TE Vfgh Erkenntnis 2020/3/5 E4422/2019

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Veröffentlicht am 05.03.2020
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Index

41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht, Asylrecht

Norm

BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1
AsylG 2005 §3, §8, §10, §57
FremdenpolizeiG 2005 §46, §52, §53, §55
VfGG §7 Abs2

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch die Abweisung eines Antrags auf internationalen Schutz betreffend einen Staatsangehörigen der Türkei durch mangelhafte Auseinandersetzung mit dem Fluchtvorbringen und Nichtdurchführung von Ermittlungen sowie einer mündlichen Verhandlung; ausschließlicher Verweis auf die verwaltungsbehördliche Begründung rechtsstaatlich unzureichend

Spruch

I. Der Beschwerdeführer ist durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973) verletzt worden.

Das Erkenntnis wird aufgehoben.

II. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.616,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I.       Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren

1.       Der Beschwerdeführer ist ein am 12. März 1990 geborener Staatsangehöriger der Türkei, stammt aus Araban und gehört der Volksgruppe der Kurden an. Am 25. April 2018 stellte der Beschwerdeführer einen Antrag auf internationalen Schutz. Begründend führte der Beschwerdeführer zu diesem Antrag im Wesentlichen aus, dass er bei einer Rückkehr in die Türkei seinen Militärdienst ableisten müsste. Da er Kurde sei, würde man ihn in ein Kurdengebiet schicken. Er wolle jedoch nicht auf seine Brüder schießen. Ferner werde er unterdrückt, weil er Atheist sei und zur Fastenzeit nicht gefastet habe. Zudem wolle seine Familie ihn zwangsverheiraten.

2.       Mit Bescheid vom 10. Mai 2019 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag bezüglich der Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten gemäß §3 Abs1 iVm §2 Abs1 Z13 AsylG 2005 ab; ebenso wurde der Antrag auf Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß §8 Abs1 iVm §2 Abs1 Z13 AsylG 2005 in Bezug auf den Herkunftsstaat Türkei abgewiesen. Weiters wurde ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §57 AsylG 2005 nicht erteilt, gemäß §10 Abs1 Z3 AsylG 2005 iVm §9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß §52 Abs2 Z2 FPG erlassen und gemäß §52 Abs9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers in die Türkei gemäß §46 FPG zulässig sei. Gemäß §55 Abs1 bis 3 FPG wurde die Frist für die freiwillige Ausreise mit zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt. Schließlich wurde gemäß §53 Abs1 iVm Abs2 Z8 FPG ein auf die Dauer von fünf Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen.

3.       Am 11. Dezember 2018 wurde der Beschwerdeführer vom Bezirksgericht Mödling wegen des Eingehens einer Aufenthaltsehe sowie Urkundenfälschung nach §117 Abs1 iVm Abs4 FPG sowie §293 Abs2 StGB zu einer Geldstrafe von 200 Tagessätzen zu € 4,– verurteilt.

4.       Die gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht – ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung – mit Erkenntnis vom 4. November 2019 als unbegründet ab. Nach einer wörtlichen Wiedergabe der Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, der Sachverhaltsfeststellungen und der Beweiswürdigung des angefochtenen Bescheides führte das Bundesverwaltungsgericht aus, dass in der Beschwerde die Beweiswürdigung des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl nicht substantiiert bekämpft worden sei. Deshalb sei das Bundesverwaltungsgericht nicht veranlasst gewesen, das Ermittlungsverfahren zu wiederholen bzw zu ergänzen. Das Bundesverwaltungsgericht schließe sich der hinreichend tragfähigen Beweiswürdigung des angefochtenen Bescheides an. Demnach sei es dem Beschwerdeführer nicht gelungen, eine Verfolgungsgefahr im Herkunftsstaat glaubhaft zu machen.

5.       Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses beantragt wird.

Hiezu wird im Wesentlichen ausgeführt, dass sich

die Begründung der bekämpften Entscheidung größtenteils in vorgefertigten Textbausteinen erschöpfe. Das Bundesverwaltungsgericht setze sich nicht mit der tatsächlichen Lage im Herkunftsstaat und dem Vorbringen des Beschwerdeführers auseinander.

6.       Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl hat die Verwaltungsakten vorgelegt, von der Erstattung einer Gegenschrift jedoch abgesehen.

7.       Das Bundesverwaltungsgericht hat die Gerichtsakten vorgelegt, von der Erstattung einer Gegenschrift jedoch ebenfalls abgesehen.

II.      Erwägungen

1.       Die – zulässige – Beschwerde ist begründet.

2.       Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsbestimmung enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.

Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg.cit. gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).

Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).

3.       Ein solcher Fehler ist dem Bundesverwaltungsgericht unterlaufen:

3.1.    Das Bundesverwaltungsgericht gibt in seinem Erkenntnis die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, die Sachverhaltsfeststellungen und die Beweiswürdigung des angefochtenen Bescheides wörtlich wieder. Die im Bescheid getroffenen Länderfeststellungen, welche auf dem Länderinformationsblatt zur Lage in der Türkei (letzte Kurzinformation vom 14. März 2019) basieren, werden im Erkenntnis gerafft auf einer Seite wiedergegeben. Das Bundesverwaltungsgericht schließt sich ausdrücklich den getroffenen Feststellungen des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl an. Ebenso folgt es dessen Beweiswürdigung, welche "im Wesentlichen im Sinne der allgemeinen Denklogik und der Denkgesetze in sich schlüssig und stimmig" sei. Demnach sei es dem Beschwerdeführer nicht gelungen, eine Verfolgungsgefahr im Herkunftsstaat glaubhaft zu machen.

3.2.    Das Bundesverwaltungsgericht stützt sich in seinem Erkenntnis zur Gänze auf die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, die Sachverhaltsfeststellungen und die Beweiswürdigung des angefochtenen Bescheides. Es trifft weder eigene (aktuelle) Feststellungen im Hinblick auf die Lage im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers noch führt es eine mündliche Verhandlung durch, auf Basis deren es eigene Feststellungen bzw eine entsprechende Beweiswürdigung vornehmen hätte können.

3.3.    Den in Erwiderung auf die Beschwerde ergänzend aufgenommenen Ausführungen zur Unglaubwürdigkeit des Beschwerdeführers kommt angesichts der mangelhaften Argumentation kein Begründungswert zu. Das Bundesverwaltungsgericht hält lediglich fest, dass es der Beschwerdeführer mit den Ausführungen in seiner Beschwerde nicht vermocht habe, "den vom Bundesamt getroffenen Feststellungen und der Beweiswürdigung […] konkret und substantiiert entgegen zu treten und an deren Richtigkeit begründete Zweifel darzulegen".

3.4.    Die Begründung der angefochtenen Entscheidung erweist sich als unzureichend und nicht nachvollziehbar. Letztlich läuft die vom Bundesverwaltungsgericht gewählte Begründungstechnik, einerseits ausschließlich auf die verwaltungsbehördliche Begründung zu verweisen und andererseits der Beschwerde fehlende Substanz zu unterstellen, auf eine bloße Plausibilitätskontrolle hinaus. Dies entspricht nicht den rechtsstaatlichen Anforderungen an die Begründung von Entscheidungen eines (insoweit erstinstanzlich entscheidenden) Gerichtes. Das angefochtene Erkenntnis ist daher insgesamt mit Willkür belastet (vgl VfSlg 18.614/2008; 18.861/2009; 7.3.2017, E2100/2016; VfGH 9.6.2017, E3235/2016; 11.6.2019, E39/2019; 3.10.2019, E1533/2019).

III.    Ergebnis

1.       Der Beschwerdeführer ist somit durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander gemäß ArtI Abs1 BVG zur Durchführung des internationalen Abkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung verletzt worden.

Das Erkenntnis ist daher aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.

2.       Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

3.       Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 436,– enthalten.

Schlagworte

Asylrecht, Entscheidungsbegründung, Ermittlungsverfahren, Verhandlung mündliche, Rückkehrentscheidung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2020:E4422.2019

Zuletzt aktualisiert am

25.05.2020
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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