TE OGH 2020/4/29 9ObA4/20h

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Veröffentlicht am 29.04.2020
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Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr.

 Hopf als Vorsitzenden, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Fichtenau und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Hargassner sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Ingomar Stupar (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Mag. Werner Pletzenauer (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Angestelltenbetriebsrat der J*****, vertreten durch Mag. German Storch und Mag. Rainer Storch, Rechtsanwälte in Linz, gegen die beklagte Partei J*****, vertreten durch Mag. Gottfried Schmutzer, Rechtsanwalt in Wien, wegen Feststellung gemäß § 54 Abs 1 ASGG, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 29. Oktober 2019, GZ 7 Ra 32/19f-14, mit dem der Berufung der beklagten Partei gegen das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichts Wien vom 21. November 2018, GZ 30 Cga 138/18k-8, nicht Folge gegeben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 1.489,86 EUR (darin 248,31 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Beklagte ist eine Anstalt öffentlichen Rechts, die die Verfügbarkeit der für die Besorgung von Betreuungsaufgaben des Straf- und Maßnahmenvollzugs im Sinn des Strafvollzugsgesetzes sowie der für die Unterstützung der ordentlichen Gerichte erforderlichen Personalressourcen zu gewährleisten hat (§ 1 Abs 1 Justizbetreuungsagentur-Gesetz – JBA-G).

Für Arbeitsverhältnisse zur Justizbetreuungsagentur sind das Angestelltengesetz und die übrigen für private Arbeitgeber geltenden arbeitsrechtlichen Rechtsvorschriften anzuwenden (§ 20 Abs 1 Satz 2 JBA-G). Es gilt der Kollektivvertrag für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer der Justizbetreuungsagentur (kurz: KollV JBA).

Im Rahmen des „handwerklichen Dienstes“ beschäftigt die Beklagte (von dieser zugestanden) 16 Arbeitnehmer, die über eine für diese Tätigkeit erforderliche abgeschlossene Berufsausbildung (Lehrabschluss in einem Handwerksberuf) sowie eine mehrjährige einschlägige Berufserfahrung verfügen. Das Aufgabengebiet dieser Arbeitnehmer umfasst die Mitarbeit im anstaltseigenen Betrieb, die Unterstützung des Betriebsleiters in betriebswirtschaftlichen Belangen sowie die fachliche Anleitung der im Betrieb beschäftigten Strafgefangenen, die einen Lehrabschluss anstreben. Sämtliche Mitarbeiter des handwerklichen Dienstes sind von der Beklagten in der Verwendungsgruppe 1 eingestuft.

Mit Feststellungsklage gemäß § 54 Abs 1 ASGG begehrt der klagende Betriebsrat die Feststellungen, dass

1. alle Arbeitnehmer im handwerklichen Dienst der Beklagten, die zumindest über eine Lehrabschlussprüfung oder einen sonstigen vergleichbaren Abschluss verfügen und in dem erlernten Bereich für die Beklagte tätig sind, in die Verwendungsgruppe 2 nach dem KollV JBA eingestuft werden müssen und

2. diese Arbeitnehmer Anspruch auf Nachzahlung der Lohndifferenzen ab 1. 12. 2017 haben, die sich aus der falschen Einstufung in die Verwendungsgruppe 1 anstelle der Verwendungsgruppe 2 nach dem KollV JBA ergeben.

Dazu brachte der Betriebsrat vor, dass die Arbeitnehmer im handwerklichen Dienst zwar in den Verwendungsgruppen des KollV JBA nicht ausdrücklich erwähnt seien, aber höher qualifizierte Tätigkeiten verrichteten, als jene in der Verwendungsgruppe 1 genannten Arbeitnehmer. Sie verfügten ebenso wie die in der Verwendungsgruppe 2 aufgelisteten Arbeitnehmer über eine dreijährige Berufsausbildung.

Die Beklagte bestritt, beantragte Klagsabweisung und wandte ein, dass die vom Feststellungsantrag betroffenen Arbeitnehmer im handwerklichen Dienst vergleichbar qualifizierte Tätigkeiten verrichteten, wie die in der Verwendungsgruppe 1 des KollV JBA genannten Pflegehelferinnen.

Die Vorinstanzen gaben dem Feststellungsantrag statt. Die Formulierung in der Verwendungsgruppe 1 „Pflegehelferinnen oder vergleichbar qualifizierte Tätigkeit“ lasse erkennen, dass es den Kollektivvertragsparteien bei der Einstufung auf die Qualifikation der Arbeitnehmer ankomme. Die Arbeitnehmer im handwerklichen Dienst wiesen eine höhere Qualifikation auf als die in der Verwendungsgruppe 1 genannten Pflegehelferinnen und Bürohilfen und seien damit mit dem in der Verwendungsgruppe 2 genannten Personenkreis (Sekretärinnen und kaufmännische Bürokräfte ua) vergleichbar. Aus der richtigen Einstufung in die Verwendungsgruppe 2 folge die Verpflichtung der Beklagten, zur Nachzahlung des sich aus der unrichtigen Einstufung ergebenden Differenzentgelts. Das Berufungsgericht ließ die Revision zu, weil zur Frage der Auslegung der Einstufung von Arbeitnehmern im handwerklichen Dienst der Beklagten nach dem Kollektivvertrag für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer der Justizbetreuungsagentur noch keine höchstgerichtliche Judikatur vorliege und der Auslegung einer Kollektivvertragsbestimmung regelmäßig erhebliche Bedeutung im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO zukomme.

In ihrer dagegen gerichteten Revision beantragt die Beklagte die Abänderung des Berufungsurteils im Sinne einer Klagsabweisung; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Der Kläger beantragt in seiner Revisionsbeantwortung, die Revision der Beklagten zurückzuweisen, in eventu der Revision keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig (vgl RS0109942 ua); sie ist jedoch nicht berechtigt.

1. Nach ständiger Rechtsprechung ist der normative Teil eines Kollektivvertrags nach den Grundsätzen der §§ 6, 7 ABGB, also nach der eigentümlichen Bedeutung der Worte in ihrem Zusammenhang und der Absicht des Normgebers auszulegen (RS0008782 ua). Den Kollektivvertragsparteien darf dabei grundsätzlich unterstellt werden, dass sie eine vernünftige, zweckentsprechende und praktisch durchführbare Regelung treffen sowie einen gerechten Ausgleich der sozialen und wirtschaftlichen Interessen herbeiführen wollten, sodass bei mehreren an sich in Betracht kommenden Auslegungsmöglichkeiten, wenn alle anderen Auslegungsgrundsätze versagen, jener der Vorzug zu geben ist, die diesen Anforderungen am meisten entspricht (RS0008828 ua).

2. Nach § 7 Abs 2 des Kollektivvertrags für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer der Justizbetreuungsagentur in der bis zum 31. 1. 2019 geltenden Fassung richtet sich die Entlohnung der Arbeitnehmerinnen nach der Art der vereinbarten Tätigkeit. Demnach werden die Arbeitnehmerinnen in eine der folgenden Verwendungsgruppen eingereiht:

Verwendungsgruppe 1:

Pflegehelferinnen oder vergleichbar qualifizierte Tätigkeit, Bürohilfe

Verwendungsgruppe 2:

Diplomierte Gesundheits- und Krankenschwestern und -pfleger, Sekretärinnen, kaufmännische Bürofachkräfte

Verwendungsgruppe 3:

Sozialarbeiterinnen [DSA, Mag. (FH), Bacc. (FH)], Diplomierte Therapeutinnen (Ergo- und Physiotherapeutinnen, MTA sowie Fachkräfte mit ähnlicher Ausbildung), Sachbearbeiterinnen Verwaltung, IT- und Technikbeauftragte

Verwendungsgruppe 3a:

Sachbearbeiterinnen mit erweitertem Aufgabenbereich: Verwendungsgruppe 3 + halber Unterschiedsbetrag auf Verwendungsgruppe 4

Verwendungsgruppe 4:

Angestellte mit Tätigkeiten, welche im Normalfall den Abschluss eines Universitätsstudiums voraussetzen, Dolmetscherinnen, Psychotherapeutinnen, Sonder-pädagoginnen, Pflegedienstleiterinnen.“

3. Die Berufe der vom Feststellungsantrag erfassten Arbeitnehmer des „handwerklichen Dienstes“ werden in den Verwendungsgruppen nicht ausdrücklich genannt. Es ist daher ausgehend von der Art der vereinbarten Tätigkeit (§ 7 Abs 2 KollV JBA) zu fragen, welcher Verwendungsgruppe die betroffenen Arbeitnehmer zugehörig sind. Dass die Kollektivvertragsparteien bei der für die Einreihung der Arbeitnehmer in die Verwendungsgruppen maßgeblichen Art der Tätigkeit besonders auch auf die jeweilige Qualifikation (Ausbildung) und Verantwortung abstellen, lässt das Verwendungsgruppensystem des KollV JBA klar erkennen, werden doch jene Arbeitnehmer höher entlohnt, die für die Verrichtung ihrer konkreten Tätigkeit eine längere Ausbildung benötigen, höher qualifiziert sind und damit regelmäßig eine größere Verantwortung tragen. So ist etwa schon aus der Formulierung „oder vergleichbar qualifizierte Tätigkeit“ in der Verwendungsgruppe 1 ersichtlich, dass die Kollektivvertragsparteien der Qualifikation des Arbeitnehmers wesentliche Bedeutung für die Einreihung in die jeweilige Verwendungsgruppe schenken. Die Rechtsauffassung der Beklagten, dass die Kollektivvertragsparteien nur auf die Art der Tätigkeit des Arbeitnehmers abstellen und damit alle Arbeiter (im Gegensatz zu Angestellten), unabhängig von ihrer Ausbildung und Qualifikation, in die Verwendungsgruppe 1 einreihen wollten, teilt der Senat daher nicht.

4. Richtig ist, dass im Rahmen der Vertragsfreiheit auch die Kollektivvertragsparteien einvernehmlich festlegen können, wie eine bestimmte Vereinbarung auszulegen ist. Eine authentische Interpretation durch die Kollektivvertragsparteien stellt aber nur unter der Voraussetzung der ordnungsgemäßen Kundmachung einen Akt der Rechtsetzung mit Normwirkung dar (9 ObA 119/18t Pkt 3 mwN). Dies ist beim Schreiben der Gewerkschaft öffentlicher Dienst (GÖD) vom 21. 2. 2017 an die Beklagte, in dem diese für die nächsten Kollektivvertragsverhandlungen ihren Wunsch auf eine „Änderung der Zuordnung von Tätigkeiten zu den Verwendungsgruppen, vor allem im handwerklichen Bereich“, zum Ausdruck bringt, nicht der Fall.

5. Die vom Feststellungsantrag betroffenen Arbeitnehmer der Beklagten verrichten nach der Art ihrer Tätigkeit keine mit den in der Verwendungsgruppe 1 genannten Pflegehelferinnen vergleichbare Tätigkeit. Während mit Blick auf die Qualifikation (Ausbildung) Pflegehelferinnen (nunmehr Pflegeassistentinnen und -assistenten [§ 84 Abs 1 iVm § 83 Abs 1 GuKG]) lediglich über eine einjährige Ausbildung verfügen (vgl Berufslexikon des AMS „Pflegefachassistentin, Pflegefachassistent“), verfügen die Arbeitnehmer der Beklagten im handwerklichen Dienst über eine abgeschlossene – im Regelfall dreijährige – Berufsausbildung (Lehrabschluss in einem Handwerksberuf) und zudem über eine mehrjährige einschlägige Berufserfahrung. Dabei handelt es sich um keine „einfache Tätigkeit“, die noch der Verwendungsgruppe 1 unterfällt (vgl die jährliche KV-Kurzübersicht betreffend die Erhöhung des Mindestlohns/Mindestgehalts), sondern um eine qualifizierte Tätigkeit der Verwendungsgruppe 2.

6. Seit 1. 2. 2019 werden nach dem KollV JBA nur mehr Bürohilfen in die Verwendungsgruppe 1 eingereiht. Die Pflegeassistentinnen (vormals Pflegehelferinnen) werden in die neue Verwendungsgruppe 1a eingereiht, die Pflegefachassistentinnen in die Verwendungsgruppe 1b, Sekretärinnen, kaufmännische Bürofachkräfte in die Verwendungsgruppe 2 und diplomierte Gesundheits- und Krankenpflegerinnen (vormals diplomierte Gesundheits- und Krankenschwester und -pfleger) in die Verwendungsgruppe 2a. Letztere benötigen ebenfalls eine dreijährige Ausbildung und beziehen dasselbe Entgelt wie Arbeitnehmer der Verwendungsgruppe 2 (Gehaltstabelle § 7 Abs 1 KollV JBA idF ab 1. 2. 2019). Dass die Kollektivvertragsparteien die Einstufung der vom Feststellungsantrag betroffenen Arbeitnehmer der Beklagten im handwerklichen Dienst in die Verwendungsgruppe 2 durch diese Änderung in den Verwendungsgruppen des KollV JBA verschlechtern wollten, wird in der Revision der Beklagten nicht behauptet.

7. Die von der Revisionswerberin geltend gemachten sekundären Feststellungsmängel liegen nicht vor. Die Feststellungsgrundlage ist nur dann mangelhaft, wenn Tatsachen fehlen, die für die rechtliche Beurteilung wesentlich sind (RS0053317). Dies ist weder bei der Frage, welche Tätigkeiten eine Pflegehelferin exakt verrichtet (vgl dazu im Übrigen § 83 Abs 1 GuKG) noch bei der Frage, welchen konkreten Inhalt das angesprochene Schreiben der GÖD hat, der Fall. Die Rechtsfrage, ob die kollektivvertragliche Regelung gegen höherrangiges Recht verstößt, stellt sich im vorliegenden Fall nicht.

Der Revision der Beklagten war daher nicht Folge zu geben.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.

Textnummer

E128456

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2020:009OBA00004.20H.0429.000

Im RIS seit

08.07.2020

Zuletzt aktualisiert am

23.04.2021
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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