TE Vwgh Beschluss 2020/10/22 Ra 2020/14/0456

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Veröffentlicht am 22.10.2020
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Index

24/01 Strafgesetzbuch
41/02 Passrecht Fremdenrecht
49/01 Flüchtlinge

Norm

AsylG 2005 §6 Abs1 Z4
FlKonv Art33 Abs2
StGB §130

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Thienel, den Hofrat Mag. Eder und die Hofrätin Mag. Schindler als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Gnilsen, in der Revisionssache des A B, vertreten durch Greiml & Horwath Rechtsanwaltspartnerschaft in 8010 Graz, Conrad-von-Hötzendorf-Straße 6, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 11. August 2020, G311 2134359-3/14E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        Der (im Jahr 1993 geborene) Revisionswerber, ein Staatsangehöriger des Kosovo und Angehöriger der Volksgruppe der Albaner, stellte - damals vertreten durch seine Mutter - am 15. September 1998 einen Antrag auf internationalen Schutz. Mit Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenats vom 27. April 1999 wurde dem Revisionswerber der Status des Asylberechtigten gewährt und festgestellt, dass ihm kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukomme.

2        Mit Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 6. Februar 2019 wurde dem Revisionswerber der Status des Asylberechtigten gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) aberkannt und festgestellt, dass ihm gemäß § 7 Abs. 4 AsylG 2005 die Flüchtlingseigenschaft kraft Gesetzes nicht mehr zukomme. Unter einem wurde dem Revisionswerber der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zuerkannt, ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt, eine Rückkehrentscheidung und ein unbefristetes Einreiseverbot erlassen, sowie festgestellt, dass die Abschiebung in den Kosovo zulässig sei. Die Frist für die freiwillige Ausreise legte die Behörde mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest.

3        Mit dem angefochtenen Erkenntnis gab das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) - nach Durchführung einer Verhandlung - der Beschwerde insofern Folge, als es die Dauer des Einreiseverbotes auf neun Jahre befristete. Im Übrigen wies es die Beschwerde mit der Maßgabe als unbegründet ab, dass sich „die Aberkennung des internationalen Schutzes sowohl auf § 7 Abs. 1 Z 1 als auch Z 2 AsylG 2005“ stütze. Weiters sprach es aus, dass eine Revision nach Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

4        Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

5        Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

6        Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

7        Der Revisionswerber bringt zur Zulässigkeit der Revision vor, es fehle Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage, ob eine Verurteilung wegen absichtlich schwerer Körperverletzung mit schweren Dauerfolgen sowie wegen des Verbrechens des schweren Einbruchdiebstahls als besonders schweres Verbrechen zu werten sei, was wiederum eine Voraussetzung für das Vorliegen des Aberkennungstatbestandes des § 6 Abs. 1 Z 4 AsylG 2005 sei. Außerdem gebe es keine einheitliche Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, ob es eine unmenschliche Behandlung im Sinn des Art. 3 EMRK darstelle, wenn der Revisionswerber in ein Land ausgewiesen werde, dessen Landessprache er nicht spreche und wo er weder über einen festen Wohnsitz noch soziale Kontakte verfüge. Die Ausweisung würde zu einer extremen Notlage führen, was eine unmenschliche Behandlung im Sinn des Art. 3 EMRK darstelle.

8        Gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 ist der Status des Asylberechtigten einem Fremden von Amts wegen mit Bescheid abzuerkennen, wenn ein Asylausschlussgrund nach § 6 AsylG vorliegt. Das BVwG stützte die Aberkennung des Status des Asylberechtigten primär auf den Ausschlussgrund des Vorliegens einer rechtskräftigen Verurteilung wegen eines besonders schweren Verbrechens und der daraus resultierenden Gefahr für die Gemeinschaft (§ 7 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 iVm § 6 Abs. 1 Z 4 AsylG 2005). Die Gemeingefährlichkeit des Revisionswerbers ergebe sich aus seinen zahlreichen Straftaten (massive Kriminalität gegen fremdes Eigentum, strafbare Handlungen gegen Leib und Leben), für die er insgesamt neun Mal, zuletzt im Jänner 2018, verurteilt worden sei, den damit einhergehenden überwiegenden öffentlichen Interessen an der Verhinderung weiterer strafbarer Handlungen im Bundesgebiet, und einer vom BVwG näher begründeten negativen Zukunftsprognose.

9        Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes fallen unter den Begriff des „besonders schweren Verbrechens“ im Sinn von § 6 Abs. 1 Z 4 AsylG 2005 nur Straftaten, die objektiv besonders wichtige Rechtsgüter verletzen. Typischerweise schwere Verbrechen sind etwa Tötungsdelikte, Vergewaltigung, Kindesmisshandlung, Brandstiftung, Drogenhandel, bewaffneter Raub und dergleichen (vgl. VwGH 29.8.2019, Ra 2018/19/0522, mwN), wobei der Verwaltungsgerichtshof bereits festgehalten hat, dass es sich dabei um eine demonstrative und daher keineswegs abschließende Aufzählung von Delikten in Zusammenhang mit Art. 33 Abs. 2 GFK handelt (vgl. VwGH 18.10.2018, Ra 2017/19/0109, mwN).

10       Es genügt aber nicht, wenn ein abstrakt als „schwer“ einzustufendes Delikt verübt worden ist. Die Tat muss sich im konkreten Einzelfall als objektiv und subjektiv besonders schwerwiegend erweisen. Bei der Beurteilung, ob ein „besonders schweres Verbrechen“ vorliegt, ist daher eine konkrete fallbezogene Prüfung vorzunehmen und es sind insbesondere die Tatumstände zu berücksichtigen. Lediglich in gravierenden Fällen schwerer Verbrechen ist bereits ohne umfassende Prüfung der einzelnen Tatumstände eine eindeutige Wertung als schweres Verbrechen mit negativer Zukunftsprognose zulässig (vgl. etwa VwGH 23.3.2020, Ra 2019/14/0334, mwN).

11       Weiters entspricht es der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, dass auch im Fall einer Vielzahl einschlägiger rechtskräftiger Verurteilungen und insofern verhängter, beträchtlicher und überwiegend unbedingter Freiheitsstrafen, die verwirklichten Delikte in einer Gesamtbetrachtung als „besonders schweres Verbrechen“ qualifiziert werden können (vgl. wiederum VwGH 18.10.2018, Ra 2017/19/0109, mwN).

12       Der zum Entscheidungszeitpunkt 27-jährige Revisionswerber wurde bereits im Alter von dreizehn Jahren straffällig und im Alter von vierzehn Jahren das erste Mal strafgerichtlich verurteilt. Insgesamt wurde er aufgrund von neun strafgerichtlichen Verurteilungen zu (unbedingten) Freiheitsstrafen im Ausmaß von etwa zehn Jahren verurteilt. Zuletzt erfolgte eine Verurteilung wegen des Verbrechens der absichtlich schweren Körperverletzung mit schweren Dauerfolgen sowie wegen des Vergehens des schweren Diebstahls durch Einbruch zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten. Das BVwG traf nähere Feststellungen zu den verübten Straftaten und berücksichtigte auch die relevanten Tatumstände des zuletzt verübten Verbrechens, darunter die vom Revisionswerber wahrgenommene Beeinträchtigung seines Opfers durch Alkohol und Suchtmittel, dass ihm als Boxer die Wucht seines Schlages und die möglichen Folgen bewusst waren sowie dass er, ohne angegriffen worden zu sein und ohne anzunehmen, er werde angegriffen, ansatzlos, bewusst und gewollt mit voller Wucht zuschlug, wobei es ihm darauf ankam, dem Opfer eine schwere und mit schweren Dauerfolgen verbundene Körperverletzung zuzufügen. Die Revision zeigt nicht auf, dass das BVwG, wenn es das Vorliegen eines „besonders schweren Verbrechens“ bejahte, von den Leitlinien der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen wäre.

13       Überdies ist darauf hinzuweisen, dass das BVwG die Aberkennung von Asyl nicht ausschließlich auf den Ausschlussgrund nach § 7 Abs. 1 Z 1 in Verbindung mit § 6 Abs. 1 Z 4 AsylG 2005, sondern alternativ auf § 7 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 stützte, wogegen sich die Revision in der Zulässigkeitsbegründung nicht wendet. Beruht ein angefochtenes Erkenntnis aber auf einer tragfähigen Alternativbegründung und wird im Zusammenhang damit - wie im vorliegenden Fall - keine Rechtsfrage im Sinn von Art. 133 Abs. 4 B-VG aufgezeigt, so ist die Revision unzulässig (vgl. VwGH 24.6.2020, Ra 2020/14/0188, mwN).

14       Soweit der Revisionswerber in der Zulässigkeitsbegründung vorbringt, seine Ausweisung würde zu einer extremen Notlage führen, was eine unmenschliche Behandlung im Sinn des Art. 3 EMRK darstelle, ist auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu verweisen, nach der bei der Beurteilung in Bezug auf Art. 3 EMRK eine Einzelfallprüfung vorzunehmen ist, in deren Rahmen konkrete und nachvollziehbare Feststellungen zu der Frage zu treffen sind, ob einer Person im Fall der Rückkehr in ihren Herkunftsstaat die reale Gefahr („real risk“) einer gegen Art. 3 EMRK verstoßenden Behandlung droht. Es bedarf einer ganzheitlichen Bewertung der möglichen Gefahren, die sich auf die persönliche Situation des Betroffenen in Relation zur allgemeinen Menschenrechtslage im Zielstaat zu beziehen hat. Die Außerlandesschaffung eines Fremden in den Herkunftsstaat kann auch dann eine Verletzung von Art. 3 EMRK bedeuten, wenn der Betroffene dort keine Lebensgrundlage vorfindet, also die Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz (bezogen auf den Einzelfall) nicht gedeckt werden können. Eine solche Situation ist nur unter exzeptionellen Umständen anzunehmen. Die bloße Möglichkeit einer durch die Lebensumstände bedingten Verletzung des Art. 3 EMRK reicht nicht aus. Vielmehr ist es zur Begründung einer drohenden Verletzung von Art. 3 EMRK notwendig, detailliert und konkret darzulegen, warum solche exzeptionellen Umstände vorliegen. Eine solche einzelfallbezogene Beurteilung ist im Allgemeinen - wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde - nicht revisibel (vgl. VwGH 7.7.2020, Ra 2020/14/0236, mwN).

15       Mit ihren pauschal gehaltenen Zulässigkeitsausführungen legt die Revision nicht dar, dass solche exzeptionellen Umstände vorlägen, die eine Verletzung der nach Art. 3 EMRK garantierten Rechte des Revisionswerbers bewirken würden. Mit dem Vorbringen, wonach der Revisionswerber die Landessprache nicht beherrsche, entfernt sich die Revision darüber hinaus vom festgestellten Sachverhalt, wonach der Revisionswerber zumindest über solche Kenntnisse der albanischen Sprache verfügt, dass er sich im Kosovo verständigen kann (vgl. zum Nichtvorliegen einer Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung bei einer Entfernung vom festgestellten Sachverhalt etwa VwGH 27.5.2020, Ra 2019/14/0394, mwN).

16       In der Revision werden sohin keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Sie war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.

Wien, am 22. Oktober 2020

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020140456.L00

Im RIS seit

09.12.2020

Zuletzt aktualisiert am

09.12.2020
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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