RS Vfgh 2020/6/26 E4233/2019

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Veröffentlicht am 26.06.2020
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Index

58/02 Energierecht

Norm

B-VG Art83 Abs2
B-VG Art94 Abs2
B-VG Art130 Abs5
B-VG Art131 Abs1
B-VG Art132 Abs1
GaswirtschaftsG 2011 §132 Abs2
E-ControlG §12
ZPO §582
VfGG §7 Abs1

Leitsatz

Verletzung im Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter durch die Zurückweisung einer gegen einen verfahrensrechtlichen Bescheid der Regulierungskommission der E-Control über die Durchführung eines schiedsgerichtlichen Schlichtungsverfahrens nach dem GaswirtschaftsG 2011 gerichteten Beschwerde einer Fernleitungsnetzbetreiberin mangels Beschwer durch das Bundesverwaltungsgericht; Zulässigkeit der privatautonomen Vereinbarung einer ausschließlichen Zuständigkeit des Schiedsgerichtes unter Ausschluss der Zuständigkeit der Regulierungskommission auf Grund des Zwecks des Verfahrens nach dem GaswirtschaftsG 2011

Rechtssatz

Zuständigkeit des BVwG für die Beschwerde gegen einen verfahrensrechtlichen Bescheid der Regulierungsbehörde betreffend die Zurückweisung eines Antrags der beteiligten Partei - einer Netzzugangsberechtigten -, weil das Schlichtungsverfahren des §132 Abs2 GWG 2011 nicht anwendbar sei, gegeben:

In Anbetracht des Wortlautes sowie der Entstehungsgeschichte der Bestimmungen des §132 Abs2 GWG 2011 iVm §12 Abs4 E-ControlG ist nicht davon auszugehen, dass der Gesetzgeber in §132 Abs2 iVm §12 Abs1 Z1 und Abs4 E-ControlG einen "Instanzenzug" iSd Art94 Abs2 B-VG vorgesehen hat. Weder anlässlich der Einführung noch anlässlich der Abschaffung der im Verfassungsrang stehenden Vorgängerbestimmung des §12 Abs4 E-ControlG hat der Gesetzgeber zum Ausdruck gebracht, dass die ordentlichen Gerichte als Rechtsmittelinstanz zur Überprüfung des Verwaltungshandelns berufen sein sollen, wie dies nunmehr etwa im Disziplinarrecht der Notare und der Rechtsanwälte oder im Übernahmerecht und im Patentrecht der Fall ist. Anders als in den genannten Gesetzen ist in den hier maßgeblichen Bestimmungen des GWG 2011 und des EControlG nach wie vor von einem "Anhängigmachen" der "Sache" bei Gericht, nicht aber von einem "Bekämpfen" oder "Anfechten" des "Bescheides" vor Gericht oder von einem "Rechtsmittel" an dieses die Rede.

Beschwerdelegitimation der beschwerdeführenden Partei vor dem BVwG:

Die beschwerdeführende Partei ist durch den Bescheid der Regulierungsbehörde insofern nicht unmittelbar beschwert, als darin ein verfahrenseinleitender Antrag der beteiligten Partei zurückgewiesen wurde. Dies bedeutet jedoch nicht, dass die beschwerdeführende Partei durch die zurückweisende Entscheidung der Regulierungsbehörde nicht beschwert ist. Die Argumentation des BVwG trägt der besonderen Verfahrenskonstellation, die durch §132 Abs2 Z1 GWG 2011 geschaffen wird, nicht hinreichend Rechnung.

Diese Bestimmung sieht bei Streitigkeiten zwischen Netzzugangsberechtigten und Netzbetreibern über die aus diesem Verhältnis entspringenden Verpflichtungen, die vom Netzzugangsberechtigten anhängig gemacht werden, ein - grundsätzlich - verpflichtendes Streitschlichtungsverfahren vor. Dieses Verfahren dient (auch) dem Schutz des Netzbetreibers, sohin der beschwerdeführenden Partei; sie kann erst nach Durchführung des Verfahrens vor der Regulierungsbehörde von Netzzugangsberechtigten gerichtlich in Anspruch genommen werden.

Die von der beschwerdeführenden Partei behauptete Verletzung eines Rechtes, nämlich auf Durchführung des - ihrer Ansicht nach nicht durch eine Schiedsvereinbarung abdingbaren und daher zwingenden - Streitschlichtungsverfahrens vor der Regulierungsbehörde, ist iSd Rsp zu Art132 Abs1 Z1 B-VG jedenfalls möglich. Die - nach der zurückweisenden Entscheidung des BVwG rechtskräftige - Zurückweisung des verfahrenseinleitenden Antrages der beteiligten Partei durch die Regulierungsbehörde hatte sogar die Wiederaufnahme des unterbrochenen Schiedsverfahrens zur Folge, ohne dass das Vorbringen der beschwerdeführenden Partei, dass das Schlichtungsverfahren vor der Regulierungsbehörde zwingend durchzuführen sei, einer meritorischen verwaltungsgerichtlichen Prüfung unterzogen worden wäre.

Zur objektiven Schiedsfähigkeit von Ansprüchen aus dem Vertrag zwischen dem Netzbetreiber und dem Netzzugangsberechtigten:

Die (objektive) Schiedsfähigkeit einer Rechtsstreitigkeit bestimmt sich zunächst nach §582 ZPO. Nach Abs1 leg cit kann jeder vermögensrechtliche Anspruch, über den von den ordentlichen Gerichten zu entscheiden ist, Gegenstand einer Schiedsvereinbarung sein. Eine Schiedsvereinbarung über nicht vermögensrechtliche Ansprüche hat insofern rechtliche Wirkung, als die Parteien über den Gegenstand des Streites fähig sind, einen Vergleich abzuschließen.

Vermögensrechtliche Ansprüche aller Art, die von den ordentlichen Gerichten entschieden werden, sind objektiv schiedsfähig. Demgegenüber sind Rechtssachen, die in die Zuständigkeit der Verwaltung fallen, grundsätzlich nicht schiedsfähig.

Ein (expliziter) Ausschluss der (objektiven) Schiedsfähigkeit wird vom Gesetzgeber in Bezug auf Streitigkeiten gemäß §132 Abs2 Z1 GWG 2011 nicht vorgesehen. Der VfGH hat darüber hinaus bereits ausgesprochen, dass die Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte in Streitigkeiten nach §132 Abs2 Z1 GWG 2011 wirksam ausgeschlossen werden kann (VfSlg 19874/2014). Dies wird von der beschwerdeführenden Partei auch nicht bestritten. Zu beantworten ist somit lediglich die Frage, ob auch die Zuständigkeit der Regulierungskommission zur Durchführung eines verwaltungsbehördlichen Schlichtungsverfahrens durch eine Schiedsvereinbarung wirksam abbedungen werden kann.

Aus systematischer Perspektive ist zunächst hervorzuheben, dass der Gesetzgeber hinsichtlich Streitigkeiten, die öffentlich-rechtlicher Natur sind, jedenfalls eine Zuständigkeit (nur) der Regulierungskommission vorgesehen hat (§132 Abs1 GWG 2011). Streitigkeiten nach §132 Abs2 GWG 2011 sind demgegenüber der Sache nach zivilrechtliche Streitigkeiten zwischen Gleichrangigen, die - ohne Vorliegen einer wirksamen Vereinbarung einer Schiedsklausel - letztlich von den ordentlichen Gerichten zu entscheiden sind.

Die Rechtsfigur einer "temporären Schiedsunfähigkeit" ist - soweit ersichtlich - bisher in keinem Fall einer sukzessiven Kompetenz von der schiedsrechtlichen Lehre oder der Rsp anerkannt worden ist. Der Gesetzgeber hat bisher Streitigkeiten entweder zur Gänze als schiedsfähig oder zur Gänze als schiedsunfähig - wie etwa im Mietrecht, im kollektiven Arbeitsrecht oder im Sozialrecht - festgelegt.

Darüber hinaus kann aus der Rsp des OGH zur temporären Unzulässigkeit des Rechtsweges im Verhältnis zwischen Verwaltungsbehörden und ordentlichen Gerichten keinesfalls der generelle Schluss gezogen werden, dass die verwaltungsbehördliche Zuständigkeit in (allen) Fällen einer sukzessiven Kompetenz nicht zu Gunsten eines Schiedsgerichtes ausgeschlossen werden kann. Die Rsp des OGH führt - umgelegt auf den vorliegenden Fall - lediglich zu dem Ergebnis, dass vor der Anrufung der ordentlichen Gerichte ein Schlichtungsverfahren vor der Regulierungskommission durchgeführt werden muss. Das ergibt sich aber bereits aus dem Wortlaut des §132 Abs2 GWG 2011.

Die Frage, ob eine "temporäre Schiedsunfähigkeit" im vorliegenden Zusammenhang anzunehmen ist, kann nach Auffassung des VfGH nur anhand der durch das behördliche Schlichtungsverfahren im vorliegenden Zusammenhang verfolgten Zwecke beurteilt werden. Dabei ist zu prüfen, ob es zwingende Gründe dafür gibt, dass das Schlichtungsverfahren vor der Regulierungskommission - trotz Vorliegens einer wirksamen Schiedsvereinbarung zwischen zwei Unternehmern - durchzuführen ist, bevor das Schiedsgericht angerufen werden kann.

Die Regelung des §132 Abs2 GWG 2011 dient vor allem der Entlastung der ordentlichen Gerichte; diese sollen erst nach Durchführung eines Verfahrens vor der Regulierungskommission in jenen Fällen in Anspruch genommen werden können, in denen die Rechtssache auch nach der Entscheidung der Regulierungskommission weiter strittig ist.

Darüber hinaus dient die Vorschaltung der Regulierungskommission in Streitigkeiten nach §132 Abs2 Z1 GWG 2011 nach Auffassung des VfGH auch den Interessen der Verfahrensparteien. Netzbetreiber können erst nach Durchführung des Schlichtungsverfahrens gerichtlich in Anspruch genommen werden, während Netzzugangsberechtigten die Möglichkeit gegeben wird, die Streitigkeit in kostensparender Weise vor der Regulierungskommission auszutragen, ohne sogleich eine Klage bei den ordentlichen Gerichten einbringen zu müssen.

Der Regelungszweck spricht für die Zulässigkeit einer Schiedsklausel, die auch die verwaltungsbehördliche Zuständigkeit verdrängt. Dabei ist zunächst zu beachten, dass durch Schiedsvereinbarungen stets - grundsätzlich zwingend vorgesehene - staatliche Zuständigkeitsregeln abbedungen werden können.

Als möglicher Zweck einer - zwingenden und nicht durch Schiedsklausel abdingbaren - Vorschaltung des behördlichen Schlichtungsverfahrens verbleibt, dass dadurch öffentliche Interessen, insbesondere aus dem Bereich des Regulierungsrechtes, verwirklicht werden sollen. Solche zwingenden öffentlichen Interessen sind für den VfGH aus den folgenden Gründen nicht zu erkennen:

Dass Streitigkeiten zwischen Netzzugangsberechtigten und Netzbetreibern zwingend vor der Regulierungskommission ausgetragen werden müssen, kann bereits deshalb nicht angenommen werden, weil Streitigkeiten, die von Netzbetreibern gegen Netzzugangsberechtigte anhängig gemacht werden, jedenfalls ohne Schlichtungsverfahren sogleich vor den ordentlichen Gerichten auszutragen sind). Es kann diesbezüglich keinen Unterschied machen, ob etwa die Nichtigkeit des Vertrages zwischen einem Netzbetreiber und einem Netzzugangsberechtigten von der einen oder anderen Vertragspartei geltend gemacht wird. Der Umstand, dass Netzbetreiber sogleich den Klagsweg vor den ordentlichen Gerichten beschreiten können, zeigt, dass kein öffentliches Interesse bestehen kann, solche - der Sache nach zivilrechtlichen - Streitigkeiten zwingend vor der Regulierungskommission zu schlichten, bevor ein Schiedsgericht angerufen werden kann.

Die Zulässigkeit, mittels Schiedsvereinbarung die ausschließliche Zuständigkeit des Schiedsgerichtes (unter Ausschluss der Regulierungskommission) zu begründen, erweist sich auch aus einem weiteren Grund: Netzzugangsberechtigte und Netzbetreiber können sich über Ansprüche wie jenen, der dem vorliegenden Verfahren zugrunde liegt, jedenfalls durch privatautonome Vereinbarung vergleichen (§1380 ABGB). Diesfalls wird die Rechtssache nicht vor der Regulierungskommission geschlichtet und hat diese dementsprechend keine Kenntnis von der entstandenen Streitigkeit. Gäbe es tatsächlich ein zwingendes öffentliches Interesse, dass entsprechende Streitigkeiten jedenfalls vor der Regulierungskommission geschlichtet werden müssten, hätte der Gesetzgeber ausdrücklich vorsehen müssen, dass auch Vergleiche in Streitigkeiten nach §132 Abs2 Z1 GWG 2011 nur vor der Regulierungskommission abgeschlossen werden können.

Letztlich zeigt der in §132 Abs2 GWG 2011 normierte Rechtsweg, dass das Schlichtungsverfahren vor der Regulierungskommission auch insofern keinem zwingenden öffentlichen Interesse dienen kann, weil es sich um eine - wenn auch atypische - sukzessive Kompetenz handelt, bei der der Bescheid der Regulierungskommission im nachfolgenden - gerichtlichen oder schiedsgerichtlichen Verfahren -nicht Gegenstand der Kontrolle ist. Das Verfahren wird vielmehr vor dem Gericht oder Schiedsgericht vollständig neu geführt.

Der Gesetzgeber hat die Schiedsunfähigkeit von Streitigkeiten nach §132 Abs2 Z1 GWG 2011 somit weder ausdrücklich angeordnet, noch ergibt sich diese aus den Zwecken, die mit der Vorschaltung des behördlichen Schlichtungsverfahrens vor der Regulierungskommission im Verhältnis zu dem Verfahren vor den ordentlichen Gerichten verfolgt werden. Durch privatautonome Vereinbarung kann dementsprechend sowohl die Zuständigkeit der Regulierungskommission als auch der ordentlichen Gerichte ausgeschlossen werden. Die Regulierungskommission hat daher den Antrag der beteiligten Partei zu Recht zurückgewiesen.

Verletzung im Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter:

Aus den bisherigen Ausführungen folgt, dass das Bundesverwaltungsgericht der beschwerdeführenden Partei zu Unrecht eine Sachentscheidung verweigert hat. Indem das BVwG die Beschwer der beschwerdeführenden Partei verneinte und die Beschwerde zurückwies, hat es das Recht der beschwerdeführenden Partei auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter gemäß Art83 Abs2 B-VG verletzt. Die - zulässige - Beschwerde wäre richtigerweise abzuweisen gewesen, weil die Parteien eine vertragliche Schiedsklausel vereinbart haben, welche die Zuständigkeit der Regulierungskommission rechtswirksam ausgeschlossen hat.

Entscheidungstexte

Schlagworte

Gasrecht, Energierecht, Gericht Zuständigkeit - Abgrenzung von Verwaltung, Kompetenz sukzessive, Beschwer, Schiedsverfahren

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2020:E4233.2019

Zuletzt aktualisiert am

25.08.2021
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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