten wahrscheinlich ist. Eine derartige Mitteilung darf das Bundesamt nur erteilen, wenn

1. gegen den Fremden, dem der Status des Asylberechtigten oder des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wurde, kein Verfahren zur Aberkennung dieses Status anhängig ist (§§ 7 und 9),

2. das zu befassende Bundesministerium für Inneres mitgeteilt hat, dass eine Einreise den öffentlichen Interessen nach Art. 8 Abs. 2 EMRK nicht widerspricht und

3. im Falle eines Antrages nach Abs. 1 letzter Satz oder Abs. 2 die Voraussetzungen des § 60 Abs. 2 Z 1 bis 3 erfüllt sind, es sei denn, die Stattgebung des Antrages ist gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK geboten.

Bis zum Einlangen dieser Mitteilung ist die Frist gemäß § 11 Abs. 5 FPG gehemmt. Die Vertretungsbehörde hat den Fremden über den weiteren Verfahrensablauf in Österreich gemäß § 17 Abs. 1 und 2 zu informieren.

(5) Nach dieser Bestimmung ist Familienangehöriger, wer Elternteil eines minderjährigen Kindes, Ehegatte oder zum Zeitpunkt der Antragstellung minderjähriges lediges Kind eines Fremden ist, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten zuerkannt wurde, sofern die Ehe bei Ehegatten bereits vor der Einreise des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten bestanden hat; dies gilt weiters auch für eingetragene Partner, sofern die eingetragene Partnerschaft bereits vor der Einreise des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten bestanden hat.“

„Allgemeine Erteilungsvoraussetzungen

„§ 60 (1) […]

(2) Aufenthaltstitel gemäß § 56 dürfen einem Drittstaatsangehörigen nur erteilt werden, wenn

1.       der Drittstaatsangehörige einen Rechtsanspruch auf eine Unterkunft nachweist, die für eine vergleichbar große Familie als ortsüblich angesehen wird,

2.       der Drittstaatsangehörige über einen alle Risiken abdeckenden Krankenversicherungsschutz verfügt und diese Versicherung in Österreich auch leistungspflichtig ist,

3.       der Aufenthalt des Drittstaatsangehörige zu keiner finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft (§ 11 Abs. 5 NAG) führen könnte, und

(3) […]“

2. Der VwGH führt in seinen Erkenntnissen vom 01.03.2016, Ro 2015/18/20002 bis 0007, aus, dass für das geltende Recht, das Anträge auf internationalen Schutz aus dem Ausland sachlich begründbar nicht mehr kennt, entsprechend den Vorgaben des VfGH sicherzustellen ist, dass über den Antrag auf Erteilung des Einreisetitels eines Familienangehörigen des in Österreich befindlichen Schutzberechtigten in einem rechtsstaatlich einwandfreien Verfahren entschieden wird und insbesondere auch Gesichtspunkte des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechts auf Familienleben nach Art. 8 EMRK berücksichtigt werden. Diesen Erfordernissen kann im geltenden Recht aber auch ohne Zulassung eines Antrags auf internationalen Schutz aus dem Ausland entsprochen werden.

Dazu hält der VwGH zunächst fest, dass der in § 35 Abs. 4 AsylG 2005 angeordnete Beweismaßstab, nach dem das BFA zu beurteilen hat, ob es eine positive oder negative Mitteilung abgibt, für sich betrachtet rechtsstaatlich nicht bedenklich erscheint. Da das Gesetz vorsieht, dass eine positive Mitteilung des BFA schon dann zu ergehen hat, wenn die Gewährung von internationalem Schutz bloß wahrscheinlich ist, bedeutet dies im Umkehrschluss, dass eine negative Prognose nur dann erfolgen darf, wenn die Gewährung dieses Schutzes in einem nach Einreise in Österreich zu führenden Asylverfahren nicht einmal wahrscheinlich ist; Gewissheit darüber, dass dem Antragsteller internationaler Schutz in Österreich gewährt werden wird, erfordert die Erteilung einer Einreiseerlaubnis hingegen nicht.

Um somit die Einreiseerlaubnis nach Österreich zu erhalten, muss der Antragsteller lediglich die niedrigere Beweisschwelle der Wahrscheinlichkeit einer künftigen Gewährung internationalen Schutzes überspringen. Schon dann steht ihm die Möglichkeit offen, in das Bundesgebiet einzureisen und dort ein Familienverfahren nach § 34 AsylG 2005 - mit allen Verfahrensgarantien - zu absolvieren. Dass § 35 Abs. 4 AsylG 2005 die Vergabe eines Visums an die Wahrscheinlichkeit der Gewährung internationalen Schutzes im künftigen Asylverfahren bindet, erscheint unter diesem Blickwinkel mit dem rechtsstaatlichen Prinzip somit nicht im Widerspruch zu stehen.

Mit dem Fremdenbehördenneustrukturierungsgesetz – FNG, BGBl. I Nr. 87/2012, wurde in § 9 Abs. 3 FPG 2005 jedoch für Fremde (ohne Unterschied) die Möglichkeit geschaffen, gegen ablehnende Entscheidungen der österreichischen Vertretungsbehörden in Visaangelegenheiten Beschwerde an das BVwG zu erheben; dies gilt auch für die Ablehnung eines Einreisetitels nach § 35 AsylG 2005. Das Gesetz sieht nun ein geschlossenes Rechtsschutzsystem vor, in dem das Zusammenwirken zweier Behörden (der unmittelbaren Bundesverwaltung), wie es in § 35 Abs. 4 AsylG 2005 angeordnet wird, vor einem gemeinsamen, zuständigen Verwaltungsgericht, nämlich dem BVwG, angefochten und dort überprüft werden kann. Dabei steht es dem BVwG offen, auch die Einschätzung des BFA über die Wahrscheinlichkeit der Gewährung internationalen Schutzes an den Antragsteller auf ihre Richtigkeit hin zu überprüfen, was voraussetzt, dass das BFA seine Mitteilung auch entsprechend begründet und dem Antragsteller Gelegenheit geboten wird, davon Kenntnis zu erlangen und dazu Stellung nehmen zu können. Wird dieses Parteiengehör nicht gewährt, könnte einem bestreitenden Vorbringen des Antragstellers in der Beschwerde an das BVwG gegen eine abweisende Entscheidung in Bezug auf den Einreisetitel nach § 35 AsylG 2005 das Neuerungsverbot nach § 11a Abs. 2 FPG 2005 nicht entgegengehalten werden (vgl. auch VwGH vom 04.08.2016, Ra 2016/21/0083 bis 0086-12).

Hinzu kommt, dass der VfGH in seiner jüngeren Rechtsprechung bereits wiederholt gefordert hat, im Visaverfahren nach § 35 AsylG 2005 auch die Einhaltung des Art. 8 EMRK zu berücksichtigen und sicherzustellen (vgl. insbesondere auch VfGH vom 06.06.2014, B 369/2013, und vom 23.11.2015, E 1510-1511/2015-15).

3. Im vorliegenden Fall wurde am 02.05.2019 eine erste negative Wahrscheinlichkeitsprognose des BFA erlassen. Aus der beiliegenden Stellungnahme geht hervor, dass aufgrund einzelner widersprüchlicher Angaben, aber auch aufgrund der vorgelegten Dokumente, Zweifel an der Familienangehörigeneigenschaft des BF bestünden. Diese Mitteilung wurde dem BF mit Aufforderung zur Stellungnahme vom 02.05.2019 zur Kenntnis gebracht und erstattete er am 09.05.2019 hierzu eine Stellungnahme. In weiterer Folge erfolgte im August 2019 eine DNA-Analyse, mit der das behauptete Angehörigenverhältnis zweifelsfrei nachgewiesen wurde. Aus diesem Grund erließ das BFA am 20.09.2019 eine zweite negative Wahrscheinlichkeitsprognose, in der ausgeführt wurde, dass die Angaben des BF in mehrfacher Hinsicht den Angaben der Bezugsperson widersprechen würde und daher das Bestehen eines aufrechten Familienlebens angezweifelt werde. Der Ausnahmetatbestand des § 35 Abs. 4 Z 3 AsylG 2005 greife im gegenständlichen Fall nicht.

Diese zweite Wahrscheinlichkeitsprognose und die zugrundeliegende Begründung der Stellungnahme des BFA wurde dem BF allerdings nicht zur Kenntnis gebracht, sondern am 24.09.2019 auf Basis der Wahrscheinlichkeitsprognose vom 20.09.2019 der gegenständliche Bescheid erlassen. Dem BF wurde daher nicht zur Kenntnis gebracht, aufgrund welcher Erwägungen das BFA in seiner Prognose nicht von einem bestehenden Familienleben ausging, und wurde ihm tatsächlich keine Möglichkeit eingeräumt, zur Beweiswürdigung des BFA zielgerichtet Stellung zu nehmen.

Ein Antragsteller muss jedoch in die Lage versetzt werden, auch zur Einschätzung des BFA über die Wahrscheinlichkeit der Gewährung internationalen Schutzes ein zweckentsprechendes, zielgerichtetes Vorbringen zu erstatten. Dazu wird er regelmäßig nur dann in der Lage sein, wenn ihm die Gründe für die Einschätzung des BFA im Verfahren hinreichend genau dargelegt werden. Nachdem sich die erste negative Wahrscheinlichkeitsprognose nach Durchführung der DNA-Analyse als weitgehend gegenstandslos erwies, hätte dem BF daher zu der neuen Prognose, die schließlich auch die Grundlage für den Bescheid der ÖB Islamabad bildete, Parteiengehör eingeräumt werden müssen. Der Beschwerde ist somit insofern stattzugeben, als dem BF seitens der ÖB Islamabad mangels ausreichendem Parteiengehör keine Möglichkeit zur Abgabe einer umfassenden, abschließenden Stellungnahme gemäß § 11 Abs. 1 letzter Satz FPG 2005 eingeräumt wurde.

4. Im fortgesetzten Verfahren hat die belangte Behörde dem BF vor Bescheiderlassung Gelegenheit zur Abgabe einer abschließenden Stellungnahme zu allen entscheidungsrelevanten Fragen einzuräumen, dies unter der Prämisse, dass die vorgehaltenen Bedenken auch für den BF näher ausgeführt und inhaltlich ausreichend nachvollziehbar begründet werden.

Hierzu ist darauf hinzuweisen, dass im gegenständlichen Fall die Voraussetzungen gemäß § 60 Abs. 2 Z 1 und 3 nicht nachgewiesen wurden, da – im Hinblick auf die Einkommenssituation der Bezugsperson - der Aufenthalt des BF zu einer finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft führen könnte (§ 11 Abs. 5 NAG).

Gemäß § 35 Abs. 4 Z 3 AsylG 2005 gilt jedoch, dass der Einreise zwecks Stellung eines Antrages auf internationalen Schutz im Rahmen der Familienzusammenführung trotz Nichterfüllens der Erteilungsvoraussetzungen auch dann stattzugeben ist, wenn dies zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens „dringend geboten“ erscheint.

Im fortgesetzten Verfahren wird die Behörde daher nähere Ermittlungen zur Frage, wie sich das Familienleben zwischen dem BF und der Bezugsperson in den letzten Jahren gestaltet hat, anzustellen haben. Insbesondere wird hier die Frage zu klären sei, welche Anstrengungen vom BF nach seiner Flucht unternommen wurden, um seine (zu diesem Zeitpunkt offenbar noch in Afghanistan aufhältige) Familie zu kontaktieren. Auch eine mögliche Familiensuche über das Rote Kreuz oder andere Hilfsorganisationen werden zu thematisieren sein. Dem BF und der Bezugsperson werden die sich aus ihren Aussagen ergebenden Widersprüche (eventuell im Rahmen einer weiteren Einvernahme des BF und der Bezugsperson) zur Kenntnis zu bringen und ihnen Gelegenheit zu geben sein, dazu Stellung zu nehmen. Schließlich wird, angesichts der sich aus dem Akt ergebenden lückenhaften Kenntnis von den Lebensumständen des jeweils anderen, zu klären sein, wie sich das Familienleben des BF und der Bezugsperson seit der Wiederherstellung des Kontaktes gestaltet. Nur auf Basis dieser Ermittlungen wird abschließend beurteilt werden können, ob und in welcher Intensität ein Familienleben vorliegt, um im Anschluss eine Abwägung iSd Art. 8 EMRK treffen zu können.

Zwar ist darauf hinzuweisen, dass das Grundrecht auf Privat- und Familienleben nicht absolut verbürgt ist und Aspekten des wirtschaftlichen Wohls eines Landes durchaus ein hoher Stellenwert zukommen kann – so hat insbesondere auch der EuGH in seinem Urteil vom 21.04.2016, in der Rechtssache C-558/14 ausgesprochen, dass Anträge auf Familienzusammenführung wegen prognostizierter nicht ausreichender Einkünfte abgelehnt werden können – dennoch wird das BFA das öffentliche Interesse am wirtschaftlichen Wohl des Landes jedenfalls mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen gewichtend abwiegen müssen.

Eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen und eine in weiterer Folge vorzunehmende Beurteilung darüber, ob die Einreise des BF zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens „dringend geboten“ erscheint, wird aber erst dann möglich sein, wenn die Behörde hinreichende Feststellungen bezüglich des Ehe- und Familienlebens zwischen dem BF und der Bezugsperson getroffen haben wird und sohin auf alle Umstände des Einzelfalls Bedacht genommen werden kann.

Das Bundesverwaltungsgericht weist noch auf die Spezifika und die verfahrensrechtlichen Einschränkungen (siehe § 11a FPG) des gegenständlichen Beschwerdeverfahrens hin, weshalb die Durchführung der notwendigen Ermittlungen zum Ehe- und Familienleben nicht im Interesse der Effizienz, Raschheit und Kostenersparnis durch dieses selbst durchgeführt werden können.

5. Gemäß § 11a Abs. 2 FPG war das Beschwerdeverfahren ohne mündliche Verhandlung durchzuführen.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

In den rechtlichen Ausführungen zu Spruchteil A) wurde ausgeführt, dass die Feststellung des entscheidungswesentlichen Sachverhalts durch das Bundesverwaltungsgericht selbst im Rahmen des Beschwerdeverfahrens in Visaangelegenheiten nicht im Interesse der Raschheit und der Kostenersparnis gelegen ist. Im Übrigen trifft § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG eine klare, im Sinne einer eindeutigen, Regelung (vgl. OGH 22.03.1992, 5Ob105/90), weshalb keine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung vorliegt.


Schlagworte

Aufenthaltstitel Behebung der Entscheidung Ermittlungspflicht Kassation mangelnde Sachverhaltsfeststellung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W241.2227680.1.00

Im RIS seit

19.11.2020

Zuletzt aktualisiert am

19.11.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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