TE Bvwg Erkenntnis 2019/12/16 W261 2191800-1

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Veröffentlicht am 16.12.2019
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Entscheidungsdatum

16.12.2019

Norm

AsylG 2005 §2 Abs1 Z13
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §6 Abs1 Z4
AsylG 2005 §8 Abs1
B-VG Art. 133 Abs4
VwGVG §28 Abs1

Spruch

W261 2191800/26E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Karin GASTINGER, MAS über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX , StA. Afghanistan, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 02.03.2018, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 09.10.2019 zu Recht:

A)

I. Die Beschwerde wird hinsichtlich der Spruchpunkte I. und II. abgewiesen.

II. Hinsichtlich der Spruchpunkte III. bis VI. wird die Entscheidung zu einem späteren Zeitpunkt ergehen.

B)

Die Revision ist nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

Der nunmehrige Beschwerdeführer (in der Folge BF), ein afghanischer Staatsangehöriger, reiste nach eigenen Angaben gemeinsam mit seiner Ehefrau und den zwei minderjährigen ehelichen Kindern am 20.10.2015 in die Republik Österreich ein und stellte am selben Tag gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.

Bei der Erstbefragung am 01.12.2015 vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes gab der BF im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Dari an, dass er Afghanistan verlassen habe, weil er als Leibwächter für einen Politiker gearbeitet habe. Er sei dann von den Taliban bedroht worden und habe deshalb beschlossen, dass die gesamte Familie das Land verlasse und flüchte.

Am 02.12.2019 erfolgte die niederschriftliche Ersteinvernahme des BF vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge belangte Behörde) im Beisein einer Dolmetscherin für die Sprache Dari. Er gab an, er sei in der Stadt Kabul geboren. Er sei mit 16 Jahren in den Iran gezogen und habe dort 10 Jahre gelebt. Er sei 2011 wieder nach Afghanistan zurückgekehrt, wo er 4 Jahre lang gelebt habe. Er sei verheiratet und habe zwei minderjährige Kinder. Er habe als Bodyguard für einen Politiker gearbeitet. Seine Frau sei bereits im Iran verheiratet gewesen und sei mit dem BF aus dem Iran geflohen. Die Verwandten des ersten Ehemannes seiner Frau hätten ihn in Kabul aufgespürt und geschlagen. Daher habe er mit seiner Familie aus Afghanistan flüchten müssen.

Mit nunmehr angefochtenem Bescheid wies die belangte Behörde den Antrag des BF auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) und bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt II.) ab. Gemäß § 57 AsylG 2005 erteilte die belangte Behörde dem BF keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen (Spruchpunkt III.) und erließ gegen den BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG, gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG (Spruchpunkt IV.). Die belangte Behörde stellte fest, dass die Abschiebung des BF gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt V.). Weiters sprach die belangte Behörde aus, dass die Frist für die freiwillige Ausreise des BF gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt VI).

Zu den Gründen für das Verlassen des Herkunftsstaates bzw. zu der Situation im Falle einer Rückkehr stellte die belangte Behörde insbesondere fest, BF habe eine Furcht vor Verfolgung durch die Taliban nicht glaubhaft gemacht. Ihm drohe auf Grund der Volksgruppenzugehörigkeit als Hazara in Afghanistan keine konkret gegen ihn gerichtete psychische oder physische Gewalt. Es habe nicht festgestellt werden können, dass BF einer konkreten persönlichen asylrelevanten Bedrohung in Afghanistan ausgesetzt gewesen sei, bzw. eine solche zukünftig zu befürchten hätte. Zudem bestehe für den BF eine taugliche innerstaatliche Flucht- und Schutzalternative. Der BF sei volljährig, gesund und arbeitsfähig und könne seinen Lebensunterhalt in Kabul bestreiten. Er liefe nicht Gefahr, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse nicht befriedigen zu können und in eine aussichtlose Lage zu geraten.

Der BF erhob mit Eingabe vom 27.03.2018, bevollmächtigt vertreten durch Mag. Irene Oberschlick, gegen diesen Bescheid fristgerecht das Rechtsmittel der Beschwerde.

Die Beschwerde und der Bezug habende Verwaltungsakt langten am 09.04.2018 beim Bundesverwaltungsgericht (in der Folge BVwG) ein.

Der BF versuchte am 18.08.2018 seine Ehefrau umzubringen und wurde aus diesem Grund am selben Tag in Untersuchungshaft genommen. Aus diesem Grund wurde die ursprünglich für den 23.10.2018 anberaumt gewesene mündliche Beschwerdeverhandlung abberaumt.

Das BVwG führte am 12.02.2019 eine mündliche Beschwerdeverhandlung hinsichtlich der Ehefrau und der beiden minderjährigen ehelichen Kinder des BF durch und gewährte diesen internationalen Schutz.

Das BVwG ersuchte die anwaltliche Vertreterin des BF mitzuteilen, ob die Ehe zwischen dem BF und seiner Ehefrau noch auf ersucht sei, und ob eine pflegschaftsgerichtliche Regelung für die beiden ehelichen Kinder bestehe. Mit Eingabe vom 17.05.2019 gab die anwaltliche Vertreterin bekannt, dass die Ehe nach wie vor aufrecht sei. Seine Ehefrau habe dem BF eine Scheidungsvereinbarung zukommen lassen, welche der BF bis dato nicht unterzeichnet habe. Eine pflegschaftsgerichtliche Regelung, insbesondere hinsichtlich des Besuchsrechtes der ehelichen Kinder, bestehe nicht. Gleichzeitig gab die anwaltliche Vertreterin des BF die Auflösung des Vollmachtsverhältnisses bekannt.

Aus dem vom BVwG am 03.10.2019 eingeholten Auszug aus dem Strafregister ist ersichtlich, dass im Strafregister der Republik Österreich für den BF eine Verurteilung des Landesgerichtes XXXX vom 16.11.2018, Zl. XXXX , rechtskräftig seit 07.05.2019 wegen §§15, 75 StGB (versuchter Mord) aufscheint, und der BF zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von 15 Jahren verurteilt wurde.

Das BVwG führte am 09.10.2019 eine öffentliche mündliche Beschwerdeverhandlung durch, an der die belangte Behörde entschuldigt nicht teilnahm. Der BF wurde unvertreten und im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Dari einvernommen und wurde ihm Gelegenheit gegeben, zu den aktuellen Feststellungen zur Situation in Afghanistan Stellung zu nehmen.

Das BVwG legte im Rahmen der Verhandlung die aktuellen Länderinformationen zu Afghanistan, genauer das Länderinformationsblatt Afghanistan in der Fassung vom 04.06.2019, die aktuelle UNHCR Richtlinie vom 30.08.2018 und die den aktuellen EASO Leitlinien zu Afghanistan vom Juni 2019 vor und räumte den Parteien des Verfahrens die Möglichkeit ein, hierzu innerhalb einer Frist von drei Wochen eine schriftliche Stellungnahme abzugeben. Weder der BF noch die belangte Behörde gaben eine Stellungnahme ab.

Das BVwG ersuchte mit Schreiben vom 08.11.2019 die Kinder- und Jugendhilfe des Magistrates der Stadt Wien, einen kurzen Bericht über die beiden minderjährigen ehelichen Kinder des BF abzugeben, und insbesondere bekanntzugeben, ob aus Sicht der Kinder- und Jugendhilfe ein Kontakt zwischen dem BF und seinen Kindern im Sinne des Kindeswohls befürwortet oder abgelehnt werde.

Bis zum Zeitpunkt der Entscheidung langte keine Stellungnahme der Kinder- und Jugendhilfe beim BVwG ein.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1 Zur Person des Beschwerdeführers

Der BF führt den Namen XXXX , geboren am XXXX , in Kabul, in der Provinz Kabul ist afghanischer Staatsangehöriger, gehört der Volksgruppe der Hazara an, ist schiitischer Moslem. Die Muttersprache des BF ist Dari. Neben seiner Muttersprache spricht der BF auch Farsi, Türkisch und etwas Deutsch. Der BF ist Zivilist.

Der BF hat eine Tante väterlicherseits, welche in Kabul lebt. Seine Mutter, XXXX , lebt in Theran, im Iran.

Der BF verließ Afghanistan, als er ein Jugendlicher im Alter von ca. 16 Jahren war. Er lebte in weiterer Folge für ca. 10 Jahre im Iran auf.

Er besucht ca. 5 Jahre lang in Afghanistan und 5 Jahre lang im Iran die Schule.

Ca. fünf Jahre vor seiner Ausreise nach Europa kehrte er mit seiner Ehefrau wieder nach Kabul zurück.

Der BF ist XXXX verheiratet, der Ehe entstammen die beiden minderjährigen ehelichen Kinder, mj. XXXX und mj. XXXX , welche beide in Kabul geboren sind. Der Ehefrau und den minderjährigen ehelichen Kindern wurde mit rechtskräftigen Erkenntnissen des BVwG jeweils vom 19.03.2019, Zlen W261 XXXX , W261 XXXX und W261 XXXX internationaler Schutz gewährt.

Der BF wurde mit dem seit 07.05.2019 rechtskräftigem Urteil des Landesgerichtes XXXX vom 16.11.2018, Zl. XXXX , wegen §§ 15, 75 StGB (versuchter Mord) zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von 15 Jahren verurteilt. Dieser Tat liegt ein Vorfall vom 18.08.2018 zugrunde, bei welchem der BF seine Ehefrau vor den Augen seiner minderjährigen Kinder versuchte, mit einem Messer zu töten.

Bisher war es noch nicht möglich, abschließend zu klären, ob es dem Kindeswohl entspricht, dass die minderjährigen ehelichen Kinder mit dem BF Kontakt haben, oder nicht.

1.2 Zu einer möglichen Rückkehr des Beschwerdeführers in den Herkunftsstaat:

Es kann nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden, dass dem BF bei einer Überstellung in seine Herkunftsprovinz, genauer in die Stadt Kabul aufgrund der volatilen Sicherheitslage und der dort stattfinden willkürlichen Gewalt gegen Schiiten im Rahmen von internen bewaffneten Konflikten ein Eingriff in seine körperliche Unversehrtheit drohen würde.

Es ist nicht glaubhaft, dass dem BF im Falle einer Rückkehr psychische oder physische Gewalt von Seiten der Verwandten seiner Frau oder von Seiten der Verwandten des ersten Ehemannes seiner Frau drohen wird.

Es ist nicht glaubhaft, dass dem BF im Falle einer Rückkehr psychische oder physische Gewalt von Seiten der Taliban drohen wird.

Dem BF steht als interstaatliche Flucht- und Schutzalternative eine Rückkehr in der Stadt Mazar-e Sharif zur Verfügung, wo es ihm möglich ist, ohne Gefahr, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft nicht befriedigen zu können bzw. in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten, zu leben. Dem BF droht bei seiner Rückkehr in diese Stadt mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit kein Eingriff in seine körperliche Unversehrtheit.

Der BF ist jung und arbeitsfähig. Seine Existenz kann er in Mazar-e Sharif - zumindest anfänglich - mit Hilfs- und Gelegenheitsarbeiten sichern. Er ist auch in der Lage, eine einfache Unterkunft zu finden. Der BF hat auch die Möglichkeit, finanzielle Unterstützung in Form der Rückkehrhilfe in Anspruch zu nehmen, sodass er im Falle der Rückkehr - neben den eigenen Ressourcen - auf eine zusätzliche Unterstützung zur Existenzsicherung greifen kann. Diese Rückkehrhilfe umfasst jedenfalls auch die notwendigen Kosten der Rückreise. Er hat eine 10 Schulausbildung, weiters hat er bereits Berufserfahrung als Schneider, Bodyguard und Kick-Boxtrainer gesammelt, die er auch in Mazar-e Sharif wird nutzen können.

Der BF ist gesund. Der BF läuft im Falle der Rückkehr nach Mazar-e Sharif nicht Gefahr, aufgrund seines derzeitigen Gesundheitszustandes in einen unmittelbar lebensbedrohlichen Zustand zu geraten, oder dass sich eine Erkrankung in einem lebensbedrohlichen Ausmaß verschlechtern wird. Es sind auch sonst keine objektivierten Hinweise hervorgekommen, dass allenfalls andere schwerwiegende körperliche oder psychische Erkrankungen einer Rückführung des BF in den Herkunftsstaat entgegenstehen würden.

1.3 Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat:

Zur Lage in Afghanistan werden die im Länderinformationsblatt der Staatendokumentation in der Gesamtaktualisierung vom 29.06.2018 mit Stand vom 04.06.2019 (LIB), in den UNHCR Richtlinien vom 30.08.2018 (UNHCR) und den EASO Leitlinien zu Afghanistan vom Juni 2019 (EASO 2019) enthaltenen folgenden Informationen als entscheidungsrelevant festgestellt:

1.3.1 Sicherheitslage

Die Sicherheitslage in Afghanistan bleibt insgesamt volatil und weist starke regionale Unterschiede auf. Provinzen und Distrikten mit aktiven Kampfhandlungen stehen andere gegenüber, in denen die Lage trotz punktueller Sicherheitsvorfälle vergleichsweise stabil ist. Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, größere Bevölkerungszentren, Transitrouten, Provinzhauptstädte und den Großteil der Distriktzentren. Ausländische Streitkräfte und Regierungsvertreter sowie die als ihre Verbündeten angesehenen Angehörigen der afghanischen Sicherheitskräfte und Vertreter der afghanischen Regierung sind prioritäre Ziele der Aufständischen. Eine Bedrohung für Zivilisten geht insbesondere von Kampfhandlungen zwischen den Konfliktparteien sowie improvisierten Sprengkörpern, Selbstmordanschlägen und komplexen Angriffen auf staatliche Einrichtungen aus. In einigen Teilen des Landes ist fehlende Sicherheit die größte Bewegungseinschränkung. In bestimmten Gebieten machen Gewalt durch Aufständische, Landminen und improvisierte Sprengfallen (IEDs) das Reisen besonders gefährlich, speziell in der Nacht. Bewaffnete Aufständischengruppen betreiben illegale Checkpoints und erpressen Geld und Waren. (LIB)

1.3.1.1 Herkunftsprovinz Kabul

Die Provinzhauptstadt von Kabul und gleichzeitig Hauptstadt von Afghanistan ist Kabul-Stadt, die Herkunftsprovinz des BF. Die Provinz Kabul grenzt im Nordwesten an die Provinz Parwan, im Nordosten an Kapisa. im Osten an Laghman, an Nangarhar im Südosten, an Logar im Süden und an (Maidan) Wardak im Südwesten. Die Provinz Kabul besteht aus folgenden Einheiten: Bagrami. Chaharasyab/Char Asiab. Dehsabz/Deh sabz. Estalef/Istalif. Farza. Guldara. Kabul Stadt. Kalakan. Khak-e Jabbar/Khak-i-Jabar. Mirbachakot/Mir Bacha Kot. Musayi/Mussahi. Paghman. Qarabagh. Shakardara. Surobi/Sorubi. Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf 4.679.648 geschätzt.

In der Hauptstadt Kabul leben unterschiedliche Ethnien: Paschtunen, Tadschiken, Hazara, Usbeken, Turkmenen, Belutschen, Sikhs und Hindus. Ein Großteil der Bevölkerung gehört dem sunnitischen Glauben an, dennoch lebt eine Anzahl von Schiiten, Sikhs und Hindus nebeneinander in Kabul Stadt.

Einst als relativ sicher erachtet, ist die Hauptstadt Kabul von öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffen der Taliban betroffen, die darauf abzielen, die Autorität der afghanischen Regierung zu untergraben. Regierungsfeindliche, bewaffnete Gruppierungen inklusive des IS versuchen in Schlüsselprovinzen und -distrikten, wie auch in der Hauptstadt Kabul, Angriffe auszuführen. In den letzten Jahren kam es zu mehreren "high-profile"-Angriffen in der Stadt Kabul; dadurch zeigte sich die Angreifbarkeit/Vulnerabilität der afghanischen und ausländischen Sicherheitskräfte.

Regelmäßig werden in der Hauptstadt Sicherheitsoperationen durch die Regierung in unterschiedlichen Gebieten ausgeführt. Im Rahmen des neuen Sicherheitsplanes sollen außerdem Hausdurchsuchungen ausgeführt werden. Um die Sicherheitslage in Kabul-Stadt zu verbessern, wurden im Rahmen eines neuen Sicherheitsplanes mit dem Namen "Zarghun Belt" (der grüne Gürtel), der Mitte August 2017 bekannt gegeben wurde, mindestens 90 Kontrollpunkte in den zentralen Teilen der Stadt Kabul errichtet. Die afghanische Regierung deklarierte einen Schlüsselbereich der afghanischen Hauptstadt zur "Green Zone" - dies ist die Region, in der wichtige Regierungsinstitutionen, ausländische Vertretungen und einige Betriebe verortet sind. Kabul hatte zwar niemals eine formelle "Green Zone"; dennoch hat sich das Zentrum der afghanischen Hauptstadt, gekennzeichnet von bewaffneten Kontrollpunkten und Sicherheitswänden, immer mehr in eine militärische Zone verwandelt. Die neue Strategie beinhaltet auch die Schließung der Seitenstraßen, welche die Hauptstadt Kabul mit den angrenzenden Vorstädten verbinden; des Weiteren, werden die Sicherheitskräfte ihre Präsenz, Personenkontrollen und geheimdienstlichen Aktivitäten erhöhen. Damit soll innerhalb der Sicherheitszone der Personenverkehr kontrolliert werden. Die engmaschigen Sicherheitsmaßnahmen beinhalten auch eine erhöhte Anzahl an Sicherheitskräften und eine Verbesserung der Infrastruktur rund um Schlüsselbereiche der Stadt. Insgesamt beinhaltet dieser neue Sicherheitsplan 52 Maßnahmen, von denen die meisten nicht veröffentlicht werden. Auch übernimmt die ANA einige der porösen Kontrollpunkte innerhalb der Stadt und bildet spezialisierte Soldaten aus, um Wache zu stehen. Des Weiteren soll ein kreisförmiger innerer Sicherheitsmantel entstehen, der an einen äußeren Sicherheitsring nahtlos anschließt - alles dazwischen muss geräumt werden.

UNHCR stellt fest, dass Zivilisten, die in Kabul tagtäglich ihren wirtschaftlichen oder sozialen Aktivitäten nachgehen, Gefahr laufen, Opfer der allgegenwärtigen in der Stadt bestehenden Gefahr zu werden. Zu solchen Aktivitäten zählen etwa der Weg zur Arbeit und zurück, die Fahrt in Krankenhäuser und Kliniken, der Weg zur Schule; den Lebensunterhalt betreffende Aktivitäten, die auf den Straßen der Stadt stattfinden, wie Straßenverkäufe; sowie der Weg zum Markt, in die Moschee oder an andere Orte, an denen viele Menschen zusammentreffen.

Die Provinz Kabul zählt laut EASO zu jenen Provinzen Afghanistans, wo willkürliche Gewalt stattfindet und allenfalls eine reelle Gefahr festgestellt werden kann, dass der BF ernsthaften Schaden im Sinne von Art. 15(c) der Qualifizierungsrichtlinie nehmen könnte - vorausgesetzt, dass er aufgrund seiner persönlichen Verhältnisse von derartigen Risikofaktoren konkret betroffen ist.

1.3.1.2 Provinz Balkh bzw. Stadt Mazar-e Sharif

Bei der Provinz Balkh handelt es sich um eine jener Provinzen, in denen es zu willkürlicher Gewalt kommt, jedoch nicht auf hohem Niveau, und dementsprechend ist ein höheres Maß an Einzelelementen erforderlich ist, um wesentliche Gründe für die Annahme aufzuzeigen, dass ein in dieses Gebiet zurückgekehrter Zivilist einem realen ernsthaften Risiko ausgesetzt wäre, Schaden im Sinne von Artikel 15(c) der Qualifizierungsrichtlinie zu nehmen (EASO 2019).

Die Stadt Mazar-e Sharif wird von EASO als eine jener Regionen eingestuft, in welcher willkürliche Gewalt auf einem so niedrigen Niveau stattfindet, dass im Allgemeinen kein reales Risiko besteht, dass ein Zivilist aufgrund willkürlicher Gewalt im Sinne von Artikel 15(c) der Qualifizierungsrichtlinie persönlich betroffen wird (EASO 2019).

Die Provinz Balkh liegt im Norden Afghanistans und grenzt an Usbekistan, Turkmenistan und Tadschikistan sowie an Kunduz, Baghlan, Samangan, Sar-e Pul und Jawzjan. Die Provinz besteht aus 15 Bezirken. Die Provinzhauptstadt ist Mazar-e Sharif (EASO 2019). Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf 1.382.155 geschätzt (LIB).

Das Machtmonopol in Balkh hatte lange Zeit der frühere Kriegsherr Atta Mohammed Noor inne, der später Gouverneur von Balkh wurde, aber im Dezember 2017 nach einem Streit mit Präsident Ghani zurücktrat.

Die Mehrheit der Distrikte in Balkh steht unter staatlicher Kontrolle, wobei zwei Distrikte als umstritten und ein Distrikt als unter Kontrolle der Taliban eingestuft werden. Während Balkh Berichten zufolge eine der stabilsten Provinzen Afghanistans ist, sind in der Provinz dennoch regierungsfeindliche Elemente aktiv, und es wurden 2018 und Anfang 2019 Sicherheitsvorfälle gemeldet. Taliban-Kämpfer haben ALP-Personal, Mitglieder regierungsfreundlicher Milizen und Sicherheitsposten während des gesamten Jahres 2018 und Anfang 2019 in den Distrikten Sholgareh, Chahrbulak, Chemtal und Dawlatabad angegriffen. Die ANSF führte mehrere Clearing-Operationen in Balkh durch. Darüber hinaus führte die US-Luftwaffe im April 2018 einen Luftangriff im Bezirk Charbulak durch. Weitere Beispiele für Vorfälle waren eine Bombenexplosion am Straßenrand im Bezirk Sholgareh, die Entführung von Reisenden durch die Taliban, die Entführung und das Töten von Wahlbeobachtern. Laut GIM wurden im Zeitraum Januar 2018 - Februar 2019 131 Vorfälle in der Provinz Balkh im Zusammenhang mit Aufständischen gemeldet (durchschnittlich 2,2 Vorfälle pro Woche) (EASO 2019).

Die Stadt Mazar-e Sharif ist nach wie vor eine der stabilsten Regionen Afghanistans, sie zählt zu den relativ ruhigen Städten in Nordafghanistan (LIB). Die Bevölkerung wird offiziell mit 454 457 Einwohnern angegeben. Der Rücktritt von Atta Mohammed Noor als Gouverneur von Balkh im Dezember 2017 führte Berichten zufolge zu vermehrten kriminellen Aktivitäten, wie bewaffneten Raubüberfällen, Mord, Zusammenstößen und Entführungen in Mazar-e Sharif. Mazar- e Sharif steht unter staatlicher Kontrolle (EASO 2019).

1.3.2 Sichere Einreise

Die Stadt Mazar-e Sharif ist über den internationalen Flughafen sicher erreichbar. Der Flughafen von Mazar-e Sharif (MRZ) liegt 9 km östlich der Stadt im Bezirk Marmul. Die Befahrung der Straßen von diesem Flughafen bis zur Stadt Mazar-e Sharif ist zur Tageszeit im Allgemeinen sicher. (EASO 2019)

1.3.3 Wirtschafts- und Versorgungslage

Zur Wirtschafts- und Versorgungslage ist festzuhalten, dass Afghanistan weiterhin ein Land mit hoher Armutsrate und Arbeitslosigkeit ist. Seit 2002 hat Afghanistan mit Unterstützung durch die internationale Gemeinschaft wichtige Fortschritte beim Wiederaufbau seiner Wirtschaft erzielt. Nichtsdestotrotz bleiben bedeutende Herausforderungen bestehen, da das Land weiterhin von Konflikten betroffen, arm und von Hilfeleistungen abhängig ist

(LIB).

Laut Daten der Afghanistan Living Conditions Survey (ALCS) 2016 - 2017 können 2 Millionen Afghanen - das sind 23,9% der gesamten Erwerbsbevölkerung - als arbeitslos eingestuft werden, was bedeutet, dass sie nicht arbeiten oder eine Beschäftigung suchen, oder weniger als acht Stunden pro Woche arbeiten. Junge Afghanen treten jedes Jahr in großer Zahl in den Arbeitsmarkt ein, aber die Beschäftigungsmöglichkeiten können aufgrund unzureichender Entwicklungsressourcen und mangelnder Sicherheit nicht mit dem Bevölkerungswachstum mithalten. Afghanistan war seit 2011-2012 mit einem starken Anstieg der Armut konfrontiert, wobei sowohl die städtischen als auch die ländlichen Armutsraten zunahmen. In den Jahren 2016-2017 lebten 54,5% der Bevölkerung unterhalb der nationalen Armutsgrenze. Immer mehr Menschen greifen auf negative Bewältigungsmechanismen wie Kleinkriminalität, Kinderehen, Kinderarbeit und Betteln zurück, von denen insbesondere Binnenvertriebene betroffen sind. Der Zugang zu einer produktiven oder entgeltlichen Beschäftigung ist begrenzt, 80% der Beschäftigung gelten als anfällig und unsicher in Form von Selbst- oder Eigenbeschäftigung, Tagarbeit oder unbezahlter Arbeit. Der saisonale Effekt ist erheblich. Die Arbeitslosenquote ist in den Frühlings- und Sommermonaten relativ niedrig (rund 20%), während sie im Winter 32,5% erreichen kann. ALCS 2016 - 2017 stellte fest, dass nur 19,8% aller in Afghanistan beschäftigten Personen öffentlich und privat angestellt sind oder Arbeitgeber sind, was bedeutet, dass die Mehrheit der Arbeitnehmer eine gefährdete Beschäftigung darstellt. 52,6% der Landbevölkerung sind in der Landwirtschaft beschäftigt, während die städtische Beschäftigung vielfältiger ist. 36,5% der Erwerbsbevölkerung sind in verschiedenen Dienstleistungsbereichen beschäftigt und nur 5,5% in der Landwirtschaft (EASO 2019).

Laut Daten der ALCS von 2016 bis 2017 sind 44,6% der afghanischen Bevölkerung - das sind 13 Millionen Menschen - sehr stark bis mäßig von Lebensmittelunsicherheit betroffen. In allen Wohnbevölkerungsgruppen war seit 2011 ein Anstieg festzustellen, wobei der höchste Anstieg in den ländlichen Gebieten zu verzeichnen war. Während der Winterpflanzsaison im Dezember 2017 - Februar 2018 war Afghanistan von einer längeren Dürreperiode betroffen. UNOCHA stellte fest, dass die Dürre im Jahr 2018 mehr als zwei Drittel der afghanischen Bevölkerung getroffen hat, gesundheitliche Probleme verursacht, negative Bewältigungsmechanismen ausgelöst und die Einkommen halbiert hat (EASO 2019).

Afghanistans jährliche Wachstumsrate der städtischen Bevölkerung gehört zu den höchsten der Welt. Kabul war das Zentrum des Wachstums, und der Rest der städtischen Bevölkerung konzentriert sich hauptsächlich auf vier andere Stadtregionen: Herat, Mazar-e Sharif, Kandahar und Jalalabad. Die große Mehrheit (72%, basierend auf ALCS-Zahlen für 2016-2017) der afghanischen Stadtbevölkerung lebt in Slums oder in ungenügenden Wohnungen. 86% der städtischen Häuser in Afghanistan können gemäß der Definition von UN-Habitat als Slums eingestuft werden. Der Bericht über den Zustand afghanischer Städte stellte fest, dass der Zugang zu angemessenem Wohnraum für die Mehrheit der Afghanen in den Städten eine große Herausforderung darstellt. Armut und Ungleichheit sind die harte Realität für etwa ein Drittel aller städtischen Haushalte (EASO 2019).

Der Zugang zu sauberem Trinkwasser sowie angemessenen sanitären Einrichtungen hat sich erheblich verbessert. Der Zugang zu grundlegenden Dienstleistungen, wie Wasserversorgung und Abwasserentsorgung, war in den Städten im Allgemeinen besser als auf dem Land. Der Zugang zu Trinkwasser ist für viele Afghanen jedoch nach wie vor ein Problem, und die sanitären Einrichtungen sind weiterhin schlecht (EASO 2019).

1.3.3.1 Wirtschafts- und Versorgungslage der Stadt Mazar-e Sharif

Mazar-e Sharif ist ein Wirtschafts- und Verkehrsknotenpunkt in Nordafghanistan. Die Region entwickelt sich wirtschaftlich gut. Es entstehen neue Arbeitsplätze, Firmen siedeln sich an und auch der Dienstleistungsbereich wächst. Die Infrastruktur ist jedoch noch unzureichend und behindert die weitere Entwicklung der Region. (LIB)

Mazar-e Sharif ist ein regionales Handelszentrum für Nordafghanistan und ein Industriezentrum mit großen Produktionsbetrieben und einer großen Anzahl kleiner und mittlerer Unternehmen, die Kunsthandwerk, Teppiche und Teppiche anbieten. Mazar-e Sharif gilt im Vergleich zu Herat oder Kabul als relativ stabiler. Die größte Gruppe von Arbeitern in der Stadt Mazar-e Sharif sind im Dienstleistungsbereich und als Verkäufer tätig (EASO 2019).

In Mazar-e Sharif besteht laut EASO grundsätzlich die Möglichkeit, sicheren Wohnraum zu mieten. Darüber hinaus bietet die Stadt Mazar-e Sharif die Möglichkeit von "Teehäusern", die mit 30 Afghani (das sind ca. € 0,35) bis 100 Afghani (das sind ca. € 1,20) pro Nacht relativ günstig sind. "Teehäuser" werden von Reisenden, Tagesarbeitern, Straßenhändlern, jungen Menschen, alleinstehenden Männern und anderen Personen, die in der Gegend keine ständige Unterkunft haben, als vorübergehende Unterkunft genutzt (EASO 2019).

Die meisten Menschen in Mazar-e Sharif haben Zugang zu erschlossener Wasserversorgung (76%), welche in der Regel in Rohrleitungen oder aus Brunnen erfolgt. 92% der Haushalte haben Zugang zu besseren Sanitäreinrichtungen (EASO 2019).

1.3.4 Medizinische Versorgung

Das afghanische Gesundheitsministerium gab an, dass 60% der Menschen im April 2018 Zugang zu Gesundheitsdiensten hatten, wobei der Zugang als eine Stunde Fußweg zur nächsten Klinik definiert wurde. Trotz der Tatsache, dass die Gesundheitsversorgung laut afghanischer Verfassung kostenlos sein sollte, müssen die Menschen in vielen öffentlichen Einrichtungen für Medikamente, Arzthonorare, Labortests und stationäre Versorgung bezahlen. Hohe Behandlungskosten sind der Hauptgrund, weswegen die Behandlung vermieden wird (EASO 2019)

Psychische Krankheiten wie posttraumatische Belastungsstörung, Depression und Angstzustände - die oft durch den Krieg hervorgerufen wurden - sind in Afghanistan weit verbreitet, es gibt aber nur geringe Kapazitäten zur Behandlung dieser Erkrankungen. Spezifische Medikamente sind grundsätzlich verfügbar. (LIB)

Es gibt ungefähr 10-15 Krankenhäuser in Mazar-e Sharif, die meisten davon werden privat geführt, und 30-50 Gesundheitskliniken. Das Regionalkrankenhaus Abu Ali Sinha Balkhi in Mazar-e Sharif dient als Zentralkrankenhaus für die Provinz Balkh und ist das Überweisungskrankenhaus für die nördliche Region, in dem alle Unfall- und Notfälle behandelt werden. Es fungiert als Hauptkrankenhaus für die Kliniken in den umliegenden Bezirken. In Mazar-e Sharif gibt es zwei Einrichtungen für psychische Gesundheit (EASO 2019).

1.3.5 Ethnische Minderheiten

In Afghanistan leben laut Schätzungen vom Juli 2017 mehr als 34,1 Millionen Menschen. Zuverlässige statistische Angaben zu den Ethnien Afghanistans und zu den verschiedenen Sprachen existieren nicht.

Schätzungen zufolge, sind: 40% Paschtunen, rund 30% Tadschiken, ca. 10% Hazara, 9% Usbeken. Die afghanische Verfassung schützt sämtliche ethnische Minderheiten. Neben den offiziellen Landessprachen Dari und Paschtu wird in der Verfassung (Art. 16) sechs weiteren Sprachen ein offizieller Status in jenen Gebieten eingeräumt, wo die Mehrheit der Bevölkerung (auch) eine dieser Sprachen spricht. Diese weiteren in der Verfassung genannten Sprachen sind Usbekisch, Turkmenisch, Belutschisch, Pashai, Nuristani und Pamiri. Es gibt keine Hinweise, dass bestimmte soziale Gruppen ausgeschlossen werden. Keine Gesetze verhindern die Teilnahme der Minderheiten am politischen Leben. Nichtsdestotrotz, beschweren sich unterschiedliche ethnische Gruppen, keinen Zugang zu staatlicher Anstellung in Provinzen haben, in denen sie eine Minderheit darstellen.

Die schiitische Minderheit der Hazara, zu welchen der BF zählt, macht etwa 10% der Bevölkerung aus. Die Hazara besiedelten traditionell das Bergland in Zentralafghanistan, das sich zwischen Kabul im Osten und Herat im Westen erstreckt und unter der Bezeichnung Hazaradschat (azarajat) bekannt ist. Das Kernland dieser Region umfasst die Provinzen Bamyan, Ghazni, Daikundi und den Westen der Provinz Wardak. Es können auch einzelne Teile der Provinzen Ghor, Uruzgan, Parwan, Samangan, Baghlan, Balkh, Badghis, und Sar-e Pul dazugerechnet werden. Wichtige Merkmale der ethnischen Identität der Hazara sind einerseits ihr ethnisch-asiatisches Erscheinungsbild, woraus gern Schlussfolgerungen über eine turko-mongolische Abstammung der Hazara gezogen werden. Eine Minderheit der Hazara, die vor allem im nordöstlichen Teil des Hazaradschat leben, sind Ismailiten.

Die Hazara-Gemeinschaft/Gesellschaft ist traditionell strukturiert und basiert auf der Familie bzw. dem Klan. Die sozialen Strukturen der Hazara werden manchmal als Stammesstrukturen bezeichnet; dennoch bestehen in Wirklichkeit keine sozialen und politischen Stammesstrukturen. Das traditionelle soziale Netz der Hazara besteht größtenteils aus der Familie, obwohl gelegentlich auch politische Führer einbezogen werden können.

Nicht weniger wichtig als Religion und Abstammung ist für das ethnische Selbstverständnis der Hazara eine lange Geschichte von Unterdrückung, Vertreibung und Marginalisierung. Jahrzehntelange Kriege und schwere Lebensbedingungen haben viele Hazara aus ihrer Heimatregion in die afghanischen Städte, insbesondere nach Kabul, getrieben. Dennoch hat sich die Lage der Hazara, die während der Taliban-Herrschaft besonders verfolgt waren, grundsätzlich verbessert; vornehmlich aufgrund von Bildung und vor allem auf ökonomischem und politischem Gebiet. Hazara in Kabul gehören jetzt zu den am besten gebildeten Bevölkerungsgruppen und haben auch eine Reihe von Dichtern und Schriftstellern hervorgebracht. Auch wenn es nicht allen Hazara möglich war diese Möglichkeiten zu nutzen, so haben sie sich dennoch in den Bereichen Bildung, öffentliche Verwaltung und Wirtschaft etabliert.

So haben Hazara eine neue afghanische Mittelklasse gegründet. Im Allgemeinen haben sie, wie andere ethnische Gruppen auch, gleichwertigen Zugang zum Arbeitsmarkt. Nichtsdestotrotz, sind sie von einer allgemein wirtschaftlichen Verschlechterung mehr betroffen als andere, da für sie der Zugang zu Regierungsstellen schwieriger ist - außer ein/e Hazara ist selbst Abteilungsleiter/in. Einer Quelle zufolge existiert in der afghanischen Gesellschaft die Auffassung, dass andere ethnische Gruppierungen schlecht bezahlte Jobs Hazara geben. Einer weiteren Quelle zufolge, beschweren sich Mitglieder der Hazara-Ethnie über Diskriminierung während des Bewerbungsprozesses, da sie anhand ihrer Namen leicht erkennbar sind. Die Ausnahme begründen Positionen bei NGOs und internationalen Organisationen, wo das Anwerben von neuen Mitarbeitern leistungsabhängig ist. Arbeit für NGOs war eine Einnahmequelle für Hazara - nachdem nun weniger Hilfsgelder ausbezahlt werden, schrauben auch NGOs Jobs und Bezahlung zurück, was unverhältnismäßig die Hazara trifft. So berichtet eine weitere Quelle, dass Arbeitsplatzanwerbung hauptsächlich über persönliche Netzwerke erfolgt. Hazara haben aber aufgrund vergangener und anhaltender Diskriminierung eingeschränkte persönliche Netzwerke.

Gesellschaftliche Spannungen bestehen fort und leben lokal in unterschiedlicher Intensität gelegentlich wieder auf; soziale Diskriminierung gegen schiitische Hazara basierend auf Klasse, Ethnie oder religiösen Ansichten finden ihre Fortsetzung in Erpressungen (illegale Steuern), Zwangsrekrutierung, Zwangsarbeit, physischer Misshandlung und Festnahmen (LIB).

1.3.6 Religion

Etwa 99,7% der afghanischen Bevölkerung sind Muslime, davon zwischen 10-15 % Schiiten, wie es auch der BF ist. (LIB)

Beobachtern zufolge ist die Diskriminierung der schiitischen Minderheit durch die sunnitische Mehrheit zurückgegangen; dennoch existieren Berichte zu lokalen Diskriminierungsfällen. Afghanischen Schiiten ist es möglich, ihre Feste öffentlich zu feiern; einige Paschtunen sind jedoch wegen der Feierlichkeiten missgestimmt, was gelegentlich in Auseinandersetzungen mündet. In den Jahren 2016 und 2017 wurden schiitische Muslime, hauptsächlich ethnische Hazara, oftmals Opfer von terroristischen Angriffen u.a. der Taliban und des IS. (LIB)

2. Beweiswürdigung:

2.1 Zu den Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers

Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit, Herkunft, ethnischen und religiösen Zugehörigkeit sowie zu den Aufenthaltsorten, Familienangehörigen, Sprachkenntnissen, den Erkenntnissen der Ehefrau und der minderjährigen ehelichen Kinder des BF sowie seiner strafrechtlichen Verurteilung beruhen auf dem Akteninhalt und sind unbestritten geblieben.

Aus dem Akteninhalt ergibt sich auch, dass die beiden minderjährigen, ehelichen Kinder seit dem Vorfall am 18.08.2018, bei welchem diese Zeugen werden mussten, wie ihr Vater versuchte, ihre Mutter zu töten und sie jedenfalls mit einem Messer schwer verletzte, keinen Kontakt mehr mit ihrem Vater hatten. Das BVwG ersuchte mit Schreiben vom 08.11.2019 die Kinder- und Jugendhilfe des Magistrates der Stadt Wien um eine Stellungnahme, ob ein Kontakt zwischen dem BF und seinen Kindern im Rahmen des Kindeswohles sinnvoll ist, oder nicht. Eine Antwort dazu steht nach wie vor aus, weswegen die Feststellung zu treffen war, dass diese Frage noch nicht abschließend geklärt werden konnte.

2.2 Zu den Feststellungen zu einer möglichen Rückkehr des Beschwerdeführers in den Herkunftsstaat:

Die Feststellungen zur Rückkehr des BF nach Afghanistan ergeben sich aus den o.a. Länderfeststellungen unter Berücksichtigung des vom BF in seiner Beschwerde, in seinen Stellungnahmen zur Gefährdungslage in Afghanistan diesbezüglich angeführten Länderberichtsmaterials in Zusammenschau mit den vom BF glaubhaft dargelegten persönlichen Umständen.

Im Einklang mit seinen Stellungnahmen kommt die erkennende Richterin unter Berücksichtigung der aktuellen Länderinformationen, wonach die Stadt Kabul zu den relativ instabilen Provinzen in Afghanistan zählt, zum Ergebnis, dass ihm eine Rückkehr in diese Provinz allein schon aufgrund der Sicherheitslage nicht möglich ist.

Der BF brachte als Fluchtgrund vor, dass seine Familie und er Afghanistan verließen, weil ein Onkel seiner Frau ihn geschlagen habe, weil er eine verheiratete Frau (seine Ehefrau) entführt habe. Ganz abgesehen davon, dass dieser Vorfall sich ca. vier Jahre, nachdem der BF mit seiner Familie unbehelligt in Kabul lebte, ereignet haben soll, ist es weder plausibel noch nachvollziehbar, weswegen dieser vorgebliche Onkel dem BF etwas antun soll. Der BF gibt selbst an, dass seine Frau zu dem Zeitpunkt, als er sie heiratet, bereits geschieden war. Hinzu kommt, dass der BF bei seiner Erstbefragung aussagte, dass er als Leibwächter von den Taliban bedroht worden sei (vgl. AS 11), was im Widerspruch zu seinen Angaben vor der belangten Behörde im Rahmen seiner Ersteinvernahme steht (vgl. AS 47 ff). Dieses Vorbringen des BF wird daher als nicht glaubhaft gewürdigt, weswegen die entsprechende Feststellung zu treffen ist.

Die Feststellung, dass der BF nicht glaubhaft machen konnte, dass er im Falle einer Rückkehr von den Taliban bedroht werde gründet sich im Wesentlichen darauf, dass er dieses Vorbringen ausschließlich bei seiner Erstbefragung erstattete, und weder bei seiner Ersteinvernahme noch bei der mündlichen Beschwerdeverhandlung dazu ein Vorbringen erstattete. Aus diesem Grund geht die erkennende Richterin davon aus, dass dieses Vorbringen ein Konstrukt ist, weswegen die entsprechende Feststellung getroffen wird.

Entgegen den Ausführungen des BF ist es ihm hingegen möglich, in die Stadt Mazar-e Sharif als innerstaatliche Flucht- und Schutzalternative zurückzukehren. Mazar-e Sharif ist, wie aus den zitierten Länderfeststellungen zu entnehmen ist, für Zivilisten, wie es der BF ist, weitgehend sicher, sodass der BF bei einer Rückkehr in diese Stadt mit keinen Eingriffen in seine körperliche Unversehrtheit zu rechnen hat. Sein Fluchtvorbringen wird, wie schon oben ausgeführt, als nicht glaubhaft erachtet, woraus sich ergibt, dass der BF im Falle einer Rückkehr nicht Gefahr laufen wird, aus einer individuellen Bedrohung ernsthaft Schaden zu nehmen. Eine Reise nach Mazar-e Sharif ist über den internationalen Flughafen sicher und legal möglich, die Kosten für die Anreise werden ihm im Rahmen der Rückkehrhilfe grundsätzlich ersetzt.

Die Feststellungen, dass der BF in der Lage sein wird, in Mazar-e Sharif für seine grundlegendsten Bedürfnisse selbst aufzukommen, obwohl er keine familiären oder sozialen Anknüpfungspunkte in dieser Stadt hat, ergeben sich aus seinen eigenen Angaben im gegenständlichen Asylverfahren unter Berücksichtigung der dieser Entscheidung zugrundeliegenden Länderinformationen. Laut den zitierten EASO Leitlinien vom Juni 2019 ist in der Stadt Mazar-e Sharif die Lebensmittelsicherheit grundsätzlich gewährleistet und die unter Punkt 1.3.3.1 genannte Basisinfrastruktur steht dem BF zur Verfügung. Derzeit liegen nach dem Ergebnis des Ermittlungsverfahrens in Mazar-e Sharif keine exzeptionellen Umstände vor, die annehmen lassen würden, dass der BF dort keine Lebensgrundlage vorfindet, und von ihm die Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz nicht gedeckt werden können.

Aufgrund seiner schulischen und beruflichen Kenntnisse sind die Lebensgrundlage und die Existenz des BF im Falle seiner Rückkehr bei Inanspruchnahme der angebotenen Rückkehrhilfe auch ohne soziales Netz und finanzielle Unterstützung durch seine Familie mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit ausreichend gesichert.

Auch wenn der BF zu seinen Fluchtgründen angibt, dass er vor dem Onkel seiner Frau floh, so ist selbst für den Fall, dass diese Angaben den Tatsachen entsprechen würden, mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass diese Personen den BF in Mazar-e Sharif weder suchen, geschweige denn finden würden.

Nachdem seine Ehefrau und seine minderjährigen Kinder in Österreich internationalen Schutz genießen, wird der BF im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan nur für sich, und nicht auch für seine Familie aufzukommen haben.

Im gegenständlichen Verfahren nahm das BVwG eine individuelle Einzelfallprüfung vor, wie sie sowohl von EASO als auch von UNHCR für die Annahme einer innerstaatlichen Flucht- und Schutzalternative gefordert wird. Das erkennende Gericht kommt zu dem Schluss, dass entgegen dem Vorbringen des BF, in seinem Fall eine Rückkehr nach Afghanistan möglich und zumutbar ist.

Der BF ist nach seinen eigenen glaubhaften Angaben gesund. Ausgehend von diesen Ermittlungsergebnissen wird keine Feststellung getroffen, dass der BF auch im Falle seiner Rückkehr aufgrund seines Gesundheitszustandes in einen unmittelbaren lebensbedrohlichen Zustand geraten wird bzw. dass keine Gründe gesundheitlicher Natur einer Rückführung des BF in seinen Heimatstaat entgegenstehen.

Nachdem die Frage, ob eine Rückkehrentscheidung zu erlassen ist, aufgrund der noch offenen Frage, ob diese dem Kindeswohl, und damit

Artikel 8 MRK widersprechen würde, noch nicht entscheidungsreif ist, war auf diese Punkte nicht weiter einzugehen.

Fest steht jedenfalls, dass unabhängig von dieser Frage dem BF eine Rückkehr nach Afghanistan zuzumuten ist.

2.3 Zu den Länderfeststellungen

Die Feststellungen zur im vorliegenden Zusammenhang maßgeblichen Situation im Herkunftsstaat stützen sich auf die zitierten Quellen. Da diese aktuellen Länderberichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen von regierungsoffiziellen und nicht-regierungsoffiziellen Stellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche darbieten, besteht im vorliegenden Fall für das BVwG kein Anlass, an der Richtigkeit der getroffenen Länderfeststellungen zu zweifeln. Insoweit den Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat Berichte älteren Datums zugrunde liegen, ist auszuführen, dass sich seither die darin angeführten Umstände unter Berücksichtigung der dem BVwG von Amts wegen vorliegenden Berichte aktuelleren Datums für die Beurteilung der gegenwärtigen Situation nicht wesentlich geändert haben. Die Parteien des Verfahrens haben alle genannten Länderinformationen mit der Möglichkeit zur Abgabe einer Stellungnahme vom erkennenden Gericht übermittelt bekommen und haben von diesem Recht auch teilweise Gebrauch gemacht. Die vom BF in seinen Stellungnahmen zitierten Länderinformationen finden Großteils Deckung in dem von der Staatendokumentation des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl erstellten Länderinformationen zu Afghanistan.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A)

3.1 Zur Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides:

Vorerst ist festzuhalten, dass bedingt durch den Umstand, dass der BF in Österreich straffällig geworden ist, gemäß § 34 Abs. 2 AsylG 2005 nicht anzuwenden sind. Damit war über die Anträge des BF nicht im Familienverfahren, sondern unabhängig davon zu entscheiden.

Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 AsylG 2005 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Artikel 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht (vgl. auch die Verfolgungsdefinition in § 2 Abs. 1 Z 11 AsylG 2005, die auf Artikel 9 der Statusrichtlinie verweist).

Ein Fremder ist nach § 6 Abs. 1 Z. 4 AsylG 2005 von der Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten ausgeschlossen, wenn er von einem inländischen Gericht wegen eines besonders schweren Verbrechens rechtskräftig verurteilt worden ist und wegen dieses strafbaren Verhaltens eine Gefahr für die Gemeinschaft bedeutet. Einer Verurteilung durch ein inländisches Gericht ist eine Verurteilung durch ein ausländisches Gericht gleichzuhalten, die den Voraussetzungen des § 73 StGB, BGBl. Nr. 60/1974, entspricht.

Nach § 6 Abs. 2 AsylG 2005 kann der Antrag auf internationalen Schutz in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten ohne weitere Prüfung abgewiesen werden, wenn ein Ausschlussgrund nach Abs. 1 vorliegt.

Durch die rechtkräftige Verurteilung des BF wegen versuchten Mordes liegt ein derartiger Asylausschlussgrund vor, weswegen seitens des erkennenden Gerichtes ohne weitere inhaltliche Prüfung die Beschwerde des BF gegen Spruchpunkt I des angefochtenen Bescheides abzuweisen ist.

3.2 Zur Beschwerde gegen Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides:

Wird ein Antrag auf internationalen Schutz in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen, so ist dem Fremden gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Artikel 2 EMRK, Artikel 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

Der VwGH hat in seinem Erkenntnis vom 21.05.2019, Ro 2019/19/0006-3 betreffend die Voraussetzungen für die Gewährung von subsidiärem Schutz weiterhin - entsprechend dem Wortlaut des § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 - (insbesondere) auf den Maßstab des Art. 3 EMRK abgestellt (vgl. auch VwGH 06.11.2018, Ra 2018/01/0106, Rn. 14 f, mwN). Nach dieser Rechtsprechung kann die Außerlandesschaffung eines Fremden in den Herkunftsstaat etwa auch dann eine Verletzung von Art. 3 EMRK bedeuten und daher die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten begründen, wenn - wobei eine solche Situation allerdings nur unter exzeptionellen Umständen anzunehmen ist - der Betroffene dort keine Lebensgrundlage vorfindet, also seine Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz nicht gedeckt werden können (vgl. näher zu den Voraussetzungen einer solchen Annahme etwa VwGH 18.10.2018, Ra 2017/19/0200; 25.4.2017, Ra 2017/01/0016).

Unter Gefahr in diesem Sinne ist eine ausreichend reale, nicht nur auf Spekulationen gegründete Gefahr ("a sufficiently real risk") möglicher Konsequenzen für den Betroffenen im Zielstaat zu verstehen (vgl. etwa VwGH 19.02.2004, 99/20/0573). Es müssen stichhaltige Gründe für die Annahme sprechen, dass eine Person einem realen Risiko einer unmenschlichen Behandlung ausgesetzt wäre, und es müssen konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass gerade die betroffene Person einer derartigen Gefahr ausgesetzt sein würde. Die bloße Möglichkeit eines realen Risikos oder Vermutungen, dass der Betroffene ein solches Schicksal erleiden könnte, reichen nicht aus. Gemäß der Judikatur des VwGH erfordert die Beurteilung des Vorliegens eines tatsächlichen Risikos eine ganzheitliche Bewertung der Gefahr an dem für die Zulässigkeit aufenthaltsbeendender Maßnahmen unter dem Gesichtspunkt des Artikels 3 EMRK auch sonst gültigen Maßstab des "real risk", wobei sich die Gefahrenprognose auf die persönliche Situation des Betroffenen in Relation zur allgemeinen Menschenrechtslage im Zielstaat zu beziehen hat (vgl. VwGH 31.03.2005, 2002/20/0582; 31.05.2005, 2005/20/0095).

Die Gefahr muss sich auf das gesamte Staatsgebiet beziehen (VwGH 30.06.2005, 2002/20/0205, mwN). Herrscht in einem Staat eine extreme Gefahrenlage, durch die praktisch jeder, der in diesen Staat abgeschoben wird - auch ohne einer bestimmten Bevölkerungsgruppe oder Bürgerkriegspartei anzugehören -, der konkreten Gefahr einer Verletzung der durch Artikel 3 EMRK gewährleisteten Rechte ausgesetzt wäre, so kann dies der Abschiebung eines Fremden in diesen Staat entgegenstehen (VwGH 17.09.2008, 2008/23/0588).

Die bloße Möglichkeit einer dem Artikel 3 EMRK widersprechenden Behandlung in jenem Staat, in den ein Fremder abgeschoben wird, genügt nicht, um seine Abschiebung in diesen Staat als unzulässig erscheinen zu lassen; vielmehr müssen konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass gerade der Betroffene einer derartigen Gefahr ausgesetzt sein würde (VwGH 18.10.2005, 2005/01/0461).

Gemäß § 8 Abs. 2 AsylG 2005 ist die Entscheidung über die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nach § 8 Abs. 1 AsylG 2005 mit der abweisenden Entscheidung nach § 3 AsylG 2005 oder der Aberkennung des Status des Asylberechtigten nach § 7 AsylG 2005 zu verbinden.

Gemäß § 8 Abs. 3 AsylG 2005 sind Anträge auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abzuweisen, wenn eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11) offensteht.

Kann Asylwerbern in einem Teil ihres Herkunftsstaates vom Staat oder sonstigen Akteuren, die den Herkunftsstaat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebietes beherrschen, Schutz gewährleistet werden, und kann ihnen der Aufenthalt in diesem Teil des Staatsgebietes zugemutet werden, so ist gemäß § 11 Abs. 1 AsylG 2005 der Antrag auf internationalen Schutz abzuweisen (Innerstaatliche Fluchtalternative). Schutz ist gewährleistet, wenn in Bezug auf diesen Teil des Herkunftsstaates keine wohlbegründete Furcht nach Artikel 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention vorliegen kann und die Voraussetzungen zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten (§ 8 Abs. 1) in Bezug auf diesen Teil des Herkunftsstaates nicht gegeben sind.

Bei der Prüfung, ob eine innerstaatliche Fluchtalternative gegeben ist, ist auf die allgemeinen Gegebenheiten des Herkunftsstaates und auf die persönlichen Umstände der Asylwerber zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag abzustellen (§ 11 Abs. 2 AsylG 2005).

§ 11 AsylG 2005 unterscheidet dabei nach seinem klaren Wortlaut zwei getrennte und selbständig zu prüfende Voraussetzungen der innerstaatlichen Fluchtalternative.

Zum einen ist zu klären, ob in dem als innerstaatliche Fluchtalternative ins Auge gefassten Gebiet Schutz vor asylrechtlich relevanter Verfolgung und vor Bedingungen, die nach § 8 Abs. 1 AsylG 2005 die Gewährung von subsidiärem Schutz rechtfertigen würden, gegeben ist. Demgemäß verbietet sich die Annahme, der Schutz eines Asylwerbers sei innerstaatlich zumindest in einem Teilgebiet gewährleistet, jedenfalls dann, wenn in dieser Region Verhältnisse herrschen, die Art. 3 MRK widersprechen. Zum anderen setzt die Annahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative voraus, dass dem Asylwerber der Aufenthalt in diesem Gebiet zugemutet werden kann.

Für den Herkunftsstaat des BF, Afghanistan, gilt es an dieser Stelle auszuführen, dass nach Ansicht des EGMR die allgemeine Situation in Afghanistan nicht dergestalt ist, dass schon alleine die Rückkehr eines Antragstellers eine ernsthafte Bedrohung für die durch Artikel 3 EMRK geschützten Rechte bedeuten würde (vgl. EGMR Urteil XXXX v. Sweden vom 13.10.2011, Beschwerdenummer 10611/09, Ziffer 84 sowie das Erkenntnis des EGMR, wonach die allgemeine Situation in Afghanistan nicht so gelagert ist, dass die Ausweisung dorthin automatisch gegen Artikel 3 EMRK verstoße würde: EGMR AGR/Niederlande, 12.01.2016, 13.442/08; VwGH 23.02.2016, 2015/01/0134). Trotz der weiterhin als instabil zu bezeichnenden allgemeinen Sicherheitslage ist damit eine Rückkehr nach Afghanistan nicht grundsätzlich ausgeschlossen.

Die Zumutbarkeit des Aufenthaltes ist daher von der Frage der Schutzgewährung in diesem Gebiet zu trennen. Selbst wenn in dem betreffenden Gebiet also keine Verhältnisse herrschen, die Art. 3 MRK widersprechen (oder auf Grund derer andere Voraussetzungen des § 8 Abs. 1 AsylG 2005 für die Zuerkennung von subsidiärem Schutz erfüllt wären), wäre eine innerstaatliche Fluchtalternative bei Unzumutbarkeit des Aufenthaltes in diesem Gebiet zu verneinen. (vgl. VwGH 23.1.2018, Ra 2018/18/001)

Im Sinne einer unionsrechtskonformen Auslegung ist das Kriterium der "Zumutbarkeit" nach § 11 Abs. 1 AsylG 2005 gleichbedeutend mit dem Erfordernis nach Art. 8 Abs. 1 Statusrichtlinie, dass vom Asylwerber vernünftigerweise erwartet werden kann, sich im betreffenden Gebiet seines Herkunftslandes niederzulassen.

Dabei ist auf die allgemeinen Gegebenheiten des Herkunftsstaates und auf die persönlichen Umstände des Asylwerbers zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag abzustellen (§ 11 Abs. 2 AsylG 2005; vgl. auch die im Wesentlichen gleichlautenden Vorgaben des Art. 8 Abs. 2 Statusrichtlinie).

Der VwGH führt in seiner Rechtsprechung hierzu aus, dass im Einzelfall mit ausreichender Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden muss, dass der Asylwerber in diesem Gebiet Schutz vor asylrechtlich relevanter Verfolgung und vor Bedingungen, die nach § 8 Abs. 1 AsylG 2005 die Gewährung von subsidiärem Schutz rechtfertigen würden, findet. Sind diese Voraussetzungen zu bejahen, so wird dem Asylwerber unter dem Aspekt der Sicherheit regelmäßig auch die Inanspruchnahme der innerstaatlichen Fluchtalternative zuzumuten sein (vgl. VwGH 06.11.2018, Ra 2018/01/0106).

Im Übrigen hat der VwGH in seiner Rechtsprechung ausgeführt, dass eine schwierige Lebenssituation (bei der Arbeitsplatz- und Wohnraumsuche sowie in wirtschaftlicher Hinsicht), die ein Asylwerber bei Rückführung in das als innerstaatliche Fluchtalternative geprüfte Gebiet vorfinden würde, für sich betrachtet nicht ausreicht, um eine innerstaatliche Fluchtalternative zu verneinen (vgl. VwGH 23.01.2018, Ra 2018/18/0001).

Mit Bezug auf die Verhältnisse in Afghanistan führte der VwGH aus, dass es zutreffen könne, dass ein alleinstehender Rückkehrer ohne familiären Rückhalt und ohne finanzielle Unterstützung hier - in der afghanischen Hauptstadt Kabul - (anfangs) mit wirtschaftlichen Schwierigkeiten konfrontiert sei. Soweit es sich aber um einen jungen und gesunden Mann, der über Schulbildung und Berufserfahrung verfüge, handle, sei - auf der Grundlage der allgemeinen Länderfeststellungen zur Lage im Herkunftsstaat - nicht zu erkennen, dass eine Neuansiedlung in Kabul nicht zugemutet werden könne. Dies stehe auch im Einklang mit der Einschätzung der UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des Internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 19.04.2016 (in diesem Punkt gleichlautend auch die aktuellen UNCHR Richtlinien vom 30.08.2018), denen zufolge es alleinstehenden, leistungsfähigen Männern im berufsfähigen Alter ohne spezifische Vulnerabilität möglich sei, auch ohne Unterstützung durch die Familie in urbaner Umgebung zu leben (vgl. VwGH 08.08.2017, Ra 2017/19/0118).

Es bedarf somit, wie zuvor ausgeführt, im Rahmen einer Einzelfallprüfung einer ganzheitlichen Bewertung der möglichen Gefahren, die sich auf die persönliche Situation des Betroffenen in Relation zur allgemeinen Menschenrechtslage im Zielstaat zu beziehen hat.

Im Fall des BF ergeben sich aus den Feststellungen zu seiner persönlichen Situation vor dem Hintergrund der spezifischen Länderfeststellungen keine konkreten Anhaltspunkte für das Vorliegen eines Hindernisses bei der Rückverbringung in seinen Herkunftsstaat Afghanistan.

Nach den Ergebnissen des Ermittlungsverfahrens ist - wie oben bereits dargestellt - davon auszugehen, dass der BF weder aus wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung aus einem der in der Genfer Flüchtlingskonvention angeführten Asylgründe sein Land verlassen hat, noch, dass er im Falle seiner Rückkehr einer realen Gefahr im Sinne von Artikel 2 oder Artikel 3 EMRK ausgesetzt wäre, die eine Zuerkennung subsidiären Schutzes notwendig machen würde. Denn auch unabhängig vom individuellen Vorbringen des BF sind keine außergewöhnlichen, exzeptionellen Umstände hervorgekommen, die ihm im Falle seiner Rückkehr nach Afghanistan drohen könnten und die ein Abschiebungshindernis im Sinne von Artikel 3 EMRK iVm § 8 AsylG 2005 darstellen könnten, wie etwa eine dramatische Versorgungslage (z.B. Hungersnöte), eine massive Beeinträchtigung der Gesundheit oder gar der Verlust des Lebens (vgl. EGMR, Urteil vom 06.02.2001, Beschwerde Nr. 44599/98, Bensaid v. United Kingdom und Henao v. The Netherlands, Unzulässigkeitsentscheidung vom 24.06.2003, Beschwerde Nr. 133699/03).

Es ist dem BF aufgrund der in seiner Herkunftsprovinz Kabul laut EASO herrschenden willkürlichen Gewalt, die insbesondere auch schiitische Zivilisten treffen k

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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