TE OGH 2020/6/25 9ObA19/20i

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Veröffentlicht am 25.06.2020
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr.

 Hopf als Vorsitzenden, die Hofrätin und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Fichtenau und Dr. Hargassner sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Dr. Werner Hallas (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Mag. Herbert Böhm (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Mag. D***** H*****, vertreten durch Dr. H. Burmann em – Dr. P. Wallnöfer – Mag. E. Suitner, Rechtsanwälte in Innsbruck, gegen die beklagte Partei Land *****, vertreten durch Dr. Markus Orgler, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen 13.318,99 EUR sA, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei, gegen das (mit Beschluss vom 20. April 2020 berichtigte) Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 14. Jänner 2020, GZ 15 Ra 64/19b-18, mit dem der Berufung der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Arbeits- und Sozialgericht vom 12. September 2019, GZ 65 Cga 96/18k-14, Folge gegeben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Das Berufungsurteil wird dahin abgeändert, dass das klagsabweisende Ersturteil wiederhergestellt wird.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 1.413,12 EUR (darin 235,52 EUR USt) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens sowie die mit 2.448,90 EUR (darin 169,65 EUR USt und 1.431 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der 1989 geborene Kläger bewarb sich nach seinem im Sommer 2014 beendeten Studium der Rechtswissenschaften, dem siebenmonatigen Gerichtspraktikum und einem einjährigen Verwaltungspraktikum auf eine Praktikantenstelle in der Rechtsabteilung der T***** GmbH, der Betreibergesellschaft aller Landeskrankenhäuser der Beklagten. Nach einem Vorstellungsgespräch, in dem dem Kläger mitgeteilt wurde, dass eine Übernahme nach einem 12 Monate dauernden Praktikum möglich wäre, schloss er mit dem beklagten Land für die Zeit von 1. 6. 2016 bis 31. 5. 2017 einen befristeten „PraktikantInnenvertrag nach freier Vereinbarung (§§ 1153 ff ABGB)“. Danach war er – bis zur einvernehmlichen Auflösung des Dienstverhältnisses am 31. 12. 2016 – mit 40 Stunden pro Woche und einem Monatsgehalt von 1.679,70 EUR brutto als Praktikant in der Rechtsabteilung der T***** GmbH beschäftigt. In diesem Vertrag ist unter anderem festgehalten, dass der Kläger als Ferialpraktikant versichert ist und auf dieses Ausbildungsverhältnis bestimmte (im Vertrag genannte) Bestimmungen des Landesbedienstetengesetzes des Landes ***** Anwendung finden. Der Kläger verpflichtete sich im Vertrag, die ihm im Rahmen der Zielsetzung des Praktikums aufgetragenen, der Ausbildung dienenden Arbeiten gewissenhaft durchzuführen und die vorgegebene Arbeitszeit einzuhalten.

Als Praktikanten werden von der T***** GmbH Personen mit abgeschlossenem Studium der Rechtswissenschaften auf ein Jahr befristet aufgenommen, um zum einen den Praktikanten einen praxisorientierten Einblick in die speziellen rechtlichen Belange ihres Unternehmens zu ermöglichen und zum anderen, um die dort dauerhaft als Vertragsbedienstete angestellten Juristen bei ihrer Arbeit zu unterstützen und diesen zuzuarbeiten. Dabei wird darauf geachtet, dass die Praktikanten Einblick in möglichst viele verschiedene Bereiche erhalten.

Der Kläger erhielt seine Arbeitsanweisungen hauptsächlich vom Leiter der Rechtsabteilung, wobei dieser unter besonderer Berücksichtigung der Ausbildungskomponente des Praktikantenverhältnisses darauf Bedacht nahm, dass der Kläger Einblick in unterschiedliche Bereiche erhielt. Eine der wesentlichen Aufgaben des Klägers bestand darin, bislang auf einem gemeinsamen Laufwerk als PDF-Dateien abgelegte Dokumente von Akten den jeweils zugehörigen elektronischen Akten in der Rechtsabteilung in der EDV-Anwendung zuzuordnen. Darüber hinaus aktualisierte der Kläger Prozessbeschreibungen in der Rechtsabteilung und konzipierte neue Beschreibungsentwürfe. Zur Entlastung der übrigen in der Rechtsabteilung tätigen Juristen leistete er auch Support bei auftretenden EDV-Anwenderproblemen. Über diese administrativen Tätigkeiten hinaus, löste der Kläger unter anderem anlassbezogene Rechtsfragen, betrieb Literatur- und Judikaturrecherche, prüfte Gesetzes- und Verordnungsentwürfe, bearbeitete Verträge (unter anderem Arzneimittelverträge), erstellte Protokolle und Erledigungsentwürfe und koordinierte teilweise die Arbeit von Ferialpraktikanten. Alle Tätigkeiten des Klägers dienten hauptsächlich der Unterstützung und als Zuarbeit für die in der Rechtsabteilung tätigen Juristen. Der Aufwand des Leiters der Rechtsabteilung für die Besprechung, Überprüfung und Korrektur der vom Kläger verfassten Erledigungsentwürfen dauerte länger, als bei den fix angestellten Juristen, weil sich der Kläger erst in allen Bereichen neu einarbeiten musste.

Der Kläger begehrt von der Beklagten 13.318,99 EUR brutto sA als Entgeltdifferenz zwischen dem vereinbarten und bezogenen Entgelt und jenem, das einem fix angestellten Juristen aufgrund der „Modellstellen.Verordnung allgemeine Verwaltung (2016)“ der Beklagten zustand. Seine Tätigkeit habe der eines angestellten Juristen und nicht der eines bloßen Praktikanten entsprochen. Mit dem Praktikantenverhältnis sei kein Ausbildungszweck verfolgt worden. Auch seine Verpflichtung zur Einhaltung der ihm vorgegebenen Arbeitszeiten spreche für ein „ganz normales“ Dienstverhältnis. Richtig sei zwar, dass Praktikanten gemäß § 1 Abs 2 lit h LBedG von der Geltung dieses Gesetzes ausgenommen seien, aufgrund seiner konkret verrichteten Tätigkeiten liege aber ein Fall einer sittenwidrigen krassen Unterentlohnung („Lohnwucher“) vor.

Die Beklagte bestritt und beantragte Klagsabweisung. Der Kläger sei zwar als Praktikant in einem privatrechtlichen Dienstverhältnis zur Beklagten gestanden, aber von der Geltung des LBedG ausgenommen gewesen. Eine sittenwidrige Unterentlohnung des Klägers sei nicht vorgelegen.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Praktikanten seien von der Geltung des LBedG ausgenommen. Die Entgeltvereinbarung sei nicht sittenwidrig. Die vom Kläger ausgeübte Tätigkeit habe eine typische Praktikantentätigkeit dargestellt, die eine nicht unmaßgebliche Übungs- und Lehrkomponente und eine geringere Verantwortung im Vergleich zu den angestellten Juristen in der Rechtsabteilung der T***** GmbH beinhaltet habe.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers Folge und änderte das Ersturteil im Sinne einer gänzlichen Klagsstattgabe ab. Ein Praktikantenverhältnis sei grundsätzlich vom Ausbildungszweck bestimmt. Die Bestimmungsfreiheit des Praktikanten gegenüber dem Betriebsinhaber sei – wie in einem Volontariat – nicht weitgehend ausgeschaltet, sondern nur beschränkt, sodass der Praktikant Arbeiten, die nicht dem Ausbildungszweck dienten, nur in einem zeitlich zu vernachlässigendem Ausmaß verrichten müsse und ihm regelmäßig größere Freiheiten bei der zeitlichen Ausgestaltung seiner Anwesenheit im Betrieb eingeräumt seien. Er könne auch sanktionslos diverse Tätigkeiten ablehnen. Da bei der Tätigkeit des Klägers der Ausbildungszweck nicht im Vordergrund gestanden sei, sei seine Beschäftigung nicht als „Praktikum“ einzustufen. Unter Anwendung der lohnrechtlichen Regelungen des ***** Landesbedienstetengesetzes bestehe der Klagsanspruch zu Recht.

Gegen die Berufungsentscheidung richtet sich die außerordentliche Revision der Beklagten wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung im Sinne einer Wiederherstellung des klagsabweisenden Ersturteils abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Der Kläger beantragt in seiner vom Senat freigestellten Revisionsbeantwortung, die Revision der Beklagten mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.

Die Revision ist zulässig und berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

1. Der Geltungsbereich des Gesetzes über das Dienstrecht der Bediensteten des Landes ***** (Landesbedienstetengesetz – LBedG) umfasst nach dessen § 1 Abs 1 Satz 1 alle Landesbediensteten, soweit in § 1 Abs 2 nichts anderes bestimmt ist (LBedG). Landesbedienstete sind Bedienstete, die a) in einem privatrechtlichen Dienstverhältnis (Vertragsbedienstete) oder b) in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis (öffentlich-rechtlich Bedienstete) zum Land ***** stehen. Dieses Gesetz gilt unter anderem nicht für Lehrlinge und Praktikanten (§ 1 Abs 2 lit h LBedG).

2. Die vom Berufungsgericht für seine Entscheidung herangezogenen Kriterien der Rechtsprechung zur Unterscheidung zwischen einem Volontariat (bzw einem Ferialpraktikum) als ein nicht als Arbeitsverhältnis zu wertendes Ausbildungsverhältnis und einem echten Arbeitsverhältnis (vgl RS0074214; RS0029510) sind hier nicht unmittelbar einschlägig, wird doch im vorliegenden Fall von der Beklagten gar nicht bestritten, dass zwischen den Parteien nach § 1 Abs 1 lit a LBedG ein privatrechtliches Dienstverhältnis iSd § 1151 ABGB (jedoch als Praktikant iSd § 1 Abs 2 lit h LBedG) vorliegt (vgl anders etwa § 36a Abs 1 Satz 2 VBG 1948). Praktika können eben entweder in Form eines (idR befristeten) Arbeitsverhältnisses, auf das alle arbeitsrechtlichen Vorschriften anzuwenden sind, oder als bloßes Ausbildungsverhältnis eingegangen werden, das nicht dem Arbeitsrecht unterliegt (Przeszlowska, Praktikum: Ausbildungs- oder Arbeitsverhältnis? Abgrenzungskriterien im Lichte der Rechtsprechung, ZAS 2015/10 Pkt A.).

3. Strittig ist lediglich die Frage, ob der Kläger bei der Beklagten tatsächlich im Rahmen seines privatrechtlichen Dienstverhältnisses als Praktikant iSd § 1 Abs 2 lit h LBedG beschäftigt wurde und damit vom Geltungsbereich des LBedG ausgenommen ist. Eine Definition der Praktikanten ist im LBedG nicht enthalten. Allgemein stellt – so auch die Revisionsbeantwortung – der Begriff des Praktikums auf eine Ausbildung ab, sodass in einem derartigen Dienstverhältnis der Lern- und Ausbildungszweck im Vordergrund steht. Dies war nach den Feststellungen auch beim Kläger der Fall. Der Kläger wurde von seinem Vorgesetzten unter besonderer Berücksichtigung der Ausbildungskomponente des Praktikantenverhältnisses in möglichst verschiedenen Bereichen der Rechtsabteilung eingesetzt und mit den verschiedensten (nicht nur rein juristischen) Arbeiten betraut. Dem Kläger sollte dadurch ein praxisorientierter Einblick in die unterschiedlichen speziellen rechtlichen Belange des Unternehmens gewährt werden. Die Verpflichtung des Klägers, die ihm im Rahmen der Zielsetzung des Praktikums aufgetragenen, der Ausbildung dienenden Arbeiten gewissenhaft durchzuführen und die vorgegebene Arbeitszeit einzuhalten, schließt seine vertragliche und tatsächlich auch verrichtete Tätigkeit als Praktikant iSd § 1 Abs 2 lit h LBedG nicht aus, sondern ist grundsätzlich jedem (echten) Dienstverhältnis nach § 1151 ABGB immanent. Die Erstellung von Erledigungsentwürfen durch den Kläger zur Unterstützung der in der Abteilung tätigen Juristen ist für ein Praktikantenverhältnis nichts Ungewöhnliches. Ähnlich gestaltet sich auch die Ausbildung der bei Gericht tätigen Rechtspraktikanten (§ 6 Abs 1 RPG). Der konkrete Erfolg der Tätigkeit eines Praktikanten iSd § 1 Abs 2 lit h LBedG im Einzelfall ist für die rechtliche Qualifikation des jeweils vorliegenden Vertragsverhältnisses nicht auschlaggebend.

4. Wenn – wie auch im vorliegenden Fall – keine besondere lohngestaltende Vorschrift zur Anwendung kommt, ist nahezu jede Entgeltvereinbarung gültig. Die Grenze bildet lediglich die Sittenwidrigkeit zufolge Lohnwuchers gemäß § 879 ABGB (RS0016668 [T1]). Lohnwucher wird von der Rechtsprechung bei „Schuld- und Hungerlöhnen“ angenommen, deren Höhe in auffallendem Missverhältnis zum Wert der Leistung des Dienstnehmers steht, wenn ihre Vereinbarung durch Ausbeutung des Leichtsinns, einer Zwangslage, der Unerfahrenheit oder der Verstandesschwäche des Dienstnehmers zustande gekommen ist (8 ObA 63/18z Pkt 2. = DRdA 2019/43 [Dullinger]; RS0016702). Davon kann aber, wie das Erstgericht zutreffend ausgeführt hat, beim vereinbarten monatlichen Bruttoentgelt des Klägers in Höhe von 1.679,70 EUR keine Rede sein (vgl den Ausbildungsbeitrag eines Rechtspraktikanten nach § 17 Abs 1 RPG). Gegenteilige Aspekte stellt auch die Revisionsbeantwortung nicht dar.

5. Die Ausführungen des Klägers in seiner Revisionsbeantwortung zum arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz verstoßen gegen das Neuerungsverbot des § 504 Abs 1 ZPO. Im erstinstanzlichen Verfahren hat sich der Kläger weder darauf gestützt noch ein Tatsachenvorbringen dazu erstattet.

Der Revision der Beklagten ist daher Folge zu geben und das klagsabweisende Ersturteil wiederherzustellen.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.

Textnummer

E128871

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2020:009OBA00019.20I.0625.000

Im RIS seit

21.08.2020

Zuletzt aktualisiert am

17.06.2021
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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