TE Bvwg Erkenntnis 2020/5/13 W156 2229822-1

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Veröffentlicht am 13.05.2020
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Entscheidungsdatum

13.05.2020

Norm

ASVG §16
B-VG Art133 Abs4
NAG §54

Spruch

W156 2229822-1/6E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Alexandra Krebitz als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , vertreten durch Mag.a Doris Einwallner, Rechtsanwältin in 1050 Wien, gegen den Bescheid der Österreichischen Gesundheitskasse, Landesstelle Wien, vom 14.02.2020, GZ: VA/VR- XXXX , zu Recht erkannt:

A) Der Beschwerde wird stattgegeben, der angefochtene Bescheid behoben und dem Antrag der XXXX vom 04.06.2019 auf Selbstversicherung in der Krankenversicherung gemäß § 16 ASVG stattgegeben.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Am 04.06.2019 stellte Frau XXXX (in Folge als BF bezeichnet) bei der Wiener Gebietskrankenkasse (nunmehr Österreichische Gesundheitskasse (im Folgenden ÖGK) einen Antrag auf Selbstversicherung in der Krankenversicherung gemäß § 16 Abs. 1 ASVG sowie einen Antrag auf Herabsetzung der Beitragsgrundlage für Selbstversicherte in der Krankenversicherung.

Dem Antrag beigelegt sind folgende Unterlagen:

Bestätigung über eine Unterstützung von EUR 200,00 pro Monat durch die Schwiegertochter der BF, XXXX (in Folge als Schwiegertochter bezeichnet), sowie Bestätigung, dass die BF im Haushalt der Schwiegertochter lebe

Einkommensnachweis der Schwiegertochter mit einem Grundlohn von EUR 1.467,00 als Beschäftigte der XXXX ,

Nachweis über den Tod des XXXX , Ehemann der BF, am XXXX

Mit Schreiben der WGKK vom 25.06.2019 wurde die BF von der ÖGK aufgefordert, eine Kopie des Reisepasses und eines Visums D, welches noch für mindestens sechs Monate Gültigkeit haben muss, vorzulegen

Am 29.11.2019 übermittelt die Schwiegertochter ein Mail, in dem sie ausführt, dass die BF am 05.07.2018 einen Antrag auf Ausstellung einer Aufenthaltskarte bei der Magistratsabteilung 35, Land Wien, (in Folge MA 35) gestellt habe. Beigelegt ist ein Schreiben vom 05.07.2018, welches als Einreichbestätigung tituliert ist, mit dem die MA 35 bestätigt, dass die BF am 05.07.2018 einen Antrag auf Ausstellung einer Aufenthaltskarte (Angeh. eines EWR- oder Schweizer Bürgers) gestellt habe. Mit diesem Schreiben wurde der BF aufgetragen, innerhalt von drei Monaten folgende Unterlagen nachzureichen: EU-Passphoto, Nachweise über die tatsächliche Unterhaltsleistung.

2. Mit angefochtenen Bescheid vom 14.02.2020 wurde der Antrag der BF auf Selbstversicherung in der Krankenversicherung abgewiesen. Begründet wurde dies im Wesentlichen, dass die BF mangels dauerhaften Aufenthalt und mangels Wohnsitz im Inland nicht die Voraussetzungen des § 16 ASVG erfülle.

Gegen diesen Bescheid erhob die BF mit Schriftsatz vom 13.03.2020 fristgerecht Beschwerde.

3. Mit Schreiben vom 20.03.2020 legte die ÖGK die Beschwerde samt dem bezughabenden Verwaltungsakt dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vor und wurde das Verfahren der Gerichtsabteilung W156 zugewiesen.

4. Mit Schreiben vom 05.05.2020 teilte die rechtsfreundliche Vertretung der BF mit, dass dem Antrag der BF auf Ausstellung einer Aufenthaltskarte stattgegeben wurde.

5. Mit Schreiben vom 12.05.2020 nahm die ÖGK zum Parteiengehör vom 06.05.2020 Stellung, in der sie ausführte, dass die Aufenthaltskarte für die BF am 27.04.2020 ausgestellt wurde. Unter Verweis auf § 20 Abs.2 NAG sei davonauszugehen, dass eine Aufenthaltskarte erst ab Ausstellung einen gültigen Aufenthaltstitel begründen könne und erst ab diesem Zeitpunkt ein Wohnsitz begründet werden könne. Der Antrag sei daher abzuweisen gewesen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Die BF ist Staatsbürgerin der Republik Kosovo, verwitwet und Schwiegermutter einer Staatsangehörigen der Niederlande, für die am 28.09.2017 eine Aufenthaltsbestätigung für EWR-Bürger/-innen gemäß dem NAG ausgestellt wurde.

Die Ehe der Schwiegertochter mit dem Sohn der BF wurde am XXXX geschlossen und ist aufrecht.

Die BF ist von 03.07.2012 bis 21.09.2012, von 17.05.2917 bis 17.07.2917, vom 1.12.2017 bis 31.02.208 in Österreich mit einem Hauptwohnsitz gemeldet und hat seit dem 29.06.2018 mit der Schwiegertochter und ihrem Sohn ihren Wohnsitz im gemeinsamen Haushalt begründet.

Die BF wird von der Schwiegertochter finanziell unterstützt.

Die BF hat am 05.07.2018 bei der Magistratsabteilung 35 einen Antrag auf Ausstellung einer Aufenthaltskarte gestellt (Angehörige eines EWR- oder Schweizer Bürgers). Dem Antrag wurde stattgegeben und mit 27.04.2020 eine Aufenthaltskarte ausgestellt.

Die BF verfügt derzeit über keine gesetzliche Krankenversicherung in Österreich. 

2. Beweiswürdigung:

Der festgestellte Sachverhalt ergibt sich aus dem Akteninhalt.

Die Niederlassungs- und Bleibeabsicht der BF, die für die Begründung eines Wohnsitzes notwendig ist, ersieht das erkennende Gericht aus dem Umstand, dass im gegenständlichen Fall die BF verwitwet ist und bei ihrem Sohn und ihrer Schwiegertochter seit rund 2 Jahren im gemeinsamen Haushalt wohnt. Sie beantragte und erhielt eine Aufenthaltskarte, die ihren rechtmäßigen Aufenthalt in Österreich nunmehr auch dokumentiert. Zudem hält sich die BF seit Mai 2017 überwiegend in Österreich auf.

Daraus ergibt sich für das erkennende Gericht, dass die BF die Absicht hat in Österreich ihren Lebensmittelpunkt zu verankern.

Von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung konnte angesehen werden, da der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde und dem Schriftverkehr geklärt erscheint und eine mündliche Erörterung die weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt. Dem Entfall der Verhandlung stehen auch weder Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958 noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. Nr. C83 vom 30.03.2010, S. 389, entgegen. Zudem hat die BF in ihrer Stellungnahme vom 05.05.2020 im Fall einer positiven Entscheidung darauf verzichtet.

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1. Rechtliche Grundlagen

§ 16 ASVG lautet:

„Freiwillige Versicherung

Selbstversicherung in der Krankenversicherung

§ 16.

(1) Personen, die nicht in einer gesetzlichen Krankenversicherung pflichtversichert sind, können sich, solange ihr Wohnsitz im Inland gelegen ist, in der Krankenversicherung auf Antrag selbstversichern.

(2) […]

(3) Die Selbstversicherung beginnt

1. unmittelbar im Anschluß an die Krankenversicherung oder Anspruchsberechtigung in der Krankenversicherung nach diesem oder einem anderen Bundesgesetz, mit Ausnahme des GSVG und des BSVG, wenn der Antrag binnen sechs Wochen nach dem Ende der Versicherung oder Anspruchsberechtigung gestellt wird,

2. sonst mit dem der Antragstellung folgenden Tag, im Falle des Ausscheidens

a) aus der Pflichtversicherung nach § 2 GSVG oder § 2 BSVG oder

b) aus der Selbstversicherung nach § 14a GSVG oder

c) aus der Pflichtversicherung nach § 14b GSVG oder aus einer wahlweise zur Pflichtversicherung nach § 2 Abs. 1 Z 4 GSVG geschaffenen Versorgungseinrichtung einer gesetzlichen beruflichen Vertretung

jedoch frühestens 60 Kalendermonate nach dem Ausscheiden.“

§ 66 Abs. 1 JN lautet:

„Der allgemeine Gerichtsstand einer Person wird durch deren Wohnsitz bestimmt. Der Wohnsitz einer Person ist an dem Orte begründet, an welchem sie sich in der erweislichen oder aus den Umständen hervorgehenden Absicht niedergelassen hat, daselbst ihren bleibenden Aufenthalt zu nehmen.“

Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten (Unionsbürger-Richtlinie), lautet:

„Artikel 7

Recht auf Aufenthalt für mehr als drei Monate

(1) Jeder Unionsbürger hat das Recht auf Aufenthalt im Hoheitsgebiet eines anderen

Mitgliedstaats für einen Zeitraum von über drei Monaten, wenn er

a)       Arbeitnehmer oder Selbstständiger im Aufnahmemitgliedstaat ist oder

b)       für sich und seine Familienangehörigen über ausreichende Existenzmittel verfügt, so dass sie während ihres Aufenthalts keine Sozialhilfeleistungen des Aufnahmemitgliedstaats in Anspruch nehmen müssen, und er und seine Familienangehörigen über einen umfassenden

Krankenversicherungsschutz im Aufnahmemitgliedstaat verfügen oder

c)       - bei einer privaten oder öffentlichen Einrichtung, die von dem Aufnahmemitgliedstaat aufgrund seiner Rechtsvorschriften oder seiner Verwaltungspraxis anerkannt oder finanziert wird, zur Absolvierung einer Ausbildung einschließlich einer Berufsausbildung als Hauptzweck eingeschrieben ist und

- über einen umfassenden Krankenversicherungsschutz im Aufnahmemitgliedstaat verfügt und der zuständigen nationalen Behörde durch eine Erklärung oder durch jedes andere gleichwertige Mittel seiner Wahl glaubhaft macht, dass er für sich und seine Familienangehörigen über ausreichende Existenzmittel verfügt, so dass sie während ihres Aufenthalts keine Sozialhilfeleistungen des Aufnahmemitgliedstaats in Anspruch nehmen müssen, oder

d) ein Familienangehöriger ist, der den Unionsbürger, der die Voraussetzungen des Buchstaben a, b oder c erfüllt, begleitet oder ihm nachzieht.

(2) Das Aufenthaltsrecht nach Absatz 1 gilt auch für Familienangehörige, die nicht die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzen und die den Unionsbürger in den Aufnahmemitgliedstaat begleiten oder ihm nachziehen, sofern der Unionsbürger die Voraussetzungen des Absatzes 1 Buchstabe a, b oder c erfüllt.“

§ 54 NAG lautet:

„(1) Drittstaatsangehörige, die Angehörige von unionsrechtlich aufenthaltsberechtigten EWR-Bürgern (§ 51) sind und die in § 52 Abs. 1 Z 1 bis 3 genannten Voraussetzungen erfüllen, sind zum Aufenthalt für mehr als drei Monate berechtigt. Ihnen ist auf Antrag eine Aufenthaltskarte für die Dauer von fünf Jahren oder für die geplante kürzere Aufenthaltsdauer auszustellen. Dieser Antrag ist innerhalb von vier Monaten ab Einreise zu stellen. § 1 Abs. 2 Z 1 gilt nicht.

(2) Zum Nachweis des unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts sind ein gültiger Personalausweis oder Reisepass, die Anmeldebescheinigung oder die Bescheinigung des Daueraufenthalts des zusammenführenden EWR-Bürgers sowie folgende Nachweise vorzulegen:...

[…]

2. nach § 52 Abs. 1 Z 2 und 3: ein urkundlicher Nachweis über das Bestehen einer familiären Beziehung sowie bei Kindern über 21 Jahren und Verwandten des EWR-Bürgers, seines Ehegatten oder eingetragenen Partners in gerader aufsteigender Linie ein Nachweis über die tatsächliche Unterhaltsgewährung.“

3.2. Rechtliche Beurteilung

Zu A) Stattgabe der Beschwerde:

Voraussetzung für die Selbstversicherung in der Krankenversicherung gemäß § 16 ASVG ist ein Wohnsitz in Österreich und, dass die betreffende Person nicht in einer gesetzlichen Krankenversicherung pflichtversichert ist.

Im angefochtenen Bescheid wird das Fehlen einer Pflichtversicherung in einer gesetzlichen Krankenversicherung nicht in Abrede gestellt. Die Ablehnung des Antrages der BF wird mit dem fehlenden Wohnsitz in Österreich begründet, der nach Ansicht der ÖGK deshalb nicht begründet werden kann, da es der BF im Zeitpunkt der Antragstellung an einer gültigen Aufenthaltsbewilligung mangelte.

Unbestritten wurden von der MA 35 die Voraussetzungen für die Ausstellung einer Aufenthaltskarte als Angehörige einer EWR-Bürgerin, die ihr Recht auf Freizügigkeit geltend gemacht hat, im Sinne der Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlamentes und des Rates vom 29. April 2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, geprüft und als gegeben erachtet.

Fraglich ist nunmehr, ab welchem Zeitpunkt der BF ein Aufenthaltsrecht in Österreich zukam.

Die Freizügigkeit bedeutet zum einen, dass jeder Unionsbürger grundsätzlich das Recht hat, sich in der Europäischen Union frei zu bewegen, in jeden anderen Mitgliedstaat einzureisen und sich dort aufzuhalten. Dieses Recht ist in Artikel 21 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) garantiert. Neben dieser aufenthaltsrechtlichen Komponente bedeutet Freizügigkeit im Binnenmarkt, sich in jedem Mitgliedstaat wirtschaftlich betätigen zu können, also unselbständig oder selbständig, dauerhaft oder vorübergehend tätig zu sein.

Angehörige von unionsrechtlich aufenthaltsberechtigten EWR-BürgerInnen bzw. SchweizerInnen, oder von ÖsterreicherInnen, die ihr unionsrechtliches Aufenthaltsrecht in Anspruch genommen haben, die selbst Drittstaatsangehörige sind, haben ebenfalls ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht und genießen Arbeitnehmerfreizügigkeit. Sie erhalten auf Antrag eine "Aufenthaltskarte" und nach fünf Jahren ununterbrochenem rechtmäßigem Aufenthalt im Bundesgebiet eine "Daueraufenthaltskarte" (die auch als Identitätsdokument gilt).

Dazu ist festzuhalten, dass die Ausstellung einer Aufenthaltskarte durch die zuständige Bezirksverwaltungsbehörde lediglich deklarativen Charakter hat und sich ein allfälliges Aufenthaltsrecht direkt aus der obzitierten Richtlinie ableiten lässt.

In seinem Erkenntnis vom 25.02.2010, Zl. 2008/09/0181, führt der Verwaltungsgerichtshof folgendes aus:

„Die bis zum 30. August 2006 umzusetzende Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten ("Unionsbürger-Richtlinie") gewährt in ihrem Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 2 Z. 2 lit. a einem drittstaatsangehörigen Ehegatten eines Unionsbürgers, der sich in einen anderen als den Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, begibt oder sich dort aufhält, das unmittelbare Recht, sich wie dieser frei zu bewegen und aufzuhalten, wenn er diesen begleitet oder ihm nachzieht.

[…]

Das in § 55 Abs. 1 iVm den §§ 51, 52 und 54 NAG genannte Niederlassungsrecht ist unmittelbar im Gemeinschaftsrecht begründet und wird innerstaatlich nicht verliehen, sondern nur dokumentiert (vgl. das hg. Erkenntnis vom 30. Jänner 2007, 2006/21/0330, Kutscher/Poschalko/Schmalzl, Niederlassungs- und Aufenthaltsrecht, 2006, 40ff; siehe auch etwa die hg. Erkenntnisse vom 20. April 2001, Zl. 2000/19/0017, und vom 22. September 2009, Zl. 2008/22/0064). Die belangte Behörde durfte daher nicht auf den Umstand abstellen, ob dem Beschwerdeführer ein Aufenthaltstitel nach dem NAG erteilt war, sie hatte sich vielmehr damit zu befassen, ob er im Hinblick darauf, dass seine italienische Ehegattin ihr Recht auf Freizügigkeit in Anspruch genommen hat, nach dem NAG wie der Angehörige einer EWR-Bürgerin zu behandeln und sein Recht auf Niederlassung als gegeben zu erachten war.“

Auch in seinen jüngsten Erkenntnissen führt der Verwaltungsgerichtshof aus:

„Ein Unionsbürger leitet sein Recht auf Aufenthalt für mehr als drei Monate unmittelbar aus Art. 7 der Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 (Freizügigkeitsrichtlinie bzw. Unionsbürgerrichtlinie) ab. In diesem Fall ergibt sich das Aufenthalts- und Niederlassungsrecht kraft unmittelbar anwendbaren Unionsrechts (vgl. VwGH 26.4.2016, Ra 2015/09/0137; VwGH 24.11.2009, 2007/21/0011). Dementsprechend ordnet § 32a Abs. 2 Z 2 AuslBG an, dass die Voraussetzungen des § 15 AuslBG (bloß) sinngemäß zu erfüllen sind. Auf das Vorliegen eines in § 8 Abs. 1 Z 1 bis 11 NAG 2005 aufgezählten Aufenthaltstitels kommt es in diesem Fall nicht an VwGH vom 25.09.2019, Zl. Ra 2018/09/0211)

Eine Aufenthaltskarte nach § 54 NAG 2005 gehört zu den Dokumentationen des unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts. In diesen Fällen ergibt sich das Aufenthalts- und Niederlassungsrecht nicht aus einer nationalen gesetzlichen Berechtigung, sondern Kraft unmittelbar anwendbaren Unionsrechts. Diese Bescheinigung hat bloß deklaratorische Wirkung. Ein das Aufenthaltsrecht konstitutiv begründender Aufenthaltstitel liegt mit der Aufenthaltskarte damit nicht vor (vgl. E 26. Juni 2012, 2010/22/0035, wonach einer Aufenthaltskarte gemäß Art. 10 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38/EG als bloße Anmeldebescheinigung keine Bindungswirkung für die nationale Behörde zukommt). Dies deckt sich im Ergebnis mit den E 4. September 2006, 2006/09/0070, und vom 24. April 2012, 2012/09/0003; diese sehen grundsätzlich nur außerhalb der Freizügigkeitssachverhalte ein Recht auf Aufenthalt (oder Niederlassung) mit einem Aufenthaltstitel mit konstitutiver Wirkung eingeräumt. Im Falle einer Aufenthaltskarte nach § 54 Abs. 1 NAG 2005 "dokumentiert" - also bescheinigt - diese die Berechtigung für Angehörige eines EWR-Bürgers zum Aufenthalt für mehr als drei Monate (und iVm Art. 23 der Richtlinie 2004/38/EG auch zur Aufnahme einer Erwerbstätigkeit als Arbeitnehmer oder Selbstständiger).“

Unter Zugrundelegung dieser Auslegung der Unionsbürger-Richtlinie und in Anwendung des § 54 Abs. 1 NAG kommt der BF als Angehörige einer niederländischen Staatsangehörigen, die auf Grund ihres Zuzugs nach Österreich offenkundig von ihrem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch gemacht hat, unabhängig von ihrem derzeitigen Aufenthaltsstatus das Recht auf Aufenthalt (oder Niederlassung) jedenfalls kraft unmittelbar anwendbaren Unionsrechts zu.

Die Ausstellung einer Aufenthaltskarte durch die MA 35 ist insofern lediglich ein deklarativer Akt und ist nicht mit dem Beginn des unionsrechtlichen Aufenthaltsrechtes gleichzusetzen, sondern hat die BF bereits zum Zeitpunkt ihres Antrages ihr unionsrechtliches Aufenthaltsrecht erworben.

Die ÖGK hat zutreffend festgehalten, dass eine Selbstversicherung in der Krankenversicherung grundsätzlich nur möglich ist, solange der Wohnsitz der betreffenden Person im Inland gelegen ist und dass weder der Wohnsitz noch der gewöhnliche Aufenthalt in § 66 JN definiert werden, sodass das übliche Begriffsverständnis iSd § 66 JN zugrunde zu legen ist.

Zu Begründung eines Wohnsitzes ist eine Niederlassungs- und Bleibeabsicht erforderlich, nämlich die Absicht, den Ort auf Dauer zum wirtschaftlichen und faktischen Mittelpunkt des Lebens und der geregelten Tätigkeit zu machen; der Wohnsitz setzt zwei Momente voraus: das körperliche Dasein an einem bestimmten Ort und das willensmäßig bedingte Dasein- Wollen auf Dauer. Beide Momente müssen zusammentreffen, um den Wohnsitz zu begründen (vgl Simotta in Fasching/Konecny3 § 66 JN Rz 4 ff).

Eine Niederlassungs- und Bleibeabsicht wird üblicherweise an beruflichen, familiären oder sonstigen persönlichen Bindungen festgemacht, die darauf schließen lassen, dass die betreffende Person hier bis auf weiteres den Mittelpunkt ihrer Lebensinteressen hat (Pfeil in Mosler/Müller/Pfeil: Kommentar zu § 16 ASVG).

Wie in der Beweiswürdigung dargestellt, ist die Niederlassungs- und Bleibeabsicht der BF aus dem Umständen ersichtlich und erfüllt diese daher auch die Voraussetzung des Wohnsitzes in Österreich.

Über den Antrag auf Herabsetzung der Beitragsgrundlage für die Selbstversicherung in der Krankenversicherung wird die ÖGK in Folge noch zu entscheiden habe.

3.3. Unterbleiben einer Verhandlung:

Der Sachverhalt war im Sinne des § 24 Abs. 4 VwGVG entscheidungsreif, weshalb von der Durchführung einer Verhandlung abgesehen werden konnte. Dem Entfall der Verhandlung stand auch Art 6 EMRK nicht entgegen, weil lediglich rechtliche Fragen zu klären waren (vgl. VwGH 19.03.2014, 2013/09/0159 mwH).

3.4. Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung zu den Voraussetzungen der Arbeitnehmerfreizügigkeit für Familienangehörige. Weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Schlagworte

Aufenthaltsrecht Familienangehöriger Krankenversicherung Selbstversicherung Unionsbürger Unionsrecht Wohnsitz

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W156.2229822.1.00

Im RIS seit

14.09.2020

Zuletzt aktualisiert am

14.09.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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