TE Bvwg Erkenntnis 2020/6/8 I416 2228121-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 08.06.2020
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Entscheidungsdatum

08.06.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z5
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §58 Abs2
AsylG 2005 §9
AsylG 2005 §9 Abs2 Z2
AsylG 2005 §9 Abs2 Z3
AsylG 2005 §9 Abs4
BFA-VG §21 Abs7
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
EMRK Art2
EMRK Art3
EMRK Art8
FPG §46
FPG §46a Abs1 Z2
FPG §50
FPG §52 Abs2 Z4
FPG §52 Abs9
FPG §53 Abs1
FPG §53 Abs3 Z5
FPG §55 Abs2
StGB §15
StGB §75
VwGVG §24
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2
VwGVG §28 Abs5

Spruch

I416 2228121-1/6E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat den Richter Mag. Alexander BERTIGNOL als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX, geb. XXXX, StA. Sierra Leone, vertreten durch die "Diakonie Flüchtlingsdienst gem. GmbH" und "Volkshilfe Flüchtlings- und MigrantInnenbetreuung GmbH" in 1170 Wien, Wattgasse 48/3. Stock, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 30.12.2019, Zl. "XXXX", zu Recht erkannt:

A)

I. Die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. wird mit der Maßgabe als unbegründet abgewiesen, dass dieser zu lauten hat:

"Der Ihnen mit Rechtskraft vom 09.09.2011, Zl. XXXX, zuerkannte Status des subsidiär Schutzberechtigten wird Ihnen gemäß § 9 Abs. 2 Z 3 AsylG 2005 von Amts wegen aberkannt. Es wird gemäß § 9 Abs. 2 zweiter Satz AsylG 2005 festgestellt, dass Ihre Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Sierra Leone unzulässig ist."

II. In Erledigung der Beschwerde werden die Spruchpunkte V. und VI. des angefochtenen Bescheides ersatzlos aufgehoben.

III. Im Übrigen wird die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Sierra Leone, reiste unter Umgehung der Grenzkontrollen in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte erstmalig am 02.04.2004 einen Antrag auf internationalen Schutz. Begründend brachte er im Wesentlichen vor, in seiner Heimat der Gefahr einer politischen Verfolgung ausgesetzt zu sein, da sein Vater Anhänger von Foday Sankoh, dem Anführer der Rebellengruppe "Revolutionary United Front Party", gewesen sei.

2. Mit Bescheid der BPD XXXX vom 28.02.2005, Zl. XXXX wurde gegen den Beschwerdeführer aufgrund einer mittlerweile aus dem Strafregister getilgten Verurteilung wegen Suchtgiftdelinquenz ein unbefristetes Aufenthaltsverbot erlassen.

3. Der erste Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz vom 02.04.2004 wurde in zweiter Instanz mit Bescheid des Unabhängigen Bundesasylsenates vom 06.06.2008, Zl. XXXX rechtskräftig abgewiesen. Zugleich wurde festgestellt, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Sierra Leone zulässig sei und dieser aus dem österreichischen Bundesgebiet ausgewiesen.

4. Der Beschwerdeführer kam seiner Ausreiseverpflichtung nicht nach und stellte am 26.05.2011 einen Folgeantrag auf internationalen Schutz, welchen er im Wesentlichen damit begründete, sich nunmehr in ärztlicher Behandlung zu befinden, nachdem ihm im März 2011 ein Herzschrittmacher eingesetzt worden sei. Er müsse regelmäßig zu ärztlichen Kontrollen als auch Medikamente einnehmen.

5. Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 20.08.2011, Zl. XXXX wurde der Folgeantrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz vom 26.05.2011 hinsichtlich der Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen. Zugleich wurde dem Beschwerdeführer in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Sierra Leone der Status eines subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 zuerkannt und ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 bis zum 20.08.2012 erteilt. Dieser Bescheid erwuchs unangefochten in Rechtskraft.

6. Die befristete Aufenthaltsberechtigung des Beschwerdeführers als subsidiär Schutzberechtigter wurde auf seinen Antrag hin zuletzt mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA / belangte Behörde) vom 06.07.2016, Zl. XXXX mit Verweis auf die allgemeine Lage im Herkunftsstaat Sierra Leone in Verbindung mit dem Vorbringen des Beschwerdeführers hinsichtlich seines Gesundheitszustandes gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 bis zum 20.08.2018 verlängert.

7. Mit Schriftsatz vom 16.07.2018 stellte der Beschwerdeführer bei der belangten Behörde abermals einen Antrag auf Verlängerung seiner befristeten Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005. Inhaltlich führte er aus, dass sich an den ursprünglich ausschlaggebenden Gründen für die Gewährung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten nichts geändert habe. Der Beschwerdeführer befinde sich zur Überprüfung seines Gesundheitszustandes weiterhin regelmäßig in ärztlicher Kontrolle. Überdies habe er seine sprachliche und berufliche Integration in Österreich weiter vorangetrieben und arbeite seit dem Jahr 2015 für 40 Stunden in der Woche in einem Gastronomiebetrieb, wodurch er auch diverse Freundschaften geschlossen habe. Diesem Antrag wurden ein Meldezettel sowie insgesamt vier Lohnzettel des Beschwerdeführers angeschlossen.

8. Am 07.12.2018 wurde der Beschwerdeführer hinsichtlich seines Antrags auf Verlängerung seiner befristeten Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter niederschriftlich vor der belangten Behörde einvernommen. Hierbei gab er insbesondere an, er müsse aufgrund seiner Herzerkrankung täglich drei verschiedene Medikamente einnehmen sowie zweimal jährlich ein Spital aufsuchen, um die Batterien seines Herzschrittmachers kontrollieren zu lassen. Die Batterien müssten überdies alle fünf bis sieben Jahre gewechselt werden.

9. Am 10.07.2019 wurde der Beschwerdeführer in einem Spital durch verständigte Polizeikräfte festgenommen, nachdem er im Rahmen eines Untersuchungstermines den behandelnden Arzt mit einem Messer attackiert und dadurch schwer verletzt hatte.

10. Am 26.08.2019 wurde der Beschwerdeführer während seiner Anhaltung in einer Justizanstalt ein weiteres Mal niederschriftlich vor der belangten Behörde einvernommen. Hierbei verwies er abermals auf seine ärztliche sowie medikamentöse Behandlungsbedürftigkeit aufgrund seiner Herzerkrankung. Überdies gab er an, nicht zu wissen, weshalb er sich aktuell in Haft befinde und stellte in Abrede, je einen Arzt mit einem Messer verletzt zu haben.

11. Mit Urteil des Landesgerichts XXXX vom 20.11.2019, Zl. XXXX wurde der Beschwerdeführer rechtskräftig wegen des Verbrechens des versuchten Mordes nach §§ 15, 75 StGB verurteilt und in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher eingewiesen.

12. Mit dem gegenständlich angefochtenen Bescheid der belangten Behörde vom 30.12.2019, Zl. "XXXX" wurde der dem Beschwerdeführer mit Rechtskraft vom 09.09.2011, Zl. 305005306 - 1911818 zuerkannte Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 9 Absatz 2 Z 3 Asylgesetz 2005, BGBl I Nr. 100/2005 (AsylG) idgF von Amts wegen aberkannt (Spruchpunkt I.) und ihm die mit Rechtskraft vom 09.09.2011, Zl. 305005306 - 1911818 erteilte befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter gemäß § 9 Absatz 4 AsylG entzogen (Spruchpunkt II.). Zugleich wurde dem Beschwerdeführer ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Absatz 1 Ziffer 5 AsylG iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 87/2012 (BFA-VG) idgF wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Absatz 2 Ziffer 4 Fremdenpolizeigesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (FPG) idgF erlassen (Spruchpunkt IV.). Es wurde gemäß § 52 Absatz 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung nach Sierra Leone gemäß § 46 FPG zulässig ist (Spruchpunkt V.). Es wurde ihm gemäß § 55 Absatz 1 bis 3 FPG eine 14-tägige Frist für die freiwillige Ausreise ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung gewährt (Spruchpunkt VI.). Weiters wurde gegen den Beschwerdeführer gemäß § 53 Absatz 1 iVm Absatz 3 Ziffer 5 FPG ein unbefristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt VII.).

Die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten begründete das BFA im Wesentlichen mit der strafgerichtlichen Verurteilung des Beschwerdeführers wegen des Verbrechens des versuchten Mordes. Hinsichtlich der Rückkehrentscheidung wurde ausgeführt, dass diese unter Berücksichtigung seines nicht schützenswerten Privatlebens im Bundesgebiet zulässig sei und wurde zur Abschiebung festgestellt, dass diese zulässig sei, zumal seine medizinische Nachversorgung in Sierra Leone gewährleistet sei. Die Gesamtbeurteilung des Verhaltens des Beschwerdeführers, seiner Lebensumstände sowie seiner familiären und privaten Anknüpfungspunkte habe im Zuge der von der Behörde vorgenommenen Abwägungsentscheidung ergeben, dass die Erlassung eines unbefristeten Einreiseverbotes gerechtfertigt und notwendig sei, um die von ihm ausgehende schwerwiegende Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit zu verhindern.

13. Gegen den gegenständlich angefochtenen Bescheid der belangten Behörde erhob der Beschwerdeführer mit Schriftsatz seiner Rechtsvertretung vom 27.01.2020 vollumfänglich Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht. Zusammengefasst wurde insbesondere vorgebracht, dass die belangte Behörde im Hinblick auf den Gesundheitszustand des Beschwerdeführers mangelhaft ermittelt habe. Sie hätte angesichts des Umstandes, dass der Beschwerdeführer in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher eingewiesen worden sei, Zweifel an seiner Dispositionsfähigkeit hegen müssen, habe jedoch keinerlei Ermittlungen dahingehend getätigt, ob psychische Erkrankungen in Sierra Leone behandelbar seien. Zudem sei der Beschwerdeführer in seinem Recht auf Parteiengehör verletzt worden, indem hinsichtlich der Behandlungsmöglichkeiten von Herzerkrankungen in Sierra Leone im angefochtenen Bescheid auf eine Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 03.10.2019 verwiesen werde, welche sich jedoch weder im angefochtenen Bescheid finde, noch dem Beschwerdeführer vor der Bescheiderlassung je vorgehalten worden sei. Letztlich habe es die belangte Behörde verabsäumt zu prüfen, ob der Beschwerdeführer tatsächlich in Sierra Leone Zugang zu einer angemessenen, medizinischen Behandlung hätte, andernfalls seine Abschiebung unzulässig sei.

Es wurde beantragt, das Bundesverwaltungsgericht möge den angefochtenen Bescheid ersatzlos beheben und zur Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidung an das BFA zurückverweisen; in eventu eine mündliche Beschwerdeverhandlung anberaumen; falls nicht alle zu Lasten des Beschwerdeführers gehenden Rechtswidrigkeiten im angefochtenen Bescheid in der Beschwerde geltend gemacht wurden, diese amtswegig aufgreifen bzw. allenfalls dem Beschwerdeführer einen Verbesserungsauftrag erteilen, um die nicht mit der Beschwerde geltend gemachten Beschwerdepunkte ausführen zu können; den angefochtenen Bescheid hinsichtlich Spruchpunkt I. - allenfalls nach Verfahrensergänzung - ersatzlos beheben; Spruchpunkt II. aufheben und die befristete Aufenthaltsberechtigung verlängern; in eventu den angefochtenen Bescheid bezüglich der Spruchpunkte III. und IV. aufheben bzw. dahingehend abändern, dass die Rückkehrentscheidung aufgehoben, die Rückkehrentscheidung für auf Dauer unzulässig erklärt und dem Beschwerdeführer ein Aufenthaltstitel aus Gründen des Art. 8 EMRK erteilt wird; in eventu den angefochtenen Bescheid aufheben bzw. dahingehend abändern, dass dem Beschwerdeführer eine "Aufenthaltsberechtigung Plus" erteilt wird; in eventu den Bescheid hinsichtlich des Einreiseverbots unter Spruchpunkt VII. ersatzlos beheben; in eventu das Einreiseverbot auf eine angemessene Dauer reduzieren.

14. Beschwerde und Verwaltungsakt wurden dem Bundesverwaltungsgericht am 29.01.2020 vorgelegt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1 Die unter Punkt I. getroffenen Ausführungen werden als entscheidungswesentlicher Sachverhalt festgestellt. Darüber hinaus werden folgende weitere Feststellungen getroffen:

1.2. Zur Person des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Sierra Leone und somit Drittstaatsangehöriger im Sinne des § 2 Abs. 1 Z 20b AsylG 2005. Er ist kein begünstigter Drittstaatsangehöriger und es kommt ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zu.

Die Identität des Beschwerdeführers steht in Ermangelung entsprechender Identitätsdokumente nicht fest.

Der Beschwerdeführer ist volljährig, ledig und kinderlos und gibt an, sich zum christlichen Glauben zu bekennen.

Er hat bis zu seinem vierzehnten Lebensjahr in Sierra Leone gelebt und besuchte dort sechs Jahre lang die Grundschule. Feststellungen zu etwaigen Angehörigen in oder außerhalb seines Herkunftsstaates können keine getroffen werden.

Der Beschwerdeführer hält sich seit (spätestens) April 2004 im österreichischen Bundesgebiet auf. Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 20.08.2011, Zl. XXXX wurde dem Beschwerdeführer in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Sierra Leone der Status eines subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 zuerkannt und ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 bis zum 20.08.2012 erteilt, welche in weiterer Folge zuletzt bis zum 20.08.2018 verlängert wurde.

In Österreich verfügt der Beschwerdeführer über keine familiären Anknüpfungspunkte oder maßgebliche private Beziehungen, es leben keine Familienangehörigen oder Verwandten des Beschwerdeführers in Österreich.

Der Beschwerdeführer ging in Österreich seit Dezember 2011 regelmäßig - jedoch nicht durchgehend - angemeldeten Erwerbstätigkeiten als Arbeiter oder geringfügig beschäftigter Arbeiter nach. Zuletzt war er vom 14.12.2015 bis zum 30.06.2019 durchgehend als Arbeiter in einem Gastronomiebetrieb beschäftigt.

Er kann sich in deutscher Sprache verständigen.

Der Beschwerdeführer wurde im März 2011 mit dokumentiertem Herzkammerflimmern und einer dilatative Kardiomyopathie (Anm.: krankhafte Erweiterung des Herzmuskels) in der kardiologischen Abteilung eines Spitals stationär aufgenommen und an ihm nach primärem Kammerflimmern und einem überlebten plötzlichen Herztod "eine AICD-Implantation in secundär präventiver Absicht" (Anm.: Einsetzen eines Herzschrittmachers) durchgeführt. Überdies wurde bereits stationär mit einer medikamentösen Herzinsuffizienz-Therapie begonnen, wobei der Beschwerdeführer am 02.04.2011 wieder aus dem Spital entlassen wurde.

Im Juli 2013 wurde der Beschwerdeführer abermals mit der Rettung in die kardiologische Abteilung eines Spitals transferiert, nachdem sein Herzschrittmacher innerhalb von einer Stunde vier Schocks abgegeben hatte. Nach einer Aktualisierung der Einstellungen des Herzschrittmachers konnte der Beschwerdeführer jedoch am Folgetag - bei leicht abgeänderten Medikamentendosierungen - in stabilem Allgemeinzustand wieder entlassen werden.

Der Beschwerdeführer befindet sich aufgrund seiner Herzerkrankung zweimal jährlich in ärztlicher Kontrolle in der kardiologischen Abteilung eines Spitals. Zuletzt hat er aufgrund seiner Erkrankung die Medikamente Acemin (Wirkstoff Lisinopril), Concor (Wirkstoff Bisoprolol) und Sedacoron (Wirkstoff Amiodaronhydrochlorid) eingenommen. Etwa alle fünf bis sieben Jahre muss überdies die Batterie seines Herzschrittmachers im Rahmen eines operativen Eingriffs am Herzen gewechselt werden.

Darüber hinaus leidet der Beschwerdeführer an einer geistigen und seelischen Abartigkeit höheren Grades, nämlich an einer paranoid wahnhaften Geisteskrankheit.

Unter Berücksichtigung der individuellen Situation des Beschwerdeführers und der aktuellen Lage in Sierra Leone kann nicht festgestellt werden, dass sich die Umstände, die zur Zuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 20.08.2011, Zl. XXXX geführt haben, wesentlich und nicht nur vorübergehend gebessert haben.

Angesichts des Gesundheitszustandes des Beschwerdeführers besteht die begründete Annahme, dass er im Falle einer Rückkehr nach Sierra Leone keinen Zugang zu adäquaten medizinischen Behandlungsmöglichkeiten vorfinden wird und aufgrund dessen der realen Gefahr ausgesetzt ist, in eine lebensbedrohliche oder ausweglose Situation zu geraten.

1.3. Zur Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten:

Mit Urteil des Landesgerichts XXXXXXXX vom 20.11.2019, Zl. XXXX wurde der Beschwerdeführer rechtskräftig wegen des Verbrechens des versuchten Mordes nach §§ 15, 75 StGB verurteilt und in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher eingewiesen. Der Verurteilung lag zugrunde, dass der Beschwerdeführer am 10.07.2019 in einem Spital in Wien einen Spitalsarzt zu töten versuchte, indem er diesem mit einem Messer mit einer Klingenlänge von ca. 21 cm einen kräftigen Stich in den Bauch versetzt hat, wodurch das Opfer eine Stichverletzung am rechten Oberbauch mit einem steil nach aufwärts gerichteten Stichkanal, der zu einer Durchtrennung der neunten Rippe, einer Stichverletzung des Zwerchfells und einer Eröffnung der rechten Brusthöhle mit Blutung in die Brusthöhle, erlitten hat. Die Tatbegehung erfolgte hierbei auf eine Weise, bei der in der Regel mit schweren Verletzungen der inneren Organe und lebensgefährlichen Verletzungsfolgen zu rechnen sei.

Ein im Rahmen des Strafverfahrens eingeholtes psychiatrisches Sachverständigengutachten gelangte zu dem Schluss, dass sich der Beschwerdeführer zum Tatzeitpunkt in einem die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Zustand, welcher auf einer geistigen und seelischen Abartigkeit höheren Grades, nämlich einer paranoid wahnhaften Geisteskrankheit beruhe, befunden hat. Überdies sei die Gefahr sehr hoch, dass der Beschwerdeführer unter dem Einfluss seiner geistigen und seelischen Abnormität höheren Grades neuerlich grundlos unbeteiligte Personen mit einem Messer attackieren und weitere Taten mit schweren Folgen begehen könnte. Das Strafgericht gelangte auf Grundlage des Sachverständigengutachtens zum Ergebnis, dass eine ambulante Behandlung des Beschwerdeführers derzeit nicht ausreichend sei, um dessen Gefährlichkeit zu reduzieren oder ganz zu beseitigen, sodass zum Urteilszeitpunkt die Voraussetzungen für eine unbedingte Einweisung in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher vorgelegen seien und der Beschwerdeführer gemäß § 21 Abs. 1 StGB untergebracht wurde.

1.4. Zu den Feststellungen zur Lage in Sierra Leone:

Zur aktuellen Lage in Sierra Leone werden folgende Feststellungen getroffen, soweit sie für den vorliegenden Beschwerdefall von Relevanz sind:

"Politische Lage

Sierra Leone ist eine Präsidialdemokratie mit einem Mehrparteiensystem. Der Präsident wird direkt vom Volk gewählt und ist zugleich Staatsoberhaupt und Regierungschef. Die Präsidentschafts- und Parlamentswahlen finden gleichzeitig alle fünf Jahre statt (GIZ 6.2018a; vgl. AA 3.2017a). Die Verfassung aus dem Jahre 1991 gilt noch heute und setzt sich aus britischen und amerikanischen Elementen zusammen. Es gibt eine horizontale Gewaltenteilung mit Legislative, Exekutive und Judikative. Das Parlament als legislative Gewalt hat eine Kammer mit 144 Sitzen, von denen 132 Sitze für direkt gewählte Abgeordnete bestimmt sind (GIZ 6.2018a), zwölf Sitze sind für die Vertretung der Paramount Chiefs reserviert (GIZ 6.2018a; vgl. AA 3.2017a). Diese zwölf Abgeordneten vertreten die Paramount Chiefs der 190 Chiefdoms, wobei die Paramount Chiefs in den einzelnen Chiefdoms wiederum vom Volk auf Lebenszeit gewählt werden (GIZ 6.2018a).

Die Präsidentschaftswahl gewann 2018 Julius Maada Bio von der Sierra Leone People's Party (SLPP) im 2. Wahlgang. Er wurde am 4. April 2018 zum neuen Präsidenten Sierra Leones ernannt. Er löst Ernest Bai Koroma vom All People's Congress (APC) ab, der nach zwei Amtszeiten nicht noch einmal kandidieren durfte. Parteipolitisch ist Sierra Leone hauptsächlich in zwei Lager geteilt. Während der APC tendenziell als Partei der Temne im Norden gilt, hat die SLPP ihr Wählerklientel vorwiegend bei den Mende im Süden und Südosten des Landes. Beide Parteien sind politisch vorbelastet. Das Einparteiensystem und die Misswirtschaft der APC haben letztlich zum Bürgerkrieg geführt. Die SLPP stand danach zunächst für eine Erneuerung und den Frieden. Allerdings wird auch ihr vorgeworfen, dass sich ihre Führung während der Regierungszeit hemmungslos bereichert hat (GIZ 6.2018a).

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt (3.2017a): Sierra Leone - Innenpolitik, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/sierraleone-node/-/203526, Zugriff 26.6.2018

- GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (6.2018a): Sierra Leone - Geschichte & Staat, https://www.liportal.de/sierra-leone/geschichte-staat/, Zugriff 26.6.2018

Sicherheitslage

Die Sicherheitslage ist im ganzen Land stabil (AA 3.2017a). Das französische Außenministerium bewertet lediglich die Lage im direkten Grenzgebiet zu Liberia als instabil (FD 27.6.2018). Das deutsche Auswärtige Amt nennt keine relevanten Sicherheitsprobleme (AA 26.6.2018). Laut österreichischem Außenministerium herrscht im ganzen Land ein hohes Sicherheitsrisiko (BMEIA 27.6.2018). Armee und Polizei sind landesweit stationiert und haben nach dem vollständigen Abzug der UN-Friedenstruppen die Verantwortung für die innere und äußere Sicherheit übernommen (AA 3.2017a; vgl. EDA 27.6.2018).

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt (3.2017a): Sierra Leone - Innenpolitik, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/sierraleone-node/-/203526, Zugriff 27.6.2018

- AA - Auswärtiges Amt (26.6.2018): Sierra Leone: Reise- und Sicherheitshinweise, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/sierraleone-node/sierraleonesicherheit/203500, Zugriff 26.6.2018

- BMEIA - Bundesministerium für Europa, Integration und Äußeres (27.6.2018): Reiseinformationen Sierra Leone, https://www.bmeia.gv.at/reise-aufenthalt/reiseinformation/land/sierra-leone/, Zugriff 27.6.2018

- EDA - Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelegenheiten (27.6.2018): Reisehinweise Sierra Leone, https://www.eda.admin.ch/eda/de/home/vertretungen-und-reisehinweise/sierra-leone/reisehinweise-fuersierraleone.html, Zugriff 27.6.2018

- FD - France Diplomatie (27.6.2018): Conseils aux voyageurs - Sierra Leone - Sécurité, http://www.diplomatie.gouv.fr/fr/conseils-aux-voyageurs/conseils-par-pays/sierra-leone/, Zugriff 27.6.2018

Rechtsschutz / Justizwesen

Die Verfassung gewährleistet eine unabhängige Justiz, diese ist jedoch zeitweise der Einflussnahme seitens der Exekutive ausgesetzt (USDOS 20.4.2018; vgl. GIZ 6.2018a). Bei Gerichtsverfahren kommt es immer wieder zu Einmischungsversuchen durch die Politik (GIZ 6.2018a).

Das Rechtssystem Sierra Leones ist im Wesentlichen geprägt von der Koexistenz dreier Systeme: dem staatlichen (Ebene der Distrikte); dem traditionellen (Ebene der Chiefdoms); und vereinzelt dem islamischen Recht. Das staatliche Justizsystem basiert auf dem britischen Common Law und besteht aus einem mehrstufigen Instanzenzug. Die Richter für die drei höchsten Gerichte werden vom Präsidenten ernannt, müssen aber vom Parlament bestätigt werden. Die Gerichte auf der Ebene der Chiefdoms sind mit Laienrichtern besetzt. Gegen Urteile kann Berufung eingelegt werden (GIZ 6.2018a). Die traditionelle Justiz funktioniert - v.a. in ländlichen Gebieten. Die dort geführten Prozesse sind generell fair, es kommt aber in vielen Fällen zu Bestechung und Korruption (USDOS 20.4.2018).

Die Judikative befindet sich seit dem Ende des Bürgerkrieges in einer Reform. Sie leidet unter zu wenig Personal und materiellen Ressourcen. Außerdem sind Korruption und Vetternwirtschaft auf allen politischen Ebenen weit verbreitet (GIZ 6.2018a).

Gesetzlich ist ein faires Verfahren vorgesehen. Gerichtsverfahren sind öffentlich. Für Angeklagte gilt generell die Unschuldsvermutung. Sie haben das Recht auf Vertretung durch und rechtzeitige Konsultation mit einem Anwalt. Gesetzlich müssen Anwälte auf Staatskosten zur Verfügung gestellt werden, sofern sich der Angeklagte keinen Anwalt leisten kann. In der Praxis funktionierte dies nicht durchwegs. Angeklagte haben üblicherweise nicht die Möglichkeit, ihre Verteidigung angemessen vorzubereiten (USDOS 20.4.2018). Der Zugang der Bevölkerung zu den Justizbehörden wird generell durch einen Mangel an Richtern, langwierige Verfahren und allgemein zu geringe Kapazitäten im Bereich der Strafverfolgung und der örtlichen Gerichte behindert (GIZ 6.2018a).

Quellen:

- GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (6.2018a): Sierra Leone - Geschichte & Staat, https://www.liportal.de/sierra-leone/geschichte-staat/, Zugriff 26.6.2018

- USDOS - U.S. Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2017 - Sierra Leone, https://www.ecoi.net/en/document/1430127.html, Zugriff 26.6.2018

Sicherheitsbehörden

Die Polizei (SLP/Sierra Leone Police) unter dem Ministry of Internal Affairs ist für die innere Sicherheit zuständig (GIZ 6.2018a; vgl. USDOS 20.4.2018). Allerdings herrschen auch hier korrupte Strukturen vor (GIZ 6.2018a). Die Polizei ist schlecht ausgerüstet und es mangelt ihr an ausreichenden investigativen und kriminalistischen Kapazitäten sowie der Fähigkeit zur Eindämmung von Unruhen (USDOS 20.4.2018).

Für die äußere Sicherheit ist die Armee (RSLAF/Republic of Sierra Leone Armed Forces) unter dem Ministry of Defence and National Security zuständig (GIZ 6.2018a; vgl. USDOS 20.4.2018 ). Sie hat aber auch einige Aufgaben im Bereich der inneren Sicherheit durch das Programm "Military Aid to Civil Power", welches auf Anfrage die Unterstützung der Polizei unter außergewöhnlichen Umständen genehmigt. Zivile Behörden kontrollieren SLP und RSLAF und die Regierung verfügt über Mechanismen zur Untersuchung und Bestrafung von Korruption und Misshandlungen. Trotzdem ist Straffreiheit weiterhin ein Problem (USDOS 20.4.2018).

Quellen:

- GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (6.2018a): Sierra Leone - Geschichte & Staat, https://www.liportal.de/sierra-leone/geschichte-staat/https://www.liportal.de/sierra-leone/geschichte-staat/, Zugriff 26.6.2018

- USDOS - U.S. Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2017 - Sierra Leone, https://www.ecoi.net/en/document/1430127.html, Zugriff 26.6.2018

Folter und unmenschliche Behandlung

Verfassung und Gesetze verbieten Folter und unmenschliche Behandlung, es gibt allerdings Berichte, wonach Polizei und andere Sicherheitskräfte exzessive Gewalt anwenden. Es gibt Berichte, wonach Beamte für mehrere willkürliche oder extralegale Tötungen verantwortlich ist. Die Regierung unternahm Schritte, um die Verantwortlichkeit der Polizei zu stärken. In der Praxis werden jedoch seitens der Regierung Polizeibeamte nicht zur Verantwortung gezogen, so willkürlich oder übermäßig diese Gewalt anwenden (USDOS 20.4.2018).

Quellen:

- USDOS - U.S. Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2017 - Sierra Leone, https://www.ecoi.net/en/document/1430127.html, Zugriff 28.4.2017

Korruption

Gesetzlich sind Strafen für behördliche Korruption vorgesehen. Die Regierung schafft es jedoch nicht, das Gesetz wirksam umzusetzen. Trotz einiger gut dokumentierter Korruptionsfälle sind Beamte häufig korrupt und gehen straffrei aus. Korruption bleibt somit weiterhin ein ernstes Problem (USDOS 20.4.2018).

Die Anti-Corruption Commission (ACC) beschuldigte im August 2016 zwei Beamte wegen Verschwörung, der Begehung eines Korruptionsdeliktes und der Unterschlagung von öffentlichem Eigentum. Einer der Beamten wurde verurteilt und mit einer Geldstrafe von 30 Millionen Leones (4.000 Dollar) belegt, und der andere Fall wurde fortgeführt. Am 31. August 2017 beschuldigte die ACC auch Beamte der NGOs PLAN International Sierra Leone und The Needy Today mit der Unterschlagung von Geldern für Ebola-Überlebende (USDOS 20.4.2018). Auf dem Index von Transparency International befand sich Sierra Leone im Jahr 2016 auf Rang 130 von 180 untersuchten Ländern (TI 2017).

Quellen:

- TI - Transparency International (21.2.2018): Corruption Perceptions Index 2017, Sierra Leone, https://www.transparency.org/news/feature/corruption_perceptions_index_2017, Zugriff 26.6.2018

- USDOS - U.S. Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2017 - Sierra Leone, https://www.ecoi.net/en/document/1430127.html, Zugriff 26.6.2018

NGOs und Menschenrechtsaktivisten

In Sierra Leone entwickelte sich eine umfangreiche Szene zivilgesellschaftlich aktiver Gruppen. NGOs bemühten sich schon während des Bürgerkrieges um die Wiederherstellung des Friedens. Auch bei der kritischen Begleitung des darauffolgenden Versöhnungsprozesses spielte die Zivilgesellschaft eine wichtige Rolle. Die Zivilgesellschaft in Sierra Leone beinhaltet zum einen spezifische, historisch gewachsene Strukturen wie Geheimbünde, zum anderen neuere Strukturen wie die oben angesprochenen NGOs (GIZ 6.2018a). Eine Reihe von inländischen und internationalen Menschenrechtsgruppen arbeitet im Allgemeinen ohne staatliche Einschränkungen, untersuchen Menschenrechtsfälle und veröffentlichen ihre Ergebnisse. Beamte sind oft kooperativ, gehen auf Ansichten lokaler und internationaler NGOs ein und erkennen angesprochene Probleme an (USDOS 20.4.2018).

Quellen:

- GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (6.2018a): Sierra Leone - Geschichte & Staat, https://www.liportal.de/sierra-leone/geschichte-staat/, Zugriff 27.6.2018

- USDOS - U.S. Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2017 - Sierra Leone, https://www.ecoi.net/en/document/1430127.html, Zugriff 27.6.2018

Ombudsmann

Das parlamentarische Menschenrechtskomitee arbeitet ohne Einmischung der Regierung oder der Parteien und soll die Menschenrechte fördern und Vergehen aufzeigen. Das Komitee bemüht sich, Menschenrechtsfragen auf der parlamentarischen Agenda zu halten und ebnet den Weg für Gesetzesänderungen oder die Ratifizierung internationaler Konventionen. (USDOS 20.4.2018).

Quellen:

- USDOS - U.S. Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2017 - Sierra Leone, https://www.ecoi.net/en/document/1430127.html, Zugriff 28.4.2017

Wehrdienst und Rekrutierungen

Es gibt keine Wehrpflicht. Ein Mindestalter von 18 Jahren gilt für den freiwilligen Militärdienst (mit elterlicher Zustimmung auch weniger). Frauen können zum Militärdienst zugelassen werden. Potentielle Rekruten müssen HIV-negativ sein (CIA 8.6.2018).

Quellen:

- CIA - Central Intelligence Agency (8.6.2018): The World Factbook - Sierra Leona, https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/sl.html, Zugriff 27.6.2018

Allgemeine Menschenrechtslage

Die Menschenrechtelage hat sich nach dem Ende des Bürgerkriegs in vielen Bereichen deutlich verbessert. Die Regierung Sierra Leones hat 2006 die "Human Rights Commission of Sierra Leone" ins Leben gerufen. Eine Ausnahme im Hinblick auf die insgesamt positive Menschenrechtsentwicklung ist vor allem die in Gesellschaft und Rechtsordnung verankerte, in Religion und Tradition wurzelnde, Benachteiligung von Frauen und Kindern (AA 3.2017a). Zu den schwerwiegendsten Menschenrechtsproblemen zählen unter anderem: rechtswidrige Tötungen und Misshandlungen durch die Polizei; harte und lebensbedrohliche Haftbedingungen; weitverbreitete behördliche Korruption auf allen Ebenen. . Weitere Probleme sind: mangelnde Rechenschaftspflicht in Fällen sexueller und geschlechtsspezifischer Gewalt gegen Frauen und Mädchen, einschließlich FGM; Zwangsheirat; behördliche und gesellschaftliche Diskriminierung von Homosexuellen und Kinderarbeit (USDOS 20.4.2018).

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt Deutschland (3.2017a): Sierra Leone - Innenpolitik, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/sierraleone-node/-/203526, Zugriff 27.6.2018

- USDOS - U.S. Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2017 - Sierra Leone, https://www.ecoi.net/en/document/1430127.html, Zugriff 27.6.2018

Meinungs- und Pressefreiheit

Verfassung und Gesetze gewährleisten Pressefreiheit. In der Praxis respektiert die Regierung dies üblicherweise aber nicht immer (USDOS 20.4.2018). Auf der Rangliste der Pressefreiheit 2018 belegt Sierra Leone leicht verbessert Platz 79 von 180 untersuchten Staaten. Ein Instrument zur Einschüchterung und Sanktionierung von Journalisten sind die Libel Laws (Verleumdungsgesetze), die das Ansehen von Politikern schützen sollen. Seit langem kämpfen Journalisten für deren Abschaffung, bisher ohne Erfolg (GIZ 6.2018a). Historisch gesehen ist die Geschichte der Printmedien Sierra Leones einmalig: Im anglophonen Teil Westafrikas wurden hier erstmals Zeitungen veröffentlicht. Heute gibt es 44 Zeitungen, die bei der Independent Media Commission registriert sind. Von diesen erscheinen etwa zwölf Zeitungen regelmäßig. Zum Teil können diese Zeitungen im Internet gelesen werden (GIZ 6.2018a). Die meisten registrierten Zeitungen sind unabhängig, auch wenn mehrere politischen Parteien nahestehen. Zeitungen kritisieren offen die Regierung und ihre Beamten, sowie Oppositionsparteien (USDOS 20.4.2018).

Heute ist das wichtigste Medium in Sierra Leone das Radio. Die Sierra Leone Broadcasting Corporation (SLBC) ist 2010 aus den Sierra Leone Broadcasting Services (SLBS) und dem UN Radio hervorgegangen. Außerdem strahlen mehr als 20 private Radiosender Programme aus, teilweise regional begrenzt (GIZ 6.2018a).

Das Fernsehen ist in Sierra Leone beliebt, aber begrenzt zugänglich. Es gibt eine staatliche Fernsehstation, SLBC, die ihr Programm in Freetown, Bo, Kenema und Makeni ausstrahlt. Darüber hinaus gibt es Kabel-TV mit einigen Dutzend Kanälen. Außerhalb der größeren Städte hat das Fernsehen auf Grund fehlender Stromversorgung wenig Bedeutung (GIZ 6.2018a).

Generell können unabhängige Rundfunkmedien ohne Einschränkungen betrieben werden, es gibt jedoch Ausnahmen (USDOS 20.4.2018).

Quellen:

- GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (6.2018a): Sierra Leone - Geschichte & Staat, https://www.liportal.de/sierra-leone/geschichte-staat/, Zugriff 27.6.2018

- USDOS - U.S. Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2017 - Sierra Leone, https://www.ecoi.net/en/document/1430127.html, Zugriff 27.6.2018

Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit, Opposition

Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit sind durch die Verfassung garantiert und werden in der Praxis üblicherweise respektiert. Dennoch kommt es vor, dass das Recht auf freie Meinungsäußerung, auf friedliche Versammlung oder auf Vereinigung eingeschränkt werden (AI 22.2.2018). Proteste eskalieren häufig in übermäßiger Gewalt, wie am 24.3.2017, als die Polizei 60 Studenten im Zuge einer Demonstration verhaftete (AI 22.2.2018; vgl. USDOS 20.4.2018).

Quellen:

- AI - Amnesty International (22.2.2018): Amnesty International Report 2017/18 - The State of the World's Human Rights - Sierra Leone, https://www.ecoi.net/en/document/1425636.html, Zugriff 27.6.2018

- USDOS - U.S. Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2017 - Sierra Leone, https://www.ecoi.net/en/document/1430127.html, Zugriff 27.6.2018

Haftbedingungen

Gefängnis- und Haftbedingungen sind hart und manchmal lebensbedrohlich (USDOS 20.4.2018; vgl. AI 22.2.2018). Überbelegung ist eines der größten Probleme (USDOS 20.4.2018), neben unhygienischen Lebensbedingungen und ungenügender medizinischer Versorgung (USDOS 20.4.2018). Zudem äußerten NGOs Bedenken hinsichtlich des verzögerten Zugangs zu medizinischer Versorgung für Häftlinge, unzureichender Nahrung und Grundausstattung, schlechter Bedingungen in den Polizeizellen, einschließlich unzureichender sanitärer Einrichtungen, und längerer Haftzeiten, die die verfassungsmäßigen Rechte der Häftlinge verletzen (AI 22.2.2018). Die Menschenrechtskommission von Sierra Leone (HRCSL) berichtet, dass seit Oktober 2016 Männer und Frauen in Gefängnissen separat untergebracht werden. Minderjährige werden allerdings häufig mit Erwachsenen inhaftiert (USDOS 20.4.2018).

Strafvollzugsgruppen berichteten, dass die Behörden im Allgemeinen Vorwürfe der Misshandlung von Gefangenen untersuchten. Die Regierung erlaubte zudem auch die Überwachung durch unabhängige, nichtstaatliche Beobachter. Internationale Beobachter hatten uneingeschränkten Zugang zu den Gefängnissen, Haftanstalten und Polizeizellen. Die Menschenrechtskommission von Sierra Leone (HRCSL) überwacht monatlich die Gefängnisse (USDOS 20.4.2018).

Quellen:

- AI - Amnesty International (22.2.2018): Amnesty International Report 2017/18 - The State of the World's Human Rights - Sierra Leone, https://www.ecoi.net/en/document/1425636.html, Zugriff 27.6.2018

- USDOS - U.S. Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2017 - Sierra Leone, https://www.ecoi.net/en/document/1430127.html, Zugriff 27.6.2018

Todesstrafe

Die Todesstrafe existiert zwar weiterhin, wird aber seit 1998 nicht mehr vollstreckt. Der ehemalige Präsident Koroma hat auf der Generalversammlung der Vereinten Nationen im Jahr 2011 ein Moratorium verkündet (AA 3.2017a). Als Antwort auf die Empfehlungen des Constitutional Review Committee, lehnte die Regierung unter anderem die Abschaffung der Todesstrafe ab (AI 22.2.2018). NGOs wie Human Rights Watch kritisieren, dass die Todesstrafe in Sierra Leone nach wie vor im Gesetz und im öffentlichen Diskurs existiert, auch wenn sie seit 1998 nicht mehr praktiziert worden ist (GIZ 6.2018a).

Es werden weiterhin Todesurteile verhängt. Im September 2017 wurden sechs Polizisten wegen Verschwörung und Raubüberfall zum Tode verurteilt (AI 22.2.2018).

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt Deutschland (3.2017a): Sierra Leone - Innenpolitik, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/sierraleone-node/-/203526, Zugriff 27.6.2018

- AI - Amnesty International (22.2.2018): Amnesty International Report 2017/18 - The State of the World's Human Rights - Sierra Leone, https://www.ecoi.net/en/document/1425636.html, Zugriff 27.6.2018

- GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (6.2018a): Sierra Leone - Geschichte & Staat, https://www.liportal.de/sierra-leone/geschichte-staat/, Zugriff 27.6.2018

Religionsfreiheit

Die Verfassung und andere Gesetze schützen die Religionsfreiheit und diese wird von der Regierung auch in der Praxis im Allgemeinen respektiert (USDOS 15.8.2017).

Laut Volkszählung (2015) sind 77 Prozent der Bevölkerung Muslime und 21,9 Prozent Christen (Protestanten, Katholiken, Angehörige pentekostaler und afrikanischer Freikirchen). Gleichzeitig gibt es einige Gläubige traditioneller afrikanischer oder anderer Religionen (GIZ 6.2018b). Nach anderer Quelle sind rund 60 Prozent der Bevölkerung Muslime (größtenteils Sunniten), 30 Prozent Christen (Protestanten, Katholiken u.a.) und 10 Prozent Anhänger animistischer Religionen (USDOS 15.8.2017).

Sierra Leoner sind auf das friedliche und respektvolle Zusammenleben der Religionen in ihrem Land sehr stolz (GIZ 6.2018b). Der interreligiöse Rat (IRC), der sich aus christlichen und muslimischen Führern zusammensetzte, arbeitete mit Verbänden, die christliche und muslimische religiöse Gruppen vertreten, um die interreligiöse Harmonie zu fördern (USDOS 15.8.2017).

Magisches Denken ist in Sierra Leone weitverbreitet und häufig schließt die Zugehörigkeit zum Islam oder Christentum eine gleichzeitige Zugehörigkeit zu einer Geheimgesellschaft (Secret Society) nicht aus. Eine strikte Trennung und reine Befolgung einer religiösen Lehre findet kaum statt. Vielmehr werden im Alltag der Islam und das Christentum mit weiteren Religionen und religiösen Traditionen vermischt. Magische Elemente mischten sich in die Praxis des lokalen Islams, sodass einige Islamgelehrte magische Fetische in ihre Lehre integriert haben (GIZ 6.2018b).

Interreligiöse Ehen sind häufig (USDOS 15.8.2017). Es gibt weder Berichte über Verletzungen der Religionsfreiheit durch die Regierung noch über gesellschaftlichen Missbrauch oder Diskriminierung aufgrund der religiösen Zugehörigkeit, des Glaubens oder der Religionspraxis. Religiöse Gruppen müssen sich bei der Regierung registrieren (USDOS 15.8.2017).

Quellen:

- GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (6.2018b): Sierra Leone - Gesellschaft, http://liportal.giz.de/sierra-leone/gesellschaft/, Zugriff 27.6.2018

- USDOS - US Department of State (15.8.2017): 2016 Report on International Religious Freedom - Sierra Leone, https://www.ecoi.net/en/document/1407986.html, Zugriff am 27.6.2018

Ethnische Minderheiten

In Sierra Leone leben circa 16 ethnische Gruppen, die ihre eigene Sprache und Kultur pflegen. Seit der Kolonialzeit gibt es Bemühungen, eine nationale Identität zu etablieren. Dennoch bleibt der wichtigste Bezugsrahmen für die meisten Sierra-Leoner die Familie und die lokale Gesellschaftsordnung (GIZ 6.2018b). Die größte ethnische Gruppe bilden in Sierra Leone die Temne und die Mende mit je etwa 30 Prozent (GIZ 6.2018b; vgl. USDOS 20.4.2018). Die Krio mit 2 Prozent der Bevölkerung dominieren historisch den öffentlichen Dienst und die Justiz (USDOS 20.4.2018). Dabei wird der Norden des Landes von den Temne und der Süden von den Mende dominiert (GIZ 6.2018b; vgl. USDOS 20.4.2018). Zwei vorwiegend Handel betreibende, nicht aus Westafrika stammenden Minderheiten sind Inder und Libanesen (GIZ 6.2018b; vgl. USDOS 20.4.2018) sowie kleine Gruppen von Pakistanis oder Europäern (USDOS 20.4.2018).

Starke ethnische Loyalitäten, Vorurteile und Stereotype bestehen zwischen allen ethnischen Gruppen. Die Temne und Mende wetteiferten während des 11-jährigen Bürgerkriegs um politische Macht (USDOS 20.4.2018). Ethnische Loyalität bleibt ein wichtiger Faktor in der Regierung, den Streitkräften und der Wirtschaft. Beschwerden über ethnische Diskriminierung bei Regierungsposten, Auftragsvergabe und militärischen Beförderungen sind üblich (USDOS 20.4.2018; vgl. GIZ 6.2018b). Die ethnische Zugehörigkeit beeinflusst auch die Parteimitgliedschaft der beiden dominierenden Volksgruppen. Die Mende unterstützen traditionell die Sierra Leone People's Party (SLPP) und die Temne den All People's Congress (APC). Anders als die Limba, die drittgrößte ethnische Gruppe, die traditionell die APC unterstützt, haben die anderen ethnischen Gruppen keine starke politische Parteizugehörigkeit (USDOS 20.4.2018).

In Sierra Leone gibt es kaum ernsthafte Auseinandersetzungen wegen ethnischer oder religiöser Zugehörigkeiten (GIZ 6.2018b). Ehen zwischen Angehörigen verschiedener Ethnien oder Religionen sind daher häufig (GIZ 6.2018b; vgl. USDOS 20.4.2018).

Quellen:

- GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (6.2018b): Sierra Leone - Gesellschaft, http://liportal.giz.de/sierra-leone/gesellschaft/, Zugriff 27.6.2018

- USDOS - U.S. Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2017 - Sierra Leone, https://www.ecoi.net/en/document/1430127.html, Zugriff 27.6.2018

Bewegungsfreiheit

In der Verfassung sind uneingeschränkte Bewegungsfreiheit innerhalb des Landes, Auslandsreisen, Emigration und Rückkehr verankert. Die Regierung respektiert diese Rechte üblicherweise. Jedoch gibt es Berichte, wonach Sicherheitskräfte bei Straßensperren außerhalb der Hauptstadt Bestechungsgelder von Fahrzeuglenkern verlangen. Auch Polizei, Zöllner und Militär verlangen Bestechungsgelder (USDOS 20.2018).

Trotz des offiziellen Kriegsendes 2002 ist das Land von den Jahren des Bürgerkrieges noch schwer gezeichnet. Die Infrastruktur ist in vielen Gebieten im Landesinneren weiterhin zerstört und erholt sich nur langsam (BMEIA 28.4.2017).

Quellen:

- BMEIA - Bundesministerium für Europa, Integration und Äußeres (27.6.2018): Reiseinformationen Sierra Leone, https://www.bmeia.gv.at/reise-aufenthalt/reiseinformation/land/sierra-leone/, Zugriff 27.6.2018

- USDOS - U.S. Department of State (20.2018): Country Report on Human Rights Practices 2017 - Sierra Leone, https://www.ecoi.net/en/document/1430127.html, Zugriff 27.6.2018

IDPs und Flüchtlinge

Die Regierung arbeitete mit dem UNHCR und anderen humanitären Organisationen zusammen, um Binnenvertriebenen, Flüchtlingen, Rückkehrern, Asylsuchenden, Staatenlosen und anderen Betroffenen Schutz und Unterstützung zu gewähren. Im August 2017 beherbergte Sierra Leone ca. 700 anerkannte Flüchtlinge (USDOS 20.4.2018).

Quellen:

- USDOS - U.S. Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2017 - Sierra Leone, https://www.ecoi.net/en/document/1430127.html, Zugriff 27.6.2018

Grundversorgung

Die Wirtschaft Sierra Leones ist geprägt von der Landwirtschaft (überwiegend kleinbäuerliche Subsistenzwirtschaft) und der Rohstoffgewinnung (GIZ 6.2018c; vgl. AA 3.2017b). Rund 51,4 Prozent des BIP werden vom landwirtschaftlichen Sektor erwirtschaftet. Der Dienstleistungssektor trägt 26,6 Prozent und der Industriesektor 22,1 Prozent zum BIP bei (GIZ 6.2018c).

Sierra Leone ist mit einem Bruttoinlandsprodukt von ca. 4,5 Milliarden US-Dollar und einem Pro-Kopf-Einkommen von ca. 700 US-Dollar im Jahr 2015 eines der ärmsten Länder der Welt (AA 3.2017b) und belegt auf dem Human Development Index von 2016 Rang 179 der 188 untersuchten Ländern. Ein Großteil der Bevölkerung (ca. 77 Prozent) lebt in absoluter Armut und hat weniger als 2 US-Dollar pro Tag zur Verfügung (GIZ 6.2018c).

Ein schwach strukturierter privater Sektor, schlecht ausgebildete Arbeitskräfte, Korruption und wenig Rechtssicherheit behindern ein nachhaltiges Wirtschaftswachstum. Die kaum ausgebaute Infrastruktur behindert zudem den Handel außerhalb der größeren Städte. Während der Regenzeit sind viele Straßen unpassierbar und die Erreichbarkeit ländlicher Gebiete ist schwierig. Die wirtschaftliche Entwicklung unterscheidet sich jedoch auch zwischen Stadt und Land. Zudem beeinflussen die Nachwirkungen des Bürgerkrieges (1991 bis 2002), die weit verbreitete Korruption und die unzureichend ausgebaute Infrastruktur die Wirtschaftslage Sierra Leones (GIZ 6.2018c).

In Sierra Leone gibt es einen extremen Mangel an formaler Beschäftigung, wobei bisher keine verlässlichen statistischen Daten erhoben wurden. Die Mehrheit versucht mit Gelegenheitsjobs oder als Händler ein Auskommen zu erwirtschaften. Die Subsistenzwirtschaft wird in Familien oft parallel oder alternativ genutzt, um den Lebensunterhalt zu sichern. Die hohe Jugendarbeitslosigkeit stellt ein besonders gravierendes soziales Problem dar. Dabei gibt es einige wenige Projekte, die versuchen, die Jugendlichen in die Gesellschaft zu integrieren. Es gibt Projekte, die sich auf lokaler Ebene direkt an Kinder und Jugendliche wenden, die kein zu Hause haben und auf der Straße leben müssen (GIZ 6.2018b).

Der Bürgerkrieg brachte die wirtschaftlichen Aktivitäten vollkommen zum Erliegen. Seitdem ist es noch nicht im notwendigen Umfang gelungen, einen beschäftigungswirksamen Aufschwung zu erzeugen (GIZ 6.2018b).

Im Jahr 2016 ist die Wirtschaft dank anziehender Rohstoffpreise und hierdurch belebter Wirtschaftsaktivität wieder um knapp 5 Prozent gewachsen. Schwerpunkt der Wirtschaftspolitik des ehemaligen Präsidenten Koroma war die Förderung großer ausländischer Investitionen mit dem Ziel, rasch neue Arbeitsplätze zu schaffen und die Staatseinnahmen deutlich zu steigern, insbesondere in den Bereichen Tourismus, Bergbau, Agrobusiness, Fischereiwirtschaft, Energiewirtschaft (auch erneuerbare Energien) und Ausbau der Infrastruktur (Häfen, Flughäfen, Straßen, Telekommunikation). Sierra Leone ist reich an Bodenschätzen und mit seinen schönen Stränden ein potenzielles Ziel für Touristen in Westafrika (AA 3.2017b).

Das Entwicklungsprogramm "Agenda for Prosperity" für den Zeitraum 2013 bis 2018 soll dazu beitragen, dass Sierra Leone bis 2035 das Niveau eines Landes mit mittlerem Einkommen erreicht (AA 3.2017b).

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt (3.2017b): Sierra Leone - Wirtschaft, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/sierraleone-node/-/203486, Zugriff 28.4.2017

- GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (6.2018b): Sierra Leone - Gesellschaft, http://liportal.giz.de/sierra-leone/gesellschaft/, Zugriff 27.6.2018

- GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (6.2018c): Sierra Leone - Wirtschachaft, https://www.liportal.de/sierra-leone/wirtschaft-entwicklung/, Zugriff 27.6.2018

Medizinische Versorgung

Die Gesundheitsversorgung in Sierra Leone wird zum Teil vom Staat, zum Teil von NGOs gestellt (GIZ 6.2018b). Die medizinische Versorgung im Lande ist mit Europa nicht zu vergleichen und vielfach technisch, apparativ und/oder hygienisch äußerst problematisch (AA 27.6.2018).

Es besteht ein ausgeprägter Mangel an Fachärzten, der sich durch die Ebola-Epidemie weiter verschärft hat. Selbst in Freetown ist die ärztliche Versorgung gegenwärtig sehr begrenzt (AA 27.6.2018).

2010 wurde mit der Unterstützung des Vereinigten Königreiches und der UN ein Programm zur kostenlosen Versorgung von schwangeren Frauen und Müttern mit Kindern unter fünf Jahren eingeführt, um die hohe Mütter- und Kindersterblichkeit zu reduzieren. Die Situation der Frauen und Kleinkinder hat sich verbessert, auch wenn sie nach wie vor nicht befriedigend ist. Der Rest der Bevölkerung bleibt allerdings immer noch ohne ausreichenden Zugang zu grundlegender Gesundheitsversorgung, zum einen, weil es an Geldern fehlt, zum anderen, weil Teile des Gesundheitssystems unter Korruption leiden. Insbesondere die ländlichen Gebiete sind äußerst unzureichend ausgestattet. Die Bevölkerung bezahlt dies mit einem insgesamt schlechten Gesundheitszustand und einer durchschnittlichen Lebenserwartung von 57 Jahren (GIZ 6.2018b).

Vom Ausbruch einer Ebola-Epidemie in Westafrika war auch Sierra Leone betroffen. Bis zum 16.1.2016 gab es dabei in Sierra Leone 3.955 Todesfälle. Im Zuge des Ebola Ausbruchs wurde die Notwendigkeit offensichtlich, die traditionelle Medizin stärker in das Gesundheitssystem einzubinden. Dafür setzt sich jetzt unter anderem der Verband der traditionellen Heiler ein (GIZ 6.2018b).

Sierra Leone hat eine HIV/AIDS-Infektionsrate von 1,5 Prozent. Damit liegt es etwas über dem internationalen Durchschnitt von einem Prozent und gehört damit (noch) nicht zu den Hochprävalenzländern. Die Prävalenz von HIV/AIDS wird vom National HIV/AIDS Sekretariat statistisch erfasst und es werden verschiedene Präventionsprogramme koordiniert. Die Durchführung der Programme liegt bei NGOs. Sierra Leone erhielt im Jahr 2010 das sechste Millennium Development Goal, eine Auszeichnung für seine bisherigen Bemühungen, eine weitere Verbreitung von HIV aufzuhalten (GIZ 6.2018b).

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt (27.6.2018): Sierra Leone - Reise- und Sicherheitshinweise, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/sierraleone-node/sierraleonesicherheit/203500#content_5, Zugriff 27.6.2018

- GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (6.2018b): Sierra Leone - Gesellschaft, https://liportal.giz.de/sierra-leone/gesellschaft/, Zugriff 27.6.2018

Rückkehr

Ein vom United Nations High Commissioner for Refugees (UNHCR) initiiertes Repatriierungsprogramm für Bürgerkriegsflüchtlinge wurde im Juli 2004 abgeschlossen: Insgesamt 270.000 Flüchtlinge aus Sierra Leone konnten so in ihre Heimat zurückkehren. Auch die Menschen, die nach Liberia geflüchtet waren, wurden in ihre Heimat repatriiert (GIZ 6.2018a).

Quellen:

- GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (6.2018a): Sierra Leone - Geschichte & Staat, https://www.liportal.de/sierra-leone/geschichte-staat/, Zugriff 27.6.2018"

1.4.1. Zur Durchführbarkeit von Herzoperationen und Nachbehandlungsmöglichkeiten für Herzschrittmacher-Patienten in Sierra Leone:

"IOM weist darauf hin, dass in Sierra Leone für die Implantation eines Herzschrittmachers der verwendete Programmierer von Medtronics ist. Hat der Patient einen ICD in-situ, der nicht von Medtronics betrieben wird, ist eine Nachbehandlung in Sierra Leone nicht möglich.

Wenn vorhanden, erfolgen Behandlungen und Nachsorge im Choithrams Memorial Hospital, Hill Station, in Freetown.

Wie bereits erwähnt, sind in Sierra Leone die Ressourcen und auch komplizierte Behandlungen nur begrenzt verfügbar, sodass z.B. Herzoperationen in Sierra Leone nicht durchgeführt werden können. Therapeutische Möglichkeiten für Herzerkrankungen stehen nur selten zur Verfügung.

Weiters sind auch die Medikamente bzw. Wirkstoffe Acemin (Wirkstoff Lisinopril), Concor (Wirkstoff Bisoprolol) und Sedacoron (Wirkstoff Amiodaronhydrochlorid) in Sierra Leone verfügbar. Allerdings müssen Patienten diese aus eigener Tasche finanzieren.

Quellen:

- Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 03.10.2019 zum Thema "Sierra Leone: Herzoperation und Herzschrittmacher": https://www.ecoi.net/en/file/local/2018178/SIER_RF_MEV_Herzoperation+und+Herzschrittmacher_2019_10_03_KEM.odt; Zugriff 03.06.2020."

2. Beweiswürdigung:

Der erkennende Richter des Bundesverwaltungsgerichtes hat nach den Grundsätzen der freien Beweiswürdigung über die Beschwerde folgende Erwägungen getroffen:

2.1. Zum Sachverhalt:

Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgebenden Sachverhaltes wurden im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweise erhoben durch die Einsichtnahme in den Akt der belangten Behörde unter zentraler Berücksichtigung der Angaben des Beschwerdeführers vor dieser, in den bekämpften Bescheid und in den Beschwerdeschriftsatz sowie in das aktuelle "Länderinformationsblatt der Staatendokumentation" zu Sierra Leone.

Der oben unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes des Bundesamtes und des vorliegenden Gerichtsaktes des Bundesverwaltungsgerichtes.

2.2. Zur Person des Beschwerdeführers:

Die Feststellungen zu seinen Lebensumständen, seiner Schulbildung, seiner Herkunft, seiner Konfession und seiner Staatsangehörigkeit gründen sich auf die letztlich glaubhaften Angaben des Beschwerdeführers vor der belangten Behörde. Es ist im Verfahren nichts hervorgekommen, dass Zweifel an der Richtigkeit dieser Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers aufkommen lässt.

Da der Beschwerdeführer entweder nicht im Stande oder nicht Willens war, den österreichischen Behörden identitätsbezeugende Dokumente vorzulegen, steht seine Identität nicht fest.

Der Umstand, dass keine Feststellungen hinsichtlich etwaiger Angehöriger des Beschwerdeführers in oder außerhalb seines Herkunftsstaates getroffen werden können, ergibt sich aus seinen diesbezüglich sprunghaft divergierenden Angaben im Verfahren. Während er im Rahmen seiner Einvernahme vor dem BFA am 07.12.2018 etwa noch zu Protokoll gab, im November 2017 seine Mutter, welche mittlerweile in Nigeria leben würde, besucht zu haben und nach wie vor in regelmäßigem Kontakt zu ihr zu stehen, überdies würde sein Zwillingsbruder in Ghana leben und habe er noch weitere Angehörige in Sierra Leone, so behauptete er in der darauffolgenden Einvernahme am 26.08.2019 wiederum gänzlich widersprüchlich, seine Mutter sei bereits im Jahr 2007 verstorben und sein Zwillingsbruder wäre gemeinsam mit ihm nach Europa ausgereist, jedoch kenne er dessen aktuellen Aufenthaltsort nicht. Aus diesem nicht stringenten Konstrukt lassen sich keinerlei Feststellungen hinsichtlich des Verbleibs etwaiger Angehöriger des Beschwerdeführers treffen.

Der Umstand, dass in Österreich keine Familienangehörigen oder Verwandten des Beschwerdeführers leben, ergibt sich aus seinen diesbezüglich glaubhaften und stringenten Angaben im Verfahren. Der Beschwerdeführer brachte im Rahmen seiner niederschriftlichen Einvernahme vor dem BFA am 07.12.2018 lediglich vor, eine Freundin in Österreich zu haben, welche ihn besuchen würde. Ein finanzielles oder anderweitig geartetes Abhängigkeitsverhältnis oder ein Naheverhältnis von maßgeblicher Intensität wurde zu keinem Zeitpunkt behauptet und kann ein solches bereits angesichts der nunmehr durchgehenden Inhaftierung bzw. Unterbringung des Beschwerdeführers seit dem 10.07.2019 ausgeschlossen werden.

Die Erwerbstätigkeiten des Beschwerdeführers in Österreich als Arbeiter oder geringfügig beschäftigter Arbeiter ergeben sich aus einer Abfrage im Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger vom 03.06.2020.

Der Umstand, dass er sich in deutscher Sprache verständigen kann, ergibt sich aufgrund der unmittelbaren Wahrnehmungen der belangten Behörde im Rahmen der niederschriftlichen Einvernahmen des Beschwerdeführers, welche im angefochtenen Bescheid zur Feststellung erhoben wurden. Das Vorbringen des Beschwerdeführers in beiden seiner niederschriftlichen Einvernahmen vor der belangten Behörde im gegenständlichen Verfahren, wonach er eine Deutsch-Prüfung für das Niveau A2 bestanden habe, geht hingegen über die bloße Behauptungsebene nicht hinaus und wurde seitens des Beschwerdeführers durch keinerlei Bescheinigungsmittel verifiziert.

Die Feststellungen zur Herzkrankheit des Beschwerdeführers ergeben sich aus dem Akteninhalt, insbesondere aus zwei in Vorlage gebrachten Patientenbriefen des SMZ XXXX vom 02.04.2011 und vom 04.07.2013 sowie aus einer Ambulanzkarte des SMZ XXXX vom 27.08.2018, welche im Wesentlichen die gesamte Krankengeschichte des Beschwerdeführers chronologisch bis in das Jahr 2012 zurückreichend darstellt.

Der Umstand, dass der Beschwerdeführer darüber hinaus an einer geistigen und seelischen Abartigkeit höheren Grades, nämlich an einer paranoid wahnhaften Geisteskrankheit, leidet, ergibt sich aus der im Akt enthaltenen Urteilsausfertigung des Landesgerichts XXXX XXXX vom 20.11.2019, Zl. XXXX welches diesbezüglich auf ein im Strafverfahren eingeholtes, überzeugendes und nachvollziehbares psychiatrisches Sachverständigengutachten verweist.

Die begründete Annahme, dass der Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr nach Sierra Leone

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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