TE Bvwg Erkenntnis 2020/5/14 G307 2187492-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 14.05.2020
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Entscheidungsdatum

14.05.2020

Norm

BFA-VG §18 Abs3
B-VG Art133 Abs4
FPG §67 Abs1
FPG §67 Abs2
FPG §70 Abs3

Spruch

G307 2187492-1/25E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Markus MAYRHOLD als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX, geb. XXXX, StA.: Polen, vertreten durch Diakonie und Flüchtlingsdienst gemeinnützige Gesellschaft mbH - ARGE Rechtsberatung in 1170 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 01.02.2018,Zahl XXXX, zu Recht erkannt:

A)

Der Beschwerde wird s t a t t g e g e b e n und der angefochtene Bescheid behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Mit Schreiben vom 11.11.2016 forderte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) den Beschwerdeführer (im Folgenden: BF) auf, zur beabsichtigten Erlassung eines Aufenthaltsverbotes binnen 10 Tagen ab Erhalt des Schreibens Stellung zu nehmen.

2. Am 01.12.2016 fand eine niederschriftliche Einvernahme des BF vor dem BFA statt.

3. Mit dem oben im Spruch angeführten Bescheid des BFA, dem BF persönlich zugestellt am 08.02.2018, wurde gegen diesen gemäß § 67 Abs. 1 iVm Abs. 2 FPG ein auf die Dauer von 5 Jahren befristetes Aufenthaltsverbot erlassen (Spruchpunkt I.), ihm gemäß § 70 Abs. 3 kein Durchsetzungsaufschub erteilt (Spruchpunkt II.) und einer Beschwerde gegen diesen Bescheid die aufschiebende Wirkung gemäß § 18 Abs. 3 BFA-VG aberkannt (Spruchpunkt III.).

4. Mit am 27.02.2018 beim BFA eingebrachten Schreiben erhob der BF durch seine Rechtsvertretung (im Folgenden: RV) Beschwerde gegen den im Spruch angeführten Bescheid.

Darin wurde beantragt, den angefochtenen Bescheid wegen Rechtswidrigkeit zu beheben, in eventu das Aufenthaltsverbot (gemeint wohl dessen Dauer) wesentlich zu verkürzen, in eventu den bekämpften Bescheid zu beheben und zur Verfahrensergänzung an die Behörde erster Instanz zurückzuverweisen.

5. Die Beschwerde und der dazugehörige Verwaltungsakt wurden vom BFA dem Bundesverwaltungsgericht (im Folgenden: BVwG) am 28.02.2018 vorgelegt und langten dort am selben Tag ein.

6. Am 11.12.2018 wurde vor dem BVwG, Außenstelle Graz, eine öffentliche mündliche Verhandlung durchgeführt, an welcher der BF und seine Rechtsvertretung teilnahmen sowie seine Lebensgefährtin als Zeugin vernommen wurde.

7. Am 15.01.2019 legte der BF dem BVwG seinen Versicherungsdatenauszug vor.

8. Am 17.01.2019 legte der BF durch seine RV zwei dem Inhalt nach idente Patientenbriefe des XXXX hinsichtlich seines stationären Aufenthaltes vor.

9. Am 06.02.2019 legte der BF eine Bestätigung über seine ambulante Nachbetreuung vor.

10. Mit Erkenntnis des BVwG, GZ.: G307 2187492-1/14E, vom 15.02.2019 wurde die gegenständliche Beschwerde als unbegründet abgewiesen.

11. Einer dagegen vom BF erhobenen außerordentlichen Revision wurde seitens des VwGH mit Erkenntnis vom 22.08.2019, Ra 2019/21/0091, sattgegeben und das unter I.10. genannte Erkenntnis des BVwG behoben.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Der BF führt die im Spruch angegebene Identität (Name und Geburtsdatum), ist polnischer Staatsbürger, ledig, hat keine Sorgepflichten, hält sich seit Mai 2007 im Bundesgebiet auf, weist beginnend mit 02.06.2010 immer wieder, jedoch nicht durchgehend, Wohnsitzmeldungen im Bundesgebiet auf und führt mit der polnischen Staatsbürgerin XXXX, geb. am XXXX, eine Beziehung. Der BF lernte XXXX im Jahr 2016 über einen Freund näher kennen. Zuvor war sie ihm von Begegnungen schon seit dem Jahr 2014 bekannt. Letztere geht derzeit keiner Beschäftigung nach. Der BF wohnte bis vor seiner letzten Inhaftierung mit seiner Lebensgefährtin (LG) 5 Monate im gemeinsamen Haushalt.

Abgesehen davon verfügt der BF im Bundesgebiet über keine familiären oder sozialen Bindungen und ist nicht Mitglied in einem Verein oder einer sonstigen Einrichtung. Die Mutter und der Bruder des BF leben in Polen.

1.2. Der BF geht momentan keiner Beschäftigung nach. Bis dato war der BF ab 07.05.2007 bei 6 Arbeitgeberin in insgesamt 10 Arbeitsverhältnissen, zuletzt von 12.11.2019 bis 11.12.2019, legal unselbständig beschäftigt. Daneben weist er vom 09.06.2010 bis 31.07.2011 auch eine legale selbständige Tätigkeit auf. Der BF finanzierte seinen Aufenthalt ferner durch seine gewerblich selbständige Tätigkeit, welche er von 09.06.2010 bis 31.07.2011 ausübte und durch "Schwarzarbeit".

1.3. Der BF ist arbeitsfähig. Es konnte nicht festgestellt werden, dass der BF über Deutschkenntnisse eines bestimmten Niveaus verfügt.

1.4. Dem BF liegen folgende Verurteilungen zur Last:

1. BG XXXX, zu XXXX, in Rechtskraft erwachsen am XXXX.2014, wegen versuchten Diebstahls, Diebstahls, Verleumdung und vorsätzlicher Körperverletzung gemäß §§ 15, 127, 127, 287 und 83 StGB, Geldstrafe ? 400,00, im Nichteinbringungsfall Ersatzfreiheitsstrafe 50 Tage.

1. BG XXXX zu XXXX, in Rechtskraft erwachsen am XXXX.2014, wegen versuchten Diebstahls gemäß §§ 15, 127 StGB zu einer bedingten Freiheitsstrafe von einem Monat unter Setzung einer Probezeit von 3 Jahren.

2. LG für Strafsachen XXXX, zu XXXX, in Rechtskraft erwachsen am XXXX.2016, wegen versuchten Diebstahls, teils durch Einbruch und Urkundenfälschung gemäß §§ 15, 127, 129 Abs. 1 Z1, 223 Abs. 2 StGB zu einer Freiheitsstrafe von insgesamt 12 Monaten, davon 8 Monate bedingt unter Setzung einer Probezeit von 3 Jahren.

Der BF wurde für schuldig befunden, er habe in Wien und Kaltenleutgeben

I. fremde bewegliche Sachen, teilweise durch Einbruch mit dem Vorsatz weggenommen bzw. wegzunehmen versucht, sich durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern, und zwar

a. am XXXX.2013 in XXXX seinem Opfer stehlenswerte Sachen durch Einbruch wegzunehmen versucht, in dem er über eine 2,50 Meter hohe Blechlattung des Kellerabteils kletterte, sich dabei jedoch verletzte und daher von der weiteren Tathandlung Abstand nahm;

b. zu nicht mehr feststellbaren Zeitpunkten im Sommer 2014 in XXXX, teilweise im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit einem abgesondert verfolgten und bereits rechtskräftig verurteilten Täter, als Mittäter (§ 12 StGB) in zumindest vier Tathandlungen Verfügungsberechtigten einer Gesellschaft mbH weggenommen, nämlich ca. 150 kg Kupferkabel in einem Wert von ca. ? 800,00 durch Herausschneiden mit einem Bastelmesser bzw. Bolzenschneider aus den freiliegenden Kabeltrassen der besagten GesmbH;

c. am XXXX.2016 in XXXX wegzunehmen versucht, Verfügungsberechtigten einer Sporthandelsfirma zwei Paar Sportschuhe und drei T-Shirts im Gesamtwert von ? 319,87, wobei er vom Ladendetektiv beobachtet und nach Passieren des Kassenbereichs angehalten wurde;

II. am XXXX.2013 in XXXX einen durch Nachahmung der Unterschrift seines Opfers gefälschten, amtlich noch nicht vidierten Meldezettel bei der zuständigen Behörde im Zuge eines Anmeldevorganges vorgelegt, mithin eine falsche Urkunde zum Beweis einer Tatsache gebraucht.

Als mildernd wurden dabei das Geständnis, der Versuch beim strafsatzbestimmenden Delikt sowie die teilweise Sicherstellung der Beute, als erschwerend eine einschlägige Vorstrafe sowie die Tatwiederholung trotz Kenntnis des Strafverfahrens gewertet.

3. LG für Strafsachen XXXX, zu XXXX, in Rechtskraft erwachsen am XXXX.2018, wegen versuchten, gewerbsmäßigen Diebstahls, versuchter Nötigung sowie Körperverletzung gemäß §§ 15, 127, 130 Abs. 1, 1. Fall, 15, 105 Abs. 1 und 83 Abs. 1 StGB zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von 12 Monaten.

Der BF wurde für schuldig befunden, er habe am XXXX.2017 versucht, Verfügungsberechtigten einer Textilhandels Gesellschaft mbH eine Jacke im Wert von ? 129,99 wegzunehmen, indem er vier Jacken in eine Umkleidekabine gebracht gehabt, von einer der vier Jacken die Diebstahlsicherung mit einem Seitenschneider entfernt und diese Jacke in seinem mitgebrachten Rucksack verstaut habe, während er die anderen Jacken zurückgehängt habe, wobei er vom Ladendetektiv dabei beobachtet worden sei. Ferner wurde dem BF darin angelastet, er habe den Ladendetektiv zur Abstandnahme der Durchsetzung seines Anhalterechts zu nötigen versucht, indem er ihm einen Stoß sowie einen Faustschlag ins Gesicht gegen die rechte Gesichtshälfte versetzt habe.

Als mildernd wurden hiebei das Geständnis sowie der Umstand, dass es beim Versuch geblieben sei, als erschwerend das Zusammentreffen von drei Vergehen, die Vorstrafen und der rasche Rückfall während der Probezeit gewertet.

Festgestellt wird, dass der BF das beschriebene Verhalten gesetzt und die angeführten Straftaten begangen hat.

Der BF absolvierte von XXXX.2015 bis XXXX.2016 eine Alkoholentzugstherapie im XXXX in XXXX, während derer auch eine psychische Verhaltensstörung durch Alkohol, sowie spezielle epileptische Syndrome festgestellt wurden. In der Zeit zwischen 29.02.2016 und 02.06.2017 suchte er im Rahmen der ambulanten Nachbetreuung das Ambulatorium in der XXXX insgesamt 18 Mal auf.

Der BF wurde am XXXX.2017 festgenommen und befand sich von XXXX.2017 bis XXXX.2019 in Justizanstalten in Österreich in Haft. Zuvor wurde der BF zudem von XXXX.2016 bis XXXX.2017 in einer Justizanstalt in Österreich angehalten.

1.5. Der BF wurde mit Schreiben des BFA vom 02.12.2016 unter Hinweis auf seine damals jüngste Verurteilung ermahnt, dass er im Falle eines weiteren Fehlverhaltens mit Erlassung einer aufenthaltsbeenden Maßnahme rechnen müsse. Damals wurde jedoch von einer solchen Abstand genommen.

2. Beweiswürdigung

2.1. Der oben unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt der vorgelegten Verwaltungsakten des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl sowie des vorliegenden Gerichtsaktes des Bundesverwaltungsgerichtes.

2.2. Die oben getroffenen Feststellungen beruhen auf den Ergebnissen des vom erkennenden Gericht auf Grund der vorliegenden Akten und abgehaltenen mündlichen Verhandlung geführten Ermittlungsverfahrens und werden in freier Beweiswürdigung der gegenständlichen Entscheidung als maßgeblicher Sachverhalt zugrunde gelegt.

Soweit in der gegenständlichen Rechtssache Feststellungen zu Identität, Familienstand, Bestand von Verwandten in der Heimat und dem Freisein von Obsorgepflichten auf Seiten des BF getroffen wurden, beruhen diese auf den im angefochtenen Bescheid getätigten Feststellungen, denen in der gegenständlichen Beschwerde nicht entgegengetreten wurde, den Ausführungen in der Beschwerde und dem Vorbringen in der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG. Der BF legte ferner einen auf seinen Namen ausgestellten polnischen Reisepass vor, an dessen Echtheit und Richtigkeit keine Zweifel aufgekommen sind (siehe AS 66).

Die bisher rechtmäßig wie unrechtmäßig ausgeübten Beschäftigungen folgen den Angaben des BF in dessen Einvernahme vor dem BFA, jenen in der mündlichen Verhandlung sowie dem Inhalt des auf seine Person lautenden Auszuges aus dem Zentralen Melderegister (ZMR) und der Sozialversicherung. Dass der BF bereits seit 2007 in Österreich aufhältig ist, hat er in der mündlichen Verhandlung glaubhaft versichert, zumal er bereits seit 2007 legal (und auch illegal) im Bundesgebiet gearbeitet (laut Sozialversicherungsdatenauszug) und er angegeben hat, ohne Anmeldung in Österreich Unterkunft genommen zu haben. Die lückenhaften Wohnsitzmeldungen des BF in Österreich konnten durch Einsichtnahme in das Zentrale Melderegister ermittelt werden.

Die Wahrnehmung einer Entzugstherapie ergibt sich aus den nach der mündlichen Verhandlung am 17.01.2019 vorgelegten Bestätigungen.

Der Bestand der Beziehung mit XXXX ab dem Jahr 2016 sowie deren Beschäftigungslosigkeit ergeben sich aus den Ausführungen in der Beschwerde und den Angaben des BF in der mündlichen Verhandlung, welche zudem durch einen Sozialversicherungsauszug eine Bestätigung erfährt.

Dass der BF vor seiner letzten Inhaftierung mit seiner LG rund 5 Monate zusammengewohnt hat, ist mit seinem Wissen um die genaue Anschrift in der XXXX in XXXX und dem Vorbringen in Einklang zu bringen, sein Vermieter habe nicht gewollt, dass sie dort gemeldet ist.

Die Verurteilungen samt oben näher ausgeführten Entscheidungsgründen zur den jüngsten Verurteilungen des BF folgen den im Akt einliegenden Urteilsausfertigungen (siehe AS 71f, 94f) sowie dem Amtswissen des erkennenden Gerichtes (Einsichtnahme in das Strafregister der Republik Österreich).

Der BF hat in der mündlichen Verhandlung zwar Grundkenntnisse der deutschen Sprache vermittelt, ein bestimmtes Niveau konnte jedoch in Ermangelung der Vorlage eines dahingehenden Sprachzertifikats nicht festgestellt werden.

Der BF hat selbst ausgeführt, gesund und arbeitsfähig zu sein und deuten auch die bisher verübten Erwerbstätigkeiten ebenso darauf hin. Durch die vorgelegten Patientenbriefe des XXXX vermochte der BF ferner den seinerzeitigen Bestand von Alkoholabhängigkeiten sowie deren Therapierung belegen (siehe OZ 9).

Der Zeitpunkt der jüngsten Festnahme sowie die Anhaltungen in Justizanstalten ergeben sich aus dem ZMR sowie der Vollzugsdateninformation der Justizanstalt XXXX (siehe AS 65).

Die Ermahnung an den BF, er müsse im Falle der Setzung eines weiteren Fehlverhaltens mit dem Ausspruch einer aufenthaltsbeenden Maßnahme rechnen ist dem diesbezüglichen Schriftstück im Akt zu entnehmen (siehe AS 92).

Anhaltspunkte für das Vorliegen sonstiger intensiver sozialer Kontakte oder der Mitgliedschaft in Vereinen hat der BF nicht dargetan.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu Spruchteil A):

3.1. Zur Stattgabe der Beschwerde:

3.1.1. Gemäß § 2 Abs. 4 Z 1 FPG gilt als Fremder, jener der die österreichische Staatsbürgerschaft nicht besitzt und gemäß Abs. 4 Z 8 leg cit als EWR-Bürger, jener Fremder, der Staatsangehöriger einer Vertragspartei des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR-Abkommen) ist.

Der BF als Staatsangehöriger von Polen ist sohin EWR-Bürger iSd. § 2 Abs. 4 Z 8 FPG.

3.1.2. Der mit "Aufenthaltsverbot" betitelte § 67 FPG lautet:

"§ 67. (1) Die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen unionsrechtlich aufenthaltsberechtigte EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige ist zulässig, wenn auf Grund ihres persönlichen Verhaltens die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet ist. Das persönliche Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Strafrechtliche Verurteilungen allein können nicht ohne weiteres diese Maßnahmen begründen. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig. Die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige, die ihren Aufenthalt seit zehn Jahren im Bundesgebiet hatten, ist dann zulässig, wenn aufgrund des persönlichen Verhaltens des Fremden davon ausgegangen werden kann, dass die öffentliche Sicherheit der Republik Österreich durch seinen Verbleib im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet würde. Dasselbe gilt für Minderjährige, es sei denn, das Aufenthaltsverbot wäre zum Wohl des Kindes notwendig, wie es im Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 20. November 1989 über die Rechte des Kindes vorgesehen ist.

(2) Ein Aufenthaltsverbot kann, vorbehaltlich des Abs. 3, für die Dauer von höchstens zehn Jahren erlassen werden.

(3) Ein Aufenthaltsverbot kann unbefristet erlassen werden, wenn insbesondere

1. der EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige von einem Gericht zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als fünf Jahren rechtskräftig verurteilt worden ist;

2. auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass der EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige einer kriminellen Organisation (§ 278a StGB) oder einer terroristischen Vereinigung (§ 278b StGB) angehört oder angehört hat, terroristische Straftaten begeht oder begangen hat (§ 278c StGB), Terrorismus finanziert oder finanziert hat (§ 278d StGB) oder eine Person für terroristische Zwecke ausbildet oder sich ausbilden lässt (§ 278e StGB);

3. auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass der EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige durch sein Verhalten, insbesondere durch die öffentliche Beteiligung an Gewalttätigkeiten, durch den öffentlichen Aufruf zur Gewalt oder durch hetzerische Aufforderungen oder Aufreizungen, die nationale Sicherheit gefährdet oder

4. der EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen, ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder terroristische Taten von vergleichbarem Gewicht billigt oder dafür wirbt.

(4) Bei der Festsetzung der Gültigkeitsdauer des Aufenthaltsverbotes ist auf die für seine Erlassung maßgeblichen Umstände Bedacht zu nehmen. Die Frist des Aufenthaltsverbotes beginnt mit Ablauf des Tages der Ausreise.

(Anm.: Abs. 5 aufgehoben durch BGBl. I Nr. 87/2012)"

Der mit "Schutz des Privat- und Familienlebens" betitelte § 9 BFA-VG lautet:

"§ 9. (1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:

1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,

2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,

3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,

4. der Grad der Integration,

5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,

6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit,

7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,

8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,

9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

(3) Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§ 45 oder §§ 51 ff Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005) verfügen, unzulässig wäre.

(Anm.: Abs. 4 aufgehoben durch Art. 4 Z 5, BGBl. I Nr. 56/2018)

(5) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes bereits fünf Jahre, aber noch nicht acht Jahre ununterbrochen und rechtmäßig im Bundesgebiet niedergelassen war, darf mangels eigener Mittel zu seinem Unterhalt, mangels ausreichenden Krankenversicherungsschutzes, mangels eigener Unterkunft oder wegen der Möglichkeit der finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft eine Rückkehrentscheidung gemäß §§ 52 Abs. 4 iVm 53 FPG nicht erlassen werden. Dies gilt allerdings nur, wenn der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, die Mittel zu seinem Unterhalt und seinen Krankenversicherungsschutz durch Einsatz eigener Kräfte zu sichern oder eine andere eigene Unterkunft beizubringen, und dies nicht aussichtslos scheint.

(6) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes bereits acht Jahre ununterbrochen und rechtmäßig im Bundesgebiet niedergelassen war, darf eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 4 FPG nur mehr erlassen werden, wenn die Voraussetzungen gemäß § 53 Abs. 3 FPG vorliegen. § 73 Strafgesetzbuch (StGB), BGBl. Nr. 60/1974 gilt."

Der mit "Unionsrechtliches Aufenthaltsrecht von EWR-Bürgern für mehr als drei Monate" betitelte § 51 NAG lautet:

"§ 51. (1) Auf Grund der Freizügigkeitsrichtlinie sind EWR-Bürger zum Aufenthalt für mehr als drei Monate berechtigt, wenn sie

1. in Österreich Arbeitnehmer oder Selbständige sind;

2. für sich und ihre Familienangehörigen über ausreichende Existenzmittel und einen umfassenden Krankenversicherungsschutz verfügen, so dass sie während ihres Aufenthalts weder Sozialhilfeleistungen noch die Ausgleichszulage in Anspruch nehmen müssen, oder

3. als Hauptzweck ihres Aufenthalts eine Ausbildung einschließlich einer Berufsausbildung bei einer öffentlichen Schule oder einer rechtlich anerkannten Privatschule oder Bildungseinrichtung absolvieren und die Voraussetzungen der Z 2 erfüllen.

(2) Die Erwerbstätigeneigenschaft als Arbeitnehmer oder Selbständiger gemäß Abs. 1 Z 1 bleibt dem EWR-Bürger, der diese Erwerbstätigkeit nicht mehr ausübt, erhalten, wenn er

1. wegen einer Krankheit oder eines Unfalls vorübergehend arbeitsunfähig ist;

2. sich als Arbeitnehmer bei ordnungsgemäß bestätigter unfreiwilliger Arbeitslosigkeit nach mehr als einjähriger Beschäftigung der zuständigen regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice zur Verfügung stellt;

3. sich als Arbeitnehmer bei ordnungsgemäß bestätigter unfreiwilliger Arbeitslosigkeit nach Ablauf seines auf weniger als ein Jahr befristeten Arbeitsvertrages oder bei im Laufe der ersten zwölf Monate eintretender unfreiwilliger Arbeitslosigkeit der zuständigen regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice zur Verfügung stellt, wobei in diesem Fall die Erwerbstätigeneigenschaft während mindestens sechs Monaten erhalten bleibt, oder

4. eine Berufsausbildung beginnt, wobei die Aufrechterhaltung der Erwerbstätigeneigenschaft voraussetzt, dass zwischen dieser Ausbildung und der früheren beruflichen Tätigkeit ein Zusammenhang besteht, es sei denn, der Betroffene hat zuvor seinen Arbeitsplatz unfreiwillig verloren.

(3) Der EWR-Bürger hat diese Umstände, wie auch den Wegfall der in Abs. 1 Z 1 bis 3 genannten Voraussetzungen der Behörde unverzüglich, bekannt zu geben. Der Bundesminister für Inneres ist ermächtigt, die näheren Bestimmungen zur Bestätigung gemäß Abs. 2 Z 2 und 3 mit Verordnung festzulegen."

Der mit "Bescheinigung des Daueraufenthalts von EWR-Bürgern" betitelte § 53a NAG lautet wie folgt:

"§ 53a. (1) EWR-Bürger, denen das unionsrechtliche Aufenthaltsrecht zukommt (§§ 51 und 52), erwerben unabhängig vom weiteren Vorliegen der Voraussetzungen gemäß §§ 51 oder 52 nach fünf Jahren rechtmäßigem und ununterbrochenem Aufenthalt im Bundesgebiet das Recht auf Daueraufenthalt. Ihnen ist auf Antrag nach Überprüfung der Aufenthaltsdauer unverzüglich eine Bescheinigung ihres Daueraufenthaltes auszustellen.

(2) Die Kontinuität des Aufenthalts im Bundesgebiet wird nicht unterbrochen von

1. Abwesenheiten von bis zu insgesamt sechs Monaten im Jahr;

2. Abwesenheiten zur Erfüllung militärischer Pflichten oder

3. durch eine einmalige Abwesenheit von höchstens zwölf aufeinander folgenden Monaten aus wichtigen Gründen wie Schwangerschaft und Entbindung, schwerer Krankheit, eines Studiums, einer Berufsausbildung oder einer beruflichen Entsendung.

(3) Abweichend von Abs. 1 erwerben EWR-Bürger gemäß § 51 Abs. 1 Z 1 vor Ablauf der Fünfjahresfrist das Recht auf Daueraufenthalt, wenn sie

1. zum Zeitpunkt des Ausscheidens aus dem Erwerbsleben das Regelpensionsalter erreicht haben, oder Arbeitnehmer sind, die ihre Erwerbstätigkeit im Rahmen einer Vorruhestandsregelung beenden, sofern sie diese Erwerbstätigkeit im Bundesgebiet mindestens während der letzten zwölf Monate ausgeübt und sich seit mindestens drei Jahren ununterbrochen im Bundesgebiet aufgehalten haben;

2. sich seit mindestens zwei Jahren ununterbrochen im Bundesgebiet aufgehalten haben und ihre Erwerbstätigkeit infolge einer dauernden Arbeitsunfähigkeit aufgeben, wobei die Voraussetzung der Aufenthaltsdauer entfällt, wenn die Arbeitsunfähigkeit durch einen Arbeitsunfall oder eine Berufskrankheit eingetreten ist, auf Grund derer ein Anspruch auf Pension besteht, die ganz oder teilweise zu Lasten eines österreichischen Pensionsversicherungsträgers geht, oder

3. drei Jahre ununterbrochen im Bundesgebiet erwerbstätig und aufhältig waren und anschließend in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union erwerbstätig sind, ihren Wohnsitz im Bundesgebiet beibehalten und in der Regel mindestens einmal in der Woche dorthin zurückkehren;

Für den Erwerb des Rechts nach den Z 1 und 2 gelten die Zeiten der Erwerbstätigkeit in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union als Zeiten der Erwerbstätigkeit im Bundesgebiet. Zeiten gemäß § 51 Abs. 2 sind bei der Berechnung der Fristen zu berücksichtigen. Soweit der Ehegatte oder eingetragene Partner des EWR-Bürgers die österreichische Staatsbürgerschaft besitzt oder diese nach Eheschließung oder Begründung der eingetragenen Partnerschaft mit dem EWR-Bürger verloren hat, entfallen die Voraussetzungen der Aufenthaltsdauer und der Dauer der Erwerbstätigkeit in Z 1 und 2.

(4) EWR-Bürger, die Angehörige von unionsrechtlich aufenthaltsberechtigten EWR-Bürgern gemäß § 51 Abs. 1 Z 1 sind, erwerben ebenfalls das Daueraufenthaltsrecht, wenn der zusammenführende EWR-Bürger das Daueraufenthaltsrecht gemäß Abs. 3 vorzeitig erworben hat oder vor seinem Tod erworben hatte, sofern sie bereits bei Entstehung seines Daueraufenthaltsrechtes bei dem EWR-Bürger ihren ständigen Aufenthalt hatten.

(5) Ist der EWR-Bürger gemäß § 51 Abs. 1 Z 1 im Laufe seines Erwerbslebens verstorben, bevor er gemäß Abs. 3 das Recht auf Daueraufenthalt erworben hat, so erwerben seine Angehörigen, die selbst EWR-Bürger sind und die zum Zeitpunkt seines Todes bei ihm ihren ständigen Aufenthalt hatten, das Daueraufenthaltsrecht, wenn

1. sich der EWR-Bürger zum Zeitpunkt seines Todes seit mindestens zwei Jahren im Bundesgebiet ununterbrochen aufgehalten hat;

2. der EWR-Bürger infolge eines Arbeitsunfalls oder einer Berufskrankheit verstorben ist, oder

3. der überlebende Ehegatte oder eingetragene Partner die österreichische Staatsangehörigkeit nach Eheschließung oder Begründung der eingetragenen Partnerschaft mit dem EWR-Bürger verloren hat."

Der mit "" betitelte § 70 FPG lautet:

"§ 70. (1) Die Ausweisung und das Aufenthaltsverbot werden spätestens mit Eintritt der Rechtskraft durchsetzbar; der EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige hat dann unverzüglich auszureisen. Der Eintritt der Durchsetzbarkeit ist für die Dauer eines Freiheitsentzuges aufgeschoben, auf den wegen einer mit Strafe bedrohten Handlung erkannt wurde.

(Anm.: Abs. 2 aufgehoben durch BGBl. I Nr. 87/2012)

(3) EWR-Bürgern, Schweizer Bürgern und begünstigten Drittstaatsangehörigen ist bei der Erlassung einer Ausweisung oder eines Aufenthaltsverbotes von Amts wegen ein Durchsetzungsaufschub von einem Monat zu erteilen, es sei denn, die sofortige Ausreise wäre im Interesse der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit erforderlich.

(4) Der Durchsetzungsaufschub ist zu widerrufen, wenn

1. nachträglich Tatsachen bekannt werden, die dessen Versagung gerechtfertigt hätten;

2. die Gründe für die Erteilung weggefallen sind oder

3. der EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige während seines weiteren Aufenthaltes im Bundesgebiet ein Verhalten setzt, das die sofortige Ausreise aus Gründen der öffentlichen Ordnung und Sicherheit gebietet."

3.1.3. Der Beschwerde gegen den Bescheid des BFA war aus folgenden Gründen stattzugeben:

Da vom BF, der aufgrund seiner polnischen Staatsangehörigkeit in den persönlichen Anwendungsbereich von § 67 FPG fällt, die Voraussetzung eines durchgehenden Aufenthaltes im Bundesgebiet von mehr 10 Jahren erfüllt ist, kommt für diesen der Prüfungsmaßstab des § 67 Abs. 1 Satz 5 FPG für Unionsbürger zu Anwendung (siehe dazu auch VwGH 22.08.2019, Ra 2019/21/0091).

Gegen den BF als grundsätzlich unionsrechtlich aufenthaltsberechtigten EWR-Bürger ist die Erlassung eines Aufenthaltsverbots gemäß § 67 Abs. 1 Satz 5 FPG sohin nur zulässig, wenn auf Grund des persönlichen Verhaltens davon ausgegangen werden kann, dass die öffentliche Sicherheit der Republik Österreich durch seinen Verbleib im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet würde. Strafrechtliche Verurteilungen allein können nicht ohne weiteres diese Maßnahme begründen. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig.

"Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist bei der Erstellung der für jedes Aufenthaltsverbot zu treffenden Gefährdungsprognose das Gesamtverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen und auf Grund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahin vorzunehmen, ob und im Hinblick auf welche Umstände die jeweils anzuwendende Gefährdungsannahme gerechtfertigt ist. Dabei ist nicht auf die bloße Tatsache der Verurteilung bzw. Bestrafung des Fremden, sondern auf die Art und Schwere der zu Grunde liegenden Straftaten und auf das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild abzustellen. Bei der nach § 67 Abs. 1 FPG zu erstellenden Gefährdungsprognose geht schon aus dem Gesetzeswortlaut klar hervor, dass auf das "persönliche Verhalten" des Fremden abzustellen ist und strafrechtliche Verurteilungen allein nicht ohne weiteres ein Aufenthaltsverbot begründen können (vgl. - noch zu § 86 FPG in der Fassung vor dem FrÄG 2011, der Vorgängerbestimmung des § 67 FPG - etwa die hg. Erkenntnisse vom 26. September 2007, Zl. 2007/21/0197, und vom 21. Februar 2013, Zl. 2012/23/0042, mwN)." (VwGH 25.04.2014, Ro 2014/21/0039)

"Mit § 67 Abs. 1 fünfter Satz FPG soll nämlich Art. 28 Abs. 3 lit. a der Richtlinie 2004/38 EG ("Freizügigkeitsrichtlinie" ; siehe § 2 Abs. 4 Z 18 FPG) umgesetzt werden, wozu der Gerichtshof der Europäischen Union bereits judizierte, dass hierauf gestützte Maßnahmen auf "außergewöhnliche Umstände" begrenzt sein sollten; es sei vorausgesetzt, dass die vom Betroffenen ausgehende Beeinträchtigung der öffentlichen Sicherheit einen "besonders hohen Schweregrad" aufweise, was etwa bei bandenmäßigem Handeln mit Betäubungsmitteln der Fall sein könne (siehe VwGH 24.1.2019, Ra 2018/21/0248, Rn 6, mit dem Hinweis auf EuGH (Große Kammer) 23.11.2010, Tsakouridis, C-145/09, insbesondere Rn. 40, 41 und 49 ff, und daran anknüpfend EuGH (Große Kammer) 22.5.2012, P.I., C-348/09, Rn. 19 und 20 sowie Rn. 28, wo überdies - im Zusammenhang mit sexuellem Missbrauch eines Kindes, der zu einer siebeneinhalbjährigen Freiheitsstrafe geführt hatte - darauf hingewiesen wurde, dass es "besonders schwerwiegender Merkmale" bedarf)." (vgl. VwGH 22.08.2019, Ra 2019/21/0091)

Bei einem mehr als zehn Jahre dauernden inländischen Aufenthalt des Fremden ist regelmäßig von einem Überwiegen der persönlichen Interessen an einem Verbleib in Österreich auszugehen. Nur dann, wenn der Fremde die in Österreich verbrachte Zeit überhaupt nicht genützt hat, um sich sozial und beruflich zu integrieren, wurden etwa Aufenthaltsbeendigungen ausnahmsweise auch nach so langem Inlandsaufenthalt noch für verhältnismäßig angesehen. Diese Rechtsprechung zu Art. 8 MRK ist auch für die Erteilung von Aufenthaltstiteln relevant (vgl. E 26. Februar 2015, Ra 2015/22/0025; E 19. November 2014, 2013/22/0270). Auch in Fällen, in denen die Aufenthaltsdauer knapp unter zehn Jahren lag, hat der VwGH eine entsprechende Berücksichtigung dieser langen Aufenthaltsdauer gefordert (vgl. E 16. Dezember 2014, 2012/22/0169; E 9. September 2014, 2013/22/0247; E 30. Juli 2014, 2013/22/0226). Im Fall, dass ein insgesamt mehr als zehnjähriger Inlandsaufenthalt für einige Monate unterbrochen war, legte der VwGH seine Judikatur zum regelmäßigen Überwiegen der persönlichen Interessen an einem Verbleib in Österreich bei einem mehr als zehnjährigen Inlandsaufenthalt des Fremden zugrunde (vgl. E 26. März 2015, Ra 2014/22/0078 bis 0082 und VwGH 08.11.2018, Ra 2016/22/0120).

"Es trifft zwar zu, dass im Rahmen einer Interessenabwägung nach Art. 8 MRK bei einem mehr als zehn Jahre dauernden inländischen Aufenthalt eines Fremden in der Regel von einem Überwiegen der persönlichen Interessen an einem Verbleib in Österreich auszugehen ist (vgl. VwGH 1.2.2019, Ra 2019/01/0027, mwN). Diese Rechtsprechung betraf allerdings nur Konstellationen, in denen sich aus dem Verhalten des Fremden - abgesehen vom unrechtmäßigen Verbleib in Österreich - sonst keine Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit ergab. Die "Zehn-Jahres-Grenze" spielte in der bisherigen Judikatur nur dann eine Rolle, wenn einem Fremden kein - massives - strafrechtliches Fehlverhalten vorzuwerfen war (vgl. VwGH 10.11.2015, Ro 2015/19/0001, mwN)." (VwGH 28.02.2019, Ra 2018/01/0409).

Zudem gilt es festzuhalten, dass die fremdenpolizeilichen Beurteilungen eigenständig und unabhängig von den die des Strafgerichts für die Strafbemessung, die bedingte Strafnachsicht und den Aufschub des Strafvollzugs betreffenden Erwägungen zu treffen sind (vgl. Erkenntnis des VwGH v. 6.Juli 2010, Zl. 2010/22/0096) und es bei der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes/Einreiseverbotes in keiner Weise um eine Beurteilung der Schuld des Fremden an seinen Straftaten und auch nicht um eine Bestrafung geht. (vgl. Erkenntnis des VwGH vom 8. Juli 2004, 2001/21/0119).

Ein Gesinnungswandel eines Straftäters ist grundsätzlich daran zu messen, ob und wie lange er sich - nach dem Vollzug einer Haftstrafe - in Freiheit wohlverhalten hat. Dieser Zeitraum ist nach den Grundsätzen der Judikatur umso länger anzusetzen, je nachdrücklicher sich die Gefährlichkeit des Fremden - etwa in Hinblick auf das der strafgerichtlichen Verurteilung zu Grunde liegende Verhalten oder einen raschen Rückfall - manifestiert hat (vgl. zum Ganzen VwGH 26.4.2018, Ra 2018/21/0027, mwN). (vgl. VwGH 26.06.2019, Ra 2019/21/0118)

3.1.4. Bei der vom BF zu erstellenden Gefährdungsprognose stehen die 4 Verurteilungen, hier insbesondere die jüngste im Fokus der Betrachtung. Der BF wurde zuletzt unbestritten rechtskräftig wegen versuchten gewerbsmäßigen Diebstahls, versuchter Nötigung und Körperverletzung zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von 12 Monaten verurteilt. Zudem umfassten die davor gelegenen Verurteilungen ebenso Tatbestände wegen Diebstahls, Einbruchsdiebstahls, Verleumdung, Körperverletzung und Urkundenfälschung. Insgesamt befand der BF sich bis zu seiner dritten Verurteilung 4 Monate in Haft und steigerte er sein strafbares Verhalten, was in der - von Verurteilung zu Verurteilung - immer höheren Strafe Ausdruck fand.

Dieses Handeln stellt an sich jedenfalls ein die öffentliche Sicherheit und Ordnung auf dem Gebiet des Fremdenwesens schwer gefährdendes und beeinträchtigendes Fehlverhalten dar (vgl. VwGH 22.09.2011, GZ 2008/18/0508). Was die vom BF verübten Diebstähle, seien sie in Form der Gewerbsmäßigkeit, des Einbruchs oder ohne Qualifikation sowie eine Urkundenfälschung begangen worden, betrifft, so sprach der VwGH in solchen Fällen immer wieder von einer Gefährdung maßgeblicher öffentlicher Interessen (vgl. etwa VwGH vom 22.09.2011, Zahl 2008/18/0508, VwGH 04.08.2016, Zahl Ra 2016/21/0207, VwGH 19.12.2012 Zahl 2012/22/0215). Auch eine Körperverletzung sieht der VwGH als ein dem Aufenthaltsverbot zugänglichen Tatbestand an (siehe 23.02.2016, Ra 2015/01/0249).

Zudem hat der BF Schwarzarbeit und Verstöße gegen die Meldepflichten (siehe § 2 Abs. 1 und 7 Abs. 1 MeldeG) zu verantworten.

Vor dem Hintergrund des konkreten Verhaltens des BF, insbesondere der Art und Schwere der Straftaten (überwiegend Vergehen), der Wert der jeweiligen Beute sowie den Umstand, dass es wiederholt bei Versuchen blieb, kann dennoch, selbst unter der Berücksichtigung der nicht zu bagatellisierenden einschlägigen Rückfälligkeit, zuletzt auch innerhalb offener Probezeit, nicht erkannt werden, dass "besonders schwerwiegende Merkmale" iSd. oben zitierten (den verfahrensgegenständlichen Fall zum Gegenstand habenden) Judikatur des VwGH gegeben wären. So erreichen die vom BF verwirklichten Straftaten die Dimension von bandenmäßigem Suchtmittelhandel oder Sexualdelikten in Bezug auf Minderjährige oder dem gleichzusetzenden Straftaten.

Letztlich gestand der BF ein, dass seine Straffälligkeiten überwiegend auf seine Alkoholsucht zurückzuführen wären. Er vermochte jedoch auch eine stationäre und ambulante Therapierung derselben, und damit seine mittlerweile erlangte Verhaltenseinsicht und seinen entwickelten Änderungswillen, zu belegen. Ferner bekundete der BF in der mündlichen Verhandlung seine Reue und versprach, sich zukünftig wohl zu verhalten, womit der BF die Aktualität seiner positiven Absichten weiter unterstreicht.

Unbeschadet dessen hält sich der BF bereits seit 2007 sohin beinahe 13 Jahre lang im Bundesgebiet auf und ging wiederholt Erwerbstätigkeiten in Österreich nach. Ferner führt der BF mit einer in Österreich lebenden polnischen Staatsbürgerin eine Beziehung, sodass, trotz wiederholter Verurteilungen nicht gesagt werden kann, dass der BF keinerlei Integrationsschritte gesetzt oder Integration erlangt hätte. Wenn das vom BF gezeigte Verhalten, insbesondere aufgrund seiner Rückfälle, auch eine schwerwiegende Gefährdung öffentlicher Interessen darstellt, so ist im konkreten Fall - im Lichte der oben zitierten Judikatur - dennoch ein Überwiegen der persönlichen Interessen des BF an einem weiteren Verbleib im Bundesgebiet gegenüber den öffentlichen Interessen an einer Beendigung des Aufenthaltes des BF in Österreich in Ermangelung des Vorliegens einer "massiven" Delinquenz zu erkennen.

Im Ergebnis war der gegenständlichen Beschwerde sohin stattzugeben und der angefochtene Bescheid zur Gänze zu beheben.

Zu Spruchteil B): Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 (VwGG), BGBl. Nr. 10/1985 idgF, hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision gegen die gegenständliche Entscheidung ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hervorgekommen.

Die oben in der rechtlichen Beurteilung angeführte Judikatur des VwGH ist zwar zu früheren Rechtslagen ergangen, sie ist jedoch nach Ansicht des erkennenden Gerichts auf die inhaltlich meist völlig gleichlautenden Bestimmungen der nunmehr geltenden Rechtslage unverändert übertragbar.

Schlagworte

Aufenthaltsverbot Behebung der Entscheidung Rechtsanschauung des VwGH Voraussetzungen Wegfall der Gründe

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:G307.2187492.1.00

Im RIS seit

28.07.2020

Zuletzt aktualisiert am

28.07.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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