TE Bvwg Erkenntnis 2020/6/18 I416 2231880-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 18.06.2020
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Entscheidungsdatum

18.06.2020

Norm

BFA-VG §18 Abs3
BFA-VG §21 Abs7
BFA-VG §40 Abs1 Z3
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
EMRK Art8
FPG §67 Abs1
FPG §67 Abs2
FPG §67 Abs4
FPG §70 Abs3
NAG §51 Abs1
VwGVG §24 Abs2 Z1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch

I416 2231880-1/3E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Alexander BERTIGNOL über die Beschwerde des XXXX , geboren am XXXX , rumänischer Staatsangehöriger, vertreten durch RA Dr. Klaus SCHIMIK, gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 07.04.2020, Zl. XXXX , zu Recht erkannt:

A)

In Erledigung der Beschwerde wird der angefochtene Bescheid aufgehoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer ist rumänischer Staatsangehöriger, der seit Oktober 2015, wenn auch nicht durchgehend, im Bundesgebiet melderechtlich erfasst ist. Im Zuge der Überprüfung seines Antrages auf Ausstellung einer Dokumentation des unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts wurde dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl mit Schreiben des Amtes der Wiener Landesregierung, MA 35 vom 12.4.2017 mitgeteilt, dass der Beschwerdeführer die Erteilungsvoraussetzungen gemäß § 51 NAG nicht erfülle, da er weder einer Erwerbstätigkeit im Bundesgebiet nachgehen würde, noch über ausreichende Existenzmittel und einen umfassenden Krankenversicherungsschutz verfügen würde.

Mit Schriftsatz des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 20.4.2017, bezeichnet als Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme, wurde dem Beschwerdeführer mitgeteilt, dass hinsichtlich der Erlassung einer Ausweisung eine Beweisaufnahme stattgefunden habe und er unter Beantwortung des im Schreiben angeführten Fragenkatalogs binnen 14 Tagen eine Stellungnahme dazu abgeben könne. Gegenständliches Schreiben wurde am 20.4.2017 durch Hinterlegung zugestellt. Eine Stellungnahme erfolgte nicht.

Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 03.08.2017, Zl. XXXX , wurde der Beschwerdeführer gemäß § 66 Abs. 1 FPG 2005 iVm § 55 Abs. 3 NAG aus dem österreichischen Bundesgebiet ausgewiesen (Spruchpunkt I.) und ihm gemäß § 70 Abs 3 FPG ein Durchsetzungsaufschub von einem Monat erteilt (Spruchpunkt II.). Die Ausweisung wurde im Wesentlichen damit begründet, dass ihm das unionsrechtliche Aufenthaltsrecht nicht zukommen würde, da er einerseits die genannten Voraussetzungen nicht erfüllen würde und andererseits die Gefahr bestehen würde, dass sein weiterer Verbleib zu einer finanziellen Belastung eine Gebietskörperschaft führen würde. Zudem seien familiäre oder soziale Verankerungen in Österreich nicht ersichtlich und seien mangels Stellungnahme auch nicht behauptet worden.

Am 24.2.2020 wurde der Beschwerdeführer im Rahmen einer polizeilichen Nachschau im Gebäude, in welchem sich der Beschwerdeführer zum Zeitpunkt in einer Wohnung aufhielt, angetroffen und aufgrund einer Festnahmeanordnung gemäß § 40 Abs. 1 Z. 3 BFA-VG festgenommen.

Mit Schriftsatz des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 25.02.2020, bezeichnet als Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme, wurde der Beschwerdeführer darüber informiert, dass es beabsichtigt sei, eine Ausweisung gemäß § 66 Abs. 1 FPG iVm § 55 Abs. 3 NAG bzw. ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 Abs. 2 FPG zu erlassen. Dem Beschwerdeführer wurde eine Frist von 14 Tagen zur Beantwortung der im Schreiben aufgeführten Fragen gewährt. Nach persönlicher Aushändigung dieses Schriftsatzes wurde der Beschwerdeführer am 25.02.2020 aus der Anhaltung entlassen.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 07.04.2020 erließ das BFA gegen den Beschwerdeführer ein für die Dauer von zwei Jahren befristetes Aufenthaltsverbot gemäß § 67 Abs. 1 und 2 FPG 2005 (Spruchpunkt I.), erteilte gemäß § 70 Abs. 3 FPG 2005 keinen Durchsetzungsaufschub und erkannte einer Beschwerde gegen dieses Aufenthaltsverbot gemäß § 18 Abs. 3 BFA-VG die aufschiebende Wirkung ab (Spruchpunkt III.).

Dies wurde im Wesentlichen damit begründet, dass der Beschwerdeführer zwei Eintragungen im kriminalpolizeilichen Aktienindex aufweisen würde und wiederholt wegen Eigentumsdelikten angezeigt worden sei. Zudem sei er der in Rechtskraft erwachsenen Ausreiseverpflichtung aus dem Jahre 2017 nicht nachgekommen und sei rechtswidrig Bundesgebiet verblieben. Hinzu komme, dass er seinen Lebensunterhalt in Österreich nicht mit geregelter Arbeit, sondern offenkundig mit strafbaren Handlungen verdienen würde und somit dadurch empfindlich die öffentliche Ruhe und Ordnung stören würde und würde er sein unionsrechtliches Freizügigkeitsrecht zur Begehung von Straftaten missbrauchen. Seine Schuld würde derzeit auch außer Frage stehen, da seine bisherigen Verfehlungen aktuell durch die Justizbehörden verfolgt und sanktioniert werden würden, sodass sein Gesamtfehlverhalten eine erhebliche und gegenwärtige Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit darstellen würde und erschwerend hinzukomme, dass er keinen angemeldeten Wohnsitz im Bundesgebiet habe. Es wurde weiters ausgeführt, dass der Beschwerdeführer weitestgehend im Verborgenen agieren würde und es nur eine Frage der Zeit sei, bis wieder unbeteiligte Dritte zu Schaden kommen würden. Da das von ihm gezeigte Verhalten erst vor kurzem gesetzt worden sei und aufgrund seiner oben ausführlich dargelegten wirtschaftlichen Situation mit einer Fortsetzung zu rechnen sei, müsse daher von einer aktuellen gegenwärtigen Gefahr ausgegangen werden und sei aufgrund der eklatanten und wiederkehrenden Missachtung der Rechtsordnung sowie aufgrund seiner Lebenssituation in Österreich auch das Tatbestandsmerkmal der Nachhaltigkeit erfüllt. Aufgrund der Schwere des Fehlverhaltens sei unter Bedachtnahme auf sein Gesamtverhalten davon auszugehen, dass die im Gesetz umschriebene Annahme, dass er eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit darstelle, gerechtfertigt sei. Die Gesamtbeurteilung seines Verhaltens, seiner Lebensumstände, sowie seiner familiären und privaten Anknüpfungspunkte haben daher im Zuge der von der Behörde vorgenommen Abwägungsentscheidung ergeben, dass die Erlassung des Aufenthaltsverbots in der angegebenen Dauer gerechtfertigt und notwendig sei, um die von ihm ausgehende erhebliche Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit zu verhindern.

Verfahrensgegenständlicher Bescheid wurde der Partei und durch öffentliche Bekanntmachung gemäß § 25 Zustellgesetz zugestellt.

Mit Schriftsatz vom 29.05.2020 erhob der Beschwerdeführer durch seine gewillkürte Rechtsvertretung Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht und monierte Mangelhaftigkeit des Verfahrens, unrichtige bzw. unvollständige Tatsachenfeststellungen sowie unrichtige rechtliche Beurteilung. Begründend wurde zusammengefasst im Wesentlichen ausgeführt, dass die belangte Behörde unrichtig festgestellt hätte, dass die Ausweisung aus 2017 konsumiert und somit nicht mehr aufrecht sei, um dies im verfahrensgegenständlichen Bescheid zu seinem Nachteil heranzuziehen, sodass dahingehend Aktenwidrigkeit vorliegen würde. Er führte weiters aus, dass er sowohl in Österreich als auch in Rumänien gerichtlich unbescholten sei und dass der von der Behörde angenommene Generalverdacht, dass er Straftäter sei, gegen die aus dem Prinzip der Rechtsstaatlichkeit erfließende Unschuldsvermutung verstoßen würde. Zudem könne selbst für den Fall, dass die Behörde der Ansicht sei, dass es für eine Ausweisung keiner Verurteilung oder einer Anzeige bedürfe, in seinem Fall nicht von einer Gefährdung der öffentlichen Sicherheit im Sinne des Gesetzes ausgegangen werden, dies auch insbesondere, da er nur auf freiem Fuß angezeigt und keine Untersuchungshaft über ihn verhängt worden sei. Er führte weiters aus, dass er Österreich im Jahr 2018 verlassen habe und erst im Oktober 2019 zurückgekommen sei, in dieser Zeit sei er bei seiner Familie in Deutschland aufhältig und gemeldet gewesen und würden auch seine Kinder in Deutschland leben. Er habe auch zu keinem Zeitpunkt eine Erwerbstätigkeit vorgetäuscht, da er gearbeitet habe und hätte ihm sein damaliger Arbeitgeber auch gesagt, dass er angemeldet worden sei und habe er diese Angaben persönlich durch einen Kontoauszug der Krankenkasse kontrolliert. Derzeit würde er in Österreich wieder Teilzeit arbeiten. Er sei bei der Firma XXXX als Fahrer für 20 Stunden angestellt, diese würde als Subunternehmer Fahrten für die Firma Uber ledigen. Er führte weiters aus, dass er in Österreich über eine ortsübliche Unterkunft verfügen würde und dass er mit Frau XXXX seit mehr als drei Jahren in einer Partnerschaft leben würde, sodass davon auszugehen sein wird, dass, sowohl der Eingriff in seine Arbeitnehmerfreizügigkeit, als auch der Eingriff in das Recht auf Privat- und Familienleben nicht statthaft sei. Der Beschwerdeführer legte dahingehend eine Meldebestätigung aus Deutschland, einen Mietvertrag lautend auf XXXX , einen Meldezettel und eine Anmeldung bei der österreichischen Gebietskrankenkasse vor und beantragte XXXX XXXX als Zeugin einzuvernehmen.

Beschwerde und Verwaltungsakt wurden dem Bundesverwaltungsgericht am 12.06.2020 vorgelegt. Der physische Akt ist am 17.06.2020 bei der zuständigen Gerichtabteilung I 416 eingelangt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der volljährige Beschwerdeführer ist rumänischer Staatsangehöriger und somit EWR-Bürger bzw. Unionsbürger im Sinne des § 2 Abs. 4 Z 8 FPG. Die Identität des Beschwerdeführers steht fest.

Der Beschwerdeführer hält sich seit zumindest 24.02.2020 wieder im Bundesgebiet auf.

Der Beschwerdeführer verfügte im Bundesgebiet zwischen 30.10.2015 und 19.5.2016, zwischen 16.01.2017 und 05.07.2018 sowie seit 27.04.2020 über eine aufrechte Meldeadresse.

Der Beschwerdeführer wurde mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 03.08.2017 gemäß § 66 Abs. 1 FPG 2005 aus dem österreichischen Bundesgebiet ausgewiesen.

Der Beschwerdeführer war ab 01.11.2018 in Altentsteig in der Bundesrepublik Deutschland gemeldet. Der Beschwerdeführer ist seiner Ausreiseverpflichtung nachgekommen.

Der Beschwerdeführer ist mit XXXX , einer rumänischen Staatsangehörigen, seit 27.04.2020, an derselben Meldeadresse mit Hauptwohnsitz gemeldet. Der Beschwerdeführer verfügt über einen bis 11.08.2020 gültigen Mietvertrag.

Die Lebensgefährtin des Beschwerdeführers weist zwischen 20.03.2018 und 30.09.2019 sowie ab 04.03.2020 eine Meldung bei der gewerblichen Sozialversicherungsanstalt auf.

Der Beschwerdeführer ist seit 29.05.2020 bei der Firma XXXX E.U. (Adrian VASADI) beschäftigt.

Der Beschwerdeführer ist strafrechtlich unbescholten.

2. Beweiswürdigung:

Der oben unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang und die Feststellungen ergeben sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl. Zudem wurden am 12.06.2020 und 17.06.2020 Auszüge aus dem Informationsverbund Zentrales Fremdenregister (IZR), dem Zentralen Melderegister dem Strafregister, dem Firmenbuch und AJ-Web eingeholt.

Der oben festgestellte Sachverhalt beruht auf den Ergebnissen des vom erkennenden Gericht auf Grund der vorliegenden Akten durchgeführten Ermittlungsverfahrens.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A) Behebung des Bescheides:

3.1. Zur anzuwendenden Rechtslage:

Gemäß § 2 Abs. 4 FPG gilt als Fremder, wer die österreichische Staatsbürgerschaft nicht besitzt (Z 1 leg cit) und EWR-Bürger, wer Staatsangehöriger einer Vertragspartei des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR-Abkommen) ist (Z 8 leg cit).

Gemäß § 67 Abs. 1 FPG ist die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen unionsrechtlich aufenthaltsberechtigte EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige zulässig, wenn auf Grund ihres persönlichen Verhaltens die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet ist. Das persönliche Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Strafrechtliche Verurteilungen allein können nicht ohne weiteres diese Maßnahmen begründen. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig. Die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige, die ihren Aufenthalt seit zehn Jahren im Bundesgebiet hatten, ist dann zulässig, wenn aufgrund des persönlichen Verhaltens des Fremden davon ausgegangen werden kann, dass die öffentliche Sicherheit der Republik Österreich durch seinen Verbleib im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet würde. Dasselbe gilt für Minderjährige, es sei denn, das Aufenthaltsverbot wäre zum Wohl des Kindes notwendig, wie es im Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 20. November 1989 über die Rechte des Kindes vorgesehen ist.

Gemäß § 67 Abs. 2 FPG, kann ein Aufenthaltsverbot, vorbehaltlich des Abs. 3, für die Dauer von höchstens zehn Jahren erlassen werden.

Gemäß § 70 Abs. 3 FPG ist EWR-Bürgern, Schweizer Bürgern und begünstigten Drittstaatsangehörigen ist bei der Erlassung einer Ausweisung oder eines Aufenthaltsverbotes von Amts wegen ein Durchsetzungsaufschub von einem Monat zu erteilen, es sei denn, die sofortige Ausreise wäre im Interesse der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit erforderlich.

Gemäß § 9 Abs. 1 BFA-VG ist die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG, wenn dadurch in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen wird, zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist. Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art 8 EMRK sind insbesondere die in § 9 Abs. 2 Z 1 bis 9 BFA-VG aufgezählten Gesichtspunkte zu berücksichtigen (die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war, das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens, die Schutzwürdigkeit des Privatlebens, der Grad der Integration, die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden, die strafgerichtliche Unbescholtenheit, Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts, die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren, die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist).

Gemäß § 18 Abs. 3 BFA-VG kann bei EWR-Bürgern, Schweizer Bürgern und begünstigten Drittstaatsangehörigen die aufschiebende Wirkung einer Beschwerde gegen ein Aufenthaltsverbot aberkannt werden, wenn deren sofortige Ausreise oder die sofortige Durchsetzbarkeit im Interesse der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit erforderlich ist.

Der mit "Unionsrechtliches Aufenthaltsrecht von EWR-Bürgern für mehr als drei Monate" betitelte § 51 NAG lautet wörtlich wie folgt:

"§ 51. (1) Auf Grund der Freizügigkeitsrichtlinie sind EWR-Bürger zum Aufenthalt für mehr als drei Monate berechtigt, wenn sie 1. in Österreich Arbeitnehmer oder Selbständige sind; 2. für sich und ihre Familienangehörigen über ausreichende Existenzmittel und einen umfassenden Krankenversicherungsschutz verfügen, so dass sie während ihres Aufenthalts weder Sozialhilfeleistungen noch die Ausgleichszulage in Anspruch nehmen müssen, oder 3. als Hauptzweck ihres Aufenthalts eine Ausbildung einschließlich einer Berufsausbildung bei einer öffentlichen Schule oder einer rechtlich anerkannten Privatschule oder Bildungseinrichtung absolvieren und die Voraussetzungen der Z 2 erfüllen.

3.2. Anwendung der Rechtslage auf den gegenständlichen Fall:

Der Beschwerdeführer ist aufgrund seiner rumänischen Staatangehörigkeit EWR-Bürger im Sinne des § 2 Abs. 4 Z 8 FPG.

Da vom Beschwerdeführer, der aufgrund seiner rumänischen Staatsangehörigkeit in den persönlichen Anwendungsbereich der §§ 66 und 67 FPG fällt, die Voraussetzungen eines rechtmäßigen Aufenthalts im Bundesgebiet seit fünf bzw. zehn Jahren nicht erfüllt ist, kommt für diesen der Prüfungsmaßstab des § 67 Abs. 1 zweiter Satz FPG zur Anwendung.

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist bei der Erstellung der für jedes Aufenthaltsverbot zu treffenden Gefährdungsprognose das Gesamtverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen und auf Grund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahingehend vorzunehmen, ob und im Hinblick auf welche Umstände die jeweils anzuwendende Gefährdungsannahme gerechtfertigt ist (vgl. dazu etwa VwGH 25.04.2014, Ro 2014/21/0039).

Dem Bundesamt ist grundsätzlich zuzustimmen, dass es für das Vorliegen einer Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit nicht erforderlich ist, dass eine Anzeige oder gar Verurteilung des Fehlverhaltens vorliegt. Es ist vielmehr auf die Art und Schwere des Fehlverhaltens, welches von der Behörde festzustellen ist, abzustellen (vgl etwa VwGH vom 03.04.2009, 2008/22/0711). Auch ein festgestelltes Fehlverhalten eines Fremden, das (noch) nicht zu einer gerichtlichen oder verwaltungsbehördlichen Bestrafung geführt hat, kann zur Beurteilung der für ein Aufenthaltsverbot erforderlichen Gefährdungsprognose herangezogen werden (vgl. VwGH 23.03.2017, Ra 2016/21/0349).

Genau diesem Erfordernis ist das Bundesamt aber nicht nachgekommen. Die Behörde stellt das dem Beschwerdeführer zur Last gelegte und einen der Gründe für die Erlassung des Aufenthaltsverbotes bildende Fehlverhalten nicht mit der erforderlichen Sorgfalt dar, sondern verweist insbesondere lapidar auf zwei Eintragungen im kriminalpolizeilichen Aktenindex und Anzeigen wegen Eigentumsdelikten. Es wurden keinerlei Tatbeschreibungen, Tatzeitpunkte und das konkret verwirklichte Delikt dargestellt. Zudem muss ein derartiges Fehlverhalten auch feststehen. Dass es Eintragungen im kriminalpolizeilichen Aktenindex oder in der erkennungsdienstlichen Evidenz gibt, belegt demgegenüber nur, dass eine entsprechende Verdachtslage bestand. Dass dieser Verdacht letztlich verifiziert werden konnte, behauptet die belangte Behörde aber gar nicht; insoweit ist ihr Vorbringen daher im Ergebnis nicht zielführend.

Dies reicht jedenfalls nach der ständigen Rechtsprechung des VwGH nicht für eine nachvollziehbare Gefährdungsprognose aus (vgl VwGH vom 24.01.2019, Ra 2018/21/0234). Das Bundesamt hätte sich - bei Fehlen einer strafgerichtlichen Verurteilung - im Sinne der Beantwortung einer Vorfrage mit den behaupteten Straftaten des Beschwerdeführers inhaltlich auseinandersetzen und ausführen müssen, warum der Beschwerdeführer nach Ansicht des Bundesamtes einen strafrechtlichen Tatbestand verwirklicht hat. Wenn das Bundesamt dem Beschwerdeführer vorhält, er sei seiner Ausreiseverpflichtung nicht nachgekommen, so erübrigt sich eine dahingehende Beurteilung durch das erkennende Gericht, da er im Rahmen des Beschwerdeverfahrens, den Nachweis erbracht hat.

Der Gefährdungsmaßstab des § 47 Abs. 2 FrG 1997 entspricht jenem des § 67 Abs. 1 FPG. Die Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit iSd § 47 Abs. 2 FrG 1997 ist an den für unionsrechtlich begünstigte Fremde festgelegten Maßstäben zu messen (vgl VwGH vom 15.12.2011, 2007/18/0430). Dieser von der Judikatur des EuGH entwickelte Maßstab verlangt, dass eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr vorliegt, die in Grundinteresse der Gesellschaft berührt (vgl etwa VwGH vom 14.09.2001, 99/19/0074). Im Übrigen ist auch die in § 55 Abs. 3 NAG umschriebene "Gefährdung aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit" im genannten unionsrechtlichen Sinn zu verstehen (vgl VwGH vom 26.06.2014, Ro 2014/21/0024, mit Verweis auf ErläutRV zum Fremdenrechtspaket 2005, 952 BlgNR 22. GP 143, in denen ausdrücklich auf Art. 27 der Freizügigkeitsrichtlinie 2004/38/EG Bezug genommen wird; vgl auch Punkt 6.2. der Entscheidungsgründe des VwGH im Erkenntnis vom 24.11.2009, 2007/21/0011).

Der VwGH hat in seiner Entscheidung vom 26.06.2014, Ro 2014/21/0024, wörtlich ausgeführt [Hervorhebungen nicht im Original, Anm.]:

"Dem belangten UVS ist zunächst darin zu folgen, dass der der strafgerichtlichen Verurteilung des Revisionswerbers zugrundeliegende Gebrauch besonders geschützter falscher Urkunden, der lediglich die Verhängung einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von drei Monaten nach sich gezogen hatte, nicht geeignet ist, den Gefährdungsmaßstab des § 67 Abs. 1 FPG zu verwirklichen. Dem sonst gezeigten fremdenrechtlichen Fehlverhalten kommt aber vor allem angesichts des aktuell aufrechten Bestandes einer Ehe mit einer österreichischen Staatsbürgerin nicht eine solche Bedeutung zu, dass schon deshalb das Vorliegen einer tatsächlichen, gegenwärtigen und erheblichen, ein Grundinteresse der Gesellschaft berührenden Gefahr angenommen werden könnte (vgl. das zur inhaltsgleichen Vorgängerbestimmung des § 86 Abs. 1 FPG ergangene hg. Erkenntnis vom 8. September 2009, Zl. 2008/21/0661, und daran anknüpfend etwa das Erkenntnis vom 29. Februar 2012, Zl. 2009/21/0376). In dem im Anschluss an die zuletzt genannte Entscheidung ergangenen Erkenntnis vom 22. November 2012, Zl. 2011/23/0453, wurde ausdrücklich wiederholt, dass "ein - allenfalls weiter zu befürchtender - unrechtmäßiger Aufenthalt im Bundesgebiet" ein Aufenthaltsverbot im Grunde des § 86 Abs. 1 FPG (nunmehr: § 67 Abs. 1 FPG) im Hinblick auf die gebotene unionsrechtskonforme Auslegung dieser Bestimmung nicht zu rechtfertigen mag. [...]"

Aktuell hat der VwGH erneut ausgesprochen, dass der den strafgerichtlichen Verurteilungen des von der Entscheidung betroffenen Revisionswerbers zugrundeliegende, wenn auch wiederholte, Gebrauch besonders geschützter falscher Urkunden, der jeweils die Verhängung bedingt nachgesehener Freiheitsstrafen (zuletzt in Verbindung mit einer Geldstrafe) nach sich gezogen hatte, nach Ansicht des VwGH nicht geeignet war, den Gefährdungsmaßstab des § 67 Abs. 1 Satz 1 bis 4 FPG zu verwirklichen (vgl VwGH vom 26.06.2019, Ra 2019/21/0047).

Ergänzend wird im gegenständlichen Fall dazu festgehalten, dass die seitens der belangten Behörde zur Erlassung eines Aufenthaltsverbots herangezogene Begründung sich zum überwiegenden Teil auf Mutmaßungen stützt und dem Beschwerdeführer die Begehung zukünftiger Straftaten unterstellt, sodass sie durch diese Vorgehensweise die rechtsstaatlichen Prinzipien, insbesondere in Bezug auf ein ordnungsgemäß geführtes Ermittlungsverfahren zur Erhebung des relevanten und entscheidungsmaßgeblichen Sachverhaltes, außer Acht lässt. Dies zeigt sich einerseits darin, dass die belangte Behörde ausführt, dass er seinen Lebensunterhalt in Österreich nicht mit geregelter Arbeit, sondern offenkundig mit strafbaren Handlungen verdienen würde, dass aufgrund seiner finanziellen Situation weiteres Fehlverhalten indiziert und nur eine Frage der Zeit sei und andererseits, dass er sein unionsrechtliches Freizügigkeitsrecht zur Begehung von Straftaten missbrauchen würde, ohne dahingehend auch nur ansatzweise näher verifizierbare Feststellungen zu treffen.

Wenn die belangte Behörde dem Beschwerdeführer darüber hinaus unterstellt, dass es sich der behördlichen Kenntnis entziehen würde, womit er seinen Lebensunterhalt verdiene, diese Handlungen jedoch wohl kaum mit der bestehenden Rechtslage konform seien, sowie, dass es in seinem Fall nur eine Frage der Zeit sei, wann die nächste Straftat oder Verwaltungsstrafe komme und er demnach „als tickende Zeitbombe“ bezeichnet werden müsse, so ist dahingehend auszuführen, dass diese Ausführungen willkürlich und nicht geeignet sind, eine vom Beschwerdeführer ausgehende, tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr, die in Grundinteresse der Gesellschaft berührt, iSd § 67 Abs. 1 FPG zu begründen.

Der von der belangten Behörde weiters herangezogene Sachverhalt aus dem Jahre 2017, nämlich seine Scheinanmeldung, wurde bereits mit einer Ausweisung sanktioniert, welcher der Beschwerdeführer nachweislich nachgekommen ist, sodass auch dieser Sachverhalt, der darüber hinaus im Rahmen der Beschwerdeausführungen releviert wurde, nicht per se zu einer negativen Zugangsprognose führen kann.

Weiters vermag ein - allenfalls weiter zu befürchtender, jedoch aufgrund der Aktenlage nicht hervorgekommener - unrechtmäßiger Aufenthalt im Bundesgebiet im Hinblick auf die gebotene unionsrechtskonforme Auslegung des § 67 Abs. 1 FPG (ehemals § 86 Abs. 1 FPG) ein Aufenthaltsverbot nicht zu rechtfertigen (vgl VwGH vom 22.11.2012, 2011/23/0453).

Er verfügt zwar über kein ausgeprägtes Familien- und Privatleben im Bundesgebiet. Er ist jedoch mit der, seitens der belangten Behörde selbst als Ehefrau bezeichneten, rumänischen Staatsangehörigen im Bundesgebiet an derselben Meldeadresse aufrecht gemeldet, hat mittlerweile eine Arbeit aufgenommen, weist eine geregelte Unterkunft auf und ist bislang strafrechtlich unbescholten. Anhaltspunkte dafür, dass er durch seinen Verbleib im Bundesgebiet zum gegenwärtigen Zeitpunkt die öffentliche Sicherheit nachhaltig und maßgeblich gefährden würde, können insbesondere aufgrund der vorgelegten Unterlagen im Beschwerdeverfahren nicht gesehen werden.

Insgesamt weisen sind die vom Beschwerdeführer tatsächlich begangenen Verstöße gegen die österreichische Rechtsordnung, keine derartige Gravidität auf, dass deshalb das Vorliegen einer tatsächlichen, gegenwärtigen und erheblichen, ein Grundinteresse der Gesellschaft berührenden Gefahr anzunehmen wäre. Da aus seinem Verhalten keine Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit in maßgeblicher Intensität abgeleitet werden kann, ist die Erlassung eines Aufenthaltsverbots gegen ihn unzulässig, ohne dass auf die Frage der Verhältnismäßigkeit eines allenfalls damit verbundenen Eingriffs in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers eingegangen und eine Interessenabwägung gemäß § 9 BFA-VG vorgenommen werden muss.

Unter Zugrundelegung der obigen Ausführungen, erweisen sich die von der belangten Behörde im gegenständlichen Fall vorgenommenen Feststellungen und die Beweiswürdigung für die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gemäß § 67 Abs. 1 und 2 FPG als ungenügend, weshalb der angefochtene Bescheid schon von dessen Begründung nicht getragen wird.

Eine nähere Auseinandersetzung mit der allfälligen Unrechtmäßigkeit des Durchsetzungsaufschubes (Spruchpunkt II. des in Beschwerde gezogenen Bescheides) und mit der Frage der Aberkennung der aufschiebenden Wirkung (in Spruchpunkt III. des in Beschwerde gezogenen Bescheides) kann daher entfallen.

Vor dem Hintergrund des Aufenthalts des Beschwerdeführers in Österreich, käme bei vorliegenden der entsprechenden Voraussetzungen (wie z.B.: keine Beschäftigung, ohne ausreichende Existenzmittel, ohne Krankenversicherungsschutz, ohne aufrechte Wohnsitzmeldung) allenfalls ein Vorgehen nach § 66 FPG in Betracht.

Da bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der angefochtene Bescheid aufzuheben ist, kann eine mündliche Verhandlung gemäß § 24 Abs 2 Z 1 VwGVG entfallen.

Zu B) (Un)Zulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision gegen die gegenständliche Entscheidung ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Schlagworte

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European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:I416.2231880.1.01

Im RIS seit

13.10.2020

Zuletzt aktualisiert am

13.10.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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