TE Bvwg Erkenntnis 2020/3/9 W111 2226925-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 09.03.2020
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Entscheidungsdatum

09.03.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z4
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §7 Abs1 Z1
AsylG 2005 §7 Abs1 Z2
AsylG 2005 §8
BFA-VG §9
B-VG Art. 133 Abs4
FPG §52 Abs2 Z3
FPG §52 Abs9
FPG §53 Abs1
FPG §53 Abs3 Z6
FPG §55

Spruch

W111 2226925-1/6E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Dr. Dajani, LL.M., als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Russische Föderation, vertreten durch den XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 28.11.2019, Zl. 740816607-190303021, zu Recht:

A) Die Beschwerde wird gemäß den §§ 7 Abs. 1 Z 1 und Z 2 sowie Abs. 4, 8, 10 Abs. 1 Z 4, 57 AsylG 2005 idgF, § 9 BFA-VG idgF, §§ 52 Abs. 2 Z 3 und Abs. 9, 55, 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 6 FPG 2005 idgF als unbegründet abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Dem Beschwerdeführer, einem zum damaligen Zeitpunkt minderjährigen Staatsangehörigen der Russischen Föderation tschetschenischer Volksgruppenzugehörigkeit, wurde mit rechtskräftigem Bescheid des Bundeasylamtes vom 17.01.2005 in Stattgabe eines durch seine Mutter und damalige gesetzliche Vertreterin infolge gemeinsamer illegaler Einreise am 20.04.2004 eingebrachten Asylerstreckungsantrags gemäß § 11 Abs. 1 AsylG 1997 durch Erstreckung (bezogen auf das Verfahren seiner Mutter) in Österreich Asyl gewährt und gemäß § 12 AsylG 1997 festgestellt, dass diesem damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

Seine Mutter hatte zu den Gründen ihrer Asylantragstellung im Wesentlichen ausgeführt, sie sei im Herkunftsstaat wegen ihres verschwundenen Mannes, welcher die Widerstandskämpfer unterstützt hätte, immer wieder von föderalen Truppen aufgesucht und bedroht worden.

Die Zuerkennung des Status der Asylberechtigten an diese mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 12.01.2005 wurde in einem Aktenvermerk der Behörde vom gleichen Datum im Wesentlichen darauf gestützt, dass sich die Mutter des Beschwerdeführers als Ehefrau eines im Widerstand tätigen Mannes und als alleinlebende Frau in einer besonders gefährdeten Position befunden hätte und dadurch der Willkür föderaler Organe im höheren Maß ausgesetzt gewesen sei.

2. Infolge der Verhängung der Untersuchungshaft über den zwischenzeitlich volljährigen Beschwerdeführer leitete das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl mit Aktenvermerk vom 25.03.2019 ein Verfahren zur Aberkennung des Asylstatus ein.

Mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichts für Strafsachen XXXX vom XXXX wurde der Beschwerdeführer wegen des Verbrechens der terroristischen Vereinigung nach § 278b Abs. 2 StGB sowie des Verbrechens der kriminellen Organisation nach § 278a StGB zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von 24 Monaten verurteilt, von der ihm ein Teil in der Höhe von 16 Monaten unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurde.

Am 29.10.2019 erfolgte eine niederschriftliche Einvernahme des Beschwerdeführers vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl. Der Beschwerdeführer gab in deutscher Sprache zusammengefasst zu Protokoll (im Detail vgl. Verwaltungsakt, Seiten 217 bis 230), er beherrsche Tschetschenisch "teilweise", daheim würden sie es gemischt mit Deutsch sprechen; Russisch beherrsche er nicht. Der Beschwerdeführer sei gesund, nehme keine Medikamente ein und habe durch seine Großmutter, seinen Onkel und seine Mutter familiäre Anknüpfungspunkte in Österreich. Über den derzeitigen Aufenthaltsort seiner Mutter sei er nicht informiert, er habe keinen Kontakt zu dieser. Der Beschwerdeführer lebe bei seiner Großmutter und habe etwa ein- bis zweimal wöchentlich Kontakt zu seinem Onkel. Darauf angesprochen, dass er laut vorliegendem Versicherungsdatenauszug bislang nur einen Tag gearbeitet hätte, erklärte der Beschwerdeführer, tatsächlich bereits mehr gearbeitet zu haben. Der Beschwerdeführer habe in Österreich die Pflichtschule abgeschlossen und einige Kurse beim BFI absolviert. Derzeit sei er auf Arbeitssuche. Der Beschwerdeführer habe einen großen Freundeskreis in Österreich. Welche Verwandten sich noch in der Russischen Föderation aufhielten, sei ihm nicht bekannt. Seine Pläne für eine Zukunft in Österreich seien die Absolvierung der Matura und die Aufnahme eines Informatik-Studiums.

Auf Vorhalt der rechtskräftigen Verurteilung wegen der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung meinte der Beschwerdeführer, er sehe nicht aus wie ein Terrorist und es sei nicht möglich, dass er ein solcher sei. Er hätte im nicht nüchternen Zustand ein paar Nachrichten geschrieben, welche von der Polizei missverstanden worden wären. Die Verurteilung sei zu Unrecht erfolgt. Zu ihm vorgehaltenen Äußerungen seiner Person in Chatgruppen sowie des wiederholten Hochladens von IS und Al Quaida verherrlichenden Propagandamaterials erklärte der Beschwerdeführer, dies würde nicht stimmen. Auf weiteren Vorhalt, dass der Beschwerdeführer eine große Zahl an Audio-, Video- und Bilddateien sowie Dokumenten besessen hätte, welche u.a. Kindersoldaten, abgetrennte Köpfe von Geiseln, Enthauptungen, Erschießungen, Exekutionen durch Verbrennung, Kampfhandlungen und diverses Propagandamaterial zeigen würden und der Beschwerdeführer auch selbst Bilder angefertigt hätte, welche ihn etwa mit dem IS-Logo vor dem Gesicht oder bewaffnet zeigen würden, und befragt, weshalb er derartige Dateien verbreitet bzw. hergestellt hätte, erwiderte der Beschwerdeführer: "Schwarzer Humor eben." Die erfolgte Verurteilung stelle ein Fehlurteil dar. Der Beschwerdeführer lebe hier seit er klein sei ganz normal; er sei zur Schule gegangen, jetzt auf einmal werde ihm so etwas Krankes vorgeworfen.

Der Beschwerdeführer sei seit 2004 in Österreich. Im Falle einer Abschiebung in den Herkunftsstaat würde ihn die Kadyrow-Miliz abholen. Da er als Terrorist gestempelt sei, würden sie ihn umbringen. Kadyrow hätte diese Information, da er mit Russland zusammenarbeite. Darüber informiert, dass Urteile, Polizeiberichte u. Ä. nicht weitergegeben würden, erklärte er, es werde so laufen, wenn Russland ihn als Terroristen bezeichne. Dies sei schon oft genug passiert. Im Falle einer Rückkehr befürchte er, aufgrund der österreichischen Verurteilung in Tschetschenien verfolgt zu werden. Überdies habe er Befürchtungen aufgrund seiner damaligen Flucht, welche ihn als Flüchtling gebrandmarkt hätte. Über Vorhalt der Angabe seiner Mutter, der Beschwerdeführer hätte zum Zeitpunkt der Asylantragstellung keine eigenen Fluchtgründe aufgewiesen und befragt, weshalb sich dies nunmehr geändert haben sollte, antwortete der Beschwerdeführer, er wisse nicht, weshalb er damals keine Probleme gehabt haben solle; man wisse einfach, dass einem dort der Tod drohe, es gebe genügend Beispiele dafür. Nach Vorhalt, wonach alleine die Asylantragstellung im Ausland laut der vorliegenden Berichtslage keine Gefahr für den Fall einer Rückkehr begründe, bezweifelte der Beschwerdeführer das Zutreffen dieser Information. Die Frage, ob er im Fall seiner Rückkehr Probleme aufgrund der möglichen Teilnahme von Verwandten an den Tschetschenienkriegen befürchte, bejahte er. Zur ihm vorgehaltenen Information der Staatendokumentation, wonach es seit 2011 keine Hinweise mehr auf Verfolgungshandlungen gegen Veteranen der Tschetschenienkriege geben würde, erklärte der Beschwerdeführer, er sehe doch in den Nachrichten, dass Leute, die im Krieg gekämpft hätten, in Deutschland von der russischen Regierung erschossen oder in der Russischen Föderation zu mehrmals lebenslangen Haftstrafen verurteilt worden wären. Er hätte öfters im Fernsehen gesehen, wie Kadyrow in Europa aufhältigen Flüchtlingen gedroht hätte. Zusätzlich befürchte er Schwierigkeiten mit der Kommunikation in seinem Herkunftsstaat.

Aus einer vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl eingeforderten Stellungnahme einer Justizanstalt vom 04.11.2019 ergibt sich, dass der Beschwerdeführer laut Wahrnehmung des aufsichtsführenden Abteilungskommandanten von seiner radikalen Gesinnung auch während der Untersuchungshaft nicht abgewichen wäre und versucht hätte, Mitinsassen auf sein Gedankengut einzustimmen. Zugleich wurde eine Auflistung über Besuche, welche der Beschwerdeführer während der Haft empfangen hätte, übermittelt.

3. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 28.11.2019 wurde dem Beschwerdeführer in Spruchteil I. der ihm mit Bescheid vom 17.01.2005, Zahl: 04 08.166-BAS, zuerkannte Status des Asylberechtigten gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 und Z 2 AsylG 2005 idgF aberkannt. Gemäß § 7 Abs. 4 AsylG wurde festgestellt, dass diesem die Flüchtlingseigenschaft nicht mehr zukomme. In Spruchteil II. wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 8 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zuerkannt, weiters wurde ihm in Spruchteil III. ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt. Darüber hinaus wurde gegen den Beschwerdeführer gemäß § 10 Abs. 1 Z 4 AsylG iVm § 9 BFA-VG idgF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 3 FPG idgF erlassen (Spruchpunkt IV.), gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung in die Russische Föderation gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt V.) und ausgesprochen, dass die Frist für die freiwillige Ausreise gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt VI.). Zudem wurde gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 und 6 FPG ein unbefristetes Einreiseverbot gegen den Beschwerdeführer erlassen (Spruchpunkt VII.).

Die Entscheidung über die Aberkennung des Status des Asylberechtigten wurde einerseits mit der rechtskräftigen Verurteilung wegen eines besonders schweren Verbrechens, nämlich der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung, sowie andererseits mit dem Wegfall der Umstände, welche zur Zuerkennung des Status geführt hätten, begründet. Dem Beschwerdeführer sei der Asylstatus ursprünglich im Wege der Erstreckung, abgeleitet vom Status seiner Mutter, zuerkannt worden; im Falle seiner Bezugsperson sei bereits eine rechtskräftige Aberkennung ihres Asylstatus erfolgt. Der Asylgrund der Mutter des Beschwerdeführers würde zum Entscheidungszeitpunkt nicht mehr vorliegen, zumal sich die Lage in der tschetschenischen Teilrepublik seit der Ausreise erheblich und nachhaltig verbessert hätte. Auch stehe aufgrund der Länderberichte fest, dass Veteranen der beiden Tschetschenienkriege sowie deren Angehörige nicht mehr von Verfolgungshandlungen durch die dortigen Behörden bedroht wären. Die vom Beschwerdeführer vorgebrachte Furcht vor Verfolgung wegen seiner in Österreich erfolgten Verurteilung wegen der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung sei nicht begründet, zumal die österreichischen Behörden den Herkunftsstaat selbst im Falle einer Abschiebung nicht über die Verurteilung in Kenntnis setzen würden. Den Länderberichten lasse sich desweiteren entnehmen, dass eine Rückkehr aus dem Ausland nach dortiger Asylantragstellung nicht prinzipiell zu einer Verfolgung im Nordkaukasus führe. Darüber hinaus stehe fest, dass der Beschwerdeführer wegen eines besonders schweren Verbrechens rechtskräftig verurteilt worden wäre und aufgrund dieses strafbaren Verhaltens eine Gefahr für die Gemeinschaft bedeuten würde. Dies, da aufgrund der tiefgreifenden ideologischen Radikalisierung im Sinne des Jihad, vom Beschwerdeführer begangene Anschläge, Unterstützung von Anschlägen oder Rekrutierungen für terroristische Vereinigungen zu befürchten wären. In rechtlicher Hinsicht wurden die Tatbestände der §§ 7 Abs. 1 Z 1 iVm § 6 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005, der §§ 7 Abs. 1 Z 1 iVm § 6 Abs. 1 Z 4 AsylG 2005 sowie der § 7 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 iVm Art. 1 Abschnitt C Z 5 GFK als verwirklicht erachtet.

Zur Rückkehrsituation wurde darüber hinaus erwogen, beim Beschwerdeführer handle es sich um einen jungen gesunden Mann, welcher zur eigenständigen Bestreitung seines Lebensunterhaltes in der Lage sei. Der Beschwerdeführer hätte die Möglichkeit, seine grundsätzlich vorhandenen Kenntnisse der tschetschenischen Sprache zu optimieren und die russische Sprache zu erlernen. Das Bundesamt ginge davon aus, dass es dem Beschwerdeführer mit Unterstützung seiner Großmutter möglich sein werde, soziale Netzwerke in der Heimat zu aktivieren und diese für eine vorübergehende Unterstützung bis zum Aufbau einer eigenen Existenz nutzen zu können. Der Beschwerdeführer werde sich seine Kenntnisse der deutschen Sprache auf dem russischen Arbeitsmarkt zu Nutze machen können und hätte zudem die Möglichkeit, auf Leistungen des russischen Sozialsystems zurückzugreifen. Da demnach keine stichhaltigen Gründe für die Annahme bestünden, der Beschwerdeführer werde im Falle einer Abschiebung Gefahr laufen, auf russischem Staatsgebiet einer unmenschlichen Behandlung oder Strafe oder der Todesstrafe unterworfen zu werden, lägen die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten nicht vor.

In Österreich lebe die Großmutter des Beschwerdeführers als Asylberechtigte, zu welcher jedoch kein spezifisches Abhängigkeitsverhältnis bestünde. Im Falle seiner Mutter, seines Onkels und seiner Halbgeschwister seien aufenthaltsbeendende Maßnahmen erlassen worden. Zwei im Kleinkindalter befindlichen Halbschwestern des Beschwerdeführers komme der Status von Asylberechtigten in Österreich zu. Der Beschwerdeführer habe keine schützenswerten familiären Beziehungen im Bundesgebiet. Dieser sei gegenwärtig arbeitslos, sei bislang lediglich für einen Zeitraum von einem Tag einer Beschäftigung nachgegangen und habe wiederholt Arbeitslosengeld bezogen. Der Beschwerdeführer habe in Österreich die Schule besucht und beherrsche die deutsche Sprache. Angesichts seiner Verurteilung wegen der Verbrechen der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung sowie einer kriminellen Organisation gemäß § 278b Abs. 2 StGB und § 278a StGB müssten die persönlichen Interessen des Beschwerdeführers an einem Verbleib im Bundesgebiet gegenüber den öffentlichen Interessen an einer Aufenthaltsbeendigung zurücktreten. Angesichts der vorliegenden Verurteilung sowie der nicht erfolgten Distanzierung von der Ideologie des radikalen Islamismus stehe fest, dass eine Fortsetzung des Aufenthalts des Beschwerdeführers eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit begründe, welcher ausschließlich mit der Verhängung eines Einreiseverbotes in unbefristeter Dauer begegnet werden könne.

4. Mit am 13.12.2019 beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl eingelangtem Schriftsatz wurde durch die nunmehr bevollmächtigte Rechtsberatungsorganisation fristgerecht die verfahrensgegenständliche Beschwerde wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit und Verletzung von Verfahrensvorschriften eingebracht. Begründend wurde ausgeführt, die Lage im Herkunftsstaat habe sich seit Zuerkennung des Status des Asylberechtigten nicht geändert und der Beschwerdeführer müsste befürchten, Opfer gegen ihn gerichteter Verfolgungshandlungen zu werden; zur Frage des subsidiären Schutzes wurde ausgeführt, dass die Heimatregion des Beschwerdeführers unsicher und instabil sei, zudem habe der Beschwerdeführer keine sozialen Anknüpfungspunkte, von denen er finanzielle oder andere Unterstützung erhalten könnte. Sohin würde er im Herkunftsstaat Gefahr laufen, einer Verletzung von Art. 2, Art. 3 EMRK oder der Zusatzprotokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention ausgesetzt zu sein. Der Beschwerdeführer habe seit 15 Jahren den Status eines Asylberechtigten in Österreich inne, habe hier die Schule besucht und die deutsche Sprache erlernt. Sowohl in Österreich, als auch in anderen Mitgliedstaaten der EU, seien Familienangehörige des Beschwerdeführers wohnhaft. Bindungen zum Heimatland bestünden hingegen nicht mehr. Der Beschwerdeführer sei wegen eines Kapitalverbrechens verurteilt worden; da er zum Zeitpunkt der Tatbegehung junger Erwachsener gewesen wäre, wäre jedoch die Verantwortlichkeit für das rechtswidrige Verhalten herabgesetzt, zudem müsse auch die Reue des Beschwerdeführers berücksichtigt werden, welchem das Unrecht seiner Taten bewusst sei. Dem Ausspruch eines Einreiseverbotes sei ein unzureichendes Ermittlungsverfahren vorangegangen. Der Beschwerdeführer sei zwar rechtskräftig verurteilt worden, es sei jedoch auf die Zukunftsprognose abzustellen. Es ginge vom Beschwerdeführer keine Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit aus, welche die Verhängung eines unbefristeten Einreiseverbotes rechtfertigen würde.

5. Die Beschwerdevorlage des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 13.12.2019 langte am 23.12.2019 beim Bundesverwaltungsgericht ein. Im Rahmen einer zugleich erstatteten Stellungnahme führte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl aus, die Ausführungen in der Beschwerde, wonach der Beschwerdeführer das Unrecht seiner Taten eingesehen hätte und bestrebt sei, künftig ein rechtstreues Leben zu führen, stünden im diametralen Widerspruch zu den Ergebnissen des Ermittlungsverfahrens. So habe der Beschwerdeführer die Taten, derentwegen er rechtskräftig verurteilt worden wäre, anlässlich der Einvernahme vor dem Bundesamt geleugnet und relativiert und laut Bericht einer Justizanstalt auch während der Untersuchungshaft noch versucht, Mithäftlinge zu radikalisieren. Auf die besondere Gefährlichkeit der vom Beschwerdeführer begangenen Straftaten werde nochmals hingewiesen. Bezüglich der Ausführungen zum im Bundesgebiet bestehenden Familienleben sei erneut darauf zu verweisen, dass bezüglich seiner Mutter und seines Onkels ebenfalls Rückkehrentscheidungen ausgesprochen worden wären.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Der volljährige Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger der Russischen Föderation, welcher der tschetschenischen Volksgruppe angehört und sich zum moslemischen Glauben bekennt. Der damals minderjährige Beschwerdeführer reiste gemeinsam mit seiner Mutter und weiteren Verwandten illegal in das Bundesgebiet ein und stellte durch seine damalige gesetzliche Vertreterin am 20.04.2004 einen Antrag auf Asylerstreckung, dem mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 17.01.2005 zu Zahl 04 08.166-BAS stattgegeben und dem Beschwerdeführer gemäß § 11 Abs. 1 AsylG 1997 durch Erstreckung (bezogen auf das Verfahren seiner Mutter) Asyl in Österreich gewährt wurde.

Der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten an die Mutter des Beschwerdeführers mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 12.01.2005 lag zugrunde, dass die Genannte in Tschetschenien wegen ihres verschwundenen Ehemannes (des Vaters des Beschwerdeführers), welcher die Widerstandsbewegung unterstützt hätte, von föderalen Truppen aufgesucht und massiv bedroht worden wäre. Als alleinlebende Ehefrau eines im Widerstand aktiven Mannes sei diese besonders gefährdet gewesen, Opfer weiterer Willkür durch föderale Truppen zu werden.

Der Status der Asylberechtigten der Mutter des Beschwerdeführers wurde mit rechtskräftigem Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 12.08.2019 unter gleichzeitiger Nichtzuerkennung des Status einer subsidiär Schutzberechtigten und dem Ausspruch einer Rückkehrentscheidung aberkannt. Die Mutter des Beschwerdeführers unterliegt zum Entscheidungszeitpunkt keiner Gefährdung mehr im Herkunftsstaat.

1.2. Nicht festgestellt werden kann, dass der Beschwerdeführer in der Russischen Föderation aus Gründen der Rasse, der Religion, der Nationalität, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Ansichten bedroht wäre. Im Entscheidungszeitpunkt konnte keine aktuelle Gefährdung des Beschwerdeführers in der Russischen Föderation festgestellt werden. Dem Beschwerdeführer droht im Falle der Rückkehr in die Russische Föderation keine Verfolgung wegen seiner Verurteilung auf Grund der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung und kriminellen Organisation.

Ebenfalls nicht festgestellt werden kann, dass der Beschwerdeführer im Fall seiner Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in die Russische Föderation in seinem Recht auf Leben gefährdet, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen oder von der Todesstrafe bedroht wäre. Der Beschwerdeführer liefe dort nicht Gefahr, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft nicht befriedigen zu können und in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten. Der Beschwerdeführer spricht Tschetschenisch und es wird ihm möglich sein, die russische Sprache binnen angemessener Zeit zu erlernen. Der Beschwerdeführer, welcher sein Heimatland im Kleinkindalter verlassen hat, leidet an keinen schwerwiegenden oder lebensbedrohlichen Erkrankungen.

Es ist dem Beschwerdeführer möglich und zumutbar, sich in der Russischen Föderation außerhalb der Teilrepublik Tschetschenien und des Föderationskreises Nordkaukasus niederzulassen und anzumelden; die wirtschaftlich stärkeren Metropolen und Regionen in Russland bieten trotz der derzeitigen Wirtschaftskrise bei vorhandener Arbeitswilligkeit auch entsprechende Chancen für russische Staatsangehörige aus den Kaukasusrepubliken; der Beschwerdeführer hätte auch Zugang zu Sozialbeihilfen, Krankenversicherung und medizinischer Versorgung. Dem Beschwerdeführer droht auch keine Verfolgung bei der Wiedereinreise in die Russische Föderation. Dieser hat Verwandte im Herkunftsstaat, zu denen er den Kontakt mithilfe seiner Angehörigen in Österreich herstellen könnte, sodass er bei einer Rückkehr im Bedarfsfall auf ein verwandtschaftliches Netz zurückgreifen könnte. Der Onkel des Beschwerdeführers (BVwG-Zahl: W111 2212292-1) ist im gleichen Umfang wie er selbst von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen bedroht, sodass dem Beschwerdeführer und seinem Onkel eine gemeinsame Rückkehr in den Herkunftsstaat offen stehen würde. Der Onkel des Beschwerdeführers hat ihm Rahmen seines Verfahrens festgehalten, im Herkunftsstaat zahlreiche Angehörige, darunter einen Cousin in Moskau, zu haben und die russische Sprache zu beherrschen, sodass der Beschwerdeführer etwa die Möglichkeit hat, sich gemeinsam mit jenem Onkel bei dem erwähnten Angehörigen in Moskau anzusiedeln und auf diesem Weg anfängliche Unterstützung bei einer Eingliederung im Herkunftsstaat zu erfahren.

1.3. Mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichts XXXX vom XXXX , Zahl XXXX , wurde der Beschwerdeführer wegen des Verbrechens der terroristischen Vereinigung gemäß § 278b Abs. 2 StGB und des Verbrechens der kriminellen Organisation gemäß § 278a StGB unter Anwendung von § 19 Abs. 1 JGG iVm § 5 Z 4 JGG und § 28 Abs. 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von 24 Monaten verurteilt, von welcher ein Teil in der Dauer von 16 Monaten unter Setzung einer dreijährigen Probezeit bedingt nachgesehen wurde.

Der Beschwerdeführer wurde mit dem angeführten Urteil für schuldig befunden,

A./ sich seit einem nicht festzustellenden Zeitpunkt, jedenfalls seit Anfang des Jahres 2017 bis zu seiner Festnahme am XXXX , als Mitglied (§ 278 Abs 3 StGB) an einer terroristischen Vereinigung (§ 278b Abs 3 StGB), nämlich der in der UN-Sanktionsliste (Quelle: UN-Sanktionsliste, www.un.org, Punkt QDe. 115) aufscheinenden Terrororganisation IS-Islamic State ("IS"), die aus der seit zumindest 2004 bestehenden Terrororganisation "Al Quaida im Irak" hervorging und darauf ausgerichtet ist, dass von einem oder mehreren Mitglieder dieser Vereinigung eine oder mehrere terroristische Straftaten (§ 278 c StGB) ausgeführt werden oder Terrorismusfinanzierung (§ 278d StGB) betrieben wird, beteiligt zu haben, wobei er im Wissen (§ 5 Abs 3 StGB) handelte, durch seine Beteiligung die Vereinigung IS oder deren strafbare Handlungen zu fördern, indem er in nachbezeichneten Einzel-Chats- und in teils von ihm selbst gegründeten Gruppenchats sowie auf seinen Instagram- und Telegram-Accounts den IS, dessen Kämpfer, dessen terroristische Straftaten verherrlichende und zur Begehung von Anschlägen aufrufende IS-Propagandamaterialien versendete, er sich dadurch als Anhänger des IS deklarierte und die anderen Chatteilnehmer bzw. Instagram- und Telegram-User für die terroristische Vereinigung IS anwarb bzw. jene, die mit dem IS bereits sympathisierten, in ihrem Entschluss, diesen zu unterstützen, zu bestärken beabsichtigte, und zwar insbesondere

I. indem er am 03.12.2017 eine ca. 30 Personen umfassende Telegram Chatgruppe mit dem Zweck gründete, jugendliche "Salafisten" zu vernetzen und IS-Kampfnasheeds und IS-Propagandavideos unter den Teilnehmern zu verbreiten und auszutauschen, wobei er als einziger Administrator des Chats als aktives Mitglied teilnahm

II. indem er in einer weiteren aus 23 Teilnehmern bestehenden Telegram Chatgruppe, deren Zweck auf den Austausch von IS-Propaganda und die Planung von IS-Anschlägen gerichtet war, Folgendes kommunizierte

-

am 02.05.2018:

"Hannes (~ Codewort für Terroranschlag) wird eine Welle Wie ein schlag ins Gesicht [...], Wir werden diesen Staat holen [...], Ich kann Dir eines Sagen, Ich werde in XXXX mein messer einsetzen ohne in den Knast zu kommen [...]",

woraufhin ein anderer Teilnehmer antwortete "I want to help bei attentanten" und der Angeklagte dies wie folgt kommentierte:

"Sind keine Attentate, sondern Operationen weil Attentate man weiss wer es war."

...

-

am 06.06.2018:

"Habe paar Anhänger bekommen, Hannes)); gerade arbeiten wir an Hannes Struktur"

III. Am 09.07.2018 indem er von dem ihm zuordenbaren, öffentlich zugänglichen Instagram User-Account ein Bild hochlud, welches seinen Bekannten mit einer schwarzen Sturmhaube verkleidet und seinen Zeigefinger zum sogenannten "Tauhid Finger" erhebend zeigte, wobei der Beschwerdeführer das Posting in arabischer Sprache wörtlich übersetzt wie folgt kommentierte. "So Gott will, XXXX wird einen Selbstmordanschlag in Europa durchführen",

IV. im Zuge von Chat-Konversationen sowie im Zuge von Konversationen, die auf den von ihm betriebenen 15 " XXXX -Telegram-Kanälen" geführt worden waren, und zwar:

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indem er seiner Chatpartnerin wiederholt Videos von Hinrichtungen und anderen Gräueltaten des IS übermittelte und am 19.06.2018 auf ihre Frage "Was machst du so" folgendes antwortete: "Mich vorbereiten Um einen umzubringen Die Handschuhe dazu habe ich ja schon",

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indem er am 09.07.2018 gegenüber seinem Chatpartner äußerte: "Du musst in den Krieg, nach einer langen Vorbereitung. [...] Wenn sie Kuffar sind (gemeint die Eltern des XXXXXX) und es nd (gemeint nicht) erlauben egal mach Hijjrah (~ arabisches Wort und bedeutet Flucht) [...] Wir haben vor den islamischen Staat in Europa aufzubauen [...], Wir werden die Leute aufklären [...], Wenn die Europäer wissen was Shariah ist, dann werden sie alle Shariah lieben",

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indem er am 05.07.2018 gegenüber seinem Chatpartner "XXXXX" äußerte: "Wenn ein Kafir es übertreibt mit der Bekämpfung musst Baraa (~arabischer Begriff und bedeutet den Ausschluss eines aufsässigen Mitglieds aus dem Stamm) und Feindschaft schmieden gegen ihn, und in bekämpfen",

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indem er am 09.07.2018 gegenüber seinem Chartpartner "XXXX" äußerte: " [...] Hast du Dich schonmal unabhängig mit der Ideologie des IS auseinandergesetzt? Du besitzt nicht das Wissen über diese Armee. [...] Aber du solltest den Islam weiterlernen damit du auch weißt das der IS was komplett normales ist. [...] der IS hat Aufklärungsvideos [...]", wobei der Angeklagte im Zuge dieser Chatkonversation seinem Chatpartner drei den IS verherrlichende Audiodateien radikal-islamistischen Inhalts übermittelte,

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indem er am 09.07.2018 im vom Angeklagten als Administrator betriebenen Telegram Online-Kanal den anderen Chat-Teilnehmern betreffend der Frage, ob man Kuffar töten dürfte, folgende vom LVT

XXXX verschriftlichte Sprachnachricht übermittelte:

"Ich bin der Meinung, dass man nicht spontan auf die Straße geht und wahllos Zivilisten abschlachtet, sondern dass man höhere Personen losgeht, und damit meine ich, dass wir sie im Geheimen töten. Dass wir undercover bleiben. Ich bin dafür, dass man Politiker im Geheimen tötet und jeden Mitarbeiter des Staates. Aber man soll nicht auf die Bevölkerung losgehen. [...] XXXX sitzt im verdammten Taghut-Haus. Die kannst du ruhig umbringen."

V. indem er im Zeitraum von 07.08.3028 bis 11.08.2018 auf dem ihm zuordenbaren, öffentlich zugänglichen Instagram User-Account in wiederholten Angriffen den IS und die AL-QUAIDA verherrlichende Propagandavideos und Propagandabilder hochlud, und zwar insbesondere

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am 07.08.2018 ein im Winter aufgenommenes Foto, auf dem im rechten unteren Rand die Fahne des IS zu sehen ist, wobei es sich dabei um ein Handycover handeln dürfte mit folgender Kommentierung: "Das ist nicht nur die Flagge des islamischen Staates, sondern der gesamten islamischen Ideologie."

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am 08.08.2018 ein AL-QUAIDA Propagandavideo in der Dauer von 60 Sekunden, in welchem der verstorbene Terrorist Osama Bin Laden eine Ansprache hält,

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am 11.08.2018 zwei IS-Propagandabilder sowie ein weiteres Foto mit der Symbolik des IS, welches er in seiner Instagram-Story veröffentlichte, mit folgender Kommentierung:

"Ich bin nicht für Dawla, sondern akzeptiere sie. Dawlatul Islamiyyah hat gute und schlechte Menschen in ihren Reihen. So wie jede Armee gute und schlechte Menschen hat. Beispiel: Die Taliban haben gute und schlechte Menschen unter sich und nein nicht der Adhir der Mushrikeen Taliban. Ich bin ein Ansar für jeden Mujahid auf Haqq und Manhaj. Meine Shuyukh (~ im Sinne von Anführer) sind Abu Mueinesab Az-Zarqawi und Usama bin Laden. Keine Aqidah fragen mehr."

B./ sich durch die unter Punkt A./ näher bezeichneten Handlungen an einer auf längere Zeit angelegten unternehmensähnlichen Verbindung einer größeren Zahl von Personen, nämlich der international agierenden terroristischen Vereinigung des IS, als Mitglied mit dem Wissen beteiligt zu haben (§ 278 Abs. 3 StGB), dass er dadurch die Vereinigung in ihrem Ziel, im Irak, in Syrien, im Libanon, in Jordanien und in Palästina einen radikal-islamischen Gottesstaat (Kalifat) zu errichten, und deren terroristische Straftaten nach § 278c Abs. 1 StGB zur Erreichung dieses Ziels förderte, wobei diese Vereinigung, wenn auch nicht ausschließlich, auf die wiederkehrende und geplante Begehung schwerwiegender strafbarer Handlungen, die das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die Freiheit oder das Vermögen bedrohen, sowie schwerwiegende strafbare Handlungen im Bereich der sexuellen Ausbeutung von Menschen, der Schlepperei oder des unerlaubten Verkehrs mit Kampfmitteln, insbesondere dem tatsächlichen kriegerischen Einsatz erlangter Waffen, ausgerichtet ist, indem sie seit Sommer 2011 insbesondere in Syrien und im Irak unter Anwendung besonderer Grausamkeit durch terroristische Straftaten nach § 278c Abs. 1 StGB die Zerstörung des syrischen und irakischen Staats betreibt, in den eroberten Gebieten in Syrien und im Irak die sich nicht ihren Zielen unterordnende Zivilbevölkerung tötet und vertreibt, sich deren Vermögen aneignet, durch Geiselnahmen große Geldsummen erpresst, die vorgefundenen Kunstschätze veräußert, und Bodenschätze, insbesondere Erdöl und Phosphat, zu ihrer Bereicherung ausbeutet, die durch all diese Straftaten eine Bereicherung in großem Umfang anstrebt und Dritte durch angedrohte und ausgeführte Terroranschläge insbesondere in Syrien und im Irak, aber auch in Europa, einschüchtert und sich auf besondere Weise, nämlich durch Geheimhaltung ihres Aufbaus, ihrer Finanzstruktur, der personellen Zusammensetzung der Organisation und der internen Kommunikation, gegen Strafverfolgungsmaßnahmen abschirmt.

Bei der Strafzumessung als mildernd berücksichtigte das Strafgericht die Tatbegehung teils als Jugendlicher, teils als junger Erwachsener sowie den bisher ordentlichen Lebenswandel sowie als erschwerend das Zusammentreffen von zwei Verbrechen, die Vielzahl der Tatangriffe und den langen Tatzeitraum.

Ein weiterer Aufenthalt des Beschwerdeführers würde eine schwerwiegende Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit darstellen, zumal auf Grundlage seines bisher gesetzten Verhaltens die Gefahr der neuerlichen Begehung terroristischer Straftaten zu prognostizieren ist. Ein Wegfall der von seiner Person ausgehenden Gefährdung kann zum Entscheidungszeitpunkt nicht prognostiziert werden.

1.4. Der Beschwerdeführer ist ledig und kinderlos. In Österreich lebt der Beschwerdeführer im gemeinsamen Haushalt mit seiner hier asylberechtigten Großmutter, zu der darüber hinaus kein besonderes Nahe- oder Abhängigkeitsverhältnis vorliegt. In Bezug auf seine Mutter und seinen Onkel bestehen gleichermaßen aufenthaltsbeendende Maßnahmen. Der Beschwerdeführer ist im Alter von drei Jahren nach Österreich eingereist, hat im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht die Pflichtschule absolviert und die deutsche Sprache erlernt. Eine weitergehende Ausbildung hat er nicht abgeschlossen. Der Beschwerdeführer war seit Erreichen der Volljährigkeit nicht selbsterhaltungsfähig und hat sich lediglich für einen Tag in einem Arbeitsverhältnis befunden, im Übrigen lebte er von staatlichen Sozialleistungen. Eine längerfristige berufliche Eingliederung war nie gegeben.

1.5. Insbesondere zur allgemeinen Situation und Sicherheitslage, zur allgemeinen Menschenrechtslage, zu Grundversorgung und Wirtschaft sowie zur Lage von Rückkehrern wird unter Heranziehung der erstinstanzlichen Länderfeststellungen Folgendes festgestellt:

...

SICHERHEITSLAGE

Wie verschiedene Anschläge mit zahlreichen Todesopfern in den letzten Jahren gezeigt haben, kann es in Russland, auch außerhalb der Kaukasus-Region, zu Anschlägen kommen. Todesopfer forderte zuletzt ein Terroranschlag in der Metro von St. Petersburg im April 2017. Die russischen Behörden halten ihre Warnung vor Anschlägen aufrecht und rufen weiterhin zu besonderer Vorsicht auf (AA 3.9.2019a, vgl. BMeiA 3.9.2019, GIZ 8.2019d). Trotz verschärfter Sicherheitsmaßnahmen kann das Risiko von Terrorakten nicht ausgeschlossen werden. Die russischen Sicherheitsbehörden weisen vor allem auf eine erhöhte Gefährdung durch Anschläge gegen öffentliche Einrichtungen und größere Menschenansammlungen hin (Untergrundbahn, Bahnhöfe und Züge, Flughäfen etc.) (EDA 3.9.2019).

Russland tritt als Protagonist internationaler Terrorismusbekämpfung auf und begründet damit seinen Militäreinsatz in Syrien. Vom Beginn des zweiten Tschetschenienkriegs 1999 bis ins Jahr 2013 sah es sich mit 75 größeren Terroranschlägen auf seinem Staatsgebiet konfrontiert, die Hunderten Zivilisten das Leben kosteten. Verantwortlich dafür war eine über Tschetschenien hinausgehende Aufstandsbewegung im Nordkaukasus. Die gewaltsamen Zwischenfälle am Südrand der Russischen Föderation gingen 2014 um 46% und 2015 um weitere 51% zurück. Auch im Global Terrorism Index, der die Einwirkung des Terrorismus je nach Land misst, spiegelt sich diese Entwicklung wider. Demnach stand Russland 2011 noch an neunter Stelle hinter mittelöstlichen, afrikanischen und südasiatischen Staaten, weit vor jedem westlichen Land. Im Jahr 2016 rangierte es dagegen nur noch auf Platz 30 hinter Frankreich (Platz 29), aber vor Großbritannien (Platz 34) und den USA (Platz 36). Nach der Militärintervention in Syrien Ende September 2015 erklärte der sogenannte Islamische Staat (IS) Russland den Dschihad und übernahm die Verantwortung für den Abschuss eines russischen Passagierflugzeugs über dem Sinai mit 224 Todesopfern. Seitdem ist der Kampf gegen die Terrormiliz zu einer Parole russischer Außen- und Sicherheitspolitik geworden, auch wenn der russische Militäreinsatz in Syrien gewiss nicht nur von diesem Ziel bestimmt ist, sondern die Großmachtrolle Russlands im Mittleren Osten stärken soll. Moskau appelliert beim Thema Terrorbekämpfung an die internationale Kooperation (SWP 4.2017). Eine weitere Tätergruppe rückt in Russland ins Zentrum der Medienaufmerksamkeit, nämlich Islamisten aus Zentralasien. Die Zahl der Zentralasiaten, die beim sog. IS kämpfen, wird auf einige tausend geschätzt (Deutschlandfunk 28.6.2017).

Quellen:

AA - Auswärtiges Amt (3.9.2019a): Russische Föderation: Reise- und Sicherheitshinweise,

https://www.auswaertigesamt.de/de/russischefoederationsicherheit/201536#content_0, Zugriff 3.9.2019

BmeiA (3.9.2019): Reiseinformation Russische Föderation, https://www.bmeia.gv.at/reise-aufenthalt/reiseinformation/land/russische-foederation/, Zugriff 3.9.2019

Deutschlandfunk (28.6.2017): Anti-Terrorkampf in Dagestan. Russische Methoden,

https://www.deutschlandfunk.de/anti-terrorkampf-in-dagestan-russischemethoden.

724. de.html?dram:article_id=389824, Zugriff 29.8.2018

EDA - Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelegenheiten (3.9.2019): Reisehinweise für Russland, https://www.eda.admin.ch/eda/de/home/vertretungen-undreisehinweise/russland/reisehinweise fuerrussland.html, Zugriff 3.9.2019

GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (8.2019d): Russland, Alltag,

https://www.liportal.de/russland/alltag/#c18170, Zugriff 3.9.2019

SWP - Stiftung Wissenschaft und Politik (4.2017): Russland und der Nordkaukasus im Umfeld des globalen Jihadismus, https://www.swpberlin.org/fileadmin/contents/products/aktuell/2017A23_hlb.pdf, Zugriff 3.9.2019

Nordkaukasus

Die Menschenrechtsorganisation Memorial beschreibt in ihrem Bericht über den Nordkaukasus vom Sommer 2016 eindrücklich, dass die Sicherheitslage für gewöhnliche Bürger zwar stabil ist, Aufständische einerseits und Kritiker der bestehenden Systeme sowie Meinungs- und Menschenrechtsaktivisten andererseits weiterhin repressiven Maßnahmen und Gewalt bis hin zum Tod ausgesetzt sind (AA 13.2.2019). In internationalen sicherheitspolitischen Quellen wird die Lage im Nordkaukasus mit dem Begriff "low level insurgency" umschrieben (SWP 4.2017).

Das Kaukasus-Emirat, das seit 2007 den islamistischen Untergrundkampf im Nordkaukasus koordiniert, ist seit Ende 2014 durch das Überlaufen einiger Feldkommandeure zum sog. IS von Spaltungstendenzen erschüttert und geschwächt. Der IS verstärkte 2015 seine russischsprachige Propaganda in Internet-Foren wie Furat Media, ohne dass die Behörden laut Nowaja Gazeta diesem Treiben große Aufmerksamkeit widmeten. Am 23. Juni 2015 rief der IS-Sprecher Muhammad al-Adnani ein ‚Wilajat Kavkaz', eine ‚Provinz Kaukasus', als Teil des IS-Kalifats aus. Es war ein propagandistischer Akt, der nicht bedeutet, dass der IS in dieser Region militärisch präsent ist oder sie gar kontrolliert, der aber den zunehmenden Einfluss dieser Terrormiliz auf die islamistische Szene im Nordkaukasus symbolisiert. Zuvor hatten mehr und mehr ideologische und militärische Führer des Kaukasus-Emirats dem ‚Kalifen' Abu Bakr al-Baghdadi die Treue geschworen und sich von al-Qaida abgewandt.

Damit bestätigte sich im islamistischen Untergrund im Nordkaukasus ein Trend, dem zuvor schon Dschihad-Netzwerke in Nordafrika, Jemen, Pakistan und Afghanistan gefolgt waren (SWP 10.2015). Das rigide Vorgehen der Sicherheitskräfte, aber auch die Abwanderung islamistischer Kämpfer in die Kampfgebiete in Syrien und in den Irak, haben dazu geführt, dass die Gewalt im Nordkaukasus in den vergangenen Jahren deutlich zurückgegangen ist.

Innerhalb der extremistischen Gruppierungen verschoben sich in den vergangenen Jahren die Sympathien zur regionalen Zweigstelle des sog. IS, die mittlerweile das Kaukasus-Emirat praktisch vollständig verdrängt hat. Dabei sorgt nicht nur Propaganda und Rekrutierung des sog. IS im Nordkaukasus für Besorgnis der Sicherheitskräfte. So wurden Mitte Dezember 2017 im Nordkaukasus mehrere Kämpfer getötet, die laut Angaben des Anti- Terrorismuskomitees dem sog. IS zuzurechnen waren (ÖB Moskau 12.2018). Offiziell kämpfen bis zu 800 erwachsene Tschetschenen für die Terrormiliz IS. Die Dunkelziffer dürfte höher sein (DW 25.1.2018). 2018 erzielten die Strafverfolgungsbehörden maßgebliche Erfolge, die Anzahl terroristisch motivierter Verbrechen wurde mehr als halbiert. Sechs Terroranschläge wurden verhindert und insgesamt 50 Terroristen getötet. In den vergangenen Jahren hat sich die Hauptkonfliktzone von Tschetschenien in die Nachbarrepublik Dagestan verlagert, die nunmehr als gewaltreichste Republik im Nordkaukasus gilt, mit der vergleichsweise höchsten Anzahl an extremistischen Kämpfern.

Die Art des Aufstands hat sich jedoch geändert: aus großen kampferprobten Gruppierungen wurden kleinere, im Verborgenen agierende Gruppen (ÖB Moskau 12.2018). Ein Risikomoment für die Stabilität in der Region ist die Verbreitung des radikalen Islamismus. Während in den Republiken Inguschetien und Kabardino-Balkarien auf einen Dialog innerhalb der muslimischen Gemeinschaft gesetzt wird, verfolgen die Republiken Tschetschenien und Dagestan eine konsequente Politik der Repression radikaler Elemente (ÖB Moskau 12.2018). Im Jahr 2018 sank die Gesamtzahl der Opfer des bewaffneten Konflikts im Nordkaukasus gegenüber 2017 um 38,3%, und zwar von 175 auf 108 Personen. Von allen Regionen des Föderationskreis Nordkaukasus hatte Dagestan im vergangenen Jahr die größte Zahl der Toten und Verwundeten zu verzeichnen; Tschetschenien belegte den zweiten Platz. Im gesamten Nordkaukasus sind von Jänner bis Juni 2019 mindestens 31 Menschen dem Konflikt zum Opfer gefallen. Das ist fast die Hälfte gegenüber dem ersten Halbjahr 2018, als es mindestens 63 Opfer waren. In der ersten Jahreshälfte 2019 umfasste die Zahl der Konfliktopfer 23 Tote und acht Verletzte. Zu den Opfern gehören 22 mutmaßliche Aufständische und eine Exekutivkraft. Verwundet wurden sieben Exekutivkräfte und ein Zivilist. In den ersten sechs Monaten des Jahres 2019 lag Kabardino-Balkarien mit der Zahl der erfassten Opfer, neun Tote und ein Verletzter, an der Spitze. Als nächstes folgt Dagestan mit mindestens neun Toten, danach Tschetschenien mit zwei getöteten Personen und vier Verletzten. In Inguschetien wurde eine Person getötet und drei verletzt; im Gebiet Stawropol wurden zwei Personen getötet. Dagestan ist führend in der Anzahl der bewaffneten Vorfälle - mindestens vier bewaffnete Zusammenstöße fanden in dieser Republik in den ersten sechs Monaten des Jahres 2019 statt. Im gleichen Zeitraum wurden in Kabardino-Balkarien drei bewaffnete Vorfälle registriert, zwei in Tschetschenien, einer in Inguschetien und im Gebiet Stawropol. Seit Anfang dieses Jahres gab es in Karatschai-Tscherkessien und in Nordossetien keine Konfliktopfer und bewaffneten Zwischenfälle mehr (Caucasian Knot 30.8.2019).

Quellen:

AA - Auswärtiges Amt (13.2.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/1458482/4598_1551701623_auswaertiges-amt-berichtueberdie-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-russischen-foederation-standdezember- 2018-13-02-2019.pdf, Zugriff 3.9.2019

Caucasian Knot (30.8.2019): In 2018, the count of conflict victims in Northern Caucasus dropped by 38%, https://www.eng.kavkazuzel. eu/articles/reduction_number_victims_2018/, Zugriff 3.9.2019

DW - Deutsche Welle (25.1.2018): Tschetschenien: "Wir sind beim IS beliebt",

https://www.dw.com/de/tschetschenien-wir-sind-beim-is-beliebt/a-42302520, Zugriff 3.9.2019

ÖB Moskau (12.2018): Asylländerbericht Russische Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2001768/RUSS_%C3%96B_Bericht_2018_12.pdf, Zugriff 3.9.2019

-SWP - Stiftung Wissenschaft und Politik (10.2015): Reaktionen auf den "Islamischen Staat" (ISIS) in Russland und Nachbarländern, http://www.swpberlin.

org/fileadmin/contents/products/aktuell/2015A85_hlb.pdf, Zugriff 3.9.2019

SWP - Stiftung Wissenschaft und Politik (4.2017): Russland und der Nordkaukasus im Umfeld des globalen Jihadismus, https://www.swpberlin.

org/fileadmin/contents/products/aktuell/2017A23_hlb.pdf, Zugriff 3.9.2019

Tschetschenien

Als Epizentrum der Gewalt im Kaukasus galt lange Zeit Tschetschenien. Die Republik ist in der Topographie des bewaffneten Aufstands mittlerweile aber zurückgetreten; angeblich sind dort nur noch kleinere Kampfverbände aktiv. Dafür kämpfen Tschetschenen in zunehmender Zahl an unterschiedlichen Fronten außerhalb ihrer Heimat - etwa in der Ostukraine sowohl auf Seiten pro-russischer Separatisten als auch auf der ukrainischen Gegenseite, sowie in Syrien und im Irak (SWP 4.2015). In Tschetschenien konnte der Kriegszustand überwunden und ein Wiederaufbau eingeleitet werden. In einem Prozess der "Tschetschenisierung" wurde die Aufstandsbekämpfung im zweiten Tschetschenienkrieg an lokale Sicherheitskräfte delegiert, die sogenannten Kadyrowzy. Diese auf den ersten Blick erfolgreiche Strategie steht aber kaum für nachhaltige Befriedung (SWP 4.2017).

Im Jahr 2018 wurden in Tschetschenien mindestens 35 Menschen Opfer des bewaffneten Konflikts, von denen mindestens 26 getötet und neun weitere verletzt wurden. Unter den Opfern befanden sich drei Zivilisten (zwei getötet, einer verletzt), elf Exekutivkräfte (drei getötet, acht verletzt) und 21 Aufständische (alle getötet). Im Vergleich zu 2017, als es 75 Opfer gab, sank die Gesamtopferzahl 2018 um 53,3%. In der ersten Hälfte des Jahres 2019 wurden in Tschetschenien zwei Personen getötet und vier verletzt (Caucasian Knot 30.8.2019). Seit Jahren ist im Nordkaukasus nicht mehr Tschetschenien Hauptkonfliktzone, sondern Dagestan (ÖB Moskau 12.2018).

Quellen:

Caucasian Knot (30.8.2019): In 2018, the count of conflict victims in Northern Caucasus dropped by 38%, https://www.eng.kavkazuzel. eu/articles/reduction_number_victims_2018/, Zugriff 3.9.2019

ÖB Moskau (12.2018): Asylländerbericht Russische Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2001768/RUSS_%C3%96B_Bericht_2018_12.pdf, Zugriff 3.9.2019

SWP - Stiftung Wissenschaft und Politik (4.2015): Dagestan:

Russlands schwierigste Teilrepublik, http://www.swpberlin.org/fileadmin/contents/products/studien/2015_S08_hlb_isaeva.pdf, Zugriff 3.9.2019

SWP - Stiftung Wissenschaft und Politik (4.2017): Russland und der Nordkaukasus im Umfeld des globalen Jihadismus, https://www.swpberlin.org/fileadmin/contents/products/aktuell/2017A23_hlb.pdf, Zugriff 3.9.2019

RECHTSSCHUTZ / JUSTIZWESEN

Es gibt in der Russischen Föderation Gerichte bezüglich Verfassungs-, Zivil-, Administrativund Strafrecht. Es gibt den Verfassungsgerichtshof, den Obersten Gerichtshof, föderale Gerichtshöfe und die Staatsanwaltschaft. Die Staatsanwaltschaft ist verantwortlich für Strafverfolgung und hat die Aufsicht über die Rechtmäßigkeit der Handlungen von Regierungsbeamten. Strafrechtliche Ermittlungen werden vom Ermittlungskomitee geleitet (EASO 3.2017). Die russischen Gerichte sind laut Verfassung unabhängig, allerdings kritisieren sowohl internationale Gremien (EGMR, EuR) als auch nationale Organisationen (Ombudsmann, Menschenrechtsrat) regelmäßig Missstände im russischen Justizwesen. Einerseits kommt es immer wieder zu politischen Einflussnahmen auf Prozesse, andererseits beklagen viele Bürger die schleppende Umsetzung von Urteilen bei zivilrechtlichen Prozessen (ÖB Moskau 12.2018). Der Judikative mangelt es auch an Unabhängigkeit von der Exekutive, und berufliches Weiterkommen in diesem Bereich ist an die Einhaltung der Präferenzen des Kremls gebunden (FH 4.2.2019).

In Strafprozessen kommt es nur sehr selten zu Freisprüchen der Angeklagten. Laut einer Umfrage des Levada-Zentrums über das Vertrauen der Bevölkerung in die staatlichen Institutionen Ende 2018 rangieren die Gerichte, die Staatsanwaltschaft und die Polizei eher im unteren Bereich. 33% der Befragten zweifeln daran, dass man den Gerichten vertrauen kann, 25% sind überzeugt, dass die Gerichte das Vertrauen der Bevölkerung nicht verdienen und nur 28% geben an, ihnen zu vertrauen (ÖB Moskau 12.2018). Der Kampf der Justiz gegen Korruption steht mitunter im Verdacht einer Instrumentalisierung aus wirtschaftlichen bzw. politischen Gründen (ÖB Moskau 12.2018, vgl. AA 13.2.2019). So wurde in einem aufsehenerregenden Fall der amtierende russische Wirtschaftsminister Alexei Ulyukayev im November 2016 verhaftet und im Dezember 2017 wegen Korruptionsvorwürfen seitens des mächtigen Leiters des Rohstoffunternehmens Rosneft zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt (ÖB Moskau 12.2018).

2010 ratifizierte Russland das 14. Zusatzprotokoll der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), das Änderungen im Individualbeschwerdeverfahren vorsieht. Das 6. Zusatzprotokoll über die Abschaffung der Todesstrafe ist zwar unterschrieben, wurde jedoch nicht ratifiziert. Der russische Verfassungsgerichtshof (VfGH) hat jedoch das Moratorium über die Todesstrafe im Jahr 2009 bis zur Ratifikation des Protokolls verlängert, so dass die Todesstrafe de facto abgeschafft ist. Auch das Römer Statut des Internationalen Strafgerichtshofs wurde von Russland nicht ratifiziert. Spannungsgeladen ist das Verhältnis der russischen Justiz zu den Urteilen des EGMR. Moskau sieht im EGMR ein politisiertes Organ, das die Souveränität Russlands untergraben möchte (ÖB Moskau 12.2018). Im Juli 2015 stellte der russische Verfassungsgerichtshof klar, dass bei einer der russischen Verfassung widersprechenden Konventionsauslegung seitens des EGMR das russische Rechtssystem aufgrund der Vorrangstellung des Grundgesetzes gezwungen sein wird, auf die buchstäbliche Befolgung der Entscheidung des Straßburger Gerichtes zu verzichten. Diese Position des Verfassungsgerichtshofs wurde im Dezember 2015 durch ein Föderales Gesetz unterstützt, welches dem VfGH das Recht einräumt, Urteile internationaler Menschenrechtsinstitutionen nicht umzusetzen, wenn diese nicht mit der russischen Verfassung in Einklang stehen (ÖB Moskau 12.2018, vgl. AA 13.2.2019, US DOS 13.3.2019). Der russische Verfassungsgerichtshof zeigt sich allerdings um grundsätzlichen Einklang zwischen internationalen gerichtlichen Entscheidungen und der russischen Verfassung bemüht (ÖB Moskau 12.2018).

Am 10.2.2017 fällte das Verfassungsgericht eine Entscheidung zu

Artikel 212.1 des Strafgesetzbuchs, der wiederholte Verstöße gegen das Versammlungsrecht als Straftat definiert. Die Richter entschieden, die Abhaltung einer "nichtgenehmigten" friedlichen Versammlung allein stelle noch keine Straftat dar. Am 22.2.2017 überprüfte das Oberste Gericht das Urteil gegen den Aktivisten Ildar Dadin, der wegen seiner friedlichen Proteste eine Freiheitsstrafe auf Grundlage von Artikel 212.1. erhalten hatte, und ordnete seine Freilassung an. Im Juli 2017 trat eine neue Bestimmung in Kraft, wonach die Behörden Personen die russische Staatsbürgerschaft aberkennen können, wenn sie diese mit der "Absicht" angenommen haben, die "Grundlagen der verfassungsmäßigen Ordnung des Landes anzugreifen". NGOs kritisierten den Wortlaut des Gesetzes, der nach ihrer Ansicht Spielraum für willkürliche Auslegungen bietet (AI 22.2.2018).

Die Strafverfolgungs- oder Strafzumessungspraxis unterscheidet nicht nach Merkmalen wie ethnischer Zugehörigkeit, Religion oder Nationalität. Es gibt jedoch Hinweise auf selektive Strafverfolgung, die auch sachfremd, etwa aus politischen Gründen oder wirtschaftlichen Interessen, motiviert sein kann (AA 13.2.2019).

Repressionen Dritter, die sich gezielt gegen bestimmte Personen oder Personengruppen wegen ihrer ethnischen Zugehörigkeit, Religion, Nationalität oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe richten, äußern sich hauptsächlich in homophoben, fremdenfeindlichen oder antisemitischen Straftaten, die von Seiten des Staates nur in einer Minderheit der Fälle zufriedenstellend verfolgt und aufgeklärt werden (AA 13.2.2019).

Quellen:

AA - Auswärtiges Amt (13.2.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/1458482/4598_1551701623_auswaertiges-amt-berichtueber-

die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-russischen-foederation-standdezember- 2018-13-02-2019.pdf, Zugriff 6.8.2019

AI - Amnesty International (22.2.2018): Amnesty International Report 2017/18 - The State of the World's Human Rights - Russian Federation, https://www.ecoi.net/de/dokument/1425086.html, Zugriff 6.8.2019

EASO - European Asylum Support Office (3.2017): COI-Report Russian Federation - State Actors of Protection, http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1489999668_easocoirussiastate-actors-of-protection.pdf, Zugriff 6.8.2019

FH - Freedom House (4.2.2019): Jahresbericht zu politischen Rechten und bürgerlichen Freiheiten im Jahr 2018 Russland, https://www.ecoi.net/de/dokument/2002603.html, Zugriff 6.8.2019

ÖB Moskau (12.2018): Asylländerbericht Russische Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2001768/RUSS_%C3%96B_Bericht_2018_12.pdf, Zugriff 6.8.2019

US DOS - United States Department of State (13.3.2019):

Jahresbericht zur Menschenrechtslage im Jahr 2018 - Russland, https://www.ecoi.net/de/dokument/2004290.html, Zugriff 6.8.2019

Tschetschenien und Dagestan

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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