TE Bvwg Erkenntnis 2020/4/7 W228 2228096-1

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Veröffentlicht am 07.04.2020
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Entscheidungsdatum

07.04.2020

Norm

ASVG §113 Abs1 Z1
ASVG §113 Abs2
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch

W228 2228096-1/8E

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Harald WÖGERBAUER als Einzelrichter über die Beschwerde der XXXX ., XXXX , 1230 Wien, gegen den Bescheid der Österreichischen Gesundheitskasse vom 22.11.2019, Zl. XXXX , wegen Vorschreibung eines Beitragszuschlages gemäß § 113 Abs. 1 Z 1 iVm Abs. 2 ASVG zu Recht erkannt:

A)

Der Beschwerde wird gemäß § 28 Abs. 1 und 2 VwGVG stattgegeben und entfällt der Beitragszuschlag aus besonders berücksichtigungswürdigen Gründen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

Die Österreichische Gesundheitskasse (im Folgenden: ÖGK) hat mit - an die Beschwerdeführerin XXXX 1230 Wien, adressierten - Bescheid vom 22.11.2019, Zl. XXXX , gemäß § 410 Abs. 1 Z 5 nach § 113 Abs. 1 Z 1 iVm Abs. 2 ASVG einen Beitragszuschlag in der Höhe von ? 400 vorgeschrieben, weil die Anmeldung für XXXX , VSNR XXXX , zur Pflichtversicherung als Dienstnehmerin gemäß § 4 Abs. 1 Z 1 iVm Abs. 2 ASVG nicht vor Arbeitsantritt erstattet wurde. Begründend wurde ausgeführt, dass im Rahmen der am 20.11.2018 erfolgten Betretung durch die Finanzpolizei in 1230 Wien, XXXX , festgestellt worden sei, dass für die genannte Person die Anmeldung nicht vor Arbeitsantritt erstattet worden sei.

Gegen diesen Bescheid hat die Beschwerdeführerin im Wege des rechtsfreundlichen Vertreters mit Schriftsatz vom 19.12.2019 fristgerecht Beschwerde erhoben. Begründend wurde ausgeführt, dass dem handelsrechtlichen Geschäftsführer wichtig sei, dass sämtliche Mitarbeiter stets ordnungsgemäß beim Sozialversicherungsträger angemeldet seien und bis dato gab es seitens der Behörden keinerlei Beanstandungen. Das Wohnhaus der Familie des Geschäftsführers sei gemeinsam mit den Wohnräumlichkeiten unter einem Dach, die Familienmitglieder galten sich daher auch zumeist im Restaurant auf. Frau XXXX besuchte die Familie in den letzten Jahren mehrmals und habe mehrere Kilo Paprika aus der Heimat mitgebracht. Sie wollte der Familie am Abend des Betretungstages eine serbische Spezialität zubereiten. Es wollten beide Seiten keinen Dienstvertrag eingehen, Frau XXXX war lediglich zu besuch. Daher sei auch keine nachträgliche Anmeldung erfolgt, um kein Schuldeingeständnis in den beiden anhängigen Verfahren nach § 111 ASVG und AuslBG zu tätigen. Weiters wurde ausgeführt, dass die im Bescheid zitierte Z 1 des § 113 Abs. 1 ASVG nicht existiere. Außerdem seien falsche Beträge des § 113 Abs. 2 ASVG zitiert, die Herkunft sei nicht nachvollziehbar. Sollte entgegen dem Vorbringen von einem Dienstverhältnis ausgegangen werden, werde die Herabsetzung des Teilbetrages für den Prüfeinsatz auf ? 300 oder weniger begehrt, da die Behörde diesen rechtlich unrichtig mit ? 400 festgesetzt habe und mit ? 300 auch eine "Maximalstrafe" verhängt würde. Außerdem habe der rechtsfreundliche Vertreter mit einem Behördenvertreter einen Rückruf vereinbart, der nicht erfolgte, weshalb ersterer von der Erlassung des Bescheids überrascht wurde und eine Aufklärung des Sachverhaltes dadurch nicht mehr möglich war, was im Ergebnis dem Überraschungsverbot im Verwaltungsverfahren widerspreche.

Die Beschwerdesache wurde dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vorgelegt. Sie langte am 29.01.2020 ein.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Im Rahmen der am 20.11.2018 erfolgten Betretung durch Prüforgane die Finanzpolizei in 1230 Wien, XXXX , wurde festgestellt, dass für XXXX , VSNR XXXX , die Anmeldung nicht vor Arbeitsantritt erstattet worden sei. Diese wurde beim Gemüseschneiden (Paprika) im von der Beschwerdeführerin geführten Lokal angetroffen.

Eine österreichweite, wirtschaftliche Einschränkung des Gastgewerbes zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 erfolgte teilweise ab 16.03.2020. Seit 17.03.2020 gibt es für Betriebsstätten des Gastgewerbes, mit Ausnahme von Lieferservice, ein österreichweites Betretungsverbot (vorerst bis 13.04.2020). Dieses Betretungsverbot wurde durch eine weitere Ausnahme am 03.04.2020 ergänzt, die die Abholung vorbestellter Speisen unter bestimmten Bedingungen zulässt. Dies führt zu beträchtlichen Umsatz- und Einkommensverlusten der Betriebe des Gastgewerbes.

2. Beweiswürdigung:

Es ist unstrittig, dass die genannte Person im Zeitpunkt der Betretung von der Finanzpolizei im Gastronomiebetrieb Paprika schneidend angetroffen wurde und zu diesem Zeitpunkt nicht zur Sozialversicherung angemeldet war.

Strittig ist, ob es sich dabei um ein Dienstverhältnis oder einen Freundschafts- bzw. Gefälligkeitsdienst handelt. Dies kann jedoch, aufgrund der folgenden weiteren Ausführungen, dahingestellt bleiben.

Hinsichtlich der Feststellung zur Einschränkungen des Gastgewerbes, siehe die weiteren Ausführungen in der rechtlichen Beurteilung.

3. Rechtliche Beurteilung:

Gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG erkennen die Verwaltungsgerichte über Beschwerden gegen den Bescheid einer Verwaltungsbehörde wegen Rechtswidrigkeit.

Nach § 9 Abs. 2 Z 1 VwGVG ist belangte Behörde in den Fällen des Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG jene Behörde, die den angefochtenen Bescheid erlassen hat - vorliegend sohin die ÖGK.

§ 414 Abs. 1 ASVG normiert die Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichts zur Entscheidung über Beschwerden gegen Bescheide eines Versicherungsträgers.

Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.

Gemäß § 414 Abs. 2 ASVG entscheidet in Angelegenheiten nach § 410 Abs. 1 Z 1, 2 und 6 bis 9 das Bundesverwaltungsgericht auf Antrag einer Partei durch einen Senat; dies gilt auch für Verfahren, in denen die zitierten Angelegenheiten als Vorfragen zu beurteilen sind. Da über eine Sache nach § 410 Abs. 1 Z 5 entschieden wird, obliegt in der gegenständlichen Rechtssache somit die Entscheidung dem nach der jeweils geltenden Geschäftsverteilung des Bundesverwaltungsgerichtes zuständigen Einzelrichter.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG geregelt. Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist. Gemäß § 31 Abs. 1 VwGVG erfolgen die Entscheidungen und Anordnungen durch Beschluss, soweit nicht ein Erkenntnis zu fällen ist.

Zu A) Stattgabe der Beschwerde:

Gemäß § 33 Abs. 1 ASVG haben Dienstgeber jede von ihnen beschäftigte, nach dem ASVG in der Krankenversicherung pflichtversicherte Person (Vollversicherte und Teilversicherte) vor Arbeitsantritt beim zuständigen Krankenversicherungsträger anzumelden und binnen sieben Tagen nach dem Ende der Pflichtversicherung abzumelden. Die An(Ab)meldung durch den Dienstgeber wirkt auch für den Bereich der Unfall- und Pensionsversicherung, soweit die beschäftigte Person in diesen Versicherungen pflichtversichert ist.

Gemäß § 113 Absatz 1 Z 1 ASVG können unter anderem Dienstgebern Beitragszuschläge vorgeschrieben werden, wenn die Anmeldung zur Pflichtversicherung nicht vor Arbeitsantritt erstattet wurde.

Der Beitragszuschlag setzt sich gemäß § 113 Abs. 2 ASVG im Fall des Abs. 1 Z 1 nach einer unmittelbaren Betretung im Sinne des § 111a [Abgabenbehörden des Bundes, deren Prüforgane Personen betreten haben] aus zwei Teilbeträgen zusammen, mit denen die Kosten für die gesonderte Bearbeitung und für den Prüfeinsatz pauschal abgegolten werden. Der Teilbetrag für die gesonderte Bearbeitung beläuft sich auf ? 500,00 je nicht vor Arbeitsantritt angemeldeter Person; der Teilbetrag für den Prüfeinsatz beläuft sich auf ? 800,00. Bei erstmaliger verspäteter Anmeldung mit unbedeutenden Folgen kann der Teilbetrag für die gesonderte Bearbeitung entfallen und der Teilbetrag für den Prüfeinsatz bis auf ? 400,00 herabgesetzt werden. In besonders berücksichtigungswürdigen Fällen kann auch der Teilbetrag für den Prüfeinsatz entfallen.

Gemäß der in § 689 Abs. 8 ASVG getroffenen Übergangsbestimmung, sind auf Meldepflichten, die Beitragszeiträume vor dem 1. Jänner 2019 betreffen, die §§ 33, 34, 41, 56, 58 und 113 ASVG in der am 31. Dezember 2018 geltenden Fassung weiterhin anzuwenden.

Soweit die Ausführungen in der Beschwerde vermeint eine Fehlerhaftigkeit bzw. Nichtnachvollziehbarkeit der zitierten Normen und Beträge zu erkennen, so ist auf die eben zitierte Übergangsbestimmung zu verweisen.

Die im Beschwerdeverfahren betreffend die Vorschreibung eines Beitragszuschlags gemäß § 113 Abs. 1 Z 1 iVm Abs. 2 ASVG üblicherweise als Vorfrage zu klärende Frage, ob eine gemäß § 33 ASVG meldepflichtige Beschäftigung der Betretenen vorlag und die Beschwerdeführerin als Dienstgeberin daher verpflichtet gewesen wäre, diese vor Arbeitsantritt beim zuständigen Krankenversicherungsträger anzumelden, kann aus folgenden Gründen dahingestellt bleiben.

Nach dem Wortlaut der gesetzlichen Bestimmungen sowie der Materialien (EBRV BlgNR 23. GP 77) ist Zweck der Beitragszuschläge, den wegen der Säumigkeit des Meldepflichtigen verursachten Mehraufwand in der Verwaltung ("Bearbeitungskosten") auszugleichen, sohin einen Kostenbeitrag demjenigen vorzuschreiben, der diese Kosten auch verursacht hat ("Verursacherprinzip") und damit als Sicherungsmittel für das ordnungsgemäße Funktionieren der Sozialversicherung zu werten (vgl. VwGH 07.08.2002, 99/08/0074).

Zufolge der einschlägigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. VwGH 10.07.2013, 2013/08/0117) ist die Vorschreibung eines Beitragszuschlages nicht als Verwaltungsstrafe zu werten, sondern als eine wegen des durch die Säumigkeit des Meldepflichtigen verursachten Mehraufwandes sachlich gerechtfertigte weitere Sanktion für die Nichteinhaltung der Meldepflicht und damit als ein Sicherungsmittel für das ordnungsgemäße Funktionieren der Sozialversicherung, ist die Frage des subjektiven Verschuldens am Meldeverstoß unmaßgeblich. Entscheidend ist, dass objektiv ein Meldeverstoß verwirklich wurde, gleichgültig aus welchen Gründen. Die Frage des subjektiven Verschuldens ist aus diesem Grunde auch nicht näher zu untersuchen.

Somit stellt sich aber auch nicht die in der Beschwerde aufgeworfene Frage einer "Maximalstrafe", da es sich um einen pauschalierten Aufwandsersatz handelt.

Gemäß § 113 Abs. 2 ASVG kann bei erstmaliger verspäteter Anmeldung mit unbedeutenden Folgen der Teilbetrag für die gesonderte Bearbeitung entfallen und der Teilbetrag für den Prüfeinsatz bis auf 400,00 ? herabgesetzt werden. Solche unbedeutenden Folgen können vorliegen, sofern nicht mehr als zwei Dienstnehmer nicht angemeldet worden sind und der Dienstgeber die Anmeldung unverzüglich nachholt (VwGH vom 07.09.2011, 2008/08/0218). Im gegenständlichen Fall erfolgte diese Herabsetzung seitens der ÖGK zu Recht, da eine erstmalige verspätete Anmeldung mit unbedeutenden Folgen vorlag.

Im zeitlichen Verlauf seit der Entscheidung der ÖGK vom 22.11.2019 erfolgten aufgrund der Covid-19 Pandemie tiefgreifende Eingriffe ins öffentliche Leben.

Die "Verordnung, mit der zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 die Sperrstunde und Aufsperrstunde im Gastgewerbe festgelegt werden", BGBl. Nr. II 97/2020, welche am 16.03.2020 in Kraft trat, wurden die Öffnungszeiten des Gastgewerbes massiv eingeschränkt.

Die nunmehr geltende Verordnung "Vorläufige Maßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19" trat mit 17.03.2020 in Kraft, ist derzeit bis 13.04.2020 gültig und beinhaltet im § 3 folgende Regelung:

"(1) Das Betreten von Betriebsstätten sämtlicher Betriebsarten der Gastgewerbe ist untersagt. [...] (5) Abs. 1 gilt nicht für Lieferservice."

Am 03.04.2020 wurde die letztgenannte Verordnung mit BGBl. II Nr. 130/2020 geändert und folgender Abs. 6 bei § 3 ergänzt: "Die Abholung vorbestellter Speisen ist zulässig, sofern diese nicht vor Ort konsumiert werden und sichergestellt ist, dass gegenüber anderen Personen dabei ein Abstand von mindestens einem Meter eingehalten wird."

Aufgrund des Hinzutretens dieser massiven wirtschaftlichen Einschränkungen - welche die ÖGK zum Entscheidungszeitpunkt nicht vorhersehen konnte -, geht der erkennende Richter daher davon aus, dass spätestens seit 17.03.2020 fallgegenständlich ein besonders berücksichtigungswürdiger Fall im Sinne des § 113 Abs. 2 ASVG letzter Satz vorliegt. Als Folge daraus hat der Teilbetrag für den Prüfeinsatz zu entfallen.

Abschließend sei der Übersicht halber angemerkt, dass sich diese Entscheidung an der Musterentscheidung W228 2229961-1 vom 30.03.2020 orientiert.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Zu B) Zulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG zulässig, weil die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Es fehlt an einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, ob wirtschaftliche Einschränkungen aufgrund einer Pandemie einen besonders berücksichtigungswürdigenden Fall im Sinne des § 113 Abs. 2 ASVG letzter Satz darstellen.

Schlagworte

Beitragszuschlag berücksichtigungswürdige Gründe Pandemie

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W228.2228096.1.00

Im RIS seit

24.09.2020

Zuletzt aktualisiert am

24.09.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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