TE Bvwg Erkenntnis 2020/7/1 W209 2224667-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 01.07.2020
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Entscheidungsdatum

01.07.2020

Norm

ASVG §58
ASVG §67 Abs10
ASVG §83
B-VG Art133 Abs4

Spruch

W209 2224667-1/10E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Reinhard SEITZ als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX , XXXX , XXXX , gegen den Bescheid der Wiener Gebietskrankenkasse (nunmehr: Österreichische Gesundheitskasse) vom 30.07.2019, GZ: 11-2018-BE-VER10-000A2, betreffend Haftung nach § 67 Abs. 10 in Verbindung mit § 83 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz (ASVG) für auf dem Betragskonto der XXXX GmbH mit Sitz in XXXX , XXXX , aushaftende Beiträge samt Nebengebühren für die Zeiträume Juli 2017 und August 2017 in Höhe von € 41.532,08 zuzüglich Verzugszinsen in der sich nach § 59 Abs. 1 ASVG jeweils ergebenden Höhe ab 30.07.2019 aus € 38.727,83 nach Beschwerdevorentscheidung vom 16.09.2019, GZ: 11-2018-BE-VER10-000A2, zu Recht erkannt:

A)

Der Beschwerde wird teilweise Folge gegeben und die Beschwerdevorentscheidung insoweit abgeändert, als der Beschwerdeführer verpflichtet wird, binnen 14 Tagen ab Zustellung dieses Erkenntnisses bei sonstigen Zwangsfolgen € 27.764,34 zuzüglich der ab 22.04.2020 auflaufenden Verzugszinsen in Höhe von derzeit 3,38 % p.a. aus € 24.195,72 an die Österreichische Gesundheitskasse zu bezahlen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Mit Schreiben vom 16.04.2018 teilte die belangte Behörde (im Folgenden: ÖGK) dem Beschwerdeführer mit, dass auf dem Beitragskonto der XXXX GmbH mit Sitz in XXXX , XXXX , (im Folgenden: Primärschuldnerin) aus den Beiträgen für die Zeiträume Juli 2017 und August 2017 ein Beitragsrückstand in Höhe von € 140.544,14 zuzüglich der gesetzlichen Verzugszinsen aushafte. Da der Beschwerdeführer Geschäftsführer der Gesellschaft gewesen sei und der offene Betrag trotz Fälligkeit bisher nicht eingebracht werden habe können, hafte er dafür, wenn die Uneinbringlichkeit auf einer schuldhaften Verletzung der ihm als Vertreter der Gesellschaft auferlegten Pflichten beruhe. Der Beschwerdeführer wurde ersucht, den erwähnten Rückstand bis spätestens 10.05.2018 zu begleichen bzw. innerhalb dieser Frist alle Tatsachen vorzubringen, die seiner Ansicht nach gegen eine Haftung sprächen. Beigelegt war dem Schreiben ein Rückstandsausweis vom selben Tag, in dem der oben angeführte Betrag näher aufgeschlüsselt wurde.

2. Mit Stellungnahme vom 27.04.2018 teilte der Beschwerdeführer u.a. mit, dass er erst im Juli 2019 als Geschäftsführer bestellt worden sei, weshalb ihn für die Zeit davor keine Haftung treffen könne.

3. In einem über das Vermögen des Beschwerdeführers vor dem Bezirksgericht Hernals am 16.01.2019 zu XXXX eröffneten Schuldenregulierungsverfahren meldete die ÖGK Forderungen aus den Beitragszeiträumen Juli 2017 und August 2017 samt Verzugszinsen in Höhe von € 42.875,70 an, die in der Folge vom Beschwerdeführer bestritten wurden.

4. Mit Schreiben vom 25.03.2019 teilte die ÖGK dem Beschwerdeführer mit, dass er verpflichtet sei, einen Nachweis über die Gleichbehandlung der Sozialversicherungsbeiträge mit anderen Forderungen zu erbringen. Konkret wurde er ersucht, die gänzliche Zahlungseinstellung per Juli 2017 nachzuweisen bzw. für die Beitragszeiträume Juli 2017 und August 2017 eine Aufstellung vorzulegen, in der die jeweils fälligen Verbindlichkeiten der Primärschuldnerin (mit Ausnahme der Sozialversicherungsbeiträge) den erfolgten Zahlungen gegenüberzustellen seien.

5. Am 21.05.2019 gab der Beschwerdeführer bekannt, dass der Insolvenzverwalter der Primärschuldnerin die Gleichbehandlung der Gläubiger im Insolvenzverfahren geprüft, überwacht und durchgesetzt habe. Der Masseverwalter habe jedenfalls sechs Monate rückgerechnet von der Konkurseröffnung (am 05.10.2017) Anfechtungsansprüche geltend gemacht. Das betreffe auch die im Schreiben der ÖGK vom 25.03.2018 erwähnten Forderungen. Der Beschwerdeführer wies alle Haftungsansprüche zurück und wies darauf hin, dass der Insolvenzentgeltfonds (IEF) Zahlungen an die ÖGK geleistet habe, die zu berücksichtigen seien.

6. Mit Schreiben vom 28.05.2019 teilte die ÖGK dem Beschwerdeführer mit, dass es richtig sei, dass es im Konkurs der Primärschuldnerin eine Anfechtung gegeben habe. Der gegenüber dem Beschwerdeführer geltend gemachte Haftungsbetrag sei davon aber nicht betroffen. Da er erst seit 21.07.2017 als Geschäftsführer der Primärschuldnerin fungiert habe, seien ihm die zurückbezahlten (sic!) (offensichtlich: zurückliegenden) Beiträge nicht angelastet worden. Demnächst werde eine Quote von 11,986641 % zur Ausschüttung gelangen, die vorab vom Gesamtbetrag in Abzug gebracht werden könne. Ebenso seien Dienstnehmeranteile, die vom IEF ersetzt werden würden, in Abzug zu bringen. Somit verbleibe ein Betrag in Höhe von € 21.739,75, welchen der Beschwerdeführer ersucht wurde, in seinem Schuldenregulierungsverfahren anzuerkennen.

7. Mit beschwerdegegenständlichem Bescheid vom 30.07.2019 wurde der Beschwerdeführer sodann als ehemaliger Geschäftsführer der Primärschuldnerin gemäß § 67 Abs. 10 iVm § 83 ASVG verpflichtet, binnen 14 Tagen nach Zustellung des Bescheides bei sonstigen Zwangsfolgen die von der Primärschuldnerin zu entrichten gewesenen Beiträge samt Nebengebühren aus den Beitragszeiträumen Juli 2017 und August 2017 in Höhe von € 41.532,08 zuzüglich Verzugszinsen in der sich nach § 59 Abs. 1 ASVG jeweils ergebenden Höhe, das seien 3,38 % p.a., ab 30.07.2019 aus € 38.727,83 an die ÖGK zu bezahlen. Begründend wurde ausgeführt, dass die Primärschuldnerin aus den genannten Beitragszeiträumen Beiträge in Höhe von € 41.477,54 zuzüglich Verzugszinsen schulde. Sämtliche Einbringungsmaßnahmen seien erfolglos geblieben. Über das Vermögen der Primärschuldnerin sei am 05.10.2017 zu XXXX ein Insolvenzverfahren eröffnet worden, das am 27.06.2019 rechtskräftig aufgehoben worden sei. Da die Primärschuldnerin keine Tätigkeit mehr ausübe, sei die Hereinbringung der Forderung nicht mehr möglich. Der Beschwerdeführer sei im gegenständlichen Zeitraum laut Firmenbuch Geschäftsführer und damit vertretungsbefugtes Organ der Primärschuldnerin gewesen. Gemäß §§ 67 Abs. 10 und 58 Abs. 5 ASVG hätten die Vertreter juristischer Personen alle Pflichten zu erfüllen, die den von ihnen Vertretenen obliegen. Sie hätten insbesondere dafür zu sorgen, dass die Beiträge jeweils bei Fälligkeit aus den Mitteln, die sie verwalten, entrichtet werden. Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes habe der Vertreter des Dienstgebers darzutun, aus welchen Gründen ihm die Erfüllung der abgabenrechtlichen Pflichten unmöglich gewesen sei, widrigenfalls die Behörde eine schuldhafte Verletzung anzunehmen habe. Dem Beschwerdeführer sei sowohl mit Schreiben vom 16.04.2018 als auch mit Schreiben vom 25.03.2019 Gelegenheit geboten worden darzutun, aus welchen Gründen ihm die Erfüllung der abgabenrechtlichen Pflichten unmöglich gewesen sei. In seiner Stellungnahme vom 27.04.2019 habe er u.a. vorgebracht, dass er erst seit Juli 2019 als Geschäftsführer bestellt worden sei, weshalb ihn für die Zeit davor keine Haftung treffen könne. Obgleich nach der herrschenden Judikatur (z.B. VwGH 95/15/0155) die Haftung des neu bestellten Vertreters auch für Beitragsrückstände, die vor der Bestellung aufgelaufen sind, bestehe, sei dem Vorbringen des Beschwerdeführers mit Schreiben vom 25.03.2019 insofern Rechnung getragen worden, als der Beschwerdeführer aufgefordert worden sei, die Gleichbehandlung für die Beiträge 07/2017 und 08/2017 nachzuweisen. Nach seinem Schreiben vom 21.05.2019 sei er noch einmal aufgefordert worden, ein diesbezügliches Vorbringen zu erstatten. Trotz ordnungsgemäßer Zustellung sei jedoch keine Stellungnahme erfolgt, weshalb im Sinne der zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes die Haftung auszusprechen gewesen sei. Dem Bescheid war ein Rückstandsausweis vom selben Tag angeschlossen, in dem die Zusammensetzung des oben angeführten Betrages näher aufgeschlüsselt wurde.

8. In seiner dagegen binnen offener Rechtsmittelfrist erhobenen Beschwerde führte der Beschwerdeführer im Wesentlichen aus, dass kein Haftungstatbestand erfüllt sei, im Konkurs alle Anfechtungsansprüche durch den Masseverwalter geprüft worden seien, kein Meldeverstoß vorliege und ebenso ein deliktischer Haftungstatbestand nicht gegeben sei. Darüber hinaus sei eine Quote von 11,986641 % zur Ausschüttung gelangt, die von der ÖGK nicht berücksichtigt worden sei. Zinsansprüche bestünden keine, da während der Insolvenz ein gesetzlicher Zinsstopp festgelegt sei. Schließlich wurde die Beitragsschuld der Primärschuldnerin bestritten und vom Beschwerdeführer diesbezüglich die Ausfertigung eines Bescheids verlangt.

9. Mit Beschwerdevorentscheidung vom 16.09.2019 wurde die Beschwerde im Wesentlichen mit derselben Begründung wie im Ausgangsbescheid vom 30.07.2019 abgewiesen. Zum Beschwerdevorbringen, dass die zur Ausschüttung gebrachte Quote berücksichtigt werden hätte müssen, führte die ÖGK aus, dass dies für die Haftung nach § 67 Abs. 10 ASVG nicht relevant sei, informativ aber mitgeteilt werde, dass die Quote zwischenzeitlich ausgeschüttet worden sei, wodurch sich der Gesamtrückstand nunmehr auf € 37.738,27 reduziert habe.

10. Aufgrund des rechtzeitig erstatteten Vorlageantrages legte die ÖGK die Beschwerde unter Anschluss der Akten des Verwaltungsverfahrens am 23.10.2019 einlangend dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vor.

11. Über Aufforderung des Bundesverwaltungsgerichts legte die ÖGK mit Schreiben vom 23.04.2020 einen Rückstandsausweis vom 22.04.2020 vor, der einen noch aushaftenden Gesamtrückstand der Beiträge samt Nebengebühren in Höhe von € 27.764,34 ausweist.

12. Mit Schreiben vom 18.05.2020 nahm der Beschwerdeführer dazu Stellung. Darin wiederholte er sein bisheriges Vorbringen und forderte die ÖGK auf dazulegen, wie hoch die Zahlungen des Masseverwalters sowie die Zahlungen des IEF gewesen seien, wann diese am Beitragskonto eingegangen seien, wie diese verbucht worden seien und wieso die ÖGK ursprünglich von einem Haftungsbetrag von € 41.532,08 ausgegangen sei und nunmehr von einem Haftungsbetrag von € 24.195,72 (Anm.: ohne Nebengebühren und Verzugszinsen) ausgehe.

13. Mit Schreiben vom 02.06.2020 teilt die ÖGK u.a. mit, dass der Masseverwalter eine Quote von 11,986641 % zur Ausschüttung gebracht habe und diese im Rückstandsausweis vom 22.04.2020 – wie auch die Zahlungen der Dienstnehmer-Anteile durch den IEF – berücksichtigt worden seien. Die Aufschlüsselung des Haftungsbetrages habe den Vorgaben des § 64 Abs. 2 ASVG entsprochen, wonach der rückständige Betrag, die Art des Rückstandes samt Nebengebühren, der Zeitraum, auf den die rückständigen Beiträge entfallen, allenfalls vorgeschriebene Verzugszinsen, Beitragszuschläge und sonstige Nebengebühren anzuführen seien. Der Rückstandsausweis sei eine öffentliche Urkunde und begründe nach § 292 ZPO vollen Beweis über seinen Inhalt, also die Abgabenschuld (VwGH 12.01.2016, Ra 2014/08/0028). Auf Grund des Vorliegens des Rückstandsausweises sei sohin hinreichend bestimmt, welche ziffernmäßige Höhe der Haftungsbetrag aufweise und wie sich die Forderung konkret zusammensetze. Es bedürfe – wie der VwGH in seiner Entscheidung vom 11.04.2018, Ra 2015/08/0038, ausgeführt habe – auch keiner weiteren Klarstellung, wie sich der Haftungsbetrag im Einzelnen zusammensetze. Die im Bescheid enthaltene Aufgliederung in Teilbeträge für bestimmte Zeiträume zuzüglich Verzugszinsen sei für das gegenständliche Verfahren hinreichend.

14. In seiner Stellungnahme vom 23.06.2020 zum Schreiben der ÖGK vom 02.06.2020 beantragte der Beschwerdeführer (u.a.) erneut, letztere möge detailliert darlegen, wie sich der Beitragsrückstand zusammensetze. Die Bekanntgabe der saldierten Beträge ohne genaue Aufschlüsselung der behaupteten Zahlungen aufgrund der Quotenausschüttung und des IEF genüge nicht, um die Haftung zu begründen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der Entscheidung wird folgender Sachverhalt zugrunde gelegt:

Der Beschwerdeführer war seit 21.07.2017 selbständig vertretungsbefugter Geschäftsführer der Primärschuldnerin.

Mit zu XXXX ergangenem Beschluss des Handelsgerichts Wien vom 27.06.2019 wurde das am 05.10.2017 über das Vermögen der Primärschuldnerin eröffnete Insolvenzverfahren nach Verteilung an die Massegläubiger aufgehoben, wobei eine Quote von 11,986641 % zur Ausschüttung gelangte.

Die Haftung des Beschwerdeführers für die von der Primärschuldnerin zu entrichten gewesenen Beiträge aus den Beitragszeiträumen Juli 2017 und August 2017 samt Nebengebühren unter Abzug der vom IEF geleisteten sowie der aufgrund der Quotenausschüttung erfolgten Zahlungen beträgt mit Stichtag 22.04.2020 € 27.764,34 zuzüglich der ab 22.04.2020 auflaufenden Verzugszinsen in Höhe von 3,38 % p.a. aus € 24.195,72.

Bis dato wurde durch den Beschwerdeführer trotz mehrmaliger Aufforderung kein Nachweis der Gläubigergleichbehandlung im beschwerdegegenständlichen Zeitraum erbracht.

2. Beweiswürdigung:

Die Stellung des Beschwerdeführers als handelsrechtlicher Geschäftsführer der Primärschuldnerin im oben angeführten Zeitraum ergibt sich aus dem Firmenbuch und wurde vom Beschwerdeführer nicht bestritten.

Die Zahlungsunfähigkeit der Primärschuldnerin sowie die Höhe der Verteilungsquote ergeben sich aus der Insolvenzdatei (www.edikte.at).

Der Haftungsbetrag ergeht aus dem Rückstandsausweis vom 22.04.2020, der als öffentliche Urkunde nach § 292 ZPO vollen Beweis über seinen Inhalt, also die Abgabenschuld begründet (vgl. VwGH 12.01.2016, Ra 2014/08/0028, mHa OGH RIS-Justiz RS0040429 mwN).

Dass vom Beschwerdeführer bislang kein Nachweis der Gläubigergleichbehandlung erbracht wurde, ist aufgrund der vorliegenden Verwaltungs- und Gerichtsakten evident.

3. Rechtliche Beurteilung:

Gemäß § 414 Abs. 1 ASVG kann gegen Bescheide der Versicherungsträger in Verwaltungssachen Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht erhoben werden.

Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Gemäß § 414 Abs. 2 ASVG entscheidet in Angelegenheiten nach § 410 Abs. 1 Z 1, 2 und 6 bis 9 ASVG das Bundesverwaltungsgericht auf Antrag einer Partei durch einen Senat; dies gilt auch für Verfahren, in denen die zitierten Angelegenheiten als Vorfragen zu beurteilen sind. Da über eine Sache nach § 410 Abs. 1 Z 4 (Haftung für Beitragsschulden gemäß § 67 ASVG) entschieden wird und auch nicht eine Angelegenheit gemäß § 410 Abs. 1 Z 1, 2 und 6 bis 9 ASVG als Vorfrage zu beurteilen ist, liegt im gegenständlichen Beschwerdeverfahren Einzelrichterzuständigkeit vor.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG, BGBl. I 2013/33 idF BGBl. I 2013/122, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung – BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes – AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 – DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Zu A)

Die im beschwerdegegenständlichen Zeitraum anzuwendenden Rechtsvorschriften lauten:

§ 58 ASVG in der hier maßgebenden Fassung des BGBl. I Nr. 102/2010:

„Fälligkeit und Einzahlung der Beiträge; Beitragsvorauszahlung

§ 58. (1) bis (4) ...

(5) Die VertreterInnen juristischer Personen, die gesetzlichen VertreterInnen natürlicher Personen und die VermögensverwalterInnen (§ 80 BAO) haben alle Pflichten zu erfüllen, die den von ihnen Vertretenen obliegen, und sind befugt, die diesen zustehenden Rechte wahrzunehmen. Sie haben insbesondere dafür zu sorgen, dass die Beiträge jeweils bei Fälligkeit aus den Mitteln, die sie verwalten, entrichtet werden.

(6) bis (8) …“

§ 67 ASVG in der Fassung des BGBl. I Nr. 86/2013:

„Haftung für Beitragsschuldigkeiten

§ 67. (1) bis (9) […]

(10) Die zur Vertretung juristischer Personen oder Personenhandelsgesellschaften (offene Gesellschaft, Kommanditgesellschaft) berufenen Personen und die gesetzlichen Vertreter natürlicher Personen haften im Rahmen ihrer Vertretungsmacht neben den durch sie vertretenen Beitragsschuldnern für die von diesen zu entrichtenden Beiträge insoweit, als die Beiträge infolge schuldhafter Verletzung der den Vertretern auferlegten Pflichten nicht eingebracht werden können. Vermögensverwalter haften, soweit ihre Verwaltung reicht, entsprechend.“

§ 83 ASVG in der Fassung BGBl. Nr. 588/1991:

„Verzugszinsen und Verwaltungskostenersätze

§ 83. Die Bestimmungen über Eintreibung und Sicherung, Haftung, Verjährung und Rückforderung von Beiträgen gelten entsprechend für Verzugszinsen und Verwaltungskostenersätze bei zwangsweiser Eintreibung.“

Fallbezogen ergibt sich daraus Folgendes:

§ 67 Abs. 10 ASVG zufolge haften u.a. die zur Vertretung juristischer Personen oder Personenhandelsgesellschaften (offene Gesellschaft, Kommanditgesellschaft) berufenen Personen und die gesetzlichen Vertreter natürlicher Personen im Rahmen ihrer Vertretungsmacht neben den durch sie vertretenen Beitragsschuldnern für die von diesen zu entrichtenden Beiträge insoweit, als die Beiträge infolge schuldhafter Verletzung der den Vertretern auferlegten Pflichten nicht eingebracht werden können.

Voraussetzung für den Eintritt der Haftung gemäß § 67 Abs. 10 ASVG ist, dass die betreffenden Sozialversicherungsbeiträge beim Primärschuldner uneinbringlich sind. Erst wenn dies feststeht, ist auf die Prüfung der für die Haftung nach dieser Bestimmung maßgebenden weiteren, an die Person des allenfalls Haftungspflichtigen geknüpften Voraussetzungen einzugehen (VwGH 16.09.1991, 91/15/0028; 09.02.1982, 81/14/0072).

Mit Beschluss des Handelsgerichts Wien vom 27.06.2019 wurde das am 05.10.2017 eröffnete Insolvenzverfahren über das Vermögen der Primärschuldnerin nach Verteilung an die Massegläubiger aufgehoben. Damit sind die darüberhinausgehenden Beitragsschulden der Gesellschaft uneinbringlich.

Gemäß § 58 Abs. 5 ASVG in der hier maßgebenden Fassung des BGBl. I Nr. 102/2010 besteht neben den im § 67 Abs. 10 ASVG auferlegten Pflichten auch eine allgemeine, die Vertreter der Beitragsschuldner gegenüber den Beitragsgläubigern treffende Pflicht, aus den von ihnen verwalteten Mitteln für die Abfuhr der Beiträge zu sorgen. Damit ist zur bisherigen Haftung für nicht abgeführte Dienstnehmerbeiträge und Meldeverstöße (gleichrangig) eine neue Haftung wegen Ungleichbehandlung (von Gläubigern) hinzugetreten (Derntl in Sonntag (Hrsg), ASVG6 (2017) § 67 Rz 77a).

Gemäß der auf die Haftung nach § 67 Abs. 10 ASVG übertragbaren Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Parallelbestimmung des § 25a Abs. 7 BUAG liegt Gläubigergleichbehandlung dann vor, wenn das Verhältnis aller im Beurteilungszeitraum erfolgten Zahlungen zu allen Verbindlichkeiten, die zu Beginn des Beurteilungszeitraumes bereits fällig waren oder bis zum Ende des Beurteilungszeitraumes fällig wurden, dem Verhältnis der in diesem Zeitraum erfolgten Beitragszahlungen zu den insgesamt fälligen Beitragsverbindlichkeiten entspricht. Unterschreitet die Beitragszahlungsquote die allgemeine Zahlungsquote, so liegt eine Ungleichbehandlung des Sozialversicherungsträgers vor (vgl. VwGH 29.01.2014, 2012/08/0227).

Unter Bedachtnahme auf die Grundsätze der Rechtsprechung zur abgabenrechtlichen Haftung (vgl. u.a. VwGH 19.06.1985, Slg. Nr. 6012/F, 17.09.1986, 84/13/0198, 16.12.1986, 86/14/0077, und 06.03.1989, 88/15/0063) ist es auch im sozialversicherungsrechtlichen Haftungsverfahren Sache des haftungspflichtigen Geschäftsführers dazulegen, weshalb er nicht dafür Sorge tragen konnte, dass die Beitragsschulden rechtzeitig (zur Gänze) entrichtet wurden, und dafür entsprechende Beweisanbote zu erstatten. Denn ungeachtet der grundsätzlich amtswegigen Ermittlungspflicht der Behörde trifft denjenigen, der eine ihm obliegende Pflicht nicht erfüllt – über die ihn stets allgemein treffende Behauptungslast im Verwaltungsverfahren hinaus – die besondere Verpflichtung darzutun, aus welchen Gründen ihm deren Erfüllung unmöglich war, widrigenfalls angenommen werden darf, dass er seiner Pflicht schuldhafterweise nicht nachgekommen ist (VwGH 13.03.1990, 89/08/0217).

Der Beschwerdeführer wurde wiederholt aufgefordert, eine Aufstellung aller im Beurteilungszeitraum insgesamt fälligen Beitragsforderungen einerseits und aller sonstigen Geschäftsforderungen andererseits sowie aller auf diese Forderungen geleisteten Zahlungen vorzulegen. Er ist dieser Aufforderung nicht nachgekommen. Damit ist im Lichte der o.a. Rechtsprechung davon auszugehen, dass er seine Verpflichtung zur Gleichbehandlung der Gläubiger schuldhaft verletzt hat.

Die Kausalität der dem Beschwerdeführer anzulastenden Pflichtverletzung für die Uneinbringlichkeit und der Rechtswidrigkeitszusammenhang sind mangels eines stichhaltigen Bestreitungsvorbringens bzw. gegenteiliger Anhaltspunkte ebenso zu bejahen.

Im Falle der Nichterbringung eines Nachweises der Gläubigergleichbehandlung haftet der Vertreter für die von der Haftung betroffenen Beitragsschulden zur Gänze (vgl. nochmals VwGH 04.10.2001, 98/08/0368). Somit besteht im vorliegenden Fall die Haftung des Beschwerdeführers für die gesamte Beitragsschuld.

Der Haftungsbetrag ergeht aus dem Rückstandausweis vom 22.04.2020, wobei der Vollständigkeit halber darauf hinzuweisen ist, dass die von der ÖGK in der Beschwerdevorentscheidung vertretene Rechtsansicht, wonach es für die Haftung nach § 67 Abs. 10 ASVG nicht relevant sei, ob zwischenzeitlich eine Quotenzahlung erfolgt sei, nicht zutrifft, weil bei der Festlegung des Haftungsbetrags jedenfalls der einbringliche Teil der Beitragsforderung in Abzug zu bringen ist (vgl. VwGH 12.04.1994, 93/08/0259, SVSlg 42.154 = ARD 4570/30/94 – Berücksichtigung der Insolvenzquote).

Soweit der Beschwerdeführer die ÖGK aufforderte dazulegen, wie hoch die Zahlungen des Masseverwalters sowie die Zahlungen des IEF gewesen seien, wann diese am Beitragskonto der Primärschuldnerin eingegangen seien, wie diese verbucht worden seien und wieso die ÖGK ursprünglich von einem Haftungsbetrag von € 41.532,08 ausgegangen sei und nunmehr von einem Haftungsbetrag von € 24.195,72 (Anm.: ohne Nebengebühren und Verzugszinsen) ausgehe, ist auf das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 11.04.2018, Ra 2015/08/0038, zu verweisen, in dem dieser im Zusammenhang mit der Beitragshaftung nach § 67 Abs. 10 ASVG festgehalten hat, dass es keiner weiteren Klarstellung bedarf, wie sich der Haftungsbetrag im Einzelnen zusammensetze, wenn die Aufgliederung – wie im vorliegenden Fall – in Teilbeträge für bestimmte Zeiträume zuzüglich Verzugszinsen erfolgt ist.

Die Haftung umfasst im Hinblick auf die §§ 58 Abs. 5 und 83 ASVG – entgegen dem Beschwerdevorbringen – auch die Pflicht zur Zahlung von Verzugszinsen nach § 59 Abs. 1 ASVG (VwGH 11.04.2018, Ra 2015/08/0038).

Damit war die Haftung des Beschwerdeführers für die aushaftenden Beiträge der Primärschuldnerin einschließlich Verzugszinsen zu bestätigen, der Beschwerde aber insofern teilweise stattzugeben, als der Haftungsbetrag lediglich mit € 27.764,34 zuzüglich der ab 22.04.2020 auflaufenden Verzugszinsen in Höhe von derzeit 3,38 % p.a. aus € 24.195,72 festzusetzen war.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Die vorliegende Entscheidung folgt in allen wesentlichen Rechtsfragen der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes, die in den rechtlichen Erwägungen zu Spruchpunkt A) an der jeweiligen Stelle zitiert wird.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Schlagworte

Beitragsschuld Geschäftsführer Gleichbehandlung Haftung Herabsetzung Nachweismangel öffentliche Urkunde Pflichtverletzung Rückstandsausweis Teilstattgebung Uneinbringlichkeit

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W209.2224667.1.00

Im RIS seit

08.10.2020

Zuletzt aktualisiert am

08.10.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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