TE Lvwg Beschluss 2020/3/19 VGW-031/055/2358/2020

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Veröffentlicht am 19.03.2020
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Entscheidungsdatum

19.03.2020

Index

40/01 Verwaltungsverfahren
20/01 Allgemein bürgerliches Gesetzbuch (ABGB)

Norm

AVG §9
ABGB §271
ZustG §9 Abs3

Text

Das Verwaltungsgericht Wien fasst durch seinen Richter Dr. Forster über die Beschwerde des Herrn A. B., geb. 1978, vertreten durch Frau Dr. C. als Erwachsenenvertreterin, vom 29. Jänner 2020 gegen das Straferkenntnis der Landespolizeidirektion Wien, Polizeikommissariat D. vom 1. Jänner 2020, Zl. …, wegen Übertretungen des § 82 Abs. 1 Sicherheitspolizeigesetz (SPG), des § 1 Abs. 1 Z 2 Wiener Landes-Sicherheitsgesetz (WLSG) sowie des § 1 Abs. 1 Z 1 WLSG den folgenden

BESCHLUSS

I. Die Beschwerde wird gemäß § 50 Abs. 1 iVm § 31 Abs. 1 VwGVG als unzulässig zurückgewiesen.

II. Gemäß § 25a Abs. 4 VwGG ist gegen dieses Erkenntnis eine Revision wegen Verletzung in Rechten (Art. 133 Abs. 6 Z 1 iVm Abs. 9 B-VG) nicht zulässig. Im Übrigen ist gemäß Abs. 1 par. cit. eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof unzulässig.

Begründung

I. Verfahrensgang

1. Mit Straferkenntnis vom 1. Jänner 2020, Zl. …, erkannte die Landespolizeidirektion Wien den Beschwerdeführer für schuldig, Übertretungen des § 82 Abs. 1 Sicherheitspolizeigesetz (SPG), des § 1 Abs. 1 Z 2 Wiener Landes-Sicherheitsgesetz (WLSG) und des § 1 Abs. 1 Z 1 WLSG begangen zu haben. Hinsichtlich des ersten Vorwurfes sah es die Behörde als erwiesen an, dass sich der Beschwerdeführer am 31. Dezember 2019, um 11:10 Uhr, in Wien, E.-straße (…) trotz vorausgegangener Abmahnung gegenüber einem Organ der öffentlichen Aufsicht, während dieses seine gesetzlichen Aufgaben wahrgenommen habe, aggressiv verhalten habe, indem er lautstark mit den Polizisten geschrien und mit seinen Armen wild gestikuliert habe, wobei er dem Gesicht der Polizisten immer wieder auf ca. 5 cm nahegekommen sei. In Bezug auf den zweiten Vorwurf nahm die Behörde an, dass der Beschwerdeführer am genannten Tatort und zur genannten Tatzeit durch das Grölen und Schreien unverständlicher Wörter in einer Lautstärke, die selbst bei dieser Uhrzeit weit über das normale ortsübliche Maß hinausgegangen sei und tatsächlich störend gewirkt habe, ungebührlicher Weise störenden Lärm erregt habe. Hinsichtlich des dritten Vorwurfes ging die Behörde davon aus, dass der Beschwerdeführer am genannten Tatort und zur genannten Tatzeit durch das Beschimpfen der Polizei als Institution vor mehreren Passanten mit den Worten „Polizisten sind Oaschlöcha!“ den öffentlichen Anstand verletzt habe.

Im Hinblick auf diese Übertretungen verhängte die Landespolizeidirektion Wien über den Beschwerdeführer mit dem genannten Straferkenntnis für den ersten Vorwurf gemäß § 82 Abs. 1 SPG eine Geldstrafe iHv EUR 400,– (Ersatzfreiheitsstrafe von sieben Tagen), für den zweiten Vorwurf gemäß § 1 Abs. 1 WLSG eine Geldstrafe iHv EUR 300,– (Ersatzfreiheitsstrafe von sechs Tagen) und für den dritten Vorwurf gemäß § 1 Abs. 1 WLSG eine Geldstrafe iHv EUR 400,– (Ersatzfreiheitsstrafe von sieben Tagen). Außerdem verpflichtete die Behörde den Beschwerdeführer gemäß § 64 VStG zur Zahlung eines Beitrages zu den Verfahrenskosten iHv EUR 110,–. Begründend verwies die Landespolizeidirektion Wien in diesem Straferkenntnis auf die Wahrnehmungen des Meldungslegers, die durchgeführten Erhebungen und den sonstigen Akteninhalt. Im Rahmen der Strafbemessung berücksichtigte die Landespolizeidirektion Wien einschlägige Vormerkungen des Beschwerdeführers zu allen drei Vorwürfen als Erschwerungsgrund, erkannte keine Milderungsgründe und verwies darauf, dass sich die Strafen im Hinblick auf das Verschulden und die Einkommens-, Vermögens- und Familienverhältnisse des Beschwerdeführers als angemessen erwiesen.

2. Gegen dieses Straferkenntnis brachte die Erwachsenenvertreterin des Beschwerdeführers mit E-Mail vom 29. Jänner 2020, am selben Tag bei der Landespolizeidirektion Wien eingelangt, eine Beschwerde ein. In dieser Beschwerde bringt die Erwachsenenvertreterin vor, dass der Beschwerdeführer unter einer außergewöhnlich schweren Alkohol- und Tranquilizerabhängigkeit leide, zu der eine kombinierte Persönlichkeitsstörung (…) hinzutrete. Die Stimmung des Beschwerdeführers sei schnell schwankend zwischen mild-euphorisch und weinerlich-depressiv; er sei nicht imstande, seine Gedanken zu strukturieren, seine Kritikfähigkeit sei erheblich eingeschränkt. Im Hinblick auf ein Gutachten vom 12. März 2018, in welchem der Sachverständige zum Schluss gekommen sei, es sei dem Beschwerdeführer im Jahr 2018 aufgrund einer Bewusstseinsstörung mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht möglich gewesen, das Unerlaubte seiner Tat einzusehen und dieser Einsicht gemäß zu handeln, müsse davon ausgegangen werden, dass dem Beschwerdeführer auch hinsichtlich der gegenständlich angelasteten Tat die Diskretions- und Dispositionsfähigkeit gefehlt habe – womit der Beschwerdeführer nicht schuldfähig gewesen sei. Seit dem Jahr 2018 habe sich der Gesundheitszustand des Beschwerdeführers eher verschlechtert als verbessert. Abschließend wurde in dieser Beschwerde auch bekannt gegeben, dass der Beschwerdeführer derzeit ca. EUR 924,60 an Rehageld beziehe, über keinerlei Vermögen verfüge und für eine Tochter im Ausmaß von EUR 70,– unterhaltspflichtig sei.

3. Die belangte Behörde traf keine Beschwerdevorentscheidung und legte dem Verwaltungsgericht Wien die Beschwerde sowie den Akt des Verwaltungsverfahrens vor, wobei sie auf die Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung und für den Fall einer Durchführung auf eine Teilnahme daran verzichtete. Die Beschwerde und der Verwaltungsakt langten am 20. Februar 2020 beim Verwaltungsgericht Wien ein.

4. Mit Schriftsätzen vom 25. Februar 2020 forderte das Verwaltungsgericht Wien die Landespolizeidirektion Wien und die einschreitende Erwachsenenvertreterin auf, binnen einer Woche (soweit vorhanden) die Zustellnachweise des Straferkenntnisses vom 1. Jänner 2020 (insbesondere an die Erwachsenenvertreterin) vorzulegen.

5. Mit Schriftsatz vom 5. März 2020 und E-Mail vom 10. März 2020 gab die Erwachsenenvertreterin des Beschwerdeführers bekannt, dass das gegenständliche Straferkenntnis nicht ihr selbst, sondern dem Beschwerdeführer zugestellt worden sei, und der zuständige Sozialarbeiter das Straferkenntnis eingescannt mittels E-Mail an die Erwachsenenvertreterin weitergeleitet habe. Im Anschluss an die E-Mail der Erwachsenenvertreterin vom 10. März 2020 findet sich die erwähnte E-Mail des Sozialarbeiters in der Obdachlosenunterkunft F.-gasse vom 8. Jänner 2020.

6. Mit Schriftsatz vom 9. März 2020 gab die Landespolizeidirektion Wien bekannt, dass das gegenständlich bekämpfte Straferkenntnis nicht an die Erwachsenenvertreterin des Beschwerdeführers zugestellt worden sei, weil die belangte Behörde keine Kenntnis vom Vertretungsverhältnis gehabt habe.

II. Sachverhalt

Für das Verwaltungsgericht Wien steht folgender entscheidungswesentlicher Sachverhalt als erwiesen fest:

1. Für den Beschwerdeführer wurde mit Beschluss des Bezirksgerichtes D. vom 14. Juli 2011, …, die im vorliegenden Fall einschreitende Rechtsanwältin gemäß § 273 ABGB zur Sachwalterin bestellt. Als Wirkungskreis der Sachwalterin sind in diesem Beschluss folgende Angelegenheiten genannt: 1. Vertretung vor Ämtern, Behörden, Gerichten und Sozialversicherungsträgern sowie gegenüber privaten Vertragspartnern, 2. finanzielle und wirtschaftliche Angelegenheiten. Der Beschwerdeführer ist diesem Beschluss zufolge in der Lage, ein privates Testament zu errichten.

2. Das im vorliegenden Fall in Beschwerde gezogene Straferkenntnis der Landespolizeidirektion Wien vom 1. Jänner 2020, Zl. …, wurde an den Beschwerdeführer selbst zugestellt und am 8. Jänner 2020 von einem Sozialarbeiter eingescannt mittels E-Mail an die Erwachsenenvertreterin weitergeleitet. Eine Zustellung des Originals des Straferkenntnisses an die Erwachsenenvertreterin fand nicht statt; ebenso wenig ist ihr das Original des Straferkenntnisses physisch zugekommen. Das Straferkenntnis weist den Beschwerdeführer auch als formellen Empfänger aus.

III. Beweiswürdigung

Das Verwaltungsgericht Wien hat Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den Verwaltungs- und Gerichtsakt und Würdigung des Beschwerdevorbringens sowie der im verwaltungsgerichtlichen Verfahren erstatteten Stellungnahmen.

1. Die Feststellungen zur Bestellung der einschreitenden Rechtsanwältin als Sachwalterin (Erwachsenenvertreterin) des Beschwerdeführerin und zur Abgrenzung ihres Wirkungsbereiches ergeben sich aus dem im Akt einliegenden Beschluss des Bezirksgerichtes D. vom 14. Juli 2011, ….

2. Die Feststellungen zur Zustellung des Straferkenntnisses vom 1. Jänner 2020 ergeben sich aus dem Verwaltungs- und Gerichtsakt, insbesondere aus den – nach Aufforderung durch das Verwaltungsgericht Wien – erstatteten Schriftsätzen der Erwachsenenvertreterin vom 5. März 2020 sowie 10. März 2020 und der Landespolizeidirektion Wien vom 9. März 2020.

IV. Rechtliche Beurteilung

1. Gemäß § 271 ABGB ist einer volljährigen Person vom Gericht auf ihren Antrag oder von Amts wegen insoweit ein gerichtlicher Erwachsenenvertreter zu bestellen, als 1. sie bestimmte Angelegenheiten aufgrund einer psychischen Krankheit oder einer vergleichbaren Beeinträchtigung ihrer Entscheidungsfähigkeit nicht ohne Gefahr eines Nachteils für sich selbst besorgen kann, 2. sie dafür keinen Vertreter hat, 3. sie einen solchen nicht wählen kann oder will und 4. eine gesetzliche Erwachsenenvertretung nicht in Betracht kommt.

Gemäß § 9 AVG ist die persönliche Rechts- und Handlungsfähigkeit von der Behörde, wenn in den Verwaltungsvorschriften nicht anderes bestimmt ist, nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechts zu beurteilen. Nach ständiger Judikatur des Obersten Gerichtshofs führt die Rechtskraft des Beschlusses über die Sachwalter- bzw. nunmehr Erwachsenenvertreterbestellung innerhalb des Wirkungskreises des Sachwalters bzw. Erwachsenenvertreters konstitutiv zur Beschränkung der Geschäftsfähigkeit der betroffenen Person und auch zum Verlust der Prozess- bzw. Verhandlungsfähigkeit. Für die Zeit bis zur Rechtskraft des Bestellungsbeschlusses hat das Prozess- bzw. Verfahrensgericht selbständig zu prüfen, ob die betroffene Person prozess- bzw. verfahrensfähig war (vgl. nur etwa OGH 21.2.2018, 3 Ob 166/17h; VwGH 21.5.2019, Ra 2019/03/0037).

2. Insofern sind ab der Bestellung des Erwachsenenvertreters, dessen Wirkungsbereich auch die Vertretung vor Behörden und Gerichten erfasst, Zustellungen an den Vertretenen selbst unwirksam (vgl. zur Sachwalterbestellung VwGH 11.12.2013, 2012/08/0221; vgl. auch VwGH 13.2.2018, Ra 2017/02/0168). In diesem Fall ist als Empfänger eines dem Vertretenen zuzustellenden Schriftstückes vielmehr sein Erwachsenenvertreter zu bezeichnen (VwGH 29.10.2008, 2008/08/0097); eine Adressierung an die Partei zu Handen des Erwachsenenvertreters reicht dafür nicht aus (VwGH 20.2.2008, 2005/15/0159). Wird der Bescheid dementgegen bloß an den Vertretenen zugestellt, ist dieser nicht erlassen worden und kann daher auch keinerlei Rechtswirkungen entfalten (VwGH 18.3.2013, 2011/05/0084; Hengstschläger/Leeb, AVG [2014] § 9, Rz 5).

Im Fall einer Erwachsenenvertreterbestellung könnte es allerdings gemäß § 9 Abs. 3 ZustG zu einer Heilung der Zustellung kommen, wenn die dem Vertretenen persönlich zugestellten Originaldokumente in der Folge dem Erwachsenenvertreter tatsächlich (körperlich) zukommen (VwGH 18.3.2013, 2011/05/0084; 11.12.2013, 2012/08/0221; 16.7.2014, 2013/01/0173). Ob dies der Fall ist, hat die Behörde von Amts wegen zu prüfen (VwGH 26.6.1998, 95/19/0428).

Die Bestimmung des § 9 Abs. 3 ZustG stellt in diesem Zusammenhang eine lex specialis gegenüber § 7 ZustG dar, zumal § 9 Abs. 3 ZustG eine Heilung auch bei unrichtiger Empfängerbezeichnung zulässt (Bumberger/Schmid, ZustG [2018] § 9, K 24). Für eine allfällige Heilung des Zustellmangels reicht es dabei allerdings noch nicht hin, dass dem Erwachsenenvertreter eine privat angefertigte (Tele- oder Foto-)Kopie des Schriftstückes zur Kenntnis übermittelt wurde (VwGH 3.10.2002, 2002/08/0031; 18.3.2013, 2011/05/0084; 11.12.2013, 2012/08/0221; 16.7.2014, 2013/01/0173; Bumberger/Schmid, ZustG [2018] § 9, E 82 ff.). Die Sanierung setzt jeweils voraus, dass entweder die Urschrift oder eine Ausfertigung bzw. eine amtlich hergestellte Fotokopie der behördlichen Erledigung dem Erwachsenenvertreter „tatsächlich“ – körperlich – zugekommen ist (VwGH 3.10.2002, 2002/08/0031).

3. Im Hinblick auf den festgestellten Sachverhalt geht das Verwaltungsgericht Wien davon aus, dass das in Beschwerde gezogene und an den Beschwerdeführer adressierte Straferkenntnis der Landespolizeidirektion Wien vom 1. Jänner 2020 nur an den – seit 2011 im Verfahren vor Behörden und Gerichten von einem Erwachsenenvertreter repräsentierten – Beschwerdeführer selbst zugestellt wurde, woraufhin ein Sozialarbeiter das Straferkenntnis eingescannt mittels E-Mail am 8. Jänner 2020 an die Erwachsenenvertreterin weitergeleitet hat. Dem Erwachsenenvertreter wurde das Original des Straferkenntnisses nicht zugestellt oder physisch übergeben.

Unter Berücksichtigung dieser Erwägungen entfaltete die Zustellung des Straferkenntnisses an den Beschwerdeführer keine Rechtswirkungen und konnte auch keine Heilung des durch die Zustellung an den Beschwerdeführer bewirkten Zustellmangels eingetreten. Da es somit aber insgesamt zu keinem rechtswirksamen Zustellvorgang gekommen ist, war die Beschwerde mangels eines tauglichen Anfechtungsgegenstandes als unzulässig zurückzuweisen (vgl. ua. VwGH 27.4.2011, 2008/23/1027; 18.3.2013, 2011/05/0084).

4. Da die Beschwerde zurückzuweisen war, konnte gemäß § 44 Abs. 2 VwGVG von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung abgesehen werden.

5. Die ordentliche Revision ist unzulässig, da keine Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG zu beurteilen war, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die vorliegende Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes oder ist diese als uneinheitlich anzusehen. Es liegen auch keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Schlagworte

Prozessfähigkeit; Rechts- und Handlungsfähigkeit; gerichtlicher Erwachsenenvertreter Zustellung; Mangel; Heilung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:LVWGWI:2020:VGW.031.055.2358.2020

Zuletzt aktualisiert am

07.09.2020
Quelle: Landesverwaltungsgericht Wien LVwg Wien, http://www.verwaltungsgericht.wien.gv.at
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