TE Lvwg Erkenntnis 2020/8/18 VGW-102/076/6562/2020

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Veröffentlicht am 18.08.2020
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Entscheidungsdatum

18.08.2020

Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
41/01 Sicherheitsrecht

Norm

B-VG Art. 130 Abs1 Z2
B-VG Art. 132 Abs2
SPG §65 Abs1
SPG §67 Abs1

Text

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Verwaltungsgericht Wien hat durch seine Richterin Mag. Nussgruber über die Beschwerde gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 2 und Art. 132 Abs. 2 B-VG der Frau A. B., vertreten durch Rechtsanwalt, wegen Verletzung in Rechten infolge Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt durch erkennungsdienstliche Behandlung nach § 65 Abs. 1 SPG (Anfertigen von Lichtbildern, Abnahme von Papillarlinienabdrücken) und nach § 67 Abs. 1 SPG (Abnahme der DNA durch Nackenabstrich) durch Organe der Landespolizeidirektion Wien in Wien, Polizeiinspektion C., am 29.04.2020, gegen die Landespolizeidirektion Wien als belangte Behörde,

I. zu Recht e r k a n n t:

1. Gemäß § 28 Abs. 1 und 6 des Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetzes – VwGVG wird die erkennungsdienstliche Behandlung nach § 65 Abs. 1 SPG (Anfertigen von Lichtbildern, Abnahme von Papillarlinienabdrücken) und nach § 67 Abs. 1 SPG (Abnahme der DNA durch Nackenabstrich) der Beschwerdeführerin am 29.04.2020 in Wien, Polizeiinspektion C., für rechtswidrig erklärt.

2. Der Bund als Rechtsträger der belangten Behörde hat gemäß § 35 VwGVG in Verbindung mit der VwG-Aufwandersatzverordnung – VwG-AufwErsV, BGBl. II Nr. 517/2013, der Beschwerdeführerin 737,60 Euro für Schriftsatzaufwand und 30,-- Euro für den Ersatz der Eingabegebühr gemäß § 35 Abs. 6 VwGVG in Verbindung mit § 52 Abs. 2 VwGG, insgesamt somit 767,60 Euro an Aufwandersatz, binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu leisten.

3. Gegen dieses Erkenntnis ist gemäß § 25a Abs. 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 – VwGG eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof gemäß Art. 133 Abs. 4 des Bundes-Verfassungsgesetzes – B-VG unzulässig.

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e

I.1. Mit Schriftsatz der anwaltlich vertretenen Beschwerdeführerin vom 09.06.2020, wendet sich die Beschwerdeführerin gegen die am 29.04.2020 erfolgte Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt durch Exekutivorgane der Landespolizeidirektion Wien und führt sachverhaltsbezogen dazu aus, dass die Beschwerdeführerin entgegen der gesetzlichen Voraussetzungen am 29.04.2020 einer erkennungsdienstlichen Behandlung durch Anfertigen von Lichtbildern, Abnahme von Papillarlinienabdrücken sowie Abnahme der DNA durch Nackenabstrich unterzogen worden sei und beantragte diese angefochtenen Akte unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt für rechtswidrig zu erklären, dem Rechtsträger der belangten Behörde den gesetzlich vorgesehenen pauschalierten Aufwandersatz aufzuerlegen und eine mündliche Verhandlung durchzuführen.

2. Die belangte Behörde teilte dazu mit Schreiben vom 07.07.2020 Folgendes mit und legte den bezughabenden Akt zur GZ: … vor:

„Die Landespolizeidirektion Wien legt den von ihrem Polizeikommissariat D. zu AZ.: … geführten Verwaltungsakt in Ablichtung vor und gibt bekannt, dass das Original am 06.05.2020 der Staatsanwaltschaft Wien vorgelegt wurde.

Die belangte Behörde tritt der Auffassung der Beschwerdeführerin (nachfolgend kurz: „BF“), wonach die erkennungsdienstliche Behandlung mangels Vorliegens der gesetzlichen Voraussetzungen rechtswidrig war, da für die Annahme, die BF würde weitere gefährliche Angriffe begehen, keine Anhaltspunkte vorlagen, nicht entgegen.

Von der Erstattung einer Gegenschrift wird daher Abstand genommen. Die belangte Behörde verzichtet ausdrücklich auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung.

Die Landespolizeidirektion Wien beantragt den Zuspruch des Vorlageaufwands gemäß der jeweils gültigen Verordnung über Aufwandersätze im Verfahren vor dem Verwaltungsgericht wegen der Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt.“

3. Im Hinblick auf die Stellungnahme und des darin erstatteten Vorbringens der belangten Behörde wurde von der Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung abgesehen.

4.1. Aufgrund der von den Parteien vorgelegten Schriftsätze und dem vorgelegten Akt der belangten Behörde steht zusammengefasst folgender entscheidungsrelevanter Sachverhalt fest und wird als erwiesen angenommen:

Der Beschwerdeführerin wurden am 29.04.2020, in Wien, Polizeiinspektion C., von E. F., einem Organ der Landespolizeidirektion Wien, Finger- und Handflächenabdrücke abgenommen, Lichtbilder angefertigt und ihre DNA durch Vornahme eines Mundhöhlenabstrichs abgenommen. Im Falle ihrer Weigerung wurde ihr vorab die zwangsweise Durchsetzung dieser Maßnahme angedroht.

Es kann nicht festgestellt werden, dass von der Beschwerdeführerin pro futuro gefährliche Angriffe ausgehen.

Diese Feststellungen sind unstrittig geblieben.

Dem im vorgelegten Behördenakt inne liegenden Kontrolldatenblatt für die erkennungsdienstliche Behandlung am 29.04.2020, um 15:13 Uhr, kann als „Nebengrund“ der Eintrag „strafbare Handlung“ und die Delikte „§ 84 StGB schwere Körperverletzung, § 269 StGB Versuch Widerstand gegen die Staatsgewalt“ entnommen werden.

II.1. Gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 2 B-VG erkennen Verwaltungsgerichte über Beschwerden gegen die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt wegen Rechtswidrigkeit. Ist im Verfahren wegen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 2 B-VG eine Beschwerde nicht zurückzuweisen oder abzuweisen, so hat das Verwaltungsgericht die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt für rechtswidrig zu erklären und gegebenenfalls aufzuheben (§ 28 Abs. 6 VwGVG).

II. 1. Die hier maßgeblichen Bestimmungen des Bundesgesetzes über die Organisation der Sicherheitsverwaltung und die Ausübung der Sicherheitspolizei (Sicherheitspolizeigesetz – SPG), BGBl. Nr. 566/1991, in der maßgeblichen Fassung, lauten:

„Allgemeine Gefahr; gefährlicher Angriff; Gefahrenerforschung

§ 16. (1) Eine allgemeine Gefahr besteht

      1. bei einem gefährlichen Angriff (Abs. 2 und 3)

oder

      2. sobald sich drei oder mehr Menschen mit dem Vorsatz verbinden, fortgesetzt gerichtlich strafbare Handlungen zu begehen (kriminelle Verbindung).

(2) Ein gefährlicher Angriff ist die Bedrohung eines Rechtsgutes durch die rechtswidrige Verwirklichung des Tatbestandes einer gerichtlich strafbaren Handlung, die vorsätzlich begangen und nicht bloß auf Verlangen eines Verletzten verfolgt wird, sofern es sich um einen Straftatbestand

      1. nach dem Strafgesetzbuch (StGB), BGBl. Nr. 60/1974, ausgenommen die Tatbestände nach den §§ 278, 278a und 278b StGB, oder

      2. bis 6. […],

handelt.

(3) Ein gefährlicher Angriff ist auch ein Verhalten, das darauf abzielt und geeignet ist, eine solche Bedrohung (Abs. 2) vorzubereiten, sofern dieses Verhalten in engem zeitlichen Zusammenhang mit der angestrebten Tatbestandsverwirklichung gesetzt wird.

(4) […]

Gefahrenabwehr

§ 21. (1) Den Sicherheitsbehörden obliegt die Abwehr allgemeiner Gefahren.

(2) Die Sicherheitsbehörden haben gefährlichen Angriffen unverzüglich ein Ende zu setzen. Hiefür ist dieses Bundesgesetz auch dann maßgeblich, wenn bereits ein bestimmter Mensch der strafbaren Handlung verdächtig ist. […]

Vorbeugender Schutz von Rechtsgütern

§ 22. (1) bis (2) […]

(3) Nach einem gefährlichen Angriff haben die Sicherheitsbehörden, unbeschadet ihrer Aufgaben nach der Strafprozeßordnung 1975 (StPO), BGBl. Nr. 631/1975, die maßgebenden Umstände, einschließlich der Identität des dafür Verantwortlichen, zu klären, soweit dies zur Vorbeugung weiterer gefährlicher Angriffe erforderlich ist. Sobald ein bestimmter Mensch der strafbaren Handlung verdächtig ist, gelten ausschließlich die Bestimmungen der StPO; die §§ 53 Abs. 1, 53a Abs. 2 bis 4 und 6, 57, 58 und 58a bis d, sowie die Bestimmungen über den Erkennungsdienst bleiben jedoch unberührt.

(4) […]

Pflicht zur Richtigstellung, Löschung und Protokollierung

§ 63. (1) Wird festgestellt, dass unrichtige oder entgegen den Bestimmungen dieses Bundesgesetzes verarbeitete personenbezogene Daten verarbeitet werden, so ist unverzüglich eine Richtigstellung oder Löschung vorzunehmen. Desgleichen sind personenbezogene Daten zu löschen, sobald sie für die Erfüllung der Aufgabe, für die sie verwendet worden sind, nicht mehr benötigt werden, es sei denn, für ihre Löschung wäre eine besondere Regelung getroffen worden.

[…]

Begriffsbestimmungen

§ 64. (1) Erkennungsdienst ist das Ermitteln personenbezogener Daten durch erkennungsdienstliche Maßnahmen sowie das weitere Verarbeiten und Übermitteln dieser Daten.

(2) Erkennungsdienstliche Maßnahmen sind technische Verfahren zur Feststellung von biometrischen oder genetischen Daten (§ 36 Abs. 2 Z 12 und 13 DSG), wie insbesondere die Abnahme von Papillarlinienabdrücken, die Vornahme von Mundhöhlenabstrichen, die Herstellung von Abbildungen, die Vornahme von Messungen oder die Erhebung von Stimmproben, sowie die Feststellung äußerlicher körperlicher Merkmale und die Erhebung von Schriftproben eines Menschen zum Zweck der Wiedererkennung.

(3) Erkennungsdienstliche Behandlung ist das Ermitteln personenbezogener Daten durch erkennungsdienstliche Maßnahmen, an dem der Betroffene mitzuwirken hat.

(4) Erkennungsdienstliche Daten sind personenbezogene Daten, die durch erkennungsdienstliche Maßnahmen ermittelt worden sind.

(5) Personsfeststellung ist eine abgesicherte und plausible Zuordnung erkennungsdienstlicher Daten zu Namen, Geschlecht, Geburtsdatum, Geburtsort und Namen der Eltern eines Menschen.

(6) Soweit die Zulässigkeit einer Maßnahme nach diesem Hauptstück vom Verdacht abhängt, der Betroffene habe eine mit gerichtlicher Strafe bedrohte vorsätzliche Handlung begangen, bleibt diese Voraussetzung auch nach einer rechtskräftigen Verurteilung wegen der entsprechenden gerichtlich strafbaren Handlung (§ 16 Abs. 2) bestehen.

Erkennungsdienstliche Behandlung

§ 65. (1) Die Sicherheitsbehörden sind ermächtigt, einen Menschen, der im Verdacht steht, eine mit gerichtlicher Strafe bedrohte vorsätzliche Handlung begangen zu haben, erkennungsdienstlich zu behandeln, wenn er im Rahmen einer kriminellen Verbindung tätig wurde oder dies wegen der Art oder Ausführung der Tat oder der Persönlichkeit des Betroffenen zur Vorbeugung gefährlicher Angriffe erforderlich scheint.

(2) und (3) […]

(4) Wer erkennungsdienstlich zu behandeln ist, hat an den dafür erforderlichen Handlungen mitzuwirken.

[…]

(6) Die Sicherheitsbehörden sind ermächtigt, Namen, Geschlecht, frühere Namen, Geburtsdatum, Geburtsort, Staatsangehörigkeit, Namen der Eltern, Ausstellungsbehörde, Ausstellungsdatum und Nummer mitgeführter Dokumente, allfällige Hinweise über die Gefährlichkeit beim Einschreiten einschließlich besonderer Kategorien personenbezogener Daten, soweit deren Verarbeitung zur Wahrung lebenswichtiger Interessen erforderlich ist, und Aliasdaten eines Menschen (erkennungsdienstliche Identitätsdaten), den sie erkennungsdienstlich behandelt haben, zu ermitteln und zusammen mit den erkennungsdienstlichen Daten und mit dem für die Ermittlung maßgeblichen Grund zu verarbeiten. In den Fällen des Abs. 1 sind die Sicherheitsbehörden ermächtigt, eine Personsfeststellung vorzunehmen.

DNA-Untersuchungen

§ 67. (1) Eine erkennungsdienstliche Behandlung, bei der die DNA eines Menschen ermittelt werden soll, ist zulässig, wenn der Betroffene im Verdacht steht, eine strafbare Handlung gegen die sexuelle Integrität und Selbstbestimmung oder eine mit mindestens einjähriger Freiheitsstrafe bedrohte vorsätzliche gerichtlich strafbare Handlung begangen zu haben und wegen der Art oder Ausführung der Tat oder der Persönlichkeit des Betroffenen zu befürchten ist, er werde gefährliche Angriffe begehen und dabei Spuren hinterlassen, die seine Wiedererkennung auf Grund der ermittelten genetischen Daten im Sinne des § 36 Abs. 2 Z 12 DSG ermöglichen würden. Soweit dies zur Auswertung vorhandener DNA-Spuren erforderlich ist, darf eine solche erkennungsdienstliche Behandlung auch bei Menschen im Sinne des § 65 Abs. 2 erfolgen. Im Übrigen gilt § 65 Abs. 4 bis 6.

(1a) […]

(2) […]

(3) […]“

2.1. Die Kosten im Verfahren über Beschwerden wegen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt regelt § 35 des Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetzes – VwGVG, BGBl. I Nr. 33/2013, welcher lautet:

„§ 35. (1) Die im Verfahren über Beschwerden wegen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt (Art. 130 Abs. 1 Z 2 B-VG) obsiegende Partei hat Anspruch auf Ersatz ihrer Aufwendungen durch die unterlegene Partei.

(2) Wenn die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt für rechtswidrig erklärt wird, dann ist der Beschwerdeführer die obsiegende und die Behörde die unterlegene Partei.

(3) Wenn die Beschwerde zurückgewiesen oder abgewiesen wird oder vom Beschwerdeführer vor der Entscheidung durch das Verwaltungsgericht zurückgezogen wird, dann ist die Behörde die obsiegende und der Beschwerdeführer die unterlegene Partei.

(4) Als Aufwendungen gemäß Abs. 1 gelten:

      1. die Kommissionsgebühren sowie die Barauslagen, für die der Beschwerdeführer aufzukommen hat,

      2. die Fahrtkosten, die mit der Wahrnehmung seiner Parteirechte in Verhandlungen vor dem Verwaltungsgericht verbunden waren, sowie

      3. die durch Verordnung des Bundeskanzlers festzusetzenden Pauschalbeträge für den Schriftsatz-, den Verhandlungs- und den Vorlageaufwand.

(5) Die Höhe des Schriftsatz- und des Verhandlungsaufwands hat den durchschnittlichen Kosten der Vertretung bzw. der Einbringung des Schriftsatzes durch einen Rechtsanwalt zu entsprechen. Für den Ersatz der den Behörden erwachsenden Kosten ist ein Pauschalbetrag festzusetzen, der dem durchschnittlichen Vorlage-, Schriftsatz- und Verhandlungsaufwand der Behörden entspricht.

(6) Die §§ 52 bis 54 VwGG sind auf den Anspruch auf Aufwandersatz gemäß Abs. 1 sinngemäß anzuwenden.

(7) Aufwandersatz ist auf Antrag der Partei zu leisten. Der Antrag kann bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung gestellt werden.“

2.2. Die Verordnung über die Pauschalierung der Aufwandersätze im Verfahren vor den Verwaltungsgerichten über Beschwerden wegen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt und Beschwerden wegen Rechtswidrigkeit eines Verhaltens einer Behörde in Vollziehung der Gesetze (VwG-Aufwandersatzverordnung – VwG-AufwErsV), BGBl. II Nr. 517/2013, lautet auszugsweise:

„§ 1. Die Höhe der im Verfahren vor den Verwaltungsgerichten über Beschwerden wegen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 2 des Bundes-Verfassungsgesetzes – B-VG, BGBl. Nr. 1/1930, und Beschwerden wegen Rechtswidrigkeit eines Verhaltens einer Behörde in Vollziehung der Gesetze gemäß Art. 130 Abs. 2 Z 1 B-VG als Aufwandersatz zu leistenden Pauschalbeträge wird wie folgt festgesetzt:

      1. Ersatz des Schriftsatzaufwands des Beschwerdeführers als obsiegende Partei   737,60 Euro

      2. Ersatz des Verhandlungsaufwands des Beschwerdeführers als obsiegende Partei   922,00 Euro

      3. Ersatz des Vorlageaufwands der belangten Behörde als obsiegende Partei              57,40 Euro

      4. Ersatz des Schriftsatzaufwands der belangten Behörde als obsiegende Partei   368,80 Euro

      5. Ersatz des Verhandlungsaufwands der belangten Behörde als obsiegende Partei   461,00 Euro

      6. Ersatz des Aufwands, der für den Beschwerdeführer mit dem Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens verbunden war (Schriftsatzaufwand)            553,20 Euro

      7. Ersatz des Aufwands, der für die belangte Behörde mit dem Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens verbunden war (Schriftsatzaufwand)          276,60 Euro“

III.1.1. Der Tag der beschwerdegegenständlichen Amtshandlung war am 29.04.2020, die nun vorliegende Beschwerde wurde am 10.06.2020 beim Verwaltungsgericht Wien eingebracht und ist daher rechtzeitig.

1.2. Die anwaltlich vertretene Beschwerdeführerin erachtet die erkennungsdienstliche Behandlung durch die Abnahme ihrer Finger- und Handflächenabdrücke, die Anfertigung von Lichtbildern ihrer Person sowie die Abnahme ihrer DNA durch Vornahme eines Nackenabstrichs durch Ausübung unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt am 29.04.2020 durch ein Organ der belangten Behörde mangels Vorliegens der gesetzlichen Voraussetzungen nach § 65 Abs. 1 und § 67 Abs. 1 SPG als rechtswidrig.

1.3. Die belangte Behörde trat der Auffassung der Beschwerdeführerin, wonach die erkennungsdienstliche Behandlung mangels Vorliegens der gesetzlichen Voraussetzungen rechtswidrig war, da für die Annahme, die Beschwerdeführerin würde weitere gefährliche Angriffe begehen, keine Anhaltspunkte vorlagen, nicht entgegen.

2. Zur erkennungsdienstlichen Behandlung der Beschwerdeführerin am 29.04.2020 durch Anfertigung von Lichtbildern, Abnahme der Finger- und Handflächenabdrücke sowie der DNA durch Nackenabstrich ist Folgendes festzuhalten:

Die Bestimmung des § 64 Abs. 3 SPG definiert die erkennungsdienstliche Behandlung und versteht darunter das Ermitteln personenbezogenen Daten durch erkennungsdienstliche Maßnahmen, an dem der Betroffene mitzuwirken hat.

§ 65 Abs. 1 SPG 1991 ermächtigt die Sicherheitsbehörden, Menschen, die im Verdacht stehen eine mit Strafe bedrohte Handlung begangen zu haben, unter weiteren Voraussetzungen erkennungsdienstlich zu behandeln. Diese Befugnis dient sicherheitspolizeilichen Zielsetzungen, nämlich der Begehung weiterer gefährlicher Angriffe vorzubeugen. Sie ist gefährlichkeitsbezogen. Nach der dargelegten Rechtslage ist die Zulässigkeit einer erkennungsdienstlichen Behandlung - zusätzlich zu dem Verdacht einer mit Strafe bedrohten Handlung - an weitere hinzukommende Voraussetzungen geknüpft:

Der Betroffene muss entweder im Rahmen einer "kriminellen Verbindung" tätig geworden sein oder die erkennungsdienstliche Behandlung muss sonst auf Grund der Art oder Ausführung der Tat oder der Persönlichkeit des Betroffenen zur Vorbeugung weiterer gefährlicher Angriffe erforderlich erscheinen (z.B. VwGH vom 18.06.2014, Zl 2013/01/0134 m.w.H.).

Für DNA-Untersuchungen enthält § 67 SPG eine einschränkende Sonderbestimmung (vgl. Hauer/Keplinger, SPG Kommentar, 4. Auflage, S. 693, Anmerkung 2).

§ 67 Abs. 1 SPG ermächtigt zur DNA-Untersuchung in Form der erkennungsdienstlichen Behandlung (§ 64 Abs. 3 SPG) im Fall von Tatverdächtigen wegen strafbarer Handlungen gegen die sexuelle Integrität und Selbstbestimmung oder wegen einer gerichtlich strafbaren Handlung, die vorsätzlich begangen wurde und mit mindestens einjähriger Freiheitsstrafe bedroht ist. Die Bestimmung des § 67 Abs. 1 SPG ist eine lex specialis zu § 65 SPG.

Dem Bericht des Ausschusses für innere Angelegenheiten über die Regierungsvorlage (1151 d.B.) zum Bundesgesetz, mit dem das Sicherheitspolizeigesetz, das EU-Polizeikooperationsgesetz und das Waffengebrauchsgesetz 1969 geändert werden (Präventions-Novelle 2016) kann zu § 67 Abs. 1 SPG unter anderem Folgendes entnommen werden (vgl. 1229 der Beilagen zu den Stenographischen Protokollen des Nationalrates XXV. GP, zu Z 30 bis 32 §§ 65 Abs. 3, § 67 Abs. 1 und 77 Abs. 2, S 8f):

„Aufgrund der Eingriffsintensität von Straftaten gegen die sexuelle Integrität und Selbstbestimmung und des hohen Stellenwertes dieses Rechtsgutes können bei Vorliegen aller übrigen Voraussetzungen nach § 67 Abs. 1, insbesondere einer entsprechenden Prognose, alle im 10. Hauptstück des Strafgesetzbuchs normierten Tatbestände unabhängig von der konkreten Strafdrohung die Ermittlung der DNA eines Menschen rechtfertigen (§ 67 Abs. 1).“

Daher ist eine DNA-Untersuchung der in § 67 Abs. 1 SPG näher genannten Tatverdächtigen insbesondere an die weiteren, gleichfalls in dieser Bestimmung aufgezählten Voraussetzungen geknüpft, wonach

1. wegen der Art oder Ausführung der Tat oder

2. wegen der Persönlichkeit des Betroffenen zu befürchten ist, er werde gefährliche Angriffe begehen und dabei Spuren hinterlassen, die seine Wiedererkennung auf Grund der ermittelten genetischen Daten im Sinne des § 36 Abs. 2 Z 12 DSG ermöglichen würden.

3. In der beschwerdegegenständlichen Angelegenheit wurden – wie bereits ausgeführt wurde - von der Beschwerdeführerin Lichtbilder angefertigt, ihre Finger- und Handflächenabdrücke sowie ihre DNA mittels Nackenabstrich abgenommen.

Nach dem unstrittig gebliebenen Sachverhalt gab es jedoch weder für die Aufforderung an der erkennungsdienstliche Behandlung mitzuwirken noch für Vornahme derselben eine gesetzliche Grundlage, zumal keine Anhaltspunkte vorlagen, dass die Beschwerdeführerin (weitere) gefährliche Angriffe begehen werde, weshalb die erkennungsdienstlichen Behandlung gemäß § 65 Abs. 1 und § 67 Abs. 1 SPG schon aus diesem Grund spruchgemäß als rechtswidrig zu erklären war.

Im Hinblick auf die Bestimmung des § 63 Abs. 1 SPG hat die belangte Behörde die in Beschwerde gezogenen, verarbeiteten personenbezogene Daten der Beschwerdeführerin zu löschen.

4. Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 35 Abs. 1, 2 und 4 Z 3 VwGVG iVm § 1 Z 1 VwG-AufwErsV sowie auf § 35 Abs. 6 iVm § 52 Abs. 2 VwGG.

5. Der Ausspruch über die Unzulässigkeit der ordentlichen Revision gründet sich darauf, dass keine Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG zu beurteilen war, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes. Ebenfalls liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung einer zu lösenden Rechtsfrage vor, zumal die verfahrensgegenständlichen Rechtsfragen klar aus dem Gesetz lösbar sind (vgl. Köhler, Der Zugang zum VwGH in der zweistufigen Verwaltungsgerichtsbarkeit, ecolex 2013, 589 ff, mwN).

Schlagworte

Maßnahmenbeschwerde; erkennungsdienstliche Behandlung; gefährlicher Angriff; strafbare Handlung; Verdacht

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:LVWGWI:2020:VGW.102.076.6562.2020

Zuletzt aktualisiert am

28.09.2020
Quelle: Landesverwaltungsgericht Wien LVwg Wien, http://www.verwaltungsgericht.wien.gv.at
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