TE Bvwg Beschluss 2019/6/21 L502 2218328-1

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Veröffentlicht am 21.06.2019
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Entscheidungsdatum

21.06.2019

Norm

AVG §78
B-VG Art133 Abs4
FPG §60 Abs2
VwGVG §28 Abs3 Satz2

Spruch

L502 2218328-1/4E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Nikolas BRACHER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Türkei, vertreten durch XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 27.03.2019, FZ. 585497702/180694435/BMI-BFA, beschlossen:

A)

In Erledigung der Beschwerde wird der angefochtene Bescheid aufgehoben und die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

BEGRÜNDUNG:

I. Verfahrensgang:

1. Gegen den Beschwerdeführer (BF), einen türkischen Staatsangehörigen, wurde mit in Rechtskraft erwachsenem Bescheid der Bundespolizeidirektion (BPD) Wien vom 06.03.2012 gemäß § 63 Abs. 1 iVm Abs. 2 iVm § 53 Abs. 3 Z. 1 FPG ein auf die Dauer von 10 Jahren befristetes Aufenthaltsverbot erlassen.

2. Mit Schriftsatz seines Vertreters vom 19.07.2018 brachte er beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) einen Antrag auf Aufhebung dieses Aufenthaltsverbotes ein.

3. Mit dem im Spruch genannten Bescheid wurde sein Antrag auf Aufhebung des Aufenthaltsverbotes gemäß § 60 Abs. 2 FPG als unzulässig zurückgewiesen (Spruchpunkt I.). Gemäß § 78 AVG wurde ihm die Zahlung von Bundesverwaltungsabgaben in Höhe von Euro 6,50 binnen vierwöchiger Zahlungsfrist auferlegt (Spruchpunkt II.).

4. Gegen den seiner rechtsfreundlichen Vertretung am 04.04.2019 zugestellten Bescheid erhob er mit Schriftsatz vom 19.04.2019 fristgerecht Beschwerde.

5. Die Beschwerdevorlage des BFA langte am 03.05.2019 beim BVwG ein und wurde das gg. Beschwerdeverfahren der nunmehr zur Entscheidung berufenen Gerichtsabteilung zugewiesen.

6. Das BVwG erstellte aktuelle Auszüge aus dem Informationsverbundsystem Zentrales Fremdenregister (IZR), dem Strafregister sowie dem Zentralen Melderegister (ZMR) ihn betreffend.

7. Mit 14.05.2019 langte beim BVwG eine Nachreichung der belangten Behörde über eine Verfahrensanordnung des BFA vom 09.05.2019 ein, mit der ihm von Amts wegen gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG ein Rechtsberater für das Beschwerdeverfahren beigegeben wurde.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Der og. Verfahrensgang steht fest.

1.2. Die Identität des BF steht fest. Er wurde in Österreich geboren, ist aber türkischer Staatsangehöriger.

Er hielt sich bis 1976, von 1989 bis 1998 und von 2009 bis 2010 legal im Bundesgebiet auf. Sein Aufenthaltsort lag im Übrigen außerhalb des Bundesgebiets.

Er wurde zwischen 1992 und 1997 mehrfach rechtskräftig strafgerichtlich verurteilt, ebenso im Jahr 2010.

Im Gefolge der letzten Inhaftierung im Jahr 2010 verfügte er noch von August 2010 bis Juni 2011 über einen ordentlichen Wohnsitz im Bundesgebiet.

Er verlor sein bisheriges Aufenthaltsrecht für das Bundesgebiet mit Erlassung eines in Rechtskraft erwachsenen, auf die Dauer von 10 Jahren befristetes Aufenthaltsverbot, datierend vom 06.03.2012.

Seither hält er sich dauerhaft außerhalb desselben, mutmaßlich in der Türkei, auf.

Er war zwischenzeitig von 09.05.2015 bis 26.05.2015 und von 09.02.2018 bis 16.02.2018 jeweils mit einem Visum C zu Besuchszwecken in Österreich.

2. Beweiswürdigung:

Beweis erhoben wurde durch Einsichtnahme in den gg. Verfahrensakt und die vorliegende Beschwerde sowie durch die Einholung aktueller Auszüge aus dem Informationsverbundsystem Zentrales Fremdenregister, dem Zentralen Melderegister und dem Strafregister den BF betreffend.

Der oben wiedergegebene Verfahrensgang und die Feststellungen zur Person des BF stehen im Lichte des vorliegenden Akteninhalts und der dazu eingeholten Auszüge aus og. Datenbanken als unstrittig fest.

3. Rechtliche Beurteilung:

Mit Art. 129 B-VG idF BGBl. I 51/2012 wurde ein als Bundesverwaltungsgericht (BVwG) zu bezeichnendes Verwaltungsgericht des Bundes eingerichtet.

Gemäß Art. 130 Abs. 1 Z. 1 B-VG erkennt das BVwG über Beschwerden gegen einen Bescheid einer Verwaltungsbehörde wegen Rechtswidrigkeit.

Gemäß Art. 131 Abs. 2 B-VG erkennt das BVwG über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 in Rechtssachen in den Angelegenheiten der Vollziehung des Bundes, die unmittelbar von Bundesbehörden besorgt werden.

Gemäß Art. 132 Abs. 1 Z. 1 B-VG kann gegen einen Bescheid einer Verwaltungsbehörde wegen Rechtswidrigkeit Beschwerde erheben, wer durch den Bescheid in seinen Rechten verletzt zu sein behauptet.

Gemäß Art. 135 Abs. 1 B-VG iVm § 6 des Bundesverwaltungsgerichtsgesetzes (BVwGG) idF BGBl I 10/2013 entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichts ist durch das Bundesgesetz über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz - VwGVG), BGBl. I 33/2013 idF BGBl I 122/2013, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Gemäß § 27 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, soweit es nicht Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der Behörde als gegeben findet, den angefochtenen Bescheid, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt und die angefochtene Weisung auf Grund der Beschwerde (§ 9 Abs. 1 Z 3 und 4) oder auf Grund der Erklärung über den Umfang der Anfechtung (§ 9 Abs. 3) zu überprüfen.

Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist.

Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z1 B-VG das Verwaltungsgericht dann in der Sache selbst zu entscheiden, 1. wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder 2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

Gemäß § 28 Abs. 3 hat, wenn die Voraussetzungen des Abs. 2 leg. cit nicht vorliegen, das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückzuverweisen. Die Behörde ist hierbei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgeht.

Gemäß § 31 Abs. 1 VwGVG erfolgen die Entscheidungen und Anordnungen durch Beschluss, soweit nicht ein Erkenntnis zu fällen ist.

Mit BFA-Einrichtungsgesetz (BFA-G) idF BGBl. I Nr. 68/2013, in Kraft getreten mit 1.1.2014, wurde das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) eingerichtet.

Gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 BFA-VG idgF sowie § 9 Abs. 2 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 (FPG), BGBl. I Nr. 100/2005 idgF, entscheidet das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegen Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl.

Zu A)

1.1 Der mit "Aufenthaltsverbot für Drittstaatsangehörige mit Aufenthaltstitel" betitelte § 63 FPG idF BGBl I 50/2012 lautete:

§ 63. (1) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der sich auf Grund eines Aufenthaltstitels rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält, kann ein Aufenthaltsverbot erlassen werden, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass sein Aufenthalt

1. die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährdet oder

2. anderen in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen zuwiderläuft.

(2) Bestimmte Tatsachen im Sinne des Abs. 1 sind insbesondere jene des § 53 Abs. 2 Z 1, 2, 4, 5, 7 bis 9 und Abs. 3. § 53 Abs. 5 und 6 gelten.

(3) Ein Aufenthaltsverbot gemäß Abs. 1 ist in den Fällen des § 53 Abs. 2 Z 1, 2, 4, 5, 7 bis 9 für die Dauer von mindestens 18 Monaten, höchstens jedoch für fünf Jahre, in den Fällen des § 53 Abs. 3 Z 1 bis 4 für höchstens zehn Jahre und in den Fällen des § 53 Abs. 3 Z 5 bis 8 auch unbefristet zu erlassen. Die Frist beginnt mit Ablauf des Tages der Ausreise des Drittstaatsangehörigen.

Der schon damals mit "Einreiseverbot" betitelte § 53 FPG idF BGBl I 50/2012 lautete auszugsweise:

§ 53. (1) Mit einer Rückkehrentscheidung wird ein Einreiseverbot unter Einem erlassen. Das Einreiseverbot ist die Anweisung an den Drittstaatsangehörigen, für einen festgelegten Zeitraum nicht in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten einzureisen und sich dort nicht aufzuhalten.

(2) [...]

(3) Ein Einreiseverbot gemäß Abs. 1 ist für die Dauer von höchstens zehn Jahren, in den Fällen der Z 5 bis 8 auch unbefristet zu erlassen, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellt. Als bestimmte Tatsache, die bei der Bemessung der Dauer des Einreiseverbotes neben den anderen in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen relevant ist, hat insbesondere zu gelten, wenn

1. ein Drittstaatsangehöriger von einem Gericht zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als drei Monaten, zu einer bedingt oder teilbedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von mehr als sechs Monaten oder mehr als einmal wegen auf der gleichen schädlichen Neigung beruhenden strafbaren Handlungen rechtskräftig verurteilt worden ist;

Gemäß § 60 Abs. 2 FPG idgF kann das Bundesamt ein Einreiseverbot gemäß § 53 Abs. 3 Z 1 bis 4 auf Antrag des Drittstaatsangehörigen unter Berücksichtigung der für die Erlassung der seinerzeitigen Rückkehrentscheidung oder des seinerzeitigen Einreiseverbotes maßgeblichen Umstände verkürzen, wenn der Drittstaatsangehörige das Gebiet der Mitgliedstaaten fristgerecht verlassen hat und seither einen Zeitraum von mehr als die Hälfte des seinerzeitigen Einreiseverbotes im Ausland verbracht hat. Die fristgerechte Ausreise hat der Drittstaatsangehörige nachzuweisen.

1.2. Der Verwaltungsgerichtshof hat hinsichtlich der damals maßgeblichen Bestimmungen des FPG mit Erkenntnis vom 31.05.2011, ZI. 2011/22/0097 festgehalten, dass mit der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes - ungeachtet dessen, ob die Voraussetzungen für dessen Zulässigkeit nach § 60, § 56 oder § 86 FrPolG 2005 zu prüfen sind - im Falle des rechtmäßigen Aufenthalts eines Fremden sowohl über die Beendigung des Aufenthaltsrechts entschieden (vgl. § 10 Abs. 1 NAG 2005) als auch dem nicht mehr länger zum Aufenthalt berechtigten Drittstaatsangehörigen die Pflicht zum Verlassen des Bundesgebietes, sohin eine Rückkehrverpflichtung im Sinn der Rückführungsrichtlinie, auferlegt sowie der weitere Aufenthalt im Bundesgebiet für einen bestimmten Zeitraum oder für unbefristete Zeit untersagt wird, sohin auch ein Einreiseverbot im Sinn der Rückführungsrichtlinie ausgesprochen wird. Diese Vorgangsweise, nämlich mit einer einzigen Entscheidung das Aufenthaltsrecht zu beenden sowie unter einem die Rückkehr des Drittstaatsangehörigen anzuordnen und ihm den künftigen Aufenthalt im Bundesgebiet zu verbieten, stellt sich im Hinblick auf Art. 6 Abs. 6 Rückführungsrichtlinie als zulässig dar. Ungeachtet dessen sind dabei nach dieser Bestimmung die Verfahrensgarantien des Kapitels III der Rückführungsrichtlinie einzuhalten. Der VwGH erachtet es sohin als nicht zweifelhaft, dass es sich bei der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes (unabhängig von der Benennung des innerstaatlich festgelegten Rechtsinstituts) um eine Rückkehrentscheidung im Sinn des Art. 3 Z 4 Rückführungsrichtlinie und ein Einreiseverbot im Sinn des Art. 3 Z 6 dieser Richtlinie handelt, bei deren Erlassung die in der Richtlinie festgelegten Verfahrensgarantien einzuhalten sind.

1.3. Infolge der eben dargelegten hg. Determinanten sah der Gesetzgeber die Notwendigkeit, unter anderem den damaligen § 63 FPG idF BGBl I 50/2012 mit der Novelle des FPG BGBl I 87/2012 aufzuheben, zumal die vom VwGH skizzierte Vorgangsweise nunmehr in §§ 52 und 53 FPG vorgesehen ist und die Normierung eines "Aufenthaltsverbotes" im damals geltenden § 63 FPG damit obsolet war (siehe auch ErlRV 1803 BlgNR XXIV. GP, zu Z. 178).

1.4. Gemäß § 52 Abs. 5 FPG idgF hat das Bundesamt gegen einen Drittstaatsangehörigen, der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes auf Dauer rechtmäßig niedergelassen war und über einen Aufenthaltstitel "Daueraufenthalt - EU" verfügt, eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn die Voraussetzungen gemäß § 53 Abs. 3 die Annahme rechtfertigen, dass dessen weiterer Aufenthalt eine gegenwärtige, hinreichend schwere Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellen würde. Der nunmehrige § 52 FPG verweist damit wie schon der ehemalige § 63 FPG idF BGBl I 50/2012 auf die Kriterien nach § 53 Abs. 3 FPG. Gemäß § 53 Abs. 1 FPG idgF kann das BFA mit einer Rückkehrentscheidung mit Bescheid ein Einreiseverbot erlassen werden. Das Einreiseverbot ist die Anweisung an den Drittstaatsangehörigen, für einen festgelegten Zeitraum nicht in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten einzureisen und sich dort nicht aufzuhalten. Gemäß § 53 Abs. 3 erster Satz FPG idgF ist ein Einreiseverbot gemäß Abs. 1 für die Dauer von höchstens zehn Jahren, in den Fällen der Z 5 bis 9 auch unbefristet zu erlassen, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellt. Angesichts der angeführten hg. Rechtsprechung und dieser systematischen Vergleichbarkeit ist das gegenüber dem BF mit 06.03.2012 verhängte Aufenthaltsverbot ungeachtet seiner damals korrekten Bezeichnung nun als Einreiseverbot iSd § 53 Abs. 3 FPG idgF zu betrachten.

Sohin ging die belangte Behörde zurecht davon aus, dass es sich beim vom BF eingebrachten Antrag auf Aufhebung des gegenüber ihm verhängten Aufenthaltsverbotes nicht um einen Antrag iSd § 69 Abs. 2 FPG idgF handeln konnte, zumal gegenüber dem BF kein Aufenthaltsverbot iSd § 67 FPG erlassen wurde. Der Antrag war dementsprechend dahingehend umzudeuten, dass sich dieser auf die Aufhebung des gegenüber dem BF bestehenden Einreiseverbotes bezog. Diesbezüglich hielt das BFA zwar zutreffend fest, dass das FPG keine Grundlage für einen Antrag auf Aufhebung eines Einreiseverbotes iSd § 53 Abs. 3 FPG idgF vorsieht. Allerdings kann das BFA gemäß § 60 Abs. 2 FPG idgF ein Einreiseverbot gemäß § 53 Abs. 3 Z 1 bis 4 auf Antrag des Drittstaatsangehörigen unter Berücksichtigung der für die Erlassung der seinerzeitigen Rückkehrentscheidung oder des seinerzeitigen Einreiseverbotes maßgeblichen Umstände verkürzen, wenn der Drittstaatsangehörige das Gebiet der Mitgliedstaaten fristgerecht verlassen hat und seither einen Zeitraum von mehr als die Hälfte des seinerzeitigen Einreiseverbotes im Ausland verbracht hat. Die fristgerechte Ausreise hat der Drittstaatsangehörige nachzuweisen.

1.5. Im Lichte des Gesagten war nicht nachvollziehbar, weshalb die belangte Behörde von der Unzulässigkeit des vom BF eingebrachten Antrages ausging, zumal alleine der Umstand, dass der BF den entsprechenden Antrag mit "Antrag auf Aufhebung des Aufenthaltsverbotes" titulierte, nicht sogleich zur Unzulässigkeit des Antrages führte. Insbesondere in Anbetracht dessen, dass das gegenüber dem BF verhängte Einreiseverbot vom 06.03.2012 richtigerweise als Aufenthaltsverbot bezeichnet wurde, hätte die belangte Behörde diesen Antrag als Herabsetzungsantrag iSd § 60 Abs. 2 FPG idgF deuten müssen. Dies umso mehr als die belangte Behörde die entsprechende Norm (§ 60 Abs. 2 FPG idgF) im Abschnitt C) des angefochtenen Bescheides auch anführte.

Im Übrigen ist die belangte Behörde, indem sie auch eine inhaltliche Prüfung der dort normierten Voraussetzungen vornahm, zum Schluss gekommen, dass diese nicht vorlägen. Dies hätte jedoch allenfalls eine Abweisung des Antrages, nicht aber dessen Zurückweisung durch die belangte Behörde zur Folge haben müssen.

Schließlich ist festzuhalten, dass das BFA keine Ermittlungen hinsichtlich der für die inhaltliche Beurteilung der Voraussetzungen nach § 60 Abs. 2 FPG idgF erforderlichen Tatbestandsmerkmale vornahm. Das BFA hätte sowohl bezüglich des Umstandes der vom BF behaupteten fristgerechten Ausreise als auch bezüglich der von ihm behaupteten Verbringung von mehr als der Hälfte des erlassenen Einreiseverbotes im Ausland entsprechende Ermittlungen anstellen müssen.

Zumal das BFA auch angehalten ist, auf die für die Erlassung des seinerzeitigen Einreiseverbotes maßgeblichen Umstände Bedacht zu nehmen, ging es zutreffend davon aus, dass es auf etwaige Änderungen in der persönlichen Lage des BF (insbesondere seine Familiensituation) sowie einen allfälligen Gesinnungswandel aufgrund seiner näher zu ermittelnden Lebensumstände einzugehen hätte. Da das BFA diesbezüglich aber weder Feststellungen traf noch dahingehende Ermittlungsschritte aus dem vorliegenden Akteninhalt ersichtlich waren, war für das erkennende Gericht auch nicht nachvollziehbar, auf welche Grundlage das BFA seine diesbezügliche Beurteilung stützte.

2.1. Die Aufhebung eines Bescheides und Zurückverweisung der Angelegenheit an die belangte Behörde gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG folgt konzeptionell dem § 66 Abs. 2 AVG, setzt im Unterschied dazu aber nicht auch die Notwendigkeit der Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung voraus. Insoweit erscheinen auch die von der höchstgerichtlichen Judikatur - soweit sie nicht die Notwendigkeit der Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung betrifft - anwendbar, weshalb unter Bedachtnahme auf die genannten Einschränkungen die im Erkenntnis des VwGH vom 16.12.2009, Zl. 2007/20/0482 dargelegten Grundsätze gelten, wonach die Behörde an die Beurteilung im Behebungsbescheid gebunden ist. Mängel abseits jener der Sachverhaltsfeststellung legitimieren das Gericht nicht zur Behebung aufgrund § 28 Abs. 3, 2. Satz (Erk. d. VwGH vom 19.11.2009, 2008/07/0167; vgl. auch Fister/Fuchs/Sachs, Verwaltungsgerichtsverfahren (2013), Anm. 11 zu § 28 VwGVG).

Ausführlich hat sich der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 26.06.2014, Ro 2014/03/0063, (ebenso VwGH, 27.01.2015, Ro 2014/22/0087) mit der Sachentscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte auseinandergesetzt und darin folgende Grundsätze herausgearbeitet:

Es liegen die Voraussetzungen von § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zusammengefasst dann vor, wenn der entscheidungsrelevante Sachverhalt nicht feststeht, insbesonders weil

1. die Behörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat,

2. die Behörde zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat

3. konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde Ermittlungen unterließ, damit diese im Sinn einer "Delegierung" dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden oder

4. ähnlich schwerwiegende Ermittlungsmängel zu erkennen sind und

die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht - hier: das Bundesverwaltungsgericht - selbst nicht im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

Ist die Voraussetzung des § 28 Abs. 2 Z. 1 VwGVG erfüllt, hat das Verwaltungsgericht (sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist) "in der Sache selbst" zu entscheiden. Dies bedeutet, dass das Verwaltungsgericht über den Inhalt der vor der Verwaltungsbehörde behandelten Rechtsache abspricht, wobei sie entweder die Beschwerde gegen den verwaltungsbehördlichen Bescheid abweist oder dieser durch seine Entscheidung Rechnung trägt. Das Verwaltungsgericht hat somit nicht nur die gegen den verwaltungsbehördlichen Bescheid eingebrachte Beschwerde, sondern auch die Angelegenheit zu erledigen, die von der Verwaltungsbehörde zu entscheiden war.

Geht das Verwaltungsgericht - in Verkennung der Rechtslage - aber von einer Ergänzungsbedürftigkeit des für die Entscheidung maßgeblichen Sachverhaltes aus, die bei einer zutreffenden Beurteilung der Rechtslage nicht gegeben ist, und hebt dieses Gericht daher den Bescheid der Verwaltungsbehörde gemäß § 28 Abs. 3 Satz 2 VwGVG infolge Verkennung der Rechtslage auf, verstößt das Verwaltungsgericht gegen seine in § 28 Abs. 2 VwGVG normierte Pflicht, "in der Sache selbst" zu entscheiden.

2.2. Zumal das BFA jegliche Ermittlungstätigkeit, auf deren Grundlage tragfähige Feststellungen zu wesentlichen Tatbestandsmerkmalen erst möglich gewesen wären, unterlassen hat, wurde aus Sicht des BVwG der entscheidungswesentliche Sachverhalt für die abschließende Beurteilung, ob sein Antrag auf Herabsetzung des Einreiseverbotes begründet war, nicht einmal ansatzweise ermittelt und lag in der Folge eine gravierende Ermittlungslücke hinsichtlich der Subsumtion unter die richtige Rechtsgrundlage vor (vgl. VwGH vom 30.09.2014, Ro 2014/22/0021), weshalb sich das erkennende Gericht zur Behebung der bekämpften Entscheidung und Zurückverweisung des Verfahrens an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zur Erlassung eines neuen Bescheides veranlasst sah.

Eine Verlagerung des im Hinblick auf die erwähnten rechtlichen Konsequenzen erforderlichen Ermittlungsverfahrens vor das Bundesverwaltungsgericht war nicht als im Sinne des Gesetzgebers gelegen zu erachten. Im Übrigen würde eine erstmalige Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes und Beurteilung der Rechtsfrage durch das Bundesverwaltungsgericht eine (bewusste) Verkürzung des Instanzenzuges bedeuten (vgl. dazu VwGH v. 18.12.2014, Ra 2014/07/0002; VwGH v. 10.10.2012, Zl. 2012/18/0104). Dass eine unmittelbare Durchführung dieses Ermittlungsverfahrens durch das Bundesverwaltungsgericht "im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden" wäre, war nicht ersichtlich.

3. Es war sohin spruchgemäß zu entscheiden.

4. Gemäß § 24 Abs 2 Z 1 VwGVG konnte eine mündliche Verhandlung unterbleiben, weil bereits auf Grund der Aktenlage feststand, dass der Beschwerde stattzugeben bzw. der Bescheid im angefochtenen Umfang aufzuheben waren.

Zu B)

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision gegen die gegenständliche Entscheidung ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hervorgekommen.

Die oben in der rechtlichen Beurteilung angeführte Judikatur des VwGH ist zwar zu früheren Rechtslagen ergangen, sie ist jedoch nach Ansicht des erkennenden Gerichts auf die inhaltlich meist völlig gleichlautenden Bestimmungen der nunmehr geltenden Rechtslage unverändert übertragbar.

Schlagworte

Aufenthaltsverbot Behebung der Entscheidung Ermittlungsmangel Ermittlungspflicht Kassation mangelnde Feststellungen mangelnde Sachverhaltsfeststellung mangelndes Ermittlungsverfahren Verwaltungsabgabe Zurückverweisung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2019:L502.2218328.1.00

Im RIS seit

28.07.2020

Zuletzt aktualisiert am

28.07.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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