TE Bvwg Erkenntnis 2020/6/4 I406 1433186-2

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 04.06.2020
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Entscheidungsdatum

04.06.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §57
BFA-VG §21 Abs7
B-VG Art133 Abs4
FPG §2
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §53
FPG §55 Abs2
FPG §66
FPG §67
StGB §125
StGB §146
StGB §147 Abs1 Z1
VwGVG §24 Abs2
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2
VwGVG §28 Abs5

Spruch

I406 1433186-2/20E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Gerhard KNITEL als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX alias XXXX, geb. XXXX, StA. NIGERIA, vertreten durch: ARGE Rechtsberatung - Diakonie und Volkshilfe, Wattgasse 48/3, 1170 Wien, gegen den Bescheid des BFA, RD Wien (BAW), vom 16.02.2017, Zl. XXXX zu Recht erkannt:

A)

Der Beschwerde wird stattgegeben und der angefochtene Bescheid gemäß § 28 Abs 5 VwGVG behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer stellte nach seiner illegalen Einreise in das österreichische Bundesgebiet erstmals am 27.01.2013 einen Antrag auf internationalen Schutz. Dieser Antrag wurde mit Bescheid des damaligen Bundesasylamtes vom 01.02.2013, Zl. XXXX hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) sowie hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten (Spruchpunkt II.) als unbegründet abgewiesen. Zugleich wurde der Beschwerdeführer aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Nigeria ausgewiesen (Spruchpunkt III.).

2. Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 31.10.2016, Zl. I406 1433186-1/31E, wurde die dagegen erhobene Beschwerde hinsichtlich der Spruchpunkte I. und II. als unbegründet abgewiesen und das Verfahren gemäß § 75 Abs. 20 AsylG 2005 zur Prüfung der Zulässigkeit einer Rückkehrentscheidung an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA; belangte Behörde) zurückverwiesen.

3. Mit Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme vom 29.12.2016, zugestellt durch Hinterlegung am 04.01.2017, wurde dem Beschwerdeführer mitgeteilt, dass beabsichtigt sei, gegen ihn eine Rückkehrentscheidung zu erlassen. Die ihm gewährte Gelegenheit zur Erstattung einer Stellungnahme binnen zwei Wochen nahm der Beschwerdeführer nicht wahr.

4. Mit angefochtenem Bescheid vom 16.02.2017, Zl. XXXX, erteilte das BFA dem Beschwerdeführer einen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht (Spruchpunkt I., erster Spruchteil), erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt I., zweiter Spruchteil), stellte fest, dass seine Abschiebung nach Nigeria zulässig ist (Spruchpunkt I., dritter Spruchteil) und gewährte eine vierzehntägige Frist für die freiwillige Ausreise (Spruchpunkt II.). Außerdem wurde gegen den Beschwerdeführer ein auf die Dauer von drei Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt III.).

5. Gegen diesen Bescheid richtet sich die fristgerecht erhobene Beschwerde vom 14.04.2017. Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass der Beschwerdeführer in Österreich über ein schützenswertes Privat- und Familienleben verfüge, vor dessen Hintergrund die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gegen ihn unzulässig sei. Ebenso sei das über ihn verhängte Einreiseverbot rechtswidrig, weil das BFA keine nachvollziehbare Gefährlichkeitsprognose getroffen habe.

6. Beschwerde und Bezug habender Akt wurden dem Bundesverwaltungsgericht am 19.04.2017 vorgelegt.

7. Am XXXX.2019 ehelichte der Beschwerdeführer vor dem Standesamt XXXX die österreichische Staatsbürgerin A.B. Am XXXX2019 wurde ihre gemeinsame Tochter geboren.

8. Mit Schreiben vom 28.03.2020 teilte die Ehefrau des Beschwerdeführers mit, dass sie in der Zeit von 23.06.2008 bis 30.09.2008 als Au-Pair in Italien gearbeitet habe und folglich in dieser Zeit ihr Freizügigkeitsrecht als Unionsbürgerin in Anspruch genommen habe. Aus diesem Grund sei ihr Ehemann ein begünstigter Drittstaatsangehöriger, gegen den keine Rückkehrentscheidung und kein Einreiseverbot erlassen werden dürfe. Es wurde um die ersatzlose Behebung des angefochtenen Bescheides ersucht.

9. Am 04.05.2020 stellte der Beschwerdeführer durch seinen Rechtsvertreter einen Fristsetzungsantrag an den Verwaltungsgerichtshof.

10. Das Bundesverwaltungsgericht forderte den Beschwerdeführer mit Schreiben vom 11.05.2020 auf, Nachweise zur Inanspruchnahme der Freizügigkeit durch die Ehefrau des Beschwerdeführers vorzulegen.

11. Mit Eingabe vom 28.05.2020 übermittelte der Beschwerdeführer entsprechende Nachweise.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Der in Punkt I. dargestellte Verfahrensgang wird festgestellt. Darüber hinaus werden folgende weitere Feststellungen vorgenommen:

1. Feststellungen:

Der volljährige Beschwerdeführer ist nigerianischer Staatsangehöriger. Seine Identität steht fest.

Der Beschwerdeführer reiste illegal nach Österreich und hält sich dort seit (mindestens) 27.01.2013 auf.

Er ist seit dem XXXX2019 mit einer österreichischen Staatsangehörigen verheiratet und hat mit dieser eine am XXXX2019 geborene Tochter.

Die Ehefrau des Beschwerdeführers hat von ihrem unionsrechtlichen Freizügigkeitsrecht Gebrauch gemacht, indem sie von 23.06.2008 bis 30.09.2008 in Italien als Au-Pair gearbeitet hat.

Der Beschwerdeführer ist daher begünstigter Drittstaatsangehöriger im Sinne des § 2 Abs. 1 Z 20c AsylG 2005.

Der Beschwerdeführer ist in Österreich mehrfach strafrechtlich in Erscheinung getreten:

01) LG XXXX vom 21.02.2014 RK 25.02.2014

§§ 27 (1) Z 1 8. Fall, 27 (3) SMG

Datum der (letzten) Tat 06.11.2013

Freiheitsstrafe 9 Monate, davon Freiheitsstrafe 6 Monate, bedingt, Probezeit 3 Jahre

Vollzugsdatum 13.03.2014

zu LG XXXXRK 25.02.2014

Unbedingter Teil der Freiheitsstrafe vollzogen am 13.03.2014

LG XXXX vom 14.03.2014

zu LG XXXX RK 25.02.2014

(Teil der) Freiheitsstrafe nachgesehen, endgültig

Vollzugsdatum 13.03.2014

LG XXXX vom 28.08.2017

02) BG XXXX vom 05.10.2016 RK 20.02.2017

§ 125 StGB

Datum der (letzten) Tat 05.08.2015

Freiheitsstrafe 2 Monate, bedingt, Probezeit 3 Jahre

zu BG XXXX RK 20.02.2017

Probezeit verlängert auf insgesamt 5 Jahre

LG XXXXvom 29.04.2019

03) LG XXXX vom 29.04.2019 RK 29.04.2019

§§ 146, 147 (1) Z 1 StGB

Datum der (letzten) Tat 13.12.2018

Freiheitsstrafe 18 Monate, davon Freiheitsstrafe 12 Monate, bedingt, Probezeit 3 Jahre

Der Beschwerdeführer ist in Österreich somit mehrfach strafrechtlich in Erscheinung getreten, davon einmal im Suchtmittelbereich, letztmalig wurde er am 29.04.2019 auf Grund einer am 13.12.2018 begangenen Tat wegen schweren Betruges verurteilt, somit konnte ihn auch der Umstand, dass er in eineinhalb Monate heiraten würde und in viereinhalb Monate sein Kind geboren würde, ihn von der Begehung einer Straftat abhalten, für die er zu einer Freiheitsstrafe von 18 Monaten, davon 12 Monate bedingt, unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren verurteilt wurde.

2. Beweiswürdigung:

Die Identität des Beschwerdeführers steht aufgrund der vorliegenden Kopie des nigerianischen Reisepasses Nr. XXXX, ausgestellt am 09.12.2013, fest.

Die Feststellung zum Aufenthalt des Beschwerdeführers in Österreich seit mindestens 27.01.2013 ergibt sich unstrittig aus dem Verwaltungsakt in Zusammenschau mit einer eingeholten zmr-Auskunft.

Die Feststellung zur strafrechtlichen Delinquenz des Beschwerdeführers beruht auf dem Strafregister der Republik Österreich.

Die Feststellungen betreffend seine persönlichen Verhältnisse, insbesondere seine Heirat und seine Vaterschaft, beruhen auf den vorgelegten Dokumenten (Heiratsurkunde des Standesamtes XXXX vom XXXX2019 und Geburtsurkunde des Standesamtes XXXX vom XXXX2019).

Die Feststellungen zum Au-Pair Aufenthalt seiner Ehefrau in Italien ergeben sich zweifelsfrei aus den unbedenklichen, am 28.05.2020 vorgelegten Unterlagen. Wie in der rechtlichen Beurteilung näher auszuführen sein wird, ist der Beschwerdeführer daher begünstigter Drittstaatsangehöriger.

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1 Prüfungsumfang:

Gemäß § 27 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, soweit es nicht Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der Behörde gegeben findet, den angefochtenen Bescheid, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt und die angefochtene Weisung auf Grund der Beschwerde (§ 9 Abs. 1 Z 3 und 4) oder auf Grund der Erklärung über den Umfang der Anfechtung (§ 9 Abs. 3) zu überprüfen.

Gemäß § 28 Absatz 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.

Gemäß § 28 Absatz 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn

1. der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder

2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

3.2 Zum Unterbleiben der mündlichen Verhandlung:

Gemäß § 21 Abs. 7 BFA-Verfahrensgesetz kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht.

Gemäß § 24 Abs. 2 VwGVG kann eine mündliche Verhandlung entfallen, wenn bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit der Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben ist.

Angesichts der Tatsache, dass der maßgebende Sachverhalt auf Grund der Aktenlage und des Inhaltes der Beschwerde geklärt war, Widersprüchlichkeiten in Bezug auf die maßgeblichen Sachverhaltselemente nicht vorlagen sowie eine initiative Darlegung für die Entscheidungsfindung relevanten Umstände, die durch die weitere Hinterfragung zu klären gewesen wären, nicht erforderlich war, ist der Sachverhalt iSd § 21 Abs. 7 erster Fall BFA-Verfahrensgesetz aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt. Auch stand bereits auf Grund der Aktenlage fest, dass der bekämpfte Bescheid zu beheben ist.

Die Abhaltung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung konnte somit gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG iVm § 24 Abs. 2 VwGVG unterbleiben.

Zu Spruchpunkt A) Stattgabe der Beschwerde

Gemäß § 2 Abs. 4 Z 11 FPG ist begünstigter Drittstaatsangehöriger ua der Ehegatte eines Österreichers, der sein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht in Anspruch genommen hat.

Wird ein Antrag auf internationalen Schutz abgewiesen, so hat das BFA gemäß § 10 Abs 1 Z 3 AsylG iVm § 52 Abs 2 Z 2 FPG gegen einen Drittstaatsangehörigen unter einem mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen. Dies gilt nach § 52 Abs 2 letzter Satz FPG jedoch nicht für begünstigte Drittstaatsangehörige.

Die Erlassung einer Rückkehrentscheidung nach § 52 Abs 2 FPG kommt gegen begünstigte Drittstaatsangehörige von vornherein nicht in Betracht (vgl VwGH 14.11.2017, Ra 2017/20/0274; 26.02.2020, Ra 2019/20/0523).

Auch ein Einreiseverbot nach dem 1. Abschnitt des 8. Hauptstücks des FPG darf über begünstigte Drittstaatsangehörige nicht verhängt werden, weil auf sie die aufenthaltsbeendende Maßnahmen (unter anderem) gegen begünstigte Drittstaatsangehörige regelnden Bestimmungen des 4. Abschnitts des genannten Hauptstücks anzuwenden sind (vgl VwGH 23.03.2017, Ra 2016/21/0349; 26.02.2020, Ra 2019/20/0523). Die generelle Unzulässigkeit der Erlassung einer Rückkehrentscheidung gegen begünstigte Drittstaatsangehörige ergibt sich schon daraus, dass die mit § 52 FPG umgesetzte Rückführungsrichtlinie (2008/115/EG) auf begünstigte Drittstaatsangehörige nach ihrem Art 2 Abs 3 nicht anzuwenden ist (vgl VwGH 15.03.2018, Ra 2018/21/0014, mwN; 26.02.2020, Ra 2019/20/0523).

Der Beschwerdeführer ist seit dem XXXX2019 mit einer österreichischen Staatsbürgerin verheiratet. Sie war von 23.06.2008 bis 30.09.2008 in Italien als Au-Pair beschäftigt und hat damit von ihrem unionsrechtlichen Freizügigkeitsrecht Gebrauch gemacht. Der Beschwerdeführer ist daher begünstigter Drittstaatsangehöriger im Sinne des § 2 Abs 4 Z 11 FPG (vgl. zu den Voraussetzungen VwSlg 18.229 A/2011, mwN).

Der Verfassungsgerichtshof (VfSlg 18.968/2009) vertrat im Zusammenhang mit § 57 NAG die Auffassung, dass sich ein Drittstaatsangehöriger bei Begründung eines Angehörigenverhältnisses zu einem EWR-Bürger auf die Richtlinie berufen könne, gleichgültig, wie der Drittstaatsangehörige in das Bundesgebiet gelangte und wann das Angehörigenverhältnis begründet wurde.

Wird - wie im vorliegenden Fall durch Heirat mit seiner österreichischen Ehefrau zwischen ihm als Drittstaatsangehörigen und ihr als Österreicherin ein Angehörigenverhältnis begründet, ist für das Aufenthaltsrecht des Beschwerdeführers ausschlaggebend, ob seine Ehefrau von ihrem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch gemacht hat, indem sie eines ihrer Rechte gemäß Art. 21 und 45 AEUV (ex-Artikel 18 und 39 ff EGV) im EWR-Raum außerhalb Österreichs ausübt oder ausgeübt hat (vgl EuGH 01.04.2008, Rs C-212/06, Gouvernement de la Communaute francaise, Gouvernement wallon/Gouvernement flamand, Rz 37).

Dies ist aufgrund der Tätigkeit der Ehefrau als Au-Pair in Italien gegeben.

Damit genießt auch der Beschwerdeführer ein Aufenthaltsrecht in Österreich, wobei es keine Rolle spielt, wie der Beschwerdeführer in das Bundesgebiet gelangt ist oder wann das Angehörigenverhältnis begründet wurde (VfSlg 18.968/2009).

Hierbei genügt es nach dieser Judikatur des Verfassungsgerichtshofes (VfSlg 18.968/2009) bereits, dass die österreichische Ankerperson in der Vergangenheit einen Sachverhalt erfüllt hat, der als Inanspruchnahme der (nunmehr) unionsrechtlichen Freizügigkeit gemäß Art 18 und 39 ff EG (nunmehr Art 21 und 45 ff AEUV) anzusehen ist. Im konkreten Fall übte die Ehefrau die Freizügigkeit von 23.06.2008 bis zum 30.09.2008 aus.

Es kommt aber nicht nur auf die Niederlassung in Ausübung der Arbeitnehmerfreizügigkeit an, sondern sind auch die Freizügigkeit in Ausübung der Dienstleistungsfreiheit (vgl dazu auch das Urteil des EuGH vom 02.02.1989, 186/87, Cowan, Rz 17) und - allgemeiner - auch die ohne wirtschaftliche Zweckbindung erfolgende Ausübung der Freizügigkeit nach Art 18 EG (nunmehr Art 21 AEUV; zu einem derartigen Fall in der Rechtsprechung des EuGH vgl EuGH 11.07.2002, C-224/98, Marie-Nathalie D 'Hoop, insbesondere dessen Rz 29 f.) von § 57 NAG erfasst.

Das Recht auf Freizügigkeit im Sinn des Art 18 EG (nunmehr Art 21 AEUV) umfasst ua das Recht, in einen anderen Mitgliedstaat einzureisen (vgl auch die Richtlinie 2004/38 EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29.04.2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, die schon in ihrem Titel neben das Aufenthaltsrecht das Recht, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen, stellt; vgl. insbesondere auch Art 5 dieser Richtlinie).

Nicht jede auch noch so geringfügige Ausübung des Freizügigkeitsrechts im Rahmen des § 57 NAG entfaltet aber Relevanz (VwSlg 18.229 A/2011). Vielmehr wird es für die Anwendung der genannten Bestimmung erforderlich sein, dass die österreichische Ankerperson mit einer gewissen Nachhaltigkeit von ihrer Freizügigkeit Gebrauch gemacht hat (in diesem Sinn, wenn auch vor rein unionsrechtlichem Hintergrund, von einem "Bagatellvorbehalt" sprechend das Urteil des Deutschen Bundesverwaltungsgerichtes vom 11.01.2011, 1C 23.09, Rz 13; dies andeutend auch VwGH 24.09.2009, 2007/18/0347, in dem ein zweiwöchiger Sprachaufenthalt zu beurteilen war).

Was die Festlegung der Nachhaltigkeitsgrenze - auch unter dem hier relevanten Blickwinkel des § 57 NAG - anlangt, so liegt es nahe, auf die Rechtsprechung des EuGH zum Arbeitnehmerbegriff abzustellen. Der EuGH verlangt für die Qualifikation als Arbeitnehmer im Sinn von Art 39 EG (nunmehr Art 45 AEUV) jenseits des Erfordernisses einer abhängigen Beschäftigung gegen Entgelt in einem anderen Mitgliedstaat einschränkend eine "tatsächliche und echte Tätigkeit", die keinen so geringen Umfang hat, dass es sich um eine "völlig untergeordnete und unwesentliche Tätigkeit" handelt. Dieser Maßstab lässt sich allgemein dergestalt auf alle Freizügigkeitsrechte übertragen, dass eine "tatsächliche und effektive" Ausübung derselben vorliegen muss. In seiner Rechtsprechung zum Arbeitnehmerbegriff hat der EuGH zum Ausdruck gebracht, dass die Höhe der Vergütung, die der Arbeitnehmer enthält, ebenso wenig von alleiniger Bedeutung ist wie das Ausmaß der Arbeitszeit und die Dauer des Dienstverhältnisses (vgl dazu die Darstellung von Windisch-Graetz in Mayer (Hrsg), EU-und EG-Vertrag, Art 39 EGV, Rz 9 ff).

Wesentliches Merkmal des nicht einengend auszulegenden Begriffs eines Arbeitsverhältnisses sei, dass eine Person während einer bestimmten Zeit für eine andere nach deren Weisung Leistungen erbringe, für die sie als Gegenleistung eine Vergütung erhalte. Maßgeblich sei eine Prüfung aller Umstände des Einzelfalles. Die Person dürfe auch nicht die Tätigkeit in einem so geringen Umfang ausüben, dass sich die Tätigkeit nach Weisung als vollständig untergeordnet unwesentlich darstellt. Auf der anderen Seite darf die Vergütung nicht nur symbolischen Charakter haben, sie muss aber nicht vollständig unterhaltssichernd sein (EuGH v. 03.06.1986 - C 139/85-Rechtssache Kempf; v. 04.02.2010 - C 14/09-Rechtssache Genc). Bereits die Gewährung von Kost und Logis könne ausreichen, wenn diese im Verhältnis zum Umfang der Tätigkeit nicht völlig unangemessen sei. Das hatte der EuGH im Urteil vom 24.01.2008 - C 294/06 für eine Au-Pair mit einer zusätzlichen Vergütung zu Kost und Logis von ca. 103,00 ? wöchentlich entschieden.

Es besteht somit kein Zweifel, dass die Ehefrau des Beschwerdeführers im Hinblick auf ihre Tätigkeit als Au-Pair für einen über dreimonatigen Zeitraum die erwähnte Bagatellschranke überschritten hat (vgl dazu auch VwSlg 18.229 A/2011 zu einer nahezu fünf Monate hin ausgeübte tageweise, nicht angemeldeten Tätigkeit in Tschechien).

Daher war im konkreten Fall die Eigenschaft des Beschwerdeführers als begünstigter Drittstaatsangehöriger zu bejahen.

Daher sind eine Außerlandesschaffung des Beschwerdeführers durch eine auf § 52 Abs. 2 Z 2 FPG gestützte Rückkehrentscheidung sowie ein Einreiseverbot unzulässig.

Dass dem Beschwerdeführer (noch) keine Dokumentation eines Aufenthaltstitels nach dem NAG ausgestellt worden ist, kann daran nichts ändern.

Ob die Voraussetzungen für eine allfällige Ausweisung und die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen den Beschwerdeführer als begünstigter Drittstaatsangehöriger vorliegen, wäre nach §§ 66 und 67 FPG zu beurteilen.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art 133 Abs 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Schlagworte

Abschiebung Arbeitnehmereigenschaft Arbeitnehmerfreizügigkeit Au - pair Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz Aufenthaltsrecht Aufenthaltstitel Aufenthaltsverbot begünstigte Drittstaatsangehörige Behebung der Entscheidung berücksichtigungswürdige Gründe Diebstahl Dienstleistungsfreiheit Einreiseverbot ersatzlose Behebung Geringfügigkeitsgrenze Haft Haftstrafe Interessenabwägung Kassation Körperverletzung öffentliche Interessen Privat- und Familienleben private Interessen Recht auf Freizügigkeit Rückkehrentscheidung Straffälligkeit Strafhaft strafrechtliche Verurteilung Straftat Suchtmitteldelikt

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:I406.1433186.2.00

Im RIS seit

04.09.2020

Zuletzt aktualisiert am

04.09.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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