TE OGH 2020/9/28 8Ob77/20m

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Veröffentlicht am 28.09.2020
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Tarmann-Prentner und Mag. Korn, den Hofrat Dr. Stefula und die Hofrätin Mag. Wessely-Kristöfel als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei K* R*, vertreten durch MMag. Dr. Florian Striessnig, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei A* N*, vertreten durch Schmidtmayr, Sorgo, Wanke Rechtsanwälte OG in Wien, wegen Feststellung und Anfechtung (Wert des Interesses: 35.000 EUR), über den Revisionsrekurs der beklagten Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Rekursgericht vom 25. Juni 2020, GZ 11 R 75/20k-23, mit dem der Beschluss des Landesgerichts Krems an der Donau vom 13. März 2020, GZ 3 Cg 35/19p-19, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen die mit 2.197,80 EUR (darin 366,30 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsrekursbeantwortung zu ersetzen.

Text

Begründung:

Der Kläger ist bzw war (vor seinem Ausschluss, dessen Nichtigkeit er unter anderem mit der Klage festgestellt haben will) Mitglied des beklagten Vereins.

Die Statuten des Beklagten sehen in ihrem § 17 vor, dass in allen aus dem Vereinsverhältnis entstehenden Streitigkeiten ein Schiedsgericht zu entscheiden hat, das sich aus vier ordentlichen Vereinsmitgliedern zusammensetzt. Jeder Streitteil hat dazu innerhalb von zehn Tagen dem Vorstand zwei Schiedsrichter/innen namhaft zu machen, die wiederum mit einfacher Stimmenmehrheit einen Vorsitzenden zu wählen haben.

Am 1. 3. 2019 erhob der Kläger schriftlich ein als Schiedsklage formuliertes Begehren beim Vorstand der Beklagten, mit dem er zusammengefasst anstrebt, die in den Mitgliederversammlungen der Beklagten vom September, November und Dezember 2018 gefassten Beschlüsse für nichtig, in eventu für rechtsunwirksam zu erklären. Gleichzeitig nominierte er seine damalige Ehefrau und seine frühere Lebensgefährtin als Schiedsrichterinnen aus dem Kreis der ordentlichen Vereinsmitglieder.

Der Beklagte verweigerte die Einlassung in das vom Kläger begehrte Verfahren und lehnte die nominierten Schiedsrichterinnen als ausgeschlossen bzw befangen ab. Sie machte keine eigenen Schiedsrichter namhaft.

Das Erstgericht wies die am 6. 9. 2019 eingebrachte Klage wegen Unzulässigkeit des Rechtswegs zurück. Die Einleitung des in § 8 Abs 1 VerG 2002 vorgesehenen Schlichtungsverfahrens und der Ablauf der darin genannten Fristen sei Voraussetzung für die sukzessive Kompetenz der ordentlichen Gerichte. Eine wirksame Anrufung der Schlichtungsstelle erfordere die in den Statuten vorgesehene Mitwirkung an der Konstituierung des Gremiums. Die Nominierung von offenkundig nicht unbefangenen oder ausgeschlossenen Schiedsrichtern erfülle diese Voraussetzung nicht.

Das Rekursgericht gab dem Rechtsmittel des Klägers Folge und trug dem Erstgericht die Fortsetzung des Verfahrens unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund auf.

Bei der Beurteilung der Mitwirkungsobliegenheit müsse zwischen der statutengemäßen Nominierung von Schiedsrichtern und der Frage ihrer Befangenheit unterschieden werden. Grundsätzlich werde die Frist nach § 8 Abs 2 VerG 2002 bereits durch die statutengemäße Namhaftmachung ausgelöst, sofern nicht eine absolut untaugliche Person nominiert wurde.

Das Rekursgericht erklärte den ordentlichen Revisionsrekurs für zulässig, weil die Rechtsfrage, ob bei Nominierung eines ausgeschlossenen oder befangenen Schiedsrichters eine wirksame Anrufung der Schlichtungseinrichtung im Sinne des § 8 Abs 1 VerG 2002 vorliegt, soweit überblickbar in der höchstgerichtlichen Rechtsprechung noch nicht behandelt wurde.

Rechtliche Beurteilung

Der gegen diese Entscheidung erhobene, vom Kläger beantwortete Revisionsrekurs des Beklagten ist aus den vom Rekursgericht ausgeführten Gründen gemäß § 528 Abs 1 ZPO zulässig. Der Revisionsrekurs ist jedoch nicht berechtigt.

1. Gemäß § 8 Abs 1 VerG 2002 haben die Statuten eines Vereins vorzusehen, dass Streitigkeiten aus dem Vereinsverhältnis vor einer Schlichtungseinrichtung auszutragen sind. Sofern das Verfahren vor der Schlichtungseinrichtung nicht früher beendet ist, steht für Rechtsstreitigkeiten erst nach Ablauf von sechs Monaten seit Anrufung der Schlichtungseinrichtung der ordentliche Rechtsweg offen. Wird dieses Verfahren nicht eingehalten, so steht einer dennoch eingebrachten Klage die Unzulässigkeit des Rechtswegs entgegen (RS0114603 [T3, T9, T10]).

2. Bei einer Schlichtungseinrichtung gemäß §§ 3, 8 VerG 2002 handelt es sich um kein Schiedsgericht iSd §§ 577 ff ZPO, sondern um eine Einrichtung, die eine außergerichtliche Beilegung von Vereinsstreitigkeiten anstrebt. Eine „Entscheidung“ der Schlichtungseinrichtung hat keine Bindungswirkung, sondern die Wirkung eines Vorschlags, dessen Umsetzung den Parteien bzw den dazu berufenen Vereinsorganen vorbehalten bleiben muss (§ 577 Abs 4 ZPO; Pondorfer in Schopper/Weilinger, VereinsG § 8 Rz 69, 70).

3. Im Anlassfall enthalten die Statuten des Beklagten keine Bestimmungen über eine Schlichtungseinrichtung. Der nur knapp formulierte § 17 bezieht sich auf die Bildung eines Schiedsgerichts, das im Sinn des § 577 ZPO mit Entscheidungsbefugnis ausgestattet sein soll. Dieser wegen Fehlens einer Regelung gemäß § 8 Abs 1 VerG 2002 vorliegende Mangel schadet aber insoweit nicht, als unklare oder eine mehrfache Deutung zulassende Bestimmungen in Vereinsstatuten in vernünftiger und billiger Weise so auszulegen sind, dass ihre Anwendung im Einzelfall brauchbare und vernünftige Ergebnisse zeitigt (RS0008816 7 Ob 274/07f; 6 Ob 179/08d; 6 Ob 280/08g). Dazu gehört es auch, ihnen nach Möglichkeit ein Verständnis beizulegen, mit dem sie den Erfordernissen des § 8 VerG 2002 entsprechen (6 Ob 194/09m). Ein „Schiedsgericht“, das mangels wirksamer schriftlicher Schiedsvereinbarung (deren Vorliegen hier im Verfahren gar nicht behauptet wurde) oder auch mangels einer gemäß § 582 Abs 1 ZPO schiedsfähigen Streitigkeit (hier: mangels Vergleichsfähigkeit des Streitgegenstands zwischen den Parteien) nicht tätig werden kann, ist als Schlichtungseinrichtung iSd § 8 Abs 1 VerG 2002 zu werten (RS0121457; 2 Ob 117/13i). Ein solches Verständnis der vorliegenden Statutenbestimmung, von dem die Vorinstanzen erkennbar ausgegangen sind, wird auch im Revisionsrekurs nicht in Frage gestellt.

4. Dem nach § 8 Abs 1 VerG 2002 obligatorischen Schlichtungsverfahren liegt nach den Materialien – neben einer Entlastung der ordentlichen Gerichte (vgl 4 Ob 146/07k) – die Überlegung zugrunde, dass Vereinsverhältnisse oft Sonderbeziehungen darstellen, die es angebracht erscheinen lassen, die Vereinsmitglieder vor der Anrufung eines Gerichts zu einer außergerichtlichen Streitbeilegung anzuhalten. Kommt es zu keiner Beendigung des Schlichtungsverfahrens innerhalb einer Frist von sechs Monaten ab Anrufung, kann jedenfalls das Gericht angerufen werden, um eine unerwünschte Verzögerung des effektiven Rechtsschutzes zu vermeiden (ErlRV 990 BlgNR 21. GP 28).

5. Nach der Rechtsprechung ist unter „Anrufung“ der Schlichtungseinrichtung iSd § 8 VerG 2002 der nach den Statuten erste konkrete, erforderlichenfalls auch unter Namhaftmachung von Schlichtern gestellte Antrag auf Konstituierung der Schlichtungseinrichtung zu werten. Weitere Überprüfungen des Verhaltens der Streitteile sind im Rahmen der Prüfung der Zulässigkeit des Rechtswegs grundsätzlich nicht gefordert (8 Ob 78/06p; 8 Ob 138/08i; Hargassner, Handbuch für Vereinsfunktionäre, 152; Pondorfer aaO Rz 45).

Um die Gesetzesintention, der internen Streitbeilegung unter den Vereinsmitgliedern Vorrang zu gewähren, nicht zu vereiteln, muss der Antrag in jenen Fällen, in denen die Schlichtungseinrichtung nach den Vereinsstatuten erst im Anlassfall von den Streitparteien zu konstituieren ist, darüber hinaus auch die nach den Statuten jeweils erforderliche Mitwirkung des Antragstellers an der Konstituierung dieser Einrichtung umfassen. Die Anrufung der Einrichtung ohne die Statuten gemäß Benennung der Schlichter löst die sechsmonatige Frist des § 8 Abs 1 VerG 2002 noch nicht aus (8 Ob 78/06p).

Das Rekursgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass als absolut ungeeignet nur solche Kandidaten anzusehen sind, denen es an statutengemäß erforderlichen objektiven Eigenschaften mangelt (zB Vereinsmitgliedschaft) oder die selbst als Antragsteller oder Antragsgegner Partei des beabsichtigten Verfahrens sind. Der Ansicht, dass die vom Kläger namhaft gemachten Schlichterinnen schon wegen des familiären Verhältnisses und bestehender eigener Interessen am Verfahrensausgang als absolut untauglich anzusehen wären, ist nicht zu folgen. Der Umstand, dass eine der namhaft gemachten Personen ein eigenes rechtliches Interesse am Obsiegen des Klägers hätte, begründet nicht ihre Parteistellung. Die subjektive Befangenheit aufgrund eines persönlichen bzw familiären Naheverhältnisses bewirkt allenfalls eine relative Untauglichkeit im Einzelfall.

6. Auseinandersetzungen der Streitparteien über die Befangenheit von nominierten Schlichtern können daher nicht den Beginn der Frist nach § 8 Abs 1 VerG 2002 hinausschieben, sondern sind Teil des Schlichtungsverfahrens. Nach welchen Kriterien und Methoden darüber in Ermangelung einer statutarischen Verfahrensregel zu entscheiden wäre, kann hier dahingestellt bleiben.

Die festgestellte Situation ist mit der Geltendmachung von Befangenheits- oder Ausschlussgründen im Gerichts- oder Schiedsverfahren nur sehr entfernt vergleichbar, weil im Rahmen der Schlichtung keine durchsetzbaren Entscheidungen getroffen werden können. Das angstrebte Erzielen eines Kompromisses ist nicht von der strikten Neutralität der Verhandelnden abhängig. Die Äquidistanz der Schlichter zu den Streitparteien wird bei einem Bestellungsmodus wie dem hier vorgesehenen durch die paritätische Beschickung gewährleistet. Bei dieser Methode ist es aber systemimmanent, dass jede Streitpartei eigene Vertrauenspersonen auswählt, von denen sie sich die Vertretung ihrer Anliegen erwartet. Diese Zusammensetzung bewirkt, dass den Standpunkten beider Seiten im Schlichtungsverfahren gleichmäßig Gehör verschafft werden kann.

7. Den Ausführungen des Revisionsrekurses, die im Gegensatz dazu von einer Entscheidungsbefugnis der Schlichtungseinrichtung ausgeht und daraus mit Vergleichen zum gerichtlichen Verfahren Ansprüche an die Zusammensetzung des Gremiums ableiten, ist daher nicht zu folgen. Ebensowenig kann nach dem vorliegenden Sachverhalt davon die Rede sein, dass der Antragsteller es durch Nominierung der von der Gegenseite für inakzeptabel erachteten Personen darauf angelegt hätte, die vereinsinterne Schlichtung zu umgehen. Es stand dem Beklagten frei, ebenfalls Personen seines Vertrauens in die Einrichtung zu entsenden, die seinen Interessen Gehör verschafft hätten.

8. Die Rechtsauffassung des Revisionsrekurses und des Erstgerichts würde zu dem Ergebnis führen, dass zwar die ordentlichen Gerichte im Rahmen der sukzessiven Kompetenz nicht in der Sache angerufen werden könnten, aber gezwungen wären, lediglich zur Klärung der Rechtswegzulässigkeit über behauptete Befangenheitsgründe der Mitglieder der Schlichtungseinrichtung – unter Umständen auch mehrmals – zu verhandeln und zu entscheiden. Dieses Ergebnis wäre weder mit dem Gesetzeszweck des § 8 Abs 1 VerG 2002 vereinbar, einen Vorrang der vereinsinternen Konfliktlösung zu schaffen, noch mit den Zwecken der Gerichtsentlastung und der Gewährung eines effizienten Rechtsschutzes bei überlanger Dauer des Schlichtungsverfahrens.

9. Der Kläger hat mit dem am 1. 3. 2019 gestellten Verlangen nach Einrichtung eines „Schiedsgerichts“ und Nennung zweier „Schiedsrichterinnen“ aus dem Kreis der ordentlichen Mitglieder des Beklagten alle nach den Statuten erforderlichen Schritte zur Einleitung des Schlichtungsverfahres unternommen. Für die nach Ablauf von sechs Monaten beim Erstgericht erhobene Klage ist daher der Rechtsweg zulässig.

Dem Revisionsrekurs des Beklagten war daher keine Folge zu geben. Die Entscheidung über die Kosten des Zwischenstreits stützt sich auf §§ 41, 50 und 52 ZPO.

Textnummer

E129754

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2020:E129754

Im RIS seit

19.11.2020

Zuletzt aktualisiert am

04.02.2022
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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