TE Bvwg Erkenntnis 2020/7/17 I414 2232951-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 17.07.2020
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Entscheidungsdatum

17.07.2020

Norm

BFA-VG §18 Abs2 Z1
BFA-VG §21 Abs7
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
EMRK Art8
FPG §31 Abs1
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs1 Z2
FPG §52 Abs6
FPG §52 Abs9
FPG §53 Abs1
FPG §53 Abs2 Z6
FPG §55 Abs1a
VwGVG §24 Abs2 Z1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2
VwGVG §28 Abs5

Spruch

I414 2232951-1/6E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Christian EGGER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , StA. BOSNIEN UND HERZEGOWINA, vertreten durch RA Mag. Stefan ERRATH gegen den Bescheid des BFA, Regionaldirektion Wien (BAW) vom 08.06.2020, Zl. XXXX , zu Recht erkannt:

A) Der Beschwerde wird stattgegeben und der angefochtene Bescheid behoben.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer trat erstmals am 26.04.2019 in Österreich in Erscheinung, als er im Rahmen des Antrags auf Erteilung eines Aufenthaltstitels ein Sprachzeugnis vorlegte, welches im Verdacht stand, gefälscht zu sein.

Mit Bescheid des Amtes des Wiener Landesregierung, MA 35, vom 10.01.2020 wurde sein Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels rechtskräftig abgewiesen.

Mit Schreiben vom 05.05.2020 der belangten Behörde wurde der Beschwerdeführer von der beabsichtigen Erlassung einer Rückkehrentscheidung in Verbindung mit einem Einreiseverbot in Kenntnis gesetzt und Gelegenheit zur Abgabe einer Stellungnahme geboten.

Am 12.05.2020 langte eine Eingabe seines bevollmächtigten Vertreters ein. Der Beschwerdeführer sei um den 20.02.2020 zu Erwerbszwecken zurück nach Deutschland gegangen und habe aufgrund der COVID19-Situation nicht nach Österreich zurückkehren und seine Wohnsitzabmeldung veranlassen können. Dies sei nun von seinem Vertreter nachgeholt worden. Übermittelt wurden außerdem Kopien eines slowenischen Aufenthaltstitels, ausgestellt am 03.12.2013, eine Kopie seines gültigen serbischen Reisepasses, ein Auszug aus dem Zentralen Melderegister, eine Bescheinigung für Berufspendler eines deutschen Arbeitgebers, datiert mit 11.05.2020 und ein Arbeitsvertrag mit einer slowenischen Firma.

Mit Bescheid vom 08.06.2020, Zl. XXXX , wurde gegen den Beschwerdeführer gemäß § 52 Abs 1 Z 2 FPG eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt I.) und festgestellt, dass seine Abschiebung nach Serbien zulässig ist (Spruchpunkt II.). Gegen ihn wurde gemäß § 53 Abs 1 iVm Abs 2 Z 6 FPG ein auf die Dauer von 3 Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt III.). Eine Frist für die freiwillige Ausreise wurde nicht gewährt (Spruchpunkt IV.) und einer Beschwerde gegen die Rückkehrentscheidung die aufschiebende Wirkung gemäß § 18 Abs 2 Z 1 BFA-VG aberkannt (Spruchpunkt V.).

In der durch RA Mag. Stefan ERRATH eingebrachten Beschwerde vom 19.06.2020, bei der belangten Behörde eingelangt am 08.07.2020, wurde neuerlich auf den slowenischen Aufenthaltstitel hingewiesen und dass ein Vorgehen nach § 52 Abs 6 FPG geboten gewesen wäre. Der Beschwerdeführer habe sich nur wenige Tage in Österreich aufgehalten, zuletzt war er für einen slowenischen Dienstgeber zur Erfüllung seines Arbeitsvertrages in Deutschland aufhältig und dies durch das Entsendeformular und eine Bestätigung der deutschen Firma belegt werden. Eine Mittellosigkeit liege schon aus dem Grund der Erwerbstätigkeit nicht vor und sei die Finanzierung seines Aufenthaltes in Österreich durch Schwarzarbeit eine haltlose Unterstellung durch die belangte Behörde. Der Beschwerdeführer sei seit vielen Jahren in Slowenien aufhältig und bringe seinen Unterhalt durch regelmäßige Entsendung zu Erwerbszwecken nach Deutschland ins Verdienen. Das Schreiben der belangten Behörde vom 05.05.2020 sei von seinem Freund und bevollmächtigten Vertreter behoben worden und sei der Beschwerdeführer persönlich seit 20.02.2020 nicht mehr in Österreich gewesen. Eine Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit sei zu keinem Zeitpunkt vom Beschwerdeführer ausgegangen und könne auch künftig nicht erblickt werden.

Die Beschwerde und der Bezug habende Verwaltungsakt wurden dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vorgelegt, eingelangt bei der zuständigen Gerichtsabteilung I414 am 14.07.2020.

Vom erkennenden Richter wurde außerdem ein Auskunftsersuchen an das PKZ Thörl-Maglern zur Person des Beschwerdeführers gestellt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der Beschwerdeführer trägt die im Spruch angeführte Identität und ist Staatsangehöriger der Republik Serbien und der Republik Bosnien und Herzegowina.

Er verfügte seit 07.03.2019 über eine aufrechte Wohnsitzmeldung im Bundesgebiet, hielt sich aber nicht durchgehend in Österreich auf. Zu Erwerbszwecken hielt er sich auch in Slowenien und Deutschland auf. Er verdient seinen Lebensunterhalt durch Erfüllung seiner Arbeitsverträge eines slowenischen Dienstgebers. Mittellosigkeit kann nicht festgestellt werde. Eine Abmeldung des Wohnsitzes in Österreich mit 14.05.2020 wurde durch den Bevollmächtigten veranlasst. In Slowenien verfügt er über eine gemeldete Wohnadresse und einen gültigen Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt EU“ seit 03.12.2013.

In Österreich war und ist er nicht in Besitz eines Aufenthaltstitels oder einer Niederlassungsbewilligung.

Es konnte nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer seitens der belangten Behörde dazu aufgefordert bzw. verpflichtet wurde, sich in das Hoheitsgebiet von Slowenien zu begeben.

Der Beschwerdeführer ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten.

2. Beweiswürdigung:

2.1. Zum Verfahrensgang:

Der oben unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes der belangten Behörde und des vorliegenden Gerichtsaktes des Bundesverwaltungsgerichtes.

2.2. Zu den Feststellungen:

Die oben getroffenen Feststellungen beruhen auf den Ergebnissen des vom erkennenden Gericht auf Grund der vorliegenden Akten durchgeführten Ermittlungsverfahrens und werden in freier Beweiswürdigung der gegenständlichen Entscheidung als maßgeblicher Sachverhalt zugrunde gelegt:

Die Identität des Beschwerdeführers ergibt sich aus dem vorgelegten serbischen Reisepass und dem slowenischen Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt EU“ (AS 21ff). Aus der Anfrage an das PKZ Thörl-Maglern vom 14.07.2020 ergibt sich die weitere Staatsangehörigkeit zur Republik Bosnien und Herzegowina. Daraus ist auch die slowenische Meldeadresse ablesbar.

Die Angaben zur Wohnsitzmeldung in Österreich ergeben sich aus dem Zentralen Melderegister und der Eingabe des Bevollmächtigten 11.05.2020. Aus dessen Angaben und in Zusammenschau mit dem vorgelegten Arbeitsvertrag mit einer slowenischen Firma, der Bestätigung des deutschen Unternehmens und der Entsendemeldung konnte die Erwerbstätigkeit des Beschwerdeführers festgestellt werden und dass sein Aufenthalt in Österreich kein durchgängiger war. Aufgrund der belegten Erwerbstätigkeit konnte nicht von einer Mittellosigkeit ausgegangen werden.

Die Nichtfeststellbarkeit einer Aufforderung des Beschwerdeführers, nach Slowenien zurückzukehren, beruht auf dem Umstand, dass eine diesbezügliche Aufforderung weder aktenkundig noch von der belangten Behörde im Rahmen der Beschwerdevorlage thematisiert wurde.

Letztlich finden sich im Zentralen Fremdenregister keine Eintragungen hinsichtlich des Besitzes von zum längeren Aufenthalt in Österreich berechtigenden Rechtstiteln seitens des Beschwerdeführers und wurde die abweisende Entscheidung auf Erteilung eines Aufenthaltstitels vom 10.01.2020 im Verwaltungsakt dokumentiert (AS 7ff).

Die Feststellung, wonach der Beschwerdeführer in Österreich strafgerichtlich unbescholten ist, ergibt sich aus den aktuellen Strafregisterauszug.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A)

3.1. Stattgabe der Beschwerde:

3.1.1. Der mit „Rückkehrentscheidung“ betitelte § 52 FPG lautet wie folgt:

„§ 52. (1) Gegen einen Drittstaatsangehörigen hat das Bundesamt mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn er sich

1. nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält oder

2. nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat und das Rückkehrentscheidungsverfahren binnen sechs Wochen ab Ausreise eingeleitet wurde.

(2) Gegen einen Drittstaatsangehörigen hat das Bundesamt unter einem (§ 10 AsylG 2005) mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn

1. dessen Antrag auf internationalen Schutz wegen Drittstaatsicherheit zurückgewiesen wird,

2. dessen Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird,

3. ihm der Status des Asylberechtigten aberkannt wird, ohne dass es zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten kommt oder

4. ihm der Status des subsidiär Schutzberechtigten aberkannt wird

und ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zukommt. Dies gilt nicht für begünstigte Drittstaatsangehörige.

(3) Gegen einen Drittstaatsangehörigen hat das Bundesamt unter einem mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn dessen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55, 56 oder 57 AsylG 2005 zurück- oder abgewiesen wird.

(4) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält, hat das Bundesamt mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn

1. nachträglich ein Versagungsgrund gemäß § 60 AsylG 2005 oder § 11 Abs. 1 und 2 NAG eintritt oder bekannt wird, der der Erteilung des zuletzt erteilten Aufenthaltstitels entgegengestanden wäre,

1a. nachträglich ein Versagungsgrund eintritt oder bekannt wird, der der Erteilung des zuletzt erteilten Einreisetitels entgegengestanden wäre oder eine Voraussetzung gemäß § 31 Abs. 1 wegfällt, die für die erlaubte visumfreie Einreise oder den rechtmäßigen Aufenthalt erforderlich ist,

2. ihm ein Aufenthaltstitel gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 oder 2 NAG erteilt wurde, er der Arbeitsvermittlung zur Verfügung steht und im ersten Jahr seiner Niederlassung mehr als vier Monate keiner erlaubten unselbständigen Erwerbstätigkeit nachgegangen ist,

3. ihm ein Aufenthaltstitel gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 oder 2 NAG erteilt wurde, er länger als ein Jahr aber kürzer als fünf Jahre im Bundesgebiet niedergelassen ist und während der Dauer eines Jahres nahezu ununterbrochen keiner erlaubten Erwerbstätigkeit nachgegangen ist,

4. der Erteilung eines weiteren Aufenthaltstitels ein Versagungsgrund (§ 11 Abs. 1 und 2 NAG) entgegensteht oder

5. das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 9 Integrationsgesetz (IntG), BGBl. I Nr. 68/2017, aus Gründen, die ausschließlich vom Drittstaatsangehörigen zu vertreten sind, nicht rechtzeitig erfüllt wurde.

Werden der Behörde nach dem NAG Tatsachen bekannt, die eine Rückkehrentscheidung rechtfertigen, so ist diese verpflichtet dem Bundesamt diese unter Anschluss der relevanten Unterlagen mitzuteilen. Im Fall des Verlängerungsverfahrens gemäß § 24 NAG hat das Bundesamt nur all jene Umstände zu würdigen, die der Drittstaatsangehörige im Rahmen eines solchen Verfahrens bei der Behörde nach dem NAG bereits hätte nachweisen können und müssen.

(5) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes auf Dauer rechtmäßig niedergelassen war und über einen Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt – EU“ verfügt, hat das Bundesamt eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn die Voraussetzungen gemäß § 53 Abs. 3 die Annahme rechtfertigen, dass dessen weiterer Aufenthalt eine gegenwärtige, hinreichend schwere Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellen würde.

(6) Ist ein nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhältiger Drittstaatsangehöriger im Besitz eines Aufenthaltstitels oder einer sonstigen Aufenthaltsberechtigung eines anderen Mitgliedstaates, hat er sich unverzüglich in das Hoheitsgebiet dieses Staates zu begeben. Dies hat der Drittstaatsangehörige nachzuweisen. Kommt er seiner Ausreiseverpflichtung nicht nach oder ist seine sofortige Ausreise aus dem Bundesgebiet aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit erforderlich, ist eine Rückkehrentscheidung gemäß Abs. 1 zu erlassen.

(7) Von der Erlassung einer Rückkehrentscheidung gemäß Abs. 1 ist abzusehen, wenn ein Fall des § 45 Abs. 1 vorliegt und ein Rückübernahmeabkommen mit jenem Mitgliedstaat besteht, in den der Drittstaatsangehörige zurückgeschoben werden soll.

(8) Die Rückkehrentscheidung wird im Fall des § 16 Abs. 4 BFA-VG oder mit Eintritt der Rechtskraft durchsetzbar und verpflichtet den Drittstaatsangehörigen zur unverzüglichen Ausreise in dessen Herkunftsstaat, ein Transitland gemäß unionsrechtlichen oder bilateralen Rückübernahmeabkommen oder anderen Vereinbarungen oder einen anderen Drittstaat, sofern ihm eine Frist für die freiwillige Ausreise nicht eingeräumt wurde. Im Falle einer Beschwerde gegen eine Rückkehrentscheidung ist § 28 Abs. 2 Bundesgesetz über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz – VwGVG), BGBl. I Nr. 33/2013 auch dann anzuwenden, wenn er sich zum Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung nicht mehr im Bundesgebiet aufhält.

(9) Mit der Rückkehrentscheidung ist gleichzeitig festzustellen, ob die Abschiebung des Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist. Dies gilt nicht, wenn die Feststellung des Drittstaates, in den der Drittstaatsangehörige abgeschoben werden soll, aus vom Drittstaatsangehörigen zu vertretenden Gründen nicht möglich ist.

(10) Die Abschiebung eines Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 kann auch über andere als in Abs. 9 festgestellte Staaten erfolgen.

(11) Der Umstand, dass in einem Verfahren zur Erlassung einer Rückkehrentscheidung deren Unzulässigkeit gemäß § 9 Abs. 3 BFA-VG festgestellt wurde, hindert nicht daran, im Rahmen eines weiteren Verfahrens zur Erlassung einer solchen Entscheidung neuerlich eine Abwägung gemäß § 9 Abs. 1 BFA-VG vorzunehmen, wenn der Fremde in der Zwischenzeit wieder ein Verhalten gesetzt hat, das die Erlassung einer Rückkehrentscheidung rechtfertigen würde.“

3.1.2. Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs zur Anwendung des § 52 Abs 6 FPG:

„In diesem Zusammenhang ist zunächst darauf hinzuweisen, dass § 52 Abs. 6 FPG vor dem Hintergrund von Art. 6 Abs. 2 der Richtlinie 2008/115/EG zu lesen ist. Dort wird angeordnet, dass ein nicht rechtmäßig aufhältiger Drittstaatsangehöriger mit einem Aufenthaltstitel eines anderen Mitgliedstaates zunächst zu verpflichten ist, sich unverzüglich in das Hoheitsgebiet dieses anderen Mitgliedstaates zu begeben. Nur wenn dieser Verpflichtung nicht entsprochen wird, hat es zu einer Rückkehrentscheidung zu kommen. Demnach bedarf es also vor Erlassung einer Rückkehrentscheidung einer "Verpflichtung" des Drittstaatsangehörigen, sich unverzüglich in das Hoheitsgebiet dieses anderen Mitgliedstaates zu begeben (VwGH 10.4.2014, 2013/22/0310). Die Frage der "Unverzüglichkeit" stellt sich dann in Bezug auf die Zeitspanne, die seit Ausspruch der "Verpflichtung" ergangen ist. Wird ihr "unverzüglich" entsprochen, hat eine Rückkehrentscheidung zu unterbleiben, andernfalls ist sie zu verhängen.“ VwGH 21.12.2017, Ra 2017/21/0234

§ 52 FPG setzt die Bestimmungen der Rückführungsrichtlinie um (siehe dazu RV 1078 BlgNR 24. GP 29). Art. 6 Abs. 2 der Rückführungsrichtlinie sieht vor, dass ein nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhältiger Drittstaatsangehöriger mit einem Aufenthaltstitel eines anderen Mitgliedstaates zunächst zu verpflichten ist, sich unverzüglich in das Hoheitsgebiet dieses anderen Mitgliedstaates zu begeben. Dass die Behörde dieser im Hinblick auf den Daueraufenthaltstitel des Beschwerdeführers in der Bundesrepublik Deutschland gebotenen Anordnung nachgekommen wäre, wurde weder im angefochtenen Bescheid festgestellt, noch ergibt sich dies aus den vorgelegten Verwaltungsakten.

[…]

„Der Mitbeteiligte war sodann aufzufordern, sich unverzüglich in das Hoheitsgebiet jenes Mitgliedstaates zu begeben, von dem der ihm erteilte Aufenthaltstitel stammt (hier: Spanien). Das hat das BFA indes nicht getan. Der Mitbeteiligte wurde zwar im Zuge seiner niederschriftlichen Einvernahme am 10. April 2015 zur unverzüglichen Ausreise aus Österreich aufgefordert. Diese Ausreiseaufforderung erfolgte jedoch nicht in Bezug auf Spanien, sondern - nur so konnte sie angesichts der Aufforderung, das ihm ausgehändigte Informationsblatt bei der österreichischen Botschaft seines Heimatlandes persönlich zu übergeben, verstanden werden - in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Volksrepublik China. Die ausgesprochene Ausreiseverpflichtung war demnach von ihrer Zielrichtung her verfehlt, weshalb sie auch nicht die Konsequenz nach sich ziehen konnte, dass nunmehr eine Rückkehrentscheidung zu erlassen sei.“ VwGH 10.04.2014, 2013/22/0310

3.1.3. Auf Grund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens und des festgestellten Sachverhaltes ergibt sich:

Gemäß § 2 Abs. 4 Z 1 FPG gilt als Fremder, wer die österreichische Staatsbürgerschaft nicht besitzt und gemäß Z 10 leg cit als Drittstaatsangehöriger jeder Fremder der nicht EWR-Bürger oder Schweizer Bürger ist.

Der Beschwerdeführer ist aufgrund seiner serbischen und bosnischen Staatsangehörigkeit sohin Drittstaatsangehöriger iSd § 2 Abs 4 Z 10 FPG.

Staatsangehörige der Republik Serbien, die Inhaber eines biometrischen Reisepasses sind, sind nach Art. 1 Abs. 2 iVm Anlage II der Verordnung (EG) Nr. 539/2011 vom 15.03.2001, ABl. L 81 vom 21.03.2001, S. 1, von der Visumpflicht für einen Aufenthalt, der 90 Tage je Zeitraum von 180 Tagen nicht überschreitet, befreit.

Gemäß Art. 20 Abs. 1 des Schengener Durchführungsübereinkommens (SDÜ) können sich sichtvermerksbefreite Drittausländer im Hoheitsgebiet der Vertragsstaaten frei bewegen, höchstens jedoch drei Monate innerhalb einer Frist von sechs Monaten ab dem Datum der ersten Einreise an und soweit sie die nunmehr im Schengener Grenzkodex vorgesehenen Einreisevoraussetzungen erfüllen. Für einen geplanten Aufenthalt im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten von bis zu 90 Tagen je Zeitraum von 180 Tagen, wobei der Zeitraum von 180 Tagen, der jedem Tag des Aufenthalts vorangeht, berücksichtigt wird, gelten für einen Drittstaatsangehörigen die in Art. 6 Abs. 1 Schengener Grenzkodex, VO (EU) 2016/399, genannten Einreisevoraussetzungen. So muss der Drittstaatsangehörige im Besitz eines gültigen Reisedokuments und, sofern dies in der sog. Visumpflicht-Verordnung VO (EG) Nr. 539/2001 vorgesehen ist, im Besitz eines gültigen Visums sein. Er muss weiters den Zweck und die Umstände des beabsichtigten Aufenthalts belegen und über ausreichende Mittel zur Bestreitung des Lebensunterhalts sowohl für die Dauer des Aufenthalts als auch für die Rückreise in den Herkunftsstaat oder für die Durchreise in einen Drittstaat, in dem seine Zulassung gewährleistet ist, verfügen oder in der Lage sein, diese Mittel rechtmäßig zu erwerben; er darf nicht im SIS zur Einreiseverweigerung ausgeschrieben sein und keine Gefahr für die öffentliche Ordnung, die innere Sicherheit, die öffentliche Gesundheit oder die internationalen Beziehungen eines Mitgliedstaates darstellen und insbesondere nicht in den nationalen Datenbanken der Mitgliedstaaten zur Einreiseverweigerung aus denselben Gründen ausgeschrieben worden sein.

Gemäß § 31 Abs. 1 FPG halten sich Fremde rechtmäßig im Bundesgebiet auf, wenn sie rechtmäßig eingereist sind und während des Aufenthaltes im Bundesgebiet die Befristung oder Bedingungen des Einreisetitels oder des visumfreien Aufenthaltes oder die durch zwischenstaatliche Vereinbarungen, Bundesgesetz oder Verordnung bestimmte Aufenthaltsdauer nicht überschritten haben (Z 1), sie auf Grund einer Aufenthaltsberechtigung oder eine Dokumentation des Aufenthaltsrechtes nach dem Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz zur Niederlassung oder zum Aufenthalt oder aufgrund einer Verordnung für Vertriebene zum Aufenthalt berechtigt sind (Z 2) oder wenn sie Inhaber eines von einem Vertragsstaat ausgestellten Aufenthaltstitels sind bis zu drei Monaten (Artikel 21 SDÜ gilt), sofern sie während ihres Aufenthalts im Bundesgebiet keiner unerlaubten Erwerbstätigkeit nachgehen (Z 3).

Der Beschwerdeführer fällt nicht in den Anwendungsbereich des 6. Hauptstückes des FPG.

3.1.4. Der Beschwerdeführer war nicht im Besitz eines Aufenthaltstitels oder einer Niederlassungsberechtigung für Österreich, jedoch eines gültigen Aufenthaltstitels „Daueraufenthalt EU“ für Slowenien. Sohin wäre der Beschwerdeführer dem Grunde nach zum vorübergehenden Aufenthalt in Österreich berechtigt gewesen. Er war jedoch in Gesamtschau mehr als 90 Tage innerhalb von 180 Tagen außerhalb Sloweniens aufhältig, was sich schon aus seinen eigenen Angaben, wonach er regelmäßig zu Erwerbszwecken in Deutschland sei und Österreich am 20.02.2020 in Richtung Deutschland verlassen habe sowie aus den Datumsangaben im Arbeitsvertrag und der Bestätigungen der deutschen Firma, ergibt. Dass er zwischenzeitlich wieder in Slowenien war, wurde nicht behauptet. Es kann der belangten Behörde nicht entgegengetreten werden, wenn diese die Unrechtmäßigkeit des Aufenthaltes des Beschwerdeführers in Österreich letztlich feststellte.

Gemäß § 52 Abs. 6 FPG hat sich ein nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhältiger Drittstaatsangehöriger im Besitz eines Aufenthaltstitels oder einer sonstigen Aufenthaltsberechtigung eines anderen Mitgliedstaates unverzüglich in das Hoheitsgebiet dieses Staates zu begeben. Dies hat der Drittstaatsangehörige nachzuweisen. Kommt er seiner Ausreiseverpflichtung nicht nach oder ist seine sofortige Ausreise aus dem Bundesgebiet aus Gründen der öffentlichen Sicherheit erforderlich, ist eine Rückkehrentscheidung gemäß Abs. 1 leg.cit. zu erlassen.

Nach der Judikatur des VwGH ist § 52 Abs. 6 FPG vor dem Hintergrund der Rückführungsrichtlinie 2008/115/EG zu lesen. Schon aus den Erläuterungen der Regierungsvorlage zu dieser Bestimmung ergibt sich unzweifelhaft, dass der Gesetzgeber damit die Umsetzung des Art. 6 Abs. 2 Rückführungsrichtlinie beabsichtigte (vgl. 1078 BlgNR XXIV. GP, S 29). In der Bestimmung wird angeordnet, dass ein nicht rechtmäßig aufhältiger Drittstaatsangehöriger mit einem Aufenthaltstitel oder einer sonstigen Aufenthaltsberechtigung eines anderen Mitgliedstaates zunächst zu verpflichten ist, sich unverzüglich in das Hoheitsgebiet dieses anderen Mitgliedstaates zu begeben. Nur wenn dieser Ausreiseverpflichtung nicht entsprochen wird oder eine sofortige Ausreise aus dem Bundesgebiet aus Gründen der öffentlichen Ordnung und Sicherheit erforderlich ist, hat eine Rückkehrentscheidung zu erfolgen. Demnach bedarf es also vor Erlassung einer Rückkehrentscheidung einer „Verpflichtung“ des Drittstaatsangehörigen, sich unverzüglich in das Hoheitsgebiet dieses anderen Mitgliedstaates zu begeben. Die Frage der „Unverzüglichkeit“ stellt sich in Bezug auf die Zeitspanne, die seit Ausspruch der „Verpflichtung“ ergangen ist. Wird ihr „unverzüglich“ entsprochen, hat eine Rückkehrentscheidung zu unterbleiben (vgl. VwGH 21.12.2017, Ra 2017/21/0234 mit Verweis auf das Erkenntnis vom 10.04.2012, 2013/22/0310).

Hinsichtlich der Frage, ob vom Beschwerdeführer eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht und daher seine sofortige Ausreise erforderlich ist, ist nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Gefährdungsprognose zu prüfen, ob sich aus dem gesamten Fehlverhalten des Fremden ableiten lässt, dass ein weiterer Aufenthalt des Fremden die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährdet (VwGH 22.11.2012, 2011/23/0453). Es ist darüber hinaus auch zu berücksichtigen, dass der Verwaltungsgerichtshof jüngst ausgesprochen hat, dass es im Kontext des § 52 Abs. 6 FPG nicht schlichtweg auf eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit ankommt, sondern (iS eines zusätzlichen Kriteriums) darauf, ob angesichts einer solchen Gefährdung die sofortige Ausreise des Drittstaatsangehörigen aus dem Bundesgebiet erforderlich ist (VwGH 03.07.2018, Ro 2018/21/0007).

Die belangte Behörde führt zur Gefährlichkeit des Beschwerdeführers einzig aus, dass der Beschwerdeführer den Unterhalt für seinen Aufenthalt nicht hätte nachweisen können und mittellos sei. Der vorgelegte Arbeitsvertrag beginne erst mit 01.05.2020 zu laufen und könne nicht nachvollzogen werden, wovon er bis zu diesem Datum gelebt hätte. Dem ist zu entgegnen, dass der Beschwerdeführer angab, Österreich bereits im Februar in Richtung Deutschland zu Erwerbszwecken verlassen zu haben und regelmäßig durch derartige Arbeitsverträge für einen slowenischen Dienstgeber seinen Lebensunterhalt verdient. Diese Angaben sind insofern glaubhaft, da er mit der Beschwerde auch für den über den vorgelegten Arbeitsvertrag hinausgehende Tätigkeiten (ab Juni 2020) Entsendemeldungen und Bestätigungen vorlegte. Entgegen der Ansicht der belangten Behörde konnte Mittellosigkeit nicht angenommen werden, da es glaubhaft erscheint, dass der Beschwerdeführer wie angegeben für einen slowenischen Dienstgeber regelmäßig Arbeitsverträge erfüllt und damit seinen Lebensunterhalt verdient. Hinsichtlich der Verwendung von gefälschten Urkunden, findet sich im angefochtenen Bescheid nur eine Anführung, auf die konkreten Umstände wurde nicht eingegangen.

Ferner hat es die belangte Behörde in Missachtung des gültigen slowenischen Aufenthaltstitels und § 52 Abs 6 FPG unterlassen, den Beschwerdeführer zur Ausreise nach Slowenien aufzufordern und vor dem Hintergrund der dem Beschwerdeführer damit einhergehenden Pflicht, nach erfolgter Aufforderung unverzüglich auszureisen, eine Notwendigkeit einer sofortigen – sohin noch schnelleren – Ausreise aufgrund einer Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung zu thematisieren.

Das Unterlassen der belangten Behörde, eine maßgebliche die sofortige Ausreise des Beschwerdeführers bedingte Gefährlichkeit iSd. § 52 Abs 6 letzter Satz FPG im angefochtenen Bescheid zu thematisieren bzw. aufzuzeigen, hätte diese letztlich dazu verpflichtet den Beschwerdeführer – unter Beachtung dessen Besitzes eines gültigen slowenischen Aufenthaltstitels – zur Ausreise nach Slowenien aufzufordern. Eine solche Aufforderung ist seitens der belangten Behörde jedoch nicht erfolgt. Erst wenn der Beschwerdeführer im konkreten gegenständlichen Verfahren aufgefordert worden wäre, seiner Ausreiseverpflichtung unverzüglich nachzukommen und dieser Aufforderung nicht gefolgt wäre, wäre ein Verfahren zur Prüfung einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 1 FPG durch die belangte Behörde zu führen gewesen.

Aus diesen Gründen ist – in Stattgabe der Beschwerde – die mit Spruchpunkt I. des gegenständlich angefochtenen Bescheides verhängte Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs 6 FPG ersatzlos zu beheben, ebenso wie die darauf aufbauenden Spruchpunkte II. bis V..

3.2. Zum Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung:

Da bereits aufgrund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben war, konnte gemäß § 24 Abs 2 Z 1 VwGVG eine mündliche Verhandlung unterbleiben.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Die oben in der rechtlichen Beurteilung angeführte Judikatur des VwGH ist zwar zu früheren Rechtslagen ergangen, sie ist jedoch nach Ansicht des erkennenden Gerichts auf die inhaltlich meist völlig gleichlautenden Bestimmungen der nunmehr geltenden Rechtslage unverändert übertragbar.

Schlagworte

Abschiebung aufschiebende Wirkung - Entfall Behebung der Entscheidung Einreiseverbot Einreiseverbot aufgehoben ersatzlose Behebung Kassation Mittellosigkeit Rückkehrentscheidung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:I414.2232951.1.00

Im RIS seit

05.11.2020

Zuletzt aktualisiert am

05.11.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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