TE Vwgh Erkenntnis 2020/7/13 Ra 2019/02/0028

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Veröffentlicht am 13.07.2020
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof
40/01 Verwaltungsverfahren
90/01 Straßenverkehrsordnung

Norm

StVO 1960 §19 Abs1
StVO 1960 §19 Abs2
StVO 1960 §19 Abs3
StVO 1960 §19 Abs4
StVO 1960 §19 Abs5
StVO 1960 §19 Abs6
StVO 1960 §19 Abs7
VStG §44a Z1
VwGG §42 Abs2 Z1
VwGVG 2014 §50

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer, den Hofrat Mag. Straßegger sowie die Hofrätin Dr. Koprivnikar als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Friedwagner, über die Revision des K in R, vertreten durch Mag. Johannes Polt, Rechtsanwalt in 3580 Horn, Prager Straße 5/1/11, gegen das am 5. November 2018 mündlich verkündete und am 22. November 2018 schriftlich ausgefertigte Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Niederösterreich, LVwG-S-2106/001-2018, betreffend Übertretung der StVO (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bezirkshauptmannschaft Horn), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Das Land Niederösterreich hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1        Mit Straferkenntnis vom 27. August 2018 legte die Bezirkshauptmannschaft Horn dem Revisionswerber als Fahrzeuglenker zur Last, er habe als Wartepflichtiger am 23. März 2017 um 17:09 Uhr im Gemeindegebiet Horn unter Nichtbeachtung des Vorschriftszeichens „Halt“, einen Vorrangberechtigten zum unvermittelten Ablenken seines Fahrzeuges genötigt. Er habe das Vorschriftszeichen „Halt“ überfahren und es sei zu einer seitlichen Kollision mit einem Postbus gekommen. Der Revisionswerber habe dadurch § 19 Abs. 4 und 7 und § 99 Abs. 2c Z 5 StVO verletzt, weshalb über ihn gemäß § 99 Abs. 2c StVO eine Geldstrafe von € 110,- (Ersatzfreiheitsstrafe 41 Stunden) verhängt wurde.

2        In der dagegen erhobenen Beschwerde führte der Revisionswerber zusammengefasst aus, dass ihm die angelastete Tat gemäß der Tatbeschreibung weder in objektiver noch in subjektiver Hinsicht vorgeworfen werden könne. Im Rahmen des am Bezirksgericht Horn anhängig gewesenen Zivilverfahrens, sei der Unfallhergang durch einen technischen Sachverständigen rekonstruiert worden. Das Bezirksgericht sei davon ausgegangen, dass der Revisionswerber an der Haltelinie stehen geblieben sei. Der Postbuslenker habe vor dem Zusammenstoß den Revisionswerber nicht wahrgenommen und sei mit überhöhter Geschwindigkeit gefahren. Dem Revisionswerber könne daher nicht vorgeworfen werden, dass dieser den Postbuslenker vor der Kollision zum unvermittelten Ablenken seines Fahrzeuges genötigt habe.

3        Mit angefochtenem Erkenntnis wies das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung die Beschwerde ab und sprach aus, dass dagegen die ordentliche Revision nicht zulässig sei.

4        Das Verwaltungsgericht führte im angefochtenen Erkenntnis unter dem Punkt „Wesentlicher Sachverhalt:“ aus, dass der Revisionswerber am 23. März 2017 um 17:09 Uhr einen PKW im Ortsgebiet von Horn gelenkt habe. Im Kreuzungsbereich „Ferdinand Kurz Gasse“ sei es zu einer Kollision mit einem von rechts kommenden Postbus gekommen. Der Revisionswerber habe das Vorschriftszeichen „Halt“ zu beachten gehabt. In der „Ferdinand Kurz Gasse“ sei bis zum Kreuzungsbereich eine höchstzulässige Geschwindigkeit von 30 km/h erlaubt gewesen. Der Postbus sei mit einer Geschwindigkeit von 40 km/h gelenkt worden. Dies seien die Feststellungen im (zivilgerichtlichen) Urteil des Bezirksgerichtes Horn vom 28. Juni 2018.

5        Im Abschnitt „Beweiswürdigung und rechtliche Beurteilung:“ führte das Verwaltungsgericht aus, es sei unbestritten, dass der Revisionswerber den PKW gelenkt und vor der Kreuzung kurz angehalten habe. Beim Versuch, die Kreuzung in gerader Richtung zu übersetzen, sei er gegen die linke Vorderseite des von rechts kommenden Postbusses gestoßen.

6        Zwischen der Wiedergabe von Rechtssätzen des Verwaltungsgerichtshofes zum Tatbild des § 19 Abs. 7 StVO wird im angefochtenen Erkenntnis dargetan, dass nach den Ausführungen des Sachverständigen im zivilgerichtlichen Verfahren der Revisionswerber nach dem Anhalten beim Gebotszeichen „Halt“ durch einen Aufmerksamkeitsfehler den von rechts kommenden Bus übersehen habe, der sich noch rund 25,5 m vor der Kollisionsposition befunden habe. Dabei sei auch zu berücksichtigen gewesen, dass die in der besagten Gasse geparkten Fahrzeuge nicht annähernd die Größe eines herannahenden Busses erreichen würden, zumal es sich überwiegend um Personenkraftwagen gehandelt habe. Der Revisionswerber habe demnach die nötige Aufmerksamkeit außer Acht gelassen, zu der er nach den Bestimmungen des § 19 StVO verpflichtet gewesen sei. Diese Rechtsverletzung sei als erwiesen anzunehmen, zumal der Revisionswerber den vorrangberechtigten Buslenker nicht nur zum Abbremsen genötigt habe, sondern es auch tatsächlich im Kreuzungsbereich zu einer Kollision gekommen sei. Der Buslenker habe durch eine entsprechende Lenkbewegung das Fahrzeug auf der Fahrbahn in seiner Fahrtrichtung halten können. Es sei unbestritten, dass der Revisionswerber im Kreuzungsbereich, den Vorrang eines vorrangberechtigten Verkehrsteilnehmers verletzt habe. Die Vorrangbestimmungen des § 19 würden zu den wesentlichen Bestimmungen der StVO gehören. Zur Schuldfrage führte das Verwaltungsgericht zudem aus, dass es nicht nur zu einem Formaldelikt gekommen sei (Missachtung des Vorschriftszeichens „Halt“ ohne Vorrangverletzung), sondern sei vielmehr ein anderer Verkehrsteilnehmer zum Bremsen und Ablenken genötigt worden.

7        Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision mit dem Antrag, das angefochtene Erkenntnis wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

8        Die belangte Behörde erstattete eine Revisionsbeantwortung, in der sie die Zurückweisung, allenfalls die Abweisung der Revision sowie den Zuspruch von Schriftsatzaufwand beantragte.

9        Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

10       In der Revision wird zur Zulässigkeit im Wesentlichen eine Abweichung von näher genannter Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zum Bestimmtheitsgebot gemäß § 44a Z 1 VStG geltend gemacht. Mit dem Urteil des Bezirksgerichtes Horn, welches das Verwaltungsgericht seiner Entscheidung zugrunde lege, sei implizit erwiesen worden, dass der Unfallgegner mangels Wahrnehmung des Revisionswerbers keine Reaktion gesetzt habe und der Unfallgegner vor der Kollision weder zum unvermittelten Ablenken, noch zu einem Abbremsen genötigt worden sei. Der Revisionswerber habe den Lenker des Postbusses nicht zum unvermittelten Ablenken genötigt. Es müsse der Bestrafung die vorgeworfene Tatbeschreibung zugrunde gelegt werden. Die dem Revisionswerber vorgeworfene Tat(beschreibung) sei nicht erwiesen.

11       Die Revision ist zulässig und berechtigt.

12       Nach § 44a Z 1 VStG ist es rechtlich geboten, die Tat hinsichtlich des Täters und der Tatumstände so genau zu umschreiben, dass die Zuordnung des Tatverhaltens zur Verwaltungsvorschrift, die durch die Tat verletzt worden ist, in Ansehung aller Tatbestandsmerkmale ermöglicht wird (VwGH 23.1.2019, Ra 2018/02/0284, mwN). Eine nicht ausreichende Umschreibung der Tat im Sinn des § 44a Z 1 VStG berechtigt das Verwaltungsgericht nicht, das Straferkenntnis zu beheben. Es ist vielmehr verpflichtet, in der Sache selbst zu entscheiden und dabei die Tat in einer dem § 44a Z 1 VStG entsprechenden Weise zu präzisieren, darf aber dabei die Tat nicht auswechseln (etwa VwGH 11.9.2019, Ra 2019/02/0094, mwN).

13       Durch die Abweisung der Beschwerde übernahm das Verwaltungsgericht den Spruch des Straferkenntnisses, mit dem die Bezirkshauptmannschaft Horn dem Revisionswerber einerseits durch Nichtbeachtung des Vorschriftszeichens „Halt“ das unvermittelte Ablenken des vorrangberechtigten Postbuslenkers und andererseits durch „Überfahren“ des Vorschriftszeichens „Halt“ die Kollision mit dem Fahrzeug des Vorrangberechtigten zur Last legte, ohne jedoch in der Begründung des angefochtenen Erkenntnisses alle Feststellungen zu treffen, die sich auf die Sachverhaltselemente des § 19 Abs. 7 StVO beziehen.

14       Ist vor einer Kreuzung das Vorschriftszeichen „Halt“ angebracht, ist dort gemäß § 19 Abs. 4 StVO anzuhalten und sowohl die von rechts als auch die von links kommenden Fahrzeuge haben den Vorrang.

15       Gemäß § 19 Abs. 7 StVO darf, wer keinen Vorrang hat (der Wartepflichtige), durch Kreuzen, Einbiegen oder Einordnen die Lenker von Fahrzeugen mit Vorrang (die Vorrangberechtigten) weder zu unvermitteltem Bremsen noch zum Ablenken ihrer Fahrzeuge nötigen.

16       Bei der Übertretung des § 19 Abs. 7 StVO ist zur Umschreibung der Tat im Sinne des § 44a Z 1 VStG anzuführen, durch welche der in den Absätzen 1 bis 6 angeführten Verhaltensweisen der Beschuldigte den Tatbestand des § 19 Abs. 7 StVO erfüllte. Es muss sich bereits aus der Tatumschreibung ergeben, worauf sich die Wartepflicht gründet, deren Verletzung einen Verstoß gegen § 19 Abs. 7 StVO darstellt. Das Tatbild des § 19 Abs. 7 StVO ist verwirklicht, wenn der Vorrangberechtigte zur Vermeidung eines Zusammenstoßes jäh, bzw. rasch, bzw. stark, bzw. plötzlich bremsen musste (vgl. VwGH 23.10.1986, 86/02/0081, mwN).

17       Wesentliches Tatbestandselement im Sinne des § 44a Z 1 VStG einer Verwaltungsübertretung nach § 19 Abs. 7 StVO ist somit, dass der Lenker eines im Vorrang befindlichen Fahrzeuges zu unvermitteltem Bremsen oder zum Ablenken seines Fahrzeuges genötigt wurde (vgl. VwGH 11.4.1984, 81/03/0170; VwGH 20.9.1989, 89/03/0150, beide mwN).

18       Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes muss die Ursache des Unfalles nicht unbedingt darin liegen, dass der Vorrangberechtigte zu einem unvermittelten Bremsen oder zum Ablenken des Fahrzeuges genötigt wurde (was ihm jedoch nicht gelang, weshalb es zum Verkehrsunfall kam). Es wäre auch denkbar, dass der Vorrangberechtigte den Verkehrsunfall durch Bremsen oder Ablenken in einer ihm zumutbaren Weise verhindern hätte können, jedoch auf Grund eines Reaktionsfehlers tatsächlich nicht verhindert hat (vgl. erneut VwGH 20.9.1989, 89/03/0150, mwN).

19       Die Tatsache allein, dass es zu einem Verkehrsunfall kam, schließt jedoch gedanklich nicht mit ein, dass der Postbuslenker durch eine Vorrangverletzung des Revisionswerbers zu einem unvermittelten Bremsen oder Ablenken seines Fahrzeuges genötigt wurde und sohin sein Vorrang verletzt wurde.

20       Diesbezüglich ist festzuhalten, dass das Verwaltungsgericht keine Feststellungen traf, die eine Subsumtion des tatsächlichen Geschehens unter die angelastete Übertretung des § 19 Abs. 7 StVO tragen. Vor allem fehlen Feststellungen, die die Beurteilung erlauben würden, dass der Revisionswerber durch die Verletzung der Vorrangregel nach § 19 Abs. 4 StVO den Postbuslenker vor der Kollision zum unvermittelten Bremsen oder zum Ablenken seines Fahrzeuges gemäß § 19 Abs. 7 StVO genötigt habe. Selbst wenn man die nur in den rechtlichen Erwägungen des angefochtenen Erkenntnisses enthaltenen Hinweise auf die Ausführungen des Sachverständigen im zivilgerichtlichen Verfahren als dislozierte Feststellungen betrachte, ergibt sich daraus nicht, warum der Revisionswerber den Postbus „übersehen“ habe: Dort ist zwar die Rede davon, wo sich der Postbus befunden habe, als der Revisionswerber losfuhr, und dass die in der vom Bus befahrenen Gasse geparkten Fahrzeuge deutlich kleiner gewesen seien, jedoch lässt sich daraus noch nicht ableiten, wie weit die Sichtmöglichkeiten reichten und ob der Revisionswerber beim Losfahren nach der Haltelinie das Herannahen des bevorrangten Postbusses habe erkennen können (vgl. VwGH 16.10.2003, 2001/03/0242).

21       Damit fehlen die zur Überprüfung des Vorliegens der dem Revisionswerber zur Last gelegten Verwaltungsübertretung notwendigen Tatsachenfeststellungen (sekundärer Verfahrensmangel, vgl. hierzu VwGH 19.2.2018, Ra 2017/12/0022). Indem das Verwaltungsgericht dies verkannte, wich es von der oben wiedergegebenen Rechtsprechung ab.

22       Das angefochtene Erkenntnis war daher aus diesen Gründen gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufzuheben.

23       Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 13. Juni 2020

Schlagworte

Allgemein Besondere Rechtsgebiete "Die als erwiesen angenommene Tat" Begriff Tatbild Beschreibung (siehe auch Umfang der Konkretisierung) Verfahrensbestimmungen

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2020:RA2019020028.L00

Im RIS seit

03.09.2020

Zuletzt aktualisiert am

03.09.2020
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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