TE OGH 2020/6/25 9Ob14/20d

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Veröffentlicht am 25.06.2020
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden, die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Fichtenau, Dr. Hargassner, Mag. Korn und Dr. Stefula als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. G*****, 2. L*****, beide vertreten durch Pallas Hofmann Rechtsanwälte Partnerschaft in Wien, gegen die beklagte Partei K*****, vertreten durch Mag. Otto Stadler, Rechtsanwalt in Mistelbach, wegen Feststellung (Streitwert: 2.800 EUR), Beseitigung (Streitwert: 2.800 EUR) und Unterlassung (Streitwert: 1.000 EUR), über die Revision der klagenden Parteien gegen das Urteil des Landesgerichts Korneuburg als Berufungsgericht vom 13. September 2019, GZ 21 R 220/19d-35, mit dem der Berufung der klagenden Parteien gegen das Urteil des Bezirksgerichts Gänserndorf vom 10. April 2019, GZ 10 C 828/17s-30, nicht Folge gegeben wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Text

Begründung:

Die Kläger sind Eigentümer einer Liegenschaft in K*****. Der Beklagte ist Eigentümer einer nur durch Gemeindegrund ca 25 m entfernten Liegenschaft.

Die Liegenschaften befinden sich auf dem K***** Kellerberg, einer verstreuten Ansammlung von Presshäusern, die jeweils die gesamte Grundstücksfläche einnehmen. Dazwischen befinden sich Wiesen und kleine befahrbare Wege, die im Eigentum der Gemeinde stehen. Von den Presshäusern ausgehend verlaufen unterirdisch zahlreiche Kellerröhren, teilweise auch in mehreren Etagen über- bzw untereinander. Diese Keller befinden sich nicht nur unter dem Grund des jeweiligen Presshauseigentümers, sondern auch unter fremdem Grund. Sämtliche unterirdische Kellerröhren bestehen in ihrer heutigen Ausgestaltung seit mehr als 70 Jahren. Es wurden entweder nie Baubewilligungen erteilt oder gingen die Unterlagen im Zuge einer Gemeindezusammenlegung verloren. Die Kellerröhren verfügen zu ihrer Belüftung über an die Erdoberfläche reichende Dampfröhren, wobei es oberirdisch nicht möglich ist, die Dampfröhren einer bestimmten Kelleranlage zuzuordnen.

Unter dem Presshaus der Kläger befindet sich eine Kellerröhre, die nur vom Presshaus des Beklagten aus begangen werden kann. Diese Kellerröhre hat drei an die Erdoberfläche führende Dampfröhren. Darunter ist eine weitere Kellerröhre vorhanden, die nur von einem anderen Presshaus aus zu begehen ist.

Den Klägern war bei Ankauf der Liegenschaft 2011 bekannt, dass die von ihrem Presshaus ausgehenden Kellerröhren unter fremden Grund führen. Auf weitere, unter dem besichtigten Presshaus verlaufende Kellerröhren wurden sie von niemandem hingewiesen. Ihnen fielen im Rahmen der Besichtigung die rund um das Kaufobjekt situierten Dampfröhrenabdeckungen auf, darunter zwei, die zum Keller des Beklagten gehören. Sie wussten, dass diese der Belüftung von Kellern dienen. Dessen ungeachtet gingen sie davon aus, dass eine hier allenfalls unterirdisch verlaufende Kellerröhre vor dem Beginn ihres Grundstücks enden würde. Mitte 2012 erfuhren sie vom Bestand der unterirdischen Kellerröhre.

Die Kläger begehren die Feststellung, dass der Beklagte bzw allfällige Nachfolger im Eigentum an seiner Liegenschaft nicht berechtigt seien, sich die Dienstbarkeit der Duldung eines Kellers unter dem Grundstück der Kläger anzumaßen und/oder das Eigentum der Kläger zu stören, indem ein Keller unter deren Grund errichtet, erhalten, erweitert oder auf welche Weise immer genutzt wird; dass der Beklagte verpflichtet werde, den Keller im Bereich ihres Grundstücks vollständig zu verfüllen und das Füllmaterial so zu verdichten, dass die Standfestigkeit des darüber gelegenen Grundes und Bauwerks gegeben sei, und dem Eigentumsrecht der Kläger widersprechende Baumaßnahmen zu entfernen; sowie dass der Beklagte verpflichtet sei, weitere derartige Störungen zu unterlassen. Es bestehe keine Dienstbarkeit der Duldung des Kellers unter ihrem Grundstück. Sie hätten die Liegenschaft lastenfrei erworben. Ihrer Nachforschungspflicht seien sie ausreichend nachgekommen.

Der Beklagte bestritt.

Das Erstgericht wies alle Klagebegehren ab. Der Beklagte hätte das Recht auf Bestand eines Kellers unter fremdem Grund ersessen. Da eine offenkundige Servitut vorliege, hätten weder die Kläger noch ihr Rechtsvorgänger lastenfrei erworben.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Kläger nicht Folge.

Die Revision wurde vom Berufungsgericht nachträglich zugelassen, weil zur Frage, ob „im Hinblick auf den festgestellten Sachverhalt“ von einem den zwingenden Bestimmungen des öffentlichen Rechts widersprechenden Dienstbarkeitsrecht und einem rechtlich unmöglichen, eine Ersitzung ausschließenden Sachgebrauch auszugehen sei, eine höchstgerichtliche Rechtsprechung nicht vorliege.

Gegen die Entscheidung des Berufungsgerichts richtet sich die Revision der Kläger mit dem Antrag, die Entscheidungen der Vorinstanzen dahingehend abzuändern, dass der Klage stattgegeben wird.

Der Beklagte beteiligte sich nicht am Revisionsverfahren.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts (§ 508a Abs 1 ZPO) mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig.

1. Die Kläger machen geltend, dass ein rechtlich unmöglicher Sachgebrauch kein ersitzungsfähiger Gegenstand iSd § 1460 ABGB sei. Die Nutzung der Kellerröhre ohne Baubewilligung und Fertigstellungsanzeige widerspreche der NÖ BO 2014 und stelle einen solchen rechtlich unmöglichen Sachgebrauch dar. Jedenfalls fehle dazu oberstgerichtliche Rechtsprechung.

Richtig ist, dass ein Recht nur dann durch Ersitzung erworben werden kann, wenn nicht Sondervorschriften die Ersitzung ausschließen. Das in einem gesetzlichen Verbot der Nutzungsausübung liegende Ersitzungshindernis wird im Wesentlichen damit begründet, dass ein zwingenden Bestimmungen des öffentlichen Rechts widersprechender und damit rechtlich unmöglicher Sachgebrauch kein ersitzungsfähiger Gegenstand iSd § 1460 ABGB sein kann (9 Ob 52/13g; RS0113071).

Die Frage, ob eine fehlende Benutzungsbewilligung eine Ersitzung hindern kann, muss im vorliegenden Fall aber nicht beantwortet werden. Die Kläger übergehen, dass gerade nicht festgestellt werden konnte, ob eine Baubewilligung besteht oder die diesbezüglichen Unterlagen nicht nur verloren gegangen sind. Rechtshemmende oder rechtsvernichtende Tatsachen sind aber vom Gegner des Ersitzungsbesitzers zu behaupten und zu beweisen (RS0034237 [T3]). Die Negativfeststellung geht daher zu Lasten der Kläger.

2. Ein aus der Ersitzung oder Verjährung erworbenes Recht kann demjenigen, der im Vertrauen auf die öffentlichen Bücher noch vor der Einverleibung desselben eine Sache oder ein Recht an sich gebracht hat, nicht zum Nachteil gereichen (§ 1500 ABGB). Dem gutgläubigen Erwerber kann somit der außerbücherliche Erwerb einer Dienstbarkeit nicht erfolgreich entgegengehalten werden. Der Grundsatz des Vertrauens auf das öffentliche Buch gilt aber nicht uneingeschränkt. Die Berufung auf die Gutgläubigkeit ist nur möglich, wenn keine Umstände vorliegen, die bei gehöriger Aufmerksamkeit den wahren, vom Grundbuchstand abweichenden Sachverhalt erkennen lassen. Daher ist Gutgläubigkeit bei Offenkundigkeit der Dienstbarkeit zu verneinen.

3. Für den Begriff der offenkundigen Dienstbarkeit ist es wesentlich, ob man vom dienenden Grundstück aus bei einiger Aufmerksamkeit Einrichtungen oder Vorgänge wahrnehmen kann, die das Bestehen einer Dienstbarkeit vermuten lassen (RS0011633).

Soweit sich danach aus den besonderen Umständen Bedenken gegen die Vollständigkeit des Grundbuchstandes ergeben, müssen auch Nachforschungen vorgenommen werden. Der Umfang der Sorgfaltspflicht bestimmt sich nach der Verkehrsübung. Es genügt leichte Fahrlässigkeit (RS0011676 [T9, T17]). In Übereinstimmung mit der Redlichkeitsvermutung des § 328 ABGB liegt die Beweislast für die Schlechtgläubigkeit des Erwerbers bei demjenigen, der außerbücherlich erworben hat, insbesondere daher für Wissen oder Wissenmüssen von der vom Grundbuchstand abweichenden Rechtslage oder für die Offenkundigkeit einer Dienstbarkeit. Ist dem außerbücherlich Berechtigten allerdings der Nachweis einer unklaren Situation, die einen Anlass für Nachforschungen darstellt, gelungen, so trifft die Beweislast für die Durchführung der Recherchen und ihr Ergebnis den, der im Vertrauen auf den Grundbuchstand erworben haben will.

4. Die Kläger haben wie schon ihr unmittelbarer Rechtsvorgänger eine Liegenschaft mit einem Presshaus erworben, von dem Kellerröhren über die Grundstücksgrenze hinausführen. In der näheren Umgebung befindet sich eine Vielzahl weiterer Presshäuser, von denen anzunehmen war, dass sie vergleichbar angelegt sind. Um das Presshaus sind Dampfröhren zu sehen, die, wie auch den Klägern bekannt war, der Belüftung der Kellerröhren dienen.

Die Rechtsauffassung der Vorinstanzen, dass aufgrund dieser Gesamtsituation Bedenken gegen die Vollständigkeit des Grundbuchstands bestehen mussten und von einer Nachforschungspflicht der Kläger auszugehen ist, hält sich im Rahmen des gesetzlich eingeräumten Ermessensspielraums.

Darauf, dass den Klägern zum Zeitpunkt des Erwerbs der Liegenschaft der Kellerplan nicht bekannt war, kommt es in diesem Zusammenhang nicht an.

5. Die Revision des Klägers ist daher mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO zurückzuweisen. Einer weiteren Begründung bedarf diese Entscheidung nicht.

6. Die Kläger haben die Kosten ihrer Revision selbst zu tragen.

Textnummer

E128873

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2020:0090OB00014.20D.0625.000

Im RIS seit

21.08.2020

Zuletzt aktualisiert am

18.03.2021
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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