TE Bvwg Erkenntnis 2020/4/7 W182 1242236-3

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 07.04.2020
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Entscheidungsdatum

07.04.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z4
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §7 Abs1 Z2
AsylG 2005 §7 Abs4
AsylG 2005 §8 Abs1 Z2
BFA-VG §9
B-VG Art. 133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z3
FPG §52 Abs9
FPG §53 Abs1
FPG §53 Abs3 Z1
FPG §93 Abs1
FPG §93 Abs2
FPG §94 Abs5

Spruch

W182 1242236-1/15E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. PFEILER über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Russische Föderation, vertreten durch den Verein Menschenrechte Österreich, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 13.05.2019, Zl. 732456808 - 190036775 / BMI-BFA_BGLD_RD, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung gemäß § 28 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG), BGBl. I Nr. 33/2013 idgF, zu Recht erkannt:

A) Die Beschwerde wird gemäß §§ 7 Abs. 1 Z 2 und Abs. 4, 8 Abs. 1 Z 2, 10 Abs. 1 Z 4, 57 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), BGBl. I Nr. 100/2005 idgF, § 9 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG), BGBl I Nr. 87/2012 idgF, und §§ 52 Abs. 2 Z 3, Abs. 9, 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1, 46, 93 Abs. 1, Abs. 2, 94 Abs. 5 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG), BGBl. I Nr. 100/2005 idgF, mit der Maßgabe als unbegründet abgewiesen, dass die Dauer des verhängten Einreiseverbotes auf zwei Jahre herabgesetzt wird.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz, BGBl. I Nr. 1/1930 (B-VG), nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1.1. Der Beschwerdeführer (im Folgenden: BF) ist Staatsangehöriger der Russischen Föderation, gehört der tschetschenischen Volksgruppe an, reiste am 17.08.2003 im Alter von XXXX Jahren illegal mit seinen Eltern und seinem älteren Bruder über die Slowakei ins Bundesgebiet ein und stellte in weiterer Folge noch am selben Tag einen Asylantrag.

Der Vater des BF begründete seinen Asylantrag bei seiner Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 29.09.2003 sowie am 11.05.2004 im Wesentlichen damit, dass er zwischen November 2001 und August 2003 vier Mal von russischen Spezialeinheiten (FSB) festgenommen und für mehrere Tage angehalten worden sei, weil er seit 2001 mit einem Lkw Warentransporte für XXXX , dessen Sippe ( XXXX ") er angehöre, durchgeführt habe. Bei einem dieser Zwischenfälle sei der auf seinem Schoß sitzende minderjährige BF weggerissen und sein Vater mit einem Gewehrkolben geschlagen worden. Da der Vater des BF sich immer bereit erklärt habe, mit dem FSB zusammenzuarbeiten, sei er freigelassen worden. Auf Ratschlag seiner Eltern habe er die Möglichkeit zur Flucht genutzt, weshalb er nunmehr im Falle seiner Rückkehr mit den schlimmsten Folgen bis hin zu einer Ermordung rechnen müsse.

Die gesetzliche Vertreterin und Mutter des BF verwies vollinhaltlich auf die Fluchtgründe ihres Gatten; die beiden minderjährigen Söhne selbst hätten demgegenüber keinerlei Probleme gehabt, sondern seien lediglich gemeinsam mit ihren Eltern ins Bundesgebiet gereist (vgl. Seite 105 des erstinstanzlichen Verwaltungsaktes).

Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 16.08.2004, Zl. 03 24.568/1-BAE, wies das Bundesasylamt den Asylantrag des BF gemäß § 7 AsylG1997, BGBl. I Nr. 76/1997 idF BGBl. I Nr. 126/2002, ab (Spruchpunkt I.), erklärte die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des BF in die Russische Föderation gemäß § 8 Abs. 1 leg. cit. für zulässig (Spruchpunkte II.) und wies selbigen unter einem gemäß § 8 Abs. 2 leg. cit. aus dem österreichischen Bundesgebiet aus (Spruchpunkt III.).

1.2. In Erledigung einer dagegen erhobenen Beschwerde wurde nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 29.11.2005 mit rechtskräftigem Bescheid des Unabhängigen Bundesasylsenats vom 04.05.2006, Zl. 242.236/1-IX/25/04, dem BF - wie im Übrigen mit zeitgleichen Entscheidungen auch seinen Eltern und seinem jüngeren Bruder - gemäß § 7 Asylgesetz 1997 (AsylG), BGBl. I Nr. 1997/76 i. d.F. 2003/101 iVm § 12 leg. cit. die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt.

In der Entscheidung wurde im Wesentlichen festgestellt, dass der Vater des BF glaubhaft dartun habe können, dass er ab dem Jahr 2001 Warentransporte für XXXX durchgeführt habe, seither mehrmals (3-4 Mal), zuletzt im August 2003 von föderalen Truppen festgenommen, misshandelt und teilweise mehrere Tage angehalten worden sei, wobei er auf die Zusage, für diese als Spion zu arbeiten, freigelassen worden sei und infolge das Land verlassen habe. Begründend wurde dazu im Wesentlichen ausgeführt, dass der Vater des BF nach den getroffenen Feststellungen in das Blickfeld der russischen Behörden gelangt und davon auszugehen sei, dass er von russischer, staatlicher Seite aus politischen Gründen mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit als Gegner angesehen, bzw. eine solche Gegnerschaft oder Sympathie und tatkräftige Unterstützung für solche Gegner in Verbindung mit seiner ethnischen Herkunft unterstellt würde. Die persönliche Verfolgungsgefährdung des BF - wie auch seiner Mutter bzw. seines Bruders - sei in der die gesamte Familie betreffenden Gefahr eines Übergriffes durch russische Behörden zu sehen, weil diese (über den Vater des BF) in das Blickfeld der Behörden geraten sei. Sohin werde der Asylgrund der Familie als soziale Gruppe schlagend. Dem BF wäre es wegen der gegenüber Tschetschenen praktizierten Restriktionen beim Erwerb von Zuzugsgenehmigungen praktisch unmöglich, sich außerhalb Tschetscheniens niederzulassen und sich eine Existenzgrundlage zu schaffen, zumal er auch über entsprechende Verwandtschaftsbeziehungen nicht verfüge.

1.3. Mit Urteil des Landesgerichtes XXXX vom XXXX .2015, Zl. XXXX , wurde der BF wegen des Vergehens des Betruges nach § 146 StGB und wegen Vergehen der Urkundenunterdrückung nach § 229 Abs. 1 StGB unter Anwendung von § 5 Z 4 JGG rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von zwei Monaten verurteilt, wobei die verhängte Freiheitsstrafe unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurde.

Der zugrundeliegende Sachverhalt stellt sich dergestalt dar, als dass der BF im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit zwei Mittätern durch Vortäuschung seiner Zahlungsfähigkeit und -willigkeit die Angestellten diverser XXXX im XXXX und XXXX 2015 mehrfach wiederholt zur XXXX , mithin zu einer Duldung und somit zu selbstschädigenden Handlungen veranlasste und sich dadurch unrechtmäßig am Vermögen bereichert hat. Darüber hinaus unterdrückte der Rechtsmittelwerber im selben Zeitraum Urkunden, über die er nicht verfügen durfte, mit dem Vorsatz, zu verhindern, dass sie im Rechtsverkehr zum Beweis eines Rechts, eines Rechtsverhältnisses oder einer Tatsache gebraucht werden, indem er mit Mittätern XXXX . Mildernd wurden hierbei das Geständnis und der bisherige ordentliche Lebenswandel berücksichtigt; erschwerend wurden demgegenüber die fortgesetzten Angriffe gegen fremdes Vermögen sowie das Zusammentreffen von mehreren Vergehen gewertet.

1.4. Am XXXX .2017 übermittelte ein Bundespolizeikommando dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: Bundesamt) einen Abschlussbericht, demzufolge der BF der vorsätzlichen Körperverletzung verdächtig werde.

2.1. Am 11.02.2019 niederschriftlich zu dem am 11.01.2019 amtswegig von der belangten Behörde initiierten Aberkennungsverfahren zum Status des Asylberechtigten einvernommen, brachte der BF im Wesentlichen vor, seit seiner Ausreise im Kindesalter nie wieder in seinem Heimatland gewesen zu sein, wobei er nicht beantworten könne, warum ihm und seinen Kernfamilienmitgliedern seinerzeit in Österreich Asyl gewährt worden sei. Er selbst habe jedenfalls nie Probleme mit den russischen Behörden oder der Polizei gehabt. Ob gegen ein Mitglied seiner Familie allenfalls ein Haftbefehl bestehe, entziehe sich ebenso seiner Kenntnis. Im Falle seiner Rückkehr befürchte er womöglich in die Obdachlosigkeit gedrängt zu werden. Überhaupt sei es sein primäres Ziel im Bundesgebiet zu verbleiben, während es nicht einmal in Ansätzen seinen Interessen entsprechen würde, nach Russland zurückzukehren. Ob er von staatlicher Seite Verfolgung befürchten müsse, wisse er nicht, aber könne er nicht ausschließen, dass die Russische Föderation "sich dort was ausdenkt." Familienmitglieder respektive Verwandte würden zwar noch in Tschetschenien leben; um wen es sich hierbei handle, könne er aber nicht angeben. Seinen im Bundesgebiet lebenden Bruder hätte er zumindest seit zwei Jahren nicht mehr gesehen, da dieser nunmehr seine eigene Familie habe. Kontakt zu seinen beiden ebenfalls in Österreich lebenden Eltern bestehe hingegen weiterhin in der bisherigen Form. Seine Mutter sei seit über zehn Jahre hindurch berufstätig, während sein Vater demgegenüber bereits seit längerer Zeit in Untersuchungshaft sitzen würde. Angeblich habe dieser Pakete falsch zugestellt. Selbst seit jeher wirtschaftlich von seinen beiden Eltern abhängig, wäre auch die Existenz der im Heimatland verbliebenen Angehörigen insoweit als abgesichert zu bezeichnen, als dass diese zumindest über "eine Wohnung, Essen und Arbeit" verfügen würden. Inwieweit das auch für ihn und seine in Österreich lebenden Kernfamilienmitglieder zutreffen würde, könne der BF nicht sagen. Assoziationen mit Russland verbinde er generell keine. Aktuell lebe er zusammen mit seinen Eltern in einer Mietwohnung. An persönlichem Einkommen verfüge der Genannte derzeit über 800,- € an Lehrlingsentschädigung, zumal er sich gegenwärtig noch im ersten Lehrjahr befinde. Ein darüber hinaus gehendes Vermögen existiere nicht, ebensowenig wie eine abgeschlossene Berufsausbildung. Sprachkurse habe er auch nicht besucht und befinde er sich weder in einer Ehe, Partnerschaft oder sonstigen Beziehung. Sein Freundeskreis setze sich sowohl aus österreichischen Staatsbürgern als auch im Bundessgebiet lebende Tschetschenen zusammen. Seine Freizeit verbringe er zumeist mit Fußballspielen und Kinobesuchen. Mitglied in einem Verein sei er keines. Seine berufliche Zukunft sehe er am ehesten in einer Selbstständigkeit als Eigentümer einer Autofirma. In Ermangelung eines russischen Reisepasses wäre der BF auch nach dem fluchtartigen Verlassen seiner Heimat auch nie wieder in seinem Herkunftsland gewesen. Auf Vorhalt, wonach er nicht nur entgegen seiner Behauptungen einen erst am 15.12.2017 neu ausgestellten und mit zehnjähriger Gültigkeitsdauer versehenen russischen Auslandsreisepass besitze, sondern darin sogar russische Grenzkontrollstempel ersichtlich seien, bestritt der BF, jemals ein derartiges Personaldokument beantragt zu haben: "Vielleicht ist der russische Auslandspass gefälscht. Es kann alles sein, sag niemals nie" (vgl. As 361). Gegen seine Rückkehr spräche aus seiner Sicht vor allem die Herrschaft von Kadyrov. So könne er XXXX , was seiner Ansicht nach zutreffendenfalls zu einem erhöhten Sicherheitsrisiko in Tschetschenien führen könnte. Seine strafrechtlichen Verfehlungen bereue er mittlerweile und wünsche sich der Rechtsmittelwerber inständig, seinen bestehenden Flüchtlingsstatus weiter aufrecht halten zu können.

2.2. Am XXXX .2019, Zl. XXXX , wurde der BF vom XXXX rechtskräftig wegen des Vergehens des Diebstahls durch Einbruch nach §§ 127, 129 Abs. 1 Z 1 StGB sowie wegen des Vergehens des betrügerischen Datenverarbeitungsmissbrauches nach §§ 15 iVm 148a Abs.1 und 2, zweiter Fall StGB und wegen des Verbrechens des gewerbsmäßig schweren Betruges nach §§ 15 iVm 146,147 Abs. 1 Z 1 und Abs. 2, 148 zweiter Fall StGB zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt, wobei die verhängte Freiheitsstrafe unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurde. Vom Widerruf der bedingten Strafnachsicht im Urteil vom XXXX .2015 wurde abgesehen und die Probezeit auf fünf Jahre verlängert.

Der Genannte wurde hiebei für schuldig befunden,

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am XXXX ., XXXX . und XXXX .2017 im bewussten Zusammenwirken mit zwei Mittätern das Fenster eines XXXX aufgebrochen und sich dadurch unbefugt Zutritt verschafft zu haben, um anschließend XXXX aufzubrechen und das darin enthaltene Bargeld sowie XXXX zu entnehmen;

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am XXXX . sowie XXXX .2017 als Beitragstäter gleichgelagerte Delikte in einem XXXX begangen zu haben, in das sich die Haupttäter durch Aufstemmen eines Fensters respektive einer Eingangstür unbefugt Zutritt verschafft hatten, um abermals durch Aufbrechen der darin vorgefundenen XXXX beziehungsweise durch XXXX zum darin enthaltenen Bargeld zu gelangen, sowie einen Laptop und XXXX mitzunehmen;

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im XXXX 2016 in insgesamt sechs Fällen gewerbsmäßig mit dem Vorsatz, sich oder einen Dritten unrechtmäßig zu bereichern, Verfügungsberechtigte eines XXXX dadurch am Vermögen geschädigt zu haben, indem er das Ergebnis einer automationsunterstützten Datenverarbeitung durch Eingabe falscher Daten in das betreffende Computersystem dahingehend manipulierte, um XXXX zu erlangen. In weiteren neun Fällen blieb es aufgrund XXXX lediglich beim Versuch;

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im gleichen Zeitraum unter Vorspiegelung einer falschen Identität im bewussten Zusammenwirken mit einem weiteren Mittäter in sechs Fällen XXXX bestellt zu haben, jeweils mit dem Vorsatz, sich durch das Verhalten der Geschädigten sich oder einen Dritten unrechtmäßig zu bereichern, sowie in 46 Fällen Verfügungsberechtigte eines XXXX durch Täuschung seiner Zahlungsfähigkeit und -willigkeit und unter gleichzeitiger Verwendung falscher Daten durch Angabe falscher Identitäten versucht zu haben, zur Übergabe von XXXX mit einem über 5.000,- € liegenden Gesamtwert zu verleiten.

Als mildernd wurden hiebei das teilweise Geständnis sowie der Umstand, dass es teilweise beim Versuch geblieben ist gewertet; als erschwerend das Zusammentreffen eines Verbrechens mit zwei Vergehen, die fortgesetzten Angriffe auf fremdes Vermögen, die mehrfache Deliktsqualifikation nach §§ 146ff StGB, eine einschlägige Vorstrafe sowie die Tatbegehung in offener Probezeit.

Von den weiteren in der Anklageschrift gegen ihn erhobenen Vorwürfen, er habe am XXXX .2017 und XXXX .2017 im bewussten und gewollten Zusammenwirken als Mittäter XXXX aufgebrochen bzw. an sich genommen und aufgebrochen, um sich das darin enthaltene Bargeld anzueignen, wurde der BF mangels Schuldbeweis "in dubio pro reo" gemäß § 259 Z 3 StPO freigesprochen.

2.3. Mit Bescheid vom 13.05.2019, Zl. 732456808 - 190036775 / BMI-BFA_BGLD_RD, erkannte das Bundesamt dem Genannten den mit Bescheid des Unabhängigen Bundesasylsenates vom 04.05.2006, Zl. 242.236/1-IX/25/04, zuerkannten Status des Asylberechtigten gemäß § 7 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 ab und stellte gemäß § 7 Abs. 4 AsylG 2005 fest, dass ihm die Flüchtlingseigenschaft kraft Gesetzes nicht mehr zukomme (Spruchpunkt I.). Weiters erkannte das Bundesamt dem BF gemäß § 8 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 den Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zu (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde dem Rechtsmittelwerber gemäß § 57 AsylG 2005 ebensowenig erteilt (Spruchpunkt III.), sondern stattdessen gegen diesen gemäß § 10 Abs. 1 Z 4 AsylG 2005 iVm § 9 BFA- VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 3 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.). Gemäß § 52 Abs. 9 FPG wurde festgestellt, dass die Abschiebung des Genannten gemäß § 46 FPG in die Russische Föderation zulässig sei (Spruchpunkt V.). Unter einem wurde dem Rechtsmittelwerber gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG eine Frist von 14 Tagen ab Rechtskraft der Entscheidung zur freiwilligen Ausreise eingeräumt (Spruchpunkt VI.). Gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 FPG idgF wurde gegen den BF ein auf die Dauer von acht Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt VII.). Unter einem wurde dem BF gemäß §§ 94 Abs. 5 iVm 93 Abs. 1 Z 1 und 94 Abs. 1 FPG der Konventionsreisepass entzogen. Selbiges Dokument sei gemäß § 93 Abs. 2 FPG unverzüglich dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl vorzulegen (Spruchpunkt VIII).

Begründend wurde im Wesentlichen auf die bereits im Verfahrensgang aufgelisteten rechtskräftigen Verurteilungen des Genannten hingewiesen, sowie darauf, dass jene Umstände im Herkunftsland, welche seinerzeit zur Anerkennung als Flüchtling geführt hätten, zwischenzeitlich weggefallen wären. Daraus resultierend lägen die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten nicht mehr vor. Zudem würden die Ausstellung eines Auslandsreisepasses sowie die seit der Asylgewährung unternommenen Reisen in die Russische Föderation klar belegen, wonach sich die Situation im Herkunftsland nachhaltig geändert habe.

Hinsichtlich der Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten sowie der Situation des BF im Falle seiner Rückkehr wurde ausgeführt, dass die im Heimatland herrschenden Verhältnisse basierend auf den aktuellen Länderberichten nicht zu einer Art. 2 oder 3 EMRK widersprechenden Gefährdung des Rechtsmittelwerbers führen würden. Dies nicht zuletzt vor dem Hintergrund, als dass der Genannte in Tschetschenien nicht nur über familiäre Bindungen, sondern auch über eine Unterkunftsmöglichkeit verfüge und sich persönlich zudem als gesund wie auch gleichermaßen arbeitsfähig erweise. Die seinerseits in diesem Kontext ins Treffen geführten Befürchtungen erwiesen sich als rein spekulativ, zumal russische Streitkräfte schon seit geraumer Zeit nicht mehr in Tschetschenien aufhältig seien. Die Voraussetzungen für die allfällige Erteilung eines Aufenthaltstitels aufgrund des Vorliegens besonderer Schutzbedürftigkeit wären in casu nicht erfüllt. In Bezug auf das Familienleben wurde ausgeführt, dass die belangte Behörde auch gegen die im Bundesgebiet aufhältigen Eltern sowie den Bruder des BF gleichgelagerte Asylaberkennungsverfahren eingeleitet habe. Der Rechtsmittelwerber selbst wäre seit seinem Erreichen der Volljährigkeit lediglich etwa acht Tage einer Beschäftigung nachgegangen. Die Lehre hätte er bereits nach einem Monat wieder abgebrochen und müsse er als "eigentlich arbeitsunwillig" qualifiziert werden. Die derzeitige Abhängigkeit von Sozialleistungen der öffentlichen Hand müsse auch für die Zukunft angenommen werden. Die zwischenzeitlich erworbenen Deutschkenntnisse seien als gut zu bezeichnen, der BF selbst als massiv vorbestraft. Angesichts der schweren strafrechtlichen Verurteilungen wäre die Verhängung eines Einreiseverbotes im Ausmaß von acht Jahren für den gesamten Schengenraum ebenso angemessen, wie die Gewährung einer vierzehntägigen Frist für die freiwillige Ausreise; die Abschiebung in den Herkunftsstaat als solche möglich und wahrscheinlich. In einer Interessensabwägung nach Art. 8 EMRK sei dem öffentlichen Interesse an der Verhinderung von Straftaten gegenüber den privaten beziehungsweise familiären Interessen des Genannten deutlichmehr Gewicht beizumessen gewesen, weshalb im Ergebnis spruchgemäß zu entscheiden gewesen sei.

Mit Verfahrensanordnung vom 13.05.2019 wurde dem BF gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG ein Rechtsberater zugewiesen.

2.4. Gegen diese Entscheidung wurde durch den rechtsfreundlichen Vertreter des Rechtsmittelwerbers fristgerecht eine Beschwerde eingebracht.

Inhaltlich wurden im Wesentlichen die regelmäßigen Einsätze des Genannten für den Fußballclub " XXXX " in den Jahren zwischen 2008 und 2016 hervorgehoben, sowie dessen aktuell laufende Lehre als XXXX , wobei der erfolgreiche Ausbildungsabschluss für Jänner 2021 prognostiziert werde. Angesichts der vielen Jahre in Österreich definiere sich der BF selbst als Teil der österreichischen Gesellschaft und pflege er auch entsprechend viele persönliche Kontakte zu Einheimischen. Über die Zeit habe sich der Rechtsmittelwerber nicht nur hinreichend in Österreich sozialisiert, sondern beherrsche er auch die deutsche Sprache entsprechend gut, weshalb sein Grad der Integration als hoch zu bewerten sei. Demgegenüber wären Bindungen nach Tschetschenien und zu den dort lebenden Verwandten nur mehr sehr marginal vorhanden. Seine bisherigen strafrechtlichen Verfehlungen bereue der Genannte zutiefst, aber zeige er sich in seiner aktuellen Lehrtätigkeit als äußerst bemüht, weshalb in casu eine positive Zukunftsprognose zu treffen sei. Die Verhängung eines achtjährigen Aufenthaltsverbots würde als äußerst überschießend interpretiert und unterhalte der BF in Österreich im Gegensatz zu seinem Heimatland ein gutes soziales Netz. Der Beschwerde beigelegt war u.a. eine Stellungnahme der Bewährungshelferin des BF vom 25.03.2019, wonach der BF seit 2016 in Bewährungshilfe betreut werde und derzeit in einem vom AMS finanzierten Kurs sei. Im letzten Jahr sei ein deutlicher persönlicher Reifungsprozess erkennbar und er gebe an, die österreichischen Normen und Werte nun gut nachvollziehen zu können.

2.5. Im Juni 2019 übermittelte das Bundesamt eine Verständigung der Staatsanwaltschaft XXXX , wonach gegen den BF, der sich seit 11.06.2019 in Untersuchungshaft befand, Anklage wegen §107 Abs. 1 StGB (Gefährliche Drohung) erhoben worden sei.

Der BF wurde mit Urteil des Landesgerichtes XXXX vom XXXX .2019, Zl. XXXX , "in dubio pro reo" gemäß § 259 Z 3 StPO freigesprochen und am selben Tag aus der Untersuchungshaft entlassen. Dem Urteil zufolge wurde der BF offenbar beschuldigt, XXXX .

2.6. In weiterer Folge wurde am 19.12.2019 vor dem erkennenden Gericht eine Beschwerdeverhandlung durchgeführt, an der neben dem Genannten auch seine rechtsfreundliche Vertretung und ein Vertreter des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl teilnahmen.

Der BF brachte u.a. vor, dass neben seiner Großmutter noch diverse Tanten und Onkel in Tschetschenien leben würden, er jedoch nicht im Detail darüber Auskunft geben könne. Gemeinsam mit seinen Eltern wäre der BF vor ungefähr fünf Jahren nach Russland gereist, wohin genau und zu welchem Zeitpunkt vermöge er aber nicht konkreter zu sagen, zumal er sich nicht in diesem Land auskennen würde. Tschetschenien sei es aber definitiv nicht gewesen. Insgesamt habe das Treffen mit seiner Großmutter ein oder zwei Wochen in Anspruch genommen und hätte diese dann auch den BF und dessen Eltern in Österreich besucht. Die Schulpflicht habe der BF im Bundesgebiet erfolgreich absolviert, die daran anschließende Handelsschule bereits nach einem Jahr abgebrochen. Auch eine in weiterer Folge begonnene Lehre als XXXX hätte der Genannte vorzeitig beendet, um sich beruflich neu zu orientieren. In dieser Phase sei er als XXXX angemeldet gewesen. Eine beabsichtigte Ausbildung bei einem XXXX habe er aufgrund eines Schienbeinbruchs am dritten Probetag nicht fortsetzen können und wäre durch die anschließende Verhaftung der bereits unterfertigte Lehrvertrag seitens des Dienstgebers wieder gelöst worden. Privat mit einer Freundin bereits seit drei Jahren liiert, lebe er dennoch nach wie vor bei seinen Eltern. Homosexuell, wie vor der Erstinstanz angedeutet, wäre der Rechtsmittelwerber keinesfalls. Seine Freundin sei zwar ebenfalls tschetschenischer Abstammung, jedoch mittlerweile im Besitz einer österreichischen Staatsbürgerschaft. An die genaue Zahl seiner Strafverurteilungen könne sich der BF nicht mehr erinnern; seiner Meinung nach müsste es sich lediglich um eine handeln. Auf Vorhalt, demzufolge einem aktuellen Strafregisterauszug zumindest zwei rechtskräftige Verurteilungen entnommen werden könnten, erklärte der Genannte seine Fehleinschätzung mit der hohen - insgesamt 25 - Zahl an Gerichtsverhandlungen. Wegen des zuletzt erhobenen Vorwurfs der schweren Drohung gemäß § 107 StGB wäre er aber freigesprochen worden. Die parallel laufende Verfolgung wegen eines Drogendelikts sei unter dem Titel "vorläufiger Rücktritt" eingestellt worden, lebe aber im Falle einer Tatwiederholung neuerlich auf. Konkret habe es sich um einen Kauf von Kokain zum Selbstgebrauch gehandelt und wäre der Rechtsmittelwerber nach erfolgreicher Konfrontation mit mehreren Lichtbildaufnahmen durch die Polizei als Belastungszeuge aufgetreten, um dadurch eine weitere Verfolgung abzuwenden. Im Falle seiner Rückkehr nach Russland befürchte der BF große Probleme, zumal er die die russischen Schriftzeichen nicht beherrschen würde. Sie nachträglich zu lernen empfinde er als unzumutbar schwer. Darüber hinaus könnten sowohl er als auch irgendein anderes Mitglied seiner Familie ermordet werden. Zwar wisse er persönlich nichts in diese Richtung, dass es in der Vergangenheit schon Übergriffe auf seine Angehörigen gegeben hätte, aber sei ein derartiger Vorfall prinzipiell nie auszuschließen. Angesichts mangelnden Interesses habe er sich aber auch noch nie wirklich mit der Situation in Russland oder Tschetschenien beschäftigt; stattdessen plane er vielmehr eine rechtskonforme Zukunft in Österreich. Davon abgesehen wäre er 2016 wegen eines Facebook-Like aus dem Jahr 2012 im Bundesgebiet vom Verfassungsschutz unschuldig verdächtigt worden - ein Umstand, der ihm nunmehr in Russland zum Verhängnis werden könnte, zumal Österreich Operationsgebiet russischer Spione sei. Sonstige Gründe, die gegen seine Rückführung in sein Heimatland sprechen könnten, brachte der Genannte nicht vor. Seine Zukunft plane der Rechtsmittelwerber als selbstständiger Kfz-Händler, welcher im Folgejahr heiraten und eine Familie gründen wolle. Konfrontiert mit der Tatsache, derzufolge im Reisepass des BF ein Einreisestempel in Russland datiert vom 23.09.2018 aufscheine, bestritt der BF, jemals ein derartiges Reisedokument besessen zu haben und könne er daher auch keine näheren Angaben zu dem darin enthaltenen Stempel machen. Ob er im September 2018 je in Russland, Weißrussland oder in der Ukraine gewesen sein könnte, vermochte oder wollte der Rechtsmittelwerber nicht zu sagen.

Im Anschluss wurde am selben Tag in einer weiteren Verhandlung der Vater des BF in dessen Beisein befragt, wobei beide Beschwerdeverfahren gemäß § 39 Abs. 2 AVG zur gemeinsamen Verhandlung zusammengezogen wurden.

Auf die Präsentation oder Erörterung der aktuellen Länderberichte verzichtete der BF ausdrücklich.

2.7. Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom heutigen Tag, Zl. W182 2219855-1, wurde nach Durchführung einer Beschwerdeverhandlung am 19.12.2019, die Beschwerde des Vater des BF gegen den Bescheid des Bundesamtes vom 13.05.2019, Zl. 732456503 - 190036759 / BMI-BFA_BGLD_RD, mit dem u.a. der ihm mit Bescheid des Unabhängigen Bundesasylsenates vom 04.05.2006, Zl. 242.242/1-IX/25/04, zuerkannten Status des Asylberechtigten gemäß § 7 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 aberkannt und gegen ihn eine Rückkehrentscheidung samt Einreiseverbot erlassen wurde, abgewiesen.

Darin wurde u.a. festgestellt, dass der Vater des BF nicht glaubhaft dartun habe können, in der Russischen Föderation wegen der logistischen Unterstützung des tschetschenischen Widerstandes bzw. von XXXX bis zum Jahr 2003 oder sonstiger Gründe aktuell mit hinreichender Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung oder unmenschlichen Behandlung ausgesetzt zu sein.

Mit im Wesentlichen gleichen Ergebnis wurde durch Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom heutigen Tag, Zl. W182 2217531-1, die Beschwerde des Bruders des BF gegen den Bescheid des Bundesamtes vom 29.03.2019, Zl. 732456710 - 180893905 / BMI-BFA_BGLD_RD, als unbegründet abgewiesen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1. Zur Person des BF

Der BF ist russischer Staatsangehöriger, gehört der tschetschenischen Volksgruppe an, ist muslimischen Glaubens, im August 2003 im Alter von XXXX Jahren illegal mit seiner Familie nach Österreich eingereist und hat mit Bescheid des Unabhängigen Bundesasylsenats vom 04.05.2006 den Status eines Asylberechtigten zuerkannt erhalten. Dies wurde im Wesentlichen mit einer Gefährdung des BF wegen der Fluchtgründe seines Vaters begründet.

Mit Urteil eines Landesgerichtes vom XXXX 2015 wurde der BF wegen des Vergehens des Betruges und Vergehen der Urkundenunterdrückung rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von zwei Monaten verurteilt, wobei die verhängte Freiheitsstrafe unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurde. Im Anschluss wurde er mit rechtskräftigem Urteil eines Landesgerichtes vom XXXX 2019, rechtskräftig wegen des Vergehens des Diebstahls durch Einbruch, des Vergehens des betrügerischen Datenverarbeitungsmissbrauches und des Verbrechens des gewerbsmäßig schweren Betruges zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt, wobei die verhängte Freiheitsstrafe unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurde. Vom Widerruf der bedingten Strafnachsicht im Urteil vom XXXX 2015 wurde abgesehen und die Probezeit auf fünf Jahre verlängert.

Der Beschwerdeführer ist laut eigener Aussage seit 2016 mit einer österreichischen Staatsangehörigen, tschetschenischer Abstammung, liiert, lebt aber nach wie vor getrennt von dieser im selben Haushalt wie seine Eltern und hat auch keine Kinder. Gegen seinen Vater sowie seinen Bruder bestehen hinsichtlich des Herkunftsstaates Russische Föderation rechtskräftige Rückkehrentscheidungen samt Einreiseverbot.

In Hinblick auf seine berufliche Qualifikation ist festzuhalten, dass der BF in Österreich die Pflichtschule besucht hat, wobei er die daran anschließende XXXX bereits nach dem ersten Jahr abbrach; eine in weiterer Folge begonnene Lehre als XXXX wurde bereits nach etwas mehr als einem Monat seinerseits beendet. Der BF ist bisher auch sonst kaum einer Erwerbstätigkeit von nennenswerter Dauer nachgegangen. Er spricht jedenfalls Deutsch und Tschetschenisch auf gutem Niveau, inwieweit der BF über Russisch-Kenntnisse verfügt, konnte nicht festgestellt werden. Fest steht, dass er im Herkunftsland keine Schulbildung erlangt hat. Er hat keine Berufsausbildung abgeschlossen.

Im Herkunftsland halten sich in Tschetschenien gegenwärtig zumindest Tanten, die Großmutter sowie diverse Cousins und Cousinen auf. Der BF ist nach der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten wiederholt - zuletzt 2018 - zum Besuch von Angehörigen ins Herkunftsland eingereist und verfügt über einen 2017 ausgestellten, gültigen russischen Auslandsreisepass.

Eine hinreichende Wahrscheinlichkeit, wonach der BF bei einer Rückkehr ins Herkunftsland landesweit wegen seines Vaters oder sonstiger Gründe der Folter, einer unmenschlichen Bestrafung oder unmenschlichen Behandlung ausgesetzt ist, konnte nicht festgestellt werden.

Im Übrigen wird der unter Punkt I. wiedergegebene Verfahrensgang der Entscheidung zugrundgelegt.

2. Zur Situation im Herkunftsland wird von den vom Bundesverwaltungsgericht ins Verfahren eingeführten Länderinformationen zur Russischen Föderation bzw. Tschetschenien ausgegangen:

Politische Lage

Die Russische Föderation hat ca. 143 Millionen Einwohner (CIA 29.7.2019, vgl. GIZ 8.2019c). Russland ist eine Präsidialdemokratie mit föderativem Staatsaufbau. Der Präsident verfügt über weit reichende exekutive Vollmachten, insbesondere in der Außen- und Sicherheitspolitik (GIZ 8.2019a, vgl. EASO 3.2017). Er ernennt auf Vorschlag der Staatsduma den Vorsitzenden der Regierung, die stellvertretenden Vorsitzenden und die Minister und entlässt sie (GIZ 8.2019a). Wladimir Putin ist im März 2018 bei der Präsidentschaftswahl mit 76,7% im Amt bestätigt worden (Standard.at 19.3.2018, vgl. FH 4.2.2019). Die Wahlbeteiligung lag der Nachrichtenagentur TASS zufolge bei knapp 67% und erfüllte damit nicht ganz die Erwartungen der Präsidialadministration (Standard.at 19.3.2018). Putins wohl stärkster Widersacher Alexej Nawalny durfte nicht bei der Wahl kandidieren. Er war zuvor in einem von vielen als politisch motivierten Prozess verurteilt worden und rief daraufhin zum Boykott der Abstimmung auf, um die Wahlbeteiligung zu drücken (Presse.at 19.3.2018, vgl. FH 4.2.2019). Oppositionelle Politiker und die Wahlbeobachtergruppe Golos hatten mehr als 2.400 Verstöße gezählt, darunter mehrfach abgegebene Stimmen und die Behinderung von Wahlbeobachtern. Wähler waren demnach auch massiv unter Druck gesetzt worden, um an der Wahl teilzunehmen. Auch die Wahlkommission wies auf mutmaßliche Manipulationen hin (Tagesschau.de 19.3.2018, FH 1.2018). Putin kann dem Ergebnis zufolge nach 18 Jahren an der Staatsspitze weitere sechs Jahre das Land führen. Gemäß der Verfassung darf er nach dem Ende seiner sechsjährigen Amtszeit nicht erneut antreten, da es eine Beschränkung auf zwei aufeinander folgende Amtszeiten gibt (Tagesschau.de 19.3.2018, vgl. OSCE/ODIHR 18.3.2018).

Die Verfassung wurde per Referendum am 12.12.1993 mit 58,4% der Stimmen angenommen. Sie garantiert die Menschen- und Bürgerrechte. Das Prinzip der Gewaltenteilung ist zwar in der Verfassung verankert, jedoch verfügt der Präsident über eine Machtfülle, die ihn weitgehend unabhängig regieren lässt. Er ist Oberbefehlshaber der Streitkräfte, trägt die Verantwortung für die Innen- und Außenpolitik und kann die Gesetzentwürfe des Parlaments blockieren. Die Regierung ist dem Präsidenten untergeordnet, der den Premierminister mit Zustimmung der Staatsduma ernennt. Das Zweikammerparlament, bestehend aus Staatsduma und Föderationsrat, ist in seinem Einfluss stark beschränkt. Der Föderationsrat ist als "obere Parlamentskammer" das Verfassungsorgan, das die Föderationssubjekte auf föderaler Ebene vertritt. Er besteht aus 178 Abgeordneten: Jedes Föderationssubjekt entsendet je einen Vertreter aus Exekutive und Legislative in den Föderationsrat. Die Staatsduma mit 450 Sitzen wird für vier Jahre nach dem Verhältniswahlrecht auf der Basis von Parteilisten gewählt. Es gibt eine Sieben-Prozent-Klausel. Wichtige Parteien sind: die Regierungspartei Einiges Russland (Jedinaja Rossija) mit 1,9 Millionen Mitgliedern und Gerechtes Russland (Spravedlivaja Rossija) mit 400.000 Mitgliedern; die Kommunistische Partei der Russischen Föderation (KPRF) mit 150.000 Mitgliedern , die die Nachfolgepartei der früheren KP ist; die Liberaldemokratische Partei (LDPR) mit 185.000 Mitgliedern, die populistisch und nationalistisch ausgerichtet ist; die Wachstumspartei (Partija Rosta), die sich zum Neoliberalismus bekennt; Jabloko, eine demokratisch-liberale Partei mit 55.000 Mitgliedern; die Patrioten Russlands (Patrioty Rossii), linkszentristisch, mit 85.000 Mitgliedern; die Partei der Volksfreiheit (PARNAS) und die demokratisch-liberale Partei mit 58.000 Mitgliedern (GIZ 5.2019a). Die Zusammensetzung der Staatsduma nach Parteimitgliedschaft gliedert sich wie folgt: Einiges Russland (339 Sitze), Kommunistische Partei Russlands (42 Sitze), Liberaldemokratische Partei Russlands (40 Sitze), Gerechtes Russland (23 Sitze), Vaterland-Partei (1 Sitz), Bürgerplattform (1 Sitz) (AA 14.2.2019b). Die sogenannte Systemopposition stellt die etablierten Machtverhältnisse nicht in Frage und übt nur moderate Kritik am Kreml (SWP 11.2018). Die Nicht-Systemopposition unterstützt zwar die parlamentarische Demokratie als Organisationsform der Politik, nimmt aber nicht an Wahlen teil, da ihnen die Teilnahme wegen der restriktiven Regeln oder vermeintlicher Formalfehler versagt wird (Dekoder 24.5.2016).

Russland ist eine Föderation, die aus 85 Föderationssubjekten (einschließlich der international umstrittenen Annexion der Republik Krim und der Stadt föderalen Ranges Sewastopol) mit unterschiedlichem Autonomiegrad besteht. Die Föderationssubjekte (Republiken, Autonome Gebiete, Autonome Kreise, Gebiete, Regionen und Föderale Städte) verfügen über jeweils eine eigene Legislative und Exekutive (GIZ 8.2019a, vgl. AA 14.2.2019b). Die Gouverneure der Föderationssubjekte werden auf Vorschlag der jeweils stärksten Fraktion der regionalen Parlamente vom Staatspräsidenten ernannt. Dabei wählt der Präsident aus einer Liste dreier vorgeschlagener Kandidaten den Gouverneur aus (GIZ 8.2019a).

Es wurden acht Föderationskreise (Nordwestrussland, Zentralrussland, Südrussland, Nordkaukasus, Wolga, Ural, Sibirien, Ferner Osten) geschaffen, denen jeweils ein Bevollmächtigter des Präsidenten vorsteht. Der Staatsrat der Gouverneure tagt unter Leitung des Präsidenten und gibt der Exekutive Empfehlungen zu aktuellen politischen Fragen und zu Gesetzesprojekten. Nach der Eingliederung der Republik Krim und der Stadt Sewastopol in die Russische Föderation wurde am 21.3.2014 der neunte Föderationskreis Krim gegründet. Die konsequente Rezentralisierung der Staatsverwaltung führt seit 2000 zu politischer und wirtschaftlicher Abhängigkeit der Regionen vom Zentrum. Diese Tendenzen wurden bei der Abschaffung der Direktwahl der Gouverneure in den Regionen und der erneuten Unterordnung der regionalen und kommunalen Machtorgane unter das föderale Zentrum ("exekutive Machtvertikale") deutlich (GIZ 8.2019a).

Bei den Regionalwahlen am 8.9.2019 in Russland hat die Regierungspartei Einiges Russland laut Angaben der Wahlleitung in den meisten Regionen ihre Mehrheit verteidigt. Im umkämpften Moskauer Stadtrat verlor sie allerdings viele Mandate (Zeit Online 9.9.2019). Hier stellt die Partei künftig nur noch 25 von 45 Vertretern, zuvor waren es 38. Die Kommunisten, die bisher fünf Stadträte stellten, bekommen 13 Sitze. Die liberale Jabloko-Partei bekommt vier und die linksgerichtete Partei Gerechtes Russland drei Sitze (ORF 18.9.2019). Die beiden letzten waren bisher nicht im Moskauer Stadtrat vertreten. Zuvor sind zahlreiche Oppositionskandidaten von der Wahl ausgeschlossen worden, was zu Protesten geführt hat (Zeit Online 9.9.2019), bei denen mehr als 1000 Demonstranten festgenommen wurden (Kleine Zeitung 28.7.2019). Viele von den Oppositionskandidaten haben zu einer "smarten Abstimmung" aufgerufen. Die Bürgerinnen sollten alles wählen - nur nicht die Kandidaten der Regierungspartei. Bei den für die russische Regierung besonders wichtigen Gouverneurswahlen gewannen die Kandidaten der Regierungspartei überall. Umfragen hatten der Partei wegen der Unzufriedenheit über die wirtschaftliche Lage im Land teils massive Verluste vorhergesagt (Zeit Online 9.9.2019).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (14.2.2019b): Russische Föderation - Außen- und Europapolitik,

https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/russischefoederation-node/russischefoederation/201534, Zugriff 6.8.2019

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CIA - Central Intelligence Agency (29.7.2019): The World Factbook, https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/rs.html, Zugriff 6.8.2019

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EASO - European Asylum Support Office (3.2017): COI-Report Russian Federation - State Actors of Protection, http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1489999668_easocoi-russia-state-actors-of-protection.pdf, Zugriff 6.8.2019

-

FH - Freedom House (4.2.2019): Jahresbericht zu politischen Rechten und bürgerlichen Freiheiten im Jahr 2018 - Russland, https://www.ecoi.net/de/dokument/2002603.html, Zugriff 6.8.2019

-

GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (8.2019a): Russland, Geschichte und Staat, https://www.liportal.de/russland/geschichte-staat/#c17836, Zugriff 5.9.2019

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GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (8.2019c): Russland, Gesellschaft, https://www.liportal.de/russland/gesellschaft/, Zugriff 5.9.2019

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Kleine Zeitung (28.7.2019): Mehr als 1.300 Festnahmen bei Kundgebung in Moskau,

https://www.kleinezeitung.at/politik/5666169/Russland_Mehr-als-1300-Festnahmen-bei-Kundgebung-in-Moskau, Zugriff 24.9.2019

-

ORF - Observer Research Foundation (18.9.2019): Managing democracy in Russia: Elections 2019,

https://www.orfonline.org/expert-speak/managing-democracy-in-russia-elections-2019-55603/, Zugriff 30.9.2019

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OSCE/ODIHR - Organization for Security and Co-operation in Europe/Office for Democratic Institutions and Human Rights (18.3.2018): Russian Federation Presidential Election Observation Mission Final Report,

https://www.osce.org/odihr/elections/383577?download=true, Zugriff 6.8.2019

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Presse.at (19.3.2018): Putin: "Das russische Volk schließt sich um Machtzentrum zusammen",

https://diepresse.com/home/ausland/aussenpolitik/5391213/Putin_Das-russische-Volk-schliesst-sich-um-Machtzentrum-zusammen, Zugriff 6.8.2019

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Standard.at (19.3.2018): Putin sichert sich vierte Amtszeit als Russlands Präsident,

https://derstandard.at/2000076383332/Putin-sichert-sich-vierte-Amtszeit-als-Praesident, Zugriff 6.8.2019

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Tagesschau.de (19.3.2018): Klarer Sieg für Putin, https://www.tagesschau.de/ausland/russland-wahl-putin-101.html, Zugriff 6.8.2019

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Zeit Online (9.9.2019): Russische Regierungspartei gewinnt Regionalwahlen,

https://www.zeit.de/politik/ausland/2019-09/russland-kreml-partei-sieg-regionalwahlen-moskau, Zugriff 24.9.2019

Tschetschenien

Die Tschetschenische Republik ist eine der 22 Republiken der Russischen Föderation. Die Fläche beträgt 15.647 km2 (Rüdisser 11.2012) und laut offizieller Bevölkerungsstatistik der Russischen Föderation zum 1.1.2019 beläuft sich die Einwohnerzahl Tschetscheniens auf 1,4 Millionen (GKS 24.1.2019), wobei die offiziellen Angaben von unabhängigen Medien infrage gestellt werden. Laut Aussagen des Republiksoberhauptes Ramzan Kadyrow sollen rund 600.000 Tschetschenen außerhalb der Region leben - eine Hälfte davon in der Russischen Föderation, die andere Hälfte im Ausland. Experten zufolge hat die Hälfte Tschetschenien während der Kriege nach dem Zerfall der Sowjetunion verlassen, bei der anderen Hälfte handelt es sich um Siedlungsgebiete außerhalb Tschetscheniens. Diese entstanden bereits vor über einem Jahrhundert , teilweise durch Migration aus dem Russischen in das Osmanische Reich, und zwar über Anatolien bis in den arabischen Raum. Was die Anzahl von Tschetschenen in anderen russischen Landesteilen anbelangt, ist es aufgrund der öffentlichen Datenlage schwierig, verlässliche Aussagen zu treffen (ÖB Moskau 12.2018). In Bezug auf Fläche und Einwohnerzahl ist Tschetschenien mit der Steiermark vergleichbar. Etwa die Hälfte des tschetschenischen Territoriums besteht aus Ebenen im Norden und Zentrum der Republik. Heutzutage ist die Republik eine nahezu monoethnische: 95,3% der Bewohner Tschetscheniens gaben [bei der letzten Volkszählung] 2010 an, ethnische Tschetschenen zu sein (Rüdisser 11.2012).

In Tschetschenien gilt Ramzan Kadyrow als Garant Moskaus für Stabilität. Mit Duldung der russischen Staatsführung hat er in der Republik ein autoritäres Herrschaftssystem geschaffen, das vollkommen auf seine eigene Person ausgerichtet ist und weitgehend außerhalb des föderalen Rechtsrahmens funktioniert (ÖB Moskau 12.2018, vgl. AA 13.2.2019). Fraglich bleibt auch die föderale Kontrolle über die tschetschenischen Sicherheitskräfte, deren faktische Loyalität vorrangig dem Oberhaupt der Republik gilt. Im Juni 2016 beschloss das tschetschenische Parlament die vorzeitige Selbstauflösung, um vorgezogene Neuwahlen parallel zu den Wahlen zum Oberhaupt der Republik durchzuführen. Bei den Wahlen vom 18.9.2016 lag die Wahlbeteiligung in Tschetschenien weit über dem landesweiten Durchschnitt. Kadyrow wurde laut offiziellen Angaben bei hoher Wahlbeteiligung mit überwältigender Mehrheit für eine weitere Amtszeit von fünf Jahren gewählt. Unabhängige Medien berichteten über Unregelmäßigen bei den Wahlen. Auch im Vorfeld der Wahlen hatte Human Rights Watch über massive Druckausübung auf Kritiker des derzeitigen Machthabers berichtet. Das tschetschenische Oberhaupt bekundet immer wieder seine absolute Loyalität gegenüber dem Kreml. Gegen vermeintliche Extremisten und deren Angehörige, aber auch gegen politische Gegner, wird rigoros vorgegangen (ÖB Moskau 12.2018, vgl. AA 13.2.2019). Um die Kontrolle über die Republik zu behalten, wendet Kadyrow unterschiedliche Formen der Gewalt an, wie z. B. Entführungen, Folter und außergerichtliche Tötungen (FH 4.2.2019, vgl. AA 13.2.2019).

Während der mittlerweile über zehn Jahre dauernden Herrschaft des amtierenden Republikführers Ramzan Kadyrow gestaltete sich Tschetscheniens Verhältnis zur Russischen Föderation ambivalent. Einerseits ist Kadyrow bemüht, die Zugehörigkeit der Republik zu Russland mit Nachdruck zu bekunden, tschetschenischen Nationalismus mit russischem Patriotismus zu verbinden, Russlands Präsidenten in der tschetschenischen Hauptstadt Grozny als Staatsikone auszustellen und sich als "Fußsoldat Putins" zu präsentieren. Andererseits hat er das Föderationssubjekt Tschetschenien so weit in einen Privatstaat verwandelt, dass in der Umgebung des russischen Präsidenten die Frage gestellt wird, inwieweit sich die von Wladimir Putin ausgebaute "föderale Machtvertikale" dorthin erstreckt. Zu Kadyrows Eigenmächtigkeit gehört auch eine Außenpolitik, die sich vor allem an den Mittleren Osten und die gesamte islamische Welt richtet. Kein anderer regionaler Führer beansprucht eine vergleichbare, über sein eigenes Verwaltungsgebiet und die Grenzen Russlands hinausreichende Rolle. Kadyrow inszeniert Tschetschenien als Anwalt eines russländischen Vielvölker-Zusammenhalts, ist aber längst zum "inneren Ausland" Russlands geworden. Deutlichster Ausdruck dieser Entwicklung ist ein eigener Rechtszustand, in dem islamische und gewohnheitsrechtliche Regelungssysteme sowie die Willkür des Republikführers in Widerspruch zur Gesetzgebung Russlands geraten (SWP 3.2018).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (13.2.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/1458482/4598_1551701623_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-russischen-foederation-stand-dezember-2018-13-02-2019.pdf, Zugriff 6.8.2019

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FH - Freedom House (4.2.2019): Jahresbericht zu politischen Rechten und bürgerlichen Freiheiten im Jahr 2018 - Russland, https://www.ecoi.net/de/dokument/2002603.html, Zugriff 6.8.2019

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GKS - Staatliches Statistikamt (24.1.2019): Bevölkerungsverteilung zum 1.1.2019,

https://www.ppn2018.ru/novosti/naselenie-rossii-sokratilos-vpervye-za-10-let.html, Zugriff 6.8.2019

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ÖB Moskau (12.2018): Asylländerbericht Russische Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2001768/RUSS_%C3%96B_Bericht_2018_12.pdf, Zugriff 6.8.2019

-

Rüdisser, V. (11.2012): Russische Föderation/Tschetschenische Republik. In: Länderinformation n°15, Österreichischer Integrationsfonds,

http://www.integrationsfonds.at/themen/publikationen/oeif-laenderinformation/, Zugriff 6.8.2019

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SWP - Stiftung Wissenschaf

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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