TE Vwgh Erkenntnis 2003/10/16 2001/03/0242

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Veröffentlicht am 16.10.2003
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
90/01 Straßenverkehrsordnung;

Norm

StVO 1960 §19 Abs7;
VStG §44a Z1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sauberer und die Hofräte Dr. Gall und Dr. Bernegger als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Zeleny, über die Beschwerde der P T in G, vertreten durch Dr. Willibald Rath, Dr. Manfred Rath, Mag. Gerhard Stingl und Mag. Georg Dieter, Rechtsanwälte in 8020 Graz, Friedhofgasse 20, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates für die Steiermark vom 7. Juni 2001, Zl. UVS 30.17-148/2000-6, betreffend Übertretung der StVO 1960, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Das Land Steiermark hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.172,88 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen, angefochtenen Bescheid wurde die Beschwerdeführerin für schuldig erkannt, sie habe am 1. September 1999 um 15.30 Uhr in Graz, R-Gasse, auf Höhe der Zufahrt zur Garage des Hauses Nr. 12 als Lenkerin eines nach dem Kennzeichen näher bestimmten PKW auf der R-Gasse in östliche Richtung fahrend bei der genannten Örtlichkeit durch Einbiegen nach links den Vorrang eines entgegenkommenden, die Fahrtrichtung beibehaltenden Fahrzeuglenkers nicht beachtet und diesen genötigt, sein Fahrzeug unvermittelt abzubremsen, wodurch es zu einem Verkehrsunfall gekommen sei.

Sie habe dadurch § 19 Abs. 7 iVm. § 19 Abs. 5 StVO 1960 verletzt, weswegen über sie gemäß § 99 Abs. 3 lit. a StVO 1960 eine Geldstrafe in Höhe von S 1.000,-- (Ersatzfreiheitsstrafe 36 Stunden) verhängt wurde.

In dem angefochtenen Bescheid wurde u.a. ausgeführt, dass im Ortsgebiet von Graz die R-Gasse in annähernd west-östlicher Richtung verlaufe. Sie weise im hier maßgeblichen Teilabschnitt je zwei durch eine Sperrlinie voneinander getrennte Fahrstreifen auf, wobei in Richtung Westen gesehen der jeweils nördliche Fahrstreifen als Busspur ausgebildet sei. Die in Richtung Osten - stadteinwärts - führende Busspur sei durch eine Sperrlinie vom Fahrstreifen für den übrigen Verkehr getrennt. Am 1. September 1999 gegen 15.30 Uhr habe die Beschwerdeführerin ihren Pkw mit dem näher angeführten Kennzeichen im Ortsgebiet von Graz auf der R-Gasse in östliche Richtung gelenkt. Sie habe beabsichtigt, auf Höhe des Hauses Nr. 12 nach links abzubiegen und über die Busspur und zumindest die Sperrlinie in der Fahrbahnmitte überfahrend in die Garage dieses Hauses zu fahren. Zur selben Zeit habe sich auf dem Fahrstreifen für den Gegenverkehr eine Fahrzeugkolonne in Richtung Westen bewegt. Innerhalb dieser Kolonne habe S.P. den auf seine Mutter zugelassenen Pkw mit dem näher genannten Kennzeichen gelenkt. Als die Fahrzeuge verkehrsbedingt angehalten hätten, sei er nach rechts auf die Busspur gefahren und ca. 20 m an den angehaltenen Fahrzeugen rechts vorbeigefahren, da er in einiger Entfernung nach rechts in die D-Gasse einbiegen habe wollen. Wann die Beschwerdeführerin vom rechten Fahrstreifen auf die Busspur gewechselt habe, könne dahingestellt bleiben. Jedenfalls habe sie ihr Fahrzeug auf der Höhe des Hauses Nr. 12 angehalten. Als sich zwischen den auf dem nächstgelegenen Fahrstreifen für den Gegenverkehr anflutenden Fahrzeugen eine Lücke aufgetan habe und der Lenker des nächsten entgegenkommenden Fahrzeuges der Beschwerdeführerin signalisiert habe, dass er ihr ein Abbiegen nach links ermögliche, sei sie losgefahren, hätte die Sperrlinie langsam überfahren und sei zwischen den angehaltenen Fahrzeugen durchgefahren, ehe sie auf die in Richtung Westen führende Busspur gelangt sei, auf der sich der Zeuge S. P. genähert habe. Da die Beschwerdeführerin selbst unmittelbar vor Befahren des Busstreifens vorschriftswidrig nach links abgebogen sei und eine Sperrlinie überfahren habe, habe sie sich nicht zu Recht darauf verlassen können, dass alle anderen Verkehrsteilnehmer die Verkehrsvorschriften einhalten würden. Der Vertrauensgrundsatz gelte dann nicht, wenn eine unklare Verkehrssituation vorliege. Für die Beschwerdeführerin wäre aber - bei pflichtgemäßer Sorgfalt - nach den gegebenen Umständen mit dem Entstehen einer unklaren Verkehrslage dahin zu rechnen gewesen, dass für sie als Haltepflichtige nicht ausreichend erkennbar gewesen sei, ob dieser Busstreifen nicht etwa von Radfahrern oder eben wie im Anlassfall von Fahrzeugen, die keine Linienbusse darstellten, benutzt werde.

Die Beschwerdeführerin sei gemäß § 19 Abs. 5 StVO 1960 gegenüber dem Unfallbeteiligten Zeugen S. P. benachrangt gewesen. Nach ständiger Rechtsprechung habe sich der benachrangte KFZ-Lenker, um eine ihm obliegende Wartepflicht erfüllen zu können, dann, wenn es die schlechten Sichtverhältnisse erfordern, äußerst vorsichtig der Kreuzung zu nähern und sich auf dieser vorzutasten, um die notwendige Sicht zu gewinnen. Dies bedeute, dass sich die Berufungswerberin beim Einfahren auf die bevorrangte Busspur weiterhin darüber hätte vergewissern müssen, dass sie den Vorrang der auf dieser Straße fahrenden Fahrzeuge nicht verletze. Sie habe nicht unter allen Umständen damit rechnen können, dass diese bevorrangte Busspur frei sei, da die Möglichkeit bestanden habe, dass diese von einem anderen Verkehrsteilnehmer benutzt werde. Da ein allfälliges strafbares Verhalten des bevorrangten Verkehrsteilnehmers nicht den sich gesetzwidrig verhaltenden Wartepflichtigen exkulpiere, habe die Beschwerdeführerin die ihr zur Last gelegte Verwaltungsübertretung subjektiv und objektiv zu verantworten.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, in der Rechtswidrigkeit des Inhalts und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht wurde.

Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

§ 19 Abs. 5 und Abs. 7 Straßenverkehrsordnung 1960 (StVO 1960), BGBl. Nr. 159/1960 i.d.F. BGBl. Nr. 209/1969, lauten:

"§ 19. Vorrang.

...

(5) Fahrzeuge, die ihre Fahrtrichtung beibehalten oder nach rechts einbiegen, haben, sofern sich aus Abs. 4 nichts anderes ergibt, den Vorrang gegenüber entgegenkommenden, nach links einbiegenden Fahrzeugen.

...

(7) Wer keinen Vorrang hat (der Wartepflichtige), darf durch Kreuzen, Einbiegen oder Einordnen die Lenker von Fahrzeugen mit Vorrang (die Vorrangberechtigten) weder zu unvermitteltem Bremsen noch zum Ablenken ihrer Fahrzeuge nötigen.

..."

Eine Vorrangverletzung könne nach Ansicht der Beschwerdeführerin nach ständiger Rechtssprechung nur dann vorliegen, wenn der Wartepflichtige im Zeitpunkt des Einbiegens tatsächlich in der Lage gewesen sei, zu erkennen, dass er gegenüber dem anderen Fahrzeug wartepflichtig sei. Eine Vorrangverletzung sei dann nicht gegeben, wenn das die bevorrangte Fahrbahn benützende Fahrzeug tatsächlich noch nicht wahrnehmbar sei. Im Zeitpunkt des Befahrens des Busstreifens sei das Fahrzeug des Zeugen S. P. noch nicht wahrnehmbar gewesen. Entgegen der Ansicht der belangten Behörde reiche es keinesfalls aus, eine Vorrangverletzung deshalb zu bejahen, weil zur Begehung dieser eine Sperrlinie überfahren worden sei. Zwar bestünde im Zusammenhang mit dem Überfahren der Sperrlinie eine Verpflichtung zur Vergewisserung, ob nicht am Busstreifen (vorschriftswidrig) andere Verkehrsteilnehmer fahren würden, es ergebe sich aus den Feststellungen der belangten Behörde jedoch nicht, dass sich die Beschwerdeführerin in diesem Zusammenhang nicht hinreichend vergewissert hätte. Es wäre vielmehr notwendig gewesen, festzustellen, wann und wo die Beschwerdeführerin exakt die Sperrlinie überfahren habe und wo sich zu diesem Zeitpunkt das Fahrzeug des Zeugen S. P. befunden habe. Der Fahrstreifenwechsel des Zeugen S. P. sei überhaupt nicht erkennbar gewesen, der Busstreifen sei teilweise durch andere Fahrzeuge verstellt gewesen. Die Erstellung einer exakten Zeit-Weg-Berechnung sei von enormer Bedeutung für die Beurteilung, ob überhaupt eine Vorrangverletzung vorgelegen habe. Es hätte die jeweilige Geschwindigkeit der beiden beteiligten Fahrzeuge festgestellt werden müssen. Dies sei nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht unerheblich für die Beurteilung des Tatbestandes nach § 19 Abs. 7 StVO (vgl. das hg. Erkenntnis vom 30. März 1984, Zl. 83/02/0232). Des Weiteren sei auch die richtige Beschreibung der Fahrzeugroute der an einem Verkehrsunfall Beteiligten von wesentlichster Bedeutung (vgl. das hg. Erkenntnis vom 27. April 1984, Zl. 81/02/0273).

Mit diesem Vorbringen ist der Beschwerdeführerin Recht zu geben. Nach der hg. Rechtsprechung (vgl. das hg. Erkenntnis vom 15. September 1999, Zl. 99/03/0253, und die in diesem dazu zitierte Vorjudikatur) ist bei einer Vorrangverletzung gemäß § 19 Abs. 7 StVO 1960 der Sachverhalt insofern zu konkretisieren, dass die ungefähre Entfernung der Fahrzeuge voneinander und die von ihnen ungefähr eingehaltene Geschwindigkeit festzustellen ist. Derartige Feststellungen der belangten Behörde finden sich weder im angefochtenen Bescheid noch gehen sie sonst aus dem Verwaltungsakt hervor. Insbesondere wäre festzustellen gewesen, ob das Fahrzeug des Zeugen S. P. zum Zeitpunkt des Einfahrens in den Busstreifen bei gehöriger Aufmerksamkeit als schon auf dem Busstreifen fahrend wahrnehmbar war. Gegenüber einem auch bei gehöriger Aufmerksamkeit nicht wahrnehmbaren bevorrangten Fahrzeug kann keine Verletzung der Wartepflicht begangen werden. Wenn die belangte Behörde offensichtlich derartige Feststellungen nicht für erforderlich erachtete, verkannte sie die Rechtslage. Hinsichtlich des bei Sichtbehinderung auf den Querverkehr erforderlichen "Vortasten" wird auf das hg. Erkenntnis vom 14. Dezember 1988, Zl. 88/03/0086, verwiesen.

Schon aus dem angeführten Grund ist der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben; ein Eingehen auf das weitere Vorbringen in der Beschwerde erübrigte sich daher.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003.

Wien, am 16. Oktober 2003

Schlagworte

"Die als erwiesen angenommene Tat" Begriff Tatbild Beschreibung (siehe auch Umfang der Konkretisierung)

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2003:2001030242.X00

Im RIS seit

07.11.2003
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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