TE Vwgh Erkenntnis 1996/9/25 96/01/0286

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Veröffentlicht am 25.09.1996
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);
10/07 Verfassungsgerichtshof;
10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

AVG §67a Abs1 Z2;
AVG §67c Abs2 Z5;
AVG §67c Abs4 idF 1995/471;
AVG §68 Abs1;
B-VG Art129a Abs1 Z2;
B-VG Art130 Abs1 lita;
B-VG Art133 Z1;
B-VG Art138 Abs1;
VerfGG 1953 §51;
VwGG §34 Abs1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Dorner und die Hofräte Dr. Kremla, Dr. Händschke, Dr. Stöberl und Dr. Dolp als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Klebel, über die Beschwerde 1. des AB und 2. der CB, beide in X, beide vertreten durch Dr. T, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates im Land Niederösterreich vom 20. Februar 1992, Zl. Senat-B-91-007, betreffend die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf persönliche Freiheit und keiner unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung unterworfen zu werden (weitere Partei: Bundesminister für Justiz), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird in seinen Spruchteilen I.2., I.4., II.1. und II.2. wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat den Beschwerdeführern Aufwendungen in der Höhe von S 13.010,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit ihrer beim Unabhängigen Verwaltungssenat im Land Niederösterreich erhobenen Beschwerde begehrten die beiden Beschwerdeführer die Feststellung, sie wären durch ihre Festnahme und Anhaltung am 2. April 1991 durch Organe der Stadtpolizei X bzw. der Bezirkshauptmannschaft X in ihrem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf persönliche Freiheit verletzt worden, darüber hinaus wäre der Erstbeschwerdeführer dadurch, daß er von diesen Beamten getreten, geschlagen und in ähnlicher Form mißhandelt worden sei, und die Zweitbeschwerdeführerin dadurch, daß sie von den Beamten brutal und in schmerzverursachender Weise an den Handgelenken gepackt worden sei, ihr die Hände auf den Rücken hinaufgedreht, ihr Oberkörper und Kopf nach unten gerissen und ihr in aller Öffentlichkeit Handfesseln angelegt worden seien, in ihrem gemäß Art. 3 EMRK verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht, keiner unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung unterzogen zu werden, verletzt worden.

Mit dem angefochtenen Bescheid wurde festgestellt, daß der Erstbeschwerdeführer durch die von einem Organ der Stadtpolizei X am 2. April 1991 auf § 35 Z. 1 VStG i.V.m. § 99 Abs. 2 lit. c StVO gestützte Festnahme im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf persönliche Freiheit

(Spruchteil I.1.) und er weiters dadurch, daß er nach Überstellung auf den Gendarmerieposten X, mit Handschellen am Rücken geschlossen, auf dem Weg in die Arrestzelle von hinten gestoßen und ordinär beschimpft worden sei, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht, keiner unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung unterworfen zu werden, verletzt worden sei (Spruchteil I.3.). Hingegen sei der Erstbeschwerdeführer dadurch, daß er von einem Organ der Stadtpolizei X gemäß § 175 Abs. 1 Z. 1 und 2 i.V.m. § 177 StPO wegen §§ 15 und 269 StGB festgenommen worden sei, in keinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht verletzt worden. Die Beschwerde werde insoweit abgewiesen (Spruchteil I.2.). Im übrigen werde die Beschwerde des Erstbeschwerdeführers zurückgewiesen (Spruchteil I.4.). Die Zweitbeschwerdeführerin sei dadurch, daß sie von Organen der Stadtpolizei X und der Bezirkshauptmannschaft X am 2. April 1991 gemäß § 175 Abs. 1 Z. 1 und 2 i.V.m. § 177 StPO gemäß §§ 15 und 269 StGB festgenommen worden sei, in keinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht verletzt worden. Die Beschwerde werde insoweit abgewiesen (Spruchteil II.1.). Unbegründet sei auch die Beschwerde der Zweitbeschwerdeführerin, sie sei im Zuge dieser Festnahme unter Anwendung von Körperkraft in ihrem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht, keiner unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung unterzogen zu werden, verletzt worden (Spruchteil II.2.). Im übrigen wurde die Beschwerde der Zweitbeschwerdeführerin als verspätet zurückgewiesen (Spruchteil II.3.).

Die Abweisung der Beschwerde des Erstbeschwerdeführers wurde im wesentlichen damit begründet, daß die auf die Bestimmungen der StPO gestützte Festnahme dem Gesetz entsprochen habe. Was "das weitere Beschwerdevorbringen zum Grundrecht nach Art. 3 EMRK" im Verlauf der exekutiven Amtshandlungen am Einsatzort anlange, so hätten die behaupteten Mißhandlungen und Beschimpfungen aufgrund der widersprechenden Aussagen im Ermittlungsverfahren nicht als erwiesen angenommen werden können. "Verbale Entgleisungen" amtshandelnder Beamter seien im übrigen keine Akte unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt. Die Beschwerde des Erstbeschwerdeführers sei daher diesbezüglich zurückzuweisen gewesen. Die Abweisung der Beschwerde der Zweitbeschwerdeführerin wurde im wesentlichen damit begründet, daß die Festnahme dem Gesetz entsprochen habe, die behaupteten Mißhandlungen aufgrund des Ermittlungsverfahrens hingegen nicht als erwiesen angenommen werden könnten. Das Beschwerdevorbringen hinsichtlich der Anlegung von Handfesseln sei erst nach Ablauf der sechswöchigen Beschwerdefrist eingebracht worden.

Gegen diesen Bescheid erhoben die Beschwerdeführer zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof. Dieser lehnte mit Beschluß vom 29. September 1992, B 416/92, die Behandlung der Beschwerde ab und trat sie antragsgemäß dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab.

Mit hg. Beschluß vom 23. März 1994, Zl. 93/01/0003, wurde die Beschwerde zurückgewiesen. Dies im wesentlichen mit der Begründung, daß die Beschwerdeführer durch den angefochtenen Bescheid nur in den vor der belangten Behörde ausschließlich geltend gemachten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten hätten verletzt werden können, deren Verletzung allerdings - unter Ausschluß der Zuständigkeit des Verwaltungsgerichtshofes - der Verfassungsgerichtshof wahrzunehmen habe.

Dieser Beschluß wurde mit Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 29. Februar 1996, K I-8/94-12, aufgehoben und ausgesprochen, daß der Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung über die verfahrensgegenständliche Beschwerde zuständig sei, weil es sich um keine Angelegenheit handle, die nach Art. 133 Z. 1 B-VG (nur) in die Zuständigkeit des Verfassungsgerichtshofes gehöre. Daran ändere auch nichts, daß die Beschwerdeführer in ihrer Beschwerde an den unabhängigen Verwaltungssenat die Feststellung beantragt hätten, sie seien in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf persönliche Freiheit und auf Unterlassung einer erniedrigenden Behandlung verletzt worden. Nach der Vorschrift des § 67c (Abs. 2 Z. 5) AVG müßten Beschwerden an den unabhängigen Verwaltungssenat gemäß § 67a Abs. 1 Z. 2 AVG das Begehren enthalten, "den angefochtenen Verwaltungsakt für rechtswidrig zu erklären". Eine nähere Spezifizierung dieses Begehrens verlange das Gesetz aber nicht. Dem entspreche die Verpflichtung des Verwaltungssenates, den angefochtenen Verwaltungsakt für "rechtswidrig" zu erklären, wenn die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder als unbegründet abzuweisen sei (vgl. § 67c Abs. 4 erster Satz AVG). Die Anführung bestimmter verfassungsgesetzlicher (oder sonstiger) Normen, aus denen sich die Rechtswidrigkeit des bekämpften Verwaltungsaktes ergeben solle, enthebe weder den unabhängigen Verwaltungssenat der Verpflichtung zur umfassenden rechtlichen Prüfung des angefochtenen Aktes, noch beschränke sie das Recht der Partei, die über ihre Beschwerde nach § 67a Abs. 1 Z. 2 AVG ergehende Entscheidung des unabhängigen Verwaltungssenates gemäß Art. 144 Abs. 1 B-VG vor dem Verfassungsgerichtshof (wegen Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleister Rechte) oder gemäß Art. 130 Abs. 1 lit. a B-VG vor dem Verwaltungsgerichtshof (wegen Verletzung einfach gesetzlich verbürgter Rechte,

z. B. Verfahrensrechte) anzufechten. Aus der Art der Formulierung des vor dem unabhängigen Verwaltungssenat gestellten Antrages (nach § 67a Abs. 1 Z. 2 i.V.m. § 67c Abs. 2 Z. 5 AVG) für sich allein lasse sich daher keinesfalls herleiten, daß die Partei durch den später erlassenen angefochtenen Bescheid nicht in ihren Rechten verletzt worden sein könnte.

Der Verwaltungsgerichtshof hat - in Bindung an die Rechtsauffassung des Verfassungsgerichtshofes im dargestellten Kompetenzkonfliktserkenntnis (vgl. dazu den hg. Beschluß vom 31. März 1995, Zl. 95/17/0030) - erwogen:

Die Beschwerdeführer erachten sich durch den angefochtenen Bescheid "in dessen Punkten I.2. und 4. und II.1. und 2. gemäß §§ 175 ff StPO, 15, 269 Abs. 4 StGB, 35 Z. 1 VStG, 3 StGB, Art. 3 EMRK sowie infolge der Verletzung von Verfahrensvorschriften in ihren Rechten verletzt". Sie bringen hiezu im wesentlichen vor, daß ihre auf die StPO gestützte Festnahme rechtswidrig gewesen sei, weil die einschreitenden Beamten das Vorliegen der hiefür erforderlichen Voraussetzungen in vertretbarer Weise nicht hätten annehmen können. Die Auffassung der belangten Behörde, die Mißhandlungen der Beschwerdeführer könnten nicht als erwiesen angenommen werden, beruhe auf einer mangelhaften Beweiswürdigung.

Gemäß Art 129a Abs. 1 Z. 2 B-VG (§ 67a Abs. 1 Z. 2 AVG in der im Beschwerdefall anzuwendenden Fassung vor der Novelle BGBl. Nr. 471/1995) erkennen die unabhängigen Verwaltungssenate über Beschwerden von Personen, die behaupten, durch die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt in ihren Rechten verletzt zu sein, ausgenommen in Finanzstrafsachen des Bundes.

Gemäß § 67c Abs. 2 Z. 5 AVG hat die Beschwerde das Begehren zu enthalten, den angefochtenen Verwaltungsakt für rechtswidrig zu erklären. Gemäß § 67c Abs. 3 AVG ist der angefochtene Verwaltungsakt für rechtswidrig zu erklären, wenn die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder als unbegründet abzuweisen ist.

Der unabhängige Verwaltungssenat ist daher - ungeachtet eines auf die Feststellung der Verletzung bestimmter Rechte lautenden Begehrens - zur umfassenden rechtlichen Prüfung des angefochtenen Verwaltungsaktes verpflichtet. Demgegenüber hat die belangte Behörde über die ihr vorliegende Beschwerde

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entsprechend dem darin gestellten Begehren - jedoch ausschließlich unter dem Gesichtspunkt einer Verletzung der Beschwerdeführer im Recht auf persönliche Freiheit (Art. 1 ff des Bundesverfassungsgesetzes über den Schutz der persönlichen Freiheit, BGBl. Nr. 684/1988) und im Recht, keiner unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung unterworfen zu werden (Art. 3 EMRK), erkannt. Sie hat daher, indem sie statt die gebotene umfassende rechtliche Prüfung vorzunehmen, sich in Erledigung der Beschwerde gemäß § 67c Abs. 3 AVG darauf beschränkt hat, über die Verletzung der von den Beschwerdeführern geltend gemachten Rechte zu erkennen, die Rechtslage verkannt und damit den angefochtenen Bescheid mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes belastet. Dieser war daher

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ohne auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen - im angefochtenen Umfang gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994, insbesondere deren Art. III Abs. 2. Das Stempelgebühren betreffende Mehrbegehren war mangels Erforderlichkeit zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung abzuweisen.

Schlagworte

Offenbare Unzuständigkeit des VwGH Angelegenheiten die zur Zuständigkeit des VfGH gehören (B-VG Art133 Z1) Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte Rechtskraft Umfang der Rechtskraftwirkung Allgemein Bindung der Behörde

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1996:1996010286.X00

Im RIS seit

12.02.2002
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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