TE Vwgh Erkenntnis 2002/10/3 2002/08/0031

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Veröffentlicht am 03.10.2002
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

ZustG §9 Abs1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bernard und die Hofräte Dr. Sulyok und Dr. Moritz als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Müller, über die Beschwerde des Mag. J in K, vertreten durch Dr. Elisabeth Nowak, Rechtsanwalt in 1190 Wien, Gymnasiumstraße 68/6, gegen den auf Grund eines Beschlusses des Ausschusses für Leistungsangelegenheiten ausgefertigten Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Niederösterreich vom 26. Jänner 2001, Zl. LGS NÖ/JUR/12181/2001, betreffend Widerruf und Rückzahlung von Arbeitslosengeld, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit der belangten Behörde aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit) hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von 1.089,68 Euro binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Am 6. Mai 1998 stellte der Beschwerdeführer bei der regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice einen Antrag auf Zuerkennung von Arbeitslosengeld. Er gab u.a. an, keine Beschäftigung zu haben, nicht selbstständig erwerbstätig zu sein und kein eigenes Einkommen zu beziehen.

Mit Schreiben vom 19. Dezember 2000 machte die regionale Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice den Beschwerdeführer darauf aufmerksam, dass derzeit noch eine offene Forderung in Höhe von S 44.485,-- aushafte. Der Beschwerdeführer wurde ersucht, diesen Betrag mittels Erlagscheines innerhalb von 14 Tagen einzuzahlen.

Mit Schreiben der Rechtsvertreterin des Beschwerdeführers vom 21. Dezember 2000 ersuchte diese namens des Beschwerdeführers um Bekanntgabe, auf welchen Rechtsgrund sich die Forderung in Höhe von S 44.485,-- stütze, und um Zustellung einer Bescheidausfertigung.

Mit Bescheid der regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice vom 19. Dezember 2000 wurde der Bezug des Arbeitslosengeldes für den Zeitraum vom 11. Juni 1998 bis 3. Jänner 1999 gemäß § 24 Abs. 2 AlVG widerrufen bzw. die Bemessung rückwirkend berichtigt; gemäß § 25 Abs. 1 AlVG wurde der Beschwerdeführer zur Rückzahlung des unberechtigt empfangenen Arbeitslosengeldes in dem genannten Gesamtbetrag verpflichtet. Begründend wurde ausgeführt, dass der Beschwerdeführer das Arbeitslosengeld für den Zeitraum vom 11. Juni 1998 bis 3. Jänner 1999 zu Unrecht bezogen habe, weil er als Landesvorstandsmitglied einer politischen Partei Funktionsgebühren erhalten habe, welche höher als die Geringfügigkeitsgrenze von monatlich S 3.830,-- gewesen seien.

Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer Berufung.

Mit dem in Beschwerde gezogenen Bescheid wurde der Berufung des Beschwerdeführers keine Folge gegeben.

Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, welcher deren Behandlung mit Beschluss vom 25. September 2001, B 368/01, abgelehnte und sie dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat.

Der Beschwerdeführer hat auftragsgemäß im Rahmen der Mängelbehebung die Verwaltungsgerichtshofbeschwerde näher ausgeführt. Er begehrt, den angefochtenen Bescheid wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit der belangten Behörde, Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften kostenpflichtig aufzuheben.

Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Die Unzuständigkeit der belangten Behörde wird in der Beschwerde damit begründet, dass die Rechtsvertreterin des Beschwerdeführers ihre Bevollmächtigung gegenüber der Behörde erster Instanz mit Schreiben vom 21. Dezember 2000, welches am selben Tag per Telefax übermittelt worden sei, angezeigt habe. Der Bescheid der Behörde erster Instanz vom 19. Dezember 2000 sei trotz der ausgewiesenen Bevollmächtigung seiner Rechtsvertreterin dem Beschwerdeführer persönlich am 22. Dezember 2000 zugestellt worden. Diese Zustellung sei unwirksam gewesen. Es gebe damit keinen Bescheid erster Instanz, der einer Berufung zugänglich gewesen wäre. Da die belangte Behörde mit der abweisenden Berufungsentscheidung eine meritorische Erledigung vorgenommen habe, habe sie eine Zuständigkeit wahrgenommen, die nicht vorgelegen sei. Der Bescheid der Behörde erster Instanz sei der Rechtsvertreterin des Beschwerdeführers bis zum heutigen Tag nicht zugestellt worden.

Diesem Vorbringen hält die belangte Behörde in ihrer Gegenschrift entgegen, dass zum Zeitpunkt der Erstellung des Bescheides erster Instanz am 19. Dezember 2000 noch keine rechtsfreundliche Vertretung des Beschwerdeführers vorgelegen sei. Auf Grund der EDV-mäßigen Abwicklung der Bescheiderstellung durch das Bundesrechenzentrum sei der Bescheidtext am 19. Dezember 2000 bereits auf dem Postweg gewesen, vergleichbar mit einem aufgegebenen Brief. Die regionale Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice sei erst mit Fax vom 21. Dezember 2000 über die rechtsfreundliche Vertretung des Beschwerdeführers informiert worden. Es gehe daher bestenfalls um einen Zustellmangel, nicht aber um die Unzuständigkeit der belangten Behörde. Der Beschwerdeführer habe durch seine Vertreterin rechtzeitig eine Berufung gegen den erstinstanzlichen Bescheid eingebracht. Die belangte Behörde sei daher im Sinne des § 9 Abs. 1 ZustellG berechtigterweise davon ausgegangen, dass der erstinstanzliche Bescheid der zustellungsbevollmächtigten Vertreterin des Beschwerdeführers tatsächlich zugekommen sei. Außerdem sei der gegenständliche Einwand im Verwaltungsverfahren nicht vorgebracht worden, weshalb er dem Neuerungsverbot unterliege.

Die Rechtsvertreterin des Beschwerdeführers gab mit Schreiben vom 19. August 2002 dem Verwaltungsgerichtshof bekannt, dass sie die Berufung gegen den erstinstanzlichen Bescheid auf der Grundlage eines (der Bekanntgabe in Ablichtung beigeschlossenen) E-Mails des Beschwerdeführers vom 22. Dezember 2000 samt anbei als Attachement übermittelter Bescheidkopie verfasst habe.

Ist eine im Inland wohnende Person gegenüber der Behörde zum Empfang von Schriftstücken bevollmächtigt, so hat die Behörde, sofern gesetzlich nicht ausdrücklich anderes bestimmt ist, gemäß § 9 Abs. 1 ZustellG diese Person als Empfänger zu bezeichnen; geschieht dies nicht, gilt die Zustellung in dem Zeitpunkt als vollzogen, in dem das Schriftstück dem Zustellungsbevollmächtigten tatsächlich zugekommen ist.

Ab dem Vorliegen einer Zustellungsbevollmächtigung hat die Behörde somit nur mehr an den Zustellungsbevollmächtigten und nicht mehr an den Vertretenen zuzustellen; wird dennoch an den Vertretenen selbst zugestellt, ist diese Zustellung unwirksam (vgl. die bei Walter/Thienel, Verwaltungsverfahrensgesetze I, 2. Auflage, S. 1925 unter E 50 zitierte hg. Rechtsprechung). Eine Sanierung kann nur erfolgen, wenn das Schriftstück dem Zustellungsbevollmächtigten tatsächlich zukommt, wobei es sich dabei um die Urschrift, eine Ausfertigung oder eine amtlich hergestellte Photokopie der behördlichen Erledigung handeln muss. Weder die bloße Kenntnisnahme eines Schriftstückes noch eine privat erfolgte Herstellung oder Ablichtung desselben kann bewirken, dass das Schriftstück als dem Zustellungsbevollmächtigten tatsächlich zugekommen gilt (vgl. die bei Walter/Thienel, a.a.O., S. 1928 unter E 62ff. zitierte hg. Rechtsprechung).

Im vorliegenden Fall, in dem die Zustellung des Originalbescheides im Sinne der erwähnten hg. Rechtsprechung unbestritten nicht an die im Zustellzeitpunkt bereits gegenüber der Behörde ausgewiesene Rechtsvertreterin des Beschwerdeführers erfolgte, hat daher keine rechtswirksame Zustellung des erstinstanzlichen Bescheides stattgefunden. Indem die belangte Behörde dennoch auf Grund der "Berufung gegen diesen Bescheid" in der Sache entschieden hat, hat sie eine ihr nicht zukommende Zuständigkeit ausgeübt. Diese Unzuständigkeit der belangten Behörde ist vom Verwaltungsgerichtshof auch ohne ein entsprechendes Parteivorbringen von Amts wegen wahrzunehmen (vgl. z.B. das hg. Erkenntnis vom 23. Februar 1996, Zl. 93/17/0200). Entgegen der Ansicht der belangten Behörde kann daher auch nicht das Neuerungsverbot zum Tragen kommen.

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 2 VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit der belangten Behörde aufzuheben, wobei es sich erübrigte, auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen.

Von der Durchführung einer Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 2 VwGG abgesehen werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 501/2001. Die Umrechnung der entrichteten Stempelgebühren gründet sich auf § 3 Abs. 2 Z. 2 Eurogesetz, BGBl. I Nr. 72/2000.

Wien, am 3. Oktober 2002

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2002:2002080031.X00

Im RIS seit

04.02.2003
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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