TE Lvwg Erkenntnis 2020/6/18 LVwG-M-6/002-2020, LVwG-M-6/001-2020

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Veröffentlicht am 18.06.2020
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Entscheidungsdatum

18.06.2020

Norm

B-VG Art130 Abs1 Z2
SPG 1991 §88 Abs1
SPG 1991 §88 Abs2
FrPolG 2005 §41 Abs2
FrPolG 2005 §41 Abs3

Text

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich erkennt durch Mag.Dr. Wessely, LL.M., als Einzelrichter über eine auf Art. 130 Abs. 1 Z 2 B-VG gestützte Beschwerde von Herrn A, vertreten durch B, im Zusammenhang mit einer Amtshandlung durch Organe der LPD NÖ am 1. Februar 2020 am Flughafen ***, zu Recht:

1.   Die Beschwerden, der Beschwerdeführer sei durch die Zurückweisung an der Grenze in seinen Rechten verletzt worden, werden gemäß § 28 Abs. 6 VwGVG abgewiesen.

2.   Der Beschwerdeführer hat dem Bund (Bundesminister für Inneres) gemäß § 35 VwGVG i.V.m. der VwG-Aufwandsersatzverordnung, BGBl. II 2013/517, € 887,20 (Vorlage-, Schriftsatz- und Verhandlungsaufwand) binnen zwei Monaten ab Zustellung bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

3.   Gegen dieses Erkenntnis ist eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig (§ 25a VwGG).


Entscheidungsgründe:

Mit Schriftsatz vom 9. März 2020 erhob der Beschwerdeführer folgende, auf Art. 130 Abs. 2 Z 2 B-VG gestützte Beschwerde:

Der Beschwerdeführer ist türkischer Staatsangehöriger und hat sich in Österreich niedergelassen. Er unterfällt in seiner Eigenschaft als türkischer Staatsangehöriger dem ARB 1/80 (Beschluss 1/80 des Assoziationsrates EWG-Türkei über die Entwicklung der Assoziation vorn 19. September 1980). insbesondere dem Art 13 ARB 1/80 (Stillstand-Klausel).

Der Beschwerdeführer immigrierte erstmals 1989 nach Österreich und war jahrelang einer ordnungsgemäßen Beschäftigung nachgegangen. Er bezieht derzeit eine inländische Pension und er war zuletzt im Besitz eines unbefristeten Aufenthaltstitels (Daueraufenthalt-EU), welcher vom 25.11.2015 bis zum 25.11.2020 gültig war.

Bei der letzten Reise des Beschwerdeführers am 1.2.2020 wurde ihm die Einreise in das Bundesgebiet mit der Begründung verweigert, dass er nicht über ein ‚gültiges Visum‘ verfügen würde. Er habe sich angeblich mehr als 12 Monate außerhalb des Bundesgebietes aufgehalten. Daraufhin wurde ihm der Aufenthaltstitel ”DaueraufenthaIt-EU“ abgenommen, obzwar der Aufenthaltstitel bis zum 25.11.2020 gültig war. und im die Einreise in das Bundesgebiet verweigert. Der Beschwerdeführer musste daher wieder in die Türkei zurückreisen.

Der Beschwerdeführer konnte in das Bundesgebiet nicht fristgerecht, und zwar innerhalb der 12-monatigen Frist einreisen. da er aufgrund seines Herz- und Blutdruckproblems nicht fliegen durfte. Daher wartete der Beschwerdeführer die Besserung seiner Krankheit ab und trat anschließend die Rückreise nach Österreich an.

Der Beschwerdeführer beabsichtigte ferner einer geringfügigen Beschäftigung nachzugehen, um seine Einkommensverhältnisse aufzubessern. []

Nach Ansicht der amtshandelnden Beamten habe der Beschwerdeführer, ein türkischer Staatsangehöriger, sein Recht auf Daueraufenthalt verloren, zumal er sich mehr als 12 Monate im Ausland aufgehalten habe. Deswegen sei es berechtigt, ihm die Einreise in das Bundesgebiet zu verweigern, zumal nach Erlöschen seines Aufenthaltsrechtes er nicht befugt sei, in das Bundesgebiet einzureisen.

Das Erlöschen ist weder bescheidmäßig dokumentiert, noch wurde dies dem Beschwerdeführer vorher mitgeteilt. Einziger Grund, warum der Beschwerdeführer nicht rechtzeitig iSd NAG in das Bundesgebiet einreisen konnte, war, dass er an einer Herzkrankheit und einem Blutdruckproblem [litt], was ihm das Fliegen und die fristgerechte Einreise verunmöglichte. Ein Transport auf dem Landwege ist umso umständlicher und belastender für eine ältere Person wie der Beschwerdeführer, weshalb er auf die Genesung wartete und anschließend die Reise nach Österreich antrat.

Außerdem musste dem Beschwerdeführer die Einreise in das Bundesgebiet trotz des 12 Monate überschreitenden Aufenthaltes außerhalb desselben gestattet werden, da der Beschwerdeführer durch seine jahrelange Beschäftigung im Bundesgebiet Rechte nach dem ARB 1/80 erwarb, welche die Anwendung der strengeren Bestimmungen des NAG in Bezug auf den Beschwerdeführer verbieten:

Die Bestimmung § 20 Abs. 4 NAG ist auf den Antragsteller und generell auf türkische Staatsangehörige nicht anwendbar: []

Wie oben bereits erwähnt, kommt auf den Beschwerdeführer der ARB 1/80, insbesondere Art. 13 leg cit. zur Anwendung, weil er türkischer Staatsangehöriger ist.

Der EuGH hatte bereits in der Rechtssache Sevince (EuGH, U. v. 20. 9. 1990 — Rs C-192/89 – Sevince, Slg. 1990. I-3461 = lnfAulR 1991, 2.) klargestellt, dass sowohl Art. 7 ARB 2/76 als auch Art. 13 ARE 1/80 unmittelbare Wirkung haben: ,Ebenso enthalten Art. 7 des Beschlusses Nr. 2/76 u. Art. 13 des Beschlusses 1/80 eine eindeutige Stillhalteklausel, die die Einführung neuer Beschränkungen des Zugangs zum Arbeitsmarkt für Arbeitnehmer verbietet, deren Aufenthalt u. Beschäftigung im Hoheitsgebiet ordnungsgemäß sind.‘ Sie verbietet allgemein die Einführung neuer innerstaatlicher Maßnahmen, die bezweckt oder bewirkt, dass die Ausübung der Arbeitnehmerfreizügigkeit oder der Dienstleistungs- oder Niederlassungsfreiheit durch einen türkischen Staatsangehörigen in einem Mitgliedstaat strengeren Voraussetzungen als denjenigen unterworfen wird, die für ihn zum Zeitpunkt des lnkrafttretens der Standstillklausel in dem betreffenden Mitgliedstaat galten. Damit ist die Wirkung der Standstillklausel in dem Mitgliedstaaten Europas von dem jeweiligen Zeitpunkt ihres Inkrafttretens abhängig.

Gemäß dem Paragraph § 16 des Fremdengesetzes 1997, welcher günstigere Bestimmungen in Bezug auf die türkischen Staatsangehörigen enthält, normiert, dass ein Aufenthaltstitel nur dann für ungültig erklärt werden kann, wenn gegen Fremde ein Aufenthaltsverbot oder eine Ausweisung durchsetzbar wird.

Die Bestimmung § 20 Abs. 4 NAG stellt eine Verschlechterung der Rechtsstellung des Beschwerdeführers und muss daher unangewendet bleiben. Demzufolge hätten die amtshandelnden Beamten dem Beschwerdeführer zunächst die Einreise ermöglichen und den zuständigen Landeshauptmann/-frau (gegenständlich ist es der Landeshauptmann von Wien bzw. Magistratsabteilung *** für den ***. Bezirk) verständigen müssen, damit sie das Erlöschen bescheidmäßig feststellen und anschließend den Beschwerdeführer mithilfe von Fremdenbehörde unter Setzung einer angemessenen Frist zum Verlassen des Bundesgebietes auffordern.

Die Begründung der belangten Behörde auf dem Formular ,Einreiseverweigerung‘, dass kein gültiges Visum vorhanden sei, ist in Ansehung obiger Ausführungen nicht tragbar. []

b) Den obigen Ausführungen kann man ferner entnehmen, dass die belangte Behörde nicht zuständig war, dem Beschwerdeführer seinen Aufenthaltstitel zu entziehen, zumal es erwähnterweise an einem Bescheid mangelt, welcher das Erlöschen des Aufenthaltstitels dokumentiert.

Die belangte Behörde hätte den zuständigen Landeshauptmann, von dem die weiteren rechtlichen Schritte zu setzen waren, über die Dauer des Auslandsaufenthaltes benachrichtigen müssen.“

Unter einem beantragte der Beschwerdeführer, der Beschwerde aufschiebende Wirkung zuzuerkennen. In ihrer Gegenschrift, führte die belangte Behörde unter gleichzeitiger Vorlage der Akten aus, dass der Beschwerdeführer im Zuge der Grenzkontrolle den einschreitenden Organen gegenüber angegeben habe, in Österreich seine Familie besuchen zu wollen. Er habe nicht zu erkennen gegeben, hier einer geringfügigen Erwerbstätigkeit nachgehen zu wollen. Im Hinblick darauf, dass der angestrebte Einreisezweck nicht in den Anwendungsbereich der Stillhalteklauseln gefallen sei, sei die Einreise zu Recht verweigert worden.

In der öffentlichen mündlichen Verhandlung führte der Vertreter des Beschwerdeführers aus, dass Letzterer in Österreich wohne und integriert sei. Er habe sechs oder sieben Monate lang Urlaub in der Türkei machen wollen, wobei der Auslandsaufenthalt aufgrund seines Gesundheitszustandes längere Zeit in Anspruch genommen habe. Den Beamten habe er im Zuge der Einreise gesagt, seinen Lebensmittelpunkt in Österreich zu haben und daher wieder hierher einreisen zu wollen. Er habe einen Sohn in Österreich und habe bei diesem Unterkunft nehmen wollen. Im Hinblick darauf, dass der Beschwerdeführer in Österreich integriert gewesen sei, wäre eine Interessensabwägung durchzuführen gewesen. In der fortgesetzten Verhandlung korrigierte der Vertreter des Beschwerdeführers das Vorbringen dahingehend, dass dieser bei seinem Cousin, bei dem er auch gemeldet sei, habe wohnen wollen. Ferner legte er einen mit 11. März 2020 datierten ärztlichen Bericht über den Gesundheitszustand des Beschwerdeführers im Zeitraum 31. Oktober 2019 bis 11. März 2020 sowie eine Einstellungszusage der C KG vom 20. Mai 2020 vor.

Der Zeuge D gab an, dass bei der Einreise aufgefallen sei, dass sich der Beschwerdeführer bereits länger als ein Jahr nicht mehr in Österreich aufgehalten habe. Nach dem Zweck der Einreise befragt habe dieser angegeben, seine Familie besuchen zu wollen. Die Familie verfüge über die österreichische Staatsbürgerschaft. Da der Beschwerdeführer nicht so gut Deutsch gesprochen habe, sei sein Sohn kontaktiert worden, der zum einen Deutsch gesprochen und zum anderen am Telefon für den Beschwerdeführer gedolmetscht habe. Auch er habe den Einreisezweck bestätigt. Über Frage, warum sich der Beschwerdeführer so lange im Ausland aufgehalten habe, habe dieser angegeben, in Pension zu sein. Der einschreitende Beamte habe mit dem Sohn des Beschwerdeführers ein Treffen auf dem Flughafen ausgemacht, zu dem dieser auch erschienen sei. Auch dabei habe er angegeben, dass der Vater zu einem Familienbesuch hätte einreisen wollen; von einem längeren Aufenthalt sei keine Rede gewesen. Eine ausdrückliche Frage nach einer allfälligen angestrebten Erwerbstätigkeit im Inland sei nicht gestellt worden; vielmehr sei der Beschwerdeführer nur generell nach dem Aufenthaltszweck befragt worden. Davon sei der Journaldienst verständigt worden und habe die Fragen abgearbeitet.

Der Sohn des Beschwerdeführers gab zeugenschaftlich vernommen an, er habe seinen Vater am Flughafen abholen wollen. Nachdem er nach der Landung nicht erschienen sei, habe er sich nach seinem Verbleib erkundigt und sodann von der Polizei erfahren, dass es mit dem Visum Probleme gegeben habe. Der Zeuge habe mit seinem Vater auf dem Flughafen auch zwischen 10 und 20 Minuten gesprochen, wobei er sich nur nach dessen Befinden erkundigt habe. Während er zunächst angab, für seinen Vater nicht gedolmetscht zu haben, revidierte er in der Folge dahingehend, dies nicht mehr sagen zu können. Es könne auch sein, dass er der Polizei gegenüber gesagt habe, dass sein Vater krank sei. Bezogen auf eine allfällige Anstellung bei der C KG habe er der Polizei gegenüber jedenfalls nichts gesagt (er sei auch nicht danach gefragt worden) und habe der Beschwerdeführer damals auch keine entsprechende Erwerbstätigkeit aufnehmen wollen. Diese Intention habe er allerdings jetzt.

Aufgrund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens, nämlich die Angaben des Beschwerdeführers, seines Sohnes und des Zeugen D geht das Landesverwaltungsgericht von folgendem Sachverhalt aus:

Der Beschwerdeführer, ein türkischer Staatsangehöriger stellte sich am 1. Feber 2020 nach Anreise mit dem Flug *** aus *** kommend der Grenzkontrolle am Flughafen *** und wies sich mit einem gültigen türkischen Reisepass sowie mit einem unbefristeten österreichischen Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt-EU“ aus. Im Zuge der Einreisekontrolle wurde festgestellt, dass sich der Beschwerdeführer seit 10. Jänner 2019 nicht mehr im EWR aufgehalten hat. Zum Zweck seiner Einreise befragt gab er an, hier einen Familienbesuch abstatten zu wollen. Er sei Pensionist und habe sich deshalb längere Zeit im Ausland aufgehalten. Aufgrund der eingeschränkten Deutschkenntnisse des Beschwerdeführers erfolgte die Kommunikation mit diesem über seinen Sohn, der österreichischer Staatsbürger ist und Deutsch spricht. Die Sprachmittlung erfolgte zunächst am Telefon, sodann fand das Gespräch mit dem Sohn selbst am Flughafen statt.

Im Zuge der Amtshandlung wurde weder vom Beschwerdeführer selbst noch von seinem Sohn auf eine allfällige beabsichtigte Aufnahme einer (unselbstständigen) Erwerbstätigkeit hingewiesen und bestand eine solche Intention im Zeitpunkt der Einreise nicht.

Der festgestellte Sachverhalt ergibt sich aus den vorliegenden Urkunden und den im Wesentlichen übereinstimmenden Angaben des Beschwerdeführers und der vernommenen Zeugen. Namentlich wurde von keiner der vernommenen Personen ausgeführt, dass der Zweck der Einreise in der Aufnahme einer (unselbstständigen) Erwerbstätigkeit hätte liegen sollen oder dass derartiges zumindest kommuniziert worden wäre. Wenn der zeugenschaftlich vernommene Sohn des Beschwerdeführers in der öffentlichen mündlichen Verhandlung zunächst ausführte, für seinen Vater nicht gedolmetscht zu haben, so stehen dem zum einen die Angaben des Zeugen D, zum anderen aber auch die revidierte Aussage des Sohns, wonach dieser sich nicht mehr sicher sei, entgegen. Das Landesverwaltungsgericht geht daher davon aus, dass (insbesondere mit Hilfe des Sohnes) eine Kommunikation mit dem Beschwerdeführer möglich war.

In rechtlicher Hinsicht ergibt sich aus dem Gesagten:

Gegenstand der Beschwerden nach Art 130 Abs. 1 Z 2 B-VG (§ 88 Abs. 1 SPG) sowie nach § 88 Abs. 2 SPG sind einzelne Verwaltungsakte, mithin Lebenssachverhalte. Im konkreten Fall bezeichnet die Beschwerde eine Handlung, nämlich die Zurückweisung an der Grenze (§ 41 FPG).

Angefochtene Akte sind vom Verwaltungsgericht auf ihre Rechtmäßigkeit zu überprüfen, wobei diese Prüfung – trotz der Gegenteiliges intendierenden Formulierung des § 27 VwGVG – unabhängig von den in der Beschwerde geltend gemachten Rechten in jede Richtung zu erfolgen hat (VfSlg 14.436/1996; VwGH 25.9.1996, 96/01/0286; 9.9.1997, 96/06/0096; 15.9.1997, 94/10/0027; 23.9.1998, 97/01/0407; vgl. insb. VwGH 30.3.2016, Ra 2015/09/0139, wonach eine Bindung an die Beschwerdegründe des § 27 VwGVG nicht besteht).

Den Beurteilungsmaßstab im hier gegenständlichen Verfahren bildet die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der gesetzten Amtshandlung (VwGH 24.11.2015, Ra 2015/05/0063), näherhin jene Sachlage, wie sie dem eingeschrittenen Organ im Handlungszeitpunkt bekannt war bzw. (insbesondere im Hinblick auf den Zeitfaktor) bei zumutbarer Sorgfalt bekannt sein musste (VwSlg 14.706 A/1997; VwGH 6.8.1998, 96/07/0053; vgl. N.Raschauer/Wessely, Die abgestufte Gefährdungsprognose nach § 38a SPG, SIAK 2006, 22 ff). Im Ergebnis ist daher zu prüfen, ob das Organ vertretbarerweise das Vorliegen der Voraussetzungen für sein Einschreiten annehmen durfte (ex ante-Beurteilung; VwSlg 14.142 A/1994; 14.706 A/1997; VwGH 25.1.1990, 89/16/0163; 21.3.2006, 2006/11/0019).

Im konkreten Fall verfügte der Beschwerdeführer ursprünglich über einen Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt – EU“. Nach dem Regime des § 20 Abs. 4 NAG erlöschen derartige Titel, wenn sich der Betroffene länger als zwölf Monate (bzw. in bestimmten Fällen länger als 24 Monate) außerhalb des EWR aufhält. Keine Anwendung findet dieser Erlöschenstatbestand jedoch im Anwendungsbereich der Stillhalteklauseln des Art. 13 ARB 1/80 bzw. des (wirkungsgleichen [VwGH 25.4.2019, Ra 2018/22/0289]) Art. 41 Abs. 1 des Zusatzprotokolls zum Assoziierungsabkommen, zumal ein Erlöschen des Aufenthaltstitels durch Abwesenheit aus dem Gebiet des EWR erst mit dem NAG eingeführt wurde und gegenüber der bis dahin geltenden Rechtslage eine Verschärfung darstellt (VwGH 26.6.2012, 2009/22/0307). Allerdings fällt eine nationale Regelung nur insoweit in den Anwendungsbereich der Stillhalteklauseln, als sie geeignet ist, eine selbstständige oder unselbstständige Erwerbstätigkeit i.S.d. Niederlassungsfreiheit, der Arbeitnehmerfreizügigkeit oder der Dienstleistungsfreiheit im Hoheitsgebiet des betreffenden Mitgliedstaates zu beeinträchtigen (VwGH 25.4.2019, Ra 2018/22/0043). Auf Sachverhalte, die diesen Bereichen nicht zuzuordnen sind, finden die Stillhalteklauseln daher keine Anwendung. Dies betrifft insbesondere Fälle, in denen türkische Staatsangehörige nicht die Absicht haben, sich in den Arbeitsmarkt des Aufnahmemitgliedstaates zu integrieren (EuGH 21.10.2003, Abatay und Sahin, C-317/01 und C-369/01; VwGH 18.4.2018, Ra 2018/22/0004; 9.8.2018, Ra 2017/22/0111) bzw. mit Blick auf den gleichartigen Schutzbereich des Art. 41 Abs. 1 des Zusatzprotokolls zum Assoziierungsabkommen (VwGH 25.4.2019, Ra 2018/22/0289) sich dort i.S.d. Niederlassungsfreiheit niederzulassen oder sich dort i.S.d. Dienstleistungsfreiheit zu entfalten. Der hier interessierende Erlöschenstatbestand des § 20 Abs. 4 NAG wird daher durch das Unionsrecht nur partiell, nämlich im Anwendungsbereich der Stillhalteklauseln überlagert.

Von Relevanz für die Anwendbarkeit der Stillhalteklauseln und damit spiegelbildlich die Anwendbarkeit des Erlöschenstatbestandes des § 20 Abs. 4 NAG ist daher der vom Fremden verfolgte Aufenthaltszweck, wobei es am Fremden liegt, diesen Zweck der Behörde bzw. dem einschreitenden Organ gegenüber zu offenbaren (VwGH 27.2.2020, Ra 2017/22/0040) und glaubhaft zu machen (§ 41 Abs. 3 FPG; i.d.S. ausdrücklich die stRsp., etwa VwGH 30.6.2000, 2000/02/0107; 18.5.2001, 98/02/0319). Den Fremden trifft daher insoweit eine entsprechende Mitwirkungspflicht (vgl. schon VwGH 18.1.1996, 95/18/0874). Fällt der Aufenthaltszweck nicht in den Schutzbereich der Stillhalteklauseln, kommen diese nicht zur Anwendung und stehen daher der Anwendung (auch restriktiveren) nationalen Rechts nicht entgegen und können sich türkische Staatsangehörige daher nicht mit Erfolg auf diese Klauseln berufen. Angesprochen sind damit insbesondere Fälle, in denen Personen den Arbeitsmarkt dauerhaft (pensionsbedingt) verlassen haben (VwGH 9.8.2018, Ra 2017/22/0111).

Der vom Beschwerdeführer genannte Aufenthaltszweck kann weder der Arbeitnehmerfreizügigkeit noch der Niederlassungs- bzw. Dienstleistungsfreiheit zugerechnet werden, sodass der Anwendungsbereich der Stillhalteklauseln nicht eröffnet ist. Anderes wäre der Fall gewesen, hätten sich die Beschwerdeführer im Zuge der Einreise darauf berufen, hier eine unselbständige Erwerbstätigkeit antreten zu wollen. Dies war jedoch unstrittig nicht der Fall, sondern wurde dies erstmals in der Maßnahmenbeschwerde vorgebracht (und vom Sohn des Beschwerdeführers zeugenschaftlich bestätigt). Dabei kann eine Verpflichtung der Grenzkontrollorgane, einreisende Personen explizit nach einer solchen Absicht (also gleichsam checklistartig nach allen möglichen, den Stillhalteklauseln zu unterstellenden möglichen Aufenthaltszwecken) zu befragen, nicht erkannt werden. Vielmehr reicht es mit Blick auf § 41 Abs. 3 FPG hin, den Fremden (generell und offen) nach dem beabsichtigten Aufenthaltszweck zu fragen. Dies erfolgte aber, sodass es Sache des Beschwerdeführers gewesen wäre, sich diesbezüglich zu erklären (vgl. abermals VwGH 30.6.2000, 2000/02/0107; 18.5.2001, 98/02/0319).

Zumal für das gegenständliche Verfahren ausschließlich die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Amtshandlung maßgeblich und zu prüfen ist, ob die einschreitenden Organe aufgrund des damaligen tatsächlichen oder zu fordernden Wissensstandes zutreffend vom Vorliegen der Voraussetzungen für die Ausübung der ihnen zustehenden Befugnisse ausgehen durften, ist der Beschwerde im Hinblick auf die Zurückweisung i.S.d § 41 FPG kein Erfolg beschieden. Näherhin durften die einschreitenden Organe davon ausgehen, dass die Beschwerdeführer für den von ihnen erklärten Aufenthaltszweck die Einreisevoraussetzungen des Art. 6 Abs. 1 Schengener Grenzkodex (SGK) nicht erfüllten, sodass ihm nach Art. 14 SGK die Einreise rechtens verweigert und er gemäß § 41 Abs. 2 Z 1 FPG zurückgewiesen wurde.

Gemäß § 35 Abs. 1 VwGVG hat die im Verfahren nach Art. 130 Abs. 1 Z 2
B-VG obsiegende Partei Anspruch auf Ersatz ihrer Aufwendungen durch die unterlegene Partei. Wenn der angefochtene Verwaltungsakt für rechtswidrig erklärt wird, dann ist der Beschwerdeführer die obsiegende und die belangte Behörde die unterlegene Partei (Abs. 2). Wenn die Beschwerde zurückgewiesen oder abgewiesen wird oder vom Beschwerdeführer vor der Entscheidung durch das Verwaltungsgericht zurückgezogen wird, dann ist die belangte Behörde die obsiegende und der Beschwerdeführer die unterlegene Partei (Abs. 3).

Gemäß § 35 Abs. 6 VwGVG gelten die §§ 52 bis 54 VwGG auch für den Aufwandersatz nach Abs. 1.

Im vorliegenden Fall ergibt sich, dass der Beschwerdeführer als unterlegene Partei zu betrachten und zur Kostentragung zu verpflichten ist. Neben dem Vorlageaufwand (€ 57,40) war daher der Schriftsatz- (€ 368,80) und der Verhandlungsaufwand (€ 461) zuzuerkennen.

Mit der Entscheidung in der Sache werden Anträge auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung gegenstandslos und kann ein gesonderter Abspruch hierüber entfallen (VwGH 30.1.2015, Ra 2014/02/0174).


Die ordentliche Revision ist nicht zulässig, da im gegenständlichen Verfahren keine Rechtsfrage zu lösen war, der im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukommt, weil die durchgeführte rechtliche Beurteilung aufgrund der obzitierten höchstgerichtlichen Rechtsprechung erfolgte. Zum einen ist der Anwendungsbereich der Stillhalteklauseln durch die oben wiedergegebene Rechtsprechung des VwGH und des EuGH ebenso wie das Verhältnis zum Erlöschenstatbestand des § 20 Abs. 4 NAG hinreichend abgeklärt. Zum anderen folgt die Beweiswürdigung zur Feststellung des Sachverhalts den Regeln, wie sie in Lehre und Rechtsprechung anerkannt sind.

Schlagworte

Maßnahmenbeschwerde; Zurückweisung an der Grenze; Stillhalteklauseln ARB;

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:LVWGNI:2020:LVwG.M.6.002.2020

Zuletzt aktualisiert am

25.08.2020
Quelle: Landesverwaltungsgericht Niederösterreich LVwg Niederösterreic, http://www.lvwg.noe.gv.at
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