TE Bvwg Erkenntnis 2020/5/6 W141 2224616-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 06.05.2020
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Entscheidungsdatum

06.05.2020

Norm

AlVG §24
AlVG §25
AVG §69 Abs2
B-VG Art133 Abs4

Spruch

W141 2224616-1/5E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Gerhard HÖLLERER als Vorsitzenden und die fachkundigen Laienrichter Rebecca FIGL-GATTINGER und

Josef HERMANN, als Beisitzer über die Beschwerde des XXXX ,

geboren am XXXX , VN XXXX , bevollmächtigt vertreten durch RA Dr. Thomas MAJOROS, gegen den Bescheid des Arbeitsmarktservice (AMS) Wien Dresdner Straße vom 07.02.2019, betreffend die Zurückweisung des Antrags auf Wiederaufnahme des mit den Bescheiden vom 26.08.2015 beendeten Verfahrens wegen Verspätung gemäß § 69 AVG, zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Artikel 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Mit Bescheid des Arbeitsmarktservice (AMS) Wien Dresdner Straße (in der folge belangte Behörde genannt) vom 26.08.2015 wurde gemäß 24 Abs. 2 Arbeitslosenversicherungsgesetz 1977 (AlVG), BGBl. Nr. 609/1977 in der geltenden Fassung ausgesprochen, dass der Bezug des Arbeitslosengeldes für den Zeitraum 12.04.2013 bis 29.08.2013 widerrufen bzw. die Bemessung rückwirkend berichtigt und gemäß § 25 Abs. 1 AlVG der Beschwerdeführer zur Rückzahlung des unberechtigt empfangenen Arbeitslosengeldes in Höhe von ? 3.908,80 verpflichtet werde.

Mit Bescheid vom 26.08.2015 wurde gemäß § 38 iVm § 24 Abs. 2 Arbeitslosenversicherungsgesetz 1977 (AlVG), BGBl. Nr. 609/1977 in der geltenden Fassung ausgesprochen, dass der Bezug der Notstandshilfe für den Zeitraum 30.08.2013 bis 29.09.2013 widerrufen bzw. die Bemessung rückwirkend berichtigt und gemäß § 25 Abs. 1 AlVG der Beschwerdeführer zur Rückzahlung der unberechtigt empfangenen Notstandshilfe in Höhe von ? 822,12 verpflichtet werde.

Begründend wurde jeweils ausgeführt, dass der Beschwerdeführer aufgrund seiner selbstständigen Tätigkeit und dem Einkommen laut Einkommenssteuerbescheid aus dem Jahr 2013 von der Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft als Selbstständiger versichert worden wäre. Dies habe er der belangten Behörde nicht bekannt gegeben. Damit sei ein Bezug von Arbeitslosengeld ausgeschlossen.

Der Beschwerdeführer brachte gegen die Bescheide kein Rechtsmittel ein und sind diese somit in Rechtskraft erwachsen.

2. In der niederschriftlichen Einvernahme vor der belangten Behörde am 22.08.2018 betreffend die Rückforderungsbescheide, hat der Beschwerdeführer den Erhalt der Bescheide vom 26.08.2015 mit Ende August 2015 bestätigt.

3. Mit Schreiben vom 23.08.2018 stellte der Beschwerdeführer einen Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens und brachte zusammengefasst vor, er hätte in den Jahren 2011 bis 2016 keine Firma gehabt und sei nicht selbstständig erwerbstätig gewesen. Es wäre ihm erst im Jahr 2017 aufgefallen, dass ein Fehler passiert sei und ihm in den Jahren 2011 bis 2016 umsonst Geld abgezogen worden wäre. Er habe auf die Briefe des AMS im Jahr 2014 nicht reagiert, da er davon ausgegangen wäre, es handle sich um Vermittlungsvorschläge oder Reklame. Da er Mietrückstände habe, würde er das irrtümlich einbehaltene Geld dringend benötigen.

4. In der niederschriftlichen Einvernahme am 11.10.2018 betreffend den Antrag auf Wiederaufnahme gab der Beschwerdeführer im Wesentlichen zu Protokoll, bereits am 27.03.2018 vom Wiederaufnahmegrund (Stornierung der GSVG-Pflichtversicherung) Kenntnis erlangt zu haben.

5. Mit dem verfahrensgegenständlichen Bescheid vom 07.02.2019 wurde der Antrag auf Wiederaufnahme, der mit den Bescheiden des Arbeitsmarktservice Wien Dresdner Straße vom 26.08.2015 beendeten Verfahren betreffend Widerruf der Zuerkennung des Arbeitslosengeldes für den Zeitraum 12.04.2013 bis 29.08.2013 gemäß § 24 Abs. 2 und Rückforderung des zu Unrecht bezogenen Betrages von ? 3.908,80 gemäß § 25 Abs. 1 Arbeitslosenversicherungsgesetz 1977 (BGBl. Nr. 609/1977 - AlVG) und Widerruf der Zuerkennung der Notstandshilfe für den Zeitraum 30.08.2013 bis 29.09.2013 gemäß § 38 iVm § 24 Abs. 2 und Rückforderung des zu Unrecht bezogenen Betrages von ? 822,12 gemäß § 38 iVm § 25 Abs. 1 Arbeitslosenversicherungsgesetz 1977 (BGBl. Nr. 609/1977 - AlVG) in geltender Fassung, gemäß § 69 des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 (BGBl. Nr. 51/1991 - AVG 1991) als verspätet zurückgewiesen.

Beweiswürdigend wurde der erhobene verfahrensrelevante Sachverhalt wiedergegeben. In der rechtlichen Beurteilung zitierte die belangte Behörde die maßgeblichen Bestimmungen des AVG und AlVG.

4. Gegen diesen Bescheid richtete sich die fristgerecht bei der belangten Behörde eingelangte Beschwerde des Beschwerdeführers. Der Beschwerdeführer führte begründend an, er habe die Rückforderungsbescheide aus dem Jahr 2015 nie erhalten, daher wären diese nicht zugestellt worden und würden nicht dem Rechtsbestand angehören. Er habe nur aus dem Grund einen Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens gestellt, da seine Beraterin ihn dahingehend angeleitet hätte.

5. Am 26.03.2019 langte die Vollmachtsbekanntgabe des RA Dr. Thomas MAJOROS bei der belangten Behörde ein.

6. Am 22.10.2019 langte der Verwaltungsakt beim Bundesverwaltungsgericht ein, wo die gegenständliche Rechtssache aufgrund einer Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses vom 16.04.2020 der bisherigen Gerichtsabteilung abgenommen und in weiterer Folge am 20.04.2020 der Gerichtsabteilung W141 neu zugewiesen wurde.

7. Mit Schreiben vom 04.03.2020 beantragte der bevollmächtigte Vertreter des Beschwerdeführers die ehestmögliche Anberaumung einer mündlichen Verhandlung bzw. um Erledigung der gegenständlichen Beschwerdesache, da die belangte Behörde die zurückgeforderte Leistung außergerichtlich beim Beschwerdeführer einmahne.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen (entscheidungswesentlicher Sachverhalt):

Die belangte Behörde und das BVwG haben die notwendigen Ermittlungen des maßgeblichen Sachverhaltes ausreichend durchgeführt. Auf dieser Grundlage werden folgende Feststellungen getroffen und der gegenständlichen Entscheidung zu Grunde gelegt:

Mit Bescheiden der belangten Behörde Geschäftsstelle Dresdner Straße, jeweils vom 26.08.2015 wurde das Arbeitslosengeld für den Zeitraum 12.04.2013 bis 29.08.2013 widerrufen und der Beschwerdeführer zur Rückzahlung der unberechtigt empfangenen Leistung in Höhe von ? 3.908,80 verpflichtet sowie die Notstandshilfe für den Zeitraum 30.08.2013 bis 29.09.2013 widerrufen und der Beschwerdeführer zur Rückzahlung der unberechtigt empfangenen Leistung in Höhe von ? 822,12 verpflichtet.

Diese Bescheide wurden dem Beschwerdeführer Ende August 2015 zugestellt und wurden diese mangels Einbringung einer Beschwerde rechtskräftig.

Der Beschwerdeführer stellte am 25.01.2018 einen Antrag auf Zahlungserleichterung für den noch aushaftenden Rückforderungsbetrag und wurde ihm eine Ratenzahlung in 17 Monatsraten zu je ? 360,00 gewährt.

Dem Beschwerdeführer wurde am 27.03.2018 von der Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft eine Unbedenklichkeitsbescheinigung ausgefolgt und das entstandene Guthaben in Höhe von ? 9.200,00 ausgefolgt. Der Beschwerdeführer hat am 27.03.2018 Kenntnis der Stornierung der Pflichtversicherung für die Jahre 2011 bis 2016, sohin auch für das Jahr 2013, erlangt.

Der Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens langte am 23.08.2018 bei der belangten Behörde ein. Die Stornierung der Pflichtversicherung qualifiziert der Beschwerdeführer als Wiederaufnahmegrund.

Die zweiwöchige Frist zur Einbringung eines Wiederaufnahmeantrages endete am 10.04.2018 und war daher zum Zeitpunkt der Einbringung des Wiederaufnahmeantrages bereits verstrichen.

2. Beweiswürdigung:

Der unter I. angeführte Verfahrensgang und der entscheidungswesentliche Sachverhalt ergeben sich aus dem diesbezüglich unbedenklichen und unzweifelhaften Akteninhalt und dem vorgelegten Verfahrensakt der belangten Behörde.

Der Inhalt der Bescheide vom 26.08.2015 ergibt sich aus dem von der belangten Behörde vorgelegten Verwaltungsakten.

Dass diese Bescheide dem Beschwerdeführer Ende August 2015 zugestellt wurden, ergibt sich aus folgendem Sachverhalt:

Im Verwaltungsakt der belangten Behörde befindet sich eine Gesprächsnotiz vom 18.12.2015, aus der hervorgeht, dass der Beschwerdeführer in der Serviceline über einen Bescheid informiert wurde. Aus einer Gesprächsnotiz vom 12.01.2018 geht hervor, dass der Beschwerdeführer telefonisch von der belangten Behörde über die bestehende Anzeigepflicht aufgrund der Höhe der Rückforderung informiert wurde. Der Beschwerdeführer stellte zudem am 25.01.2018 einen Antrag auf Ratenzahlung für die Rückforderungssumme und wurde ihm diese mit Schreiben vom 25.01.2018 gewährt. Es ist daher jedenfalls davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer ausreichend Kenntnis über die Bescheide betreffend Rückforderung der ausbezahlten Leistungen hatte, zumal er andernfalls im Laufe des Verfahrens die Bescheide jedenfalls urgiert hätte.

Im Zuge einer niederschriftlichen Einvernahme am 06.08.2018 ersuchte der Beschwerdeführer zudem um Übermittlung einer Kopie der Bescheide vom 26.08.2015. Hätte der Beschwerdeführer diese Bescheide niemals zugestellt bekommen, hätte er spätestens zu diesem Zeitpunkt die Zustellung der Bescheide bei der belangten Behörde urgiert. Darüber hinaus gab der Beschwerdeführer im Zuge der niederschriftlichen Einvernahme am 22.08.2018 ausdrücklich an, dass er Ende August 2015 zwei Bescheide erhalten hat, die jeweiligen Kuverts aber nicht geöffnet hat. Dass der Beschwerdeführer die Post der belangten Behörde nicht geöffnet hat und die Bescheide somit nicht anfechten konnte, liegt alleine in der Sphäre des Beschwerdeführers. Wenn der Beschwerdeführer im Antrag auf Wiederaufnahme nur angibt, er sei davon ausgegangen, es handle sich dabei um Reklame und Vermittlungsvorschläge der belangten Behörde und würde er diese nicht öffnen müssen, so stellt dies jedenfalls keinen Rechtfertigungsgrund dar.

Der Beschwerdeführer brachte erstmalig im Zuge der Beschwerde vor, die betreffenden Bescheide, jeweils vom 26.08.2015, nicht erhalten zu habe. Da er, wie oben bereits ausgeführt, sowohl in Kenntnis der Rückforderung der Leistung war und zudem selber am 22.08.2018 angegeben hat, die Bescheide Ende August 2015 erhalten zu haben, kann diesem Vorbringen nicht gefolgt werden. Der erkennende Senat geht daher davon aus, dass der Beschwerdeführer die Bescheide vom 26.08.2015 Ende August zugestellt erhalten hat.

Die Ausführungen in der Beschwerde, der Beschwerdeführer hatte im Jahr 2015 verschiedene Wohnsitze, ändert nichts an der rechtmäßigen Zustellung, da der Beschwerdeführer nach eigenen Angaben jedenfalls den Bescheid Ende August 2015 erhalten hat.

Dass der Beschwerdeführer bereits am 27.03.2018 Kenntnis vom Wiederaufnahmegrund hatte, ergibt sich aus folgendem Sachverhalt:

Nach telefonischer Auskunft der Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft vom 10.09.2018 gegenüber der belangten Behörde wurde dem Beschwerdeführer die Beitragsrückzahlung von ? 9.200,00 überwiesen. Dies wurde von der Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft mit Schreiben einlangend bei der belangten Behörde am 18.09.2018 bestätigt. Aus dieser Bestätigung geht zudem hervor, dass der Beschwerdeführer bereits am 19.03.2018 und am 20.03.2018 über das entstandene Guthaben informiert wurde. Dem Beschwerdeführer musste durch Erhalt der Zahlung am 27.03.2018 bewusst sein, dass die Pflichtversicherung für die Jahre 2011 bis 2014, sohin auch für das Jahr 2013 storniert wurde, zumal er bei der Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft selbst den Antrag auf Überprüfung der Pflichtversicherung in diesen Jahren am 22.02.2018 gestellt hat.

Der Beschwerdeführer gab zwar am 22.08.2018 gegenüber der belangten Behörde an, er habe vor fünf Tagen, sohin am 17.08.2018, von der Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft erfahren, dass seine Selbstständigkeit in den Jahren 2011 bis 2014 gelöscht worden wäre. Damit ist die Information der Sozialversicherungsanstalt über die Beendigung der Pflichtversicherung vom 30.07.2018 gemeint, die erst Ende Juli abgefertigt wurde. Dies ändert nichts am Umstand, dass der Beschwerdeführer bereits vorher Kenntnis von der Stornierung der Pflichtversicherung erlangt hatte.

Dem Beschwerdeführer wurde in der niederschriftlichen Einvernahme am 11.10.2018 die Angaben der Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft vorgehalten und gab er an, dass er am 27.03.2018 mit Erhalt der Unbedenklichkeitsbescheinigung und Anweisung des Guthabens davon Kenntnis erlangt hat, dass die Pflichtversicherung aufgrund einer Selbstständigkeit für die Jahre 2011 bis 2014 storniert wurde. Daher steht es für den erkennenden Senat fest, dass der Beschwerdeführer am 27.03.2018 Kenntnis vom vorgebrachten Wiederaufnahmegrund hatte.

Der Beschwerdeführer konnte keinen nachvollziehbaren Grund vorbringen, dass er die Stornierung der Pflichtversicherung nicht sofort nach Kenntniserlangung am 27.03.2018 der belangten Behörde gemeldet hat, zumal er wusste, dass dies der Grund für die Rückforderung war.

Der Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens weist als Eingangsdatum den 23.08.2018 auf.

3. Rechtliche Beurteilung:

Gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG erkennen die Verwaltungsgerichte über Beschwerden gegen den Bescheid einer Verwaltungsbehörde wegen Rechtswidrigkeit.

Gemäß § 9 Abs. 2 Z 1 VwGVG ist belangte Behörde in den Fällen des Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG jene Behörde, die den angefochtenen Bescheid erlassen hat - vorliegend sohin das AMS.

§ 56 Abs. 2 AlVG normiert die Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichts zur Entscheidung über Beschwerden gegen Bescheide einer Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice.

Gemäß § 6 Bundesverwaltungsgerichtsgesetz - BVwGG, BGBl. I Nr. 10/2013 in der Fassung BGBl. I Nr. 122/2013, entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Die entsprechende Anordnung einer Senatszuständigkeit enthält § 56 Abs. 2 AlVG, wonach das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegen Bescheide einer Geschäftsstelle durch einen Senat entscheidet, dem zwei fachkundige Laienrichter angehören, je einer aus dem Kreis der Arbeitgeber und aus dem Kreis der Arbeitnehmer.

Gemäß § 7 BVwGG bestehen die Senate aus einem Mitglied als Vorsitzendem und zwei weiteren Mitgliedern als Beisitzern. Ist in Materiengesetzen die Mitwirkung fachkundiger Laienrichter an der Rechtsprechung vorgesehen, sind diese anstelle der Mitglieder nach Maßgabe der Geschäftsverteilung als Beisitzer heranzuziehen.

In der gegenständlichen Rechtssache obliegt somit die Entscheidung dem nach der jeweils geltenden Geschäftsverteilung des Bundesverwaltungsgerichtes zuständigen Senat.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG geregelt (§ 1 leg. cit.).

Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nichts anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem, dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren, angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

§ 27 VwGVG legt den Prüfungsumfang fest und beschränkt diesen insoweit, als das Verwaltungsgericht (bei Bescheidbeschwerden) prinzipiell (Ausnahme: Unzuständigkeit der Behörde) an das Beschwerdevorbringen gebunden ist (vgl. Fister/Fuchs/Sachs, Das neue Verwaltungsgerichtsverfahren [2013], Anm. 1 zu § 27 VwGVG). Konkret normiert die zitierte Bestimmung: "Soweit das Verwaltungsgericht nicht Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der Behörde gegeben findet, hat es den angefochtenen Bescheid, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt und die angefochtene Weisung auf Grund der Beschwerde (§ 9 Abs. 1 Z 3 und 4) oder auf Grund der Erklärung über den Umfang der Anfechtung (§ 9 Abs. 3) zu überprüfen."

Die zentrale Regelung zur Frage der Kognitionsbefugnis der Verwaltungsgerichte bildet § 28 VwGVG. Die vorliegend relevanten Abs. 1 und 2 dieser Bestimmung lauten wie folgt:

"§ 28. (1) Sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.

(2) Über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG hat das Verwaltungsgericht dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn

1. der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder

2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist".

Gegenständlich steht der maßgebliche Sachverhalt im Sinne von § 28 Abs. 2 Z 1 VwGVG fest.

Das Bundesverwaltungsgericht hat folglich in der Sache selbst zu entscheiden.

Zu A):

1. Entscheidung in der Sache:

Gemäß § 69 Abs. 1 AVG ist dem Antrag einer Partei auf Wiederaufnahme eines durch Bescheid abgeschlossenen Verfahrens stattzugeben, wenn ein Rechtsmittel gegen den Bescheid nicht oder nicht mehr zulässig ist und ein Wiederaufnahmegrund nach Z 1 bis 4 vorliegt.

Gemäß § 69 Abs. 2 AVG ist der Antrag auf Wiederaufnahme binnen zwei Wochen bei der Behörde einzubringen, die den Bescheid in erster Instanz erlassen hat. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Antragsteller von dem Wiederaufnahmegrund Kenntnis erlangt hat, wenn dies jedoch nach der Verkündung des mündlichen Bescheides und vor der Zustellung der schriftlichen Ausfertigung geschehen ist, erst mit diesem Zeitpunkt. Nach Ablauf von drei Jahren nach Erlassung des Bescheides kann der Antrag auf Wiederaufnahme nicht mehr gestellt werden. Die Umstände, aus denen sich die Einhaltung der Frist ergibt, sind vom Antragsteller glaubhaft zu machen.

Gemäß § 69 Abs. 3 AVG kann unter den Voraussetzungen des Abs. 1 die Wiederaufnahme des Verfahrens auch von Amts wegen verfügt werden. Nach Ablauf von drei Jahren nach Erlassung des Bescheides kann die Wiederaufnahme auch von Amts wegen nur mehr aus den Gründen des Abs. 1 Z 1 stattfinden.

Gemäß § 69 Abs. 4 AVG steht die Entscheidung über die Wiederaufnahme der Behörde zu, die den Bescheid in letzter Instanz erlassen hat.

Ein nach Ablauf der zweiwöchigen Frist gestellter Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens ist als unzulässig, weil verspätet eingebracht, zurückzuweisen. Ausschlaggebend ist der Zeitpunkt, an dem die Partei Kenntnis genommen hat, dass Umstände vorliegen, die eine Wiederaufnahme gemäß § 69 Abs. 1 AVG zu rechtfertigen vermögen (vgl. Hengstschläger/Leeb, AVG § 69 Rz 59f mit zahlreichen Hinweisen zur Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes).

Das Wiederaufnahmeverfahren hat nicht den Zweck, allfällige Versäumnisse einer Partei in einem Ermittlungsverfahren oder die Unterlassung der Erhebung eines Rechtsmittels im Wege über die Wiederaufnahme eines Verfahrens zu sanieren (VwGH 12.08.2010, 2008/10/0185).

Aus folgenden Gründen ist das Bundesverwaltungsgericht der Ansicht, dass der Wiederaufnahmeantrag verspätet gestellt wurde:

Wie bereits beweiswürdigend ausgeführt, hat das Bundesverwaltungsgericht keine Zweifel an der rechtswirksamen Zustellung der Bescheide vom 26.08.2015, zumal der Beschwerdeführer dies selbst im Rahmen der niederschriftlichen Einvernahme am 22.08.2018 gegenüber der belangten Behörde bestätigt hat. Die Ausführungen des Beschwerdeführers, er hatte im Jahr 2015 verschiedene Meldeadressen gehabt, stehen der Rechtswirksamkeit der Zustellung nicht entgegen, insbesondere, da er im gesamten Verfahren in Kenntnis über die Rückforderung der Leistung war. Es ist nicht davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer trotz der hohen Rückforderungssumme, zwischen 2015 und 2018 die diesbezüglichen Bescheide nicht urgiert hat, wenn er diese niemals erhalten hätte. Es ist auch nicht nachvollziehbar, dass der Beschwerdeführer einen Antrag auf Zahlungserleichterung stellen würde, wenn er die Bescheide über die Rückforderung niemals erhalten hätte.

Wie bereits im Rahmen der Beweiswürdigung ausführlich dargelegt wurde, ist es dem Beschwerdeführer nicht gelungen, die rechtzeitige Einbringung des Wiederaufnahmeantrags glaubhaft zu machen, da er den entscheidungsrelevanten Feststellungen der belangten Behörde (insbesondere über den Zeitpunkt der Kenntniserlangung über die Stornierung der Pflichtversicherung) im Rahmen des Beschwerdeschriftsatzes nicht entgegengetreten ist. Vielmehr bestätigte der Beschwerdeführer die Kenntniserlangung am 27.03.2018 im Zuge der niederschriftlichen Einvernahme am 11.10.2018 gegenüber der belangten Behörde. Ein Vorbringen dahingehend, aus welchen Erwägungen der Beschwerdeführer der Auffassung ist, dass sein Antrag auf Wiederaufnahme der mit Bescheiden jeweils vom 26.08.2015 abgeschlossenen Verfahren entgegen den Ausführungen der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid doch rechtzeitig (binnen der in § 69 Abs. 2 AVG vorgesehenen zweiwöchigen Frist) eingebracht wurde, wurde nicht erstattet.

Das Bundesverwaltungsgericht sah sich somit nicht veranlasst, die Ergebnisse des behördlichen Ermittlungsverfahrens, insbesondere über den Zeitpunkt der Kenntniserlangung über die Stornierung der Pflichtversicherung für das Jahr 2013 und die Einbringung des Wiederaufnahmeantrags, in Zweifel zu ziehen.

Die gemäß § 69 Abs. 2 AVG für die Einbringung eines Antrags auf Wiederaufnahme bei der Behörde vorgesehene zweiwöchige Frist hat mit dem Zeitpunkt begonnen, in dem der Beschwerdeführer Kenntnis von dem aus seiner Sicht bestehenden Wiederaufnahmegrund (in Form der Einstellung eines Verwaltungsstrafverfahrens nach dem ASVG) erlangt hat. Die mit Kenntniserlangung der Stornierung der Pflichtversicherung und Erhalt der Beitragsgutschrift am 27.03.2018 ausgelöste Frist endete somit am 10.04.2018. Zum Zeitpunkt der Einbringung des Wiederaufnahmeantrags am 23.08.2018 war die Frist nach

§ 69 Abs. 2 AVG somit bereits verstrichen.

Damit erweist sich der Wiederaufnahmeantrag jedenfalls als verspätet, sodass auf die Frage, ob die Stornierung der Pflichtversicherung für das Jahr 2013 überhaupt einen Wiederaufnahmetatbestand iSd § 69 Abs. 1 AVG erfüllt, nicht mehr weiter einzugehen war.

Sohin war spruchgemäß zu entscheiden.

2. Zum Entfall einer mündlichen Verhandlung:

Gemäß § 24 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen.

Gemäß § 24 Abs. 2 VwGVG kann die Verhandlung entfallen, wenn

1. der das vorangegangene Verwaltungsverfahren einleitende Antrag der Partei oder die Beschwerde zurückzuweisen ist oder bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt oder die angefochtene Weisung für rechtswidrig zu erklären ist oder

2. die Säumnisbeschwerde zurückzuweisen oder abzuweisen ist.

Gemäß § 24 Abs. 3 VwGVG hat der Beschwerdeführer die Durchführung einer Verhandlung in der Beschwerde oder im Vorlageantrag zu beantragen. Den sonstigen Parteien ist Gelegenheit zu geben, binnen angemessener, zwei Wochen nicht übersteigender Frist einen Antrag auf Durchführung einer Verhandlung zu stellen. Ein Antrag auf Durchführung einer Verhandlung kann nur mit Zustimmung der anderen Parteien zurückgezogen werden.

Gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG kann, soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nichts anderes bestimmt ist, das Verwaltungsgericht ungeachtet eines Parteiantrags von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958, noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. Nr. C 83 vom 30.03.2010 S. 389 entgegenstehen.

Im gegenständlichen Fall wird das Unterlassen einer mündlichen Verhandlung darauf gestützt, dass der Sachverhalt hinreichend geklärt erschien, weil der Sachverhalt durch die belangte Behörde nach einem grundsätzlich ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren festgestellt wurde und den Sachverhaltsfeststellungen, insbesondere jenen im angefochtenen Bescheid, in der Beschwerde nicht substantiiert entgegen getreten wurde. Der Sachverhalt - wie er im Bescheid festgestellt wurde - war weder in wesentlichen Punkten ergänzungsbedürftig noch erschien er in entscheidenden Punkten als nicht richtig. Rechtlich relevante und zulässige Neuerungen wurden in der Beschwerde nicht vorgetragen. Zudem liegt eine Rechtsfrage von keiner besonderen Komplexität vor (vgl. zum Erfordernis einer schlüssigen Beweiswürdigung im erstinstanzlichen Bescheid und zur Verhandlungspflicht bei Neuerungen VwGH 11.11.1998, 98/01/0308, und 21.01.1999, 98/20/0339; zur Bekämpfung der Beweiswürdigung in der Berufung VwGH 25.03.1999, 98/20/0577, und 22.04.1999, 98/20/0389; zum Abgehen von der erstinstanzlichen Beweiswürdigung VwGH 18.02.1999, 98/20/0423; zu Ergänzungen des Ermittlungsverfahrens VwGH 25.03.1999, 98/20/0475; siehe auch VfSlg. 17.597/2005; VfSlg. 17.855/2006; zuletzt etwa VfGH 18.6.2012, B 155/12, wonach eine mündliche Verhandlung unterbleiben kann, wenn der Sachverhalt unbestritten und die Rechtsfrage von keiner besonderen Komplexität ist). Das Bundesverwaltungsgericht hat vorliegend daher ausschließlich über eine Rechtsfrage zu erkennen (vgl. EGMR 20.6.2013, Appl. Nr. 24510/06, Abdulgadirov/AZE, Rz. 34 ff). Dem Entfall der Verhandlung stehen auch weder Art 6. Abs. 1 EMRK noch Art. 47 der Charta der Grundrechte entgegen.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Es ist somit spruchgemäß zu entscheiden.

Schlagworte

Frist Verspätung Wiederaufnahmeantrag Wiederaufnahmegrund Zurückweisung Zustellung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W141.2224616.1.00

Im RIS seit

04.09.2020

Zuletzt aktualisiert am

04.09.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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