TE Bvwg Beschluss 2020/3/2 W231 2199531-2

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 02.03.2020
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Entscheidungsdatum

02.03.2020

Norm

AsylG 2005 §12a Abs2
AsylG 2005 §22 Abs10
BFA-VG §22
B-VG Art133 Abs4

Spruch

W231 2199531-2/3E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht beschließt durch die Richterin Dr. Birgit HAVRANEK als Einzelrichterin in dem von Amts wegen eingeleiteten Verfahren über die durch den mündlich verkündeten Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX , Zl. XXXX , erfolgte Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes betreffend XXXX , geboren am XXXX , StA. Afghanistan:

A) Die Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes ist gemäß § 12a Abs. 2 und § 22 Abs. 10 AsylG 2005 in Verbindung mit § 22 BFA-VG rechtmäßig.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

BEGRÜNDUNG:

I. Verfahrensgang:

1. Erster Antrag auf internationalen Schutz

1.1. Der Antragsteller, ein Staatsangehöriger Afghanistans und der Angehöriger der Volksgruppe der Sayed, reiste unrechtmäßig ins Bundesgebiet ein und stellte am 03.09.2016 einen Antrag auf internationalen Schutz.

Zu seinen Fluchtgründen brachte der Antragsteller im Vorverfahren im Wesentlichen vor, dass er im Iran keine Aufenthaltsberechtigung und Möglichkeit einer legalen Erwerbstätigkeit gehabt habe, in seinem Heimatland Afghanistan kenne er niemanden.

1.2. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA), Regionaldirektion Salzburg, vom 18.04.2018, Zl. 1128547403/16209587, wurde der Antrag gem. § 3 Abs. 1 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I), da der Antragsteller keine asylrelevanten Gründe glaubhaft machen konnte. Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 wurde der Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Afghanistan abgewiesen (Spruchpunkt II). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde dem Antragsteller gem. §§ 57 und 55 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt III). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 wurde gegen den Antragsteller eine Rückkehrentscheidung gem. § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV). Gemäß § 52 Abs. 9 FPG wurde festgestellt, dass seine Abschiebung gem. § 46 FPG nach Afghanistan zulässig ist (Spruchpunkt V). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde dem Antragsteller eine Frist für seine freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung gewährt (Spruchpunkt VI). Gegen diesen Bescheid erhob der Antragsteller Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht.

1.3. Der Antragsteller verließ im Zuge des anhängigen Beschwerdeverfahrens Österreich (ohne dass darüber die Behörde oder das Gericht vom Antragsteller informiert wurde) und stellte am 27.03.2019 unter der Identität XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, in Frankreich einen Antrag auf internationalen Schutz.

1.4. Die fristgerecht eingebrachte und zulässige Beschwerde gegen den unter Pkt. 1.2. dargestellten Bescheid wurde in der mündlichen Verhandlung am 10.02.2020, zu der der Antragsteller unentschuldigt nicht erschien, und in der die Rechtsvertretung die Vollmacht zurücklegte, mit mündlich verkündetem Erkenntnis als unbegründet abgewiesen. Das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes erwuchs mit Verkündung am 10.02.2020 in Rechtskraft und wurde dem Antragsteller am 12.02.2020 durch Hinterlegung im Akt zugestellt; der Antragsteller hat binnen offener Frist keinen Antrag auf Ausfertigung dieses Erkenntnisses gem. § 29 Abs. 4 VwGVG gestellt.

2. Folgeantrag und gegenständliches Verfahren über die Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes gemäß § 12a Abs. 2 AsylG 2005

2.1. Am 14.02.2020 wurde der Antragsteller aufgrund der Dublin VO von Frankreich nach Österreich überstellt und über ihn die Schubhaft verhängt.

2.2. Am 14.02.2020 stellte der Antragsteller aus dem Stande der Schubhaft einen (Folge)Antrag auf internationalen Schutz. Er wurde dazu am selben Tag durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes erstbefragt. Dabei gab er zu seinen Fluchtgründen an, dass sich seine Fluchtgründe nicht geändert hätten (AS 15).

2.3. Mit Verfahrensordnung gemäß § 29 Abs. 3 und § 15a AsylG 2005 wurde dem Antragsteller seitens des BFA am 19.02.2020 mitgeteilt, dass beabsichtigt sei, seinen faktischen Abschiebeschutz aufzuheben und er einer Meldeverpflichtung gemäß § 15a AsylG 2005 unterliege.

2.4. Am 25.02.2020 wurde der Antragsteller in Anwesenheit eines Rechtsberaters vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zur Stellung seines neuerlichen Antrages auf internationalen Schutzes einvernommen. Die Einvernahme gestaltete sich (auszugsweise) wie folgt:

"AW: Ich bin müde, ich war in Frankreich und wurde nach Österreich gebracht. Ich möchte in mein Heimatland Afghanistan zurückkehren. Ich habe eine Kopie meiner Tazkira, die befindet sich in meiner Tasche, die verwahrt wurde. Auf der Tazkira ist aber mein Name falsch geschrieben.

(...)

LA: Haben Sie Beweismittel oder Identitätsbezeugende Dokumente, die Sie vorlegen können und welche Sie bisher noch nicht vorgelegt haben?

VP: Ich habe eine Kopie meiner Tazkira. Wie bereits erwähnt, ist auf dieser allerdings ein falsches Geburtsdatum.

LA: Es geht Ihnen gut, Sie können der Einvernahme folgen?

VP: Ja.

LA: Sind Sie zurzeit in ärztlicher Behandlung, nehmen Sie Medikamente?

VP: Nein, weder noch. Ich nehme nur ab und an Kopfschmerztabletten, wenn ich Kopfweh habe.

LA: Haben Sie in Österreich aufhältige Eltern oder Kinder (Blutverwandtschaft oder durch Adoption begründet).

VP: Nein, ich habe niemand in Österreich.

LA: Wer von Ihrer Familie lebt noch im Heimatland?

VP: Meine Eltern, ich habe keine Geschwister.

LA: Haben Sie Kontakt zu Ihren Eltern?

VP: Ja. Nachgefragt, geht es meinen Eltern gut. Sie sind gesund. Seitdem ich in Schubhaft bin, habe ich keinen Kontakt zu ihnen. Soweit ist aber alles in Ordnung mit ihnen.

LA: Wo leben Ihre Eltern in Afghanistan?

VP: In der Provinz Balkh, Stadt Mazar-e-Sharif.

LA: Sind Sie dort geboren?

VP: Nein. Ich bin geboren und aufgewachsen im Iran. Meine Eltern stammen aus der Stadt Mazar-e-Sharif. Meine Eltern sind vom Iran nach Afghanistan gegangen. Nachgefragt sind meine Eltern seit einer Woche in Afghanistan. Ich habe mit meinen Eltern Kontakt aufgenommen, vor drei Wochen. Sie haben mir gesagt, dass sie wieder nach Afghanistan zurückkehren. Als ich in Frankreich war, habe ich Kontakt zu ihnen aufgenommen.

LA: Haben Sie jemals Probleme mit den Behörden, der Polizei oder dem Militär Ihres Heimatlandes?

VP: Nein, ich habe keine Probleme mit den staatlichen Behörden.

LA: Fühlen Sie sich gegenüber anderen Mitglieder Ihrer Volksgruppe (Parteienangehöriger, Religionsgruppe) benachteiligt?

VP: Nein, keine Probleme.

LA: Sprechen Sie Deutsch? (Frage wird auf Deutsch gestellt)

VP: Ein bisschen.

LA: Haben Sie einen Deutschkurs besucht?

VP: Ja.

Wiederholung der Frage auf Dari:

VP: Am Anfang ja.

LA: Können Sie die Einvernahme ohne Dolmetscher machen?

VP: Nach Übersetzung: Nein, kann ich nicht.

Weiter in Dari, da AW unzureichend Deutsch versteht.

LA: Sind Sie in die Schule gegangen?

VP: Nein, ich bin in keine Schule gegangen. Doch ich bin 7 Jahre in Iran in eine afghanische Schule gegangen.

LA: Haben Sie versucht geringfügige Arbeit oder ehrenamtliche Tätigkeiten in Österreich anzunehmen?

VP: Ca. 2 Monate habe ich im Gemeindehaus, in Oberösterreich. Ich habe die Straßen geputzt.

LA: Ihre Gründe aus dem Erstverfahren bestehen noch?

VP: Ja, die bleiben aufrecht.

LA: Wenn ich mir das so durchlese, was Sie im Erstverfahren angegeben haben, dann haben Sie eigentlich gar keine Fluchtgründe!

VP: ... Ich habe damals angegeben, dass ich noch nie in Afghanistan war. Ich bin in der Stadt Mashhad/Iran geboren und aufgewachsen.

LA: Sie gaben im Erstverfahren eine Schwester an, welche angeblich in DE leben würde. Sie sagen mir, Sie hätten keine Geschwister. Somit ist diese Angabe falsch?

VP: Doch, ich habe eine Schwester in Deutschland, da ist wahr. Aber ich habe keinen Kontakt zu ihr.

LA: Sie wollen freiwillig nach Afghanistan zurückkehren?

VP: Ja.

LA: Sie wurden bereits durch die Rechtsberatung darüber informiert, was zu unternehmen ist?

VP: Ja, am ersten Tag, als ich hier in Schubhaft vom VMÖ besucht wurde, habe ich bescheid gegeben.

LA: Sie haben bereits eine Verfahrensanordnung gem. § 29 Abs. 3 Z. 6 erhalten, womit Ihnen mitgeteilt wurde, dass beabsichtigt ist, den faktischen Abschiebeschutz aufzuheben. Sie haben nunmehr Gelegenheit zur geplanten Vorgangsweise des BFA Stellung zu nehmen. Was spricht gegen Ihre Ausweisung, über die bereits rechtskräftig abgesprochen worden ist?

VP: Ich habe nichts dagegen, ich möchte freiwillig zurückkehren.

LA: Wenn Sie nach Afghanistan zurückkehren, können Sie bei Ihren Eltern wohnen?

VP: Ja, das ist kein Problem.

LA: Wollen Sie noch etwas angeben, was Ihnen wichtig erscheint?

VP: Nein, sonst möchte ich nichts mehr sagen.

Der Rechtsberater hat die Möglichkeit Fragen oder Anträge zu stellen.

Keine Fragen, keine Anträge.

Im Anschluss an die Einvernahme wurde dem Antragsteller der Bescheid über die Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes gemäß § 12a Abs. 2 iVm § 22 Abs. 10 AsylG 2005 und § 62 Abs. 1 AVG mündliche verkündet und die mündliche Verkündung beurkundet.

Begründend legte das BFA dar, dass sich im neuerlichen Asylverfahren kein neuer objektiver Sachverhalt ergeben habe und der Antrag des Antragstellers auf internationalen Schutz voraussichtlich wegen entschiedener Sache zurückzuweisen sein würde; hinsichtlich des Privat- und Familienlebens des Antragstellers habe sich zwischen dem rechtskräftigem Abschluss seines Vorverfahrens und dem Zeitpunkt der Bescheiderlassung des gegenständlichen Verfahrens keine relevante Änderung der Situation seines Privat-und Familienlebens ergeben. Auch die Lage im Herkunftsstaat habe sich seit Rechtskraft des letzten Asylverfahrens nicht geändert.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der Antragsteller ist afghanischer Staatsangehöriger und führt die im Spruch angegebenen Daten; seine Identität steht nicht fest.

Der Antragsteller stellte nach irregulärer Einreise am 03.09.2016 seinen einen Antrag auf internationalen Schutz im Bundesgebiet. Er hielt sich ab Antragstellung in Österreich auf, verließ dann im Laufe des Beschwerdeverfahrens vor dem Bundeverwaltungsgerich Österreich und stellte am 27.03.2019 in Frankreich einen Asylantrag.

Die Beschwerde gegen den negativen behördlichen Bescheid vom 03.09.2016 wurde mit dem in Rechtskraft erwachsenen, mündlich verkündeten Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 10.02.2020, GZ W231 2199531-1, in allen Spruchpunkten als unbegründet abgewiesen. Es war festzustellen und zugrundezulegen, dass der Antragsteller im Iran geboren und aufgewachsen war und den Iran aufgrund Aufenthalts ohne Berechtigung, Angst vor Aufgriffen durch die Iranische Polizei und wegen erwarteter besserer Lebens- und Arbeitsbedingungen in Europa verlassen hat; Fluchtgründe in Bezug auf seinen Herkunftsstaat waren nicht erkennbar. Weiters war auszusprechen, dass der Antragsteller unter Beachtung der Lage im Herkunftsstaat und seiner individuellen Situation durch eine Abschiebung nach Afghanistan nicht in seinen Rechten gemäß Artikel 2 oder 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 und Nr. 13 EMRK verletzt würde. Der BF könne nach Kabul, Herat oder Mazar-e-Sharif zurückkehren.

Am 14.02.2020 wurde der Antragsteller aufgrund der Dublin VO von Frankreich nach Österreich überstellt und über ihn die Schubhaft verhängt. Am 14.02.2020 stellte er gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.

Mit mündlich verkündetem Bescheid vom 25.02.2020 wurde diesbezüglich der faktische Abschiebeschutz des Antragstellers gemäß § 12a Abs 2 AsylG 2005 aufgehoben.

Es kann nicht festgestellt werden, dass sich seit rechtskräftiger Erledigung eine maßgebliche Änderung des Sachverhaltes des am 03.09.2016 gestellten Antrages auf internationalen Schutz ergeben hätte, insbesondere auch nicht im Hinblick auf die Lage im Herkunftsstaat. Die Lage des Antragstellers hat sogar insofern verbessert, als seine Familie nun seit ca. Mitte Februar 2020 wieder in Afghansitan (Mazar-e-Sharf) aufhältig ist und der Antragsteller bei seiner Familie auch wohnen könnte.

Hinweise auf entscheidungsrelevante gesundheitliche Probleme des Antragstellers liegen nicht vor. In Österreich hat der Antragsteller keine familiären oder sozialen Bindungen.

Es kann nicht festgestellt werden, dass dem Antragsteller bei einer Überstellung nach Afghanistan ein Eingriff in seine körperliche Unversehrtheit droht. Bei einer Rückkehr nach Afghanistan läuft der Antragsteller nicht Gefahr, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft nicht befriedigen zu können und in eine ausweglose, beziehungsweise existenzbedrohende Situation zu geraten.

2. Beweiswürdigung:

Die Sachverhaltsfeststellungen zur Person und den privaten und familiären Verhältnissen des Antragstellers ergeben sich aus seinen Angaben, jene zum Verfahrensablauf ergeben sich aus der Aktenlage. Sein Fluchtvorbringen sowie die Lage im Herkunftsstaat wurde im mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 10.02.2020 rechtskräftig entschiedenen Verfahren über den Antrag auf internationalen Schutz vom 03.09.2016 erörtert und abgewogen.

Wie das BFA im Bescheid vom 25.02.2020 darlegte, hat sich das Vorbringen des Antragstellers lediglich auf das Fortbestehen seiner bereits im ersten Verfahren behaupteten und rechtskräftig negativ bewerteten Verfolgung bezogen. Diese Gründe würden nach wie vor gelten, neue Fluchtgründe wurden vom Antragsteller nicht vorgebracht.

Eine für den Antragsteller entscheidungswesentliche Änderung an der Situation in seinem Herkunftsstaat kann anhand der Feststellungen im mündlich verkündeten Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 25.02.2020, denen der Antragsteller im Verfahren nicht entgegengetreten ist, nicht erkannt werden. Die Lage des Antragstellers hat sogar insofern verbessert, als seine Familie nun seit ca. Mitte Februar 2020 wieder in Afghansitan (Mazar-e-Sharf) aufhältig ist und der Antragsteller bei seiner Familie auch wohnen könnte.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A)

Das BFA hat im Zuge eines Verfahrens über einen Folgeantrag gemäß § 2 Abs. 1 Z 23 AsylG 2005 den faktischen Abschiebeschutz des Antragstellers gemäß § 12a Abs. 2 AsylG 2005 aufgehoben.

Daher war diese Entscheidung vom Bundesverwaltungsgericht gemäß § 22 BFA-VG dahingehend zu überprüfen, ob die Voraussetzungen für die Aberkennung des faktischen Abschiebeschutzes gemäß § 12a Abs. 2 AsylG 2005 im gegenständlichen Fall vorliegen.

Gemäß § 12a Abs. 2 AsylG 2005 kann das BFA den faktischen Abschiebeschutz des Fremden, der einen Folgeantrag gestellt hat, aufheben, wenn gegen ihn (u.a.) eine Rückkehrentscheidung besteht (Z 1), der Antrag voraussichtlich zurückzuweisen ist, weil keine entscheidungswesentliche Änderung des maßgeblichen Sachverhalts eingetreten ist (Z 2), und die Abschiebung keine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2, 3, oder 8 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten und für ihn als Zivilperson keine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde (Z 3).

Zur Tatbestandsvoraussetzung des § 12a Abs. 2 Z 2 AsylG 2005 ("wenn der Antrag voraussichtlich zurückzuweisen ist, weil keine entscheidungswesentliche Änderung des maßgeblichen Sachverhalts eingetreten ist") hat der Verwaltungsgerichtshof erkannt, es müsse das vom Gesetz angestrebte Ziel beachtet werden, den faktischen Abschiebeschutz nur für klar missbräuchliche Anträge beseitigen zu wollen. Nicht jeder Folgeantrag, bei dem eine (spätere) Zurückweisung wegen entschiedener Sache gemäß § 68 AVG in Betracht kommen könnte, berechtige daher zur Aberkennung des faktischen Abschiebeschutzes nach § 12a Abs. AsylG 2005. Es müsse sich vielmehr um einen Fall handeln, in dem sich dieser Verfahrensausgang von vornherein deutlich abzeichne. Nur dann könne auch angenommen werden, dass die Antragstellung in Wirklichkeit den Zweck verfolge, die Durchsetzung einer vorangegangenen und mit einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme verbundenen (rechtskräftigen) Vorentscheidung zu verhindern. Auf einen solchen missbräuchlichen Zweck deute - unter Bedachtnahme auf näher bezeichnete unionsrechtlichen Vorgaben - etwa die mehrfache Folgeantragstellung hin, wenn dieser keine substanziell neuen und eine andere Beurteilung rechtfertigenden Sachverhaltselemente zugrunde liegen. Möglich seien aber auch andere Umstände, die den Schluss zuließen, dass der Fremde mit seinem Folgeantrag eine (bevorstehende) Abschiebung verhindern oder verzögern möchte (vgl. dazu grundlegend VwGH 19.12.2017, Ra 2017/18/0451; rezent VwGH 07.02.2020, Ra 2019/18/0487-8). Das Bundesverwaltungsgericht muss sich mit der Frage, ob die Folgeantragstellung klar missbräuchlich erfolgt ist, auseinandersetzen (VwGH 07.02.2020, Ra 2019/18/0487-8, Rz 14).

Das bedeutet für den konkreten Fall:

1.) Aufrechte Rückkehrentscheidung (§ 12a Abs 2 Z 1 AslyG 2005):

Gegen den Antragsteller liegt eine rechtskräftige, aufrechte Rückkehrentscheidung vor, nämlich die mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 10.02.2020, W231 2199531-1 bestätigte.

2.) Res iudicata (entschiedene Sache) (§ 12a Abs. 2 Z 2 AsylG 2005):

Objektiv nachvollziehbare und glaubhafte neue Tatsachen hat der Antragsteller nicht vorgebracht; insbesondere legte er auch keine Beweismittel vor. In Bezug auf die Fluchtgründe des Antragstellers liegt voraussichtlich eine entschiedene Sache gemäß § 68 Abs. 1 AVG vor und stehen die rechtskräftigen Erkenntnisse des Bundesverwaltungsgerichtes vom 10.02.2020, W231 2199531-1 einer neuerlichen Absprache über diese Gründe sohin voraussichtlich entgegen. Auch im Hinblick auf die Sicherheits- und Versorgungslage in seinem Herkunftsland brachte der Antragsteller keine substantiierte Verschlechterung vor.

Es ist daher nach einer Grobprüfung davon auszugehen, dass der gegenständliche Folgeantrag gemäß § 68 Abs. 1 AVG zurückzuweisen sein wird, weil keine entscheidungswesentliche Änderung des maßgeblichen Sachverhalts eingetreten ist.

Darüber hinaus ist im konkreten Fall auch davon auszugehen, dass der Folgeantragstellung missbräuchlich gestellt wurde: Der Antragsteller bezieht sich im Folgeantrag ausschließlich auf seine bereits im ersten Verfahren vorgebrachten Fluchtgründe, diese würden noch immer gelten, er sei nie in Afghanistan gewesen und im Iran geboren und aufgewachsen, und brachte weder in der Erstbefragung noch in seiner Einvernahme vor dem BFA am 25.02.2020 ansatzweise substanziell neue und eine andere Beurteilung rechtfertigende Sachverhaltselemente vor. Hinsichtlich einer Rückkehr des Antragstellers nach Afghanistan ist auch zu berücksichtigen, dass sich die Eltern, zu denen der Antragsteller in Kontakt steht, etwa seit Mitte Februar 2020 wieder in Afghanistan (Mazar-e-Sharif) aufhalten und der Antragsteller bei ihnen wohnen könnte, was sogar eine Verbesserung der persönlichen Situation des Antragstellers dargestellt, als er nun in Mazar-e-Sharif über ein bestehendes familiäres Netz verfügt. Es handelt sich daher um einen Fall, in dem sich der Verfahrensausgang in Bezug auf den Folgeantrag von vornherein deutlich abzeichnet. Abgesehen davon hat der Antragsteller im Zuge seiner Einvernahme vor der Behörde am 25.02.2020 mehrfach klar zum Ausdruck gebracht, dass er wieder nach Afghanistan zurückkehren möchte, was die neuerliche Antragstellung nicht nur missbräuchlich, sondern auch nicht nachvollziehbar erscheinen lässt.

3.) Prüfung der Verletzung von Rechten nach der EMRK (§ 12a Abs 2 Z 3 AsylG 2005):

Im Erstverfahren haben das BFA und das Bundesverwaltungsgericht ausgesprochen, dass der Antragsteller bei einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat keiner realen Gefahr einer Verletzung der Art 2, 3 oder 8 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention ausgesetzt wäre oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes besteht (§ 50 FPG).

Auch im gegenständlichen Verfahren wegen internationalen Schutzes sind keine Risiken für den Antragsteller im Sinne von § 12a Abs. 2 Z 3 AsylG 2005 hervorgekommen oder substantiiert behauptet worden. Es sind auch keine erheblichen, in der Person des Antragstellers liegenden neuen Sachverhaltselemente bekannt geworden, wie beispielsweise eine asylrelevante, schwere Erkrankung, die eine umfassende Refoulementprüfung für notwendig erscheinen lassen würden, wie in der Beweiswürdigung dargelegt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat zu Ra 2016/01/0096 vom 13.09.2016 ausgeführt, dass nach der ständigen Judikatur des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte, wonach es - abgesehen von Abschiebungen in Staaten, in denen die allgemeine Situation so schwerwiegend ist, dass die Rückführung eines abgelehnten Asylwerbers dorthin eine Verletzung von Art 3 EMRK darstellen würde - es grundsätzlich der abschiebungsgefährdeten Person obliegt, mit geeigneten Beweisen gewichtige Gründe für die Annahme eines Risikos nachzuweisen, dass ihr im Falle der Durchführung einer Rückführungsmaßnahme eine dem Art 3 EMRK widersprechende Behandlung drohen würde (vgl. etwa das Urteil des EGMR vom 5.9.2013, I. gg. Schweden, Nr. 61204/09).

Demzufolge müsste die Gefährdung des Antragstellers iSd Art. 3 EMRK, sofern diese nicht von vornherein klar ersichtlich ist, von diesem belegt werden.

Eine den Antragsteller individuell drohende Verfolgung hat dieser auch nicht glaubhaft vorgebracht.

Unter realer Gefahr ist eine ausreichend reale, nicht nur auf Spekulationen gegründete Gefahr ("a sufficiently real risk") möglicher Konsequenzen für den Betroffenen im Zielstaat zu verstehen (vgl etwa VwGH vom 19.2.2004, 99/20/0573). Es müssen stichhaltige Gründe für die Annahme sprechen, dass eine Person einem realen Risiko einer unmenschlichen Behandlung ausgesetzt wäre und es müssen konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass gerade die betroffene Person einer derartigen Gefahr ausgesetzt sein würde. Die bloße Möglichkeit eines realen Risikos oder Vermutungen, dass der Betroffene ein solches Schicksal erleiden könnte, reichen nicht aus.

Wie der Verwaltungsgerichtshof zu Ra 2016/19/0036 vom 25.05.2016 ausführt, kann die Außerlandesschaffung eines Fremden auch dann gegen Art. 3 EMRK verstoßen, wenn der Betroffene dort keine Lebensgrundlage vorfindet, also die Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz (bezogen auf den Einzelfall) nicht gedeckt werden könnten. Nach der auf der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte beruhenden höchstgerichtlichen Judikatur ist eine solche Situation jedoch nur unter exzeptionellen Umständen anzunehmen. Die bloße Möglichkeit einer durch die Lebensumstände bedingten Verletzung des Art 3 EMRK ist nicht ausreichend. Vielmehr ist es zur Begründung einer drohenden Verletzung von Art 3 EMRK notwendig, konkret darzulegen, warum solche exzeptionellen Umstände vorliegen.

Im Verfahren sind keine Umstände aufgezeigt worden beziehungsweise amtswegig hervorgekommen, dass der Antragsteller einer außergewöhnlichen, exzeptionellen Gefährdung bei einer Rückkehr ausgesetzt wäre. Festzuhalten ist an dieser Stelle auch, dass sich die Eltern, zu denen der Antragsteller Kontakt hat, seit kurzem wieder in Afghanistan (Mazar-e-Sharif) aufhalten, was sich aus der Einvernahme am 25.02.2020 ergibt, und der Antragsteller bei einer Rückkehr bei ihnen wohnen könnte.

Entsprechend den obigen Ausführungen, stellt - nach der Prüfung des Aktes im hier erforderlichen Ausmaß - aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichtes die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Antragstellers in seinen Herkunftsstaat für ihn somit keine reale Gefahr einer Verletzung von Art 2 und 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur EMRK dar beziehungsweise ist ein Eingriff in allfällig bestehende Rechte nach Art 8 EMRK gerechtfertigt.

Unter Hinweis auf die im Verwaltungsakt einliegenden Länderberichte ist davon auszugehen, dass für den Antragsteller als Zivilperson auch keine ernsthafte Bedrohung seines Lebens und seiner Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes besteht.

4.) Rechtmäßigkeit des Verfahrens: Im Verfahren zur Aberkennung des Abschiebeschutzes gemäß § 12a Abs. 2 AsylG 2005 durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl ist ein Ermittlungsverfahren durchzuführen (vgl. § 18 AsylG 2005), wobei auch der Grundsatz der Einräumung von rechtlichem Gehör (§§ 37, 45 Abs. 3 AVG) zu beachten ist.

Die belangte Behörde hat das Ermittlungsverfahren ordnungsgemäß durchgeführt.

Gemäß § 22 Abs. 1 2. Satz BFA-VG war ohne Abhaltung einer mündlichen Verhandlung zu entscheiden. Somit sind die Voraussetzungen des § 12a Abs. 2 AsylG 2005 in gegenständlichem Fall gegeben; es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Zu Spruchpunkt B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Vielmehr spricht die gegenständliche Tatsachenlastigkeit des vorliegenden Falles gegen das Vorliegen einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Schlagworte

aufrechte Rückkehrentscheidung faktischer Abschiebeschutz - Aufhebung rechtmäßig Folgeantrag res iudicata

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W231.2199531.2.00

Im RIS seit

28.07.2020

Zuletzt aktualisiert am

28.07.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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