TE Bvwg Beschluss 2020/3/9 W250 2134765-2

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Veröffentlicht am 09.03.2020
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Entscheidungsdatum

09.03.2020

Norm

AsylG 2005 §12a Abs2
AsylG 2005 §22 Abs10
BFA-VG §22
B-VG Art133 Abs4

Spruch

W250 2134765-2/3E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Michael BIEDERMANN als Einzelrichter über die durch den mündlich verkündeten Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 04.03.2020, Zl. XXXX , erfolgte Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes betreffend XXXX , geb. XXXX , Staatsangehörigkeit Afghanistan, beschlossen:

A)

Die Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes ist gemäß § 12a Abs. 2 und § 22 Abs. 10 Asylgesetz 2005 in Verbindung mit § 22 BFA-Verfahrensgesetz rechtmäßig.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

BEGRÜNDUNG:

I. Verfahrensgang:

1. Vorverfahren

1.1. Der Asylwerber (in weiterer Folge als AW bezeichnet), ein afghanischer Staatsangehöriger, reiste illegal nach Österreich ein und stellte am 06.02.2016 einen (ersten) Antrag auf internationalen Schutz, nachdem ihm die Einreise in die Bundesrepublik Deutschland verweigert worden war.

1.2. Im Rahmen der am 07.02.2016 durchgeführten Erstbefragung gab der AW zu seinen Fluchtgründen befragt an, dass er entweder mit den Taliban oder den IS in den Kampf ziehen müsse, ansonsten werde er umgebracht.

1.3. Am 18.07.2016 wurde der AW vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in weiterer Folge als Bundesamt bezeichnet) niederschriftlich einvernommen. Dabei gab der AW im Wesentlichen an, dass er schiitischer Moslem sei und der Volksgruppe der Hazara angehöre. Er habe in Afghanistan für eine Sicherheitsfirma gearbeitet, die Waren für die Ausländer bis zur Übergabe bewacht habe. Mit dieser Arbeit habe er aufgehört, da drei Mitarbeiter der Firma von den Taliban entführt und getötet worden seien. Nach ca. zwei Monaten seien die Taliban und die IS in das Wohngebiet des AW in Kabul gekommen, wodurch die Sicherheitslage allmählich schlecht geworden sei. Der AW sei gezwungen worden eine Koranschule zu besuchen, in der der BF gegen die Regierung aufgehetzt worden sei. Am zweiten Abend habe der AW seinem Vater davon erzählt, woraufhin dieser zur Bezirkspolizei sowie zum Innenministerium gegangen sei. Am Abend sei der Bezirksvorsteher mit einem Kommandanten der Taliban und anderen Taliban zum Haus des AW gekommen, um den AW zu einem Training nach Pakistan zu schicken. Der Vater des AW habe dies verweigert, weshalb er erschossen worden sei. Der AW habe über eine Mauer entkommen können und sei am selben Abend in die Provinz Nimruz und von dort über Pakistan in den Iran gereist.

1.4. Mit Bescheid vom 22.08.2016 wies das Bundesamt den Antrag des AW auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z. 13 Asylgesetz 2005 - AsylG (Spruchpunkt I.) und bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z. 13 leg.cit. (Spruchpunkt II.) ab. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG wurde dem AW nicht erteilt, gemäß § 10 Abs. 1 Z. 3 AsylG iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz - BFA-VG wurde gegen den AW eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z. 2 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG erlassen und festgestellt, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt III.). Weiters wurde ausgesprochen, dass gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise des AW zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt IV.).

1.5. Gegen diesen Bescheid erhob der AW fristgerecht das Rechtsmittel der Beschwerde.

1.6. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 23.06.2017 eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, in der der AW ausführlich zu seinen Fluchtgründen, seinen persönlichen Verhältnissen im Herkunftsstaat sowie zu seiner Integration in Österreich befragt wurde.

Dabei wiederholte der AW seine bereits vor dem Bundesamt getätigten Fluchtgründe.

Insbesondere gab er an, dass er aus einem Ort nahe der Stadt Kabul stamme. Sein Vater sei Arzt, seine Mutter Universitätsdozentin. Er hab in Afghanistan 12 Jahre die Schule besucht, ein Semester studiert sowie ein Praktikum in einem Krankenhaus absolviert - dies Anfang 2015. Von Jänner bis Juni 2015 habe er "für die Security-Abteilung der Amerikaner" gearbeitet. Da sei es um Transport von Waffen gegangen. Im Anschluss sei er an einem Restaurant beteiligt gewesen - was aus diesem Investment geworden sei, wisse er allerdings nicht. Er habe den Kontakt zu seinem Geschäftspartner abgebrochen. Zu seiner Mutter und seinen Geschwistern habe er wöchentlich telefonischen Kontakt - diese hätten allerdings auch 2015 Afghanistan verlassen.

Im Oktober 2016 habe ihm ein Studienfreund Unterlagen übermittelt, welche der AW im Beschwerdeverfahren vorgelegt habe. Er habe den Studienfreund nach der erstinstanzlichen Entscheidung ersucht, diese Dokumente zu übermitteln, diese seien 2016 alle neu ausgestellt bzw. verfasst worden. Nach seiner Tätigkeit bei der Security-Firma sei es ab Oktober 2015 zu massiven Anwerbeversuchen seitens der Taliban gekommen. Dabei seien die Leute auch nachdrücklich aufgefordert worden, eine "Koranschule" zu besuchen - was der AW auch einmal getan habe.

1.7. Am 06.07.2017 langte beim Bundesverwaltungsgericht eine Stellungnahme des AW ein, in welcher er ausführte, dass er zu den von UNHCR identifizierten Risikogruppen zähle. Zudem verfüge er weder über ein familiäres noch ein soziales Netz in Kabul und sei sein wirtschaftliches Überleben dort nicht gesichert.

1.8. Am 28.11.2017 wurde der AW von seinem Quartier als "abgängig" gemeldet. Am XXXX wurde der AW von Deutschland nach Österreich überstellt. Die Überstellungsanzeige führt insgesamt fünf "Alias-Identitäten" des AW an.

1.9. Mit Stellungnahme vom 02.11.2018 führte der AW im Wesentlichen aus, dass die Mutter und die Geschwister des AW über Indien in den Iran gezogen seien. Für den AW sei Kabul nicht hinreichend sicher, andere innerstaatliche Fluchtalternativen stünden dem AW mangels eines dort vorhandenen sozialen oder familiären Netzwerkes nicht zur Verfügung.

1.10. Mit Bescheid des Bundesamtes vom 06.05.2019 wurde festgestellt, dass der AW ab dem 02.05.2019 gemäß § 13 Abs. 2 AsylG sein Aufenthaltsrecht im Bundesgebiet verloren hat, da gegen ihn durch ein Landesgericht Anklage wegen vorsätzlich begangener Handlungen erhoben worden ist. Diese Entscheidung erwuchs in Rechtskraft.

1.11. Mit Urteil eines Landesgerichtes vom 12.06.2019 wurde der AW wegen der Begehung von Suchtmitteldelikten rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von 9 Monaten, die unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurde, verurteilt.

1.12. Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 19.08.2019 wurde die Beschwerde des AW gegen den Bescheid des Bundesamtes vom 22.08.2016 als unbegründet abgewiesen.

Das Bundesverwaltungsgericht traf umfangreiche Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat des AW [dort: des Beschwerdeführers] und folgende Feststellungen zu seinem sozialen Hintergrund:

"Der Beschwerdeführer ist afghanischer Staatsangehöriger, gehört der Volksgruppe der Gizilbash/Hazara und der schiitischen Glaubensrichtung an. Seine Identität steht nicht fest; im Spruch findet sich lediglich eine Verfahrensidentität. Jedenfalls auszuschließen sind die vom Beschwerdeführer behaupteten Geburtsjahre 1997 oder 1998. Der Beschwerdeführer ist zweifelsfrei einige Jahre älter. Er stammt aus der Kabul-Stadt, wo er bis zu seiner Ausreise lebte. Er hat in Afghanistan zwölf Jahre die Schule sowie danach einen Vorstudienlehrgang (2 Jahre) besucht und anschließend auch noch kurz studiert. Danach war er berufstätig und konnte sich selbst erhalten. Der Beschwerdeführer ist für afghanische Verhältnisse weit überdurchschnittlich ausgebildet und stammt aus einer bürgerlichen Familie. Seine Existenz war stets gesichert. Er ist gesund und arbeitsfähig. Der Beschwerdeführer ist als Person in hohem Maße nicht glaubwürdig.

Nahe Familienangehörige des Beschwerdeführers halten sich nicht mehr in Afghanistan auf. Der Entscheidung wird ungeachtet dessen ausdrücklich nicht zugrunde gelegt, dass seine Familie wegen Problemen des Beschwerdeführers zunächst nach Indien flüchten musste und im Zuge einer (vorübergehenden) Rückkehr nach Kabul eine Schwester des Beschwerdeführers aufgrund des Verwandtschaftsverhältnisses zu diesem umgebracht worden ist, weshalb sich die Familie deswegen gezwungen gesehen hat, in den Iran auszureisen.

Der Beschwerdeführer verfügt in Kabul-Stadt über substanzielle soziale Anknüpfungspunkte (Freunde, Studienkollegen) zu denen er jederzeit einen Kontakt herstellen konnte und weiterhin kann. Der Beschwerdeführer war vor seiner Ausreise aus Afghanistan selbsterhaltungsfähig, berufstätig und nicht von Unterstützungsleistungen seiner Familie abhängig. Glaubhaft ist auch das Investment in einen Gastronomiebetrieb (Restaurant); anders jedoch als das in der Beschwerdeverhandlung behauptete völlig fehlende Wissen von dessen Schicksal. Im Falle einer Rückkehr könnte er in Kabul seine Existenz sichern, wobei er über klar überdurchschnittliche Qualifikationen für den Arbeitsmarkt verfügt. Aus diesem Grunde könnte er allenfalls auch bei einer Übersiedlung nach Mazar-e Sharif oder Herat seine Existenz ungeachtet des fehlenden sozialen und familiären Netzes vor Ort sichern."

Zum Leben des AW in Österreich wurde festgestellt:

"Der Beschwerdeführer hat keine Familienangehörigen oder Verwandten in Österreich. Er hat die Deutschprüfung auf Niveaustufe A1 erfolgreich abgelegt und sich ehrenamtlich engagiert. Im November 2017 hat er sich ungeachtet des noch laufenden Asylverfahrens illegal nach Deutschland abgesetzt und wurde im März 2018 nach Österreich rücküberstellt. Er ist seit 26.04.2018 wieder in Österreich gemeldet, wobei seine Meldehistorie 2019 Lücken von insgesamt drei Monaten aufweist. Im Juni 2019 wurde der Beschwerdeführer aufgrund von Suchtmitteldelikten zu einer (zur Gänze bedingt nachgesehenen) Freiheitsstrafe von neun Monaten verurteilt. Er ist unverheiratet, grundsätzlich gesund und arbeitsfähig."

Zu den Fluchtgründen wurde festgestellt:

"Der Beschwerdeführer hat im Verfahren mit dem angeblich von US-Militärs ausgefertigten "Certificate of Appreciation" ein Beweismittel vorgelegt, das sich als offenkundige Fälschung erweist. Die beiden Dokumente zum Beleg einer Beschäftigung bei der " XXXX " oder " XXXX " (über eine Beschäftigung in der ersten Jahreshälfte 2015) erweisen sich als von allenfalls zweifelhaftem Beweiswert. Sie enthalten auch keine konkreten Tätigkeitsbeschreibungen.

Seinen Antrag begründete er im Wesentlichen damit, sich einer zwangsweisen Rekrutierung durch die Taliban (und/oder den IS) entzogen zu haben. Dieses Vorbringen erweist sich - inklusive der damit verbundenen Behauptung der Ermordung seines Vaters durch die Taliban - als zur Gänze nicht glaubhaft. Ebenfalls nicht glaubhaft ist, dass der Beschwerdeführer in (auch nur annähernd) leitender Funktion Waffentransporte für das amerikanische Militär betreut und/oder begleitet hat. Für eine drohende Verfolgung aus politischen, ethnischen und/oder religiösen Gründen gibt es keinen stichhaltigen Hinweis. Er unterliegt im Falle der Rückkehr nicht der realen Gefahr einer Zwangsrekrutierung durch die Taliban."

In der umfassenden Beweiswürdigung legte das Bundesverwaltungsgericht im Einzelnen dar, weshalb dem AW in Bezug auf seine im Verfahren vorgebrachten Fluchtgründe kein Glauben zu schenken war. Das unplausible und widersprüchliche Vorbringen führte nicht nur zur Unglaubhaftigkeit der im Verfahren vorgebrachten Fluchtgründe sondern indizierte auch die fehlende persönliche Glaubwürdigkeit des AW.

Das Bundesverwaltungsgericht gelangte daher zum Ergebnis, dass es dem AW nicht gelungen ist, eine wohlbegründete Furcht vor Verfolgung aus Gründen der GFK glaubhaft zu machen.

Der AW konnte auch nicht aufzeigen, dass die Rückkehr nach Kabul-Stadt, wo er selbst bereits in wirtschaftlicher Selbstständigkeit gelebt hat und nachweislich über Freunde und ein soziales und berufliches Netzwerk verfügt, unzulässig oder nicht zumutbar sein könnte. Auch aus der allgemeinen Sicherheitslage in Kabul lässt sich weder erkennen, dass jegliche dort aufhältige (erwachsene) Person einer realen Gefahr ihrer durch Art. 2 und 3 EMRK geschützten Rechte ausgesetzt wäre, noch dass der dortige Aufenthalt dem AW unzumutbar wäre.

Ungeachtet dessen ist dem AW auch die Ansiedelung in den Städten Herat und Mazar-e Sharif möglich.

Im Fall einer Rückkehr des AW nach Afghanistan besteht sowohl in Kabul als auch in Herat und Mazar-e Scharif keine reale Gefahr der Verletzung des Art. 3 EMRK.

Das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 19.08.2019 wurde der bevollmächtigten Vertretung des AW am 19.08.2019 zugestellt und erwuchs in Rechtskraft.

2. Gegenständliches Verfahren

2.1. Am 08.01.2020 stellte der AW in der Bundesrepublik Deutschland einen Asylantrag. Am XXXX wurde der AW nach den Bestimmungen der Verordnung EU Nr. 604/2013 (Dublin-III-VO) nach Österreich überstellt.

2.2. Am 07.02.2020 stellte der AW den gegenständlichen Folgeantrag (zweiten Antrag) auf internationalen Schutz in Österreich. In der am 07.02.2020 durchgeführten Erstbefragung gab der AW an, dass er neuerlich um internationalen Schutz in Österreich ansuche, da er keine andere Wahl habe, da er nicht nach Afghanistan zurück könne. Er sei Atheist und könne in einem islamischen Staat nicht weiterleben. Nach der Rückkehr seiner Mutter nach Afghanistan sei diese gezwungen worden, ein Mitglied einer Taliban-Gruppe zu heiraten. Der AW habe auf seinem Körper mehrere Tattoos, in Afghanistan sei es nicht erlaubt, Tattoos zu tragen. Bei einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat werde er auf jeden Fall getötet. Vielleicht habe er noch eine Wahl, aber dafür müsse er sicher für die Taliban in den Kampf ziehen.

2.3. Am 24.02.2020 wurde der AW vom Bundesamt einvernommen. Dabei gab er im Wesentlichen an, dass er sich psychisch und physisch in der Lage fühle, die gestellten Fragen wahrheitsgemäß zu beantworten. Er leide eigentlich an keinen Krankheiten, er fühle sich aber zur Zeit mental nicht gut, da er sich in Schubhaft in Einzelhaft befinde. Er beginne zu zittern, habe Depressionen und könne nicht gut atmen. Beim Arzt sei er diesbezüglich nicht gewesen. An Medikamenten nehme er nur Schlaftabletten ein. Er habe diese Probleme nur, da er sich in Einzelhaft befinde. Seine im Rahmen der Erstbefragung gemachten Angaben entsprächen der Wahrheit. Er wolle jedoch wieder zurück nach Afghanistan, auch wenn er dort ums Leben kommen würde. Er sei müde. Er wolle zurückkehren, da seine Schwester getötet worden sei und er dies rächen wolle. Er habe vor ca. einem Jahr erfahren, dass seine Schwester von den Taliban getötet worden sei. Er habe das noch nicht angegeben, da seine Mutter das nicht zulassen würde. Er tue das ohne ihr Wissen. Es stimme, dass er Atheist sei und auch tätowiert sei. Aber die Aussichtslosigkeit und die Problematik zu Hause hätten dazu geführt, dass sich der AW dazu entschieden habe, nach Afghanistan zu gehen. Er sei seit zwei Jahren tätowiert und sei seit einem Jahr Atheist. Das Leid seiner Mutter habe dazu geführt, dass der AW seinen Glauben verloren habe. Das sei im März oder April gewesen. Genau wisse er das nicht. Sein Leben habe sich dadurch, dass er Atheist geworden sei, nicht nennenswert verändert. Auf die Frage, warum er diese Gründe nicht bereits im ersten Verfahren angegeben habe, gab der BF an, dass er dies bereits im letzten Jahr - im Sommer 2019 - seinem Rechtsberater bekannt gegeben habe. Damals sei ihm gesagt worden, er müsse das zweitinstanzliche Verfahren abwarten. Auf Nachfrage des Bundesamtes gab die für den AW bestellte Rechtsberatungsorganisation an, dass sich aus der Protokollierung im genannten Zeitraum keine derartigen Schilderungen des AW ergeben. Der AW gab dazu an, dass er nicht darüber aufgeklärt worden sei, dass er einen neuen Asylantrag stellen könne, seine Beraterin sei in Karenz gewesen. Dass er die Möglichkeit gehabt habe direkt zur Polizei zu gehen, habe er nicht gewusst. Den Namen der Beraterin könne er nicht angeben, da er ihm nicht einfalle. Wenn er nach Afghanistan zurückkehren müsse, so werde ihm wahrscheinlich die Hand abgehackt, da er tätowiert sei, er wolle aber zurück um sich zu rächen. In seinem Privatleben habe sich seit dem Vorverfahren lediglich geändert, dass ihn seine Verlobte verlassen habe.

Im Zuge der Einvernahme wurde dem AW mitgeteilt, dass beabsichtigt sei, seinen Antrag auf internationalen Schutz zurückzuweisen und den faktischen Abschiebeschutz durch mündlichen Bescheid aufzuheben. Dazu gab der AW an, dass er dazu nicht Stellung nehmen wolle. In die angebotenen Länderfeststellungen nahm er Einsicht.

2.4. Am 14.02.2020 bewilligte das Bundesamt die Übernahme der Ausreisekosten im Rahmen der freiwilligen Rückkehr des AW.

2.5. Am 27.02.2020 gab der BF eine Stellungnahme ab, in der er im Wesentlichen ausführte, dass der im Rahmen der freiwilligen Rückkehr ohne jede Verzögerung nach Afghanistan ausreisen wolle. Da ein Parteiengehör zu dieser Verzögerung führe, verzichte er auf die Durchführung des Parteiengehörs. Er ersuche das Bundesamt ohne Durchführung des Parteiengehörs in seinem Asylverfahren zu entscheiden.

2.5. Mit mündlich verkündetem Bescheid des Bundesamtes vom 04.03.2020 wurde der faktische Abschiebeschutz gemäß § 12 AsylG gemäß § 12a Abs. 2 AsylG aufgehoben.

Begründend wurde nach einer ausführlichen Schilderung des bisherigen Verfahrens im Wesentlichen ausgeführt, dass die Identität des AW feststehe und er afghanischer Staatsangehöriger sei. Es könne nicht festgestellt werden, dass er im Rückkehrfall mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit in eine existenzbedrohende Notlage geraten werde. Eine lebensbedrohliche Erkrankung, die einer Überstellung nach Afghanistan entgegenstünde, habe nicht festgestellt werden können. Das im gegenständlichen Asylantrag geltend gemachte Parteibegehren sei dem AW bereits vor Rechtskraft des ersten Verfahrens bekannt gewesen. Es sei für das Bundesamt eindeutig ersichtlich, dass der AW bereits im Zuge des Erstverfahrens in der Lage und auch verpflichtet gewesen sei, dem Bundesamt seine vermeintlich neuen Fluchtgründe mitzuteilen. Darüber hinaus sei die Anmeldung zur freiwilligen Rückkehr als Indiz dafür zu werten, dass der AW keiner tatsächlichen sein Leben bedrohenden Gefahr in Afghanistan ausgesetzt sei. Der AW habe den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz aus den Gründen gestellt, die ihm bereits im ersten Verfahren bekannt gewesen seien, von ihm jedoch vorsätzlich und wissentlich nicht vorgebracht worden seien. Ein neuer objektiver asylrelevanter Sachverhalt liege nicht vor. Der neue Antrag auf internationalen Schutz werde daher voraussichtlich wegen entschiedener Sache zurückzuweisen sein. Weiters könne nicht festgestellt werden, dass die Zurückweisung, die Zurück- oder Abschiebung des AW nach Afghanistan eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für den AW als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde. In Österreich habe der AW keine Angehörigen oder sonstige Verwandte, zu denen ein finanzielles Abhängigkeitsverhältnis bzw. eine besonders enge Beziehung bestehe. In Österreich habe der AW keine besonderen sozialen Kontakte, die ihn an Österreich binden. Die Lage im Herkunftsstaat des AW habe sich seit der Entscheidung über seinen vorherigen Antrag auf internationalen Schutz bzw. seit der Rechtskraft der letzten Rückkehrentscheidung nicht entscheidungswesentlich verändert.

Der Entscheidung wurden aktuelle Länderfeststellungen zu Afghanistan zu Grunde gelegt.

In der rechtlichen Beurteilung führte das Bundesamt im Wesentlichen aus, dass im Fall des AW ein Folgeantrag vorliege und das Erstverfahren am 20.08.2020 rechtskräftig abgeschlossen worden sei und damit auch die gegen ihn ausgesprochene Rückkehrentscheidung rechtskräftig erlassen worden sei. Diese Rückkehrentscheidung sei aufrecht, da der AW nicht im Sinne des § 75 Abs. 23 AsylG ausgereist sei. Seine Ausreise nach Deutschland sei keine derartige Ausreise, zu der er auf Grund der Rückkehrentscheidung verpflichtet sei. Über ein sonstiges Aufenthaltsrecht verfüge der AW nicht und sei sein nunmehriger Antrag auf internationalen Schutz voraussichtlich zurückzuweisen. Die allgemeine Lage im Herkunftsland des AW habe sich nicht entscheidungswesentlich geändert. Die Feststellung der Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung sei nach wie vor nicht anzuzweifeln.

In der Rechtsmittelbelehrung dieses mündlich verkündeten und in der Niederschrift schriftlich festgehaltenen Bescheides wurde darauf hingewiesen, dass die Beurkundung als schriftliche Ausfertigung gemäß § 62 Abs. 2 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 - AVG gelte und die Verwaltungsakten unverzüglich von Amts wegen dem Bundesverwaltungsgericht vorgelegt werden. Dies gelte als Beschwerde.

2.6. Die Verwaltungsakten langten am 06.03.2020 bei der zuständigen Gerichtsabteilung des Bundesverwaltungsgerichtes ein, worüber das Bundesamt gemäß § 22 Abs. 2 BFA-VG mit Mitteilung vom selben Tag verständigt wurde.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Für den AW wurde am XXXX ein EU Laissez Passer ausgestellt, wonach er den Namen XXXX und das Geburtsdatum XXXX führt. Der BF ist afghanischer Staatsangehöriger. Er gehört der Volksgruppe der Gizilbash/Hazara an und bekannte sich im ersten Asylverfahren zum muslimisch-schiitischen Glauben. Seine Muttersprache ist Dari. Er stammt aus Kabul-Stadt, wo er bis zu seiner Ausreise lebte. Der AW besuchte zwölf Jahre eine Schule, danach einen zwei Jahre dauernden Vorstudienlehrgang und studierte anschließend für kurze Zeit. Danach war er berufstätig und konnte sich selbst erhalten. Der AW ist für afghanische Verhältnisse weit überdurchschnittlich gebildet und stammt aus einer bürgerlichen Familie, seine Existenz war stets gesichert.

Wo die Kernfamilie des AW aktuell aufhältig ist, kann nicht festgestellt werden, nahe Angehörige des AW halten sich in Afghanistan nicht mehr auf.

Der AW hat Afghanistan im Jahr 2015 verlassen und gelangte illegal nach Österreich, wo er am 06.02.2016 einen (ersten) Antrag auf internationalen Schutz stellte. Dieser wurde mit Bescheid des Bundesamtes vom 22.08.2016 sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen. Mit dieser Entscheidung wurde auch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z. 2 FPG erlassen und festgestellt, dass die Abschiebung des AW nach Afghanistan zulässig ist. Die dagegen erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 19.08.2019 als unbegründet abgewiesen. Dieses Erkenntnis wurde dem AW am 19.08.2019 zugestellt und erwuchs in Rechtskraft.

Nachdem der AW am XXXX aus der Bundesrepublik Deutschland - wo er am 08.01.2020 einen Asylantrag stellte - wieder nach Österreich überstellt wurde, stellte er am 07.02.2020 einen weiteren - den hier beschwerdegegenständlichen - Antrag auf internationalen Schutz. Im gegenständlichen Verfahren bezieht sich der AW ausschließlich auf Gründe, die bereits zum Zeitpunkt des Abschlusses des ersten Verfahrens bestanden haben.

Am 11.02.2020 stellte der BF einen Antrag auf unterstützte freiwillige Rückkehr, dem vom Bundesamt mit einer Gültigkeitsdauer bis 31.03.2020 zugestimmt wurde.

Der AW ist volljährig, ledig und hat keine Kinder, es besteht weder ein hinreichend schützenswertes Privatleben noch ein Familienleben im Bundesgebiet. Der AW wurde nach dem Suchtmittelgesetz im Juni 2019 zu einer Freiheitsstrafe von 9 Monaten, die zur Gänze bedingt nachgesehen wurde, verurteilt. Er ist nicht rechtmäßig in das Bundesgebiet eingereist und verfügte außer seinem auf das Asylverfahren gegründeten Aufenthaltsrecht über kein weiteres Aufenthaltsrecht. Es bestehen keine Hinweise darauf, dass beim AW Erkrankungen vorliegen, die ein solches Ausmaß erreichen, dass sie einer Rückkehr nach Afghanistan entgegenstehen würden.

Eine entscheidungswesentliche Änderung der Situation im Herkunftsstaat des AW ist zwischenzeitlich nicht eingetreten.

Bei einer Rückkehr nach Kabul-Stadt sowie seiner Ansiedlung in Herat oder Mazar-e Sharif droht dem AW keine reale Gefahr einer Verletzung des Art. 3 EMRK. Er läuft dabei nicht real Gefahr, eine Verletzung seiner durch Art. 2 oder Art. 3 EMRK oder der durch die Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention geschützten Rechte zu erleiden. Eine Ansiedelung in den Städten Kabul, Mazar-e Sharif und Herat ist dem AW zumutbar.

2. Beweiswürdigung:

Beweis wurde erhoben durch Einsichtnahme in die dem Bundesverwaltungsgericht vorliegenden Verwaltungsakten des Bundesamtes sowie in die Dokumentationsquellen betreffend den Herkunftsstaat des AW im erstbehördlichen Verfahren, insbesondere in das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation des Bundesamtes zu Afghanistan vom 13.11.2019.

Der Verfahrensgang ergibt sich aus den zur gegenständlichen Rechtssache vorliegenden Verfahrensakten des Bundesamtes und des Bundesverwaltungsgerichtes.

Die vom AW im gegenständlichen Verfahren vorgebrachten Fluchtgründe lagen bereits zum Zeitpunkt des Erstverfahrens vor. Dies räumte der AW selbst in seiner Einvernahme am 24.02.2020 ein. So gab er insbesondere an, dass er seit zwei Jahren tätowiert und seit einem Jahr Atheist sei. Dass er - wie von ihm angegeben - durch seine Rechtsberatung dahingehend beraten worden sei, diese Gründe im Erstverfahren nicht geltend zu machen, konnte der BF nicht glaubhaft darlegen. Einerseits gab er an, dass ihm gesagt worden sei, dass er das Beschwerdeverfahren abwarten müsse, andererseits gab er die mangelnde Erreichbarkeit seiner Rechtsberater, deren Namen er nicht nennen konnte, als Grund für die unterlassene Geltendmachung der angeführten Fluchtgründe an. Eine Nachfrage des Bundesamtes bei der zuständigen Rechtsberatung ergab, dass keinerlei Aufzeichnung über das vom AW nunmehr behaupteten Asylvorbringen vorliegen. Dass der AW nunmehr tatsächlich Atheist und damit vom Islam abgefallen ist, konnte er überdies nicht glaubhaft darlegen. Insbesondere gab er an, dass sich sein Leben dadurch nicht verändert habe.

Die Feststellungen zum Antrag auf freiwillige Rückkehr beruhen auf dem diesbezüglich im Verwaltungsakt dokumentierten Schriftverkehr.

Die Feststellungen zur Identität des AW, seiner Herkunft, Schulbildung und Berufserfahrung ergeben sich aus seinen Angaben vor dem Bundesamt und vor dem Bundesverwaltungsgericht im Vorverfahren. Unter dem festgestellten Name und dem Geburtsdatum wurde für den BF bereits ein EU Laissez Passer ausgestellt.

Dass der AW über keinen nahen Angehörigen in Afghanistan verfügt, ergibt sich aus seinen Angaben im Vorverfahren.

Die Feststellungen zur Einreise, zu den Antragstellungen, seiner Ausreise nach Deutschland und zum Aufenthalt in Österreich ergeben sich aus dem Inhalt des Verwaltungsaktes und dem damit in Einklang stehenden Vorbringen des AW.

Die Feststellungen zum Gesundheitszustand des AW beruhen auf seinen Angaben im Vorverfahren sowie im hier gegenständlichen Verfahren. Insbesondere begründete er seine gesundheitlichen Probleme ausschließlich mit der Anhaltung in Einzelhaft, wobei er ausdrücklich angab, dass dies Probleme verschwinden, wenn die Einzelhaft beendet wird.

Dass sich die Lage im Herkunftsstaat des AW zwischenzeitig nicht wesentlich geändert hat ergibt sich aus einer Zusammenschau des dem im Vorverfahren erlassenen Erkenntnisses des Bundesverwaltungsgerichtes vom 19.08.2019 zugrunde liegenden damals aktuellen Länderinformationsblattes der Staatendokumentation mit dem diesem Beschluss zu Grunde liegenden Länderinformationsblattes der Staatendokumentation vom 13.11.2019. Der AW ist diesen Länderfeststellungen auch nicht substantiiert entgegengetreten. Die Lage stellt sich diesbezüglich im Wesentlichen unverändert dar, weshalb insbesondere die Feststellung zur Möglichkeit des AW sich in Kabul, Mazar-e Sharif oder Herat anzusiedeln, getroffen werden konnte.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A) Rechtmäßigkeit der Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes

§ 22 Abs. 10 AsylG lautet:

"Entscheidungen des Bundesamtes über die Aufhebung des Abschiebeschutzes gemäß § 12a Abs. 2 ergehen mündlich in Bescheidform. Die Beurkundung gemäß § 62 Abs. 2 AVG gilt auch als schriftliche Ausfertigung gemäß § 62 Abs. 3 AVG. Die Verwaltungsakten sind dem Bundesverwaltungsgericht unverzüglich zur Überprüfung gemäß § 22 BFA-VG zu übermitteln. Diese gilt als Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht; dies ist in der Rechtsmittelbelehrung anzugeben. Über die Rechtmäßigkeit der Aufhebung des Abschiebeschutzes hat das Bundesverwaltungsgericht im Rahmen der Überprüfung gemäß § 22 BFA-VG mit Beschluss zu entscheiden."

Im Verfahren zur Aberkennung des Abschiebeschutzes gemäß § 12a Abs. 2 AsylG 2005 durch das Bundesamt ist ein Ermittlungsverfahren durchzuführen (vgl. § 18 AsylG), wobei auch der Grundsatz der Einräumung von rechtlichem Gehör (§§ 37, 45 Abs. 3 AVG) zu beachten ist. Ein solches Ermittlungsverfahren wurde ordnungsgemäß durchgeführt. Es wurde dem AW Parteiengehör eingeräumt, er wurde am 24.02.2020 und es wurde ihm die Möglichkeit zur Abgabe einer Stellungnahme zu den maßgeblichen Länderfeststellungen zu seinem Herkunftsstaat eingeräumt. Auf die diesbezügliche Stellungnahmemöglichkeit verzichtete der AW. Mit Verfahrensanordnungen vom 24.02.2020 wurde dem AW mitgeteilt, dass beabsichtigt sei, den Antrag auf internationalen Schutz wegen entschiedener Sache im Sinne des § 68 AVG zurückzuweisen und den faktischen Abschiebeschutz durch mündlichen Bescheid gemäß § 12 Abs. 2 AsylG aufzuheben.

Gemäß § 12a Abs. 2 AsylG 2005 kann das Bundesamt, wenn der Fremde einen Folgeantrag (§ 2 Abs. 1 Z 23) gestellt hat und kein Fall des Abs. 1 vorliegt, den faktischen Abschiebeschutz des Fremden aufheben, wenn

1. gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG besteht,

2. der Antrag voraussichtlich zurückzuweisen ist, weil keine entscheidungswesentliche Änderung des maßgeblichen Sachverhalts eingetreten ist, und

3. die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung keine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2, 3 oder 8 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten und für ihn als Zivilperson keine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

Ein Folgeantrag im Sinne von § 2 Abs. 1 Z 23 AsylG ist jeder einem bereits rechtskräftig erledigten Antrag nachfolgender weiterer Antrag.

Die Z 2 des § 12a AsylG verlangt, dass der Antrag voraussichtlich zurückzuweisen sein wird, weil keine entscheidungswesentliche Änderung des Sachverhaltes eingetreten ist. Aus den erläuternden Bemerkungen zum mit BGBl. 122/2009 eingefügten § 12a AsylG 2005 geht hervor, dass die Z 2 des § 12a eine Grobprüfung in Form einer Prognose über die Zulässigkeit des Folgeantrages verlangt.

Gemäß § 68 Abs. 1 AVG sind Anbringen von Beteiligten, die außer den Fällen der §§ 69 und 71 AVG die Abänderung eines der Berufung nicht oder nicht mehr unterliegenden Bescheides begehren, wegen entschiedener Sache zurückzuweisen, wenn die Behörde nicht Anlass zu einer Verfügung gemäß § 68 Abs. 2 bis 4 AVG findet. Diesem ausdrücklichen Begehren auf Abänderung steht ein Ansuchen gleich, das bezweckt, eine Sache erneut inhaltlich zu behandeln, die bereits rechtskräftig entschieden ist (VwGH 30.09.1994, 94/08/0183; 30.05.1995, 93/08/0207; 09.09.1999, 97/21/0913; 07.06.2000, 99/01/0321).

"Entschiedene Sache" iSd § 68 Abs. 1 AVG liegt vor, wenn sich gegenüber dem Vorbescheid weder die Rechtslage noch der wesentliche Sachverhalt geändert hat und sich das neue Parteibegehren im Wesentlichen mit dem früheren deckt (VwGH 09.09.1999, 97/21/0913; 27.09.2000, 98/12/0057; 25.04.2002, 2000/07/0235). Einem zweiten Asylantrag, der sich auf einen vor Beendigung des Verfahrens über den ersten Asylantrag verwirklichten Sachverhalt stützt, steht die Rechtskraft des Vorbescheides entgegen (VwGH 10.06.1998, 96/20/0266). Es kann aber nur eine solche behauptete Änderung des Sachverhaltes die Behörde zu einer neuen Sachentscheidung - nach etwa notwendigen amtswegigen Ermittlungen - berechtigen und verpflichten, der für sich allein oder in Verbindung mit anderen Tatsachen rechtlich Asylrelevanz zukäme; eine andere rechtliche Beurteilung des Antrages darf nicht von vornherein ausgeschlossen sein (vgl. etwa VwGH 04.11.2004, 2002/20/0391, mwN).

Behauptet die Partei in einem neuen Antrag (z.B. Asylantrag), dass in den für die Beurteilung ihres Begehrens im Vorbescheid als maßgeblich erachteten tatsächlichen Umständen eine Änderung eingetreten ist, so muss die behauptete Sachverhaltsänderung zumindest einen "glaubhaften Kern" aufweisen, dem Relevanz für das Verfahren zukommt und an den die Prognose anknüpfen kann, dass eine andere Beurteilung des Antrages und ein anderes Verfahrensergebnis nicht von vornherein ausgeschlossen erscheinen (grundlegend VwGH 04.11.2004, 2002/20/0391; vgl. auch VwGH 22.11.2005, 2005/01/0626; 21.03.2006, 2006/01/0028). Die Behörde hat sich insoweit bereits bei der Prüfung, ob der neuerliche Antrag zulässig oder wegen entschiedener Sache gemäß § 68 Abs. 1 AVG zurückzuweisen ist, mit der Glaubwürdigkeit des neuen Vorbringens betreffend die Änderung des Sachverhaltes "beweiswürdigend" auseinander zu setzen (VwGH 22.12.2005, 2005/20/0556; 15.03.2006, 2006/17/0020).

Jedoch berechtigt nicht jeder Folgeantrag, bei dem eine (spätere) Zurückweisung wegen entschiedener Sache gemäß § 68 AVG in Betracht kommen könnte, zur Aberkennung des faktischen Abschiebeschutzes nach § 12a Abs. 2 AsylG 2005. Es muss sich vielmehr um einen Fall handeln, in dem sich dieser Verfahrensausgang von vornherein deutlich abzeichnet. Nur dann kann auch angenommen werden, dass die Antragstellung in Wirklichkeit den Zweck verfolgt, die Durchsetzung einer vorangegangenen und mit einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme verbundenen (rechtskräftigen) Vorentscheidung zu verhindern. Auf einen solchen missbräuchlichen Zweck deutet - unter Bedachtnahme auf Art. 41 Abs. 1 lit. b der Richtlinie 2013/32/EU - etwa auch die mehrfache Folgeantragstellung hin, wenn dieser keine substanziell neuen und eine andere Beurteilung rechtfertigenden Sachverhaltselemente zugrunde liegen. Möglich sind aber auch andere Umstände, die den Schluss zulassen, dass der Fremde mit seinem Folgeantrag eine (bevorstehende) Abschiebung verhindern oder verzögern möchte (VwGH 19.12.2017, Ra 2017/18/0451).

§ 22 BFA-VG lautet:

"(1) Eine Entscheidung des Bundesamtes, mit der der faktische Abschiebeschutz eines Fremden aufgehoben wurde (§ 12a Abs. 2 AsylG 2005), ist vom Bundesverwaltungsgericht unverzüglich einer Überprüfung zu unterziehen. Das Verfahren ist ohne Abhaltung einer mündlichen Verhandlung zu entscheiden. § 20 gilt sinngemäß. § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG ist nicht anzuwenden.

(2) Die Aufhebung des Abschiebeschutzes gemäß § 12a Abs. 2 AsylG 2005 und eine aufrechte Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG oder eine Ausweisung gemäß § 66 FPG sind mit der Erlassung der Entscheidung gemäß § 12a Abs. 2 AsylG 2005 durchsetzbar. Mit der Durchführung der die Rückkehrentscheidung oder Ausweisung umsetzenden Abschiebung gemäß § 46 FPG ist bis zum Ablauf des dritten Arbeitstages ab Einlangen der gemäß § 22 Abs. 10 AsylG 2005 zu übermittelnden Verwaltungsakten bei der zuständigen Gerichtsabteilung des Bundesverwaltungsgerichtes zuzuwarten. Das Bundesverwaltungsgericht hat das Bundesamt unverzüglich vom Einlangen der Verwaltungsakten bei der zuständigen Gerichtsabteilung und von der im Rahmen der Überprüfung gemäß Abs. 1 getroffenen Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Aufhebung des Abschiebeschutzes zu verständigen.

(3) Über die Rechtmäßigkeit der Aufhebung des Abschiebeschutzes im Rahmen der Überprüfung gemäß Abs. 1 hat das Bundesverwaltungsgericht binnen acht Wochen zu entscheiden."

Zu prüfen ist sohin, ob die Voraussetzungen für die Aberkennung des faktischen Abschiebeschutzes gemäß § 12a Abs. 2 AsylG 2005 im gegenständlichen Fall vorliegen.

Gegen den AW liegt eine rechtskräftige aufrechte Rückkehrentscheidung vor.

Wie bereits oben dargestellt hat der AW das Vorliegen eines neuen asylrelevanten Sachverhaltes nicht glaubhaft gemacht und insbesondere selbst angegeben, dass die neuen Fluchtgründe bereits vor Abschluss des Erstverfahrens vorlagen. Dass es sich bei den vom AW nunmehr vorgebrachten Fluchtgründe um kein substantiiertes Vorbringen handelt, steht auch insofern fest, als der AW durch seinen Antrag auf unterstützte freiwillige Rückkehr selbst angibt, dass es ihm möglich ist, in seinen Herkunftsstaat zurückkehren. Aus dem Vorbringen zum Folgeantrag ergibt sich daher, wie auch in der Sachverhaltsdarstellung und der Beweiswürdigung aufgezeigt, kein entscheidungswesentlicher neuer Sachverhalt.

Auch die für den AW hinsichtlich der Frage der Zuerkennung von Asyl bzw. subsidiärem Schutz maßgebliche Ländersituation in Afghanistan ist seit dem Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 19.08.2019 im Wesentlichen gleich geblieben und wurde Gegenteiliges auch nicht substantiiert behauptet.

Eine neue Sachentscheidung ist im Fall desselben Begehrens aufgrund von Tatsachen und Beweismitteln, die schon vor Abschluss des vorangegangenen Verfahrens bestanden haben, ausgeschlossen, sodass einem Asylfolgeantrag, der sich auf einen vor Beendigung des Verfahrens über den ersten Asylantrag verwirklichten Sachverhalt stützt, die Rechtskraft des über den Erstantrag absprechenden Bescheides entgegensteht (VwGH 17.09.2008, 2008/23/0684, mwH).

Der vorliegende Folgeantrag wird daher voraussichtlich wegen entschiedener Sache zurückzuweisen sein.

Im ersten Verfahren wurde ausgesprochen, dass der AW bei einer Rückkehr nach Kabul-Stadt oder einer Übersiedlung in andere Landesteile Afghanistans, konkret in die Städte Mazar-e Sharif und Herat nicht real Gefahr laufen würde, eine Verletzung seiner durch Art. 2 oder Art. 3 EMRK oder der durch die Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention geschützten Rechte zu erleiden, und wäre ihm dort eine Ansiedlung auch zumutbar. Auch im nunmehr zweiten Asylverfahren vor dem Bundesamt sind - im Lichte der eben getroffenen Erwägungen - keine Risiken für den AW im Sinne des § 12a Abs. 2 Z 3 AsylG 2005 hervorgekommen oder substantiiert behauptet worden. Es sind auch keine erheblichen in der Person des AW liegenden neuen Sachverhaltselemente bekannt geworden. Auch seitens des AW wurde kein entsprechendes konkretes Vorbringen hiezu getätigt. Die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des AW in seinen Herkunftsstaat stellt für ihn somit keine reale Gefahr einer Verletzung von Artikel 2 und 3 oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention dar bzw. ist ein Eingriff in allfällig bestehende Rechte nach Art. 8 EMRK gerechtfertigt. Es besteht für ihn als Zivilperson auch keine ernsthafte Bedrohung seines Lebens und seiner Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes.

Es war daher festzustellen, dass die Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes rechtmäßig ist.

Gemäß § 22 Abs. 1 2. Satz BFA-VG war ohne Abhaltung einer mündlichen Verhandlung zu entscheiden.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision gegen die gegenständliche Entscheidung ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer solchen Rechtsprechung, des Weiteren ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen zu den einzelnen Spruchpunkten zu Spruchteil A) wiedergegeben. Insoweit die in der rechtlichen Beurteilung angeführte Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu früheren Rechtslagen ergangen ist, ist diese nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichtes auf die inhaltlich meist völlig gleichlautenden Bestimmungen der nunmehr geltenden Rechtslage unverändert übertragbar.

Schlagworte

aufrechte Rückkehrentscheidung entschiedene Sache faktischer Abschiebeschutz - Aufhebung rechtmäßig Folgeantrag

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W250.2134765.2.00

Im RIS seit

28.07.2020

Zuletzt aktualisiert am

28.07.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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