TE OGH 2020/6/24 1Ob107/20x

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Veröffentlicht am 24.06.2020
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Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Univ.-Prof. Dr. Bydlinski als Vorsitzenden sowie die Hofräte Univ.-Prof. Dr. Kodek, Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger und Dr. Parzmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Mag. arch. H***** L*****, vertreten durch die Berger Daichendt Grobovschek Rechtsanwälte OG, Salzburg, gegen die beklagte Partei O***** GmbH, *****, vertreten durch Prof. Haslinger & Partner, Rechtsanwälte in Linz, wegen 175.294 EUR s.A. und Feststellung, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei, gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 20. April 2020, GZ 2 R 44/20h-51, mit dem das Urteil des Landesgerichts Linz vom 21. Oktober 2019, GZ 1 Cg 60/18s-43, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

1.1. Die ärztliche Aufklärung soll den Patienten in die Lage versetzen, die Tragweite seiner Erklärung zu überschauen (RIS-Justiz RS0026413). Sie hat ihm die für seine Entscheidung maßgebenden Kriterien zu liefern (RS0026413 [T3]). Stehen mehrere diagnostisch oder therapeutisch adäquate Verfahren zur Verfügung, sodass der Patient eine echte Wahlmöglichkeit hat, so muss der Arzt den Patienten über die zur Wahl stehenden Alternativverfahren informieren und das Für und Wider (insbesondere verschiedene Risken, verschieden starke Intensität der Eingriffe, differierende Folgen, Schmerzbelastungen und unterschiedliche Erfolgsaussichten) mit dem Patienten abwägen (RS0026426 [T1, T12]). Die ärztliche Aufklärung hat grundsätzlich so rechtzeitig zu erfolgen, dass dem Patienten eine angemessene Überlegungsfrist offenbleibt (RS0118651).

1.2. Sowohl der Umfang der ärztlichen Aufklärungspflicht (RS0026529) als auch die Dauer einer dem Patienten nach Aufklärung durch den Arzt einzuräumenden Überlegungsfrist (RS0118651 [T1]; RS0026529 [T22]) hängen von den Umständen des Einzelfalls ab und sind daher – von Fällen einer vom Obersten Gerichtshof aufzugreifenden Fehlbeurteilung abgesehen – nicht revisibel (RS0026529 [T31]).

2.1 Thema des Revisionsverfahrens ist ausschließlich, ob die dem Kläger bis zur Operation vom 12. 6. 2014 eingeräumte Überlegungsfrist angesichts der am Vortag erfolgten Aufklärung und der Schwere des Eingriffs (einer radikalen Prostataektomie) ausreichend im Sinn der dargestellten Grundsätze war. Das Berufungsgericht bejahte diese Frage, weil der Kläger nach seiner stationären Aufnahme am Vormittag des 11. 6. 2014 mehrfach intensiv fachlich und objektiv in jede Richtung beraten und ihm für den Fall, dass er den eigentlich zur Vornahme eines anderen Eingriffs geplanten Termin nicht für die wegen des kurz davor befundeten Karzinoms erforderliche Operation nutzen wollte, ein Ersatztermin rund einen Monat später angeboten worden war. Dem hält der Kläger entgegen, dass er sich am 11. 6. 2014 nicht wegen der Krebsdiagnose ins Krankenhaus der Beklagten begeben habe und erst um 16:00 Uhr über die am nächsten Morgen geplante Operation aufgeklärt worden sei.

2.2 Der Kläger übergeht in seiner Argumentation wesentliche Teile der Feststellungen. Es trifft zwar zu, dass der Operationstermin vom 12. 6. 2014 ursprünglich nicht für die operative Behandlung des Prostatakarzinoms vorgesehen war. Über die Möglichkeit einer Krebsdiagnose war er sich jedoch schon im Vorfeld im Klaren. Nachdem sich diese bestätigt hatte, wurde er aber bereits am Vormittag des 11. 6. 2014 über die geänderte Situation und die radikale Prostataektomie als medizinisch sinnvollste Alternative aufgeklärt und in mehreren Gesprächen von verschiedenen Ärzten zur Frage, ob und wann er sich diesem Eingriff unterziehen soll, beraten. Dabei wurde ihm mehrmals ein Alternativtermin für diese Operation angeboten. Die Entscheidung, am 12. 6. 2014 den ursprünglich geplanten Eingriff oder die Prostataektomie durchzuführen, stand ihm nach den Feststellungen jederzeit frei. Er schlug das Angebot eines Alternativtermins aus und entschied sich für den letztlich durchgeführten Eingriff, weswegen mit ihm um 16:00 Uhr das von ihm erwähnte präoperative Aufklärungsgespräch geführt wurde. Ausgehend von dieser Sachlage ist die Beurteilung des Berufungsgerichts, dass zwischen der am Vortag der Operation erfolgten Aufklärung und der Vornahme der Operation eine angemessene Überlegungszeit zur Verfügung stand, entgegen der Ansicht des Klägers aber keineswegs korrekturbedürftig.

3. Mit dem zu 1 Ob 252/15p entschiedenen Sachverhalt ist der vorliegende Fall nicht vergleichbar. Es trifft zwar zu, dass der Oberste Gerichtshof in dieser Entscheidung die Beurteilung, dass bei einer Aufklärung am Nachmittag des Vortags der Operation dem dortigen Patienten keine ausreichende Überlegungsfrist verblieb, unter Hinweis auf die mangelnde Dringlichkeit der Operation und die Schwere des Eingriffs nicht beanstandete. Es handelte sich aber um einen Eingriff an der Hüfte, der mit der hier erfolgten Operation nicht gleichgesetzt werden kann, bei deren Unterbleiben einige Jahre später der Tod eingetreten wäre. Auch wurde dem Kläger im vorliegenden Fall mehrfach ein Alternativtermin angeboten, wobei er zwischen den Gesprächen jeweils einige Stunden Zeit hatte, um darüber nachzudenken, ob er von der Prostataoperation (vorerst) absehen will. Seine Einwilligung in die Operation erfolgte daher im Bewusstsein, dass er den Eingriff auch zu einem späteren Zeitpunkt vornehmen lassen hätte können. Welche Entscheidung er bei einer längeren Überlegungsfrist getroffen hätte, legt er in der Revision nicht dar. Dafür, dass er überhaupt Abstand von der Operation genommen hätte, bietet sein Rechtsmittel keinen Anhaltspunkt. Aus medizinischer Sicht war dieser Eingriff die beste Wahl, wobei nach den Feststellungen die Folgen einer später durchgeführten Operation dieselben gewesen wären.

4. Einer weiteren Begründung bedarf dieser Beschluss nicht (§ 510 Abs 3 ZPO).

Textnummer

E128731

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2020:0010OB00107.20X.0624.000

Im RIS seit

04.08.2020

Zuletzt aktualisiert am

14.12.2020
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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